FG Düsseldorf: Ansatz von bestrittenen Steuererstattungsforderungen
FG Düsseldorf, Urteil vom 30.6.2010 - 15 K 4281/08 E, G, Zerl
Sachverhalt
Die Beteiligten streiten darüber, ob Umsatzsteuererstattungen für die Jahre 1996 bis 2001 ertragsteuerlich (bereits) im Veranlagungszeitraum 2005 zu erfassen sind.
Der Kläger erzielt gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb "Geldspielautomaten". Er ermittelt den Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich. Die Umsätze aus dem Betrieb der Geldspielautomaten waren im Rahmen der Umsatzsteuerfestsetzungen für 1996 bis 2001 zunächst als steuerpflichtige Umsätze erfasst worden. Im Hinblick auf eine etwaige Umsatzsteuerfreiheit dieser Umsätze beantragte der Kläger für 1996 bis 1999 am 15. November 2001 und für 2000 und 2001 am 27. November 2003 eine Änderung der Steuerfestsetzungen. Den Einspruch gegen die Ablehnung der begehrten Änderungen stellte der Beklagte, das Finanzamt -FA-, am 10. März 2004 ruhend. Die Bilanz für 2005 wurde am 26. April 2007 aufgestellt.
Im Anschluss an die Entscheidung des EuGH in der Sache "Linneweber" (Urteil vom 17. Februar 2005, C-453/02 und C-462/02, C-453/02, C-462/02, EuGHE I 2005, 1131), mit der der EuGH entschieden hatte, dass Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten gemäß Art. 13 Teil B Buchst. f) der Richtlinie 77/388/EWG umsatzsteuerfrei sind, und nachdem im Laufe des Jahres 2006 zwischen den Beteiligten Einvernehmen über die Höhe der steuerfreien Umsätze erzielt worden war, erließ das FA am 08. Mai 2006 für die Jahre 1996 und 1997, am 26. Oktober 2006 für 1998, am 22. November 2006 für 1999, am 29.Dezember 2006 für 2000 und am 16. Januar 2007 für 2001 entsprechend geänderte Umsatzsteuerbescheide.
Das FA ist der Auffassung, dass die sich aus der Umsatzsteuerfreiheit der Automatenumsätze ergebenden Erstattungsansprüche ertragsteuerlich bereits für den Veranlagungszeitraum 2005 zu erfassen sind und erließ am 13. Februar 2008 einen entsprechend geänderten Einkommensteuerbescheid für 2005, änderte am 22. Februar 2008 den Gewerbesteuermessbetrag für 2005 und erließ am 25. Februar 2008 einen geänderten Gewerbesteuerzerlegungsbescheid für 2005.
Im Einspruchsverfahren machte der Kläger geltend, eine Aktivierung der streitigen Erstattungsansprüche komme für 2005 nicht in Betracht. Im Jahr 2005 hätten noch die Ursprungsbescheide existiert, also Bescheide, die keine Erstattungen vorgesehen hätten. Die Bezifferung der Ansprüche sei erst im Laufe des Jahres 2006 erfolgt, die Bescheide erst in 2006 ergangen, der letzte Bescheid sogar erst in 2007. Die Aktivierung sei daher erst 2006 vorzunehmen, was zwischenzeitlich auch geschehen sei.
Durch Beschluss vom 27. Juni 2008 hat der Senat im Verfahren 15 V 1128/08 A (E,G) die Änderungsbescheide zur Einkommensteuer und Gewerbesteuer für 2005 von der Vollziehung ausgesetzt.
Mit der Einspruchsentscheidung vom 13. Oktober 2008 hat das FA die Einkommensteuer und Gewerbesteuer für 2005 aus hier nicht mehr streitigen Gründen herabgesetzt. Im Übrigen hielt das FA an seiner Auffassung fest und wies die Einsprüche als unbegründet zurück. Spätestens im Zeitpunkt der Veröffentlichung des BFH-Urteils vom 12. Mai 2005 im Bundessteuerblatt (BStBl II 2005, 617) habe der Kläger von einer Anerkennung seiner Umsatzsteuererstattungsansprüche durch das FA ausgehen können. Die Finanzverwaltung habe hierdurch im Grundsatz das Bestreiten aufgegeben. Der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung folgend stehe die ausstehende Umsetzung im Einzelfall der Aktivierung nicht entgegen. Im Falle der Veräußerung des Betriebs hätte der erwartbare Umsatzsteuererstattungsanspruch spätestens ab diesem Zeitpunkt einen messbaren Eingang in die Kaufpreisbestimmung gefunden.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Klage. Er trägt vor, eine Aktivierung eines (zunächst) bestrittenen Steuererstattungsanspruchs komme erst in Betracht, wenn die Finanzbehörde ihn anerkenne. Unstreitig sei, dass das FA die Umsatzsteuererstattungsansprüche für 1996 bis 2001 zunächst bestritten habe. Daran habe sich durch die Veröffentlichung des BFH-Urteils vom 12. Mai 2005 im Bundessteuerblatt nichts geändert. Während des gesamten VZ 2005 habe sein Einspruchsverfahren weiter geruht. Auch das Schreiben des BMF vom 5. Juli 2006 habe für 2005 keine Rückschlüsse auf seine individuellen Umsatzsteuererstattungsansprüche zugelassen, zumal das Schreiben ohnehin erst im Jahr 2006 im Bundessteuerblatt veröffentlicht worden sei. Erst durch das Schreiben vom 16. Februar 2006, mit dem er selbst bezifferte Anträge gestellt habe, sei wieder Bewegung in das Änderungsverfahren gekommen. Hinzu komme, dass das FA die Änderungsanträge jedenfalls für die VZ ab 1998 im Rahmen einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung habe prüfen lassen. In welcher Höhe das FA die Ansprüche anerkennen würde, habe sich somit erst im Verlauf dieses Verfahrens herausgestellt. Überdies scheide eine Aktivierung potentieller Steuererstattungsansprüche solange aus, wie ihrer Durchsetzung noch bestehende Steuerbescheide entgegenstünden. An der Beurteilung ändere auch die Aufstellung des Jahresabschlusses für 2005 am 26. April 2007 nichts, denn die Einigung über die Höhe der umsatzsteuerfreien Umsätze sei ein wertbegründender Umstand.
Der Kläger beantragt,
den Einkommensteuerbescheid für 2005, den Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag für 2005 sowie den Bescheid über die Zerlegung des Gewerbesteuermessbetrags 2005, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. Oktober 2008, mit der Maßgabe zu ändern, dass die für die Veranlagungszeiträume 1996 bis 2001 erstatteten Umsatzsteuerbeträge nebst Zinsen nicht als gewerbliche Betriebseinnahmen des Veranlagungszeitraums 2005 erfasst werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das FA hält weiter an seiner Auffassung fest. Der Kläger überstrapaziere die Anforderungen an die Aktivierung einer rechtlich noch nicht entstandenen Forderung, wenn er die Aktivierung eines Steuererstattungsanspruchs von der "100 %-igen Sicherheit" der Anspruchsentstehung im individuellen Fall abhängig mache. Aufgrund der durch Veröffentlichung des BFH-Urteils vom 12. Mai 2005 im BStBl geänderten Verwaltungsauffassung könnten einer Aktivierung im Einzelfall nur konkrete Anhaltspunkte entgegenstehen. Solche habe der Kläger jedoch nicht aufgezeigt. Unerheblich sei, dass die geltend gemachten Erstattungsansprüche im Rahmen einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung überprüft worden seien. Die Anordnung einer Prüfung bedeute nicht, dass der Anspruch versagt werde. Ebenso sei der Erlass des BMF-Schreibens vom 5. Juli 2006 ohne Bedeutung. Dieses Schreiben sei zur Ertragsteuer ergangen; die umsatzsteuerliche Anwendung sei bereits zuvor durch die Veröffentlichung des BFH-Urteils vom 12. Mai 2005 im BStBl festgelegt worden. Der Aktivierung zum 31.12.2005 stehe schließlich auch nicht entgegen, dass zu diesem Zeitpunkt noch entgegenstehende Steuerfestsetzungen vorlagen.
Das Gericht hat die Steuerakten beigezogen. Auf diese und auf die Schriftsätze der Beteiligten im vorliegenden Verfahren wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen.
Aus den Gründen
Die Klage ist begründet.
Die angefochtenen Bescheide sind rechtwidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 FGO).
Entgegen der Auffassung des FA sind die Umsatzsteuererstattungen im Streitjahr 2005 nicht zu erfassen.
Der Zeitpunkt der Aktivierung von Forderungen bestimmt sich nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG bei buchführenden Gewerbetreibenden nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung. Nach § 252 Abs. 1 Nr. 4 2.Hs. HGB sind Gewinne nur zu berücksichtigen, wenn sie am Abschlussstichtag realisiert sind. Nach dem darin kodifizierten Realisationsprinzip als Ausprägung des Vorsichtsprinzips dürfen Vermögensmehrungen nur erfasst werden, wenn sie disponibel sind (BFH-Urteile vom 12. Mai 1993 XI R 1/93, BFHE 171, BStBl II 1993, 786, m. w. N. und vom 14. März 2006 VIII R 60/03, BFHE 212, 535, BStBl II 2006, 650).
Die Aktivierung von Vermögensgegenständen in der Handelsbilanz und damit der Wirtschaftsgüter in der Steuerbilanz (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG) bestimmt sich in erster Linie nicht nach rechtlichen, sondern nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Maßgeblich ist nicht, ob eine Forderung fällig oder ein Recht realisierbar ist, sondern ob der Vermögensvorteil wirtschaftlich ausnutzbar ist und einen durchsetzbaren gegenwärtigen Vermögenswert darstellt. Letzteres ist bei einer bestrittenen Forderung typischerweise nicht der Fall. Sie ist erst zu aktivieren, wenn sie rechtskräftig zuerkannt ist oder der Schuldner sein Bestreiten aufgibt und sie anerkennt (BFH-Urteil vom 15. März 2000 II R 15/98, BFHE 191, 403, BStBl II 2000, 588, unter II.2.b aa der Gründe und BFH-Urteil vom 14. März 2006 VIII R 60/03, BFHE 212, 535, BStBl II 2006, 650, jeweils m. w. N.; Ellrott/Roscher in Beck'scher Bilanzkommentar, 7. Auflage (2010), § 247 Rn. 75; Weber-Grellet in Schmidt, Kommentar zum EStG, 29. Auflage (2010), § 5 Rn. 270 "Forderungen"). Umstrittene Forderungen können erst am Schluss des Wirtschaftsjahrs angesetzt werden, in dem über den Anspruch rechtskräftig entschieden wird bzw. in dem eine Einigung mit dem Schuldner zustande kommt (BFH-Urteil vom 26. April 1989 I R 147/84, BFHE 157, 121, BStBl II 1991, 213, unter 2. der Gründe; BFH, Beschluss vom 27. März 2007 I B 94/06, BFH/NV 2007, 1669).
Diese aus dem handelsrechtlichen Vorsichtsprinzip abgeleiteten Grundsätze gelten nicht nur für zivilrechtliche Ansprüche, sie gelten gleichermaßen auch für Steuererstattungsansprüche i.S. des § 37 Abs. 2 AO (BFH-Urteile vom 15. März 2000 II R 15/98, BFHE 191, 403, BStBl II 2000, 588 und vom 15. Oktober 1997 II R 56/94, BFHE 184, 111, BStBl II 1997, 796). Unabhängig davon, ob man für die Frage des Entstehens von Steuererstattungsansprüchen der materiellen oder der formellen Rechtsgrundtheorie folgt, kommt nach Auffassung des Senats eine Aktivierung bestehender Steuererstattungsansprüche demnach solange nicht in Betracht, als ihrer Geltendmachung wirksame und zwischen den Beteiligten (noch) streitige Steuerfestsetzungen entgegenstehen (vgl. dazu BFH-Urteil vom 15. Oktober1997 II R 56/94, BFHE 184, 111, BStBl II 1997, 796 (zum Bewertungsrecht); FG Baden-Württemberg, Urteil vom 28. März 1996 3 K 194/90, EFG 1998, 250, bestätigt durch BFH-Beschluss vom 2. November 2000 X R 85/97, n.v.; Schreiber in Blümich, EStG, § 5 Rn. 481; Schuster in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 38 AO Rn. 71 ff., 76). In streitbehaftenen Verfahren setzt die Aktivierung des Erstattungsanspruchs materiell zu viel entrichteter Steuern mithin in der Regel die Aufhebung oder Änderung der fehlerhaften Bescheide voraus. Anderes gilt nach Ansicht des Senats nur dann, wenn das FA gegenüber dem Steuerpflichtigen bereits vor Aufhebung oder Änderung der angefochtenen Bescheide auf andere Weise eindeutig zu erkennen gibt, dass es seinen bisherigen Standpunkt aufgibt und den Erstattungsanspruch im geltend gemachten Umfang akzeptieren wird.
Nach diesen Grundsätzen kommt im Streitfall eine Aktivierung der Umsatzsteuererstattungsansprüche im VZ 2005 (noch) nicht in Betracht. Zum 31. Dezember 2005 lagen (weiterhin) bestandskräftige Umsatzsteuerfestsetzungen für 1996 bis 2001 vor, für die der Kläger zwischen den Beteiligten streitige Änderungen begehrte. Im gesamten VZ 2005 ruhte das diesbezügliche Einspruchsverfahren. Erst nach Aufgreifen des Verfahrens durch den Kläger mit Schreiben vom 16. Februar 2006 hat sich das FA mit dem - bis dahin bestrittenen - Änderungsbegehren des Klägers auseinandergesetzt und sodann im Jahr 2006 bzw. 2007 Änderungsbescheide erlassen. Hinzu kommt, dass das FA auch nicht auf andere Weise bereits im Jahr 2005 für den Kläger erkennbar den Erstattungsansprüchen zugestimmt hat. Zwar weist das FA darauf hin, die Entscheidung des BFH vom 12. Mai 2005 sei bereits im Jahr 2005 im Bundessteuerblatt veröffentlicht worden und werde seitdem von der Finanzverwaltung angewendet. Allerdings hat das FA den Änderungsanträgen des Klägers nicht ohne weiteres entsprochen. Vielmehr hat es sich die Höhe der Ansprüche erst im Laufe des Jahres 2006 im Einzelnen nachweisen lassen und diese - zumindest für die Jahre ab 1998 - im Rahmen einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung geprüft. Erst danach war das FA bereit, die begehrten Änderungsbescheide zu erlassen.
Nach den vorstehenden Ausführungen ist es ebenfalls unerheblich, dass der EuGH seine Entscheidung bereits am 17.02.2005 getroffen hat. Der Senat folgt insoweit der Auffassung der Verwaltung - auch soweit sie Eingang in das BMF-Schreiben vom 05. Juli 2006 (BStBl I 2006, 418) gefunden hat - nicht.
Zudem spielt es keine Rolle, dass der Kläger die Bilanz für 2005 erst am 26. April 2007 aufgestellt hat. Der Umstand, dass das FA ein Bestreiten der Erstattungsansprüche erst durch Erlass der Änderungsbescheide aufgegeben hat, ist eine sog. wertändernde bzw. wertbegründende Tatsache, die zum Stichtag 31. Dezember 2005 nicht zu berücksichtigen ist (vgl. Fischer in Kirchhof, EStG, § 6 Rn. 19; Winkeljohann/Büssow in Beck'scher Bilanzkommentar, 7. Auflage (2010), § 252 Rn. 38).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Übertragung der Steuerberechnung auf den Beklagten stützt sich auf § 100 Abs. 22 Satz 2 FGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO.