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Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
10.05.2019
Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
FG Baden-Württemberg: Bilanzierungswahlrecht für die Bildung eines aktiven Rechnungsabgrenzungspostens bei unwesentlichen Beträgen

FG Baden-Württemberg, Urteil vom 2.3.20185 K 548/17

Volltext des Urteils: BB-ONLINE BBL2019-1138-1

NICHT AMTLICHER LEITSATZ

Nach dem Grundsatz der Wesentlichkeit besteht für Aufwendungen von geringer Bedeutung keine Aktivierungspflicht als Rechnungsabgrenzungsposten.

EStG § 5 Abs. 5 S. 1 Nr. 1

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten darüber, ob auch für unwesentliche Beträge eine Pflicht zur Bildung eines aktiven Rechnungsabgrenzungspostens (RAP) besteht.

Die Kläger sind verheiratet und wurden im Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist ..Meister und erzielte unter anderem mit seinem als Einzelunternehmen geführten Handwerksbetrieb Einkünfte aus Gewerbebetrieb, die er gemäß § 5 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) ermittelte. Die Klägerin erzielte im Streitjahr hauptsächlich Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit.

Im Jahr 2016 fand beim Kläger eine Außenprüfung für die Jahre 2012 - 2014 statt. Die Betriebsprüferin erhöhte im Streitjahr unter anderem die RAP und damit den Gewinn aus Gewerbebetrieb um 4.039 €. Hierbei handelte es sich um die folgenden Betriebsausgaben, die der Kläger bisher im Streitjahr als sofort abzugsfähiger Aufwand verbucht hatte:

Die Prüferin schlug dem Beklagten in ihrem Bericht über die Außenprüfung vom 27.09.2016 vor, die Einkommensteuerveranlagung 2014 dahingehend zu ändern.

Der Beklagte schloss sich dieser Auffassung an und änderte die Einkommensteuerfestsetzung 2014 mit Bescheid vom 18.10.2016 entsprechend.

Gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid legten die Kläger Einspruch ein. Aufwendungen in Höhe von 1.453 €, welche nach der Außenprüfung als aktive RAP erfasst worden seien (X-Werbung KG, Y-Verlag GmbH, Creditreform KG und Kfz-Steuer), müssten wie bisher als sofort abziehbare Betriebsausgaben berücksichtigt werden, da aktive RAP nach dem Grundsatz der Wesentlichkeit erst ab einem Betrag von 410 € zu bilden seien. Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 26.01.2017 als unbegründet zurück.

Mit der fristgerecht erhobenen Klage trägt der Klägervertreter vor, dass auf die Bildung eines aktiven RAP für die genannten Aufwendungen verzichtet worden sei, da es sich um nicht wesentliche Beträge oder jährlich wiederkehrende Zahlungen handele, die das von der Bilanz und der Ergebnisrechnung vermittelte Bild nicht beeinträchtigten. Die Bildung von RAP diene dazu, Einnahmen und Ausgaben in dem Jahr auszuweisen, dem sie wirtschaftlich zuzuordnen seien. § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) statuiere für die Steuerbilanz ein abschließendes Aktivierungsgebot. Indes gebiete der Grundsatz der Wesentlichkeit, unwesentliche Elemente bei der Bilanzierung und Bewertung außer Betracht zu lassen. So lasse das HGB an mehreren Stellen (z.B. §§ 240, 241, 249, 250, 252, 256) erkennen, dass es in bestimmten Fällen aus unterschiedlichen Gründen auf den Ausweis unwesentlicher Positionen verzichte und eine Abweichung von allgemeinen Grundsätzen erlaube. Auch das EStG verzichte in bestimmten Fällen auf einen periodengerechten Ausweis. Wichtigstes Beispiel sei hierfür die sofortige Absetzung von geringwertigen Wirtschaftsgütern mit einem Wert bis zu 410 € nach § 6 Abs. 2 EStG. § 11 EStG verzichte in ähnlicher Weise auf einen periodengerechten Ausweis von solchen Einnahmen und Ausgaben, die regelmäßig wiederkehren und die kurze Zeit nach oder vor dem eigentlich maßgeblichen Wirtschaftsjahr zu- oder abfließen. Übertrage man den Gedanken der Wesentlichkeit oder das Gebot der Proportionalität auf den Ausweis von aktiven RAP, so müsse es nach Auffassung des X. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) dem Steuerpflichtigen erlaubt sein, in Fällen von geringer Bedeutung auf eine genaue Abgrenzung zu verzichten (so BFH-Beschluss vom 18.03.2010 X R 20/09, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH [BFH/NV] 2010, 1796). Dabei orientiere sich der X. Senat an den jeweiligen Grenzen des § 6 Abs. 2 EStG, da der Gesetzgeber mit dieser Regelung zu erkennen gebe, dass er bei geringwertigen Wirtschaftsgütern auf einen periodengerechten Ausweis verzichte und eine Sofortabschreibung für angemessen halte. Diese gesetzgeberische Einschätzung könne auf die Bildung von RAP übertragen werden.

Die Kläger beantragten schriftsätzlich sinngemäß,

den Einkommensteuerbescheid 2014 vom 18.10.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26.01.2017 dahingehend zu ändern, dass die bisher bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb des Klägers als Rechnungsabgrenzungsposten angesetzten Ausgaben in Höhe von insgesamt 1.453 € für X-Werbung, Y-Verlag, Creditreform und Kfz-Steuer als sofort abzugsfähige Betriebsausgaben berücksichtigt werden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist hierzu auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung vom 26.01.2017, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird. Hierin werde ausgeführt, dass nach § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG in der Steuerbilanz auf der Aktivseite RAP für Ausgaben vor dem Abschlussstichtag anzusetzen seien, soweit sie Aufwand für eine bestimmte Zeit nach diesem Tag darstellten und keine Anschaffung- oder Her-stellungskosten eines Wirtschaftsgutes seien. Tatbestandlich erfordere die Bildung eines aktiven RAP darüber hinaus, dass sich die vor dem Bilanzstichtag geleistete Ausgabe als Vorleistung für eine noch nicht erbrachte zeitraumbezogene Gegenleistung darstelle. § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG betreffe zwar typischerweise Vorleistungen im Rahmen eines gegenseitigen Vertrags, die Vorschrift sei aber nicht auf schuldrechtliche Leistungen beschränkt. Vielmehr reiche es für eine Rechnungsabgrenzung aus, wenn mit der Vorleistung ein zeitraumbezogenes Verhalten erwartet werde, das wirtschaftlich als Gegenleistung für die Vorleistung aufgefasst werden könne. Für den Bereich der Kfz-Steuer habe der BFH mit Urteil vom 19.05.2010 (I R 65/09, Bundessteuerblatt Teil II [BStBl. II] 2010, 967) entschieden, dass die gezahlte Kfz-Steuer, soweit sie auf die voraussichtliche Zulassungszeit von Fahrzeugen im nachfolgenden Kalender entfällt, aktiv abzugrenzen sei. Es handele sich um eine gesetzlich vorgeschriebene Vorauszahlung auf eine noch nicht entstandene Steuer.

Nach diesen Grundsätzen sei im Streitfall für die Kfz-Steuer zutreffend ein RAP gebildet worden. Auch für die weiteren streitigen Aufwendungen sei ein RAP zu bilden. Die Ausgaben für die Werbeanzeigen (X-Werbung KG, Y-Verlag) sowie den Mitgliedsbeitrag (Creditreform) seien jeweils zeitraumbezogen und würden typische Vorleistungen im Rahmen eines gegenseitigen Vertrages betreffen. Zwar habe der X. Senat des BFH in dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 18.03.2010 die Ansicht vertreten, dass bei aktiven RAP in Fällen geringer Bedeutung auf eine genaue Abgrenzung verzichtet werden könne. Nach der gesetzlichen Regelung bestehe jedoch für den Ansatz eines aktiven RAP kein Wahlrecht. Ein Kostenbeschluss nach § 138 Finanzgerichtsordnung (FGO) diene zudem nicht dazu, Rechtsfragen grundsätzlich zu klären. Aus diesem Grund sei der Beschluss des X. Senats nicht über den entschiedenen Einzelfall hinaus anzuwenden.

Die Klägerseite ist zur mündlichen Verhandlung am 02.03.2018 nicht erschienen. Der Vorsitzende unterbrach die Sitzung und telefonierte mit dem Prozessbevollmächtigten der Kläger. Dieser teilte mit, dass der Termin für einen anderen Tag notiert worden sei und bat dies zu entschuldigen. Unter den Beteiligten bestand Einvernehmen, dass die mündliche Verhandlung ohne das Erscheinen der Klägervertreter fortgesetzt wird.

Im Übrigen wird auf den weiteren Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten, das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 02.03.2018 sowie auf die dem Senat vorliegenden Akten des Beklagten (ein Band Einkommensteuerakten, ein Band Gewerbesteuerakten des Klägers, ein Band Umsatzsteuerakten des Klägers, ein Band Bilanzakten des Klägers, ein Band Betriebsprüfungsakten des Klägers, sowie ein Band Allgemeine Akten) Bezug genommen.

Aus den Gründen

Die Klage ist begründet.

Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung [FGO]).

1) Der Senat konnte trotz des Ausbleibens der Klägerseite bei der mündlichen Verhandlung ohne sie verhandeln und entscheiden, da die Klägervertreter ordnungsgemäß geladen worden sind. Die Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen (§ 91 Abs. 1 Satz 1 FGO) wurde beachtet. Die Ladung zur mündlichen Verhandlung am 02.03.2018 wurde den Klägervertretern bereits am 25.01.2018 zugestellt (siehe Empfangsbekenntnis vom 26.01.2018, Bl. 52 der Gerichtsakte [GA]). Des Weiteren wurden sie in der Ladung (Bl. 47 GA) gem. § 91 Abs. 2 FGO drauf hingewiesen, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

2) Bei den streitgegenständlichen Aufwendungen durften die Kläger wegen ihrer geringen Bedeutung auf die Bildung eines Rechnungsabgrenzungspostens verzichten.

a) Nach § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG sind Rechnungsabgrenzungsposten auf der Aktivseite der Bilanz nur für Ausgaben vor dem Abschlussstichtag anzusetzen, soweit sie Aufwand für eine bestimmte Zeit nach dem Abschlussstichtag darstellen. Die Bildung von Rechnungsabgrenzungsposten dient somit dazu, Einnahmen und Ausgaben in dem Jahr auszuweisen, dem sie wirtschaftlich zuzuordnen sind (BFH-Urteil vom 24.06.2009 IV R 26/06, BStBl II 2009, 781). Nach dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung besteht ein abschließendes Aktivierungsgebot, der Steuerpflichtige hat insoweit kein Wahlrecht (so bereits BFH-Urteil vom 19.01.1978 IV R 153/72, BStBl II 1978, 262).

Allerdings ermöglicht der Grundsatz der Wesentlichkeit, unwesentliche Elemente bei der Bilanzierung und Bewertung außer Betracht zu lassen (BFH-Beschluss vom 18.03.2010 X R 20/09, BFH/NV 2010, 1796 m.w.N; siehe hierzu auch Krumm in Blümich EStG, 139. EL, § 5 Rn. 259).

Neben dem Handelsgesetzbuch (z.B. §§ 240 Abs. 3 und Abs. 4, 241, 256 HGB) verzichtet auch das Einkommensteuerrecht in bestimmten Fällen auf einen periodengerechten Ausweis. So erlaubt § 6 Abs. 2 EStG die Sofortabsetzung von geringwertigen Wirtschaftsgütern mit einem Wert bis zu 410 €. § 11 EStG verzichtet auf einen periodengerechten Ausweis von solchen Einnahmen und Ausgaben, die regelmäßig wiederkehren und die kurze Zeit nach oder vor dem eigentlich maßgeblichen Wirtschaftsjahr zu- oder abfließen.

Der X. Senat des BFH ist – wie bereits erwähnt – der Auffassung, dass Steuerpflichtige in Fällen von geringer Bedeutung auf eine genaue Abgrenzung verzichten können (BFH-Beschluss vom 18.03.2010 X R 20/09, BFH/NV 2010, 1796). Aber bereits die ältere höchstrichterliche Rechtsprechung hielt eine Abgrenzung von geringfügigen einmaligen Ausgaben nicht für zwingend (BFH-Urteil vom 16.09.1958 I 351/56 U, BStBl III 1958, 462 und BFH-Urteil vom 02.06.1960 IV 114/58, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung [HFR] 1961, 73). So seien beim Ansatz von Rechnungsabgrenzungsposten auch die Grundsätze einer angemessenen Vereinfachung der Buchführung zu beachten. Geringfügige Ausgaben seien Beträge, die bei einer Verteilung auf künftige Wirtschaftsjahre das Ergebnis nur unwesentlich berühren (BFH-Urteil vom 16.09.1958 I 351/56 U, BStBl III 1958, 462).

Auch die ganz herrschende Meinung in der Literatur bejaht ein Bilanzierungswahlrecht bei geringfügigen Rechnungsabgrenzungsposten (so Bauer in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff EStG, 263. EL, § 5 Rn. F 113; Hoffmann/Nacke in Littmann/Bitz/Pust, 114. EL, §§ 4,5 Rn. 804; Weber-Grellet in Schmidt EStG, 36. Aufl., § 5 Rn. 242; Krumm in Blümich EStG, 139. EL, § 5 Rn. 666; Schubert/Waubke in Beck’scher Bilanz-Kommentar, 11. Aufl., § 250 Rn. 28; a.A. Tiedchen in Herrmann/Heuer/Raupach EStG, 283. EL, § 5 Rn. 2181).

Der erkennende Senat schließt sich dem an. Er ist ebenfalls der Auffassung, dass der periodengerechte Ansatz von Aufwand im Interesse der Wirtschaftlichkeit der Buchführung nicht übertrieben werden darf. Aus gutem Grund werden die Bilanzierungsgrundsätze der Vollständigkeit und Wahrheit durch den Grundsatz der Wesentlichkeit eingeschränkt. In Fällen von geringer Bedeutung kann daher auf eine aktive Rechnungsabgrenzung verzichtet werden.

Bei der Frage, wann ein Fall von geringer Bedeutung vorliegt, folgt der Senat den Überlegungen des X. Senats des BFH in seinem Beschluss vom 18.03.2010 (X R 20/09, BFH/NV 2010, 1036) und orientiert sich ebenso an der jeweiligen Grenze des § 6 Abs. 2 EStG. Denn mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber zu erkennen gegeben, dass er bei geringwertigen Wirtschaftsgütern auf einen periodengerechten Ausweis verzichtet und eine Sofortabschreibung für angemessen hält. Diese gesetzgeberische Einschätzung ist zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen auf die Bildung von Rechnungsabgrenzungsposten zu übertragen. In Fällen, in denen der Wert des einzelnen Abgrenzungspostens 410 € nicht übersteigt, kann daher auf eine Abgrenzung verzichtet werden.

b) Nach diesen Grundsätzen konnte der Kläger im Streitfall für die streitgegenständlichen Aufwendungen auf den Ansatz eines aktiven Rechnungsabgrenzungspostens verzichten.

Die grundsätzlich zu bildenden Rechnungsabgrenzungsposten für die Aufwendungen

X-Werbung i.H.v.          395,00 €

Y-Verlag i.H.v.  131,00 €

Beitrag Creditreform i.H.v.        267,00 €

und die Kfz-Steuer für

... i.H.v.            160,00 €

... i.H.v.            158,00 €

... i.H.v.            84,00€

... i.H.v.            77,00 €

... i.H.v.            40,00 €

... i.H.v.            129,00 €

... i.H.v.            12,00 €

insgesamt        1.453,00 €

übersteigen jeweils nicht den Wert von 410 €. Sie haben insofern für die periodengerechte Gewinnermittlung nur eine geringe Bedeutung, so dass für diese Aufwendungen auf eine Abgrenzung verzichtet werden kann.

3) Die Revision war nach § 115 FGO zuzulassen, da die Rechtsfrage, ob es dem Steuerpflichtigen erlaubt ist, in Fällen von geringer Bedeutung auf den Ansatz eines Rechnungsabgrenzungspostens zu verzichten, grundsätzliche Bedeutung hat. Ihre Beantwortung liegt aus Gründen der Rechtssicherheit und der Rechtseinheitlichkeit im allgemeinen Interesse.

4) Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

5) Der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709 und 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

 

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