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Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
13.04.2023
Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
FG Münster : Restnutzungsdauer eines Mietobjekts kann nach der Immobilienwertverordnung berechnet werden

FG Münster, Urteil vom 14.2.2023 – 1 K 3841/19 F, rkr.

ECLI:DE:FGMS:2023:0214.1K3841.19F.00

Volltext des Urteils://BB-ONLINE BBL2023-881-1

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten für die Jahre 2011 bis 2016 (Streitjahre) anlässlich der Absetzung für Abnutzung (AfA) für verschiedenen Gebäude über deren Restnutzungsdauer.

Die Klägerin, eine vermögensverwaltende GmbH & Co. KG, ist seit dem Jahr 2009 Eigentümerin des Mietwohngrundstücks G1 in N (Baujahr 1960) und des Mietwohngrundstücks G2 in J (Baujahr 1954).

Die AfA-Bemessungsgrundlagen sind zwischen den Beteiligten nicht mehr streitig (G1 in N: 702.260,86 EUR; G2 in J: 560.054,86 EUR).

Im Jahr 2016 führte das damals zuständige Finanzamt M bei der Klägerin eine Außenprüfung für die Streitjahre 2011 bis 2013 durch. Die entsprechenden Feststellungsbescheide standen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Im Rahmen der Prüfung wurde seitens des Außenprüfers insbesondere die Auffassung vertreten, die Bemessungsgrundlage für die Abschreibung der im Eigentum der Klägerin befindlichen Immobilien sei von dieser unzutreffend ermittelt worden, indem sie pauschal 20 % der Gesamtanschaffungskosten der Gebäude als Anschaffungskosten des Grund und Bodens zugrunde gelegt, die verbleibenden Beträge als Anschaffungskosten der aufstehenden Gebäude angesehen und gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG mit 2 % abgeschrieben habe. Der Außenprüfer vertrat insofern die Auffassung, dass 39 % der Anschaffungskosten auf den Grund und Boden entfielen.

Das Finanzamt M schloss sich der Auffassung des Außenprüfers an und erließ am 10.11.2017 auf § 164 Abs. 2 AO gestützte Änderungsbescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte für die Streitjahre 2011 bis 2013, in dem es die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung infolge der Minderung der AfA-Beträge erhöhte und auf 36.013,30 EUR für das Streitjahr 2011, auf 122.932,11 EUR für das Streitjahr 2012 und auf 64.974,39 für das Streitjahr 2013 feststellte.

Auch in ihrer Feststellungserklärung für das Streitjahr 2014 setzte die Klägerin pauschal 20 % der Gesamtanschaffungskosten als Anschaffungskosten des Grund und Bodens an und ermittelte die AfA gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG mit 2 %, woraus sich Abschreibungsbeträge in Höhe von 37.364 EUR ergaben. Dagegen setzte die Klägerin für die Streitjahre 2015 und 2016 die AfA für die Gebäude nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG an, weil sie aufgrund von Gutachten der Gutachterin von einer geringeren Nutzungsdauer ausging. Hieraus ergab sich eine AfA für die Streitjahr 2015 und 2016 von 38.748,20 EUR. Das Finanzamt M ging allerdings entsprechend der Ergebnisse der Außenprüfung für die Streitjahre 2011 bis 2013 auch für die Streitjahre 2014 bis 2016 davon aus, dass 39 % der Anschaffungskosten auf den Grund und Boden entfallen würden. Es berücksichtigte für die Streitjahre 2014 bis 2016 Abschreibungsbeträge in Höhe von insgesamt 30.164 EUR. Gegenüber der Feststellungserklärung erhöhte das Finanzamt M für die Streitjahre 2014 bis 2016 infolge der Minderung der AfA-Beträge die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und stellte diese mit Bescheiden vom 10.11.2017 (Streitjahre 2014 und 2015) und vom 16.01.2018 (Streitjahr 2016) für das Streitjahr 2014 auf 102.001,79 EUR, für das Streitjahr 2015 auf 100.601,01 EUR und für das Streitjahr 2016 auf 72.979.50 EUR fest.

Gegen die Feststellungsbescheide für die Streitjahre legte die Klägerin jeweils Einspruch ein (Eingang beim Beklagten: 16.11.2017 für die Streitjahre 2011 bis 2015; 17.01.2018 für das Streitjahr 2016). Sie machte zur Begründung geltend, dass die Abschreibung gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG anhand der tatsächlichen Nutzungsdauer und mithin entsprechend der Restnutzungsdauer abzuziehen sei. Diese leitet sie aus einem Gutachten der Dipl. Ing. Architektin Frau S K , öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige (Gutachterin), vom 07.02.2017 her. Dieses Gutachten, auf dessen Inhalt vollumfänglich verwiesen wird, enthält eine Verkehrswertermittlung für den Immobilienbestand der Klägerin auf den Stichtag der Anschaffung der jeweiligen Immobilie nach Maßgabe der der Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV) vom 19.05.2010 (BGBl I 2010, 639) sowie die Restnutzungsdauer der jeweiligen Immobilie (vgl. insbesondere die Ergebnisübersicht auf Seite 3 des Gutachtens). Das Gutachten basiert hinsichtlich der Ermittlung der Restnutzungsdauer auf den Regelungen der Immobilienwertverordnung (§ 6 Abs. 6 der Immobilienwertermittlungsverordnung – ImmoWertV – vom 19.05.2010, BGBl I 2010, 639). Dabei wird die Restnutzungsdauer grundsätzlich durch Abzug des Alters von der Gesamtnutzungsdauer der baulichen Anlagen ermittelt. Wurden in der Vergangenheit Um- und Ausbau- oder Modernisierungs- und Renovierungsmaßnahmen durchgeführt, durch welche sich die Gesamt- bzw. Restnutzungsdauer verlängert hatte, schätzte die Gutachterin die Restnutzungsdauer unter Berücksichtigung dieser Modernisierungsmaßnahmen anhand der Anlage III zum Sachwertmodell der der Vorsitzenden der Gutachterausschüsse in Nordrhein-Westfalen (AGVGA NRW) in der Fassung vom 09.09.2008. Für die Gebäude des Mietwohngrundstücks G1 in N ermittelte die Gutachterin eine Restnutzungsdauer von 31 Jahren und für die Gebäude des Mietwohngrundstücks G2 in J eine Restnutzungsdauer von 35 Jahren. Auf dieser Basis berechnete die Klägerin die Abschreibung für die Gebäude gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG.

Der zwischenzeitlich zuständig gewordene Beklagte kam nach Überprüfung des eingereichten Gutachtens für die Streitjahre jeweils zu dem Ergebnis, dass die dort vorgenommene Aufteilung der Anschaffungskosten der Immobilien aufgrund und Boden und Gebäude nicht zu beanstanden sei. Allerdings folgte er der Klägerin aber nicht hinsichtlich ihres Begehrens, die Abschreibung für die Gebäude gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG zu ermitteln. Aus Sicht des Beklagten sei die im Gutachten jeweils angegebene Restnutzungsdauer nicht Grundlage für eine höhere Abschreibung sein, da es sich um eine rein mathematische und stichtagsbezogene Ermittlung handele. Anhaltspunkte für einen vorzeitigen technischen Verbrauch ergäben sich weder aus dem Gutachten noch seien diese vorgetragen worden. Die Klägerin habe daher glaubhaft machen müssen, dass die Gebäude zu den von ihr angegebenen Stichtagen tatsächlich wirtschaftlich verbraucht gewesen seien. Dafür bedürfe es aus Sicht des Beklagten einer Rentabilitätsberechnung für jede einzelne Immobilie, die auch künftige Renovierungsmaßnahmen einzuschließen habe.

Der Beklagte kam im Rahmen der weiteren Überprüfung zu dem Ergebnis, dass es aufgrund der eingereichten Gutachten zu einer Verböserung im Sinne von § 367 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) kommen könne. Durch die im Vergleich zu den Ergebnissen der Außenprüfung abweichende Aufteilung der Anschaffungskosten auf Grund und Boden und Gebäude ergäben sich geringere Anschaffungskosten für die Gebäude. Unter Berücksichtigung der Regelabschreibung ergebe sich somit für die Streitjahre eine niedrigere Abschreibung, die als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu berücksichtigen wäre. Der Beklagte wies die Klägerin darauf sowie auf die Möglichkeit der Einspruchsrücknahme mit Schreiben vom 14.01.2019 und 04.07.2019 hin.

Der Beklagte holte außerdem im Dezember 2018 eine Stellungnahme eines Bausachverständigen der Finanzverwaltung Nordrhein-Westfalens ein. Der Bausachverständige führte in seinem baufachlichen Vermerk vom 14.12.2018 aus, dass bei einer beispielhaften Restnutzungsdauer von 15 Jahren eines Gebäudes nicht zwangsläufig davon auszugehen sei, dass das Gebäude in einem derartigen Zustand sei, dass eine weitere bestimmungsgemäße Nutzung unzumutbar erscheine. Für den Nachweis der verkürzten Nutzungsdauer sei es notwendig, dass die Gutachterin darlege, dass zum Erwerbszeitpunkt die vorzeitige Abnutzung oder der wirtschaftliche Verfall des Gebäudes vorliege. Hilfreich sei diesbezüglich eine Wirtschaftlichkeitsberechnung, die die Einnahmen wie Mieten oder Pacht den Ausgaben, bspw. Bewirtschaftungskosten, der jeweiligen Gebäude gegenüberstelle. Solange hierin noch ein erträglicher Reinertrag bzw. ein Gebäudeertragsanteil vom Grundstück übrig bliebe, könne nicht von einer Unwirtschaftlichkeit ausgegangen werden.

In der Folge legte die Klägerin exemplarisch eine ihres Erachtens den Anforderungen des Beklagten entsprechende Rentabilitätsberechnung der Gutachterin für drei der ihrer Schwesterpersonengesellschaft gehörenden Immobilien vor. Aus den Erläuterungen zur Vorgehensweise bei dieser Berechnung geht hervor, dass eine Investition aus Sicht der Gutachterin nur dann wirtschaftlich sinnvoll sei, wenn sich der Wert des Investitionsobjekts entsprechend erhöhe. Daher ermittelte die Gutachterin die Kosten, die nach dem Ablauf der normalen Nutzungsdauer für eine umfassende Renovierung notwendig wären. Dem stellte die Gutachterin den Verkehrswert gegenüber, der sich auf der Grundlage der infolge der Renovierungs- und Modernisierungsmaßnahmen modifizierten Restnutzungsdauer und erzielbaren Mieten ergeben würde. Da es sich nach Auffassung der Gutachterin bei den vorgenannten Ermittlungen um zukünftige Kosten und Werte handele, wirtschaftliche Veränderungen und Entwicklungen aber vom Grundsatz nicht vorhersagbar seien, leitete sie die Veränderung und Entwicklung der wertrelevanten Eingangsgrößen über den Zeitraum bis zum Ablauf der jeweiligen Restnutzungsdauer auf der Grundlage des Zeitraums von zehn Jahren vor dem jeweiligen Wertermittlungsstichtag ab. Die Wert- und Preisveränderungen und Entwicklungen seien bei den einzelnen Eingangsgrößen sehr unterschiedlich und würden für jede Größe separat abgeleitet. Ausgehend von diesen Grundsätzen führte die Gutachterin die folgende Rentabilitätsberechnung durch (vgl. Anlage K 7 zum Verfahren 1 K 3840/19 F, Seite 7 ff.):

 

 

Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten wäre – so die Ausführungen der Gutachterin – nach Ablauf der jeweiligen Restnutzungsdauer eine Renovierung und Modernisierung nicht rentabel, da sich mit einem Liegenschaftszinsatz, der mit 3 % unter dem jeweiligen untersten Wert von 2001 und 2011 liege, ein den Renovierungs- und Modernisierungskosten entsprechender Verkehrswert ergäbe.

Mit Einspruchsentscheidungen vom 29.11.2019 wies der Beklagte die Einsprüche der Klägerin gegen die Freistellungsbescheide für die Streitjahre als unbegründet zurück und erhöhte – entsprechend dem Verböserungshinweis – die für die Streitjahre festgestellten Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass die Voraussetzungen für eine Abschreibung nach der tatsächlichen Nutzungsdauer gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht vorlägen. Eine mit wirtschaftlicher Abnutzung begründete kürzere Nutzungsdauer könne der Abschreibung nur zugrunde gelegt werden, wenn das Wirtschaftsgut vor Ablauf der technischen Nutzungsdauer objektiv wirtschaftlich verbraucht, also die Möglichkeit einer wirtschaftlich sinnvollen Nutzung oder Verwertung endgültig entfallen sei. Dafür bedürfe es greifbarer Anhaltspunkte. Ausgangspunkt der danach erforderlichen Schätzung in technischer Hinsicht sei die Nutzungsdauer des Rohbaus als Hauptbestandteil des Gebäudes. Es genüge regelmäßig nicht, dass lediglich einzelne und selbstständige Teile des Gebäudes zur Erneuerung oder Ersetzung anstünden. Erforderlich sei vielmehr, dass durch technischen Verschleiß der tragenden Teile das Gebäude in seiner Gesamtheit in seiner Nutzungsfähigkeit beeinträchtigt sei. Solche Beeinträchtigungen ergäben sich weder aus dem Gutachten für die einzelnen Immobilien noch aus dem Vortrag der Klägerin. Auch eine kürzere Nutzungsdauer aus wirtschaftlichen Gründen habe die Klägerin nicht glaubhaft gemacht. In dem von der Klägerin vorgelegten Gutachten werde die Restnutzungsdauer grundsätzlich rein mathematisch aus dem Unterschiedsbetrag zwischen der wirtschaftlichen Gesamtnutzungsdauer und dem Alter des Gebäudes am Bewertungsstichtag errechnet. Demgemäß ergebe sich die zu berücksichtigende Abzinsung im Ertragswertverfahren aus dem Verhältnis der Restnutzungsdauer zur Gesamtnutzungsdauer. Im Hinblick darauf habe die Gutachterin die rein mathematisch ermittelte Restnutzungsdauer im Hinblick auf die bereits vorgenommenen Modernisierungsmaßnahmen im Schätzungswege verlängert. Eine Übernahme der in dem Gutachten für Zwecke der Sach- oder Ertragswertfeststellung geschätzten Restnutzungsdauern für Zwecke des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG komme aufgrund der Unterschiede in Bezug auf den Anwendungsbereich und die Zielsetzung dieser Ermittlung nicht in Betracht. Die Vorschriften über Absetzungen für Abnutzung oder Substanzverringerung dienten dem Zweck, die Aufwendungen des Steuerpflichtigen für die Anschaffung oder Herstellung eines zur Einkünfteerzielung verwendeten Wirtschaftsguts über einen bestimmten Zeitraum zu verteilen. Demgegenüber dienten die Vorschriften der ImmoWertV und der Sachwertrichtlinien dazu, den Sach- bzw. Ertragswert eines Gebäudes auf einen bestimmten Stichtag zu ermitteln. Die Feststellung des Werts erfolge dabei nach einer punktuellen und damit statischen Betrachtung. Zwar sähen die einschlägigen Bestimmungen für die Wertfeststellung ebenfalls die Ermittlung einer Restnutzungsdauer vor. Diese sei aber nicht das eigentliche Ziel, sondern lediglich eine Rechengröße zur Ermittlung des Barwertfaktors im Ertragswertverfahren und der daran anknüpfenden punktuellen Feststellung des Gebäudewerts.

Auch die von der Klägerin vorgelegte exemplarische Rentabilitätsberechnung (für die Objekte ihrer Schwesterpersonengesellschaft) sei nicht geeignet, eine verkürzte Nutzungsdauer aus wirtschaftlichen Gründen glaubhaft zu machen. Insgesamt seien aus den eingereichten Unterlagen und dem Vortrag der Klägerin keine Gründe ersichtlich, die für eine aus wirtschaftlichen Gründen verkürzte Nutzungsdauer sprächen. Vielmehr komme es aufgrund einer neuen Aufteilung der Anschaffungskosten Immobilien aufgrund und Boden und Gebäude zu einer Minderung der Bemessungsgrundlage der AfA für die Gebäude. Die AfA sei dabei gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a EStG in Höhe von 2 % der Anschaffungskosten der Gebäude zu ermitteln und belaufe sich für die Gebäude des Mietwohngrundstücks G1 in N auf jährlich 14.045,00 EUR und für die Gebäude des Mietwohngrundstücks G2 in J auf jährlich 11.201,00 EUR, insgesamt also auf jährlich 25.246,00 EUR.

Mit ihrer hiergegen erhobenen Klage (Eingang bei Gericht: 20.12.2019) begehrt die Klägerin weiterhin die Anerkennung von Abschreibungsbeträgen auf der Grundlage einer kürzeren Nutzungsdauer nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG. Sie trägt vor, dass in dem von ihr vorgelegten Gutachten die Anteile des Grund und Bodens anhand der gesetzlich vorgegebenen Rahmenbedingungen ermittelt worden seien. Die Verkehrswertermittlung der jeweiligen Immobilien sei auf der Grundlage des Zustandes der erworbenen Grundstückssubstanz zum Zeitpunkt des jeweiligen Besitzübergangs erfolgt. Die Bewertung habe sich dabei aus den Grundsatzregelungen der ImmoWertV und den Wertermittlungsrichtlinien sowie modellkonform zur Vorgehensweise der AGVGA NRW ergeben. Außerdem seien das Baugesetzbuch, die Baunutzungsverordnung und das Bürgerliche Gesetzbuch als gesetzliche Grundlagen zu beachten gewesen. Mittels des Ertragswertverfahrens sei der Verkehrswert ermittelt und die prozentuale Zuordnung des Grund und Bodens vorgenommen worden. Daneben habe die Gutachterin auch die aktuellen und verkürzten Restnutzungsdauern der jeweiligen Gebäude ermittelt. Sie habe dargelegt, dass keines der streitgegenständlichen Gebäude eine Restnutzungsdauer von mehr als 35 Jahren aufweise. Nach § 6 Abs. 6 ImmoWertV (in der für die Streitjahre gültigen Fassung) sei die Restnutzungsdauer der Zeitraum, in welchem die baulichen Anlagen bei ordnungsgemäßer Unterhaltung noch wirtschaftlich genutzt werden können, in welchem sie den sich wandelnden Anforderungen an bauliche Anlagen wie Konstruktion, Grundriss- und Gebäudegestaltung, Ausstattung und Ausführung noch entsprächen, wobei zu einer ordnungsgemäßen Unterhaltung und Bewirtschaftung insbesondere die ordnungsgemäße Instandhaltung gehöre. Dieser ermittelte Zeitraum sei neben einem im Ertragswertverfahren ermittelten Verkehrswert im allgemeinen Wirtschafts- und Rechtsleben anerkannt.

Der Beweis einer verkürzten Restnutzungsdauer der Gebäude werde vorliegend durch die gutachterliche Bestätigung der Gutachterin erbracht. Die Klägerin habe nicht nur durch unbestimmte Zukunftsaussichten, sondern auch durch eine Rentabilitätsberechnung dargestellt, inwiefern sich die tatsächliche Nutzungsdauer aufgrund nachvollziehbarer Rechengrößen und anerkannter Berechnungsmodellen ergebe.

Modernisierungsmaßnahmen verlängerten die Restnutzungsdauer von Gebäuden entsprechend den durch die AGVGA NRW vorgegebenen Regelungen. Dies habe die Gutachterin auch in der Rentabilitätsberechnung berücksichtigt. Bei der wirtschaftlichen Nutzungsdauer würden sowohl die technischen als auch wirtschaftliche Aspekte der Standdauer von Gebäuden berücksichtigt, wobei diese Nutzungsdauer nach empirischen Erfahrungssätzen ermittelt werde.

Der Gesetzgeber habe in § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG die Möglichkeit geschaffen, dass ein Steuerpflichtiger die tatsächliche Nutzungsdauer zum Zwecke der AfA darlegen könne. Es müsse deshalb auch die faktische Chance bestehen, einen solchen Nachweis zu führen. In dem Gutachten sei für jedes Objekt des Immobilienbestandes detailliert ausgeführt worden, wie sich der Erhaltungszustand darstelle und welche anderen Gegebenheiten Einfluss auf die Ermittlung des jeweiligen Immobilienwerts bzw. der jeweiligen Restnutzungsdauer hätten.

Die Berechnung für das Beispiel des Objekts der Schwestergesellschaft … in … sei korrekt. Die Renovierungen lägen – bezogen auf den Wertermittlungsstichtag – 34 bzw. 14 Jahre zurück. Nach dem Sachwertmodell der AGVGA NRW und der entsprechenden Anlage III seien Abschläge auf die Tabellenwerte vorzunehmen, sofern die Renovierungsarbeiten länger als 20 Jahre zurücklägen. Mit den Tabellenwerten seien dabei nicht die Punkte unter „b) Modernisierungselemente“ nach dem Punkteraster gemeint, sondern die unter c) genannten Tabellen für die modifizierte Restnutzungsdauer. Da bei dem betreffenden Objekt die Renovierungsmaßnahmen zu einem großen Teil weit mehr als 20 Jahre zurücklägen, habe die Gutachterin zurecht einen Abschlag von 10 % auf die Tabellenwerte vorgenommen.

Dass ein Verkehrswertgutachten zum Nachweis einer verkürzten Restnutzungsdauer von Immobilien genutzt werden könne, ergebe sich insbesondere auch aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 28.07.2021 IX R 25/19 (BFH/NV 2022, 108). Ein Kläger könne sich im Rahmen seiner Darlegung jeder Darlegungsmethode bedienen, die dazu geeignet sei, einen angemessenen Schätzungsrahmen darzulegen. Solange mit dem Nachweis nicht der angemessene Schätzungsrahmen § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG verlassen werde, könne ein Gutachten die notwendige größtmögliche Wahrscheinlichkeit der kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer nachweisen.

Die Klägerin beantragt,

1. die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte für 2011 bis 2015 vom 10.11.2017 und für 2016 vom 14.01.2018, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 29.11.2019, dergestalt zu ändern, dass sich die festgestellten Einkünfte durch die Abschreibungsmehrbeträge jeweils um 13.538,20 EUR reduzieren,

hilfsweise,

2. die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

              die Klage abzuweisen.

Der Beklagte verweist zur Begründung auf die Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor, dass es nicht inkonsequent sei, aus den von der Klägerin vorgelegten Gutachten zwar das Aufteilungsverhältnis von Grund und Boden, nicht aber die Restnutzungsdauer der jeweiligen Gebäude zu übernehmen. Nur weil die Voraussetzungen für eine Abschreibung nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht vorlägen, ändere sich der Verkehrswert einer Immobilie bzw. die Aufteilung des Verkehrswerts auf Grund und Boden und Gebäude nicht. Es habe außerdem für den Beklagten kein Anlass bestanden, die von der Klägerin selbst vorgenommene Aufteilung der Anschaffungskosten der Immobilien zu beanstanden. Auch den Rentabilitätsberechnungen der Gutachterin könne der Beklagte nicht folgen. Maßgeblich sei, wie sich eine Investition durch die Klägerin auf die Nutzungsdauer der Immobilie und die daraus resultierenden laufenden Erträge auswirke. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die von der Klägerin unterstellten Investitionen nicht rentabel seien.

Auch sonst sei das von der Klägerin vorgelegte Gutachten zu beanstanden. Dies gelte beispielhaft für das Objekt „G1“. Bei einem Alter von 49 Jahren, einer Gesamtnutzungsdauer von 80 Jahren und einer Punktebewertung nach der AGVGA NRW von sechs Punkten gelange die Gutachterin zu einer Restnutzungsdauer von 31 Jahren. Nach dem Punkteraster der AGVGA NRW ergebe sich nach der Erläuterung der Gutachterin bei 6 Punkten keine Verlängerung. Diese Ermittlung der Restnutzungsdauer sei nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Nach der Anlage III zum Sachwertmodell der AGVGA NRW sei unter der Überschrift „Modernisierungsgrad“ zu ersehen, dass der Modernisierungsgrad anhand eines vorgegebenen Punkterasters ermittelt werden solle. In Abhängigkeit von der Gesamtnutzungsdauer, des Alters und des Modernisierungsgrades des Gebäudes werde dargestellt, von welcher Restnutzungsdauer auszugehen sei. Aus der Tabelle für eine 80-jährige Gesamtnutzungsdauer sei zu entnehmen, dass bei einer Punktzahl von 6 bis 10 Punkten und einem Gebäudealter von 50 Jahren von einer Restnutzungsdauer von 34 Jahren auszugehen wäre. Dies müsse demnach bei einem Alter von 49 Jahren mindestens auch gelten. Wie die Gutachterin zu dem Ergebnis gekommen sei, dass keine Verlängerung der Restnutzungsdauer von 31 Jahren auf 34 Jahre eingetreten sein solle, sei dem Gutachten nicht zu entnehmen. Diese Feststellung könne dazu führen, dass sich eine Änderung des Verhältnisses der Verkehrswerte zwischen Grund und Boden und Gebäude bei einigen Immobilien ergeben könnte.

Am 14.02.2023 hat die mündliche Verhandlung vor dem Senat stattgefunden. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge und die Verfahrensakte Bezug genommen. Das Gericht hat die Akten des Verfahrens 1 K 3840/19 F zum Verfahren beigezogen.

Aus den Gründen

Die zulässige Klage ist begründet. Die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Streitjahre 2011 bis 2016 sind insoweit rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), als der Beklagte bei der Ermittlung der Einkünfte der Kläger aus Vermietung und Verpachtung die typisierte Nutzungsdauer gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a EStG und nicht die von der Klägerin erklärte kürzere Nutzungsdauer gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG zugrunde gelegt hat.

1. a) Bei Wirtschaftsgütern, deren Verwendung oder Nutzung durch den Steuerpflichtigen zur Erzielung von Einkünften sich erfahrungsgemäß auf einen Zeitraum von mehr als einem Jahr erstreckt, ist jeweils für ein Jahr der Teil der Anschaffungs- oder Herstellungskosten abzusetzen, der bei gleichmäßiger Verteilung dieser Kosten auf die Gesamtdauer der Verwendung oder Nutzung auf ein Jahr entfällt (AfA in gleichen Jahresbeträgen, § 7 Abs. 1 Satz 1 EStG); die Absetzung bemisst sich hierbei nach der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer des Wirtschaftsguts (§ 7 Abs. 1 Satz 2 EStG). Abweichend hiervon bestimmt sich die AfA für ein zur Einkünfteerzielung genutztes Gebäude nach den festen Prozentsätzen des § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG; die Regelung stellt eine gesetzliche Typisierung der Nutzungsdauer i.S. von § 7 Abs. 1 Satz 2 EStG dar. Gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG können anstelle der Absetzungen nach § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG die der tatsächlichen Nutzungsdauer eines Gebäudes entsprechenden AfA vorgenommen werden. Nutzungsdauer i.S. von § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG ist gemäß § 11c Abs. 1 EStDV der Zeitraum, in dem ein Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann. Die zu schätzende Nutzungsdauer wird bestimmt durch den technischen Verschleiß, die wirtschaftliche Entwertung sowie rechtliche Gegebenheiten, welche die Nutzungsdauer eines Gegenstands begrenzen können. Auszugehen ist von der technischen Nutzungsdauer, also dem Zeitraum, in dem sich das Wirtschaftsgut technisch abnutzt. Sofern die wirtschaftliche Nutzungsdauer kürzer als die technische Nutzungsdauer ist, kann sich der Steuerpflichtige hierauf berufen. Ob den AfA eine die gesetzlich (§ 7 Abs. 4 Satz 1 EStG) vorgesehenen, typisierten Zeiträume unterschreitende verkürzte Nutzungsdauer i.S. des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG zugrunde gelegt werden kann, beurteilt sich nach den Verhältnissen des Einzelfalls (BFH-Urteil vom 28.07.2021 – IX R 25/19, BFH/NV 2022, 108, Rz. 17, m. w. N.).

b) Es ist Sache des Steuerpflichtigen, im Einzelfall eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer – im Rahmen der ihm obliegenden Mitwirkungspflichten (vgl. BFH-Urteil vom 11.08.1993 - X R 82/90, BFH/NV 1994, 169) – darzulegen und gegebenenfalls – im Rahmen der ihm obliegenden Feststellungslast - nachzuweisen. Die Würdigung der insoweit von Klägern dargelegten Umstände obliegt dann im Klageverfahren dem Finanzgericht (FG) als Tatsacheninstanz (BFH, Urteil vom 28.07.2021 – IX R 25/19, BFH/NV 2022, 108, Rz. 18, m. w. N.).

aa) Der Steuerpflichtige kann sich zur Darlegung der verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer eines zur Einkünfteerzielung genutzten Gebäudes jeder Darlegungsmethode bedienen, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint. Erforderlich ist insoweit, dass die Darlegungen des Steuerpflichtigen Aufschluss über die maßgeblichen Determinanten – z.B. technischer Verschleiß, wirtschaftliche Entwertung, rechtliche Nutzungsbeschränkungen – geben, welche die Nutzungsdauer im Einzelfall beeinflussen, und auf deren Grundlage der Zeitraum, in dem das maßgebliche Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann (§ 11c Abs. 1 EStDV), im Wege der Schätzung mit hinreichender Bestimmtheit zu ermitteln ist (BFH-Urteil vom 28.07.2021 – IX R 25/19, BFH/NV 2022, 108, Rz. 19).

bb) Die Bestimmung des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG räumt dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht ein, ob er sich mit dem typisierten AfA-Satz nach § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG zufriedengibt oder eine tatsächlich kürzere Nutzungsdauer geltend macht und darlegt. Auszugehen ist von der Schätzung des Steuerpflichtigen, solange dieser Erwägungen zugrunde liegen, wie sie ein vernünftig wirtschaftender Steuerpflichtiger üblicherweise anstellt. Da im Rahmen der Schätzung des Steuerpflichtigen nicht Gewissheit über die kürzere tatsächliche Nutzungsdauer, sondern allenfalls größtmögliche Wahrscheinlichkeit verlangt werden kann, ist sie nur dann zu verwerfen, wenn sie eindeutig außerhalb des angemessenen Schätzungsrahmens liegt (BFH-Urteil vom 28.07.2021 – IX R 25/19, BFH/NV 2022, 108, Rz. 20, m. w. N.).

(1) Vor diesem Hintergrund ist die Vorlage eines Bausubstanzgutachtens, insbesondere die Zustandsermittlung von Immobilien mit Hilfe des sog. ERAB-Verfahrens (Verfahren zur Ermittlung des Abnutzungsvorrats von Baustoffen), seitens des Steuerpflichtigen nicht Voraussetzung für die Anerkennung einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer. Wählt der Steuerpflichtige oder ein von diesem beauftragter Sachverständiger daher aus nachvollziehbaren Gründen eine andere Nachweismethode, kann dies – gegebenenfalls unter Berücksichtigung entsprechender Anpassungen (vgl. BFH-Beschluss vom 19.01.2018 – X B 60/17, BFH/NV 2018, 530) – Grundlage für die im Einzelfall erforderliche Schätzung einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer sein, soweit aus der gewählten Methode Rückschlüsse auf die zu ermittelnden Determinanten möglich sind. Da im Rahmen der Schätzung nur die größtmögliche Wahrscheinlichkeit über eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer verlangt werden kann, würde eine Verengung der Gutachtenmethodik oder eine Festlegung auf ein bestimmtes Ermittlungsverfahren die Anforderungen an die Feststellungslast überspannen (BFH-Urteil vom 28.07.2021 – IX R 25/19, BFH/NV 2022, 108, Rz. 21 f.).

(2) Dabei kann auch das Verfahren der Gebäudesachwertermittlung (§§ 21 ff. i. V. m. § 6 Abs. 6 ImmoWertV vom 19.05.2010, BGBl I 2010, 639) im Rahmen des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG Anwendung finden. Auch wenn das dabei anwendbare Modell zur Ableitung der wirtschaftlichen Restnutzungsdauer für Wohngebäude unter Berücksichtigung von Modernisierungen nicht primär darauf gerichtet ist, die tatsächliche Nutzungsdauer i.S. von § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG zu ermitteln, kann ein solches Modell geeignet sein, eine sichere Überzeugung über die im Einzelfall anzuwendenden Schätzungsgrundlagen zu bilden (vgl. BFH-Urteil vom 28.07.2021 – IX R 25/19, BFH/NV 2022, 108, Rz. 24, zur Anlage 4 der SW-RL). Eine Rechtfertigung, vom (baurechtlichen) Grundsatz der Gleichwertigkeit der Bewertungsverfahren aus steuerrechtlichen Gründen abzuweichen, besteht nicht (vgl. BFH, Urteil vom 20.09.2022 – IX R 12/21,BFH/NV 2023, 186, Rz. 41, zur Wahl der Wertermittlungsmethode bei der Aufteilung eines Gesamtkaufpreises für ein Immobilienobjekt in Grund- und Boden- sowie Gebäudeanteil für Zwecke der AfA).

2. a) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der Senat auf der Grundlage der von der Klägerin vorgelegten Sachverständigengutachten zu der Überzeugung gelangt, dass die verkürzte tatsächliche Nutzungsdauer i.S. von § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG in Bezug auf die streitgegenständlichen Immobilien zutreffend zugrunde gelegt wurde und sich für die Streitjahre folgende AfA-Beträge ergeben:

 

Immobilie

AfA-BMG

RND lt. Gutachten

AfA damit

2011 bis 2016

     

G1

  702.260,86 €

31

  22.653,58 €

G2

  560.054,66 €

35

  16.001,56 €

Summe AfA lt. Gutachten

   

  38.655,14 €

 

b) Die Bestimmung der von der Klägerin zum Abzug begehrten AfA-Beträge ist nicht zu beanstanden.

aa) Im Streitfall hat die Klägerin für jedes der streitgegenständlichen Gebäude Wertgutachten einer öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen vorgelegt. In ihrem Gutachten hat diese Gutachterin eine Ermittlung des Ertragswerts für den gesamten Immobilienbestand der Klägerin nach § 17 Abs. 2 Satz 1 ImmoWertV in der für die Streitjahre gültigen Fassung vorgenommen. In ihre Wertermittlung für die streitgegenständlichen Gebäude musste die Gutachterin das Alter und die Restnutzungsdauer der einzelnen Gebäude einbeziehen. Nach Auffassung des erkennenden Senats hat die Gutachterin aufgrund sachlicher Kriterien jeweils eine (gegenüber § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG abweichende) Restnutzungsdauer ermittelt. Sie hat nach Ortsbesichtigung ermittelt, in welchem Zustand Außenanlagen und Gemeinschaftsanlagen sind und den Zustand der einzelnen Gebäude aufgezeigt.

Im Rahmen der Ertragswertermittlung hat die Gutachterin auch die Restnutzungsdauer nach § 6 Abs. 6 ImmoWertV ermittelt. Hierzu hat die Gutachterin in ihrem Gutachten auf S. 14 ff. ausgeführt, im Allgemeinen werde die Restnutzungsdauer durch Abzug des Alters von der Gesamtnutzungsdauer der baulichen Anlagen ermittelt. Würden Um- und Ausbau- oder Modernisierungs- und Renovierungsmaßnahmen durchgeführt, durch die sich die Gesamt- bzw. Restnutzungsdauer verlängere, sei diese Vorgehensweise nicht möglich und die Restnutzungsdauer müsse geschätzt werden. Für diese Abschätzung habe die AGVGA NRW ein Punkteverfahren entwickelt, anhand dessen in einer Tabelle die modifizierte Restnutzungsdauer bestimmt werden könne. Lägen die Renovierungen und Modernisierungen am Wertermittlungsstichtag jedoch mehr als 20 Jahre zurück, empfehle die AGVGA NRW die Tabellenwerte um einen entsprechenden Abschlag zu verringern.

Weiter hat die Gutachterin in ihrem Gutachten ausgeführt, dass die beiden zu bewertenden Objekten mit Holzfenstern mit Einfachverglasung und Ofenheizung ausgestattet gewesen seien. Ausweislich der Bauakten seien in den Jahren zwischen 1970 und 1980 die Ofenheizungen aus- und Elektronachtspeicher-, Gasetagen- oder Gaszentralheizungen eingebaut worden. Es könne davon ausgegangen werden, dass diesem Zeitpunkt auch die Holzfenster durch Kunststofffenster mit Isolierverglasung ersetzt worden sein. Nach dem Punkteraster der AGVGA NRW ergäben sich für diese Modernisierungen insgesamt vier Punkte, was als kleinere Modernisierungen im Rahmen einer ordnungsgemäßen Instandhaltung zu beurteilen sei. Die sich in Abhängigkeit von der Gesamtnutzungsdauer und dem Alter des jeweiligen Objektes aus der entsprechenden Tabelle ergebende modifizierte Restnutzungsdauer werde, da die Modernisierungen um mehr als 20 Jahre zurücklägen, um 20 % gemindert. Eine Modifizierung in Form einer Verlängerung der Restnutzungsdauer ergebe sich bei Modernisierungen insbesondere je älter ein Gebäude sei, die jünger ein Gebäude sei, umso weniger wirkten sich die Modernisierungen auf die Verlängerung der Restnutzungsdauer aus.

Als Gesamtnutzungsdauer hat die Gutachterin jeweils die Gesamtnutzungsdauer angesetzt, welche der örtlich zuständige Gutachterausschuss zugrunde legt. Der Gutachterausschuss N legt für Mehrfamilienwohnhäuser grundsätzlich 80 Jahre an (Seite 21 des Gutachtens).Der Gutachterausschuss J legt für wohnwirtschaftlich genutzte Gebäude einheitlich und grundsätzlich 90 Jahre an (Seite 29 des Gutachtens).

bb) Der Senat folgt den fundierten Ausführungen der Gutachterin.

Wie in dem vom BFH entschiedenen Verfahren (BFH-Urteil vom 28.07.2021 IX R 25/19, BFH/NV 2022, 108) hat die Gutachterin eine modellhafte Ermittlung der Restnutzungsdauer durchgeführt. Wie in dem der BFH-Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt erfolgte neben der modellhaften Berechnung eine Inaugenscheinnahme der Gebäude, um die Bauweise und etwaige ausstehende Modernisierungs- bzw. Sanierungsarbeiten beurteilen zu können. Der Umstand, dass bei der Ermittlung der Gesamtnutzungsdauer ebenfalls auf eine modellhafte Berechnung entsprechend den Festlegungen der örtlich zuständigen Gutachterausschüsse zurückgegriffen wurde, steht der Anerkennung des Gutachtens nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des BFH ist – wie bereits ausgeführt – dem Umstand, dass einer vom Gutachter angewandte Ermittlungsmethode lediglich eine modellhafte wirtschaftliche Restnutzungsdauer zugrunde liegt, keine entscheidende Bedeutung beizumessen; der Steuerpflichtige kann sich zur Darlegung der verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer jeder Darlegungsmethode bedienen, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint. Erforderlich ist insoweit, dass die Darlegung des Steuerpflichtigen Aufschluss über die maßgeblichen Determinanten wie technischer Verschleiß, wirtschaftliche Entwertung und rechtliche Nutzungsbeschränkungen geben, welche die Nutzungsdauer im Einzelfall beeinflussen (BFH-Urteil vom 28.07.2021 IX R 25/19, BFH/NV 2022, 108 Rz. 19). So ist die Gutachterin auch hier vorgegangen, sodass es – anders als der Beklagte in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat – keiner über die im Gutachten bereits hinreichend erfolgten Darlegungen zur technischen Abnutzung der Gebäude sowie der wirtschaftlichen Nutzbarkeit bzw. Vermietbarkeit der Wohnungen bedarf. Die Gutachterin hat im Rahmen der Gutachtenerstellung die Lage der Objekte und die die rechtlichen Gegebenheiten ebenso ermittelt wie den Zustand der Außenanlagen, die Ausstattung der Wohnungen der einzelnen Gebäude, die Bauweise, den Unterhaltungszustand und die für die Ermittlung des Ertragswerts maßgeblichen Determinanten. Die Gutachterin hat insbesondere auch den Modernisierungsgrad der einzelnen Gebäude bei der Ermittlung der Restnutzungsdauer berücksichtigt und hierzu in dem Gutachten ausreichend substantiierte Ausführungen gemacht.

Dies führte im Streitfall zu der – für das Gericht nachvollziehbaren – Einschätzung der Restnutzungsdauern der einzelnen im Eigentum der Klägerin stehenden Gebäude. Diese Ergebnisse liegen jedenfalls nicht (erheblich) außerhalb des zulässigen Schätzungsrahmens.

(2) Auch die sonstigen Einwendungen des Beklagten greifen nicht durch.

(a) So folgt nichts anderes aus dem Einwand des Beklagten im Klageverfahren, die für drei Immobilien der Schwesterpersonengesellschaft beispielhaft vorgelegten Rentabilitätsberechnungen hätten nicht belegen können, dass die Immobilien nach Ablauf der „regulären“ Nutzungsdauer verbraucht wären. Wenn die von der Gutachterin prognostizierte Investition nicht erst zum Ende der vermeintlich „regulären“ Nutzungsdauer im Jahr 2041, sondern bereits zu einem früheren Zeitpunkt durchgeführt würde, wären bereits früher höhere Mieten erzielbar, sodass der erzielbare Reinertrag voraussichtlich steigen und sich die Restnutzungsdauer der Immobilie verlängern werde (vgl. Schriftsatz vom 22.04.2020, Seite 2 f.).

Bei dieser Betrachtung ist schon nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Gutachterin bei der Berechnung des Jahresrohertrags jeweils eine Steigerung der Miete einkalkuliert hat, die sich (nach Abzug der Bewirtschaftungskosten) auf die Höhe des Jahresreinertrags auswirkt und mithin im Verkehrswert Berücksichtigung gefunden hat. Die Annahme des Beklagten, höhere Modernisierungs- und Instandhaltungskosten zu einem früheren Zeitpunkt führten zu einem insgesamt höheren Reinertrag, als ihn die Gutachterin bei ihrer Wertermittlung zugrunde gelegt hat, ist damit nicht zwingend. Im Übrigen wird es zu der von der Gutachterin angenommenen Steigerung der Mieten aber regelmäßig – also ohne Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Mietmarktes – nur kommen, wenn Renovierungen und Modernisierungen mit einem entsprechenden Aufwand vorgenommen werden. Ohne solche Renovierungs- und Modernisierungsmaßnahmen wird der Jahresrohertrag typischerweise nicht steigen, sondern fallen, was sogar eine geringere Nutzungsdauer zur Folge hätte.

Im Übrigen ist die Rentabilitätsberechnung im Nachgang zum Gutachten auf Wunsch des Beklagten erstellt worden, sodass bereits fraglich ist, ob diese überhaupt ausschlaggebend für die Anerkennung der im Gutachten ermittelten Restnutzungsdauern ist. Vielmehr ist das Gutachten aus sich heraus bereits nachvollziehbar, sodass es für die Bestimmung der Restnutzungsdauer auf einen bestimmten in der Vergangenheit liegenden Stichtag auf eine in die Zukunft gerichtete Rentabilitätsberechnung, die eine Vielzahl hypothetischer Kausalverläufe beinhaltet, nicht entscheidend ankommt.

(b) Soweit der Beklagte ausführt, nach seinem Verständnis sei bei Anwendung des Sachwertmodells der AGVGA NRW unter Heranziehung der Anlage III zwar gegebenenfalls ein Abschlag bei der Punktebewertung, nicht aber von der Restnutzungsdauer zulässig, hat er die Annahme einer sachkundigen Ermittlung der jeweiligen Restnutzungsdauer ebenfalls nicht hinreichend erschüttert. Denn nach der Anlage III Buchstabe c bleibt der Abschlag dem (sachverständigen) Anwender überlassen und sollte nach sachverständigem Ermessen auf fünf Jahre erfolgen (vgl. Bl. 180 der Gerichtsakte). Im Übrigen ist im Vorwort zum Modell der AGVGA NRW ausgeführt, dass (auch) die Anlage 3 der Orientierung dient und den Charakter einer Richtlinie besitzt, aber nicht alle in der Praxis auftretenden Fallgestaltungen abdecken kann, weshalb es im Einzelfall zu einer abweichenden Beurteilung im Rahmen des sachverständigen Ermessens kommen kann.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

4. Die Revision war nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO). Es handelt sich vielmehr um eine Einzelfallentscheidung unter Anwendung allgemein anerkannter Rechtsprechungsgrundsätze.

 

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