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Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
13.04.2023
Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
FG Münster : Gutachten auf Basis der ImmoWertV geeigneter Nachweis für geringe Nutzungsdauer im Rahmen des § 7 Abs. 4 S. 2 EStG

FG Münster, Urteil vom 14.2.2023 – 1 K 3840/19 F, rkr.

ECLI:DE:FGMS:2023:0214.1K3840.19F.00

Volltext des Urteils://BB-ONLINE BBL2023-879-1

Leitsätze (des Kommentators)

1. Zum Nachweis einer geringeren Nutzungsdauer gem. § 7 Abs. 4 S. 2 EStG kann auch ein Gutachten nach Maßgabe der Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV) herangezogen werden.

2. Der Steuerpflichtige hat ein Wahlrecht zwischen der pauschalierenden Nutzungsdauer eines Gebäudes nach § 7 Abs. 4 S. 1 EStG und einer auf einer Schätzung basierenden hiervon abweichenden Nutzungsdauer

3. Maßgebliche Determinanten für die Schätzung sind neben dem tatsächlichen Verschleiß die wirtschaftliche Entwertung des Gebäudes sowie rechtliche Gegebenheiten, welche dessen Nutzungsdauer begrenzen können.

EStG § 7 Abs. 4; EStDV § 11c; ImmoWertV §§ 21 ff. i. V. m. § 6 Abs. 6

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten für die Jahre 2011 bis 2016 (Streitjahre) anlässlich der Absetzung für Abnutzung (AfA) für verschiedene Gebäude über deren Restnutzungsdauer.

Die Klägerin, eine vermögensverwaltende GmbH & Co. KG, ist Eigentümerin von folgenden Grundstücken mit aufstehenden Gebäuden:

 

Immobilie

AfA-BMG

G1

177.831,97

G2

187.200,77

G3

363.827,69

G4

1.087,951,82

G5

586.292,82

G6

419.982,81

G7

1.041.924,42

G8

173.341,80

G9

196.051,59

G10

213.358,72

G11

130.650,75

G12

246.994,41

G13

180.484,12

G14

152.595,91

G15

368.663,82

G16

161.804,80

G17

148.452,14

G18

134.179,16

G19

159.041,77

G20

99.187,34

G21

95.767,09

G22

109.513,87

G23

217.449,17

G24

412.403,59

G25

1.765.705,66

G26

270.037,83

G27

152.216,44

G28

686.475,09

G29

1.392.403,85

G30

533.284,57

G31

139.522,13

G32

191.651,53

G33

240.583,83

G34

125.389,03

G35

159.221,13

G36

281.360,75

G37

339.722,72

G38

226.311,91

G39

925.126,39

G40

121.056,48

G41

97.482,33

G42

126.153,60

G43

701.872,75

 

Die AfA-Bemessungsgrundlagen sind zwischen den Beteiligten nicht mehr streitig.

Im Jahr 2016 führte das damals zuständige Finanzamt M bei der Klägerin eine Außenprüfung für die Streitjahre 2011 bis 2014 durch. Die entsprechenden Feststellungsbescheide für die Streitjahre 2011 bis 2013 standen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Im Rahmen der Prüfung wurde seitens des Außenprüfers die Auffassung vertreten, die Bemessungsgrundlage für die Abschreibung der im Eigentum der Klägerin befindlichen Immobilien sei von dieser unzutreffend ermittelt worden, indem sie pauschal 20 % der Gesamtanschaffungskosten der Gebäude als Anschaffungskosten des Grund und Bodens zugrunde gelegt, die verbleibenden Beträge als Anschaffungskosten der aufstehenden Gebäude angesehen und gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG 2 % abgeschrieben habe. Der Außenprüfer vertrat insofern die Auffassung, dass 47 % der Anschaffungskosten auf den Grund und Boden entfielen.

Das Finanzamt M schloss sich der Auffassung des Außenprüfers an und erließ für die Streitjahre 2011 bis 2013 am 28.09.2016 auf § 164 Abs. 2 AO gestützte Änderungsbescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte. Für das Streitjahr 2014 erging ein erstmaliger Feststellungsbescheid. Für sämtliche Streitjahre stellte das Finanzamt M Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung infolge der Minderung der AfA-Beträge von 19.239,01 EUR für das Streitjahr 2011, von ./. 304.405,45 EUR für das Streitjahr 2012, von 583.075,49 EUR für das Streitjahr 2013 sowie von 755.801,72 EUR für das Streitjahr 2014 fest.

In den Feststellungserklärungen für die Streitjahre 2015 und 2016 machte die Klägerin Abschreibungen auf Gebäude in Höhe von insgesamt 554.054 EUR als Werbungskosten geltend. Demgegenüber vertrat der Beklagte infolge der für die Vorjahre durchgeführten Außenprüfung die Auffassung, dass nur Abschreibungen in Höhe von 336.744,33 EUR zu berücksichtigen seien. Entgegen der Auffassung der Klägerin seien nicht pauschal 20 % der Gesamtanschaffungskosten als Anschaffungskosten des Grund und Bodens zu berücksichtigen, sondern es entfielen 47 % auf den Grund und Boden. Das Finanzamt M erließ aufgrund dieser Feststellung am 11.12.2017 erstmals einen Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen der Klägerin für das Streitjahr 2015 und am 16.01.2018 erstmals einen Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen der Klägerin für das Streitjahr 2016, in denen es die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung im Vergleich zur Feststellungserklärung jeweils um 217.310 EUR erhöhte.

Gegen die Feststellungsbescheide für die Streitjahre legte die Klägerin jeweils Einspruch ein (Eingang beim Beklagten: 11.10.2016 für die Streitjahre 2011 bis 2014; 13.12.2017 für das Streitjahr 2015; 17.01.2018 für das Streitjahr 2016). Sie machte zur Begründung geltend, dass die Abschreibung gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG anhand der tatsächlichen Nutzungsdauer und mithin entsprechend der Restnutzungsdauer abzuziehen sei. Diese leitete sie aus einem Gutachten der Dipl.-Ing. Architektin Frau S K, öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige, vom 16.11.2016 her. Dieses Gutachten, auf dessen Inhalt vollumfänglich verwiesen wird, enthält eine Verkehrswertermittlung für den gesamten Immobilienbestand der Klägerin auf den Stichtag der Anschaffung sowie die Restnutzungsdauer der jeweiligen Immobilie (vgl. insbesondere die Ergebnisübersicht auf Seite 5 des Gutachtens). Das Gutachten basiert hinsichtlich der Ermittlung der Restnutzungsdauer auf den Regelungen der Immobilienwertverordnung (§ 6 Abs. 6 der Immobilienwertermittlungsverordnung – ImmoWertV – vom 19.05.2010, BGBl I 2010, 639). Dabei wird die Restnutzungsdauer grundsätzlich durch Abzug des Alters von der Gesamtnutzungsdauer der baulichen Anlagen ermittelt. Wurden in der Vergangenheit Um- und Ausbau- oder Modernisierungs- und Renovierungsmaßnahmen durchgeführt, durch welche sich die Gesamt- bzw. Restnutzungsdauer verlängert hatte, schätzte die Gutachterin die Restnutzungsdauer unter Berücksichtigung dieser Modernisierungsmaßnahmen anhand der Anlage III zum Sachwertmodell der der Vorsitzenden der Gutachterausschüsse in Nordrhein-Westfalen (AGVGA NRW) in der Fassung vom 09.09.2008. Auf dieser Basis berechnete die Klägerin die Abschreibung für die Gebäude gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG.

Der zwischenzeitlich zuständig gewordene Beklagte kam nach Überprüfung des eingereichten Gutachtens für die Streitjahre jeweils zu dem Ergebnis, dass die im Gutachten vorgenommene Aufteilung der Anschaffungskosten der Immobilien auf Grund und Boden und Gebäude nicht zu beanstanden sei. Allerdings folgte er der Klägerin nicht hinsichtlich ihres Begehrens, die Abschreibung für das Gebäude gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG zu ermitteln. Aus Sicht des Beklagten seien die im Gutachten angegebenen Restnutzungsdauern nicht Grundlage für höhere Abschreibungen, da es sich um eine rein mathematische und stichtagsbezogene Ermittlung handele. Anhaltspunkte für einen vorzeitigen technischen Verbrauch ergäben sich weder aus dem Gutachten, noch seien diese vorgetragen worden. Die Klägerin habe daher glaubhaft machen müssen, dass die Gebäude zu den von ihr angegebenen Stichtagen tatsächlich wirtschaftlich verbraucht gewesen seien. Dafür bedürfe es aus Sicht des Beklagten einer Rentabilitätsberechnung für jede einzelne Immobilie, die auch künftige Renovierungsmaßnahmen einzuschließen habe.

Der Beklagte kam im Rahmen der weiteren Überprüfung zu dem Ergebnis, dass es aufgrund der eingereichten Gutachten zu einer Verböserung im Sinne von § 367 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) kommen könne. Durch die im Vergleich zu den Ergebnissen der Außenprüfung abweichende Aufteilung der Anschaffungskosten auf Grund und Boden und Gebäude ergäben sich geringere Anschaffungskosten für die Gebäude. Unter Berücksichtigung der Regelabschreibung ergebe sich somit für die Streitjahre eine niedrigere Abschreibung, die als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu berücksichtigen wäre. Der Beklagte wies die Klägerin darauf sowie auf die Möglichkeit der Einspruchsrücknahme mit Schreiben vom 14.01.2019 und 04.07.2019 hin.

Der Beklagte holte außerdem im Dezember 2018 eine Stellungnahme eines Bausachverständigen der Finanzverwaltung Nordrhein-Westfalens ein. Der Bausachverständige führte in seinem baufachlichen Vermerk vom 14.12.2018 aus, dass bei einer beispielhaften Restnutzungsdauer von 15 Jahren eines Gebäudes nicht zwangsläufig davon auszugehen sei, dass das Gebäude in einem derartigen Zustand sei, dass eine weitere bestimmungsgemäße Nutzung unzumutbar erscheine. Für den Nachweis der verkürzten Nutzungsdauer sei es notwendig, dass die Gutachterin darlege, dass zum Erwerbszeitpunkt die vorzeitige Abnutzung oder der wirtschaftliche Verfall des Gebäudes vorliege. Hilfreich sei diesbezüglich eine Wirtschaftlichkeitsberechnung, die die Einnahmen wie Mieten oder Pacht den Ausgaben, etwa Bewirtschaftungskosten, der jeweiligen Gebäude gegenüberstelle. Solange hierin noch ein erträglicher Reinertrag bzw. ein Gebäudeertragsanteil vom Grundstück übrig bliebe, könne nicht von einer Unwirtschaftlichkeit ausgegangen werden.

In der Folge legte die Klägerin exemplarisch eine ihres Erachtens den Anforderungen des Beklagten entsprechende Rentabilitätsberechnung der Gutachterin für drei der ihr gehörenden Immobilien vor. Aus den Erläuterungen zur Vorgehensweise bei dieser Berechnung geht hervor, dass eine Investition aus Sicht der Gutachterin nur dann wirtschaftlich sinnvoll sei, wenn sich der Wert des Investitionsobjekts entsprechend erhöhe. Daher ermittelte die Gutachterin die Kosten, die nach dem Ablauf der normalen Nutzungsdauer für eine umfassende Renovierung notwendig wären. Dem stellte die Gutachterin den Verkehrswert gegenüber, der sich auf der Grundlage der infolge der Renovierungs- und Modernisierungsmaßnahmen modifizierten Restnutzungsdauer und erzielbaren Mieten ergeben würde. Da es sich nach Auffassung der Gutachterin bei den vorgenannten Ermittlungen um zukünftige Kosten und Werte handele, wirtschaftliche Veränderungen und Entwicklungen aber vom Grundsatz nicht vorhersagbar seien, leitete sie die Veränderung und Entwicklung der wertrelevanten Eingangsgrößen über den Zeitraum bis zum Ablauf der jeweiligen Restnutzungsdauer auf der Grundlage des Zeitraums von zehn Jahren vor dem jeweiligen Wertermittlungsstichtag ab. Die Wert- und Preisveränderungen und Entwicklungen seien bei den einzelnen Eingangsgrößen sehr unterschiedlich und würden für jede Größe separat abgeleitet. Ausgehend von diesen Grundsätzen führte die Gutachterin die folgende Rentabilitätsberechnung durch (vgl. Anlage K 7, Seite 7 ff.):

 

Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten wäre – so die Ausführungen der Gutachterin – nach Ablauf der jeweiligen Restnutzungsdauer eine Renovierung und Modernisierung nicht rentabel, da sich mit einem Liegenschaftszinsatz, der mit 3 % unter dem jeweiligen untersten Wert von 2001 und 2011 liege, ein den Renovierungs- und Modernisierungskosten entsprechender Verkehrswert ergäbe.

Mit Einspruchsentscheidungen vom 29.11.2019 wies der Beklagte die Einsprüche der Klägerin gegen die Feststellungsbescheide für die Streitjahre als unbegründet zurück und erhöhte – entsprechend dem Verböserungshinweis – die für die Streitjahre festgestellten Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass die Voraussetzungen für eine Abschreibung nach der tatsächlichen Nutzungsdauer gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht vorlägen. Eine mit wirtschaftlicher Abnutzung begründete kürzere Nutzungsdauer könne der Abschreibung nur zugrunde gelegt werden, wenn das Wirtschaftsgut vor Ablauf der technischen Nutzungsdauer objektiv wirtschaftlich verbraucht, also die Möglichkeit einer wirtschaftlich sinnvollen Nutzung oder Verwertung endgültig entfallen sei. Dafür bedürfe es greifbarer Anhaltspunkte. Ausgangspunkt der danach erforderlichen Schätzung in technischer Hinsicht sei die Nutzungsdauer des Rohbaus als Hauptbestandteil des Gebäudes. Es genüge regelmäßig nicht, dass lediglich einzelne und selbstständige Teile des Gebäudes zur Erneuerung oder Ersetzung anstünden. Erforderlich sei vielmehr, dass durch technischen Verschleiß der tragenden Teile das Gebäude in seiner Gesamtheit in seiner Nutzungsfähigkeit beeinträchtigt sei. Solche Beeinträchtigungen ergäben sich weder aus dem Gutachten für die einzelne Immobilie noch aus dem Vortrag der Klägerin. Auch eine kürzere Nutzungsdauer aus wirtschaftlichen Gründen habe die Klägerin nicht glaubhaft gemacht. In dem von der Klägerin vorgelegten Gutachten werde die Restnutzungsdauer grundsätzlich rein mathematisch aus dem Unterschiedsbetrag zwischen der wirtschaftlichen Gesamtnutzungsdauer und dem Alter des Gebäudes am Bewertungsstichtag errechnet. Demgemäß ergebe sich die zu berücksichtigende Abzinsung im Ertragswertverfahren aus dem Verhältnis der Restnutzungsdauer zur Gesamtnutzungsdauer. Im Hinblick darauf habe die Gutachterin die rein mathematisch ermittelte Restnutzungsdauer im Hinblick auf die bereits vorgenommenen Modernisierungsmaßnahmen im Schätzungswege verlängert. Eine Übernahme der in dem Gutachten für Zwecke der Sach- oder Ertragswertfeststellung geschätzten Restnutzungsdauern für Zwecke des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG komme aufgrund der Unterschiede in Bezug auf den Anwendungsbereich und die Zielsetzung dieser Ermittlung nicht in Betracht. Die Vorschriften über Absetzungen für Abnutzung oder Substanzverringerung dienten dem Zweck, die Aufwendungen des Steuerpflichtigen für die Anschaffung oder Herstellung eines zur Einkünfteerzielung verwendeten Wirtschaftsguts über einen bestimmten Zeitraum zu verteilen. Demgegenüber dienten die Vorschriften der ImmoWertV und der Sachwertrichtlinien dazu, den Sach- bzw. Ertragswert eines Gebäudes auf einen bestimmten Stichtag zu ermitteln. Die Feststellung des Werts erfolge dabei nach einer punktuellen und damit statischen Betrachtung. Zwar sähen die einschlägigen Bestimmungen für die Wertfeststellung ebenfalls die Ermittlung einer Restnutzungsdauer vor. Diese sei aber nicht das eigentliche Ziel, sondern lediglich eine Rechengröße zur Ermittlung des Barwertfaktors im Ertragswertverfahren und der daran anknüpfenden punktuellen Feststellung des Gebäudewerts.

Auch die von der Klägerin für drei Immobilien vorgelegte exemplarische Rentabilitätsberechnung sei nicht geeignet, eine verkürzte Nutzungsdauer aus wirtschaftlichen Gründen glaubhaft zu machen. Der von der Gutachterin zugrunde gelegte Berechnungsansatz sei für die Frage, ob eine Sanierung wirtschaftlich sinnvoll sei, nicht zielführend. Insgesamt seien aus den eingereichten Unterlagen und dem Vortrag der Klägerin keine Gründe ersichtlich, die für eine aus wirtschaftlichen Gründen verkürzte Nutzungsdauer sprächen. Vielmehr komme es aufgrund einer neuen Aufteilung der Anschaffungskosten der Immobilien auf Grund und Boden und Gebäude zu einer Minderung der Bemessungsgrundlage der AfA für die Gebäude. Die AfA sei für die überwiegende Anzahl der Gebäude gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG in Höhe von 2 % der Anschaffungskosten der Gebäude zu ermitteln. Dies gelte allerdings nicht für die Gebäude der Immobilien „G1“, „G20“, „G21“ und „G22“, weil diese Gebäude vor dem 01.01.1925 fertiggestellt worden seien, sodass sich die Abschreibung auf 2,5 % der Anschaffungskosten belaufe. Der Beklagte erhöhte daher die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für das Jahr 2011 um 5.470,75 EUR, für das Jahr 2012 um 23.395,76 EUR und für die Jahre 2013 bis 2016 um jeweils 23.541,33 EUR.

Mit ihrer hiergegen erhobenen Klage (Eingang bei Gericht: 20.12.2019) begehrt die Klägerin weiterhin die Anerkennung von Abschreibungsbeträgen auf der Grundlage einer kürzeren Nutzungsdauer nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG. Sie trägt vor, dass in dem von ihr vorgelegten Gutachten die Anteile des Grund und Bodens anhand der gesetzlich vorgegebenen Rahmenbedingungen ermittelt worden seien. Die Verkehrswertermittlung der jeweiligen Immobilien sei auf der Grundlage des Zustandes der erworbenen Grundstückssubstanz zum Zeitpunkt des jeweiligen Besitzübergangs erfolgt. Die Bewertung habe sich dabei aus den Grundsatzregelungen der ImmoWertV und den Wertermittlungsrichtlinien sowie modellkonform zur Vorgehensweise der AGVGA NRW ergeben. Außerdem seien das Baugesetzbuch, die Baunutzungsverordnung und das Bürgerliche Gesetzbuch als gesetzliche Grundlagen zu beachten gewesen. Mittels des Ertragswertverfahrens sei der Verkehrswert ermittelt und die prozentuale Zuordnung des Grund und Bodens vorgenommen worden. Daneben habe die Gutachterin auch die aktuellen und verkürzten Restnutzungsdauern der jeweiligen Gebäude ermittelt. Sie habe dargelegt, dass keines der streitgegenständlichen Gebäude eine Restnutzungsdauer von mehr als 35 Jahren aufweise. Nach § 6 Abs. 6 ImmoWertV (in der für die Streitjahre gültigen Fassung) sei die Restnutzungsdauer der Zeitraum, in welchem die baulichen Anlagen bei ordnungsgemäßer Unterhaltung noch wirtschaftlich genutzt werden können, in welchem sie den sich wandelnden Anforderungen an bauliche Anlagen, wie Konstruktion, Grundriss- und Gebäudegestaltung, Ausstattung und Ausführung noch entsprächen, wobei zu einer ordnungsgemäßen Unterhaltung und Bewirtschaftung insbesondere die ordnungsgemäße Instandhaltung gehöre. Dieser ermittelte Zeitraum sei neben einem im Ertragswertverfahren errechneten Verkehrswert im allgemeinen Wirtschafts- und Rechtsleben anerkannt.

Der Beweis einer verkürzten Restnutzungsdauer der Gebäude werde vorliegend durch die gutachterliche Bestätigung der Gutachterin erbracht. Die Klägerin habe nicht nur durch unbestimmte Zukunftsaussichten, sondern auch durch eine Rentabilitätsberechnung dargestellt, inwiefern sich die tatsächliche Nutzungsdauer aufgrund nachvollziehbarer Rechengrößen und anerkannter Berechnungsmodellen ergebe.

Modernisierungsmaßnahmen verlängerten die Restnutzungsdauer von Gebäuden entsprechend den durch die AGVGA NRW vorgegebenen Regelungen. Dies habe die Gutachterin auch in der Rentabilitätsberechnung berücksichtigt. Bei der wirtschaftlichen Nutzungsdauer würden sowohl technische als auch wirtschaftliche Aspekte der Standdauer von Gebäuden berücksichtigt, wobei diese Nutzungsdauer nach empirischen Erfahrungssätzen ermittelt werde.

Der Gesetzgeber habe in § 7 Abs. 4 Satz 2 die Möglichkeit geschaffen, dass ein Steuerpflichtiger die tatsächliche Nutzungsdauer zum Zwecke der AfA darlegen könne. Es müsse deshalb auch die faktische Chance bestehen, einen solchen Nachweis zu führen. In dem Gutachten sei für jedes Objekt des Immobilienbestandes detailliert ausgeführt worden, wie sich der Erhaltungszustand darstelle und welche anderen Gegebenheiten Einfluss auf die Ermittlung des jeweiligen Immobilienwerts bzw. der jeweiligen Restnutzungsdauer hätten.

Die Berechnung für das Beispiel des Objekts G30 […] sei korrekt. Die Renovierungen lägen – bezogen auf den Wertermittlungsstichtag – 34 bzw. 14 Jahre zurück. Nach dem Sachwertmodell der AGVGA NRW und der entsprechenden Anlage III seien Abschläge auf die Tabellenwerte vorzunehmen, sofern die Renovierungsarbeiten länger als 20 Jahre zurücklägen. Mit den Tabellenwerten seien dabei nicht die Punkte unter „b) Modernisierungselemente“ nach dem Punkteraster gemeint, sondern die unter c) genannten Tabellen für die modifizierte Restnutzungsdauer. Da bei dem betreffenden Objekt die Renovierungsmaßnahmen zu einem großen Teil weit mehr als 20 Jahre zurücklägen, habe die Gutachterin zurecht einen Abschlag von 10 % auf die Tabellenwerte vorgenommen.

Dass ein Verkehrswertgutachten zum Nachweis einer verkürzten Restnutzungsdauer von Immobilien genutzt werden könne, ergebe sich insbesondere auch aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 28.07.2021 IX R 25/19 (BFH/NV 2022, 108). Ein Kläger könne sich im Rahmen seiner Darlegung jeder Darlegungsmethode bedienen, die dazu geeignet sei, einen angemessenen Schätzungsrahmen darzulegen. Solange mit dem Nachweis nicht der angemessene Schätzungsrahmen § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG verlassen werde, könne ein Gutachten die notwendige größtmögliche Wahrscheinlichkeit der kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer nachweisen.

Die Klägerin beantragt,

1. die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte für 2011 bis 2014 vom 28.09.2016, für 2015 vom 11.12.2017 und für 2016 vom 16.01.2018, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 29.11.2019, dergestalt zu ändern, dass sich die festgestellten Einkünfte durch die Abschreibungsmehrbeträge für das Jahr 2011 um 149.112,46 EUR und für die Jahre 2012 bis 2016 um jeweils 236.674,30 EUR reduzieren;

hilfsweise,

2. die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

              1. die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

2. die Revision zuzulassen.

Der Beklagte verweist zur Begründung auf die Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor, dass es nicht inkonsequent sei, aus den von der Klägerin vorgelegten Gutachten zwar das Aufteilungsverhältnis von Grund und Boden, nicht aber die Restnutzungsdauer der jeweiligen Gebäude zu übernehmen. Nur weil die Voraussetzungen für eine Abschreibung nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht vorlägen, ändere sich der Verkehrswert einer Immobilie bzw. die Aufteilung des Verkehrswerts auf Grund und Boden und Gebäude nicht. Es habe außerdem für den Beklagten kein Anlass bestanden, die von der Klägerin selbst vorgenommene Aufteilung der Anschaffungskosten Immobilien zu beanstanden. Auch den Rentabilitätsberechnungen der Gutachterin könne der Beklagte nicht folgen. Maßgeblich sei, wie sich eine Investition durch die Klägerin auf die Nutzungsdauer der Immobilie und die daraus resultierenden laufenden Erträge auswirke. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die von der Klägerin unterstellten Investitionen nicht rentabel seien.

Auch sonst sei das von der Klägerin vorgelegte Gutachten zu beanstanden. Dies gelte beispielhaft für das Objekt „G30“. Bei einer Restnutzungsdauer von 57 Jahren und einer Punktebewertung nach der AGVGA NRW von neun Punkten gelange die Gutachterin zu einer Restnutzungsdauer von 30,5 Jahren. Hiervon sei ein Abschlag von 10 % vorgenommen worden, sodass im Ergebnis eine Restnutzungsdauer von 28 Jahren angegeben werde. Die Ermittlung der Restnutzungsdauer sei nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Nach der Anlage III zum Sachwertmodell der AGVGA NRW sei unter der Überschrift „Modernisierungsgrad“ zu ersehen, dass der Modernisierungsgrad anhand eines vorgegebenen Punkterasters ermittelt werden solle. In Abhängigkeit von der Gesamtnutzungsdauer, des Alters und des Modernisierungsgrades des Gebäudes werde dargestellt, von welcher Restnutzungsdauer auszugehen sei. Es werde aber nicht ausgeführt, dass eine weitere Minderung dieser Werte vorzunehmen wäre, wenn die Modernisierungen länger zurücklägen. Nach dem Verständnis des Beklagten sei bei Anwendung des Sachwertmodells der AGVGA NRW zwar grundsätzlich ein Abschlag bei der Punktebewertung, nicht aber von der ermittelten Restnutzungsdauer zulässig. Dies hätte im Beispiel zur Folge, dass sich bei Berücksichtigung eines Abschlags von 10 % die Punktebewertung von neun auf 8,1 reduzieren würde. Damit träte aber keine Änderung der Restnutzungsdauer des Gebäudes ein. Denn nach den entsprechenden Tabellen ergebe sich bei einer Bewertung von 6 bis 10 Punkten die gleiche Restnutzungsdauer. Auch bei weiteren Immobilien sei die Ermittlung der Restnutzungsdauer nicht hinreichend erläutert und daher nicht nachvollziehbar. Insbesondere wäre bei allen Immobilien, bei denen eine Vier-Punkte-Bewertung unterstellt worden sei, kein zusätzlicher Abschlag von der nach den Tabellen der AGVGA NRW ermittelten Restnutzungsdauer zulässig, da die Tabellen für eine Bewertung von 2 bis 5 keine Differenzierung vornähmen. Diese Feststellung könne dazu führen, dass sich eine Änderung des Verhältnisses der Verkehrswerte zwischen Grund und Boden und Gebäude bei einigen Immobilien ergeben könnte.

Am 14.02.2023 hat die mündliche Verhandlung vor dem Senat stattgefunden. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge und die Verfahrensakte Bezug genommen.

Aus den Gründen

Zulässigkeit und Begründetheit der Klage

Die zulässige Klage ist begründet. Die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Streitjahre 2011 bis 2016 sind insoweit rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), als der Beklagte bei der Ermittlung der Einkünfte der Klägerin aus Vermietung und Verpachtung die typisierte Nutzungsdauer gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a bzw. c EStG und nicht die von der Klägerin erklärte kürzere Nutzungsdauer gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG zugrunde gelegt hat.

Gemäß § 7 Abs. 4 S. 2 EStG anstelle der Absetzungen nach § 7 Abs. 4 S. 1 EStG die der tatsächlichen Nutzungsdauer eines Gebäudes entsprechenden AfA möglich

1. a) Bei Wirtschaftsgütern, deren Verwendung oder Nutzung durch den Steuerpflichtigen zur Erzielung von Einkünften sich erfahrungsgemäß auf einen Zeitraum von mehr als einem Jahr erstreckt, ist jeweils für ein Jahr der Teil der Anschaffungs- oder Herstellungskosten abzusetzen, der bei gleichmäßiger Verteilung dieser Kosten auf die Gesamtdauer der Verwendung oder Nutzung auf ein Jahr entfällt (AfA in gleichen Jahresbeträgen, § 7 Abs. 1 Satz 1 EStG); die Absetzung bemisst sich hierbei nach der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer des Wirtschaftsguts (§ 7 Abs. 1 Satz 2 EStG). Abweichend hiervon bestimmt sich die AfA für ein zur Einkünfteerzielung genutztes Gebäude nach den festen Prozentsätzen des § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG; die Regelung stellt eine gesetzliche Typisierung der Nutzungsdauer i.S. von § 7 Abs. 1 Satz 2 EStG dar. Gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG können anstelle der Absetzungen nach § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG die der tatsächlichen Nutzungsdauer eines Gebäudes entsprechenden AfA vorgenommen werden. Nutzungsdauer i.S. von § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG ist gemäß § 11c Abs. 1 EStDV der Zeitraum, in dem ein Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann. Die zu schätzende Nutzungsdauer wird bestimmt durch den technischen Verschleiß, die wirtschaftliche Entwertung sowie rechtliche Gegebenheiten, welche die Nutzungsdauer eines Gegenstands begrenzen können. Auszugehen ist von der technischen Nutzungsdauer, also dem Zeitraum, in dem sich das Wirtschaftsgut technisch abnutzt. Sofern die wirtschaftliche Nutzungsdauer kürzer als die technische Nutzungsdauer ist, kann sich der Steuerpflichtige hierauf berufen. Ob den AfA eine die gesetzlich (§ 7 Abs. 4 Satz 1 EStG) vorgesehenen, typisierten Zeiträume unterschreitende verkürzte Nutzungsdauer i.S. des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG zugrunde gelegt werden kann, beurteilt sich nach den Verhältnissen des Einzelfalls (BFH-Urteil vom 28.07.2021 – IX R 25/19, BFH/NV 2022, 108, Rz. 17, m. w. N.).

Nachweis der kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer obliegt dem Steuerpflichtigen

b) Es ist Sache des Steuerpflichtigen, im Einzelfall eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer – im Rahmen der ihm obliegenden Mitwirkungspflichten (vgl. BFH-Urteil vom 11.08.1993 - X R 82/90, BFH/NV 1994, 169) – darzulegen und gegebenenfalls – im Rahmen der ihm obliegenden Feststellungslast - nachzuweisen. Die Würdigung der insoweit von Klägern dargelegten Umstände obliegt dann im Klageverfahren dem Finanzgericht (FG) als Tatsacheninstanz (BFH, Urteil vom 28.07.2021 – IX R 25/19, BFH/NV 2022, 108, Rz. 18, m. w. N.).

Darlegungen müssen über die maßgeblichen Determinanten – z.B. technischer Verschleiß, wirtschaftliche Entwertung, rechtliche Nutzungsbeschränkungen – Aufschluss geben

aa) Der Steuerpflichtige kann sich zur Darlegung der verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer eines zur Einkünfteerzielung genutzten Gebäudes jeder Darlegungsmethode bedienen, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint. Erforderlich ist insoweit, dass die Darlegungen des Steuerpflichtigen Aufschluss über die maßgeblichen Determinanten – z.B. technischer Verschleiß, wirtschaftliche Entwertung, rechtliche Nutzungsbeschränkungen – geben, welche die Nutzungsdauer im Einzelfall beeinflussen, und auf deren Grundlage der Zeitraum, in dem das maßgebliche Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann (§ 11c Abs. 1 EStDV), im Wege der Schätzung mit hinreichender Bestimmtheit zu ermitteln ist (BFH-Urteil vom 28.07.2021 – IX R 25/19, BFH/NV 2022, 108, Rz. 19).

Schätzung des Steuerpflichtigen ist nur dann zu verwerfen, wenn sie eindeutig außerhalb des angemessenen Schätzungsrahmens liegt

bb) Die Bestimmung des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG räumt dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht ein, ob er sich mit dem typisierten AfA-Satz nach § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG zufriedengibt oder eine tatsächlich kürzere Nutzungsdauer geltend macht und darlegt. Auszugehen ist von der Schätzung des Steuerpflichtigen, solange dieser Erwägungen zugrunde liegen, wie sie ein vernünftig wirtschaftender Steuerpflichtiger üblicherweise anstellt. Da im Rahmen der Schätzung des Steuerpflichtigen nicht Gewissheit über die kürzere tatsächliche Nutzungsdauer, sondern allenfalls größtmögliche Wahrscheinlichkeit verlangt werden kann, ist sie nur dann zu verwerfen, wenn sie eindeutig außerhalb des angemessenen Schätzungsrahmens liegt (BFH-Urteil vom 28.07.2021 – IX R 25/19, BFH/NV 2022, 108, Rz. 20, m. w. N.).

Alle Methoden zulässig, soweit aus der ihnen Rückschlüsse auf die zu ermittelnden Determinanten möglich sind

(1) Vor diesem Hintergrund ist etwa die Vorlage eines Bausubstanzgutachtens, insbesondere die Zustandsermittlung von Immobilien mit Hilfe des sog. ERAB-Verfahrens (Verfahren zur Ermittlung des Abnutzungsvorrats von Baustoffen), seitens des Steuerpflichtigen nicht Voraussetzung für die Anerkennung einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer. Wählt der Steuerpflichtige oder ein von diesem beauftragter Sachverständiger daher aus nachvollziehbaren Gründen eine andere Nachweismethode, kann dies – gegebenenfalls unter Berücksichtigung entsprechender Anpassungen (vgl. BFH-Beschluss vom 19.01.2018 – X B 60/17, BFH/NV 2018, 530) – Grundlage für die im Einzelfall erforderliche Schätzung einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer sein, soweit aus der gewählten Methode Rückschlüsse auf die zu ermittelnden Determinanten möglich sind. Da im Rahmen der Schätzung nur die größtmögliche Wahrscheinlichkeit über eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer verlangt werden kann, würde eine Verengung der Gutachtenmethodik oder eine Festlegung auf ein bestimmtes Ermittlungsverfahren die Anforderungen an die Feststellungslast überspannen (BFH-Urteil vom 28.07.2021 – IX R 25/19, BFH/NV 2022, 108, Rz. 21 f.).

Auch Gutachten auf Basis der ImmoWertV zulässig

(2) Dabei kann auch das Verfahren der Gebäudesachwertermittlung (§§ 21 ff. i. V. m. § 6 Abs. 6 ImmoWertV vom 19.05.2010, BGBl I 2010, 639) im Rahmen des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG Anwendung finden. Auch wenn das dabei anwendbare Modell zur Ableitung der wirtschaftlichen Restnutzungsdauer für Wohngebäude unter Berücksichtigung von Modernisierungen nicht primär darauf gerichtet ist, die tatsächliche Nutzungsdauer i.S. von § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG zu ermitteln, kann ein solches Modell geeignet sein, eine sichere Überzeugung über die im Einzelfall anzuwendenden Schätzungsgrundlagen zu bilden (vgl. BFH-Urteil vom 28.07.2021 – IX R 25/19, BFH/NV 2022, 108, Rz. 24, zur Anlage 4 der SW-RL). Eine Rechtfertigung, vom (baurechtlichen) Grundsatz der Gleichwertigkeit der Bewertungsverfahren aus steuerrechtlichen Gründen abzuweichen, besteht nicht (vgl. BFH, Urteil vom 20.09.2022 – IX R 12/21, BFH/NV 2023, 186, Rz. 41 [BB 2023, 174 m. BB-Komm. Abele], zur Wahl der Wertermittlungsmethode bei der Aufteilung eines Gesamtkaufpreises für ein Immobilienobjekt in Grund- und Boden- sowie Gebäudeanteil für Zwecke der AfA).

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist im Streitfall die Zugrundelegung der verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer zulässig

2. a) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der Senat auf der Grundlage der von der Klägerin vorgelegten Sachverständigengutachten zu der Überzeugung gelangt, dass die verkürzte tatsächliche Nutzungsdauer i.S. von § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG in Bezug auf die streitgegenständlichen Immobilien zutreffend zugrunde gelegt wurde und sich für die Streitjahre folgende AfA-Beträge ergeben:

[…]

Bestimmung der AfA-Beträge ist nicht zu beanstanden

b) Die Bestimmung der von der Klägerin zum Abzug begehrten AfA-Beträge ist nicht zu beanstanden.

Ermittlung der Nutzungsdauer im Gutachten

aa) Im Streitfall hat die Klägerin für jedes der streitgegenständlichen Gebäude Wertgutachten einer öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen vorgelegt. In ihrem Gutachten hat diese Gutachterin eine Ermittlung des Ertragswerts für den gesamten Immobilienbestand der Klägerin nach § 17 Abs. 2 Satz 1 ImmoWertV in der für die Streitjahre gültigen Fassung vorgenommen. In ihre Wertermittlung für die streitgegenständlichen Gebäude musste die Gutachterin das Alter und die Restnutzungsdauer der einzelnen Gebäude einbeziehen. Nach Auffassung des erkennenden Senats hat die Gutachterin aufgrund sachlicher Kriterien jeweils eine (gegenüber § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG abweichende) Restnutzungsdauer ermittelt. Sie hat nach Ortsbesichtigung den Zustand der Außenanlagen und der Gemeinschaftsanlagen ermittelt. Ferner hat sie einzelne leer stehende Wohnungen besichtigt und den Zustand der einzelnen Gebäude aufgezeigt.

Im Rahmen der Ertragswertermittlung hat die Gutachterin auch die Restnutzungsdauer nach § 6 Abs. 6 ImmoWertV in der für die Streitjahre gültigen Fassung ermittelt. Hierzu hat die Gutachterin in ihrem Gutachten auf Seite 16 f. ausgeführt, im Allgemeinen werde die Restnutzungsdauer durch Abzug des Alters von der Gesamtnutzungsdauer der baulichen Anlagen ermittelt. Würden Um- und Ausbau- oder Modernisierungs- und Renovierungsmaßnahmen durchgeführt, durch die sich die Gesamt- bzw. Restnutzungsdauer verlängere, sei diese Vorgehensweise nicht möglich und die Restnutzungsdauer müsse geschätzt werden. Für diese Abschätzung habe die AGVGA NRW ein Punkteverfahren entwickelt, anhand dessen in einer Tabelle die modifizierte Restnutzungsdauer bestimmt werden könne. Lägen die Renovierungen und Modernisierungen am Wertermittlungsstichtag jedoch mehr als 20 Jahre zurück, empfehle die AGVGA NRW die Tabellenwerte um einen entsprechenden Abschlag zu verringern.

Weiter hat die Gutachterin in ihrem Gutachten ausgeführt, dass die überwiegende Anzahl der zu bewertenden Objekte vor dem Zweiten Weltkrieg in den Jahren von 1920 bis 1930 oder direkt danach um 1950 errichtet worden sei und dementsprechend mit Holzfenstern mit Einfachverglasung und Ofenheizung ausgestattet gewesen seien. Ausweislich der Bauakten seien in den Jahren zwischen 1970 und 1980 die Ofenheizungen ausgebaut und Elektronachtspeicher-, Gasetagen- oder Gaszentralheizungen eingebaut worden. Es könne davon ausgegangen werden, dass in diesem Zeitpunkt auch die Holzfenster durch Kunststofffenster mit Isolierverglasung ersetzt worden seien. Nach dem Punkteraster der AGVGA NRW ergäben sich für diese Modernisierungen insgesamt vier Punkte, was als kleinere Modernisierungen im Rahmen einer ordnungsgemäßen Instandhaltung zu beurteilen sei. Die sich in Abhängigkeit von der Gesamtnutzungsdauer und dem Alter des jeweiligen Objektes aus der entsprechenden Tabelle ergebende modifizierte Restnutzungsdauer werde, da die Modernisierungen um mehr als 20 Jahre zurücklägen, um 20 % gemindert. Eine Modifizierung in Form einer Verlängerung der Restnutzungsdauer ergebe sich bei Modernisierungen insbesondere, je älter ein Gebäude sei. Je jünger ein Gebäude sei, umso weniger wirkten sich die Modernisierungen auf die Verlängerung der Restnutzungsdauer aus. Entsprechend dieser Feststellungen hat die Gutachterin bei einer Vielzahl der zu bewertenden Objekte die Restnutzungsdauer entsprechend dem Punkteraster der AGVGA NRW modifiziert, so beispielsweise bei dem Objekt „G30“ in …, dem Objekt „G1“ in … oder dem Objekt „G9“ in … .

Als Gesamtnutzungsdauer hat die Gutachterin jeweils die Gesamtnutzungsdauer angesetzt, welche der örtlich zuständige Gutachterausschuss in seinem Modell zur Ableitung der Liegenschaftszinssätze zugrunde legt. Danach wird die Gesamtnutzungsdauer von den Gutachterausschüssen in … und … in Anlehnung an die NHK 2000 und die Sachwertrichtlinien Anlage 4 in Abhängigkeit von der Objektart mit 60 bis 100 Jahren angesetzt. Der Gutachterausschuss … legt für wohnwirtschaftlich und gemischt genutzte Gebäude einheitlich und grundsätzlich 90 Jahre an (Seite 55 des Gutachtens).

Senat folgt den Gutachtenausführungen

bb) Der Senat folgt den fundierten Ausführungen der Gutachterin.

Modellhafte Ermittlung der Restnutzungsdauer steht der Anerkennung des Gutachtens nicht entgegen

(1) Wie in dem vom BFH entschiedenen Verfahren (BFH-Urteil vom 28.07.2021 IX R 25/19, BFH/NV 2022, 108) hat die Gutachterin eine modellhafte Ermittlung der Restnutzungsdauer durchgeführt. Wie in dem der BFH-Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt erfolgte neben der modellhaften Berechnung eine Inaugenscheinnahme der Gebäude, um die Bauweise und etwaige ausstehende Modernisierungs- bzw. Sanierungsarbeiten beurteilen zu können. Der Umstand, dass bei der Ermittlung der Gesamtnutzungsdauer ebenfalls auf eine modellhafte Berechnung entsprechend den Festlegungen der örtlich zuständigen Gutachterausschüsse zurückgegriffen wurde, steht der Anerkennung des Gutachtens nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des BFH ist – wie bereits ausgeführt – dem Umstand, dass einer vom Gutachter angewandte Ermittlungsmethode lediglich eine modellhafte wirtschaftliche Restnutzungsdauer zugrunde liegt, keine entscheidende Bedeutung beizumessen; der Steuerpflichtige kann sich zur Darlegung der verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer jeder Darlegungsmethode bedienen, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint. Erforderlich ist insoweit, dass die Darlegung des Steuerpflichtigen Aufschluss über die maßgeblichen Determinanten wie technischer Verschleiß, wirtschaftliche Entwertung und rechtliche Nutzungsbeschränkungen geben, welche die Nutzungsdauer im Einzelfall beeinflussen (BFH-Urteil vom 28.07.2021 IX R 25/19, BFH/NV 2022, 108 Rz. 19). So ist die Gutachterin auch hier vorgegangen, sodass es – anders als der Beklagte in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat – keiner über die im Gutachten bereits hinreichend erfolgten Darlegungen zur technischen Abnutzung der Gebäude sowie der wirtschaftlichen Nutzbarkeit bzw. Vermietbarkeit der Wohnungen bedarf. Die Gutachterin hat im Rahmen der Gutachtenerstellung die Lage der Objekte und die rechtlichen Gegebenheiten ebenso ermittelt wie den Zustand der Außenanlagen, die Ausstattung der Wohnungen der einzelnen Gebäude, die Bauweise, den Unterhaltungszustand und die für die Ermittlung des Ertragswerts maßgeblichen Determinanten. Die Gutachterin hat insbesondere auch den Modernisierungsgrad der einzelnen Gebäude bei der Ermittlung der Restnutzungsdauer berücksichtigt und hierzu in dem Gutachten ausreichend substantiierte Ausführungen gemacht.

Dies führte im Streitfall zu der – für das Gericht nachvollziehbaren – Einschätzung der Restnutzungsdauern der einzelnen im Eigentum der Klägerin stehenden Gebäude. Diese Ergebnisse liegen jedenfalls nicht (erheblich) außerhalb des zulässigen Schätzungsrahmens.

Auch sonstige Einwendungen greifen nicht durch

(2) Auch die sonstigen Einwendungen des Beklagten greifen nicht durch.

(a) So folgt nichts anderes aus dem Einwand des Beklagten im Klageverfahren, die für drei Immobilien beispielhaft vorgelegten Rentabilitätsberechnungen hätten nicht belegen können, dass die Immobilien nach Ablauf der „regulären“ Nutzungsdauer verbraucht wären. Wenn die von der Gutachterin prognostizierte Investition nicht erst zum Ende der vermeintlich „regulären“ Nutzungsdauer im Jahr 2041, sondern bereits zu einem früheren Zeitpunkt durchgeführt würde, wären bereits früher höhere Mieten erzielbar, sodass der erzielbare Reinertrag voraussichtlich steigen und sich die Restnutzungsdauer der Immobilie verlängern werde (vgl. Schriftsatz vom 22.04.2020, Seite 2 f.).

Bei dieser Betrachtung ist schon nicht hinreichend berücksichtigt, dass die sachverständige Zeugin bei der Berechnung des Jahresrohertrags jeweils eine Steigerung der Miete einkalkuliert hat, die sich (nach Abzug der Bewirtschaftungskosten) auf die Höhe des Jahresreinertrags auswirkt und mithin im Verkehrswert Berücksichtigung gefunden hat. Die Annahme des Beklagten, höhere Modernisierungs- und Instandhaltungskosten zu einem früheren Zeitpunkt führten zu einem insgesamt höheren Reinertrag, als ihn die Gutachterin bei ihrer Wertermittlung zugrunde gelegt hat, ist damit nicht zwingend. Im Übrigen wird es zu der von der Gutachterin angenommenen Steigerung der Mieten aber regelmäßig – also ohne Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Mietmarktes – nur kommen, wenn Renovierungen und Modernisierungen mit einem entsprechenden Aufwand vorgenommen werden. Ohne solche Renovierungs- und Modernisierungsmaßnahmen wird der Jahresrohertrag typischerweise nicht steigen, sondern fallen, was sogar eine geringere Nutzungsdauer zur Folge hätte.

Im Übrigen ist die Rentabilitätsberechnung im Nachgang zum Gutachten auf Wunsch des Beklagten erstellt worden, sodass bereits fraglich ist, ob diese überhaupt ausschlaggebend für die Anerkennung der im Gutachten ermittelten Restnutzungsdauern ist. Vielmehr ist das Gutachten aus sich heraus bereits nachvollziehbar, sodass es für die Bestimmung der Restnutzungsdauer auf einen bestimmten in der Vergangenheit liegenden Stichtag auf eine in die Zukunft gerichtete Rentabilitätsberechnung, die eine Vielzahl hypothetischer Kausalverläufe beinhaltet, nicht entscheidend ankommt.

(b) Soweit der Beklagte ausführt, nach seinem Verständnis sei bei Anwendung des Sachwertmodells der AGVGA NRW unter Heranziehung der Anlage III zwar gegebenenfalls ein Abschlag bei der Punktebewertung, nicht aber von der Restnutzungsdauer zulässig, hat er die Annahme einer sachkundigen Ermittlung der jeweiligen Restnutzungsdauer ebenfalls nicht hinreichend erschüttert. Denn nach der Anlage III Buchstabe c bleibt der Abschlag dem (sachverständigen) Anwender überlassen und sollte nach sachverständigem Ermessen auf fünf Jahre erfolgen (vgl. Bl. 118 der Gerichtsakte). Im Übrigen ist im Vorwort zum Modell der AGVGA NRW ausgeführt, dass (auch) die Anlage III der Orientierung dient und den Charakter einer Richtlinie besitzt, aber nicht alle in der Praxis auftretende Fallgestaltungen abdecken kann, weshalb es im Einzelfall zu einer abweichenden Beurteilung im Rahmen des sachverständigen Ermessens kommen kann.

(c) Soweit der Beklagte in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, dass die Gutachterin sämtliche der zu begutachtenden Objekte an zwei Tagen (am 30.08.2016 in … und am 31.08.2016 und in … und …) begutachtet hat, besteht für den Senat vor dem Hintergrund der detaillierten Ausführungen bereits mit Blick auf die substantiierten Ausführungen zu den vorgenommenen Modernisierungsmaßnahmen kein Anlass für die Annahme, die Gutachterin habe die Objekte nicht in hinreichend sorgfältig begutachtet, um sich einen ausreichenden fachgutachterlichen Eindruck von den jeweiligen Immobilien zu verschaffen. Ungeachtet dessen ist für den Senat nicht ersichtlich, dass der Gutachterin dafür nicht ausreichend Zeit zur Verfügung gestanden habe. Denn in … waren nur vier (gleichartige) Gebäudekomplexe zu begutachten, die darüber hinaus auch noch teilweise in derselben Straße liegen. Letzteres gilt ebenso für immerhin 21 der in … und … belegenen 41 Objekte.

Kostenentscheidung

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

Nichtzulassung der Revision

4. Die Revision war nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO). Es handelt sich vielmehr um eine Einzelfallentscheidung unter Anwendung allgemein anerkannter Rechtsprechungsgrundsätze.

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