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Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
04.03.2021
Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
FG Berlin-Brandenburg: Bindungswirkung von Fehlurteilen – hier: Überversorgungsgrundsätze

FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.10.2020 – 10 K 10090/17

ECLI:DE:FGBEBB:2020:1022.10K10090.17.00

Volltext des Urteils://BB-ONLINE BBL2021-622-2

(Hinweis der Redaktion: Der im Heft angegebene Link BBL2021-622-1 wurde folgendem Urteil zugeordnet: BGH, Beschluss vom 27.1.2021 – StB 44/20, und hier korrigiert. Wir bitten dies zu entschuldigen.)

Leitsatz

1. Die sog. Überversorgungsgrenze von 75 % bei Pensionsrückstellungen gilt nach Eintritt des Versorgungsfalls nicht mehr (wie BFH I R 78/08 [BB 2010, 2167 m. BB-Komm. Teckentrup], gegen BFH I R 4/15 [BB 2017, 1203 m. BB-Komm. Weppler]).(Rn.38)

2. Auch für zurückverweisende Fehlurteile des BFH gilt die Bindungswirkung des § 126 Abs. 5 FGO.(Rn.39)(Rn.55)

Orientierungssätze

1. Zu Leitsatz 1: Bei dem BFH-Urteil vom 20.12.2016 I R 4/15 [BB 2017, 1203 m. BB-Komm. Weppler] handelt es sich um ein Fehlurteil, weil sich der 1. BFH-Senat darin mit seinem eigenen Urteil vom 28.04.2010 I R 78/08 [BB 2010, 2167 m. BB-Komm. Teckentrup] nicht auseinandersetzt, also weder dessen Rechtssatz anwendet noch - obwohl dessen Anwendung naheliegt - aufzeigt, warum es sich um einen anderen, in entscheidungsrelevanten Punkten abweichenden Sachverhalt handelt, noch seine frühere Rechtsprechung ausdrücklich aufgibt.(Rn.55)

2. Zu Leitsatz 2: Durch die Bindungswirkung des zurückverweisenden BFH-Urteils I R 4/15 [BB 2017, 1203 m. BB-Komm. Weppler] sieht sich der erkennende Senat vorliegend an einer Klagestattgabe gehindert.(Rn.39)

§ 5 Abs 1 S 1 EStG 2002, § 5 Abs 6 EStG 2002, § 6a Abs 1 EStG 2002, § 6a Abs 3 S 2 Nr 1 S 4 EStG 2002, § 8 Abs 1 KStG 2002, § 8 Abs 3 S 2 KStG 2002, § 91 Abs 2 FGO, § 42 AO, § 173 Abs 1 Nr 1 AO, § 249 Abs 1 HGB, EStG VZ 2005, EStG VZ 2006, EStG VZ 2007, KStG VZ 2005, KStG VZ 2006, KStG VZ 2007

Sachverhalt

Das Verfahren befindet sich im zweiten Rechtsgang.

Die Beteiligten streiten wegen der Körperschaftsteuer und des Gewerbesteuermessbetrages um die zutreffende Bewertung einer Rückstellung wegen einer Pensionszusage. Nach Bereinigung anderer Streitpunkte ist noch der Umfang der Bindungswirkung des Urteils des Bundesfinanzhofs – BFH – im ersten Rechtsgang gemäß § 126 Abs. 5 Finanzgerichtsordnung – FGO – streitig. Verbleibende Streitjahre sind die Jahre 2005 und 2006.

I. Streitig ist (nur) die Bewertung der Pensionsrückstellung des damaligen Senior-Geschäftsführers und früheren Gesellschafters B…, …, geboren am 24.02.1941, verstorben am 21.08.2011. Dieser vollendete im Februar 2006, dem zweiten der ursprünglich drei Streitjahre, sein 65. Lebensjahr. Er erhielt von der Klägerin bis Februar 2006 ein Monatsgehalt und ab März 2006 die zugesagte Pension. Außerdem erhielt er ebenfalls ab März 2006 von der Deutschen Rentenversicherung eine Rente. Die Bewertung der Pensionsrückstellung für die Pension der früher angestellten, dann ab dem Jahr 2000 ebenfalls zu Geschäftsführern berufenen Söhne C… und D…, denen die Geschäftsanteile im November 1999 übertragen worden waren und die im April 2007 ebenfalls eine Versorgungszusage erhielten, war und ist nicht streitig.

II. Der BFH hat mit Urteil vom 28.04.2010 I R 78/08 [BB 2010, 2167 m. BB-Komm. Teckentrup], veröffentlicht am 28.07.2010, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs – BFHE – 229, 234, Bundessteuerblatt Teil II – BStBl II – 2013, 41, DStR-Entscheidungsdienst – DStRE – 2010, 976, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs – BFH/NV – 2010, 1709, Juris Rn. 23-24 und Leitsatz 1, entschieden, dass nach dem Eintritt des Versorgungsfalls eine Pensionsrückstellung mit dem Barwert der künftigen Pensionsleistungen am Schluss des Wirtschaftsjahres zu bewerten ist. Ein Verstoß gegen § 6a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Satz 4 i. V. m. Nr. 2 Halbsatz 2 EStG und die daraus abzuleitenden sog. Überversorgungsgrundsätze liege nur vor, wenn künftige Pensionssteigerungen oder -minderungen am Bilanzstichtag berücksichtigt werden, nicht jedoch, wenn die zugesagte Pension höher als der zuletzt gezahlte Aktivlohn ist. Der BFH bestätigte damit die Auffassung im BMF-Schreiben vom 03.11.2004, BStBl I 2004, 1045, Rn. 6. Die Entscheidung hat im Schrifttum ihren Niederschlag gefunden (z. B. Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 38. Aufl. 2019, § 6a Rn. 57: „Die Überversorgungsgrundsätze sind nach Eintritt der Versorgungsfalls unerheblich“; Gosch in Kirchhof, EStG, 19. Aufl. 2020, § 6a Rn. 17, unter F. „Bewertung der Pensionsrückstellung (Abs. 3)“, dort unter III. „Teilwert nach Beendigung des Dienstverhältnisses (Abs. 3 S. 2 Nr. 2)“ heißt es im letzten Satz: „Für die ebenfalls auf das Stichtagsprinzip zu stützenden Überversorgungsgrundsätze (Rn. 19) bleibt hingegen kein Raum; die Anwartschaft ist ausfinanziert.“).

III.1. Von Januar 2010 bis Februar 2011 fand bei der Klägerin eine steuerliche Außenprüfung (Betriebsprüfung – Bp –) statt. Die Betriebsprüferin forderte am 29.04.2010 die Hinzuziehung eines Fachprüfers für die betriebliche Altersversorgung, der in seinem Teilbericht vom 12.11.2010 zu der Einschätzung gelangte, dass die Pensionszusage für B… die Überversorgungsgrenze von 75 % der letzten Aktivbezüge überschreite. Wegen der Überversorgung habe die Pensionszusage weder während der Anwartschaftsphase noch in der ab 2006 begonnenen Leistungsphase einem Fremdvergleich standgehalten. Deswegen seien die Rückstellungen innerbilanziell zu berichtigen und ab Leistungsbeginn die laufenden Aufwendungen teilweise als verdeckte Gewinnausschüttung – vGA – zu behandeln.

Das beklagte Finanzamt – FA – folgte dem mit Änderungsbescheiden vom 04.07.2011. Die Rückstellung für die Versorgungszusage B… wurde von rd. 440 T€ auf rd. 290 T€ korrigiert, was zu einer Gewinnerhöhung im Jahr 2005 von 151.458 €, im Jahr 2006 von 500 € und im Jahr 2007 von 951 € führte.

2. Die Klägerin legte mit Schreiben vom 20.07.2011 Einspruch ein. Gegenstand der Ausführungen war v. a. die Höhe der Sozialversicherungsrente sowie die Frage eines Bestandsschutzes für die bis 31.12.1996 bereits angesammelte Pensionsrückstellung.

3. Mit Einspruchsentscheidung vom 24.01.2012 wies das FA die Einsprüche als unbegründet zurück. Nach der Rechtsprechung des BFH zu § 6a EStG sei die Pensionsrückstellung zu kürzen, soweit die Versorgungsanwartschaft zusammen mit der Rentenanwartschaft 75 % der am Bilanzstichtag bezogenen Aktivbezüge übersteige. Beiträge zur Pflicht-Unfallversicherung und zur Direktversicherung seien dabei nicht als Aktivbezüge anzusehen, weil sie dem Arbeitnehmer nicht tatsächlich zuflössen und damit nicht aktiv seinen Lebensstandard bestimmten. Der Sachbezug durch Überlassung des PKW gehöre ebenfalls nicht zu den Aktivbezügen, weil es für die private PKW-Nutzung keine vertragliche Regelung gegeben habe, was diese zu einer vGA mache, die nicht zu den Gehaltsbestandteilen gehöre. Die Rentenanwartschaft sei in die Betrachtung einzubeziehen, weil es sich bei den Beiträgen des Versicherten zu DDR-Zeiten um Pflichtbeiträge als selbständiger Handwerker, nicht um freiwillige Beiträge gehandelt habe. Die Übergangsregelung für Nur-Pensionen sei nicht anwendbar, weil keine Nur-Pensionszusage vorliege.

4. Die Klägerin erhob am 09.02.2012 Klage, für die seinerzeit der 6. Senat des Finanzgerichts – FG – zuständig war und die unter dem Aktenzeichen 6 K 6045/12 geführt wurde. Die Beteiligten stritten um die Berechnung der Überversorgungsgrenze unter den bereits im Einspruchsverfahren angesprochenen Gesichtspunkten.

5. Mit Urteil vom 02.12.2014 (DStRE 2015, 834, Juris) wurde der Klage stattgegeben und die Revision zugelassen. Im Tatbestand des Urteils ist der Übergang von Monatsgehalt zu Pension und Rente dargestellt (Urteilsabschrift – UA – Seite 3 unten, Juris Rn. 7-8). Der 6. Senat führte bezüglich der innerbilanziellen Kürzung der Pensionsrückstellung mit ausführlicher Begründung aus, er folge der Überversorgungsrechtsprechung des BFH nicht. Es sei vielmehr eine Angemessenheitsprüfung vorzunehmen. Die Gesamtausstattung der Geschäftsführer sei jedoch angemessen gewesen.

6. Die Frage, ob nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH die Überversorgungsgrenze von 75 % der letzten Aktivbezüge auf den 31.12.2006 und 31.12.2007 nach Beginn der Leistungsphase überhaupt noch relevant ist, wurde weder von den Beteiligten des Rechtsstreits noch in den Entscheidungsgründen des Urteils thematisiert.

Auch in der Revisionsbegründung und der Revisionserwiderung wurde sie nicht erwähnt.

7. Mit Urteil vom 20.12.2016 I R 4/15 [BB 2017, 1203 m. BB-Komm. Weppler], Deutsches Steuerrecht – DStR – 2017, 841, BFH/NV 2017, 807, BStBl II 2017, 678, Juris, hob der BFH auf die Revision des Beklagten das Urteil FG vom 02.12.2014 auf und wies die Sache an das FG zurück. Auch in diesem Urteil sind die Pension und Rente ab März 2006 unter I. aufgeführt (UA S. 3, Juris Rn. 4). Der BFH macht dann unter II.1. umfangreiche Ausführungen, warum er an der Überversorgungsgrenze von 75 % festhalte und wie diese im Einzelnen zu berechnen sei. Bei der dabei einleitenden Wiedergabe der gesetzlichen Bestimmungen (insbesondere § 6a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Satz 4 EStG) heißt es im letzten Satz (UA Seite 6, Juris Rn. 16): „Entsprechendes gilt für die Zeit nach Beendigung des Dienstverhältnisses (§ 6a Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Halbsatz 2 EStG).“ Unter II.2. heißt es dann einleitend (UA Seite 15, Juris Rn. 31): „Nach dem Vorstehenden entspricht die vom FA in den Änderungsbescheiden vom 4. Juli 2011 vorgenommene Korrektur des Einkommens (Bewertung der Versorgungsverpflichtung) im Grundsatz dem materiellen Recht.“ Schließlich heißt es unter II.3. (UA S. 16, Juris Rn. 32): „Die Sache ist indes nicht spruchreif, da eine abschließende Beurteilung des Streitfalls Feststellungen sowohl zum Tantiemeanspruch des C in 2001 als auch zu einer zeitbezogenen Verhältnisberechnung erfordert, die dem Umstand der erst nachträglich eingetretenen Überversorgung Rechnung tragen.“

Zur Frage der Bedeutung der Überversorgungsgrenze nach Eintritt des Versorgungsfalls (in der Leistungsphase) verhalten sich die Urteilsgründe nicht ausdrücklich.

IV.1. Nach der Zurückverweisung war im FG (Eingang: 19.04.2017) aufgrund geänderter Geschäftsverteilung nunmehr der 10. Senat zuständig (dort Eingang am 02.05.2017). Mit Schriftsätzen von Mai 2017 bis September 2019 nahmen die Beteiligten zur Berechnung der Überversorgung Stellung. Es ging insbesondere um die Berechnung des letzten Aktivlohns, in diesem Zusammenhang um die Tantiemen in den fünf Jahren zuvor, die Berücksichtigungsfähigkeit des Sachbezugs PKW-Nutzung sowie die Frage einer geringeren Überversorgung am 31.12.1999 bei Übergang in die Teilzeit zum 01.01.2000.

2. Zum 01.01.2020 fand ein Wechsel des Berichterstatters statt. Dieser wies mit Schreiben vom 04.05.2020 auf die ggf. vorzunehmende Differenzierung zwischen der Zeit vor und nach Eintritt des Versorgungsfalls im Zusammenhang mit dem Urteil des BFH vom 28.04.2010 I R 78/08 [BB 2010, 2167 m. BB-Komm. Teckentrup] hin, aber auch auf die einer Berücksichtigung möglicherweise entgegenstehende Bindungswirkung des zurückverweisenden Urteils des BFH in hiesiger Sache, ferner gab er eine Einschätzung über die Erfolgsaussichten der übrigen noch streitigen Punkte bei der Berechnung der Überversorgung. Das FA erließ die Teilabhilfebescheide vom 26.05.2020. Die Klägerin erklärte nachfolgend, sie begehre nur noch, dass bei der Bestimmung der Höhe der Pensionsrückstellung nach Eintritt des Versorgungsfalls, also auf den 31.12.2006 und 31.12.2007, die Überversorgungsgrenze von 75 % der letzten Aktivbezüge außer Betracht und die Rückstellung somit ungeschmälert bleibe. Dies habe Auswirkung nur bei der Körperschaftsteuer und dem Gewerbesteuermessbetrag 2006 und im Wege des Verlustrücktrages bei der Körperschaftsteuer 2005. Die Klägerin hat deswegen das Verfahren wegen Körperschaftsteuer 2007, Gewerbesteuermessbetrag 2007 und Gewerbesteuermessbetrag 2005 im Anschluss an die Änderungsbescheide vom 26.05.2020 in der Hauptsache für erledigt erklärt.

3. Die Klägerin trägt zur Begründung bezüglich des noch verbleibenden Klagegegenstands vor:

Die grundsätzliche Bindungswirkung gemäß § 126 Abs. 5 FGO werde nicht angezweifelt. Die Auslegung des Urteils des BFH vom 20.12.2016 I R 4/15 [BB 2017, 1203 m. BB-Komm. Weppler] ergebe aber, dass dieses einer Berücksichtigung der Rechtsprechungsgrundsätze des Urteils des BFH vom 28.04.2010 I R 78/08 [BB 2010, 2167 m. BB-Komm. Teckentrup] nicht entgegenstehe.

Der BFH habe im zurückverweisenden Urteil gerade ausgeführt, dass er an seiner bisherigen Rechtsprechung festhalte. Ein Widerspruch zur eigenen ständigen Rechtsprechung schließe die Bindungswirkung aber aus (Verweis auf FG Köln, Urteil vom 13.03.2014 10 K 3822/13, EFG 2014, 1138, Juris Rn. 64).

Die Bindungswirkung erstrecke sich nur auf die rechtliche Beurteilung durch den BFH. Dieser habe die Tatsache, dass der Versorgungsfall im Jahr 2006 eingetreten sei, in seine rechtliche Bewertung aber gar nicht einfließen lassen. Er habe diese Tatsache nicht einmal erwähnt. Das FG könne daher im zweiten Rechtsgang diese Tatsache als neue würdigen.

Die Bindungswirkung erstrecke sich zwar auch auf sämtliche Vorfragen, die der eigentlichen rechtlichen Prüfung durch den BFH vorangehen. Grundsätzlich könne davon ausgegangen werden, dass der BFH sämtliche Vorfragen in seine Prüfung mit einbeziehe, so dass sich die Bindungswirkung auch auf die Vorfragen erstrecke. Dies gelte jedoch nicht, wenn eine materiell-rechtliche Vorfrage offensichtlich übersehen wurde, weil sie von keiner Seite beanstandet worden war. In einem solchen Fall fehle es schon an einer rechtlichen Beurteilung durch den BFH, an die das FG gebunden sein könnte.

Die Bindungswirkung trete nur ein, wenn der BFH die Sache abschließend entschieden habe. Bezüglich der Bewertung der Versorgungsverpflichtung habe der BFH aber nur festgestellt, dass die Korrektur durch die Bp bzw. das FA „dem Grunde nach“ dem materiellen Recht entspreche. Zur Höhe habe sich der BFH nicht geäußert. Die Übernahme der vom FG im ersten Rechtsgang aufgestellten Berechnung betreffe nur die vGA. Daher könne zumindest für die Bewertung der Versorgungsverpflichtung keine Bindungswirkung eingetreten sein.

Unter Berücksichtigung der gegenläufig geringeren Steuerrückstellungen beantragt die Klägerin,

den Körperschaftsteuerbescheid 2006 und den Gewerbesteuermessbescheid 2006, beide zuletzt vom 26.05.2020, dahingehend zu ändern, dass der Gesamtbetrag der Einkünfte bzw. der Gewinn aus Gewerbebetrieb statt in Höhe von + 18.670 € nunmehr in Höhe von ./. 104.719 € zugrunde gelegt wird, sowie den Körperschaftsteuerbescheid 2005, zuletzt vom 26.05.2020, dahingehend zu ändern, dass ein Verlustrücktrag aus 2006 in Höhe von 104.719 € berücksichtigt wird.

Das FA schließt sich den Erledigungserklärungen der Klägerin zur Hauptsache an und beantragt sinngemäß,

die Klage abzuweisen.

Das FA stimmt der Klägerin zwar insoweit zu, als dass nach Eintritt des Versorgungsfalls die Pensionsrückstellung nicht mehr an der 75-%-Überversorgungsgrenze hätte gemessen werden dürfen. Es hält jedoch ein grundlegendes Abweichen von der bisherigen Verfahrensweise, insbesondere von der innerbilanziellen Korrektur der Rückstellung in allen drei Streitjahren, wegen der Bindungswirkung des Urteils des BFH vom 20.12.2016 I R 4/15 [BB 2017, 1203 m. BB-Komm. Weppler] gemäß § 126 Abs. 5 FGO für unzulässig.

Indem der BFH unter II.2. der Gründe ausgeführt habe, dass die vom FA in den Änderungsbescheiden vom 04.07.2011 vorgenommene Korrektur des Einkommens (Bewertung der Versorgungsverpflichtung) im Grundsatz dem materiellen Recht entspreche, habe er die innerbilanzielle Korrektur der Rückstellung in allen drei Streitjahren rechtlich als zutreffend beurteilt.

Die Bindungswirkung trete nicht nur hinsichtlich der Gründe ein, die zur Aufhebung des FG-Urteils führten, sondern auch hinsichtlich der Gründe, die zur Zurückverweisung führten. Die Bindung bestehe insbesondere hinsichtlich der abschließenden rechtlichen Beurteilung anlässlich der Zurückverweisung. Die Bindung bestehe selbst dann, wenn das Urteil des BFH rechtsfehlerhaft sein sollte. Die Ausnahmefälle für die Bindung (anderer Sachverhalt, rückwirkende Gesetzesänderung, spätere Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung) lägen nicht vor. Das Urteil des BFH vom 20.12.2016 sei weder in sich widersprüchlich noch habe es die Tatsache, dass im Jahr 2006 der Versorgungsfall eingetreten sei, unberücksichtigt gelassen. Unter I. der Gründe sei nämlich der Sachverhalt insofern vollständig wiedergegeben worden. Der BFH habe auch unter II.1. der Gründe ausdrücklich auf Satz 2 Nr. 2 Halbsatz 2 i. V. m. Nr. 1 Satz 4 des § 6a Abs. 3 EStG Bezug genommen, was nur für Zeiträume nach Eintritt des Versorgungsfalls Sinn ergebe und daher zeige, dass der BFH sich dieses Umstandes bewusst gewesen sei.

Für die Frage der Bindungswirkung des Urteils vom 20.12.2016 sei es unerheblich, ob der BFH dabei von seinem Urteil vom 28.04.2010 abgewichen sei.

V.1. Die Beteiligten haben sich einverstanden erklärt mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung sowie mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle des Senats.

2. Der Berichterstatter hat von einer alleinigen Entscheidung abgesehen aufgrund folgender Erwägungen:

Wenn die Beteiligten gemäß § 79a Abs. 3, Abs. 4 FGO ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter erklären, steht es in dessen pflichtgemäßem Ermessen, von der ihm eingeräumten Möglichkeit Gebrauch zu machen. Dabei ist einerseits der Zweck der Entlastung des Senats und der Straffung des Verfahrens zu beachten, andererseits misst der Gesetzgeber Kollegialentscheidungen eine höhere Richtigkeitsgewähr bei (BFH, Beschluss vom 09.07.2003 IX B 34/03 [BB 2003, 2113 Ls], BStBl II 2003, 858, Juris Rn. 6).

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Berichterstatter berücksichtigt, dass die Beteiligten auf mündliche Verhandlung verzichtet haben und dass es nicht um eine komplexe tatsächliche Würdigung, die die Lektüre umfangreicher Unterlagen oder gar eine Beweisaufnahme oder Beweiswürdigung erfordert, geht, sondern im Kern lediglich um die Auslegung eines Urteils des BFH unter einem einzelnen, begrenzten rechtlichen Gesichtspunkt, so dass die Befassung des Senats dessen Ressourcen nur wenig in Anspruch nimmt, weswegen hier der höheren Richtigkeitsgewähr ausnahmsweise der Vorrang zukommt.

3. Folgende Steuerakten lagen vor:

Rb-Vorgang, Bp-Akte (Veranlagungsstelle) Bd. 1, Bp-Akte (Betriebsprüfungsstelle) Bd. 1 und 2, Vertragsakte, KSt-Akte Bd. 4, GewSt-Akte Bd. 4, Bilanzakte Bd. 4.

Ferner lag die Finanzgerichtsakte des ersten Rechtsgangs 6 K 6045/12 sowie eine Akte des BFH mit der Beschriftung „Bundesfinanzhof I. Senat Az. I R 4/15“ [BB 2017, 1203 m. BB-Komm. Weppler] vor.

Aus den Gründen

 

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Die angefochtenen Bescheide sind unter Berücksichtigung der Bindungswirkung des zurückverweisenden Urteils des BFH vom 20.12.2016 I R 4/15 [BB 2017, 1203 m. BB-Komm. Weppler] gemäß § 126 Abs. 5 FGO rechtmäßig (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

 

I. Der Senat ist mit der insoweit übereinstimmenden Auffassung der Beteiligten und aus den Gründen des Urteils des BFH vom 28.04.2010 I R 78/08, BFHE 229, 234, BStBl II 2013, 41 [BB 2010, 2167 m. BB-Komm. Teckentrup], DStRE 2010, 976, BFH/NV 2010, 1709, Juris Rn. 23-24, der Auffassung, dass nach Eintritt des Versorgungsfalls die Überversorgungsgrenze nicht mehr gilt, was ohne Berücksichtigung der Bindungswirkung des zurückverweisenden Urteils des BFH zur Klagestattgabe in vollem Umfang führen würde.

 

II. Der Senat sieht sich an einer Klagestattgabe jedoch durch die Bindungswirkung des zurückverweisenden Urteils gemäß § 126 Abs. 5 FGO gehindert.

 

1. Nach § 126 Abs. 5 FGO hat das Gericht, an das die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des BFH zugrunde zu legen.

 

a) Die Bindung der letzten Tatsacheninstanz an die Ansicht der Revisionsinstanz im nachfolgenden Rechtsgang nach Zurückverweisung ist ein allgemeiner Grundsatz des deutschen Verfahrensrechts. Sie ergibt sich nicht aus der Rechtskraft, sondern ist in allen Verfahrensordnungen statuiert (§ 563 Abs. 2 ZPO, § 144 Abs. 6 VwGO, § 170 Abs. 5 SGG, und § 72 Abs. 5 ArbGG).

Zweck dieser Vorschriften ist es zu verhindern, dass die endgültige Entscheidung der Sache dadurch verzögert oder gar verhindert wird, dass sie ständig zwischen Tatsachen- und Revisionsgericht hin- und hergeschoben wird, weil keines der beiden Gerichte seine Rechtsauffassung ändert. Es handelt sich um eine - gesetzlich angeordnete und daher zulässige - Ausnahme von dem Grundsatz, dass der Richter bei der Gesetzesanwendung nur an das Gesetz und an sein Gewissen gebunden ist. Dieser Grundsatz wird durch diese Vorschriften insofern eingeschränkt, als die Tatsacheninstanz das in Betracht kommende Recht in dieser Sache nur in der Auslegung anwenden darf, die das Revisionsgericht für zutreffend hält. Es stehen sich im Grunde diese Verfahrensvorschriften und die auf diesen Fall anzuwendenden Sachnormen gegenüber. Die §§ 563 Abs. 2 ZPO etc. institutionalisieren lediglich, um den erstrebten Erfolg zu erzielen, die ohnehin bestehende, sich aus dem Instanzenzug ergebende Autorität des übergeordneten Gerichts; es soll vermieden werden, dass sich die Tatsacheninstanz im Einzelfall nicht an die der Zurückverweisung zugrunde liegende Rechtsauffassung des Revisionsgerichts hält (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 06.02.1973 GmS-OGB 1/72, DStR 1973, 508, Juris Rn. 10, 11; BFH, Urteil vom 02.04.1996 VII R 119/94, BFHE 180, 231 [BB 1996, 1974], Juris Rn. 19).

 

b) Während im Bereich der ZPO die Auffassung vertreten wird – und in früheren Entscheidungen des BFH (z. B. Urteil vom 21.02.1968 I R 70/67, BFHE 91, 222, BStBl II 1968, 279, Juris Rn. 18) ebenso für den Bereich der FGO vertreten wurde –, dass nur die der Aufhebung zugrunde liegende Rechtsansicht Bindungswirkung entfaltetet, hat sich inzwischen die Auffassung durchgesetzt, dass jedenfalls im Bereich der Finanzgerichtsbarkeit auch die Rechtsansicht, die der Zurückverweisung zugrunde liegt, Bindungswirkung zukommt (BFH, Urteil vom 23.10.1991 I R 52/90, BFH/NV 1992, 271, Juris Rn. 15; BFH, Urteil vom 17.09.1992, IV R 78/90, BFH/NV 1993, 398, Juris Rn. 19; BFH, Beschluss vom 01.03.1994 IV B 6/93, BStBl II 1994, 569 [BB 1994, 1208 Ls], Juris Rn. 17; BFH, Urteil vom 04.11.2004 III R 38/02 [BB 2005, 426 Ls], DStR 2005, 283, Juris Rn. 39; BFH, Urteil vom 17.05.2006 VIII R 21/04, BFH/NV 2006, 1839, Juris Rn. 14; BFH, Urteil vom 13.12.2017 XI R 12/16, BFH/NV 2018, 448, Juris Rn. 16).

 

c) Die Bindungswirkung gilt zumindest bzw. insbesondere für jede abschließende rechtliche Beurteilung, die der BFH im zurückverweisenden Urteil vorgenommen hat („zumindest“: BFH, Urteil vom 23.10.1991 I R 52/90, BFH/NV 1992, 271, Juris Rn. 15 und BFH, Urteil vom 17.09.1992, IV R 78/90, BFH/NV 1993, 398, Juris Rn.19; „insbesondere“:  BFH, Urteil vom 17.05.2006 VIII R 21/04, BFH/NV 2006, 1839, Juris Rn. 15 und BFH, Urteil vom 13.12.2017 XI R 12/16, BFH/NV 2018, 448, Juris Rn. 17). Die genaue Bedeutung des Terminus „abschließende rechtliche Beurteilung“ (im Gegensatz zu welcher anderen Art von rechtlicher Beurteilung?) ist dabei ebenso unklar wie die Bedeutung von „zumindest“ bzw. „insbesondere“.

 

d) Die Bindungswirkung besteht auch hinsichtlich der Gründe, welche der bei der Aufhebung der Vorentscheidung ausgesprochenen Rechtsauffassung logisch vorausgehen (BFH, Urteil vom 29.04.1993 IV R 26/92, BStBl II 1993, 720 [BB 1993, 1728 Ls], Juris Rn. 12; BFH, Beschluss vom 12.02.1997 VII B 227/96, BFH/NV 1997, 591, Juris Rn. 4; BFH, Urteil vom 04.11.2004 III R 38/02 [BB 2005, 426 Ls], DStR 2005, 283, Juris Rn. 38). Es kommt dabei nicht darauf an, ob sich das Urteil des BFH ausdrücklich dazu verhält (BFH, Urteil vom 29.04.1993 IV R 26/92, BStBl II 1993, 720 [BB 1993, 1728 Ls], Juris Rn. 14).

Es besteht jedoch keine Bindungswirkung, wenn sich der BFH im zurückverweisenden Urteil zu einer bestimmten Rechtsfrage überhaupt nicht geäußert hat und dazu auch keinen Anlass hatte, insbesondere weil es sich nicht um eine den Entscheidungsgründen logisch vorausgehende Frage, sondern um eine alternative Begründung gehandelt hätte (BFH, Urteil vom 04.11.2004 III R 38/02 [BB 2005, 426 Ls], DStR 2005, 283, Juris Rn. 41, 43).

 

e) Die Bindungswirkung entfällt nicht dadurch, dass die dem zurückverweisenden Urteil zugrunde liegende Rechtsauffassung bei erneuter rechtlicher Überprüfung unzutreffend erscheint (BFH, Urteil vom 23.10.1991 I R 52/90, BFH/NV 1992, 271, Juris Rn. 14, BFH, Urteil vom 29.04.1993 IV R 26/92, BStBl II 1993, 720 [BB 1993, 1728 Ls], Juris Rn. 13; BFH, Urteil vom 17.05.2006 VIII R 21/04, BFH/NV 2006, 1839, Juris Rn.19).

 

f) Die Bindungswirkung entfällt – außer bei einem anders festgestellten tatsächlichen Sachverhalt und bei rückwirkender Gesetzesänderung –, wenn der BFH seine Rechtsprechung in anderen Entscheidungen nach der zurückverweisenden Entscheidung geändert hat.

 

g) Soweit die Bindungswirkung reicht, ist auch der BFH selbst bei erneuter Befassung mit derselben Sache infolge Nichtzulassungsbeschwerde oder Revision gegen das weitere Urteil des FG an seine frühere Rechtsauffassung gebunden.

 

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der Senat der Auffassung, dass sich aus dem zurückverweisenden Urteil des BFH vom 20.12.2016 I R 4/15 [BB 2017, 1203 m. BB-Komm. Weppler] die – im hiesigen Einzelfall bindende – rechtliche Beurteilung dahingehend ergibt, dass für alle drei Streitjahre die 75-%-Überversorgungsgrenze Anwendung findet.

 

a) Der BFH hat unter I. der Gründe aufgeführt, dass der Senior-Geschäftsführer bis einschließlich Februar 2006 ein Bruttomonatsgehalt in bestimmter Höhe und ab März 2006 eine Pension in bestimmter Höhe erhalten hat, ferner ab März 2006 eine Rente von der Deutschen Rentenversicherung in bestimmter Höhe.

Es kann daher nicht die Rede davon sein, dass ein bestimmter Ausschnitt des Lebenssachverhalts in tatsächlicher Hinsicht dem Urteil nicht zugrunde lag.

 

b) Aus der Aussage, dass die vom FA „vorgenommene Korrektur des Einkommens (Bewertung der Versorgungsverpflichtung) im Grundsatz dem materiellen Recht“ entspricht, ergibt sich nach Einschätzung des Senats, dass der BFH die Anwendung der Überversorgungsgrenze in allen drei Jahren rechtlich gebilligt hat.

 

c) Aus dem, was dem FG im zweiten Rechtsgang zu ermitteln aufgegeben wurde, nämlich sowohl Feststellungen zum Tantiemeanspruch des Senior-Geschäftsführers im Jahr 2001 als auch eine zeitbezogene Verhältnisrechnung, lässt sich keine Einschränkung der vorgenannten Billigung entnehmen.

 

d) Allein der Umstand, dass es sich bei dem Urteil des 1. Senats des BFH vom 20.12.2016 I R 4/15 [BB 2017, 1203 m. BB-Komm. Weppler] um ein Fehlurteil handelt, weil sich der 1. Senat darin mit seinem eigenen Urteil vom 28.04.2010 I R 78/08 [BB 2010, 2167 m. BB-Komm. Teckentrup] nicht auseinandersetzt, also weder dessen Rechtssatz anwendet noch – obwohl dessen Anwendung naheliegt – aufzeigt, warum es sich um einen anderen, in entscheidungsrelevanten Punkten abweichenden Sachverhalt handelt, noch seine frühere Rechtsprechung ausdrücklich aufgibt, schließt die Bindungswirkung nicht aus. Die Bindungswirkung ist unabhängig davon, ob das zurückverweisende Urteil richtig oder falsch ist.

 

III.1. Gründe für die Zulassung der Revision, § 115 Abs. 2 FGO, sind nicht ersichtlich.

 

2.a) Soweit das FA dem Klagebegehren abgeholfen hat, trägt es die Kosten gemäß § 138 Abs. 1 Satz 1 FGO. Soweit die Klägerin den ursprünglichen Klageantrag nicht weiterverfolgt, sondern den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt hat, trägt sie die Kosten unter dem Gesichtspunkt der Klagerücknahme, § 136 Abs. 2 FGO. Soweit streitig entschieden wurde, trägt die Klägerin die Kosten wegen Unterliegens, § 135 Abs. 1 FGO.

Die Kostenentscheidung beruht damit insgesamt auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.

 

b) Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung - ZPO -.

 

3. Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung aufgrund des Verzichts der Beteiligten, § 90 Abs. 2 FGO.

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