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Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
14.10.2010
Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
BFH: Einschränkung des Schuldzinsenabzugs nach § 4 Abs. 4a EStG aufgrund von Überentnahmen nur in den Vorjahren

BFH, Urteil vom 17.8.2010 - VIII R 42/07

Volltext des Urteils://BB-ONLINE BBL2010-g-g

unter www.betriebs-berater.de

Leitsatz

Eine Hinzurechnung nicht abziehbarer Schuldzinsen aufgrund von Überentnahmen nach § 4 Abs. 4a EStG ist auch dann vorzunehmen, wenn im Veranlagungszeitraum keine Überentnahme vorliegt, sich aber ein Saldo aufgrund von Überentnahmen aus den Vorjahren ergibt .

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten um die Hinzurechnung von Schuldzinsen nach § 4 Abs. 4a EStG.

Der Kläger ist Steuerberater und erzielt Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Seinen Gewinn ermittelt er seit 1996 durch Bestandsvergleich (§ 4 Abs. 1 EStG).

Zum 31.12.1998 war das Kapitalkonto negativ. In den Veranlagungszeiträumen 1999 bis 2001 erwirtschaftete der Kläger folgende Gewinne und tätigte folgende Einlagen sowie Entnahmen:

Veranlagungszeitraum

Einlagen

Entnahmen

Gewinn

1999 

10 290 DM  

154 942 DM

90 693 DM

2000

7 237 DM

168 323 DM

128 482 DM

2001

9 797 DM

169 507 DM

164 468 DM

Im Streitjahr 2001 betrugen die betrieblichen, nicht auf Investitionsdarlehen entfallenden, Schuldzinsen 74 111 DM.

Das FA ermittelte für das Streitjahr als Bemessungsgrundlage für den Hinzurechnungsbetrag nach § 4 Abs. 4a EStG einen Betrag von 81 804 DM. Für das Jahr 2001 ergab sich zwar eine Unterentnahme in Höhe von 4 759 DM, aus den Vorjahren war jedoch eine verbleibende Überentnahme in Höhe von 86 563 DM zu berücksichtigen. Den Hinzurechnungsbetrag ermittelte das FA mit 4 908,24 DM und erhöhte die Einkünfte des Klägers entsprechend.

Das FG wies die nach erfolglosem Einspruchsverfahren dagegen erhobene Klage mit seinem - in EFG 2007, 572 - veröffentlichten Urteil vom 19.12.2006 - 11 K 5373/04 E ab.

Mit der Revision rügt der Kläger, das FG habe § 4 Abs. 4a EStG fehlerhaft angewendet. Die Voraussetzungen der Vorschrift seien nicht erfüllt, weil er im Streitjahr keine Überentnahme getätigt habe. Im Übrigen sei die Vorschrift verfassungswidrig. Sie verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG sowie gegen das Übermaßverbot und enthalte eine unzulässige Typisierung.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil des FG aufzuheben und den geänderten Einkommensteuerbescheid 2001 vom 26.7.2005 dahingehend abzuändern, dass die Einkommensteuer unter Berücksichtigung eines Gewinns aus selbständiger Arbeit von 164 468 DM festgesetzt wird.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Aus den Gründen

            Unbegründetheit der Revoision

11        II. Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

            Einkünfte wurden zu Recht um den Hinzurechnungsbetrag erhöht

12        1. Das FA hat zu Recht die von dem Kläger erklärten Einkünfte aus selbständiger Arbeit im Streitjahr um einen Hinzurechnungsbetrag nach § 4 Abs. 4a EStG i. d. F. des StBereinG 1999 vom 22.12.1999 (BStBl. I 1999, 2601) - EStG 1999 - erhöht.

            Bindende Feststellungen des FG

13        a) Das FG hat für den Senat bindend festgestellt, dass sämtliche vom Kläger erklärten Schuldzinsen betrieblich veranlasst waren. Danach ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob der Betriebsausgabenabzug aufgrund von Überentnahmen gemäß § 4 Abs. 4a EStG 1999 eingeschränkt ist (vgl. zur vorrangigen Veranlassungsprüfung einzelner Zahlungsvorgänge Urteile des BFH vom 21.9.2005 - X R 46/04, BFHE 211, 238, BStBl. II 2006, 125, BB 2006, 251; vom 21.6.2006 - XI R 14/05, BFH/NV 2006, 1832; vom 29.3.2007 - IV R 72/02, BFHE 217, 514, BStBl. II 2008, 420, BB 2007, 1932).

            § 4 Abs. 4a S. 1 EStG 1999 wurde zu Recht auf die betrieblich veranlassten Zinsen des Klägers angewendet

14        b) Zu Recht hat das FG die Vorschrift des § 4 Abs. 4a S. 1 EStG 1999 auf die betrieblich veranlassten Zinsen des Klägers angewendet.

            Überentnahme gemäß § 4 Abs. 4a S. 2 EStG 1999

15        aa) Schuldzinsen sind nach § 4 Abs. 4a S. 1 EStG 1999 nicht abziehbar, wenn Überentnahmen getätigt worden sind. Eine Überentnahme ist in S. 2 des § 4 Abs. 4a EStG 1999 definiert als der Betrag, um den die Entnahmen die Summe des Gewinns und der Einlagen des Wirtschaftsjahres übersteigen. Die nicht abziehbaren Schuldzinsen werden nach S. 4 (nach der Änderung durch das Steueränderungsgesetz 2001 vom 20.12.2001, BGBl. I 2001, 3794 - StÄndG 2001 -: S. 3 der Vorschrift) typisiert mit 6 v. H. der Überentnahme des Wirtschaftsjahres zuzüglich der Überentnahmen der vorangegangenen Wirtschaftsjahre und abzüglich der Beträge, um die in den vorangegangenen Wirtschaftsjahren der Gewinn und die Einlagen die Entnahmen überstiegen haben (Unterentnahmen), ermittelt. Der sich dabei ergebende Betrag, höchstens jedoch der um 4 000 DM (jetzt: 2 050 EUR) verminderte Betrag der im Wirtschaftsjahr angefallenen Schuldzinsen (sog. Sockelbetrag oder Mindestabzug), ist dem Gewinn hinzuzurechnen (S. 5; jetzt: S. 4). Der Abzug von Schuldzinsen für Darlehen zur Finanzierung von Anschaffungs- oder Herstellungskosten von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens bleibt nach S. 6 (jetzt: S. 5) unberührt.

            Nach Ansicht des Klägers kommt eine Gewinnerhöhung nicht in Betracht, wenn im Wirtschaftsjahr eine sog. Unterentnahme vorliegt

16        bb) Nach Ansicht des Klägers ist der Begriff der Überentnahme abschließend durch S. 2 der Vorschrift definiert. Dieser sei auf das Wirtschaftsjahr bezogen. Falls im laufenden Wirtschaftsjahr keine Überentnahme getätigt worden sei, sei auch der gesetzliche Tatbestand des § 4 Abs. 4a EStG 1999 nicht erfüllt. Eine Gewinnerhöhung komme danach nicht in Betracht, wenn im Wirtschaftsjahr eine sog. Unterentnahme vorliege (so auch Schallmoser in Herrmann/Heuer/Raupach - HHR -, § 4 EStG Rz. 1051, m. w. N., sowie Rz. 1068, 1070, m. w. N.).

            Gegen diese Ansicht spricht jedoch der Wortlaut des S. 1

17        cc) Gegen diese Ansicht spricht jedoch der Wortlaut des S. 1, der den Regelungskern der Vorschrift bildet und durch die nachfolgenden Sätze lediglich ergänzt wird. § 4 Abs. 4a S. 1 EStG 1999 spricht in der Mehrzahl von „Überentnahmen", enthält aber keine zeitliche Zuordnung der Überentnahmen zu bestimmten Wirtschaftsjahren.

            S. 4 der Vorschrift (jetzt: S. 3) lässt indes erkennen, dass die Regelung periodenübergreifend angelegt ist

18        S. 4 der Vorschrift (jetzt: S. 3) lässt indes erkennen, dass die Regelung periodenübergreifend angelegt ist und Schuldzinsen für Überentnahmen so lange nicht abziehbar bleiben sollen, bis der Überhang an Überentnahmen durch Gewinne und Einlagen wieder ausgeglichen ist. Diese periodenübergreifende Regelung greift auch dann ein, wenn im Streitjahr selbst keine Überentnahmen gegeben sind; allerdings sind dann - insoweit abweichend vom missglückten Gesetzeswortlaut - auch Unterentnahmen des Streitjahres zu berücksichtigen (Nacke in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 4 Rz. 1657c; Frotscher in Frotscher, EStG, 6. Aufl., Freiburg 1998 ff., § 4 Rz. 649; Seiler, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 4 Ea 86; Wendt, FR 2000, 417, 427 f.).

            Diese Auslegung wird durch den aus der Entstehungsgeschichte ableitbaren Gesetzeszweck bestätigt

19        dd) Diese Auslegung wird durch den aus der Entstehungsgeschichte ableitbaren Gesetzeszweck bestätigt. Der Gesetzgeber wollte mit § 4 Abs. 4a EStG Gestaltungen in Form sog. Zwei- und Mehrkontenmodelle entgegenwirken und entwickelte im Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vom 24.3.1999 (BGBl. I 1999, 402) zunächst ein Zurechnungskonzept, nach dem nur die Entnahme von Liquiditätsüberschüssen zulässig sein sollte. Mit dem StBereinG 1999 entschied sich der Gesetzgeber dann jedoch für die jetzige Fassung. Sie basiert auf einem Eigenkapitalmodell (vgl. zur Entstehung des § 4 Abs. 4a EStG Seiler, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a. a. O., § 4 Ea 1 ff.; Blümich/Wied, § 4 EStG Rz. 596 f.). Der Betriebsinhaber soll, wenn das Eigenkapital negativ ist, dem Betrieb nicht mehr Mittel entziehen, als erwirtschaftet und eingelegt worden sind (vgl. Meurer in Lademann, EStG, § 4 EStG Rz. 656 k (1); Schmidt/Heinicke, EStG, 29. Aufl., § 4 Rz. 529; Blümich/Wied, § 4 EStG Rz. 596; Nacke in Littmann/Bitz/Pust, a. a. O., § 4 Rz. 1657b; Korn in Korn, § 4 EStG Rz. 844.1; Frotscher in Frotscher, a. a. O., § 4 Rz. 648; FG Rheinland-Pfalz, Urteile vom 13.3.2003 - 6 K 2363/02, EFG 2003, 831, sowie 6 K 2364/02, juris). Maßgeblich für die Ermittlung der nicht abziehbaren Schuldzinsen soll daher der jährlich fortzuschreibende Saldo aller Über- und Unterentnahmen sein.

            Regelung in Rdnr. 23, 24 des Schreibens des BMF vom 17.11.2005 entspricht dem Gesetzeszweck

20        Die Regelung in Rdnr. 23, 24 des Schreibens des BMF vom 17.11.2005 - IV B 2 -S 2144- 50/05 (BStBl. I 2005, 1019), wonach eine Überentnahme auch dann vorliegt, wenn sich diese nur aus Überentnahmen vorangegangener Wirtschaftsjahre berechnet, entspricht daher dem Gesetzeszweck und dem möglichen Wortsinn des § 4 Abs. 4a EStG. Deshalb war der Gesetzgeber nicht - wie der Kläger meint - gehalten, in einem nachfolgenden Steuergesetz den Wortlaut der Vorschrift zu korrigieren.

            Vorschrift des § 4 Abs. 4a EStG muss nicht bei der Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich und der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG stets zum gleichen Ergebnis führen

21        ee) Die Vorschrift des § 4 Abs. 4a EStG muss entgegen der Auffassung des Klägers nicht bei der Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich und der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG stets zum gleichen Ergebnis führen. § 4 Abs. 4a EStG ist auch auf die Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG anzuwenden. Durch die unterschiedliche Gewinnermittlung ergeben sich in einzelnen Jahren unterschiedliche Beträge. Daher sind beim Wechsel der Gewinnermittlungsart anfallende Übergangsgewinne zu berücksichtigen (vgl. BMF-Schreiben in BStBl. I 2005, 1019 Rdnr. 8). Soweit ein Wahlrecht hinsichtlich der Gewinnermittlung besteht, obliegt es dem Steuerpflichtigen, das für ihn günstige Verfahren zu wählen.

            Keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken

22        2. Es bestehen auch keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Anwendung des § 4 Abs. 4a EStG (a. A. Söffing, BB 2008, 417; Paus, FR 2006, 412; Horlemann, DStR 2010, 726).

            Vorschrift ist formell verfassungsgemäß

23        a) Die Vorschrift ist formell verfassungsgemäß. § 4 Abs. 4a EStG ist durch den Vermittlungsausschuss in das EStG eingefügt worden. Durch das StÄndG 2001 hat der Gesetzgeber § 4 Abs. 4a EStG in Einzelfragen geändert und dadurch die Gesamtvorschrift in seinen Willen aufgenommen. Das Demokratieprinzip in Gestalt des Parlamentsvorbehalts wurde daher nicht verletzt (vgl. BFH-Urteil vom 21.9.2005 - X R 47/03, BFHE 211, 227, BStBl. II 2006, 504, BB 2005, 2791; Schallmoser, FR 2001, 509, 511; Wendt, FR 2000, 417, 423; zum Bestätigungswillen bei vorkonstitutionellen Gesetzen vgl. Beschluss des BVerfG vom 4.6.1985 - 1 BvL 14/84, BVerfGE 70, 126).

            Vorschrift ist materiell verfassungsgemäß

24        b) Auch materiell ist die Vorschrift verfassungsgemäß. Sie ist unter dem Blickwinkel des Nettoprinzips verfassungsrechtlich unbedenklich, da sie an Überentnahmen und somit an private Ursachen anknüpft (vgl. BFH-Urteil vom 7.3.2006 - X R 44/04, BFHE 212, 501, BStBl. II 2006, 588, BB 2006, 1368; ebenso HHR/Schallmoser, § 4 EStG Rz. 1037; Frotscher in Frotscher, a. a. O., § 4 Rz. 625; Blümich/Wied, § 4 EStG Rz. 610; Schmidt/Heinicke, a. a. O., § 4 Rz. 522).

            Keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen gesetzliche Typisierung der nicht abziehbaren Schuldzinsen

25        3. Schließlich bestehen auch gegen die gesetzliche Typisierung der nicht abziehbaren Schuldzinsen mit 6 v. H. der Überentnahmen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

            Kläger meint zu Unrecht, der Gesetzgeber habe mit dem Gewinn den falschen Anknüpfungspunkt gewählt und seine Typisierungsbefugnis überschritten

26        a) Der Kläger meint zu Unrecht, der Gesetzgeber habe mit dem Gewinn den falschen Anknüpfungspunkt gewählt und seine Typisierungsbefugnis überschritten.

            Anknüpfung an den jeweiligen Bestand des EK ist sachgerecht

27        Die jetzige Gesetzesfassung verzichtet aus Praktikabilitätsgründen auf eine liquiditätsbezogene Betrachtung und knüpft an den jeweiligen Bestand des vorhandenen Eigenkapitals an, der grundsätzlich steuerunschädlich entnommen werden darf (vgl. BFH-Urteile in BFHE 211, 227, BStBl. II 2006, 504; vom 21.9.2005 - X R 40/02, BFH/NV 2006, 512; a. A. Horlemann, DStR 2010, 726). Diese Anknüpfung ist sachgerecht, weil das Eigenkapital die im Betrieb erwirtschafteten Mittel abbildet, die für eine Entnahme zur Verfügung stehen.

            Möglichkeit des Gegenbeweises fehlt nach Ansicht des Klägers

28        b) Der Kläger macht ferner geltend, es fehle die Möglichkeit [,] einen Gegenbeweis zu führen, dass die durch Entnahmen ausgelösten Zinsen tatsächlich niedriger sind (vgl. HHR/Schallmoser, § 4 EStG Rz. 1037, 1069; Schneider/Petrak, WPg 2006, 1105, 1109).

            FG sieht zu Recht die Typisierung vom Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers umfasst

29        Das FG hingegen sieht zu Recht die Typisierung vom Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers umfasst. Der vom Gesetzgeber gewählte Zinssatz ist nicht überhöht und die Typisierung dient in erster Linie einem Vereinfachungszweck. Insbesondere erspart sie dem Steuerpflichtigen wie der Finanzverwaltung eine genaue umfangmäßige und zeitanteilige Zuordnung der angefallenen Zinsen, die sich letztlich nur bei einer liquiditätsbezogenen Betrachtungsweise leisten ließe. Die Typisierung erweist sich daher als technische Folge der praktikableren kapitalbezogenen Sichtweise (vgl. Seiler, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a. a. O., § 4 Ea 83; Tipke, Die Steuerrechtsordnung Band I, 2. Aufl. 2000, § 7 S. 356 unten; Wendt, FR 2000, 417, 427; Frotscher in Frotscher, a. a. O., § 4 Rz. 654). Unbillige Ergebnisse sind im Einzelfall nach § 163 AO zu korrigieren.

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