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Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
06.02.2020
Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
FG Münster: In welchem Zeitraum sind aufgrund einer Außenprüfung endgültig nicht zum Abzug zugelassene Vorsteuerbeträge bei einem bilanzierenden Steuerpflichtigen gewinnmindernd zu berücksichtigen?

FG Münster, Urteil vom 20.8.201912 K 2903/15 G, F, rkr.

ECLI:DE:FGMS:2019:0820.12K2903.15G.F.00

Volltext des Urteils: BB-ONLINE BBL2020-367-1

Nicht Amtlicher Leitsatz

Rückstellungen für Mehrsteuern nach einer Außenprüfung sind – außerhalb der Fälle der Steuerhinterziehung – erst im Jahr der Aufdeckung, nicht bereits im Jahr ihrer Entstehung, zu passivieren (Übereinstimmung mit BFH, Beschluss v. 16.12.2009 – I R 43/08, BStBl. II 2012, 688, BB 2010, 627 m. BB-Komm. Kleinmanns; entgegen BFH, Urteil v. 15.3.2012 – III R 96/07, BStBl. II 2012, 719, BB 2012, 1981 m. BB-Komm. Ortmann-Babel).

HGB § 249 Abs. 1, § 252 Abs. 1; EStG § 5 Abs. 1 S. 1; AO § 233a

Sachverhalt

Zu entscheiden ist, ob in den Jahren 2010 und 2011 Vorsteuerbeträge, die umsatzsteuerlich endgültig nicht zum Abzug zugelassen wurden, ertragsteuerlich in den Jahren 2010 und 2011 gewinnmindernd berücksichtigt werden können, und ob Zinsen im Sinne des § 233a der Abgabenordnung (AO) in den Jahren 2009 bis 2011 ertragsteuerlich gewinnmindernd berücksichtigt werden können.

Die Klägerin betreibt ihr Unternehmen in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG. In den Streitjahren 2009 bis 2011 handelte sie mit Mobilfunkzubehör und Mobilfunkgeräten. Komplementärin der Klägerin ist die nicht am Gesellschaftskapital beteiligte C-Beteiligungs-GmbH. Kommanditisten der Klägerin, jeweils mit einer Kapitalbeteiligung in Höhe von X €, sind Herr E 1 und Herr E 2. Herr E 2 ist zugleich Geschäftsführer der Komplementärin.

Die Klägerin ermittelt ihren Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich nach §§ 4 Abs. 1, 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Ihre Steuererklärungen für die Streitjahre reichte sie am 06.12.2010 (für 2009), am 15.09.2011 (für 2010) sowie am 22.03.2013 (für 2011) ein.

Der Beklagte stellte die Besteuerungsgrundlagen der Klägerin mit Bescheiden vom 21.02.2011 (für das Jahr 2009), vom 12.10.2011 (für das Jahr 2010) und vom 10.05.2013 (für das Jahr 2011), die gemäß § 164 Abs. 1 AO jeweils unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergingen, gesondert und einheitlich fest. Hierbei berücksichtigte er im Feststellungszeitraum 2009 einen gewerblichen Gewinn in Höhe von X €, im Feststellungszeitraum 2010 gewerbliche Einkünfte in Höhe von X € und im Feststellungszeitraum 2011 in Höhe von X €.

Die Gewerbesteuermessbeträge stellte der Beklagte für das Kalenderjahr 2009 auf X €, für das Kalenderjahr 2010 auf X € und für das Kalenderjahr 2011 auf X € fest.

Aufgrund einer Prüfungsanordnung vom 07.05.2013 führte der Beklagte für die Veranlagungszeiträume 2009 bis 2011 eine Außenprüfung bei der Klägerin durch, die mit Prüfungsbericht vom 12.05.2014 abschloss.

Zuvor hatte eine Kontrollmitteilung des Finanzamts für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N vom 12.06.2012 dazu geführt, dass mit Verfügung vom 26.07.2012 durch das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung O Vorermittlungen gegen den Geschäftsführer der Klägerin, Herrn E 2, wegen der geschäftlichen Kontakte der Klägerin zur Firma R sowie dessen Geschäftsführer, Herrn H, eingeleitet wurden. Am 12.04.2013 wurde ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Geschäftsführer der Klägerin eingeleitet, ihm jedoch zunächst noch nicht bekannt gegeben. Aufgrund eines Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses vom 17.04.2013 fand am 07.05.2013 eine Durchsuchung in den Geschäftsräumen der Klägerin sowie der Wohnung ihres Geschäftsführers, Herrn E 2, statt. Zugleich wurde Herr E 2 als Beschuldigter vernommen, wobei er eine Aussage zur Sache verweigerte.

Die Betriebsprüferin stellte fest, die Klägerin habe in den Jahren 2010 und 2011 Eingangsrechnungen der Firma R, mit denen der Ankauf von Mobilfunkgeräten abgerechnet worden sei, verbucht und die in den Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend gemacht.

Offiziell sei Herr H Inhaber der Firma R gewesen. Im Rahmen von Ermittlungen des Finanzamts für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N bei der Firma R sei jedoch festgestellt worden, Herr H erfülle lediglich die Funktion eines Strohmannes. Tatsächlich werde das Unternehmen der Firma R von Herrn P betrieben, dem daher die Umsätze zuzurechnen seien. Dies habe Herr H in seiner Vernehmung durch das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N ausdrücklich bestätigt. In der Folge sei Herr H wegen seiner Rolle in dem aufgedeckten Umsatzsteuerkarussell vom Landgericht N verurteilt worden.

Nach den weitergehenden Ermittlungen der Betriebsprüfung sowie des Finanzamts für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung O bei der Klägerin sei davon auszugehen, dass Herr E 2 seit Beginn der geschäftlichen Verbindung zur Firma  R Kenntnis darüber gehabt habe, dass nicht Herr H, sondern Herr P der tatsächlich leistende Unternehmer gewesen sei.

Im Wesentlichen ergäben sich die Feststellungen aus dem sichergestellten E-Mail-Verkehr sowie der Aussage des Herrn S, eines Arbeitnehmers der Klägerin.

Spätestens ab dem 20.12.2010 sei Herrn E 2 bekannt gewesen, dass die Klägerin über Herrn P in Umsatzsteuerkarussellgeschäfte involviert gewesen sei. Denn bei einer Lieferung der Klägerin von bei der Firma R erworbenen Mobiltelefonen an die Firma L GmbH habe sich herausgestellt, dass 33 der 48 gelieferten Telefone sich bereits bei der Firma L im Lager befunden hätten. Vor diesem Hintergrund habe Herr E 2 in einer E-Mail an seinen Mitarbeiter, Herrn S, den Verdacht geäußert, dass Herr P in Umsatzsteuerkarussellgeschäfte verwickelt sei.

Im Weiteren seien die folgenden Feststellungen hervorzuheben:

Die Klägerin habe bereits vor dem 11.10.2010, d. h. vor Erstellung der ersten streitgegenständlichen Eingangsrechnung der Firma R, eine Geschäftsbeziehung zu Herrn P unterhalten. Herr P habe den Kontakt zwischen der Klägerin und Herrn H hergestellt, der hinsichtlich der Geschäfte der Firma R stets Rücksprache mit Herrn P gehalten habe. Aus den vorgefundenen E-Mails ergebe sich des Weiteren, dass die die Firma R betreffenden Geschäfte tatsächlich zwischen Herr E 2 und Herrn P ausgehandelt worden seien. Die E-Mails ließen ferner erkennen, dass Herr H in die Vereinbarung der Geschäftsmodalitäten nicht eingebunden gewesen sei, dass er nicht entscheidungsbefugt gewesen sei, und dass Herr E 2 von dessen Strohmannfunktion gewusst habe. Insbesondere die Beschimpfungen des Herrn H durch Herrn E 2 in einigen E-Mails deuteten darauf hin, dass Herr H nicht der tatsächliche Geschäftspartner der Klägerin, sondern lediglich ein Erfüllungsgehilfe gewesen sei.

Aufgrund der dargestellten Feststellungen vertrat die Betriebsprüferin die Auffassung, die in den Rechnungen der Firma R ausgewiesene Umsatzsteuer in Höhe von X € im Jahr 2010 sowie in Höhe von X € im Jahr 2011 dürfe nicht als Vorsteuer abgezogen werden, weil Herr H nicht der leistende Unternehmer gewesen sei und Herr E 2 dies gewusst habe. Die Geschäfte seien nur zum Schein abgeschlossen worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Prüfungsbericht vom 12.05.2014 Bezug genommen.

Im Rahmen seiner Vernehmungen durch das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N vom 24.01.2012 und vom 22.03.2012 gab Herr H an, Herr P sei für die Abwicklung der Handy-Geschäfte allein zuständig gewesen, und zwar sowohl im Hinblick auf den An- als auch den Verkauf. Er habe die entsprechenden Rechnungen ausschließlich auf Anweisung des Herrn P gefertigt und unterschrieben. Verfügungsmacht über die Ware habe allein Herr P gehabt. Über die Firma R seien tatsächlich Handys vertrieben worden. Er könne dies beurteilen, da er in den meisten Fällen die Auslieferungsfahrten selbst übernommen habe. Die Geschäfte der Firma R seien jedoch tatsächlich Herrn P zuzurechnen.

Herr S führte im Zuge seiner Vernehmung durch das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung O am 20.06.2013 aus, die Klägerin habe von 2003/2004 bis zum Jahr 2011 eine Geschäftsbeziehung zu Herrn P gehabt. Der Kontakt zwischen der Klägerin und Herrn H sei über Herrn P hergestellt worden. Hinsichtlich der Geschäfte der Firma R habe Herr H Rücksprache mit Herrn P gehalten.

Auf die Vernehmungsprotokolle vom 24.01.2012, vom 22.03.2012 sowie vom 20.06.2013 wird wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen.

Der Beklagte schloss sich den Feststellungen der Außenprüferin an und erließ am 06.08.2014 nach § 164 Abs. 2 AO geänderte Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2009 bis 2011. Im Feststellungszeitraum 2009 legte der Beklagte Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von X € und im Feststellungszeitraum 2011 in Höhe von X € zugrunde. Den Gewerbesteuermessbetrag 2009 setzte er mit Änderungsbescheid vom 29.08.2014 auf X € und den Gewerbesteuermessbetrag 2011 mit Änderungsbescheid vom 15.08.2014 auf X € fest. Für 2010 ergaben sich nach der Betriebsprüfung keine Gewinnänderungen, so dass der Beklagte insoweit mit dem Feststellungsbescheid 2010 vom 06.08.2014 und mit dem Gewerbesteuermessbescheid 2010 vom 20.08.2014 lediglich den Vorbehalt der Nachprüfung aufhob.

Die Gewinnminderungen im Jahr 2009 in Höhe von X € und im Kalenderjahr 2011 im Höhe von X € resultieren aus der Versagung der Steuerfreiheit für innergemeinschaftliche Lieferungen (Tz. 2.3 des Prüfungsberichts vom 12.05.2014), die im vorliegenden Klageverfahren nicht umstritten sind. Darüber hinaus setzte die Prüferin im Veranlagungszeitraum 2011 eine Zinsforderung nach § 233a AO in Höhe von X € als Aktivposten an und bildete ferner eine Rückstellung für Zinsen nach § 233a AO in Höhe von X €. Der Gewinn des Jahres 2011 minderte sich hierdurch um insgesamt X € (Minderung X €, Erhöhung X €, Minderung X €).

Der Rückstellungsbetrag für die Nachforderungszinsen resultiert aus einer Verzinsung des auf den nächsten durch X € teilbaren Betrages des Unterschiedsbetrages zur Umsatzsteuer 2009, der für neun Monate, d . h. die Monate April 2011 bis Dezember 2011, mit 0,5 % verzinst wurde.

 

Unterschiedsbetrag laut Änderungsbescheid

zur Umsatzsteuer 2009 vom 06.08.2014                              X €

abgerundet gemäß § 233a Abs. 2 AO                                            X€

für 9 Monate                                                                                                  x    9 Monate

mit 0,5 %                                                                                                  x          0,5 %

Rückstellungsbetrag bzw. Nachzahlungszinsen                 X €

 

Die hiergegen erhobenen Einsprüche vom 19.08.2014 (betreffend den Gewerbesteuermessbetrag 2011), vom 20.08.2014 (betreffend die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2009 bis 2011), vom 26.08.2014 (betreffend den Gewerbesteuermessbescheid 2010) und vom 03.09.2014 (betreffend den Gewerbesteuermessbetrag 2009) wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidungen vom 24.06.2015 als unbegründet zurück.

Für die Kürzung der Vorsteuern aus den Umsätzen mit der Firma R sei in den Feststellungszeiträumen 2010 und 2011 zu Recht keine entsprechende Gewinnminderung erfolgt. Denn bei den zugrundeliegenden Rechtsgeschäften handele es sich um Umsätze aus Umsatzsteuerkarussellgeschäften, wobei der Geschäftsführer der Klägerin, Herr E 2, Kenntnis vom Vorliegen eines Umsatzsteuerkarussells gehabt habe. Frühestens im Jahr 2013, dem Jahr der aufdeckungsorientierten Maßnahme, könnten die nicht anerkannten Vorsteuern gewinnmindernd berücksichtigt werden.

Mit ihrer Klage macht die Klägerin geltend, die rückgängig gemachten Vorsteuern seien nicht hinterzogen worden. Es stehe vielmehr fest, dass sie, die Klägerin, von der Firma R Handys angekauft, diese bezahlt und später weiterverkauft habe. Diese Umsätze seien ordnungsgemäß verbucht und der Besteuerung unterworfen worden.

Die Mobiltelefone seien ihr, der Klägerin, zu einem üblichen Einkaufspreis angeboten worden, so dass kein Anlass für etwaige Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit des Geschäftskontakts bestanden habe.

Es stehe fest, dass sie, die Klägerin, für den Erwerb der Handys Betriebsausgaben aufgewandt habe. Durch die Versagung des Vorsteuerabzugs erhöhe sich daher der Einkaufspreis für die Handys. Dass sie, die Klägerin, aus der Geschäftsbeziehung mit der Firma R Rückflüsse erhalten habe, sei nicht festgestellt worden.

Der Vorsteuerabzug sei nur rückgängig gemacht worden, weil der Beklagte davon ausgegangen sei, dass die zugrundeliegenden Rechnungen nicht vom leistenden Unternehmer ausgestellt worden seien, und dass Herr E 2 dies gewusst habe.

Diese Annahme sei jedoch unzutreffend, denn Herr E 2 sei vom Amtsgericht T vom Vorwurf der Steuerhinterziehung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen worden. Insoweit verweist die Klägerin auf das Urteil des Amtsgerichts T vom 13.04.2016 (Aktenzeichen  Ls- Js ).

Zu Herrn P habe bereits in der Vergangenheit, als dieser noch ein eigenes Unternehmen betrieben habe, eine Geschäftsbeziehung bestanden. Beanstandungen habe es im Rahmen dieses geschäftlichen Kontakts nie gegeben.

Im Laufe des Jahres 2010 sei Herr P auf Herr E 2 zugekommen und habe ihm, als Mitarbeiter der Firma R, d. h. als Mitarbeiter des Herrn H, Mobilfunkgeräte zum Ankauf angeboten. In der Folge hätten sowohl Herr E 2 als auch die Mitarbeiter der Klägerin Herrn H persönlich kennengelernt.

Die Tatsache, dass die wesentlichen Vertragsverhandlungen mit Herrn P geführt worden seien, sei kein Indiz dafür, dass dieser der tatsächliche Firmeninhaber der Firma R gewesen sei. Es entspreche den Gepflogenheiten im geschäftlichen Verkehr, Vertragsmodalitäten mit dem Verkäufer einer Firma – und nicht mit dem Firmeninhaber – auszuhandeln. Von Seiten der Klägerin sei daher unter anderem Herr S in die Verhandlungen eingebunden gewesen. Geschäftsinhaber sei Herr H gewesen. Mit diesem seien die Verträge geschlossen worden.

Die Klägerin hebt hervor, es sei keine Steuerhinterziehung gegeben. Demnach lägen Steuernachforderungen aufgrund einer Außenprüfung vor, für die eine Passivierung von Rückstellungen im Jahr der wirtschaftlichen Verursachung zulässig sei.

Für die Veranlagungszeiträume 2009 bis 2011 seien bisher keine Nachzahlungszinsen im Sinne des § 233a AO berücksichtigt worden. Insoweit seien ebenfalls Rückstellungen, und zwar im Jahr 2009 in Höhe von X €, im Jahr 2010 in Höhe von X € und im Jahr 2011 in Höhe von X €, zu bilden.

Die Klägerin beantragt,

-              1. den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen 2009 vom 06.08.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24.06.2015 dahingehend zu ändern, dass Zinsen nach § 233a AO in Höhe von X € gewinnmindernd berücksichtigt werden und der gewerbliche Gewinn auf X € festgestellt wird,

-              2. den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen 2010 vom 06.08.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24.06.2015 dahingehend zu ändern, dass die nicht anerkannten Vorsteuern in Höhe von X € sowie Zinsen nach § 233a AO in Höhe von X € gewinnmindernd berücksichtigt werden und der gewerbliche Gewinn auf X € festgestellt wird,

-              3. den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen 2011 vom 06.08.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24.06.2015 dahingehend zu ändern, dass die nicht anerkannten Vorsteuern in Höhe von X € sowie Zinsen nach § 233a AO in Höhe von X € gewinnmindernd berücksichtigt werden und der gewerbliche Gewinn auf X € festgestellt wird,

-              4. den Gewerbesteuermessbescheid 2009 vom 29.08.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24.06.2015 dahingehend zu ändern, dass der Gewerbesteuermessbetrag auf X € festgesetzt wird,

-              5. den Gewerbesteuermessbescheid 2010 vom 20.08.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24.06.2015 dahingehend zu ändern, dass der Gewerbesteuermessbetrag auf X € festgesetzt wird,

-              6. den Gewerbesteuermessbescheid 2011 vom 15.08.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24.06.2015 dahingehend zu ändern, dass der Gewerbesteuermessbetrag auf X € festgesetzt wird.

Der Beklagte beantragt,

              die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf die Einspruchsentscheidung und führt ergänzend aus, Herr E 2 habe Kenntnis davon gehabt, dass Herr H lediglich als Strohmann eingesetzt gewesen sei. Die in den Jahren 2010 und 2011 nicht anerkannte Vorsteuer, sei in den Feststellungszeiträumen 2010 und 2011 daher zu Recht nicht gewinnmindernd berücksichtigt worden. Es liege eine Umsatzsteuerhinterziehung vor, so dass der Aufwand frühestens im Jahr der aufdeckungsorientierten Maßnahme – vorliegend im Jahr 2013 – anerkannt werden könne.

Das Gericht hat die Akten des unter dem Aktenzeichen 5 K 2289/15 vor dem Finanzgericht Münster wegen Umsatzsteuer 2009 bis 2011 geführten Klageverfahrens beigezogen. Das Finanzgericht Münster hatte die Klage wegen Umsatzsteuer 2009 bis 2011 mit Urteil vom 24.04.2018 abgewiesen. Die hiergegen erhobene Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom Bundesfinanzhof als unzulässig zurückgewiesen (Aktenzeichen XI B 54/18).

In den Gerichtsakten zu dem Verfahren 5 K 2289/15 befindet sich das Urteil des Amtsgerichts T vom 13.04.2016 (Aktenzeichen Ls- Js ), mit dem Herr E 2 vom Tatvorwurf der Steuerhinterziehung freigesprochen wurde. Das Schöffengericht führte aus, dem Angeklagten habe nicht nachgewiesen werden können, dass er sich an einem Umsatzsteuerkarussell des Herrn P beteiligt habe, noch dass er überhaupt von einem solchen Umsatzsteuerkarussell gewusst habe. Der Angeklagte habe zu der E-Mail an Herrn S vom 20.12.2010 nachvollziehbar dargelegt, dass der Hinweis auf Karussellgeschäfte „ins Blaue“ erfolgt sei. Weitere Indizien, die für die Schuld des Angeklagten sprächen, hätten die Vernehmungen der Zeugen S, K und H nicht ergeben. Insbesondere habe Herr H bekundet, selbst nichts von den Machenschaften des Herrn P gewusst und diesem vielmehr vertraut zu haben, weil Herr P ein Bekannter der Familie gewesen sei. Gegen die Schuld des Angeklagten spreche ferner, dass er damals insbesondere und hauptsächlich mit Zubehörteilen gehandelt habe und der geringfügige Handel mit Mobiltelefonen selbst wegen der geringen Gewinnmarge für ihn allenfalls ein Zubrot gewesen sei. Es hätte für den Angeklagten keinerlei Sinn gemacht, sich in diesem Geschäftsfeld an illegalen Geschäften des Herrn P zu beteiligten.

Der Senat hat am 20.08.2019 in der Sache mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge, die beigezogenen Akten des Verfahrens 5 K 2289/15 sowie die Verfahrensakte Bezug genommen.

Aus den Gründen

Unbegründetheit der Klage

Die Klage ist unbegründet.

Die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2009 bis 2011 vom 06.08.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24.06.2015 sowie die Gewerbesteuermessbescheide vom 15.08.2019 (für das Jahr 2011), vom 20.08.2014 (für das Jahr 2010) und vom 29.08.2014 (für das Jahr 2009) jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24.06.2015 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

Rückstellung für Nachzahlungszinsen

1. Zinsen nach § 233a AO sind vom Beklagten zutreffend ausschließlich im Rahmen der Gewinnermittlung für den Veranlagungszeitraum 2011 in Höhe von X € steuermindernd berücksichtigt worden.

Entgegen der Auffassung der Klägerin können weder im Jahr 2009 Nachzahlungszinsen in Höhe von X € noch im Jahr 2010 Nachzahlungszinsen in Höhe von X € gewinnmindernd berücksichtigt werden. Zudem ist die Bildung einer Rückstellung für Zinsen nach § 233a AO im Veranlagungszeitraum 2011 nur in Höhe von X € und nicht – wie von der Klägerin beantragt – in Höhe von X € möglich.

Nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung sind Vermögensgegenstände (Wirtschaftsgüter) und Schulden in der Bilanz einzeln zu bewerten (§ 252 Abs. 1 Nr. 3 des Handelsgesetzbuchs -HGB-) und zu erfassen (Bundesfinanzhof -BFH- Urteil vom 15.10.1997 I R 16/97, Bundessteuerblatt -BStBl- II 1998, 249 [BB 1998, 739]). Für die bilanzielle Erfassung von Verbindlichkeiten in Form von Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO folgt daraus, dass ihre Passivierungsvoraussetzungen eigenständig und unabhängig von den Voraussetzungen der zugrunde liegenden Steuerschuld vorliegen müssen.

Hinsichtlich der im Streitfall relevanten Frage, ob und gegebenenfalls ab wann in Bezug auf Nachzahlungszinsen für Zeiträume vor ihrer behördlichen Festsetzung Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB zu bilden sind, sind deshalb die allgemeinen Voraussetzungen der Rückstellungsbildung bezogen auf die speziellen Modalitäten der Nachzahlungszinsen zu prüfen. Das gilt auch für die Rückstellungserfordernisse der Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme und der wirtschaftlichen Verursachung in der Zeit vor dem jeweiligen Bilanzstichtag (BFH-Urteil vom 30.01.2002 I R 71/00, BStBl II 2003, 279 [BB 2002, 1687 m. BB-Komm. Wüstemann]).

Bei Anwendung dieser Kriterien auf die Nachzahlungszinsen ist eine Passivierung bereits zum Ende des Wirtschaftsjahrs, in dem die zugrunde liegende Steuer entstanden ist, ausgeschlossen. Denn zum einen kann zu diesem Zeitpunkt keine Aussage darüber getroffen werden, ob, wann und in welcher Höhe künftig Nachzahlungszinsen gezahlt werden müssen, weil die Entstehung und die Höhe von Nachzahlungszinsen von Zeitpunkt und Inhalt künftiger Steuerfestsetzungen abhängt, die zu diesem Zeitpunkt nicht prognostizierbar sind. Zum anderen handelt es sich bei den Nachzahlungszinsen um Verbindlichkeiten, deren wesentliche Voraussetzung der Ablauf eines bestimmten Zeitraums ist, nämlich des Zeitraums zwischen dem Ende des 15. Monats nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist, und dem Zeitpunkt der Fälligkeit der durch die Steuerfestsetzung konkretisierten Steuerschuld (§ 233a Abs. 2 Sätze 1 und 3 AO). Dieser Zeitraum liegt denknotwendig nach dem Bilanzstichtag des Wirtschaftsjahrs, in dem die Steuer entstanden ist, so dass der Anspruch auf Nachzahlungszinsen nicht schon vor diesem Bilanzstichtag wirtschaftlich verursacht sein kann (BFH-Beschluss vom 24.08.2011 I B 1/11, BFH/NV 2011, 2044).

Der Unterschiedsbetrag aus dem Umsatzsteuerbescheid 2009 vom 06.08.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24.06.2015 in Höhe von X € war gemäß §§ 233a, 238 AO erst ab dem 01.04.2011 zu verzinsen. Da der Zinslauf nicht bereits in den Jahren 2009 und 2010 begann, kommt für diese Veranlagungszeiträume keine Rückstellungsbildung in Betracht.

Der Unterschiedsbetrag aus dem Umsatzsteuerbescheid 2011 vom 06.08.2014 in Form der Einspruchsentscheidung vom 24.06.2015 war gemäß §§ 233a, 238 AO erst ab dem 01.04.2013 und daher erst nach dem Streitzeitraum zu verzinsen. Die Bildung einer Rückstellung im Jahr 2011 scheidet insoweit daher aus.

Der Höhe nach ist die Rückstellungsbildung für 2011 nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat den Unterschiedsbetrag von X € zutreffend gemäß § 238 Abs. 2 AO auf X € abgerundet und für 9 Monate (vom 01.04.2011 bis zum 31.12.2011) mit jeweils 0,5 % pro Monat verzinst (X € x 0,5 % x 9 Monate = X €, abgerundet = X €).

Keine gewinnmindernde Berücksichtigung der nicht anerkannten Vorsteuerbeträge

2. Darüber hinaus kommt eine gewinnmindernde Berücksichtigung der nicht anerkannten Vorsteuerbeträge im Jahr 2010 in Höhe von X € und im Kalenderjahr 2011 in Höhe von X € nicht in Betracht.

Die nicht anerkannten Vorsteuerbeträge können weder als Betriebsausgaben nach § 4 Abs. 4 EStG berücksichtigt werden, weil – wie die Klägerin vorträgt – deren Nichtanerkennung den Einkaufspreis erhöht hat (vgl. unter 2. a), noch sind für sie in den Streitjahren Rückstellungen für Steuernachforderungen, d. h. Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten aus öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen, gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG zu bilden (vgl. unter 2. b)).

Kein Abzug als Betriebsausgabe

a) Die Klägerin ermittelt ihren Gewinn nach §§ 4 Abs. 1, 5 EStG durch Bestandsvergleich. Die von ihr im Rahmen des Ankaufs der Mobilfunkgeräte von der Firma R gezahlte Vorsteuer in Höhe von X € im Kalenderjahr 2010 sowie in Höhe von X € im Kalenderjahr 2011 ist im Rahmen ihrer Gewinnermittlung für die Streitjahre 2010 und 2011 erfolgsneutral zu behandeln. Nur im Rahmen einer Einnahmeüberschussrechnung gemäß § 4 Abs. 3 EStG sind die im Zuge des Warenankaufs geleisteten Vorsteuerbeträge als Betriebsausgaben abzugsfähig.

Rückstellung für Umsatzsteuernachforderungen

b) Für die Umsatzsteuernachforderungen der Jahre 2010 und 2011 kann die Klägerin, soweit die Nachforderungen auf den nicht anerkannten Vorsteuern in Höhe von X € in 2010 sowie in Höhe von X € in 2011 beruhen, grundsätzlich eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten aus einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG in Verbindung mit § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB bilden.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Rückstellung insoweit jedoch nicht in den Streitjahren 2010 und 2011, sondern frühestens im Veranlagungszeitraum 2013 zu bilden.

Hinreichende Wahrscheilichkeit als Voraussetzung für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten

aa) Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG hat die Klägerin in ihren Bilanzen das Betriebsvermögen anzusetzen, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist. Auf diesen Grundsätzen beruht unter anderem die Vorschrift des § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB. Danach sind für ungewisse Verbindlichkeiten Rückstellungen zu bilden. Die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten setzt eine betrieblich veranlasste, aber ungewisse Verpflichtung gegenüber einem Dritten voraus, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit entstehen und zu einer Inanspruchnahme des Steuerpflichtigen führen wird, und die ihre wirtschaftliche Verur-sachung im Zeitraum vor dem Bilanzstichtag findet (BFH-Urteil vom 30.11.2005 I R 110/04, BStBl II 2007, 251 [BB 2006, 765]).

Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung dürfen sowohl Rückstellungen wegen zivilrechtlicher Schadensersatzverpflichtungen als auch wegen öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen erst gebildet werden, wenn derjenige, der Inhaber des gegen den Steuerpflichtigen gerichteten Anspruchs ist, von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis hat oder eine solche Kenntniserlangung unmittelbar bevorsteht, so dass eine Inanspruchnahme wahrscheinlich ist (Weber-Grellet in Schmidt, EStG-Kommentar, 38. Aufl. 2019, § 5 Rz. 379). Für eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme reicht es nicht schon aus, dass es einen Gläubiger gibt. Vielmehr muss dieser seinen Anspruch kennen. Aus dem Vorsichtsprinzip folgt lediglich, dass nicht nur die bestehende Kenntnis, sondern auch eine unmittelbar bevorstehende Kenntniserlangung des Gläubigers die Bildung einer Rückstellung rechtfertigt (BFH-Urteil vom 19.10.1993 VIII R 14/92, BStBl II 1993, 891, betr. öffentlich-rechtliche Verpflichtungen [BB 1994, 37]; BFH-Urteil vom 25.04.2006 VIII R 40/04, BStBl II 2006, 749, betr. zivilrechtliche Schadensersatzverpflichtungen [BB 2006, 2295 m. BB-Komm. Hommel]).

Ob eine Inanspruchnahme aus der ungewissen Verbindlichkeit zu erwarten ist, richtet sich nach den Verhältnissen des jeweiligen Bilanzstichtags unter Berücksichtigung der bis zur Bilanzaufstellung – oder bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Bilanz im ordnungsgemäßen Geschäftsgang (§ 243 Abs. 3 HGB) aufzustellen gewesen wäre –bekannt werdenden wertaufhellenden Umstände (BFH-Urteile vom 02.10.1992 III R 54/91, BStBl II 1993, 153 [BB 1993, 181] und vom 22.08.2012 X R 23/10, BStBl II 2013, 76 [BB 2012, 2747 m. BB-Komm. von Glasenapp]).

Für die Rückstellungsbildung reicht es nicht aus, dass nach allgemeiner Erfahrung im Anschluss an Außen- und Fahndungsprüfungen häufig mit der Festsetzung von Mehrsteuern zu rechnen ist. Eine Rückstellung ist vielmehr erst zu dem Bilanzstichtag zu bilden, zu dem der Steuerpflichtige aufgrund eines hinreichend konkreten Sachverhalts ernsthaft mit einer quantifizierbaren Steuernachforderung rechnen muss, also frühestens dann, wenn der Prüfer eine bestimmte Sachbehandlung beanstandet hat, was in der Rechtsprechung mit dem Begriff der „aufdeckungsorientierten Maßnahme“ bezeichnet wird (BFH-Urteile vom 16.02.1996 I R 73/95, BStBl II 1996 [BB 1996, 1323]; vom 27.11.2001 VIII R 36/00, BStBl II 2002, 731 [BB 2002, 1359 m. BB-Komm. Schulze-Osterloh] und vom 22.08.2012 X R 23/10, BStBl II 2013, 76 [BB 2012, 2747 m. BB-Komm. von Glasenapp]).

Im Streitfall mangelt es in den Streitjahren an der hinreichenden Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme

bb) In den Streitjahren 2010 und 2011 mangelt es für eine Rückstellungsbildung an der hinreichenden Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme.

Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme der Klägerin war frühestens ab Mai 2013 und somit nach den entscheidungserheblichen Bilanzstichtagen, dem 31.12.2010 und dem 31.12.2011, gegeben. Denn erst mit Beginn der Außenprüfung und Durchführung der Durchsuchungs- und Beschlagnahmemaßnahme im Mai 2013 hat der Beklagte hinreichende Erkenntnisse für die steuerliche Behandlung der Vorsteuerbeträge aus dem Ankauf der Mobilfunkgeräte von der Firma R erlangt. Zudem hat die Klägerin erst ab diesem Zeitpunkt mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mit einer Inanspruchnahme rechnen müssen.

Keine Berücksichtigung der durchgeführten Prüfungsmaßnahmen als wertaufhellende Umstände

(1) Als wertaufhellende Umstände, die eine Rückstellungsbildung in den Streitjahren ermöglichen würden, können die ab Mai 2013 durchgeführten Prüfungsmaßnahmen nicht berücksichtigt werden, da die Berücksichtigung wertaufhellender Umstände nur bis zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung bzw. zu dem Zeitpunkt, zu dem die Bilanz im ordnungsmäßigen Geschäftsgang aufzustellen gewesen wäre, in Betracht kommt.

Der Jahresabschluss für 2010 wurde spätestens am 06.12.2011, dem Tag der Abgabe der Steuererklärungen, erstellt. Die Bilanz zum 31.12.2011 wurde spätestens am 22.03.2013 gefertigt, was ebenfalls dem Datum der Abgabe der Steuererklärungen entspricht. Im ordnungsmäßigen Geschäftsgang hätte der Jahresabschluss 2011 bereits bis zum 31.12.2012 erstellt werden müssen, d. h. spätestens ein Jahr nach dem Bilanzstichtag. An diesem Tag endet der Wertaufhellungszeitraum (BFH-Beschluss vom 12.12.2012 I B 27/12, BFH/NV 2013, 545).

Dem Beklagten sind die wesentlichen Umstände zu den Warenankäufen von der Firma R jedoch erst im Mai 2013 in einer Weise und einem Umfang bekannt geworden und auch der Geschäftsführer der Klägerin, Herr E 2, hat erst am Tag des Prüfungsbeginns bzw. der Durchsuchung (am 07.05.2013) Kenntnis davon erlangt, dass eine Inanspruchnahme der Klägerin wahrscheinlich sein könnte. Das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung O hatte zwar bereits im Juli 2012 mit Vorermittlungen begonnen. Es liegen jedoch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Behörde aufgrund dieser Vorermittlungen bereits hinreichende Feststellungen im Hinblick auf die Versagung des Vorsteuerabzugs treffen konnte, oder dass die Klägerin bzw. ihr Geschäftsführer bereits Kenntnis von den Vorermittlungen und einer drohenden Inanspruchnahme hatten.

Keine Rückstellungsbildung im Jahr der wirtschaftlichen Verursachung

(2) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist eine Rückstellungsbildung im Jahr der wirtschaftlichen Verursachung, d. h. in den Streitjahren 2010 und 2011, zu verneinen.

Gewinnmindernde Berücksichtigung der Rückstellung erst zu dem Bilanzstichtiag, zu dem die Tat entdeckt ist oder die Tatentdeckung jedenfalls unmittelbar bevorsteht

(a) Soweit Rückstellungen für die drohende Inanspruchnahme des Steuerpflichtigen aus von ihm hinterzogenen Steuern zu bilden sind, dürfen diese nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung erst zu dem Bilanzstichtag gewinnmindernd berücksichtigt werden, zu dem die Tat entdeckt ist oder die Tatentdeckung jedenfalls unmittelbar bevorsteht (BFH-Urteil vom 22.08.2012 X R 23/10, BStBl II 2013, 76 [BB 2012, 2747 m. BB-Komm. von Glasenapp]). Das ist vorliegend der Veranlagungszeitraum 2013.

Zwar geht der Senat – insoweit in Übereinstimmung mit der Klägerin – davon aus, dass in Bezug auf die Geschäftsbeziehung der Klägerin zur Firma R in den Streitjahren 2010 und 2011 keine Steuerhinterziehung gegeben ist. Diesbezüglich schließt sich das erkennende Gericht den Feststellungen aus dem Urteil des Amtsgerichts T vom 13.04.2016 (Aktenzeichen Ls- Js ) an. Denn unter Berücksichtigung der dortigen Ausführungen sowie der vorliegenden Aktenlage konnte der Senat nicht zu der erforderlichen vollen Überzeugung des Vorliegens einer Steuerhinterziehung gelangen. Aus der E-Mail des Herrn E 2 an Herrn S vom 20.12.2010 ist nicht der zwingende Schluss zu ziehen, dass Herr E 2 sicher vom Bestehen eines Umsatzsteuerkarussells ausging. Herr E 2 äußert in der E-Mail vom 20.12.2010 lediglich eine Vermutung und formuliert zugleich seine ablehnende Haltung gegenüber derartigen Geschäftsmodellen. Da die Klägerin ihre Geschäftsbeziehung zur Firma R im Nachgang fortgesetzt hat, ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass Herr E 2 nach einer Rücksprache mit Herrn P nicht mehr vom Bestehen eines Umsatzsteuerkarussells ausging. Die Fortsetzung dieser Geschäftsbeziehung wäre für die Klägerin auch nicht notwendig gewesen, da sie in den Streitjahren im Wesentlichen mit Mobilfunkzubehör handelte und der Handel mit Mobiltelefonen nur einen kleinen Teil ihrer Geschäftstätigkeit betraf. Daraus, dass Herr P den Kontakt zwischen der Klägerin und der Firma R hergestellt hat und dass Herr H Rücksprache mit Herrn P gehalten hat, lässt sich aus der Sicht des Gerichts ebenfalls nicht zur vollen Überzeugung auf eine Beteiligung der Klägerin bzw. des Herrn E 2 an einer Steuerhinterziehung schließen. Allein aus der Art und Weise der Anbahnung der Geschäftsverbindung sowie der Einschaltung des Herrn P in die Vertragsverhandlungen lässt sich nicht ableiten, dass Herr E 2 tatsächlich von der Strohmanneigenschaft des Herrn H gewusst hat. Da Herr H offensichtlich in vielen Bereichen in die Abwicklung der Verkäufe eingebunden war und auch als erster Ansprechpartner für die Klägerin zur Verfügung stand, ist jedenfalls nicht sicher festzustellen, dass Herr E 2 nicht Herrn H, sondern Herrn P für den eigentlichen Unternehmer hielt. Diese Feststellung wäre für die Bejahung des Hinterziehungsvorsatzes jedoch erforderlich.

Rückstellungen für die Steuernachforderungen aufgrund der Außenprüfung können frühestens im Prüfungsjahr gebildet werden

(b) Das Gericht ist dennoch der Auffassung, Rückstellungen für die Steuernachforderungen aufgrund der Außenprüfung in Höhe von X € (betreffend das Jahr 2010) und in Höhe von X € (betreffend das Jahr 2011) können nicht in den Streitjahren 2010 und 2011, sondern frühestens im Jahr 2013, dem Prüfungsjahr, gebildet werden.

Die Frage des Zeitpunkts der Berücksichtigung von Mehrsteuern infolge einer Außenprüfung, die nicht auf einer Steuerhinterziehung beruhen, ist – soweit dies für den Senat ersichtlich ist – bislang höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärt (zur bisher fehlenden höchstrichterlichen Klärung: BFH-Urteil vom 22.08.2012 X R 23/10, BStBl II 2013, 76 [BB 2012, 2747 m. BB-Komm. von Glasenapp] und Kulosa, HFR 2012, 1234; für eine Berücksichtigung erst im Jahr der Kenntnis von den Mehrsteuern: BFH-Beschluss vom 16.12.2009 I R 43/08, BStBl II 2012, 688 [BB 2010, 627 m. BB-Komm. Kleinmanns]; für eine Passivierung zu Lasten des Steuerentstehungsjahres: BFH-Urteil vom 15.03.2012 III R 96/07, BStBl II 2012, 719 [BB 2012, 1981 m. BB-Komm. Ortmann-Babel]).

Während der 1. Senat des Bundesfinanzhofs in seinem Beschluss vom 16.12.2009 I R 43/08, BStBl II 2012, 688 [BB 2010, 627 m. BB-Komm. Kleinmanns] nicht beanstandete, dass die Rückstellungen erst im Jahr des Aufgriffs des steuerlichen Sachverhalts durch die Außenprüfung gebildet wurden und er eine zwingende Bilanzierung von Mehrsteuern aufgrund einer Betriebsprüfung im Jahr der Steuerentstehung nur dann für geboten hielt, wenn der Steuerpflichtige bei Aufstellung der Bilanz unter Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns mit der Entstehung der Mehrsteuern rechnen musste, kam der 3. Senat des Bundesfinanzhofs in seiner Entscheidung vom 15.03.2012 III R 96/07, BStBl II 2012, 719 [BB 2012, 1981 m. BB-Komm. Ortmann-Babel] zu dem Ergebnis, die – nicht hinterziehungsrelevanten – Steuernachforderungen aufgrund einer Außenprüfung seien im Steuerentstehungsjahr und nicht erst im Jahr der Aufdeckung der Vorgänge durch die Betriebsprüfung zu passivieren (vgl. BFH-Urteil vom 22.08.2012 X R 23/10, BStBl II 2013, 76 [BB 2012, 2747 m. BB-Komm. von Glasenapp], Kulosa, HFR 2012, 1234 und Finanzgericht -FG- Düsseldorf, Urteil vom 29.08.2013 13 K 4451/11, EFG 2014, 253).

Der letztgenannten Auffassung ist aus Sicht des erkennenden Gerichts nicht zu folgen.

Mehrsteuern aufgrund einer Außenprüfung sind erst zu dem Bilanzstichtag zu bilden, zu dem der Steuerpflichtige mit der Aufdeckung des zu den Mehrsteuern führenden Sachverhalts rechnen muss (BFH-Beschluss vom 16.12.2009 I R 43/08, BStBl II 2012, 688 [BB 2010, 627 m. BB-Komm. Kleinmanns]; FG Düsseldorf, Urteil vom 29.08.2013 13 K 4451/11, EFG 2014, 253; Wendt, FR 2013, 123; Tiedchen in Hermann/Heuer/Raupach, EStG/KStG-Kommentar, 290. Lieferung 01.2019, § 5 EStG Stichwort „Betriebsprüfung“). Eine unterschiedliche Behandlung von Mehrsteuern aufgrund einer Betriebsprüfung und hinterzogenen Mehrsteuern erscheint nicht gerechtfertigt.

Das Gericht verkennt nicht, dass bei Steuerschulden die aus der Verwirklichung des Besteuerungstatbestandes folgende Verpflichtung am Bilanzstichtag dem Grunde und der Höhe nach bereits existent ist.

Entscheidend ist jedoch auch hier das Tatbestandsmerkmal der „hinreichenden Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme“. Die Passivierung einer Verbindlichkeit aus einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung erfordert, dass der Steuerpflichtige durch die Verbindlichkeit wirtschaftlich bereits belastet ist. Dies setzt voraus, dass der Gläubiger seinen Anspruch kennt und anzunehmen ist, dass er diesen durchsetzen wird. Das Finanzamt muss demnach Kenntnis von den Tatsachen haben, aus denen sich ein Steueranspruch ergibt, bzw. die Kenntnis des Finanzamts hiervon muss unmittelbar bevorstehen.

Dies ist nach Auffassung des Senats frühestens zum Zeitpunkt der Beanstandung einer bestimmten Sachbehandlung durch den Außenprüfer anzunehmen. Erst durch die so genannten „aufdeckungsorientierte Maßnahme“ erhält das Finanzamt Kenntnis von dem die Steuer begründenden Lebenssachverhalt.

Im Streitfall hat der Beklagte erst durch die Durchsuchungs- und Beschlagnahmemaßnahme sowie die sich anschließende Betriebsprüfung von dem steuerlich relevanten Sachverhalt Kenntnis erlangt. Zugleich hat die Klägerin erst ab Mai 2013 mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mit Steuernachforderungen rechnen müssen.

Kostenentscheidung

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Zulassung der Revision

4. Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 FGO zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erforderlich ist. Die Frage, ob eine Rückstellung für Steuernachforderungen aufgrund einer Außenprüfung, denen keine Steuerhinterziehung zugrunde liegt, bereits im Jahr der wirtschaftlichen Verursachung oder erst im Jahr der „Aufdeckung“ zu bilden ist, ist von allgemeinem Interesse und höchstrichterlich – soweit für den Senat ersichtlich – bislang noch nicht abschließend geklärt (vgl. unter 2. b) bb) (2) (b)).

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