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Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
18.02.2022
Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
LG Wuppertal: Keine Haftung aus Amtspflichtverletzung der BaFin und des DPR e.V. im Rahmen der Bilanzkontrolle und der Marktmissbrauchsüberwachung

LG Wuppertal, Urteil vom 10.9.2021 – 2 O 441/20

ECLI:DE:LGW:2021:0910.2O441.20.00

Volltext des Urteils://BB-ONLINE BBL2022-431-1

BGB § 839 i. V. m. GG Art. 34; FinDAG § 4 Abs. 4; WpHG § 6; WpHG a. F.§§ 106 ff.; HGB a. F. § 342b; VO (EU) 596/2014Artt. 16, 23 ff.

Sachverhalt

Der Kläger begehrt von den Beklagten Schadensersatz infolge des sog. „Wirecard-Skandals“. Am 30.03.2020 und 28.04.2020 erwarb er jeweils 100 Aktien der Wirecard-AG (Kaufwert: 20.806,95 EUR). Die Beklagte zu 1.) ist Finanzaufsichtsbehörde, die Beklagte zu 2.) ist ein privatrechtlicher Verein zu Überprüfung von Jahresabschlüssen.

Bei der Wirecard-AG handelt es sich um einen börsennotierten Zahlungsabwickler und Finanzdienstleister, der der Finanzaufsicht und der Bilanzkontrolle durch die Beklagte zu 1.) unterliegt. Zur Überprüfung der ordnungsgemäßen Buchführung ist in § 342b HGB ein zweistufiges Verfahren implementiert worden. Die Jahresabschlüsse werden zunächst durch die Beklagte zu 2.) geprüft. Sofern im Rahmen dieser Prüfung konkrete Anhaltspunkte für Verstöße gegen die Rechnungslegungsvorschriften vorliegen, kann eine Prüfung durch die Beklagte zu 1.) eingeleitet werden.

Zudem obliegt der Beklagten zu 1.) die Marktmissbrauchsüberwachung, wobei auffällige Transaktionen beobachtet und bewertet werden. Unter anderem sind Leerverkaufs-/ Short-Attacken zu verhindern. Hierunter sind Verkäufe von Aktien zu verstehen, die im Zeitpunkt des Verkaufs nicht im Eigentum des Verkäufers standen. Die Verkäufer spekulieren in Erwartung einer (un-)wahren Berichterstattung auf einen Kurseinfall, damit die bereits verkauften Aktien günstig eingekauft und übertragen werden können. Da auch die Verbreitung von wahren Informationen eine Marktmanipulation begründen kann, sind auch ad-hoc Mitteilungen und Veröffentlichung von fehlerhaften Rechnungslegungen durch die Beklagte zu 1.) zu beobachten und bewerten.

In den Jahren 2015 bis 2019 kam es wiederholt zu kritischer Berichterstattung im Zusammenhang mit der Wirecard-AG, unter anderem in einem Blog der Financial Times, auf der Homepage „x“, im Manager Magazin und im Printmedium der Financial Time. Die Beklagte zu 1.) leitet daraufhin Marktmanipulationsverfahren ein, da die Berichterstattungen im Zusammenhang mit auffälligen Transaktionen standen. Im Jahr 2019 wurden zudem Maßnahmen gegen die Wirecard-AG - u.a. die Prüfung der Jahresabschlüsse durch die Beklagte zu 2.) und die Verhängung eines Bußgeldes über 1,52 Mio EUR - ergriffen.

Die Wirecard-AG beauftragte in diesem Zusammenhang unter dem 31.10.2019 eine Sonderprüfung, die in einem Bericht von KPMG vom 28.04.2020 mündete. Die Beklagte zu 1.) leitete in der Folge - unter dem 29.04.2020 - ein weiteres Markmanipulationsverfahren ein und erstattete wegen falscher ad-hoc Mitteilungen am 12.03.2020 und 22.04.2020 Strafanzeige. Im Zuge der vorgenannten Geschehnisse erschienen erstmals Berichte über Fälschung von Kontenbestätigungen.

Am 18.06.2020 wurde der Konzernabschluss für das Jahr 2019 verschoben, da ein Betrag von 1,9 Mrd. EUR nicht hinreichend belegt war, am 22.06.2020 erfolgte die Mitteilung, dass das Guthaben höchstwahrscheinlich nicht vorhanden sei und Drittpartnergeschäfte wahrscheinlich fingiert wurden.

Infolge der Geschehnisse brach der Kurs der Wirecard Aktien zunächst um 40% ein, die Wirecard-AG meldete Insolvenz an und die Aktien sind inzwischen nahezu wertlos geworden.

Der Kläger behauptet, dass die Beklagte zu 1.) ihren Pflichten bezüglich der Marktmissbrauchsüberwachung nicht ausreichend nachgekommen sei. Es seien lediglich einseitige Ermittlungen erfolgt, die sich gegen unabhängige Journalisten gerichtet hätten. Dies sei auch darauf zurückzuverfolgen, dass Mitarbeiter der Beklagten zu 1.) selbst Aktien der Wirecard-AG erworben hätten.

Die Beklagte zu 2.) sei ihren Pflichten ebenfalls nicht in einem ausreichenden Maß nachgekommen. Lediglich ein Mitarbeiter sei mit der Prüfung betraut gewesen und der Vereinsvorstand sei in diversen Dax-Unternehmen aktiv.

Der Kläger ist der Ansicht, dass eine drittbezogene Amtspflicht verletzt sei, die Haftungsfreistellung gem. § 4 Abs. 4 FinDAG greife nicht ein. Unabhängig davon, dass diese Vorschrift nicht mit geltendem Recht vereinbar sei, liege jedenfalls ein Fall des Amtsmissbrauchs vor. In diesem Fall bedürfe es keiner drittbezogenen Amtspflicht. Auch habe die Beklagte zu 1.) eine Amtspflicht, nämlich die Pflicht zur Aufklärung, Verhinderung und Anzeige von Marktmanipulationen sowie ihre Pflicht zur Veröffentlichung richtiger, vollständiger und nicht irreführender Informationen verletzt. Diese Verpflichtungen ergeben sich auch aus § 342 b Abs. 2 S. 3 HGB. Ausweislich § 342 b Abs. 2 S. 3 Nr. 2 HGB wäre bereits bei den ersten konkreten Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen die Rechnungslegungsvorschriften eine Prüfung einzuleiten gewesen.

Auch die der Beklagten zu 1.) obliegende Marktmissbrauchsüberwachung begründe eine umfassende Kontrollpflicht, jedenfalls dann, wenn Betrugsvorwürfe im Raume stehen würden. Eine weitergehende Konkretisierung der Vorwürfe sei dem Kläger nicht möglich, da es sich um rein interne Vorgänge handeln würde. Der Beklagten zu 1.) komme insofern eine sekundäre Darlegungslast zu.

Bei der Beklagten zu 2.) handle es sich um eine Beliehene, die hoheitliche Aufgaben wahrnehme, so dass auch gegenüber dieser Amtshaftungsansprüche geltend gemacht werden könnten.

Darüber hinaus würden beide Beklagten aus §§ 823 BGB iVm 263 StGB, sowie § 826 BGB haften.

Ursprünglich hat der Kläger beantragt, die Beklagten zu verurteilen, an ihn den Betrag in Höhe von 20.806,95 EUR zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe von 200 Aktienanteilen der Wirecard-Aktie ISIN yyyyyyy. Nachdem der Kläger unter dem 11.03.2021 199 Wirecard-Aktien zu einem Gesamtpreis in Höhe von 57,61 EUR veräußert hat, beantragt er nunmehr,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn den Betrag in Höhe von 20.749,34 EUR zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte zu 1.) ist der Ansicht, dass eine Haftung schon wegen § 4 Abs. 4 FinDAG ausscheide. Danach kämen der Beklagte zu 1.) keine drittgerichteten Amtspflichten zu, die verletzt worden seien. Die Beklagte zu 1.) führe die Aufsicht lediglich im öffentlichen Interesse, dies werde auch durch § 4 Abs. 4 FinDAG bestätigt. Eine Ausnahme sei auch nicht in Fällen des Amtsmissbrauchs zu machen, der ohnehin nur vorliege, wenn ein Amtsträger eine Straftat begeht oder eine Haftung nach § 826 BGB im Raume stehe.

Zudem komme der Beklagten zu 1.) keine umfassende Bilanz-und Finanzkontrolle zu. Bei § 6 Abs.2 S. 3 WpHG handle es sich um eine Ermessensvorschrift. Es bestünde keine Pflicht zur umfassenden Kontrolle, zumal es sich bei der Beklagten zu 1.) um keine eigenständige Prüfstelle handle. Im Rahmen dieser Ermessensvorschrift habe die Beklagte zu 1.) nicht die äußerste Grenzen des Ermessens überschritten.

Auch komme ihr keine umfassende Marktmissbrauchsüberwachung zu, Aufgabe sei alleine die Feststellung, ob eine Marktmanipulation vorliege. Jedoch stünden ihr auch in diesem Fall keine umfassenden Ermittlungsbefugnisse zu, die Verfahren seien zur Ermittlung an die zuständige Staatsanwaltschaft abzugeben. Im Rahmen der Marktüberwachung seien vor allem Leerverkaufs-Attacken zu überprüfen, mithin ob durch unzutreffende und irreführende Berichterstattung bewusst ein Kursverfall herbeigeführt werde, um sodann günstig Aktien einzukaufen. Die notwendigen Ermittlungen werden hingegen von der Staatsanwaltschaft geführt. Die im vorliegenden Verfahren fragliche Rechnungslegungsprüfung sei lediglich eine Vorfrage zu den von der Beklagten zu 1.) zu bearbeitenden Verfahren.

Die Beklagte zu 2.) ist der Ansicht, dass ein amtshaftungsrechtlicher Anspruch nicht bestehen würde, da sie, die Beklagte zu 2.) keine Amtspflichten treffen würde. Es handle sich um einen privatrechtlichen, weisungsunabhängigen Verein.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen, zur Gerichtsakte gelangten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.

Aus den Gründen

Kein Schadensersatz wegen vermeintlicher Pflichtverletzungen der Beklagten im Aufsichtsrecht

I. Dem Kläger steht kein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zu 1.) aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG wegen vermeintlicher Pflichtverletzungen der Beklagten im Aufsichtsrecht zu.

Keine Verletzung drittbezogener Amtspflichten

1. Die Beklagte zu 1.) hat keine drittbezogenen Amtspflichten verletzt.

Voraussetzung für einen Anspruch aus Amtshaftung ist, dass ein Amtsträger eine ihm gegenüber Dritten obliegende Amtspflicht verletzt hat.

Amtspflichten sind die persönlichen Verhaltenspflichten des Amtswalters in Bezug auf seine Amtsführung. Ausprägung und Umfang dieser Pflichten werden insbesondere durch die Rechtsprechung entwickelt. Ausreichend ist jedoch nicht jede Art der Amtspflichtverletzung. Es muss nach dem Schutzzweck der jeweiligen Amtspflicht ein Drittbezug zu dem jeweils Geschädigten bestehen. Mithin muss der Geschädigte zu dem Personenkreis zählen, dessen Belange nach dem Zweck und der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäfts geschützt und gefördert werden sollen. Zudem ist maßgeblich, ob in qualifizierter und individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Es muss mithin eine besondere Beziehung zwischen der verletzten Amtspflicht und dem geschädigten Dritten bestehen. Der Zweck dieses Drittbezuges ist darin zu erblicken, dass die Haftung des Staates begrenzt wird, um nicht jede auch nur mittelbare Beeinträchtigung der Interessen eines Betroffenen für eine Schadensersatzpflicht ausreichen zu lassen. Maßgeblich ist daher der Schutzzweck der Amtspflicht, welcher auch – ggf. neben allgemeiner und öffentlicher Interessen – auf den Schutz von Individualinteressen gerichtet sein muss.

Vorliegend ist ein solcher Drittbezug im Hinblick auf die Normen des Kapitalaufsichtsrechts nicht festzustellen.

Kein individualisierter Anlegerschutz

a) § 4 Abs. 4 FinDAG bestimmt, dass die von der Beklagten zu 1.) wahrgenommenen Interessen und Befugnisse allein im öffentlichen Interesse liege. Privatrechtliche Ansprüche sind von der Beklagten zu 1.) nicht zu prüfen. Zwar ist der Anlegerschutz auch im Rahmen der Kapitalaufsicht vorgesehen, jedoch folgen hieraus noch keine qualifizierten Pflichten den Anlegern gegenüber. Der Anlegerschutz ist daher nicht individualisiert zu verstehen (vgl. zu §§ 37, 32 KWG auch OLG Frankfurt a.M., Urteil v. 06.02.2020 – 1 U83/19, BKR 2020, 597, Rn. 32).

Keine abweichende Bewertung mit Blick auf § 4 Abs. 1a FinDAG

aa) Anlass zu einer abweichenden Bewertung besteht entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht mit Blick auf den durch das Kleinanlegerschutzgesetz mit Wirkung zum 10.07.2015 eingeführten § 4 Abs. 1a FinDAG. Mit der Einführung dieser Vorschrift sollte der Verbraucherschutz gestärkt werden, der kollektive Verbraucherschutz als Ziel und Bestandteil der Aufsichtstätigkeit nunmehr ausdrücklich gesetzlich verankert werden. In Bezug auf diesen kollektiven Verbraucherschutz handelt die Beklagte zu 1.) jedoch ausschließlich im öffentlichen Interesse, denn es wird nicht der einzelne Verbraucher als Individuum, sondern die Verbraucher in ihrer Gesamtheit geschützt.So betont der Gesetzgeber ausdrücklich, dass es sich um den kollektiven und nicht den individuellen Verbraucherschutz handelt. Der Gesetzgeber führt insofern aus, dass die Bundesanstalt auch hinsichtlich des kollektiven Verbraucherschutzes entsprechend der Regelung in § 4 Abs. 4 FinDAG ausschließlich im öffentlichen Interesse tätig sei, dies umfasse auch das kollektive Verbraucherinteresse. Kollektiv bedeute in diesem Zusammenhang, dass die Bundesanstalt ausschließlich dem Schutz der Verbraucherinnen und Verbrauchern in ihrer Gesamtheit verpflichtet ist. Insofern könne die mögliche Verletzung individueller Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher, sei es zivilrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Natur, auf diesem Wege nicht geltend gemacht werden. Es gebe keinen individuellen Anspruch der Verbraucherinnen und Verbraucher auf ein Tätigwerden der Bundesanstalt (vgl. BT-Drs. 18/3994, S. 37).

Letztlich besteht auch kein Anlass, an das Ergreifen oder Unterlassen von Aufsichtsmaßnahmen unterschiedliche haftungsrechtliche Folgen zu knüpfen, da ein und dieselbe Maßnahme für einen Kreis gegenwärtiger Anleger günstig und einen Kreis potentieller Anleger ungünstig sein kann. In beiderlei Hinsicht unterliegt das Verhalten der Beklagten zu 1.) den Bestimmungen des § 4 Abs. 4 FinDAG (vgl. OLG Frankfurt, a.a.O, Rn. 34 f.).

Erwägungen zum BilKonG stehen dem nicht entgegen

bb) Dem stehen die Erwägungen zum BilKonG (BT-Drs. Nr. 15/3421) nicht entgegen. Mit dem BilKonG wurde unter anderem die Regelung zur Bilanzierungsprüfung ins Handelsgesetzbuch eingeführt. Mit dem abgestuften System sollte das Vertrauen in den Kapitalmarkt gestärkt werden und in einem gewissen Umfang ein Anlegerschutz eingeführt werden. Einem staatlich beauftragten Kontrollgremium kommt dabei die primäre Kontrolle zu. Erst wenn die betroffenen Unternehmen ihren Mitwirkungspflichten nicht nachkommen, besteht eine Eingriffsbefugnis der Aufsichtsbehörde. Dieser Anlegerschutz ist jedoch nicht als individueller Anlegerschutz zu verstehen, sondern dient dem kollektiven Anlegerinteresse.

Das Ziel dieser abgestuften Kontrolle ist ausweislich der gesetzgeberischen Erwägungen in der Förderung des Kapitalmarktes und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit zu erblicken (vgl. BT-Drs. Nr. 15/3421, S. 11), auch wenn der Anlegerschutz jedenfalls als Zwischenziel formuliert wurde. Gleichwohl ist hieraus kein individueller Drittschutz zu folgern. Im Zuge der Einführung des o.g. Gesetzes haben diverse gesetzliche Anpassungen stattgefunden, nicht aber bzgl. § 4 Abs. 4 FinDAG. Angesichts der eindeutigen und bewussten Anpassung der gesetzlichen Regelungen im WpHG, HGB und auch im FinDAG ist daher davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die in § 4 Abs. 4 FinDAG formulierte öffentliche Zweckrichtung beibehalten wollte.

Auch die Kostentragung zum BilKonG bestätigt die öffentliche Ausrichtung des BilKonG. Ausdrücklich werden die Kosten den kapitalmarktorientierten Unternehmen auferlegt, da diese von der Stärkung der Integrität der Kapitalmärkte und des Finanzplatzes Deutschland profitieren. Insofern mag zwar ein Anlegerschutz mit den geschaffenen Regelungen einhergehen, jedoch bedingt dies keinen individualschützenden Charakter.

Auch keine andere Wertung aufgrund von europarechtlichen Erwägungen

b) Eine andere Wertung folge auch nicht aufgrund von europarechtlichen Erwägungen. Mithin findet § 4 Abs. 4 FinDAG sowohl im Rahmen des nationalen Amtshaftungsanspruch Anwendung und schließt zudem einen gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch aus.

Rs C-222/02

aa) Der EUGH stellte in einer Entscheidung zum Einlagesicherungssystem in Deutschland (v. 12.10.2004 – Rs C-222/02, „Paul“ [BB 2004, 2428 m. BB-Komm. Kilgus, EWS 2004, 514]) und der Vereinbarkeit der europarechtlichen Vorgaben mit § 4 Abs. 4 FinDAG fest, dass das vorhandene Einlagesicherungssystem ein umfassendes und abschließendes Sicherungssystem für Einleger darstelle. Neben diesem System bedürfe es keiner weiteren Absicherung. Durch europarechtliche Richtlinien werde zudem kein weitergehendes Recht zu Gunsten der Einleger geschaffen, sofern ein Einlegerschutz bestehe. Die Harmonisierung beschränke sich auf dasjenige, was wesentlich, notwendig und ausreichend ist, um eine gegenseitige Anerkennung der Bankenaufsicht zu erlangen. Hierfür sei keine Haftung der Aufsichtsbehörden bei unzureichender Aufsicht notwendig. Ein Ausschluss der Haftung gegenüber Einzelnen sei auch deshalb gerechtfertigt, weil die Bankenaufsicht durch eine enorme Komplexität geprägt sei, wobei eine Vielzahl von Interessen zu schützen seien, auch die Stabilität des Finanzmarktes. Der EUGH ging in Bezug auf das Einlagesicherungssystem mithin von einer Vereinbarkeit des § 4 Abs. 4 FinDAG mit den europarechtlichen Vorgaben aus.

BGHZ 162,49

bb) Im Anschluss hieran nahm auch der BGH an, dass § 4 Abs. 4 FinDAG mit dem Grundgesetz vereinbar sei (BGHZ 162,49). Im Hinblick auf den Einlegerschutz könne ein öffentlich-rechtlicher Zweck festgeschrieben werden, auch wenn zuvor eine abweichende Rechtsprechung bestanden habe. Die Rechtsstellung der Betroffenen werde zwar mittelbar berührt. Eine Beschränkung sei gleichwohl auch aufgrund der Komplexität und der Vielzahl der Einleger gerechtfertigt. Auch verstoße dies nicht gegen Art. 14 GG, da die Belange der Einleger durch die Aufsichtsmaßnahmen bereits hinreichend geschützt seien und durch das bestehende Einlagesicherungssystem ausreichend Schutz erfahre. Eine weitergehende Verpflichtung könne zu einer Gefährdung von Aufsichtskonzeptionen führen.

Keine abweichende Beurteilung geboten

cc) Eine abweichende Beurteilung ist im vorliegenden Fall nicht geboten. Dem Kapitalmarktaufsichtsrechts sind keine Normen zu entnehmen, deren Wertungsspielraum durch den Anlegerschutz tangiert wird. Im Unterschied zum Einlegerschutz sind hinsichtlich des Anlegerschutzes keine ausdrücklichen Vorgaben des Unionsgesetzgebers im Hinblick auf einen Mindestschutz vorhanden. Das Ziel der Kapitalmarktaufsicht wird in der Sicherung des Binnenmark[t]es und der Marktintegrität erblickt, auch wenn in einem begrenzten Umfang der Schutz der Marktteilnehmer hiermit einhergeht, denn ein stabiler Markt ist nur bei einem hinreichenden Vertrauen der Anleger gesichert.

Ein individualisierter Anlegerschutz ist bereits deswegen nicht anzunehmen, weil die Anleger im Unterschied zu Einlegern ein höheres Risiko, u.U. auch den Totalverlust des Aktienwerts, in Kauf nehmen. Auch das OLG Frankfurt am Main (Urteil des OLG Frankfurt a.M., Urteil v. 06.02.2020 – 1 U83/19, BKR 2020, 597, Rn. 32) ging unabhängig von dem Vorhandensein eines expliziten Schutzmechanismus von der Anwendbarkeit des § 4 Abs.4 FinDAG in sämtlichen Bereichen der Finanzaufsicht aus.

Dem stehen auch nicht die Regelungen der Marktmissbrauchsverordnung (VO Nr.596/2014, MAR) entgegen, auch wenn diese in Art. 1 u.a. einen Anlegerschutz als Ziel formulieren. Den europäischen Vorgaben ist in ihrer Gesamtheit kein individualschützender Charakter zu entnehmen. Art. 1 MAR legt fest, dass das vorrangige Ziel in der Integrität der Finanzmärkte zu erblicken sei, wobei auch das Vertrauen der Anleger in diese Märkte zu stärken sei. Konkrete Vorgaben zum individuellen Anlegerschutz - wie dem individuellen Einlegerschutz - werden hingegen nicht aufgestellt. Insofern mag zwar auch eine Stärkung des kollektiven Anlegerschutzes bezweckt sein, mithin das Vertrauen der Anleger in ihrer Gesamtheit in den Markt wiederhergestellt werden, dies jedoch nur zur Erreichung des Marktschutzes.

Zudem gibt Art. 16 MAR vor, dass durch die Staaten ein System zu schaffen sei, dass dem Marktmissbrauch vorbeugt. Individuelle Schutzmechanismen werden gerade nicht verlangt. Auch nach den Artt. 23 ff. MAR ist der Schutz der Anleger allenfalls mittelbare Folge, i.E. hat die Aufsichtsbehörde unparteiisch zu bleiben. Zum Schutz des Marktes sind Veröffentlichungen zurückzustellen, allein die ESMA oder andere zuständige Behörden sind zu informieren. Ermessensbeschränkenden Vorgaben sind den Normen nicht zu entnehmen.

Auch kein gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch

dd) Aufgrund dieser Erwägungen besteht ein gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch – auf den sich der Kläger auch nicht beruft – ebenfalls nicht. Notwendig wäre hierzu ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen Unionsrecht, mithin wenn die Grenzen des Wertungsspielraums offenkundig und erheblich überschritten werden. Nach dem vom EuGH entwickelten gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch für Verstöße der Mitgliedstaaten gegen das Gemeinschaftsrecht kommt eine Haftung des Mitgliedstaats dann in Betracht, wenn die verletzte Gemeinschaftsrechtsnorm bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, der Verstoß hinreichend qualifiziert ist und zwischen diesem Verstoß und dem dem Einzelnen entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht (vgl. BGH NJW 2005, 742 m.w.N.).

Unter Berücksichtigung der unter I.1. b) cc) getroffenen Erwägungen liegt schon kein hinreichend qualifizierter Verstoß vor.

Auch keine Ausnahme unter dem Aspekt des Amtsmissbrauchs

2. Schließlich greift auch keine Ausnahme unter dem Aspekt des Amtsmissbrauchs ein.

In Fällen des Amtsmissbrauchs wird der Kreis der geschützten Dritter besonders weit gefasst, mithin wenn der Hoheitsträger entgegen der Amtspflicht, sich jedes Amtsmissbrauchs zu enthalten sowie deliktische Eingriffe zu unterlassen, gehandelt hat. Die Verpflichtung, sich jedes Amtsmissbrauchs zu enthalten, obliegt dem Amtsträger schlechthin gegenüber jedem, der durch ihre Verletzung geschädigt werden kann. Entsprechendes gilt in den Fällen der Amtspflichtverletzung durch sittenwidrige Schädigung Dritter. Der nach Amtshaftungsrecht anspruchsberechtigte Dritte ist der „Verletzte“ im Sinne des § 826 BGB, also jeder, der durch eine sittenwidrige Amtsführung einen Vermögensschaden erleidet (vgl. MüKo-Papier/Shirvani, 8. Aufl., 2020, § 839 BGB Rn. 328).

Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, und gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (vgl. z. B. BGH NJW 2014 Seite 1380). Allein der Verstoß gegen vertragliche oder gesetzliche Pflichten genügt hierzu nicht. Es muss vielmehr eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens hinzutreten, wobei sich die Verwerflichkeit aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der das Handeln tragenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (vgl. BGH a.a.O.).

Ausgehend hiervon hat der Kläger nicht ausreichend zu einem sittenwidrigen Verhalten vorgetragen. Der Kläger trägt zwar diverse Pflichten vor, die die Mitarbeiter der Beklagten zu 1.) hätten erfüllen müssen. Unterstellt, dass den Mitarbeiter der Beklagten zu 1.) tatsächlich entsprechende Pflichtverstöße vorzuwerfen wären, kann hieraus jedoch kein sittenwidriges Verhalten gefolgert werden, da aus den unterstellten Pflichtverstößen keine besondere Verwerflichkeit gefolgert werden kann. Der Kläger hat nicht vorgetragen, aus welchen Umständen er eine solche folgert. Allein der Umstand, dass Mitarbeiter der Beklagten zu 1.) Aktien der Wirecard-AG besessen haben, vermag ein sittenwidriges Verhalten noch nicht zu begründen. Es ist nicht ersichtlich, dass diese Mitarbeiter der Beklagten zu 1.) auf Grund der angeblichen Pflichtverstöße nicht an dem Wertverfall der Aktien teilgenommen haben.

Keine Ansprüche gegen die Beklagten

II. Ebenso bestehen keine Ansprüche gegen die Beklagten zu 2.).

Kein Anspruch aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG

1. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte zu 2.) aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG.

Beklagte ist weder Amtsträger noch Beliehene …

a) Die Beklagte zu 2.) ist weder Amtsträger noch Beliehene. Beliehen ist, wer mit hoheitlichen Befugnissen betraut wird. Der Beklagten zu 2.) kommen keine hoheitlichen Befugnisse zu. Das zweistufige System der Bilanzkontrolle sieht gerade vor, dass die Beklagte zu 2.) im Rahmen ihrer Prüfung keine hoheitlichen Maßnahmen ergreifen kann, sondern im Falle einer fehlenden Mitwirkung die Beklagte zu 1.) einzuschalten ist (vgl. auch BT-Drs. 15/3421).

… noch Verwaltungshelfer

b) Auch ist die Beklagte zu 2.) kein Verwaltungshelfer der Beklagten zu 1.). Verwaltungshelfer ist, wer ohne eigene hoheitliche Befugnisse im Auftrag und nach Weisung einer Verwaltungsbehörde agiert. Die Beklagte zu 2.) tritt nicht als verlängerter Arm des Staates auf und ist insofern weisungsabhängig, sondern nimmt die Prüfungen selbstständig vor (vgl. BT-Drs. 15/3421). Der Beklagten zu 1.) kommen im Rahmen des zweistufigen Prüfungsrechts erst auf einer nachgelagerten Stufe Prüfungsrechte zu. Die Beklagte zu 2.) nimmt insofern nicht die Aufgaben der Beklagten zu 1.) wahr.

Auch keine Haftung gem. §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB, § 826 BGB

2. Dem Vortrag des Klägers ist auch keine Haftung der Beklagten zu 2.) gem. §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB, § 826 BGB zu entnehmen.

Es fehlt ein hinreichend konkreter Vortrag des Klägers als darlegungs- und beweisbelasteter Partei, welches konkrete Verhalten der Beklagten zu 2.) auf ein betrügerisches/ sittenwidriges Verhalten schließen lässt (s.o. unter I. 2.). Insbesondere kann ein solches nicht aus dem Umstand, dass der Vereinsvorstand in unterschiedlichen DAX-Unternehmen aktiv war, gefolgert werden.

Pozessuale Nebenentscheidungen

III. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen den §§ 91, 709 ZPO.

Streitwert: 20.806,95 EUR

 

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