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Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
25.05.2022
Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
LG München I : Nichtigkeit von Jahresabschluss und Gewinnverwendung

LG München I, Endurteil vom 5.5.2022 – 5 HK O 15710/20

Volltext des Endurteils: BB-ONLINE BBL2022-1264-1

Sachverhalt

Die Parteien streiten mittels Feststellungsklagen um die Nichtigkeit zweier Jahresabschlüsse der Beklagten sowie von zwei durch die Hauptversammlung der Beklagten gefassten Gewinnverwendungsbeschlüssen.

I. 1. Der Kläger wurde mit Beschluss des Amtsgerichts München - Insolvenzgericht - vom 25.8.2020, AZ.: 1542 IN 1308/20 (Anlage K 1) zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der vormals im DAX 30 notierten Beklagten, einem international tätigen Zahlungsdienstleister mit verschiedenen Geschäftsbereichen bestellt. Hierzu gehörte auch das sogenannte Dritt- oder Third Party Acquiring-Geschäft (im Folgenden: TPA-Geschäft). Dabei bediente sich die Beklagte in Regionen, in denen sie selbst nicht über die erforderlichen Lizenzen verfügte, Partnerunternehmen (TPA-Partner) zur Durchführung von Zahlungsvorgängen im Zusammenhang mit Kreditkartentransaktionen, wobei diese TPA-Partner die erforderlichen Lizenzen haben sollten. Die Beklagte sollte dann ihre Kunden - also Händler - an die TPA-Partner vermitteln, die sodann die Zahlungsabwicklung für diese Kunden übernehmen sollten. Die Abwicklungsgebühren vereinnahmten die TPA-Partner, obwohl sie eigentlich der Beklagten hätten zustehen sollen. Die TPA-Partner sollten dann eine Provision erhalten, die dann wiederum durch den jeweiligen TPA-Partner auf Treuhandkonten eingezahlt und nicht an die Beklagte ausgeschüttet werden sollte. Die wesentlichen TPA-Partner der Beklagten waren A… FZ-LLC mit Sitz in den Vereinigten Arabischen Emiraten, P. E. S. Inc. mit Sitz auf den Philippinen und Se. rin C. Pte. Ltd. (im Folgendem auch: C.) betreut und bei einer Bank in Singapur geführt, bevor sie im November 2019 von der M.K. T. Law firm übernommen wurden.

C… unterhielt bei der O. (im Folgenden: O.) seit 2015 das in Singapur-Dollar geführte Konto ..., das in US-Dollar geführte Konto ... sowie die beiden in Euro geführten Konten ... sowie ... .

Am 31.12.2017 belief sich der Kontostand auf dem Konto ... auf € 2.799,07, auf dem Konto ... auf € 2.679,56, auf dem Konto ... auf SGD 2.384.680,40 auf dem Konto ... auf USD 31.949,34 - insgesamt also auf etwa umgerechnet € 1,5 Mio. Zum 31.12.2018 wiesen die Konten ... und ... unveränderte Guthaben, dass Konto ... ein Guthaben von SGD 2.956.932,49 und das Konto ... ein Guthaben von USD 30.125,29 auf - insgesamt also umgerechnet etwa € 2 Mio.. Dem Kläger lagen Saldenbestätigungen der C. zum 31.12.2017 über das Vorhandensein von € 327,5 Mio. auf dem Konto ... zugunsten der W. U. I. Ltd., von € 141,4 Mio. auf einem Konto ... und € 194 Mio. auf dem Konto ... jeweils für C. S. FZ LLC (im Folgenden: C… S…) sowie von € 30 Mio. auf dem Konto ... und von € 20 Mio. auf dem Konto ... jeweils für die Beklagte vor.

Zum 31.12.2018 lagen dem Kläger Saldenbestätigungen der C. über € 20 Mio. für die W. I. S1. GmbH und über € 30 Mio. für die Beklagte ohne Aufschlüsselung nach Konten, über € 305,5 Mio. für das Konto ..., für das Konto ... über € 317,2 Mio., für das Konto ... über € 248,6 Mio. und für das Konto ... für die W1. T. GmbH über € 105 Mio. vor. Diese Saldenbestätigungen summierten sich zum 31.12.2017 auf € 712,9 Mio. und zum 31.12.2018 auf € 1.026,3 Mio..

Se… zahlte im Zeitraum von September 2016 bis April 2020 insgesamt SGD 49.378,30 auf das Konto bei der O. ... ein, wobei als Verwendungszweck zum Teil auf Rechnungen von C. Bezug genommen wurde.

Aufgrund von in Medien erhobenen Vorwürfen, die auch eine angebliche Erhöhung des Umsatzes durch fiktive Kundenbeziehungen, insbesondere mit TPA-Partner in Asien und dabei insbesondere fingierte Treuhandguthaben von insgesamt € 1,9 Mrd. betrafen, führte die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft K… im Auftrag des Aufsichtsrats der Beklagten eine Sonderuntersuchung durch. In dem Prüfungsbericht vom 27.4.2020 (Anlage K 5) gelangten die Wirtschaftsprüfer von K. zu dem Ergebnis, die im Untersuchungszeitraum von 2016 bis 2018 angeblich erfolgten Einzahlungen auf Treuhandkonten im Umfang von rund € 1 Mrd. seien nicht nachzuweisen. Es konnte weder eine Aussage über die Existenz noch über die Nichtexistenz getroffen werden.

Hinsichtlich der näheren Einzelheiten dieses Sonderprüfungsberichts wird in vollem Umfang auf Anlage K 5 Bezug genommen.

2. Der Jahresabschluss der Beklagten zum 31.12.2017 (Anlage K 10) wurde am 25.4.2018 durch den Vorstand und den Aufsichtsrat der Beklagten festgestellt. Zum 31.Dezember 2017 gehörten dem Vorstand der Streithelfer als Vorstandsvorsitzender und Technikvorstand, Herr H1. L. als Finanzvorstand und Herr H1. M1. als Vertriebsvorstand an; Herr L. schied zum 31.12.2017 aus dem Vorstand aus. Sein Nachfolger wurde … Kn…; zudem trat Frau H1. S2. als Produktvorstand in den Vorstand der Beklagten ein. Mitglieder des Aufsichtsrats waren Herr H1. M2., Herr H1. H2., Herr H1. K1. und Frau H1. C. In diesem Jahresabschluss zum 31.12.2017 belief sich die Bilanzsumme auf € 1.897.717.567,39, wovon auf der Aktivseite Beteiligungen an Tochtergesellschaften in Höhe von ca. € 986,5 Mio., Intercompany-Forderungen von € 823,8 Mio. und Treuhandkonten in einem Umfang von € 84,7 Mio. ausgewiesen waren. Aus der G+VRechnung ergab sich ein Bilanzgewinn von € 142.545.355,99.

Am 24.4.2019 stellten der Vorstand und der Aufsichtsrat der Beklagten den Jahresabschluss zum 31.12.2018 fest, wobei sich die Zusammensetzung des Vorstands nicht geändert hatte, während dem Aufsichtsrat nunmehr Frau Dr. H1. L. und Frau H1. Q. neben den Herren W., H… und Kl… zusammen mit Frau Cw… angehörten. Die Bilanzsumme dieses Jahresabschlusses betrug € 2.344.437.576,48, wovon Anteile an verbundenen Unternehmen etwa € 1.288,5 Mio., Forderungen gegen verbundene Unternehmen etwa € 919,7 Mio. sowie Treuhandkonten unverändert € 84,7 Mio. ausmachten. Die G+V-Rechnung wies für das Geschäftsjahr 2018 einen Bilanzgewinn von € 167.833.280,20 aus.

Beide Jahresabschlüsse wurden von der E. GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft als verantwortliche Jahresabschlussprüferin uneingeschränkt bestätigt. Für den Jahresabschluss wie auch den Konzernabschluss zum 31.12.2019 übermittelte E… mit Schreiben vom 29.6.2020 Versagungsvermerke.

Die Hauptversammlungen der Beklagten vom 21.6.2018 und 18.6.2019 fassten jeweils unter Tagesordnungspunkt 2 Beschlüsse über die Verwendung des Bilanzgewinns für die Jahre 2017 und 2018, wonach vom Bilanzgewinn des Geschäftsjahres 2017 eine Dividende von € 0,18 je dividendenberechtigter Stückaktie, also insgesamt ein Betrag von € 22.241.805,48 ausgeschüttet und ein Betrag von € 120.303.550,51 auf neue Rechnung vorgetragen werden sollte. Für das Geschäftsjahr 2018 sollten € 0,20 je dividendenberechtigter Stückaktie, also insgesamt € 24.713.117,20 als Dividende ausgeschüttet und ein Betrag von € 143.120.163,00 auf neue Rechnung vorgetragen werden.

II. Zur Begründung seiner Klage macht der Kläger im Wesentlichen geltend, die Nichtigkeit beider Jahresabschlüsse ergebe sich aus der fehlenden Existenz der Treuhandguthaben und der TPA-Forderungen bereits zum 31.12.2017 und 31.12.2018. Dies zeige sich an dem Inhalt der Bestätigungen der O… über die bei ihr geführten Konten, bei denen es sich um keine Treuhandkonten gehandelt haben könne, sondern viel eher um Spesenkonten von Herrn Sh… - dem Direktor von C… -, was sich beispielsweise an der Bezahlung von Tankfüllungen zeige. Bei Zahlungsströmen auf Konten von Ce… … Corp. (im Folgenden: Ce…) und Co… … Inc. (im Folgenden: Co…) könne es sich nicht um Zahlungen aus dem TPA-Geschäft handeln, weil die Zahlungsfrequenz mit einer nur geringen Anzahl von Einzahlern mit unregelmäßigen Einzahlungen für Händlerzahlungen höchst atypisch und es auch nicht üblich sei, dass der Händler die volle Zahlung erhalte und die Gebühr für die Zahlungsabwicklung dann direkt an den TPA-Partner leiste. Ein Übergang des TPA-Geschäfts von der Beklagten auf Ce… habe nicht stattgefunden. Bei der O… habe es keine weiteren Konten gegeben, wie sich aus dem Schreiben der Rechtsanwaltskanzlei Allen & Gledhill vom 28.10.2021 und 3.11.2021 (Anlagen K 71 und K 72) ergebe. Die Saldenbestätigungen des Treuhänders C… zum 31.12.2017 und 31.12.2018 seien gefälscht, wie sich aus einer E-Mail der C… gegenüber E… ergebe, in der ausgeführt werde, C… habe solche Guthaben niemals bestätigt und solche Guthaben nicht gehalten. Zwei weitere Saldenbestätigungen vom 2.12.2016 und vom 29.1.2017 (Anlage K 22) seien von Herrn H1. B1. - einem vormaligen Geschäftsführer von Tochtergesellschaften der Beklagten - zu Täuschungszwecken selbst angefertigt worden. Auch belege eine Abstimmung mit den Fremdwährungseinlagen der O… den fehlenden Bestand der Treuhandguthaben, da die gesamten Fremdwährungseinlagen zu beiden Stichtagen nur rund die Hälfte der angeblichen Treuhandguthaben ausgemacht hätten. Auch sei in der Bilanz der O… ein Abfluss von mehr als € 1 Milliarde vor dem 31.12.2019 nicht erkennbar. Die fehlende Existenz des TPA-Geschäfts zeige sich auch an der unterbliebenen Kontaktaufnahme der TPA-Partner oder der angeblichen Händler bei der Beklagten. Im Falle der Realität der Geschäftsbeziehungen wäre eine solche Kontaktaufnahme zu erwarten gewesen. Bei der Beklagten habe eine organisatorische Struktur für die Abwicklung des über 50% zum Konzernumsatz beitragenden TPA-Geschäfts gefehlt. Für die angeblich durch den Vertrieb übernommenen Aufgaben habe nur ein unzureichendes, aus wenigen Personen bestehendes Vertriebsteam bestanden. Die mangelhafte Buchführung werde durch die Feststellungen der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung in ihrem Schreiben an die Beklagte vom 9.7.2020 (Anlage K 25) belegt. Es gebe keinen Anhaltspunkt für eine Existenz der Treuhandguthaben noch zum 31.12.2017. Die fehlende Existenz des TPA-Geschäfts und damit auch der Treuhandguthaben führe angesichts einer damit verbundenen Überbewertung der Beteiligungswerte, der Treuhandguthaben sowie der Intercompany-Forderungen gegenüber den mit dem TPA-Geschäften befassten Gesellschaften in Höhe um € 743,6 Mio. im Jahr 2017 und um € 972,6 Mio. im Jahresabschluss zum 31.12.2018 zur Nichtigkeit der Jahresabschlüsse. Zudem liege eine Verletzung gläubigerschützender Vorschriften angesichts der schwerwiegenden Mängel in der Buchführung vor, was gleichfalls zur Nichtigkeit führe.

Die Nichtigkeit der Jahresabschlüsse bedinge dann auch zwingend die Nichtigkeit der beiden Gewinnverwendungsbeschlüsse.

Der Kläger beantragt daher:

I. Es wird festgestellt, dass der Jahresabschluss der Beklagten zum 31.12.2017 nichtig ist.

II. Es wird festgestellt, dass der Jahresabschluss der Beklagten zum 31.12.2018 nichtig ist.

III. Es wird festgestellt, dass der in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 21.6.2018 unter Punkt 2 der Tagesordnung gefasste Gewinnverwendungsbeschluss nichtig ist.

IV. Es wird festgestellt, dass der in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 18.6.2019 unter Punkt 2 der Tagesordnung gefasste Gewinnverwendungsbeschluss nichtig ist.

III. Die Beklagte beantragt dem gegenüber:

Klageabweisung.

Zur Begründung beruft sie sich im Wesentlichen darauf, die Klageschrift trage nur verschiedene Indizien aus dem Jahr 2020 zusammen, aus denen die fehlende Existenz der Treuhandguthaben hergeleitet werde, obwohl sich aus ihnen kein Rückschluss auf die Situation zu den relevanten Zeitpunkten ziehen lasse. Aus einer Erklärung des neuen Treuhänders T… bei zwei philippinischen Banken ergebe sich kein hinreichender Hinweis auf die fehlende Existenz der Treuhandguthaben des langjährigen Treuhänders C… bei der O… Zudem bestehe die Möglichkeit einer Veruntreuung der existierenden Treuhandgelder - beispielsweise im Zusammenhang mit dem Wechsel des Treuhänders gegen Ende des Jahres 2019. Daraus ergebe sich aber nicht die Nichtigkeit der Jahresabschlüsse für die Geschäftsjahre 2017 und 2018. Die Einschätzung von K… lasse keinen Rückschluss auf die fehlende Existenz der Treuhandguthaben zu. Auch die Abschlussprüferin E… habe dazu keine gesicherten Erkenntnisse erlangt, sondern vielmehr auf mehrere Indizien verwiesen, die gegen die Nichtexistenz sprechen wie beispielsweise die Übereinstimmung von quartalsweisen Abrechnungen der drei TPA-Partner mit den eingeholten Bestätigungen des Treuhänders C… für die von ihm geführten Bankkonten und der Eingang von Zahlungen von C… in den Jahren 2017 und 2018 über € 36 Mio. bzw. € 50 Mio. auf Konten anderer Gesellschaften der Beklagten, die Einsichtnahme durch die Prüfer von E… am 26.03.2019 bei einem Treffen mit Herrn Sh. in Bankkontoauszüge der das Treuhandkonto führenden O… und die im Zusammenhang mit dem Konzernabschluss des Jahres 2018 von E. erhaltene Bestätigung der rechtlichen Existenz und ordnungsgemäßen Inkorporierung des Treuhänders. Auch habe bei einem Treffen der Prüfer von E… mit der Abschlussprüferin AVN des TPA-Partners P… E… S… dieser bestätigt, Abschlussprüferbestätigungsnachweise für die Einzahlung von Geldern auf das entsprechende Treuhandkonto erhalten zu haben. Ein Nichtigkeitsgrund wegen unzureichender Prüfung lasse sich nicht bejahen, weil dieser das Unterbleiben der Pflichtprüfung oder schlechthin unzureichende Prüfungshandlungen verlange, wovon hier nicht ausgegangen werden könne. Verstöße gegen grundlegende, die zwingende öffentlich-rechtliche Bedeutung der Pflichtprüfung berührende Bestimmungen habe der Kläger nicht substantiiert vorgetragen.

IV. 1. Das Gericht hat mit Beschluss vom 3.12.2020 (Blatt 25 d.A.) Herrn Rechtsanwalt Dr. H1. H3. zum Prozesspfleger für den Aufsichtsrat und mit Beschluss vom 7.1.2021 (Blatt 39/40 d.A.), berichtigt durch Beschluss vom 1.2.2021 (Blatt 59/61 d.A.) Herrn Rechtsanwalt Dr. H1. H4. zum Prozesspfleger für den Vorstand der Beklagten bestellt.

2. Mit Schriftsätzen ihrer Prozessbevollmächtigten vom 28.1.2021 (Blatt 51/57 d.A.) und jeweils vom 26.1.2021 (Blatt 49/50 und 47/48 d.A.) sind die Nebenintervenienten zu 1) bis 3) dem Rechtsstreit auf Seiten des Klägers beigetreten. Der Nebenintervenient zu 1) hat sich dem Antrag des Klägers in Bezug auf die Feststellung der Nichtigkeit der Jahresabschlüsse, die Nebenintervenienten zu 2 und 3) in vollem Umfang angeschlossen.

3. Die Beklagte hat Streitverkündungen mit der Aufforderung, dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beizutreten, wie folgt erklärt:

- Mit Schriftsatz vom 23.2.2021 (Blatt 73/77 d.A.) der E… Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mbH (im Folgenden: E…);

- mit Schriftsätzen jeweils vom 25.2.2021 an Frau H1. S2. (Blatt 86/89 d.A.) an Herrn A1. H2. (Blatt 90/93 d.A.), an Herrn H1. L. (Blatt 94/97 d.A.), an Herrn Dr. H1. B2. (Blatt 98/101 d.A.), an Herrn H1. K1. (Blatt 81/84 d.A.), an Herrn H1. K2. (Blatt 102/105 d.A.), an Frau H1. Q. (Blatt 106/109 d.A.), an Frau Dr. H1. L. (Blatt 110/113 d.A.), an Frau H1. V. Cw… (Blatt 114/117 d.A.), an Herrn H1. M2. (Blatt 118/121 d.A.) und an Herrn H1. M1. (Blatt 122/125 d.A.)

Das Gericht hat die Streitverkündungen den Streitverkündeten jeweils zugestellt, wobei in Bezug auf Herrn H1. M1. mit Beschluss vom 24.3.2021 (Blatt 125a/125b d.A.) die öffentliche Zustellung angeordnet worden ist.

Die Streitverkündete … Q… hat mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten jeweils vom 23.7.2021 (Blatt 251/255 und 256/260 d.A.) und vom 20.8.2021 (Blatt 335/339 d.A.) La… LLP, E… sowie G… LLP den Streit verkündet. Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 28.7.2011 (Blatt 265/269 d.A.) und vom 16.8.2021 (Blatt 288/292 d.A.) hat die Streitverkündete Dr. A2. L. der E… sowie Herrn H1. M1. den Streit verkündet. Frau H1. Q. hat mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 17.9.2021 (Blatt 379/383 d.A.) Frau H1. S2., Herrn Dr. H1. B2., Herrn H1. K2. und Herrn H1. M1. den Streit verkündet. Der Streitverkündete … Kl… hat mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 21.9.2021 (Blatt 384/390 d.A.) der E… den Streit verkündet. Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 17.11.2021 (Blatt 576/581, 582/588 und 589/595 d.A.) hat die Streitverkündete … Cw… ihrerseits La… LLP sowie Frau H1. S2., Herrn Dr. H1. B2., Herrn H1. K2., Herrn H1. M1. sowie der E. GmbH den Streit verkündet. Der Streitverkündete … Kl… hat mit weiteren Schriftsätzen seines Prozessbevollmächtigten vom 7.12.2021 (Blatt 641/646 und 647/653 d.A.) La… LLP sowie Frau S3. S2., Herrn Dr. M3. B3., Herrn A3. K2. und Herrn H1. M1. den Streit verkündet. Die Streitverkündungen wurden jeweils den weiteren Streitverkündeten zugestellt, wobei die Streitverkündungen an Herrn H1. M1. aufgrund von Beschlüssen vom 16.8.2021 (Blatt 298/299 d.A.), vom 23.9.2021 (Blatt 475/477 d.A.), vom 22.11.2021 (Blatt 621/622 und vom 8.12.2021 (Blatt 690/691 d.A.) öffentlich zugestellt worden ist.

4. Der Streitverkündete Dr. H1. B2. ist als einziger der Streitverkündeten dem Rechtsstreit mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 2.8.2021 (Blatt 270/272 d.A.) dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetreten. Dem Antrag der Beklagten auf Klageabweisung hat er sich angeschlossen. Zur Begründung beruft er sich im Wesentlichen darauf, der Kläger sei seiner Beweislast für die Nichtigkeit der Jahresabschlüsse zum 31.12.2017 und 31.12.2018 nicht nachgekommen; auf Beweiserleichterungen könne er sich nicht berufen. Dies ergebe sich namentlich nicht aus dem Vorwurf einer fehlerhaften Buchführung; außerdem bestehe ein Informationsgefälle zugunsten des Klägers. Die Nichtexistenz der Treuhandguthaben ergebe sich gerade nicht aus dem Gutachten von Warth & Klein über den Umfang von Fremdwährungseinlagen der O… in ihrem Jahresabschluss. Die Stellungnahme von Herrn St… aus der Compliance-Abteilung der Beklagten könne als schlichter Parteivortrag nicht als Beweis herangezogen werden. Zudem könne den darin getroffenen Feststellungen keine Indizwirkung zu. Angesichts der Möglichkeit der Beteiligung der TPA-Partner am Verschwinden der Treuhandgelder durch den Drahtzieher … M… und laufender Ermittlungsverfahren in Singapur und auf den Philippinen müsse die Annahme einer Kontaktaufnahme mit dem Kläger als Insolvenzverwalter als naiv bezeichnet werden. Die Nähe und auffälligen Verbindungen zwischen Treuhänder, TPA-Partnern und weiteren Gesellschaften leite der Kläger ebenso wie Herrn St… aus hierzu nicht geeigneten Presseartikeln ab. Aus Kontoauszügen der Ce… ergäben sich allein in den Jahren 2017 und 2018 Einzahlungen von Händlererlösen aus dem TPA-Geschäft in Höhe von € 160 Mio. Aus staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten lasse sich ebenso wenig ein Rückschluss auf das Nichtvorhandensein des TPA-Geschäfts sehen wie aus den Erkenntnissen des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu diesem Komplex. Die vermeintlich gefälschten Saldenbestätigungen mit anderen Stichtagen zum 22.11.2016, 30.11.2016 und 31.12.2016 würden keine Rückschlüsse auf die fehlende Echtheit der Saldenbestätigungen zu den maßgeblichen Stichtagen für die beiden Jahresabschlüsse zulassen. Die umfassenden Prüfungshandlungen von E… sprechen gleichfalls gegen die Hypothese von der fehlenden Existenz der Treuhandguthaben und des TPA-Geschäfts. Als viel plausibler müsse eine nach dem 31.12.2018 durch eine Gruppe um das Vorstandsmitglied … M… erfolgte Veruntreuung der Erträge aus dem TPA-Geschäft angesehen werden.

Aus den vorgelegten Kontoauszügen der O… ergebe sich kein Beweis für die fehlende Existenz der Treuhandguthaben. Der Rückschluss von der Nichtexistenz der Treuhandguthaben auf die Nichtexistenz des TPA-Geschäfts stelle sich als Zirkelschluss dar. Ebenso gebe es eine Vielzahl von Belegen wie Händlerlisten, Protokolle zu Gesprächen mit TPA-Partnern, Kontoauszüge der Ce… und der Co… Einzahlungen auf den Konten der TPA-Partner P… E… S… über € 310 Mio. A… über € 166 Mio., Ce… über € 424 Mio. und Co… in Höhe von € 13 Mio. seien ein deutlicher Hinweis auf die Existenz der TPA-Geschäfte.

5. Die dem Rechtsstreit mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 20.8.2021 (Blatt 325/326 d.A.) auf Seiten der Beklagten beigetretenen Nebenintervenienten - Frau H1. W2. und Herr H1. W2. - haben ihre Nebenintervention mit Schriftsatz vom 17.11.2021 (Blatt 620a d.A.) zurückgenommen.

V. Zur Ergänzung des Tatbestands wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 16.12.2021 (Blatt 722/727 d.A.).

Aus den Gründen

I. Die auf Feststellung der Nichtigkeit der Jahresabschlüsse der Beklagten zum 31.12.2017 und zum 31.12.2018 gerichteten Klagen sind zulässig und begründet.

1. Die Klage ist als Nichtigkeitsfeststellungsklage jeweils nach §§ 256 Abs. 7 Satz 1, 249 Abs. 1 Satz 1 AktG zulässig, wobei insbesondere die Klagebefugnis des Klägers als Insolvenzverwalter bejaht werden muss. Dies erfolgt aus der Rechtstellung des Insolvenzverwalters, der für die Rechtmäßigkeit des Korporationshandelns zu sorgen hat. Die Nichtigkeitsklage des § 256 Abs. 7 AktG dient zunächst der Rechtskontrolle an einem zutreffenden Jahresabschluss, nicht der Durchsetzung persönlicher Vorteile. Im Rahmen seines Aufgabenbereichs übernimmt der Insolvenzverwalter auch die grundsätzlich dem Vorstand obliegende Rechtskontrolle. Zu den Pflichten des Insolvenzverwalters gehört es, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu bewahren und ordnungsgemäß zu verwalten. Daher hat sich diese Pflicht am Leitbild des ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters auszurichten, das an die handels- und gesellschaftsrechtlichen Sorgfaltsanforderungen angelehnt ist, wie sie sich vor allem aus §§ 347 Abs. 1 HGB, 93 Abs. 1 Satz 1 AktG, 43 Abs. 1 GmbHG und 34 Abs. 1 Satz 1 GenG ergeben. Folglich ist der Insolvenzverwalter auch verpflichtet, die rechtlichen Pflichten und Vorgaben der Rechtsordnung wie ein Gesellschaftsorgan einzuhalten, soweit ein Bezug zur Insolvenzmasse besteht. Da die Rechtstellung des Insolvenzverwalters die Aufgabe beinhaltet, die Interessen der insolventen Gesellschaft gegenüber sämtlichen Gläubigern und Schuldnern zu vertreten, muss er zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage befugt sein, soweit die Fehlerhaftigkeit des Jahresabschlusses die Insolvenzmasse betrifft. Vorliegend haben die beanstandeten Mängel des Jahresabschlusses nachteilige Auswirkungen auf die Insolvenzmasse; der Wegfall des Jahresabschluss infolge der Nichtigkeit muss vorliegend als für die Masse günstig bezeichnet werden (vgl. BGHZ 225, 198, 204 ff. = ZIP 2020, 1064, 1065 = WM 2020, 1256, 1257 f.; AG 2020, 540 f. = ZIP 2020, 1118 f. = WM 2020, 1263, 1264 f. = NZI 2020, 739, 740 f.; Vatter in: BeckOGK AktG, Stand: 1.2.2022, § 245 Rdn. 53; …sen in: BeckOGK AktG, a.a.O., § 256 Rdn. 83; Koch, AktG., 16. Aufl., § 256 Rdn. 31; Schulz in: Bürgers/Körber/Lieder AktG, 5. Aufl., § 256 Rdn. 20; Bezzenberger in: Kommentar zum AktG, 5. Aufl., § 256, Rdn. 227 a; Waclawik in: Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl., § 256 Rdn. 38). Aufgrund einer Überbewertung wäre es nicht ausgeschlossen, dass für die Beklagte für die Geschäftsjahre 2017 und 2018 überhöhte steuerrechtliche Verbindlichkeiten ausgewiesen wurden, was im Falle der Nichtigkeit unter Beachtung der Vorgaben aus der Abgabenordnung zu Rückforderungsansprüchen in Zusammenhang mit überzahlten Gewerbe- und Körperschaftsteuerforderungen oder zum Wegfall direkter Steuerschulden führen könnte. Ebenso ist nicht auszuschließen, dass dem Kläger Rückforderungsansprüche hinsichtlich der gezahlten Dividenden aus § 62 Abs. 1 AktG zustehen könnte. Angesichts dessen muss die Kammer nicht entscheiden, ob der weitergehenden Ansicht von Teilen der Literatur (vgl. Heidel in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., § 256 Rdn. 41; Schwab in: Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl., § 256 Rdn. 40), die eine generelle Klagebefugnis des Insolvenzverwalters für die auf § 256 Abs. 7 AktG gestützte Nichtigkeitsfeststellungsklage bejahen wollen, zu folgen wäre.

2. Die Klage ist begründet, weil die Jahresabschlüsse der Beklagten aufgrund von § 256 AktG nichtig sind, ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankommen kann, ob die Treuhandkonten, auf denen Zahlungen aus den TPA-Geschäften eingingen, tatsächlich nicht existierten oder ob die entsprechenden Gelder veruntreut oder auf anderen Konten der Beklagten vorhanden waren. Eine Beweisaufnahme ist daher nicht erforderlich.

a. Unter Zugrundelegung des Vortrags des Klägers resultiert die Nichtigkeit aus einem Verstoß gegen § 256 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AktG. Danach ist wegen Verstoßes gegen Bewertungsvorschriften ein Jahresabschluss nichtig, wenn Posten überbewertet sind. Dies ist dann der Fall, wenn Aktivposten mit einem höheren Wert angesetzt sind als nach §§ 253 bis 256 a HGB zulässig. Die vom Kläger reklamierte Nichtexistenz der TPA-Geschäfte wie auch der Treuhandguthaben hat auf der Ebene der Beklagten Auswirkungen auf die aktivierten liquiden Mittel, die Beteiligungsbuchwerte sowie die Forderungen gegen die betroffenen unmittelbaren und mittelbaren Tochtergesellschaften, nachdem die betroffenen Treuhandkonten und Forderungen bei der Beklagten sowie direkten Tochtergesellschaften W1. T. GmbH Deutschland und C… S… FZ-LLC sowie der mittelbaren Tochtergesellschaft W… U… I… Ltd. im Wesentlichen gebucht wurden.

(1) Sind die angesetzten Guthaben auf den Treuhandkonten zumindest weitgehend nicht existent, so führt dies zu einer deutlichen Überbewertung der Aktiva in den Jahresabschlüssen der Beklagten zum 31.12.2017 und 31.12.2018, nachdem in der Bilanz zum 31.12.2017 Treuhandkonten für die Beklagte von € 84,7 Mio., bei der W… S1. I. GmbH von € 20 Mio. bei der C… S…s von € 340,4 Mio, bei der W… U… I… Ltd. von € 327,5 Mio. sowie bei der W… E… P… von € 1,7 neben TPA-Forderungen der W1. T. GmbH von € 209,3 Mio., der C… S…s von € 39,5 Mio., der W… U… I… Ltd. von € 7,6 Mio. und der W… (G…) Ltd. von € 6,6 Mio. ausgewiesen waren. Zum 31.12.2018 beliefen sich die Treuhandkonten nach dem Ausweis in der Bilanz für die Beklagte auf € 84,7 Mio., für die W1. T. GmbH auf € 105 Mio., die W… S1. I. GmbH auf € 20 Mio., für die C… S…s auf € 570,8 Mio. und für die W… U… I… Ltd. auf € 305,5 Mio. Die TPA-Forderungen waren in den Abschlüssen mit € 265,6 Mio. gegen die W1. T. GmbH, mit € 208,3 Mio. gegen die C… S…s, mit € 2,8 Mio. gegen die W… U… I… Ltd., mit € 9,9 Mio. gegen die W… Si… Pte. Ltd., mit € 0,1 Mio. gegen die W1. Bank AG sowie mit € 6,6 Mio. gegen die W… (G…) Ltd. ausgewiesen.

(2) Ohne dass dies abschließend entschieden werden müsste, geht die Kammer davon aus, dass massive Gründe für die Richtigkeit des Vortrags des Klägers sprechen, diese Treuhandguthaben hätten nie oder zumindest in keinem nennenswerten Umfang existiert. Dies zeigen die vom Kläger vorgelegten Auszüge der O… Auf den Konten bei dieser Bank waren in der Summe umgerechnet etwa € 1,5 Mio. bzw. € 2,1 Mio. vorhanden. Die Konten ... und ..., auf denen sich ausweislich der Bestätigung von C… € 141,4 Mio. bzw. € 194 Mio. für C. S.s befinden sollten, existierten nach der Bescheinigung der O. zum 31.12.2017 ebenso wenig wie die Konten ... und ... für die Beklagte mit Salden von € 30 Mio. und € 20 Mio. Das Konto ... für die W… U… I… Ltd. wies einen Bestand von SGD 2.956.932,49 auf, während es laut Saldenbestätigung € 305,5 Mio. - also mehr als das 100-Fache - hätte aufweisen sollen. Für die drei Konten ..., ..., ... mit Beständen von € 2.799,07, € 2.679,56 und USD 30.125,39 gab es keine Saldenbestätigungen. Die beiden Konten für die C. S.s sowie ... für die W. T., für die es Saldenbestätigungen über € 317,2 Mio., € 245,6 Mio. und € 105 Mio. gab, waren zum 31.12.2018 nach der Auskunft von O… nicht existent.

An der Richtigkeit der Feststellungen von O., die von deren Anwälten am 28.10.2021 dem Kläger übermittelt wurden, werden keine ernsthaften Zweifel bestehen. Der O. war vom High Court of the Republic of Singapore aufgegeben worden, Kontoauszüge der fraglichen Treuhandkonten seit 2015, Korrespondenz mit C. oder E., Dokumente zur Kontoeröffnung und Kontoauszüge der bekannten Konten seit 2015 sowie alle Unterlagen auch zu etwaigen unbekannten Konten des Treuhänders C. vorzulegen. Wenn ein international tätiges Kreditinstitut wie die O… von einem Gericht zu einer umfassenden Auskunft aufgefordert wird, wird ohne weitere konkrete Anhaltspunkte nicht davon ausgegangen werden können, dass dieser Aufforderung nicht korrekt nachgekommen wird und unzutreffende Angaben gemacht werden könnten. Bei einem im internationalen Wettbewerb befindlichen Bankhaus könnte eine gegenteilige Vorgehensweise durchaus mit einem Reputationsverlust verbunden sein und gegebenenfalls auch zu Maßnahmen der Bankenaufsicht der Republik Singapur führen. Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit der Auskunft zu den einzelnen Konten konnte auch der Streithelfer nicht konkret geltend machen.

Für die Tatsache, dass die Treuhandkonten für das TPA-Geschäft tatsächlich bei der O… geführt wurden, spricht auch der Vortrag des Streithelfers wie auch weiterer ehemaliger Vorstandsmitglieder der Beklagten in gegen sie gerichteten Zivilverfahren. Sowohl E… als auch der frühere Finanzvorstand Al. Kn. bestätigten in Schriftsätzen gegenüber dem Landgericht München I in dem dort geführten Verfahren 3 O 5875/20, dass die O… als Treuhandbank fungierte, später die BDO und BPI, wobei Herr Kn… dies noch dahingehend präzisiert hatte, dass als Treuhänder bis Ende 2019 C… fungierte und die Treuhandkonten (Escrow Accounts) bei der O… auch bis zum 31.12.2018 geführt wurden. Der Vortrag auch des Streithelfers in diesem Zivilverfahren spricht ganz wesentlich dafür, dass die Treuhandkonten tatsächlich bei der O… geführt wurden. Zwar ist eine Partei nicht gehindert, ihr Vorbringen im Verlaufe des Prozesses zu verändern, insbesondere zu präzisieren, zu ergänzen oder zu berichtigen, wozu beispielsweise die Prozessentwicklung Anlass geben kann, wenn bisher beiläufig vorgetragenes präzisiert wird. Hat allerdings eine Partei im Laufe des Prozesses ihr Vorbringen geändert, so kann dies im Rahmen der Beweiswürdigung Bedeutung erlangen. Dasselbe kann für die Bewertung streitigen Vorbringens einer Partei in einem Rechtsstreit gelten, wenn diese in einem Vorprozess abweichend vorgetragen hat (vgl. BGH, GRUR 2016, 705, 708 = WRP 2016, 869, 872; Greger in: Zöller, ZPO, 34. Aufl., § 286 Rdn. 14). Von einer solchen Situation muss hier ausgegangen werden. Der Streithelfer passte seinen Vortrag hier einer neuen prozessualen Situation an, in dem er nunmehr darauf verweist, die Treuhandguthaben hätten nicht zwingend bei der O… geführt werden müssen.

Die Saldenbestätigungen der C… stimmen gerade nicht mit dem Kontostand der bei der O. geführten Konten überein, soweit diese Konten bei der O… auch in den Saldenbestätigungen genannt werden. Auch dies deutet darauf hin, dass die Treuhandguthaben tatsächlich nicht existierten.

Soweit sich der Streithelfer auf Zahlungseingänge in Höhe von € 964 Mio. im Zeitraum von 2015 bis 2020 von TPA-Partnern auf den inländischen Konten der Beklagten beruft, muss davon ausgegangen werden, dass diese Zahlungen nichts mit den Zahlungen zu tun haben, die auf Treuhandguthaben eingegangen sein sollen. Zudem hat der Kläger unwidersprochen vorgetragen, dass zum 31.12.2017 und 31.12.2018 auf diesen Konten lediglich Guthaben von € 11,75 Mio. bzw. € 9,18 Mio. existierten. Angesichts der Gesamtsumme der inmitten stehenden Treuhandguthaben entsprechend den Saldenbestätigungen über € 712,9 Mio. bzw. € 1.026,3 Mio. wären diese Salden ohnehin nicht geeignet, die Nichtigkeit der beiden Jahresabschlüsse infrage zu stellen.

b. Auch unter Zugrundelegung des Vortrags vor allem des Streithelfers muss davon ausgegangen werden, dass die Jahresabschlüsse zum 31.12.2017 und zum 31.12.2018 nichtig sind.

(1) Dies gilt namentlich dann, wenn Herr H1. M1. - gegebenenfalls im Zusammenwirken mit Dritten - die Gelder vor der Feststellung des jeweiligen Jahresabschlusses durch Vorstand und Aufsichtsrat veruntreut haben sollte und sich die Gelder dann nicht mehr auf Konten der Beklagten befunden haben sollten. In dieser Situation wären die Guthaben nicht mehr auf der Beklagten zuzurechnenden Konten verbucht, weshalb die Aktiva in gleicher Weise überbewertet wären wie in der oben beschriebenen Situation, dass es die Treuhandguthaben nicht oder nur in einem geringen Umfang gegeben haben soll.

(2) Aber auch wenn man den Vortrag des Streithelfers zur Grundlage der rechtlichen Beurteilung macht, die Treuhandguthaben hätten sich auf anderen Konten als denen der O… befunden, muss von einer Nichtigkeit der Jahresabschlüsse zum 31.12.2017 und 31.12.2018 ausgegangen werden. In dieser Situation resultiert die Nichtigkeit aus § 256 Abs. 1 Nr. 1 AktG, wonach ein festgestellter Jahresabschluss nichtig ist, wenn er durch seinen Inhalt Vorschriften verletzt, die ausschließlich oder überwiegend zum Schutze der Gläubiger der Gesellschaft gegeben sind. Vorliegend liegt nämlich auch nach dem Vortrag des Streithelfers ein Verstoß gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung im Sinne der §§ 238 Abs. 1 Satz 1, 264 Abs. 2 S. 1 AktG vor, denen aufgrund der Aufnahme in §§ 238 Abs. 1 Satz 1, 264 Abs. 2 Satz 1 HGB Gesetzesqualität zukommt und die insbesondere dem Gläubigerschutz dienen (vgl. BGHZ 124, 111, 117 = NJW 1994, 520, 521 = AG 1994, 124, 125 = ZIP 1993, 1862, 1864 = DNotZ 1994, 619, 621; Koch in: Münchener Kommentar zum AktG, 5. Aufl., § 256 Rdn. 12; Bezzenberger in: Großkommentar zum AktG, a.a.O., § 256 Rdn. 48; Schwab in: Schmidt/Lutter AktG, a.a.O., § 256 Rdn. 7; …sen in: BeckOGK AktG, a.a.O., § 256 Rdn. 23; Heidel in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, a.a.O., § 256 Rdn. 11; E. Vetter in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl., § 256 Rdn. 6). Unter Beachtung der Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung hat der Jahresabschluss einer Kapitalgesellschaft aufgrund von § 264 Abs. 2 Satz 1 HGB ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Kapitalgesellschaft zu vermitteln. Hiervon kann nicht ausgegangen werden; die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung wurden verletzt, auch wenn der Vortrag des Streithelfers auf die Existenz der Treuhandguthaben auf anderen Konten als Maßstab angelegt wird. Die Buchführung muss nämlich gem. § 238 Abs. 2 HGB so beschaffen sein, dass sie einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Geschäftsvorfälle und über die Lage des Unternehmens vermitteln kann. Sie soll die Handelsgeschäfte und die Lage des Vermögens nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung ersichtlich machen. Dabei ist unter Buchführung die laufende, systematische und in Geldgrößen vorgenommene Dokumentation von Geschäftsvorfällen zu verstehen (vgl. Ballwieser in: Münchener Kommentar zum HGB, 4. Aufl., § 238 Rdn. 16), weshalb dann auch die TPA-Geschäfte in ihr dokumentiert werden und demgemäß auch deutlich zu erkennen sein müssen. Nur dann sind die zentralen Grundsätze der Vollständigkeit, Klarheit und Zeitgerechtheit der Aufzeichnungen und die Grundsätze der System- und der Ergebnisdokumentation ableitbar, die als Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung im Sinne der Buchführungstechnik zu beachten sind (vgl. Ballwieser in: Münchener Kommentar zum HGB, a.a.O., § 238 Rdn. 30). Hiergegen wurde vorliegend verstoßen. Anderenfalls hätten sich nämlich die aus den echten oder vermeintlichen TPA-Geschäften resultierenden Zahlungen auf Konten der Gesellschaft finden lassen müssen. Wenn die Treuhandguthaben auf anderen Konten der Gesellschaft verbucht werden, hätten sie vom Insolvenzverwalter und den von ihm eingeschalteten sachkundigen Mitarbeitern auch tatsächlich aufgefunden werden müssen. Da dies nicht geschah, muss von einem Verstoß gegen § 238 Abs. 2 S. 1 HGB ausgegangen werden.

Dem kann nicht entgegengehalten werden, § 256 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AktG stelle sich im Vergleich zu § 256 Abs. 1 Nr. 1 AktG als lex specialis dar, weshalb sich die Nichtigkeit nicht aus einer Verletzung Gläubiger schützender Vorschriften ergeben könne. Dieser Grundsatz, der ohnehin nicht unumstritten ist, kann nämlich nur dann gelten, wenn die Stoßrichtung gleichgerichtet ist, also die Überbewertung der Aktiva gleichzeitig einen Verstoß gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung darstellt (so jedenfalls Bezzenberger in: Großkommentar zum AktG, a.a.O., § 256 Rdn. 4), was hier gerade nicht zu bejahen ist. Die Argumentation des Streithelfers geht allerdings gerade davon aus, eine Überbewertung von Aktiva könne nicht vorliegen, weil die Gelder existent seien. Dann aber liegt ein von § 256 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AktG grundlegend unterschiedlicher Verstoß vor, weshalb sich die Frage nach dem Verhältnis der beiden Nichtigkeitstatbestände vorliegend nicht stellen kann.

c. Der Bewertungsmangel im Sinne des § 256 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AktG muss ebenso wie der Verstoß gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung als gläubigerschützende Vorschrift im Sinne des § 256 Abs. 1 Nr. 1 AktG als wesentlich angesehen werden.

(1) Die Überbewertung eines Bilanzpostens im Sinne des § 256 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AktG führt dann zur Nichtigkeit des Jahresabschlusses, wenn eine den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung widersprechende Bilanzierung ihrem Umfang nach nicht bedeutungslos ist.

Das Erfordernis dieses ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals folgt aus dem Rechtsgedanken des § 256 Abs. 4 AktG, der insoweit einen allgemeinen Rechtsgrundsatz für die Folgen von Fehlern bei der Aufstellung des Jahresabschlusses erhält. Durch eine geringfügige Überbewertung wird der Schutzzweck der Norm nicht tangiert (vgl. BGHZ 83, 341, 347 = NJW 1983, 42, 44 = ZIP 1982, 1077, 1080; NZG 2021, 1603, 1608 = AG 2022, 159, 163 = WM 2021, 1692, 1697; OLG H5. AG 1992, 233, 234; OLG Brandenburg GmbHR 1997, 796, 797; LG Frankfurt am Main DB 2001, 1483; LG München I DB 2007, 2306, 2307 = BB 2007, 2510, 2511 = Der Konzern 2007, 537, 538; …sen in: BeckOGK AktG, a.a.O., § 256 Rdn. 67; A. Arnold in: Kölner Kommentar zum AktG, 3. Aufl., § 256 Rdn. 71; Schulz in: Bürgers/Körber/Lieder, AktG, a.a.O., § 256 Rdn. 17; E. Vetter in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, a.a.O., § 256 Rdn. 20). Aus dem vom Kläger vorgelegten Gutachten ergibt sich die Notwendigkeit einer Abwertung der Aktivposten der Beklagten im Jahresabschluss zum 31.12.2017 von € 743,6 Mio. oder etwa 39% der Bilanzsumme und im Jahresabschluss zum 31.12.2018 von € 972,7 Mio. oder 41% der Bilanzsumme. Bei einer solchen Überbewertung kann kein Zweifel an der Wesentlichkeit bestehen. Diese Feststellungen hat die Beklagte nicht substantiiert bestritten, sondern lediglich darauf verwiesen, die Streitverkündete E… habe gegenüber den Prozesspflegern darauf verwiesen, dass Parteigutachten sei beispielsweise fehlerhaft, als es die möglicherweise bei Tochtergesellschaften nicht vorhandenen Vermögensgegenstände spiegelbildlich unverändert auf die Beteiligungsbuchwerte der Beklagten übertrage, ohne mögliche Gegeneffekte zu berücksichtigen und es von Treuhandguthaben der Beklagten ausgehe, obwohl die Treuhandguthaben zugunsten von Tochtergesellschaften bestanden haben sollen. Die fehlerhafte Bilanzierung bei Tochtergesellschaften wirkt sich jedoch auf die Beteiligungsbuchwerte aus, die dann deutlich überhöht auf der Aktivseite des Jahresabschlusses der Beklagten ausgewiesen wurden. Die Beklagte hat zudem nicht darlegen können, woraus sich eventuelle werthaltige Gegenansprüche der Beklagten ergeben könnten, die zu bilanzieren gewesen wären.

(2) Dieselben Erwägungen gelten, wenn vom Vortrag des Streithelfers auszugehen ist.

(a) Für den Fall der Veruntreuung vor der Feststellung des jeweiligen Jahresabschlusses gelten die soeben gemachten Ausführungen in gleicher Weise, weil auch dann von einer Überbewertung von Aktiva im Sinne des § 256 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AktG auszugehen ist.

(b) Liegt dagegen ein Verstoß gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung vor, muss gleichfalls die Wesentlichkeit bejaht werden. Dabei kann offen bleiben, ob auf dieses Erfordernis mit einem Teil der Literatur (vgl. Heidel in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, a.a.O., § 256 Rdn. 12) verzichtet werden kann oder ob - wofür die besseren Gründe sprechen dürften - § 256 Abs. 4 AktG ein allgemeines Prinzip zum Ausdruck bringt, dass auf alle in § 256 AktG genannten Inhaltsmängel Anwendung findet (vgl. Jansen in: BeckOGK AktG, a.a.O., § 256 Rdn. 26; Koch in: Münchener Kommentar zum AktG, a.a.O., § 256 Rdn. 15; Schwab in: Schmidt/Lutter, AktG, a.a.O., § 256 Rdn. 7; Bezzenberger in: Groß Kommentar zum AktG, a.a.O., § 256 Rdn. 52; A. Arnold in: Kölner Kommentar zum AktG, a.a.O., § 256 Rdn. 24). Die Auswirkungen der Verletzung der Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung sind hier so gravierend, dass Nichtigkeit angenommen werden muss, weil die nicht korrekt erfolgte Buchung zu dem oben genannten Abwertungsbedarf führt.

Angesichts dessen musste die Nichtigkeit der Jahresabschlüsse zum 31.12.2017 und 31.12.2018 festgestellt werden, ohne dass eine Beweisverfahren durchgeführt werden muss. Die Beweisangebote zur Existenz der Treuhandkonten sind aus den oben genannten Gründen nicht entscheidungserheblich. Der nicht nachgelassene Schriftsatz des Klägers vom 23.03.2022 wurde bei der Entscheidung nicht zu Lasten der Beklagten und ihres Streithelfers verwertet. Sodass auch aus diesem Grund eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gemäß § 156 ZPO nicht veranlasst war.

II. Die auf Feststellung der Nichtigkeit der Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 21.06.2018 und 18.06.2019 über die Verwendung des Bilanzgewinns gerichtete Klage ist zulässig und begründet.

1. Hinsichtlich der Zulässigkeit der Klage gelten dieselben Erwägungen, wie sie oben unter I.1. dargestellt wurden. Hierauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

2. Die Begründetheit der wiederum gegen die Beklagte zu richtende Klage ergibt sich aus § 253 Abs. 1 Satz 1 AktG. Da die beiden Jahresabschlüsse, auf denen der Beschluss über die Gewinnverwendung jeweils beruht, nichtig sind, sind aufgrund von § 253 Abs. 1 Satz 1 AktG auch die Beschlüsse über die Verwendung des Bilanzgewinns nichtig.

III. 1. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 91 Abs. 1, 100 Abs. 1, 101 Abs. 2 ZPO. Da es sich bei dem Beitritt zu einer Nichtigkeitsfeststellungsklage um eine streitgenössische Nebenintervention handelt und dies auch für den Streithelfer auf Seiten der Beklagten gilt, tragen die Beklagte und der Streithelfer die Kosten des Rechtsstreits als Unterlegene zu gleichen Teilen. Infolge der Rücknahme der Nebenintervention auf Seiten der Beklagten durch die Nebenintervenienten … und … We… kann eine Kostentragungspflicht nicht angenommen werden, weil hierfür auf den Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen ist und der Nebenintervenient in diesem Moment noch als solcher zugelassen sein muss. Dies ist vorliegend indes mit Blick auf die jederzeit mögliche Rücknahme und dem damit verbundenen Rücktritt nicht mehr der Fall (vgl. Goldbeck in: Kern/Diehm, ZPO, 2. Aufl., § 101 Rdn. 4). Nichts anderes kann gelten, sollte entsprechend allgemeiner zivilprozessualer Grundsätze der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich sein, weil die beiden Nebenintervenienten bereits zuvor die Rücknahme der Nebenintervention erklärt hatten.

2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

3. Der Streitwert war aufgrund der Vorschriften der §§ 247 Abs. 1 AktG, 5 ZPO festzusetzen. Angesichts der begehrten Feststellung der Nichtigkeit eines Jahresabschlusses einer vormals im DAX 30 notierten Gesellschaft war der Streitwert für jeden Jahresabschluss auf € 500.000,- und für die Gewinnverwendungsbeschlüsse jeweils auf € 250.000,- festzusetzen. Auch wenn die darauf beruhenden Ansprüche auf Rückzahlung von Dividenden und geleisteten Steuern möglicherweise höher anzusetzen sind, sieht die Kammer keine Notwendigkeit, einen höheren als den regelmäßig festzusetzenden Streitwert anzusetzen.

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