FG Saarbrücken: Rückwirkender Teilwertansatz für die Einbringung eines Grundstücks aufgrund der Sperrfristklausel des § 6 Abs. 5 S. 4 EStG
FG Saarbrücken, Urteil vom 19.4.2012 - 1 K 1318/10
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine GmbH, die ... aus einer formwechselnden Umwandlung der früheren ... hervorgegangen ist. Sie war und ist in einen ...konzern eingebunden. Im Streitjahr war sie gewerbesteuerliche Organgesellschaft im Organkreis der ....
Die Klägerin besaß unter anderem ...grundstücke, die sie zum 31. Dezember 2001 im Wege der Sacheinlage gegen Gewährung von Gesellschafterrechten in ... jeweils gesonderte, neu gegründete Tochtergesellschaften (Grundstücks-Kommanditgesellschaften) einbrachte. Vorliegend ist die Einbringung des ...grundstücks in ... in die ... KG (KG) mit Wirkung zum 31. Dezember 2001 streitig. Komplementärin dieser KG ist die weder am Vermögen noch am Gewinn und Verlust beteiligte ... Verwaltungs-GmbH, deren alleinige Gesellschafterin die Klägerin war. Die Klägerin war einzige Kommanditistin der KG.
Die Klägerin wies das betreffende Grundstück in ... zuletzt mit einem Buchwert in Höhe von 28.932.097 DM aus (vgl. Jahresabschluss-Prüfungsbericht, Bil, dort Anlage 8 S. 4). Dieser Buchwert stellte auch den Einbringungswert in der KG dar (Bil, dort Anlage 8 S. 6), mit dem die KG das betreffende Grundstück in ihrer Eröffnungsbilanz ansetzte (Rbh, Bl. 119). Eine Ergänzungsbilanz wurde nicht erstellt. Die Klägerin behandelte die Einbringung in ihrem zusammen mit der Körperschaftsteuererklärung 2001 am ... 2003 eingereichten Jahresabschluss 2001 als nach § 6 Abs. 5 S. 3 Nr. 1 EStG steuerneutral (Buchwertfortführung). Der Beklagte folgte dem in dem unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 164 Abs. 2 AO ergangen Körperschaftsteuerbescheid vom ... 2003.
Nachdem im Rahmen einer Groß- und Konzernbetriebsprüfung bekannt wurde, dass die KG das Grundstück in ... mit Vertrag vom
... mit Wirkung zum 31. Dezember 2005 an einen fremden Dritten zum Kaufpreis von ... € veräußert hatte, setzte der Beklagte unter Anwendung der Sperrfristklausel des § 6 Abs. 5 S. 4 EStG rückwirkend für die Einbringung den Teilwert des Grundstücks i.H.v. 40.520.000 DM an und erließ am ... 2009 gegenüber der Klägerin einen entsprechenden Änderungsbescheid zur Körperschaftsteuer, in dem er die Bemessungsgrundlage um die aufgedeckten „stillen Reserven" i.H.v. 11.587.904 DM (40.520.000 DM -28.932.097 DM) erhöhte (Bl. 26 ff.).
Die hiergegen am 2. Oktober 2009 beim Finanzgericht des Saarlandes erhobene Sprungklage wurde nach zurückweisendem Beschluss vom 11. Januar 2010 (1 K 1480/09) als Einspruch behandelt, welchen der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 19. Mai 2010 (Bl. 3 ff.) als unbegründet zurückwies.
Am 18. Juni 2010 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie beantragt sinngemäß (Bl. 2),
den geänderten Körperschaftsteuerbescheid für 2001 vom ... 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ... 2010 aufzuheben.
Der Änderungsbescheid sei rechtswidrig. Der Beklagte habe § 6 Abs. 5 S. 4 EStG zu Unrecht angewandt. Es sei zwar zutreffend, dass die Veräußerung des Grundbesitzes in ... an einen fremden Dritten mit Notarvertrag vom ... 2005 mit Wirkung zum 31. Dezember 2005 innerhalb der dreijährigen Sperrfrist des § 6 Abs. 5 S. 4 EStG erfolgt sei. Gleichwohl dürfe die durch die Buchwertfortführung eingetretene Steuerneutralität des Einbringungsvorgangs nicht dadurch entfallen, dass rückwirkend anstelle des Buchwertes der Teilwert des Grundstücks angesetzt würde. Denn es greife eine Ausnahme ein.
Der Gesetzeswortlaut sehe eine solche Ausnahme zum Teilwertansatz zwar ausdrücklich nur für den Fall vor, dass eine Ergänzungsbilanz erstellt wurde. Bei einem zu 100% am Vermögen einer Personengesellschaft beteiligten Gesellschafter - wie vorliegend - sei eine Zuordnung der stillen Reserven mittels einer Ergänzungsbilanz aber weder erforderlich noch bilanztechnisch möglich. Angesichts der Transparenz einer Personengesellschaft sei einem solchen Gesellschafter das Grundstück ohnehin unmittelbar zu 100% zuzuordnen. Die Ausnahmeregelung in
§ 6 Abs. 5 S. 4 2. HS EStG sei damit in solchen Fällen stets erfüllt
(Bl. 19). Dies ergebe sich bereits aus der Stellung und der Bedeutung des Satzes 4 im Normenaufbau des § 6 Abs. 5 EStG. Zudem werde in der Gesetzesbegründung vom 10. September 2001 zum Gesetz zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts (Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz - UntStFG) vom 20. Dezember 2001 (BT-Ds 14/6882) klargestellt, dass Zweck des Gesetzes die Sicherstellung der Versteuerung der stillen Reserven bei demjenigen ist, bei dem sie entstanden sind.
§ 6 Abs. 5 S. 4 EStG greife nicht ein, wenn keine stillen Reserven auf andere Gesellschafter verlagert würden. § 6 Abs. 5 S. 3 EStG sei erforderlich gewesen, um eine Verschiebung stiller Reserven zwischen den Gesellschaftern zu ermöglichen. Hierzu habe sich der Gesetzgeber bei der Verabschiedung des UntStFG genötigt gesehen, um erforderliche Umstrukturierungen von Personenunternehmen nicht zu erschweren. Von einer begünstigten Umstrukturierung werde aber dann nicht ausgegangen, wenn das übertragene Einzelwirtschaftsgut innerhalb der Sperrfrist von drei Jahren veräußert oder entnommen werde. Diese Sperrfrist solle jedoch dann keine Anwendung finden, wenn keine Übertragung von stillen Reserven vom übertragenden Gesellschafter auf andere Gesellschafter stattfinde. Dies habe der Gesetzgeber für den Fall der Zuordnung der stillen Reserven durch eine Ergänzungsbilanz ausdrücklich klargestellt. Der dahinter stehende Rechtsgedanke sei - wie sich aus der Gesetzesbegründung ergebe -, dass eine Behaltefrist in solchen Fällen nicht erforderlich sei, in denen eine Versteuerung der stillen Reserven bei denjenigen von vornherein sichergestellt sei, bei denen sie entstanden seien. Dem Wortlaut nach beziehe sich die gesetzliche Klarstellung nur auf Fälle der Ergänzungsbilanz. Der Rechtsgedanke gebiete aber eine Gleichbehandlung mit Fällen wie dem vorliegenden, in dem aufgrund der hundertprozentigen Beteiligung auch ohne Erstellung einer Ergänzungsbilanz die Besteuerung der stillen Reserven bei demjenigen, bei dem sie entstanden seien, sichergestellt sei. In solchen Fällen sei auch nach allgemeiner Auffassung in der Literatur die Sperrfristregelung des Satzes 4 nicht anwendbar (Bl. 21).
Die Sperrfristenregelung wolle verhindern, dass der nach der Konzeption des § 6 Abs. 5 EStG generell vorgeschriebene Buchwertansatz nicht mittels Veräußerungen oder Entnahmen relativ kurzfristig nach der Übertragung ausgenutzt werde, ohne dass die Versteuerung der stillen Reserven bei demjenigen erfolgte, bei dem sie entstanden seien. Bleibe das Wirtschaftsgut - wie vorliegend - dem übertragenden Gesellschafter zugeordnet und habe dieser im Falle einer Veräußerung oder Übertragung die stillen Reserven ohnehin zu versteuern, gebe es jedoch keine Rechtfertigung, vom Grundsatz der zwingenden Buchwertfortführung abzuweichen. Auf die Erstellung einer Ergänzungsbilanz komme es nicht an. Dies sei kein Selbstzweck (Bl. 21 f.).
Es könne auch nicht einer Literaturmeinung gefolgt werden, nach der Satz 4 auch verhindern solle, Wirtschaftsgüter unter dem Deckmantel einer Anteilsveräußerung im Sinne von § 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG steuerbegünstigt nach §§ 16, 34 EStG veräußern zu können. Es sei bereits zweifelhaft, ob eine solche Veräußerung von Satz 4 erfasst werde. Darüber hinaus sei die missbräuchliche Ausnutzung von §§ 16, Abs. 4, 34 EStG ohnehin ausgeschlossen, wenn - wie im Streitfall - eine Kapitalgesellschaft der Übertragende sei.
Der Beklagte stütze sich zu Unrecht auf die zu weitgehende Richtlinie 6.15 EStR. Danach sei in Fällen des § 6 Abs. 5 S. 4 EStG der Teilwert rückwirkend auch dann anzusetzen, wenn die bis zur Übertragung entstandenen stillen Reserven durch Erstellung einer Ergänzungsbilanz dem übertragenden Gesellschafter zugeordnet worden seien, durch die Übertragung jedoch keine Änderung des Anteils des übertragenden Gesellschafters an dem übertragenen Wirtschaftsgut eingetreten sei. Eine solche Interpretation sei von Gesetzeswortlaut und Gesetzeszweck nicht gedeckt (Bl. 23 f.).
Der Beklagte könne auch den Umstand, dass die Grundstücksveräußerung 2005 außerhalb der Dreijahresfrist des § 9 Abs. 1 Satz 5 Nr. 2 GewStG erfolgt sei und damit der erweiterten Gewerbesteuerkürzung (auf Ebene der KG) unterlegen habe, nicht als Rechtfertigung für den rückwirkenden Teilwertansatz anführen. Zunächst sei diese gewerbesteuerliche Behandlung für die Einkommensteuer und die Regelung in § 6 Abs. 5 EStG nicht relevant. Zum anderen werde § 6 Abs. 5 Satz 4 EStG durch § 9 Abs. 1 Satz 5 Nr. 2 GewStG als spezielle Missbrauchsvermeidungsnorm tatbestandlich verdrängt. Dies ergebe sich eindeutig aus der Beschlussempfehlung des Berichts des Finanzausschusses (BT-Ds. 15/4050, S. 59) zu § 9 Abs. 1 Satz 5 Nr. 2 GewStG, in der es unter anderem heißt, dass § 6 Abs. 5 S. 4 EStG „die Gestaltungen" [Gründung einer Personengesellschaft und Einbringung eines Wirtschaftsguts zur Erlangung der erweiterten Gewerbesteuerkürzung bei gleichzeitiger Bildung von Ergänzungsbilanzen] nicht verhindere (Bl. 24) und daher (zum Zwecke der Missbrauchsvermeidung) § 9 Abs. 1 Satz 5 Nr. 2 GewStG geschaffen worden sei. Seien jedoch die Voraussetzungen dieser Norm nicht erfüllt, so liege aus Sicht des Gesetzgebers (gerade) keine missbräuchliche Gestaltung vor. Die Finanzverwaltung sei an diese Entscheidung des Gesetzgebers gebunden und könne sie nicht durch einen rückwirkenden Ansatz des Teilwerts gemäß § 6 Abs. 5 S. 4 EStG aushebeln (Bl. 25).
Der Beklagte beantragt (Bl. 273),
die Klage als unbegründet abzuweisen.
Die Beigeladene hat keinen Sachantrag gestellt.
Unter Verweis auf seine Einspruchsentscheidung trägt der Beklagte im Wesentlichen vor, dass § 6 Abs. 5 S. 4 EStG den rückwirkenden Teilwertansatz vorschreibe, wenn das übertragene Wirtschaftsgut innerhalb der dort geregelten Sperrfrist veräußert oder entnommen werde. Diese gesetzliche Regelung gehe unwiderlegbar davon aus, dass in solchen Fällen die Übertragung eines Wirtschaftsguts nicht der Umstrukturierung, sondern der Vorbereitung der Veräußerung oder Entnahme diene. Der Ansatz des Teilwerts könne bei diesen Fallgestaltungen nur unterbleiben, wenn die bis zur Übertragung entstandenen stillen Reserven durch Erstellung einer Ergänzungsbilanz dem übertragenden Gesellschafter zugeordnet worden seien. Nach der die Verwaltung bindenden Richtlinie R 6.15 EStR 2005 sei der rückwirkende Teilwertansatz überdies auch vorzunehmen, wenn zwar eine Ergänzungsbilanz erstellt worden, durch die Übertragung jedoch keine Änderung des Anteils des übertragenden Gesellschafters an dem übertragenen Wirtschaftsgut eingetreten sei. Ungeachtet der Erstellung einer Ergänzungsbilanz sei der Teilwertansatz daher auch in Fällen - wie dem vorliegenden - vorzunehmen, in denen das vorherige Alleineigentum des Gesellschafters zu dessen 100 %igem Gesamthandseigentum geworden sei (Bl. 274).
Vorliegend würde daher die Erstellung einer Ergänzungsbilanz zu keinem anderen Ergebnis führen.
Es sei unzutreffend, dass der Beklagte die Anwendung des rückwirkenden Teilwertansatzes nach § 6 Abs. 5 S. 4 EStG mit der ansonsten möglichen Gewerbesteuerfreiheit der Weiterveräußerung des Grundstücks habe rechtfertigen wollen. Die Gewerbesteuerpflicht des Ertrages rechtfertige nicht den rückwirkenden Teilwertansatz, sondern sei dessen Folge (Bl. 275).
Der Senat hat mit Beschluss vom 3. November 2010 die KG zum Verfahren nach § 60 Abs. 3 FGO beigeladen. Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Die Beteiligten haben übereinstimmend den Verzicht auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung gem. § 90 Abs. 2 FGO erklärt.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die Verwaltungsakten des Beklagten (vgl. Bl. 290) Bezug genommen.
Aus den Gründen
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig. Sie ist auch begründet. Der angefochtene Änderungsbescheid ist rechtswidrig. Der rückwirkende Teilwertansatz für die Einbringung des Grundstücks in ... ist bei zutreffender Auslegung des § 6 Abs. 5 S. 4 EStG nicht gerechtfertigt.
I. Wird ein einzelnes Wirtschaftsgut von einem Betriebsvermögen in ein anderes Betriebsvermögen desselben Steuerpflichtigen überführt, ist bei der Überführung der Wert anzusetzen, der sich nach den Vorschriften über die Gewinnermittlung ergibt (Buchwert), sofern die Besteuerung der stillen Reserven sichergestellt ist (§ 6 Abs. 5 S. 1 EStG). Dies gilt entsprechend, soweit ein Wirtschaftsgut unentgeltlich oder gegen Gewährung oder Minderung von Gesellschaftsrechten aus einem Betriebsvermögen des Mitunternehmers in das Gesamthandsvermögen einer Mitunternehmerschaft und umgekehrt übertragen wird (§ 6 Abs. 5 S. 3 Nr. 1 EStG). Wird das nach § 6 Abs. 5 S. 3 EStG übertragene Wirtschaftsgut innerhalb einer Sperrfrist veräußert oder entnommen, ist rückwirkend auf den Zeitpunkt der Übertragung der Teilwert anzusetzen, es sei denn, die bis zur Übertragung entstandenen stillen Reserven sind durch Erstellung einer Ergänzungsbilanz dem übertragenden Gesellschafter zugeordnet worden; diese Sperrfrist endet drei Jahre nach Abgabe der Steuererklärung des Übertragenden für den Veranlagungszeitraum, in dem die in § 6 Abs. 5 S. 3 EStG bezeichnete Übertragung erfolgt ist (§ 6 Abs. 5 S. 4 EStG).
Nach der herrschenden Auffassung in der Literatur ist allerdings im Falle der Einbringung eines Einzelwirtschaftsguts durch einen zu 100 % am Gesamthandsvermögen beteiligten Gesellschafter der aufnehmenden Personengesellschaft die Sperrfristenregelung des § 6 Abs. 5 S. 4 EStG nicht anwendbar. Dies wird vorwiegend damit begründet, dass der Normzweck darin bestehe, die Verlagerung von stillen Reserven auf andere Steuersubjekte (interpersonelles Überspringen) zu unterbinden. Dies erfolge bei einer Einbringung in eine Personengesellschaft, an deren Vermögen der Einbringende zu 100 % beteiligt ist, gerade nicht, so dass die Nachversteuerung in diesen Fällen unterbleiben müsse (Niehus/Wilke in Herrmann/Heuer/Raupach EStG, § 6, Tz. 1467b; Korn/Strahl EStG, § 6 Rz. 502.6; Kulosa in Schmidt, EStG, 29. Aufl. 2010, § 6 Rz. 711 f.; Röhrig/Doege, DStR 2006, 161 ff.; Linklaters/Oppenhoff/Rädler DB 2002 Beilage 1, S. 1, 29 ff.; Kloster/Kloster, GmbHR 2002, 721, 729;).
In der Gesetzesbegründung vom 10. September 2001 zum Gesetz zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts (Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz - UntStFG) vom 20. Dezember 2001 (BT-Ds 14/6882) wird folgendes ausgeführt:
„Durch den rückwirkenden Teilwertansatz erfolgt eine Rückkehr zum Grundsatz der Versteuerung der stillen Reserven bei demjenigen, bei dem sie entstanden sind.
Sind allerdings die stillen Reserven dem übertragenden Gesellschafter bereits durch eine Ergänzungsbilanz zugeordnet worden, ist eine Behaltefrist nicht erforderlich, da in diesen Fällen eine Versteuerung der stillen Reserven bei denjenigen, bei denen sie entstanden sind, sichergestellt ist. Dies wird in Satz 4 gesetzlich klargestellt."
Nach der Richtlinie R 6.15 EStR 2005 ist ein rückwirkender Teilwertansatz auch vorzunehmen, wenn zwar eine Ergänzungsbilanz erstellt worden, durch die Übertragung jedoch keine Änderung des Anteils des übertragenden Gesellschafters an dem übertragenen Wirtschaftsgut eingetreten ist.
Rechtsprechung gibt es zu dieser konkreten Thematik bislang - soweit ersichtlich - nicht.
II. Würde man § 6 Abs. 5 S. 3 und 4 EStG ihrem ausdrücklichen Wortlaut nach auf den Streitfall anwenden, so wäre der rückwirkende Ansatz des Teilwertes für die Übertragung des Grundbesitzes aus dem Betriebsvermögen der Klägerin in das Gesamthandsvermögen der KG zwingend vorzunehmen. Die Veräußerung des Grundstücks im Jahr 2005 an einen fremden Dritten erfolgte vor Ablauf der dreijährigen Sperrfrist, die erst mit der Einreichung der Körperschaftsteuererklärung 2001 der Klägerin beim Beklagten am ... 2003 begann. Zudem wurden die bis zur Übertragung entstandenen stillen Reserven (diese entsprechen dem hier umstrittenen Betrag der nachträglichen Gewinnerhöhung i.H.v. 11.587.904 DM) nicht durch Erstellung einer Ergänzungsbilanz der Klägerin als übertragendem Gesellschafter der KG zugeordnet. Damit wären - dem Wortlaut nach - die Voraussetzungen für die Ausnahme zur Besteuerung der stillen Reserven (Buchwertfortführung) nicht erfüllt, so dass es bei dem Prinzip der Gewinnrealisierung bliebe.
Allerdings wendet der Senat § 6 Abs. 5 S. 4 EStG im Wege der teleologischen Extension über seinen Wortlaut hinaus auch in dem Fall an, dass - wie im Streitfall - die bis zur Übertragung entstandenen stillen Reserven dem übertragenden Gesellschafter dadurch zugeordnet werden, dass er - wie die Klägerin - ununterbrochen seit der Einbringung bis zur Veräußerung zu 100% am Gesamthandsvermögen der Gesellschaft beteiligt war. Denn nach Auffassung des Senats ist der Wortlaut des § 6 Abs. 5 S. 4 EStG insoweit als zu eng gefasst, als er hinter dem vom Gesetzgeber verfolgten Normzweck zurückbleibt.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG und der Fachgerichte (vgl. die Nachweise bei Drüen in Tipke/Kruse, AO, FGO, § 4 AO Rz. 355) und nach der ganz herrschenden Lehre sind die Gerichte zur (ergänzenden) Rechtsfortbildung berechtigt und verpflichtet (vgl. zu den Voraussetzungen und den Grenzen zuletzt BVerfG vom 26. September 2011 BvR 2216/06 u.a., NJW 2012, 669). Führt die wortgetreue Auslegung des Gesetzes ausnahmsweise zu einem sinnwidrigen Ergebnis, besteht also eine Divergenz zwischen dem Gesetzeswortlaut und dem Gesetzeszweck, sind die Gerichte nach der Rechtsprechung (vgl. die Nachweise bei Drüen in Tipke/ Kruse, a.a.O., § 4 AO Rz 380) sogar zu einer (gesetzeswortlaut-)abändernden Rechtsfortbildung berufen. Als Instrumente werden hierbei die teleologische Reduktion und die - im Streitfall allenfalls einschlägige - Extension verwendet. Eine teleologische Extension zielt darauf ab, den zu engen Wortlaut eines Gesetzes auf dessen weiter gehenden Zweck auszudehnen (vgl. Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., § 4 Rz 382, m.w.N. aus der Rechtsprechung). Sie ist nicht bereits dann gerechtfertigt, wenn die vom Gesetzgeber getroffene Entscheidung rechtspolitisch fehlerhaft erscheint. Vielmehr muss die auf den Wortlaut abstellende Auslegung zu einem sinnwidrigen, wirtschaftlich nicht vertretbaren oder einem der wirtschaftlichen Vernunft widersprechenden Ergebnis oder zu einem so unsinnigen Ergebnis führen, dass es vom Gesetzgeber nicht gewollt sein kann (BFH vom 23. März 2011 X R 33/05, BFH/NV 2011, 1669 m.w.N.).
2. Nach dieser Maßgabe war eine extensive Auslegung des Gesetzeswortlauts vorliegend geboten. Denn die wortlautgetreue Gesetzesanwendung würde im Streitfall zu einem sinnwidrigen Ergebnis führen, das vom Gesetzgeber nicht gewollt sein kann.
2.1. § 6 Abs. 5 S. 4 EStG stellt eine Missbrauchsvermeidungsklausel dar, die verhindern soll, dass ein Einzelwirtschaftsgut unter Ausnutzung der Buchwertfortführung in eine Personengesellschaft eingebracht, von dort aus zeitnah veräußert wird, und hierbei durch den einbringenden Gesellschafter vergleichsweise weniger stille Reserven versteuert würden, als bei ihm zuvor entstanden sind (interpersonelle Verlagerung stiller Reserven). Nach der Gesetzesbegründung solle in derartigen Fällen durch den rückwirkenden Teilwertansatz der Grundsatz der Versteuerung der stillen Reserven bei demjenigen bei dem sie entstanden sind, wiederhergestellt werden. Dieses Ziel wird auch dann erreicht, wenn die stillen Reserven durch die Erstellung einer Ergänzungsbilanz demjenigen, bei dem sie entstanden sind, zugeordnet werden. Der Gesetzgeber geht hierbei - wie sich aus der systematischen Einordnung des § 6 Abs. 5 S. 4 EStG, der nur auf Satz 3 der Norm verweist, ergibt - davon aus, dass eine Personenmehrheit besteht, die an den stillen Reserven bei der Personengesellschaft beteiligt ist. Denn nur in diesen Fällen ist eine Zuordnung mittels Ergänzungsbilanz erforderlich, um eine von den Kapitalkonten in der Gesamthandsbilanz und von dem Wertansatz der Einzelwirtschaftsgüter in der Gesamthandsbilanz abweichende Beteiligung an den stillen Reserven steuerlich wirksam abzubilden und damit eine (teilweise) Übertragung von stillen Reserven auf die anderen Gesellschafter steuerlich zu vermeiden.
Hingegen ist es nicht erforderlich, eine Ergänzungsbilanz zu erstellen, wenn das Vermögen und damit die darin enthaltenen stillen Reserven der Person, bei der die stillen Reserven entstanden sind, dadurch ausschließlich zugeordnet sind, dass nur diese Person am Vermögen und am Gewinn und Verlust der Gesamthand beteiligt ist. In diesen Fällen hält der Senat die Erstellung einer Ergänzungsbilanz gem.
§ 6 Abs. 5 S. 3 EStG nicht für zulässig. Denn versteht man eine (positive) Ergänzungsbilanz im eigentlichen Sinne (mit Einfluss auf den steuerlichen Ansatz, d.h. Gesamthandbilanz einschließlich Ergänzungsbilanz = steuerlicher Ansatz), führte eine solche vorliegend - da eine korrespondierende negative Ergänzungsbilanz nicht möglich ist, weil kein weiterer Gesellschafter mit Vermögensbeteiligung vorhanden ist - stets zum Teilwertansatz, welcher gerade durch § 6 Abs. 5 S. 3 EStG für den Regelfall zwingend ausgeschlossen werden soll. Versteht man die Ergänzungsbilanz i.S.v. § 6 Abs. 5 S. 3 EStG hingegen als eine neue Art von Bilanz (abweichend vom herkömmlichen Verständnis und ohne Auswirkung auf den steuerlichen Ansatz, quasi als bloßer Merkposten), so fehlt in Fällen wie dem Vorliegenden zumindest das sachliche Erfordernis für ihre Bildung, sofern neben dem zu 100 % beteiligten Kommanditisten - wie vorliegend - kein weiterer am Gewinn und Vermögen beteiligter Gesellschafter existiert. Ungeachtet, welcher Auffassung man folgt, kann eine Ergänzungsbilanz in Fällen wie dem Vorliegenden hinsichtlich der Zuordnung der stillen Reserven nichts anderes erreichen, als nach dem Gesellschaftsvertrag ohnehin schon geregelt wurde, nämlich die 100 %ige Beteiligung des Einbringenden am Vermögen der Personengesellschaft und damit an den stillen Reserven der eingebrachten Einzelwirtschaftsgüter.
Der Gesetzgeber hat in seiner Rückausnahmevorschrift des § 6 Abs. 5 S. 4 EStG erkennbar nicht an derartige Fälle der unverändert 100 %igen Beteiligung des Einbringenden am Vermögen der Personengesellschaft gedacht und deshalb die nur im Falle einer Gesellschaftermehrheit sinnvolle und erforderliche Ergänzungsbilanz als Voraussetzung der Rückausnahme mit der Folge des (weiterhin) zwingenden Buchwertansatzes explizit erwähnt.
2.2. Zwar stellt die Richtlinie R 6.15 EStR 2005 darauf ab, dass auch bei Erstellung einer Ergänzungsbilanz die stillen Reserven dem übertragenden Gesellschafter zugeordnet werden, durch die Übertragung jedoch keine Änderung des Anteils des übertragenden Gesellschafters an dem übertragenen Wirtschaftsgut eingetreten ist. Der Senat kann dieser Verwaltungsauffassung, an die er nicht gebunden ist, nicht folgen. Sie steht nicht in Einklang mit dem Gesetzeszweck, gerade die Übertragung auf eine Personengesellschaft steuerlich durch den zwingenden Buchwertansatz zu fördern. Allein - welches als Intention der Richtlinie in der Literatur gemutmaßt wird (vgl. etwa Kulosa in Schmidt, EStG 29. Aufl. 2010, § 6 Rz. 711, 712) - aus Konstellationen wie der Vorliegenden zu folgern, es gehe dem Einbringenden tatsächlich um die „Gestaltung" einer Veräußerung, erscheint als Rechtfertigung für die Verwaltungsauffassung als zu weitgehend. Für diese Argumentation besteht keine gesetzliche Grundlage. Im Gegenteil: Eine solche Auslegung würde steuerliche Umstrukturierungen derartiger „Ein-Mann-Personengesellschaften" erschweren, wofür eine sachliche Rechtfertigung nicht ersichtlich ist.
2.3. Der Senat sieht auch unter allen anderen denkbaren Gesichtspunkten keine sachliche Rechtfertigung dafür, die stillen Reserven vorliegend bereits im Übertragungszeitpunkt (rückwirkend) der Besteuerung zu unterwerfen, obwohl ihre Besteuerung sichergestellt ist und sie demselben Steuersubjekt zugeordnet bleiben. Ähnlich argumentiert auch der IV. Senat des BFH bei seiner (fortgesetzten) Rechtsprechung in Bezug auf die Buchwertfortführung bei der Übertragung von Einzelwirtschaftsgütern zwischen beteiligungsidentischen Schwestergesellschaften, mit der er in diesen Fällen, die § 6 Abs. 5 EStG nicht explizit regelt, eine analoge Anwendung vornimmt (vgl. BFH vom 15. April 2010 IV B 105/09, BStBl II 2010, 971).
2.4. Der Senat kann vorliegend auch nicht erkennen, dass es sich um einen Fall einer missbräuchlichen steuerlichen Gestaltung i.S.v. § 42 AO handelt (etwa im Sinne der Gesamtplanrechtsprechung - siehe etwa BFH vom 19. Januar 2011 X B 43/10, BFH/NV 2011, 636 m.w.N.). Hiergegen spricht zum einen der Umstand, dass das Grundstück nicht unmittelbar nach der Einbringung, sondern erst ca. vier Jahre später (Vertrag vom ... 2005 mit Wirkung zum 31. Dezember 2005) veräußert wurde. Zum anderen ist die Nutzung steuerlich zulässiger Gestaltungsmöglichkeiten nicht per se missbräuchlich.
3. Der Senat konnte nach § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem alle Beteiligten ihr Einverständnis dazu erklärt hatten.
4. Der Kostenausspruch folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
5. Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der bislang soweit ersichtlich noch nicht höchstrichterlich entschiedenen und in Literatur und Finanzverwaltung strittig behandelten Frage zuzulassen, ob § 6 Abs. 5 S. 3 bis 5 EStG einen Buchwertansatz im Fall einer Einlage eines Gegenstandes durch einen Gesellschafter in eine Personengesellschaft, an deren Gewinn und Vermögen er zu 100 % beteiligt ist, auch dann zulassen, wenn eine Ergänzungsbilanz nicht erstellt wurde.