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Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
25.03.2021
Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
FG Münster: Elektronische Übermittlung einer E-Bilanz kann unzumutbar sein

FG Münster, Urteil vom 28.1.2021 – 5 K 436/20 AO, rkr.

ECLI:DE:FGMS:2021:0128.5K436.20AO.00

Volltext des Urteils://BB-ONLINE BBL2021-815-1

unter www.betriebs-berater.de

 Sachverhalt

Streitig ist, ob die Klägerin einen Anspruch darauf hat, von der Pflicht gem. § 5b des Einkommensteuergesetzes (EStG) zur Übermittlung der Bilanz sowie der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) nach amtlich vorgeschriebenen Datensatz durch Datenfernübertragung (nachfolgend auch E-Bilanz) befreit zu werden.

Die Klägerin betreibt in der Rechtsform einer GmbH ein Unternehmen für Dienstleistungen in den Bereichen Buchhaltung, Lohn- und Gehaltsabrechnungen, Haus- und Wohnungsverwaltung, IT-Programmierung, -Beratung, -Schulung und -Systemeinführung, Unternehmensberatung, Personalberatung, Konzeption von Altersvorsorgesystemen, Organisation, Projektmanagement, Öffentlichkeitsarbeit und sonstige kaufmännische, organisatorische und logistische Dienstleistungen.

Alleiniger Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin ist seit ihrer Gründung am 16.12.2004 Herr A. Er ist diplomierter Volkswirt sowie ausgebildeter und staatlich geprüfter Wirtschaftsinformatiker. Im Jahr 2016 erhielt er von der Klägerin ein Jahresgehalt i.H.v. 6.453,10 €.

Die Klägerin erzielte in den Jahren 2014 bis 2018 folgende wirtschaftliche Ergebnisse:

 

Jahr

 

Umsatz

 

Gewinn/Verlust

 

2014

112.096,80 €

1.645,77 €

2015

70.146,81 €

310,55 €

2016

57.948,90 €

-4.078,24 €

2017

59.377,62 €

- 4.672,61 €

2018

52.839,49 €

1.563,94 €

 

Die Klägerin übermittelt ihre Lohnsteueranmeldungen und Umsatzsteuer-Voranmeldungen elektronisch an den Beklagten über das Portal Elster. Ihre weiteren steuerlichen Pflichten erfüllt sie seit ihrer Gründung ebenfalls ohne Unterstützung eines Steuerberaters.

Die Klägerin übermittelte die Bilanz und die GuV für das kalendergleiche Wirtschaftsjahr 2015 nach den Vorgaben des § 5b EStG elektronisch an den Beklagten. Dabei verwendete sie ein gesondertes Computerprogramm, ein sog. Hilfstool, das vom Bundesanzeiger Verlag angeboten wird.

In den Erläuterungen zum Körperschaftsteuerbescheid 2016 vom 24.05.2018 forderte der Beklagte die Klägerin für das Jahr 2016 zur Einreichung einer E-Bilanz auf (Bl. 130R der Körperschaftsteuerakte). Mit Schreiben vom 11.06.2018 wiederholte der Beklagte seine Aufforderung und erweiterte diese auch auf das Jahr 2017 (Bl. 140 der Körperschaftsteuerakte). Die Klägerin lehnte diese Aufforderung ab, da ihr der Begriff der „E-Bilanz“ nicht bekannt sei (Schreiben vom 25.06.2018, Bl. 142 der Körperschaftsteuerakte). Der Beklagte drohte in der Folge wegen der ausstehenden E-Bilanz für das Jahr 2016 ein Zwangsgeld an (Bl. 143 der Körperschaftsteuerakte) und setzte dieses auch fest (Bl. 167 der Körperschaftsteuerakte). Die Androhung und Festsetzung des Zwangsgeldes waren Gegenstand eines von dem Geschäftsführer der Klägerin in eigenem Namen unter dem Az. 5 K 3530/18 beim Finanzgericht Münster gesondert geführten Klageverfahrens. Zwischen den Beteiligten war u.a. streitig, ob die Bescheide sich gegen die Klägerin oder gegen ihren Geschäftsführer persönlich richteten. Das Verfahren endete mit einer beidseitigen Erledigungserklärung der Beteiligten. Im Anschluss erklärte der Beklagte die Androhung und die Festsetzung des Zwangsgeldes für nichtig und gegenstandslos (Schreiben vom 12.04.2019, Bl. 184 der Körperschaftsteuerakte).

Unabhängig vom Klageverfahren des Geschäftsführers hatte die Klägerin bereits am 12.02.2019 (Bl. 192 der Körperschaftsteuerakte) beim Beklagten die Befreiung von der Pflicht, die Bilanz und die GuV nach Maßgabe der sich aus § 5b EStG ergebenden Vorgaben durch Datenfernübertragung einzureichen, beantragt. Die Erfüllung dieser Pflicht sei ihr bzw. ihrem Geschäftsführer wirtschaftlich nicht zumutbar. Die Unterstützung bzw. die Angebote der Finanzverwaltung für die Übermittlung seien unzureichend. Während sie, die Klägerin, über das Portal „Elster“ ihre Lohn- und Umsatzsteuerdaten elektronisch übermitteln könne, würden unspezifizierte und ungerechtfertigte Fehlermeldungen die Übermittlung der eingegebenen Bilanzdaten und Daten zur GuV verhindern. Die von ihr eingesetzte Buchhaltungssoftware sei nicht XBRL-fähig und die von der Finanzverwaltung geforderten Angaben überstiegen die Gliederungsvorgaben des Handelsgesetzbuches. Die danach erforderliche Umstellung würde für sie einen sehr hohen und damit unzumutbaren Aufwand für Technik und Beratung bedeuten.

Der Beklagte lehnte den Antrag zunächst am 25.02.2019 ab (Bl. 194 der Körperschaftsteuerakte). Wegen bestehender Zweifel, ob die Klägerin in dem Ablehnungsschreiben zweifelsfrei als Adressatin bezeichnet worden war, erklärte der Beklagte das Ablehnungsschreiben dann für nichtig und gegenstandslos (Bl. 221 der Körperschaftsteuerakte) und lehnte den Antrag am 20.08.2019 erneut ab (Bl. 225 ff. der Körperschaftsteuerakte).

Den gegen die Ablehnung vom 20.08.2019 eingelegten Einspruch (Schreiben vom 14.09.2019, Eingang beim Beklagten am 13.09.2019, vgl. Bl. 233 der Körperschaftsteuerakte) begründete die Klägerin weiter damit, dass die Zusammenstellung und die elektronische Übermittlung der Daten für die Bilanz und GuV auf den 31.12.2015 annähernd vier Arbeitstage in Anspruch genommen hätten, obwohl ihr Geschäftsführer ausgebildeter Wirtschaftsinformatiker sei. Die Daten des Jahresabschlusses hätten manuell aufwendig neu zusammengestellt und viele für den Jahresabschluss selbst nicht benötigte Daten manuell ermittelt werden müssen. Letztere Daten seien weder für den Jahresabschluss noch für ihre Steuererklärungen erforderlich. Wegen der Komplexität der mit der Erfüllung der Vorgaben verbundenen Tätigkeiten könne diese Aufgabe auch nicht auf eine ihrer Mitarbeiterinnen übertragen werden. Der Aufwand ihres Geschäftsführers für die elektronische Übermittlung stünde zu ihrem Umsatz in keinem akzeptablen Verhältnis. Dies gelte erst recht für den Fall, dass ein externer Dienstleister mit dieser Aufgabe betraut oder eine andere Software implementiert werde. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Einspruchsbegründung Bezug genommen (Bl. 244 der Körperschaftsteuerakte).

Der Beklagte wies den Einspruch mit seiner Entscheidung vom 11.02.2020 zurück (Bl. 249 der Körperschaftsteuerakte). Auf die elektronische Übermittlung der Bilanz und der GuV sei nicht zu verzichten. Die Erfüllung der Vorgaben des § 5b EStG bedeute für die Klägerin keine unbillige Härte. Der Arbeitsaufwand ihres Geschäftsführers im Umfang von insgesamt vier Tagen sei für die Klägerin wirtschaftlich zumutbar. Die technischen Voraussetzungen lägen vor, wie sich aus der für das Jahr 2015 erfolgten elektronischen Übermittlung der Daten ergebe. Hinzu käme, dass die Klägerin im Rahmen ihres Unternehmens insbesondere auch Dienstleistungen im IT-Bereich erbringe. Im Rahmen der Entscheidung über den Antrag sei auch zu berücksichtigen, dass dem Aufwand und den Belastungen der Klägerin die Vorteile der Finanzverwaltung gegenüberstünden. Diese könne ihre gesetzliche Aufgabe, insbesondere die Herstellung und Wahrung einer gleichmäßigen Besteuerung, mithilfe der elektronisch übermittelten Daten effektiver erfüllen. Die Ablehnung des Härtefall-Antrags sei daher auch ermessensgerecht. Weiter sei zu beachten, dass die Regelung des § 5b EStG bereits seit 2010 existiere und den betroffenen Steuerpflichtigen, wie die Klägerin, im Anschluss eine mehrjährige Übergangsphase eingeräumt worden sei. Schließlich könne die Klägerin mit einer Umstellung auf ein XBRL-fähiges Buchführungsprogramm den Aufwand zur elektronischen Übermittlung ihrer Daten erheblich mindern.

Mit ihrer am 14.02.2020 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Der Berichterstatter hat die Klägerin aufgefordert, den Aufwand, der ihr im Zusammenhang mit der Übermittlung einer E-Bilanz entstehen würde, zu quantifizieren. In ihrem Schreiben vom 29.10.2020 hat die Klägerin ausgeführt, dass die Inanspruchnahme eines Steuerberaters allein für die Erstellung der E-Bilanz jährlich mehr als 2.000 € kosten würde. Die Umstellung der Buchführungssoftware würde jährliche Mehrkosten i.H.v. 267 € sowie einen mit der Umstellung verbundenen Arbeitsmehraufwand von 60 Stunden bedeuten.

Die Klägerin trägt vor, dass es sich bei ihr nach den Maßstäben der Finanzverwaltung um ein Kleinstunternehmen handele. Sie verwende für ihre Buchführung eine Software, mit deren Hilfe es nicht möglich sei, eine Taxonomie entsprechend den Anforderungen der Finanzverwaltung zu erstellen. Während die Finanzverwaltung zur Abgabe von Steuererklärungen und Steueranmeldungen über das Programm Elster die Möglichkeit zur elektronischen Übermittlung anbiete, fehle es an einer vergleichbaren Unterstützung für die Übermittlung der von der Finanzverwaltung als E-Bilanz bezeichneten Daten. Bereits damit fange die Unzumutbarkeit für sie, die Klägerin, an. Sie sei auch nicht verpflichtet, für diese Aufgabe einen Steuerberater zu beauftragen. Um gleichwohl die Anforderungen der Finanzverwaltung zu erfüllen, müssten Steuerpflichtige wie sie eine Software erwerben, die in der Lage sei, aus den Daten der Buchhaltung eine E-Bilanz zu erzeugen und an die Finanzverwaltung zu übermitteln. Dabei würde es sich aber auch gleichzeitig um den einzigen Zweck ihrer Anschaffung handeln. Vor diesem Hintergrund sei der damit verbundene Aufwand für kleine Unternehmen, wie sie, die Klägerin, eines betreibe, unzumutbar. Es bestünde zwar die Alternative, mithilfe eines Tools eine E-Bilanz zu erstellen und an die Finanzverwaltung zu übermitteln. Von dieser Möglichkeit habe sie für das Jahr 2015 Gebrauch gemacht. Hierfür sei es jedoch erforderlich gewesen, mehrere hunderte Felder einzeln auszufüllen und die hierfür jeweils benötigten Beträge manuell zu ermitteln. Für die Erstellung und anschließende Übermittlung der auf diesem Wege generierten E-Bilanz habe ihr Geschäftsführer insgesamt etwa vier Arbeitstage benötigt. Die gesetzlich vorgesehene Härtefall-Regelung sei gerade für Klein- und Kleinstbetriebe eingeführt worden. Auf die vom Gesetzgeber beabsichtigte großzügige Anwendung für Kleinstbetriebe werde auch in der einschlägigen Fachliteratur hingewiesen. Ferner werde die von der Finanzverwaltung geforderte Taxonomie regelmäßig geändert. Dies führe zu weiterem Aufwand. In der bisherigen finanzgerichtlichen Rechtsprechung werde auch klargestellt, dass die betroffenen Steuerpflichtigen zur Erstellung einer E-Bilanz nicht auf die entgeltliche Inanspruchnahme der fachlichen Leistung eines Dritten verwiesen werden dürften. Die Frage, ob die Bilanz auf Papier oder elektronisch abgegeben werde, betreffe im Kern nur eine Vereinfachung für die Finanzverwaltung. Der Beklagte habe für die Vergangenheit die abgegebenen Bilanzen in Papierform akzeptiert. Es sei auch nicht zu erkennen, warum die Angaben für den Beklagten für die Besteuerung erforderlich sein sollten.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung seines Ablehnungsbescheides vom 20.08.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.02.2020 zu verpflichten, für das Jahr 2016 auf eine Übermittlung des Inhalts der Bilanz sowie der GuV nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung zu verzichten.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte nimmt Bezug auf den Inhalt seiner Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor, dass er weiterhin keine wirtschaftliche Unzumutbarkeit hinsichtlich des mit der elektronischen Übermittlung der E-Bilanz verbundenen Aufwandes erkennen könne. Die E-Bilanz bedeute für die Finanzverwaltung mehrere Vorteile. So werde die eingereichte E-Bilanz automatisiert überprüft, der Rechner erstelle Zeitreihen im Hinblick auf die für die Vorjahre erklärten Zahlen und erstelle ggf. Prüfhinweise bei Abweichungen. Der jeweilige Bearbeiter schaue sich die Bilanz regelmäßig nicht mehr an, sondern nur die Prüfhinweise. Die E-Bilanz sei zukunftsbezogen und sorge für Steuergerechtigkeit, weil der Rechner unabhängig von persönlichen Befindlichkeiten des Bearbeiters prüfe. Der Rechner überprüfe außerdem die Plausibilität der Zahlen innerhalb des jeweiligen Veranlagungsjahres. Die E-Bilanz spare Man-Power. Die Finanzverwaltung habe im Hinblick auf die E-Bilanz Personal abgebaut und wenn alle Kleinunternehmen Papierbilanzen einreichen würden, wäre die Arbeit mit dem vorhandenen Personal nicht zu leisten.

Die Sache ist am 28.01.2021 vor dem Senat mündlich verhandelt worden. Auf das Sitzungsprotokoll wird Bezug genommen.

Aus den Gründen

Begründetheit der Klage

I. Die Klage hat Erfolg.

Die Antragsablehnung vom 20.08.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.02.2020 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 101 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO). Sie hat einen Anspruch darauf, dass der Beklagte für das Jahr 2016 auf eine Übermittlung des Inhalts der Bilanz sowie der GuV nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung verzichtet.

Härtefallregelung des § 5b Abs. 2 S. 1 EStG i.V.m. § 150 Abs. 8 AO – Antrag auf Verzicht einer elektronischen Übermittlung

1. Nach § 5b Abs. 1 Satz 1 EStG ist der Inhalt der Bilanz sowie der GuV nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung zu übermitteln. Auf Antrag kann die Finanzbehörde nach § 5b Abs. 2 Satz 1 EStG zur Vermeidung unbilliger Härten auf eine elektronische Übermittlung verzichten. Dem Antrag ist nach § 150 Abs. 8 Satz 1 Abgabenordnung (AO), auf welchen § 5b Abs. 2 Satz 2 EStG verweist, zu entsprechen, wenn die elektronische Übermittlung für den Steuerpflichtigen wirtschaftlich oder persönlich unzumutbar ist. Dies ist nach § 150 Abs. 8 Satz 2 AO insbesondere der Fall, wenn die Schaffung der technischen Möglichkeiten für eine elektronische Übermittlung nur mit einem nicht unerheblichen finanziellen Aufwand möglich wäre oder der Steuerpflichtige nach seinen individuellen Kenntnissen und Fähigkeiten nicht oder nur eingeschränkt in der Lage ist, die Möglichkeiten der elektronischen Übermittlung zu nutzen.

Bei persönlicher oder wirtschaftlicher Unzumitbarkeit besteht ein Anspruch des Steuerpflichtigen auf den Verzicht der Finanzbehörde auf elektronische Übermittlung des Inhalts der E-Bilanz

a) Liegt eine persönliche oder wirtschaftliche Unzumutbarkeit vor, besteht ein Anspruch des Steuerpflichtigen auf den Verzicht der Finanzbehörde auf elektronische Übermittlung des Inhalts der E-Bilanz (BFH, Urteil vom 14.03.2012 – XI R 33/09, BStBl II 2012, 477, Rz 38 m.w.N [BB-Entscheidungsreport Lühn, BB 2012, 1140, StB 2012, 140 Ls]). Die Auslegung dieser unbestimmten Rechtsbegriffe ist gerichtlich voll überprüfbar, es liegt kein nur begrenzt überprüfbarer behördlicher Beurteilungsspielraum vor (BFH, Urteil vom 15.05.2018 – VII R 14/17, BFH/NV 2018, 1137, Rn. 18). Liegen die Voraussetzungen des § 150 Abs. 8 Satz 1 AO nicht vor, so kann die Finanzbehörde dennoch gemäß § 5b Abs. 2 Satz 1 EStG auf die elektronische Übermittlung verzichten, insoweit besteht ein Anspruch des Steuerpflichtigen auf ermessensfehlerfreie Bescheidung (BFH, Urteil vom 14.03.2012 – XI R 33/09, BStBl II 2012, 477 [BB-Entscheidungsreport Lühn, BB 2012, 1140, StB 2012, 140 Ls]).

Vorliegen wirtschaftlicher Unzumutbarkeit, wenn
die Schaffung der technischen Möglichkeiten für
eine Datenformübertragung nur mit einem nicht
unerheblichen finanziellen Aufwand möglich wäre

b) Wirtschaftliche Unzumutbarkeit i.S. des § 150 Abs. 8 Satz 1 AO liegt gemäß § 150 Abs. 8 Satz 2 Alternative 1 AO insbesondere vor, wenn die Schaffung der technischen Möglichkeiten für eine Datenfernübertragung nur mit einem nicht unerheblichen finanziellen Aufwand möglich wäre. Mit der Vorschrift hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass bei wirtschaftlicher Zumutbarkeit der Anschaffung allein das Fehlen der für eine elektronische Übermittlung der Steuererklärung erforderlichen Technik keinen Anspruch i.S. des § 150 Abs. 8 Satz 1 AO auf Befreiung von der Abgabe der Steuererklärung in elektronischer Form begründet (BFH, Urteil vom 14.03.2012 – XI R 33/09, BStBl II 2012, 477, Rz 58 [BB-Entscheidungsreport Lühn, BB 2012, 1140, StB 2012, 140 Ls], zur Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen; vom 16.06.2020 – VIII R 29/17, BFH/NV 2021, 83 [BB 2020, 2645 Ls], zur Abgabe von Einkommensteuererklärungen). Nicht ausdrücklich geregelt ist indes, unter welchen Voraussetzungen die Grenze zu einem nicht unerheblichen finanziellen Aufwand im Sinne der Vorschrift überschritten ist (BFH, Urteil vom 16.06.2020 – VIII R 29/17, BFH/NV 2021, 83, Rz. 16 [BB 2020, 2645 Ls]).

Insbesondere Kleinstbetriebe sollen sich auf die
Härtefallregelung berufen können

Bei der Auslegung des Merkmals der wirtschaftlichen Zumutbarkeit i.S. des § 150 Abs. 8 AO i.V.m. § 5b Abs. 2 Satz 2 EStG ist insbesondere der Umstand zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit § 150 Abs. 8 AO bewusst eine „großzügige Ausnahmeregelung“ eingeführt und diese „so weit gefasst“ hat, dass die „ungerechtfertigte Versagung einer Ausnahmegenehmigung ausgeschlossen“ sein sollte (BT-Drucks. 16/10940, 3). Insbesondere „Kleinstbetriebe“ sollten sich auf die Härtefallregelung in § 150 Abs. 8 AO berufen können (BT-Drucks. 16/10940, 3 und 10; BFH, Urteil vom 16.06.2020 – VIII R 29/17, BFH/NV 2021, 83, Rz. 17 [BB 2020, 2645 Ls]).

Über die Anwendung der Härtefallregelung ist unter
Berücksichtigung des Umsatzes und des Gewinns des
Gewerbebetriebs zu entscheiden

Dieser gesetzgeberischen Zielsetzung ist zum Beispiel im Hinblick auf die Pflicht nach § 25 Abs. 4 Satz 2 EStG zur elektronischen Abgabe der Einkommensteuerklärung dahingehend Rechnung zu tragen, dass über die Anwendung der Härtefallregelung des § 150 Abs. 8 AO lediglich unter Berücksichtigung der Einkünfte i.S. von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 EStG zu entscheiden ist (BFH, Urteil vom 16.06.2020 – VIII R 29/17, BFH/NV 2021, 83, Rz. 17 [BB 2020, 2645 Ls]). Im Hinblick auf die Pflicht nach § 5b Abs. 1 EStG zur elektronischen Übermittlung der Bilanz und der GuV nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz ist nach Auffassung des erkennenden Senates dahingehend Rechnung zu tragen, dass über die Anwendung der Härtefallregelung des § 5b Abs. 2 Satz 2 EStG i.V.m. § 150 Abs. 8 AO unter Berücksichtigung des Umsatzes und des Gewinns des Gewerbebetriebs zu entscheiden ist. Denn dabei handelt es sich um die maßgeblichen Kriterien für die Einteilung in Betriebsgrößenklassen, auf die der Gesetzgeber mit dem Begriff „Kleinstbetrieb“ erkennbar Bezug nimmt.

Im Streitfall sind die Voraussetzungen für die Anwendung der Befreiungsvorschrift erfüllt

2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sieht der erkennende Senat im Fall der Klägerin für das Streitjahr die Voraussetzungen für die Anwendung der Befreiungsvorschrift als erfüllt an. Die Übermittlung des Inhalts der Bilanz sowie der GuV nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung ist für die Klägerin für das kalendergleiche Wirtschaftsjahre 2016 nach den gesetzlichen Maßstäben des § 150 Abs. 8 AO wirtschaftlich unzumutbar. Die Schaffung der technischen Möglichkeiten für eine elektronische Übermittlung wäre für die Klägerin nur mit einem nicht unerheblichen finanziellen Aufwand möglich.

Die Klägering verfügt nicht über die technische Ausstattung für eine elektronische Datenübertragung

a) Die Klägerin verfügt nicht über die technische Ausstattung, den Inhalt der Bilanz sowie der GuV nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung zu übertragen. Die Klägerin erfüllt ihre steuerlichen Pflichten ohne Mitwirkung eines Steuerberaters. Insbesondere erledigt sie bzw. ihr Geschäftsführer die laufende Buchführung selbst mithilfe eines im Jahr 2010 angeschafften Computerprogrammes. Dieses ermöglicht zwar die Generierung eines zum Ausdruck auf Papier bestimmten Jahresabschlusses sowie einer GuV. Das verwendete Programm verfügt nicht über den XBRL-Standard und ermöglicht daher weder die Erstellung noch die Übermittlung einer den Anforderungen des § 5b Abs. 1 EStG entsprechenden Bilanz und GuV.

Die Schaffung der technischen Möglichkeiten für die elektronische Übermittlung ist nur mit finanziellem Aufwand möglich

b) Die Schaffung der technischen Möglichkeiten für die elektronische Übermittlung ist nur mit finanziellem Aufwand möglich. Dies gilt sowohl für die mögliche Beauftragung eines externen Dienstleisters, z.B. eines Steuerberaters, mit der jährlichen Erstellung und Übermittlung der E-Bilanz als auch für die Anschaffung eines neuen XBRL-fähigen Buchführungsprogramms, mit dessen Hilfe die E-Bilanz anhand des vorhandenen Datenbestandes automatisiert erstellt und übermittelt werden könnte. Schließlich führt auch die von der Klägerin für das Wirtschaftsjahr 2015 gewählte Variante, die E-Bilanz mithilfe eine Tools zu übermitteln, zu einem finanziellen Aufwand. Denn aus Sicht des erkennenden Senates bedeutet die von ihrem Geschäftsführer für die manuelle Erstellung aufgewendete Arbeitszeit von etwa vier Arbeitstagen für die Klägerin jedenfalls einen finanziellen Aufwand. Dies gilt auch dann, wenn die Klägerin für die damit verbundene Zeit ihrem Geschäftsführer keinen zusätzlichen Lohn zahlen müsste. Denn während der für die Erstellung der E-Bilanz verwendeten Zeit kann der Geschäftsführer nicht für die geschäftlichen bzw. umsatz- und gewinnbringenden Angelegenheiten der Klägerin tätig werden. Für die Behandlung der eigenen Arbeitszeit oder der Arbeitszeit von Mitarbeitern als finanziellen Aufwand eines Steuer- bzw. Erklärungspflichtigen spricht auch die vom Gesetzgeber beabsichtigte Anwendung der Härtefall- bzw. Ausnahmeregelung auf Kleinstbetriebe. Denn gerade bei diesen ist es wegen des zumindest im Regelfall ebenfalls geringeren Umfangs der anfallenden Arbeiten zur Erfüllung der steuerlichen Pflichten für Gewerbetreibende möglich und ggf. wirtschaftlich auch sinnvoll, die steuerlichen Pflichten selbst zu erfüllen. Mit Blick auf den Schutzgedanken der Ausnahmeregelung wäre es daher widersprüchlich, die eigene Arbeitszeit oder die Arbeitszeit eines Mitarbeiters nicht als berücksichtigungsfähigen finanziellen Aufwand zu behandeln. Es entspricht auch dem Grundsatz der Gleichbehandlung, sowohl externe als auch unternehmensinterne Arbeitsleistungen als finanziellen Aufwand i.S.d. § 150 Abs. 8 AO zu behandeln.

Der Senat sieht den danach erforderlichen finanziellen Aufwand der Klägerin für die Schaffung der technischen Möglichkeiten für eine elektronische Übermittlung als nicht unerheblich an

c) Der Senat sieht den danach erforderlichen finanziellen Aufwand der Klägerin für die Schaffung der technischen Möglichkeiten für eine elektronische Übermittlung als nicht unerheblich an. Dies gilt sowohl hinsichtlich des von der Klägerin aus Sicht des Senates sachgerecht geschätzten Aufwandes von 2.000 € für die Beauftragung eines externen Dienstleisters, des jährlichen Mehraufwandes für die Anschaffung eines neuen XBRL-fähigen Buchführungsprogramms i.H.v. 267 € zzgl. der für die Umstellung des Buchführungsprogramms aufzuwendenden Arbeitszeit als auch hinsichtlich der für die manuelle Eingabe mithilfe des vom Bundesanzeiger angebotenen Tools aufgewendeten Zeit von etwa vier Arbeitstagen.

Bei der Klägerin handelt es sich aufgrund des in den Jahren 2014 bis 2018 jeweils erzielten Umsatzes und Gewinns um einen Kleinstbetrieb, dessen Schutz vor finanziellem Aufwand der Gesetzgeber bei der Einführung der Härtefallregelung im Blick hatte. Die Absicht, auf diesem Wege eine großzügige Ausnahmeregelung einzuführen, spricht dafür, auch vermeintlich geringe Beträge i.H.v. 0,4 bis 0,5% des Umsatzes als nicht unerheblich anzusehen. Zusätzliche Betriebsausgaben hätten den in 2016 erzielten Verlust der Klägerin weiter erhöht. Demgegenüber erkennt der Senat weder auf Seiten der Klägerin noch auf Seiten des Beklagten für das Jahr 2016 einen überwiegenden Vorteil, der durch die elektronische Übermittlung der E-Bilanz im Vergleich zur erfolgten papiergebundenen Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung eintreten würde. Die Klägerin würde den finanziellen Aufwand allein zur Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben nach § 5b Abs. 1 EStG tragen. Die Einführung der E-Bilanz und die elektronische Übermittlung der Daten entfaltet zwar generell für die Finanzverwaltung Vorteile, auf welche die Beklagtenvertreterin in der mündlichen Verhandlung auch hingewiesen hat. Hinsichtlich der Besteuerung von Klein- bzw. Kleinstunternehmern fallen diese Vorteile jedoch geringer aus. Dieser Auffassung war auch der Gesetzgeber, der mit Blick auf diese Unternehmer eine Ausnahmeregelung in § 150 Abs. 8 AO aufgenommen hat, die großzügig angewendet werden sollte.

Aus Sicht des erkennenden Senates ist die wirtschaftliche Zumutbarkeit im Sinne von § 150 Abs. 8 AO gerade nicht mit einer wirtschaftlichen Leistbarkeit gleichzusetzen. Vielmehr sind bei der Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze im Einzelfall die gesetzgeberischen Ziele zu berücksichtigen, hier die Modernisierung und Entbürokratisierung des Steuerverfahrens (§ 5b Abs. 1 EStG) bei gleichzeitiger Einführung einer großzügigen Ausnahmeregelung, insbesondere für Kleinstbetriebe (§ 5b Abs. 2 Satz 2 EStG i.V.m. § 150 Abs. 8 AO).

Der Senat konnte davon absehen, die Akten des Geschäftsführers der Klägerin beizuziehen. Maßgeblich sind in diesem Verfahren die Umstände der GmbH. Der Senat hat den Befreiungsanspruch in diesem Verfahren auf die wirtschaftliche Unzumutbarkeit für die Klägerin als Steuersubjekt gestützt. Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschäftsführers der Klägerin sind für das vorliegende Verfahren unerheblich. Auch die von der Klägerin gestellten Beweisanträge waren nicht streiterheblich.

Kostenentscheidung

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

 

 

 

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