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Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
25.06.2015
Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
OLG Oldenburg: Abfindungsanspruch eines ausscheidenden BGB-Gesellschafters

OLG Oldenburg, Urteil vom 16.12.2014 – 9 U 22/10

Schverhalt

I.

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin Dr. D....... P........ Die Insolvenzschuldnerin Dr. D....... P....... trat 1998 in die von der Beklagten zu 1) und dem Nebenintervenienten betriebene gynäkologische Gemeinschaftspraxis mit reproduktionsmedizinischem Schwerpunkt ein. Die Beklagte zu 1) und der Nebenintervenient verkauften der Insolvenzschuldnerin jeweils einen 1/6 Praxisanteil zum Preis von jeweils 3,5 Millionen DM. Seit dem 01.07.2002 bestand die Gemeinschaftspraxis aus der Insolvenzschuldnerin, der Beklagten zu 1) und dem Beklagten zu 2), dem der Nebenintervenient seinen Praxisanteil verkaufte. Der entworfene Gesellschaftsvertrag wurde von der Insolvenzschuldnerin nicht unterschrieben. Am 20.04.2004 hob die Insolvenz-schuldnerin ohne Zustimmung der Beklagten einen Betrag von 154,000.00 EUR von dem Gemeinschaftskonto der Praxis ab. Die Beklagten kündigten der Insolvenzschuldnerin am 21.04.2004, 26.04.2004 und 07.06.2004 fristlos. Ab dem 01.05.2004 betrieben die Beklagten die Arztpraxis mit ihren beiden Kassenarzt-zulassungen unter Nutzung der bisherigen Einrichtung und Infrastruktur ohne die Insolvenzschuldnerin weiter. Die Insolvenzschuldnerin arbeitete zunächst ab Oktober 2004 in einer Praxis im Bereich der Reproduktionsmedizin in H……. (L…………) und eröffnete am 01.04.2006 eine eigene Praxis in O……….. unter dem Namen „Kinderwunschpraxis Dr. P……..“. In dieser Praxis darf die Insolvenzschuldnerin in Ermangelung einer sog. In-Vitro-Fertilisation-Genehmigung keine finanziell lukrativen künstlichen Befruchtungen mittels In-Vitro-Fertilisation oder Gametentransfer durchführen, sondern nur mittels Insemination nach Stimulation. In einigen Fällen verwies die Insolvenzschuldnerin Patienten an die Praxis in H……….. (L………), in der künstliche Befruchtungen mittels der In-Vitro-Fertilisation oder mittels Gamententransfers durchgeführt wurden. Am 16.05.2006 wurde über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet.

Aufgrund der Praxisfortführung durch die Beklagten ohne die Insolvenzschuldnerin macht der Kläger mit der Klage einen Ausgleichsanspruch betreffend den immateriellen Praxiswert (sog. Goodwill) gegen die Beklagen geltend.

Ursprünglich hat der Kläger von den Beklagten Auskunft über die finanzielle Situation der Gemeinschaftspraxis verlangt. Die Parteien haben in der mündlichen Verhandlung vom 08.11.2007 einen Teilvergleich geschlossen, wonach sich die Beklagten verpflichteten, daran mitzuwirken, den Goodwill der betriebenen Gemeinschaftspraxis per Stichtag zum 30.04.2004 zu ermitteln. Daraufhin ist vom Sachverständigen I.......... ein Gutachten erstellt worden, welches mittels der Ertragswertmethode einen Goodwill von 805.920,00 EUR ermittelte. Auf den Inhalt wird Bezug genommen.

Der Nebenintervenient, der sich aufgrund einer titulierten Forderung den Auseinandersetzungsanspruch der Insolvenzschuldnerin gegenüber den Beklagten pfänden und zur Einziehung überweisen ließ, ist dem Rechtsstreit auf Seiten des Klägers mit Schriftsatz vom 03.09.2007 beigetreten (Bl. 120/I d. A.).

Der Kläger und der Nebenintervenient haben beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 805.920,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.05.2006 zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Das erstinstanzliche Gericht hat der Klage vollumfänglich stattgegeben. Ein Ausgleichsanspruch gegen die Beklagten ergebe sich aus § 738 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 BGB. Dass dem Praxisanteil der Insolvenzschuldnerin ein erheblicher Wert zukäme, ergebe sich bereits aus dem gezahlten Eintrittsgeld von 7 Millionen DM. Der gute Ruf der Gemeinschaftspraxis – insbesondere bei den Einweiserärzten – hätte ein Dritter, der die Anteile der Insolvenzschuldnerin erworben hätte, nutzen können. Bei der Berechnung des Ausgleichanspruchs hat sich das erstinstanzliche Gericht auf den mittels der Ertragswertmethode ermittelten Praxiswert gestützt. Von der Geeignetheit der Ertragswertmethode war das erstinstanzliche Gericht überzeugt; die Richtlinien der Bundesärztekammer gäben lediglich Hinweise und die von den Beklagten ins Feld geführte IBT-Methode sei nicht transparent und daher nicht nachvollziehbar. Die von dem Sachverständigen gewählte Methode

habe die von dem BGH geforderten immateriellen Faktoren wie den Standort oder die Konkurrenzsituation berücksichtigt. Der Sachverständige habe die Rolle der Ärzte als Überweiser hinreichend berücksichtigt und zu Recht einen weitgehenden Konkurrenzschutz angenommen, da nur die Beklagten zur Durchführung der In-Vitro Befruchtungen berechtigt seien. Für die Berechnungen sei auf den Stichtag 30.04.2004 abzustellen, weshalb es auf die geringeren Einnahmen der Gemeinschaftspraxis nach dem Ausscheiden der Insolvenzschuldnerin nicht ankäme. Entscheidend sei nämlich, was bei einer Veräußerung des Anteils der Insolvenzschuldnerin am 30.04.2004 erzielt worden wäre, also zu einem Zeitpunkt, an dem noch drei Ärzte in der Praxis tätig waren. Am 30.04.2004 vorhersehbare Kürzungen im kassenärztlichen Bereich aufgrund des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenkassen, wonach die Kosten für eine künstliche Befruchtung für die ersten drei Versuche zu 50 % von der Krankenkasse übernommen und die Leistungen vom Alter der Ehepartner abhängig gemacht werden, habe der Sachverständige berücksichtigt.

Dagegen wenden sich die Beklagten mit ihrer Berufung. Sie stützen diese auf eine rechtsfehlerhafte Anwendung der §§ 738 ff. BGB und § 412 ZPO. Ein Ausgleichsanspruch betreffend den Goodwill sei nach der Rechtsauffassung der Beklagten nicht entstanden, weil die Insolvenzschuldnerin ihren Goodwill, verkörpert durch den Kassenarztsitz, mitgenommen habe; es sei auch nicht ausreichend berücksichtigt worden, dass Patienten mit Kinderwunsch keine wiederkehrenden Patienten seien. Einen Patientenstamm, der einen Goodwill begründen könne, gebe es nicht. Die Existenz eines Goodwills scheitere auch daran, dass die Insolvenzschuldnerin – unstreitig – die Liste mit den Einweiserärzten sowie das Handbuch über die Praxisvorgänge aus der erfolgten Zertifizierung mitgenommen habe.

Die Beklagten greifen das Sachverständigengutachten als unbrauchbar an. Die Ertragswertmethode hätte den Berechnungen nicht zugrunde gelegt werden dürfen. Diese Methode sei für Großunternehmen entwickelt worden und passe für die freiberufliche Tätigkeit nicht. Ein Verkauf der Praxis wäre wegen der nicht zu erlangenden Kassenarztzulassung in dem gesperrten Gebiet O……. nicht möglich gewesen. Der hypothetische Verkaufswert der Praxis könne daher den Berechnungen nicht zugrunde gelegt werden. Das erstinstanzliche Gericht habe Beweisantritte für die fehlende Eignung der Ertragswertmethode ohne Not übergangen und damit den Beklagten rechtliches Gehör verweigert.

Nach Auffassung der Beklagten sei es falsch, auf den 30.04.2004 abzustellen. Sie behaupten hierzu, die Insolvenzschuldnerin habe sich auch nach diesem Zeitpunkt noch in den Räumlichkeiten der Praxis mit administrativen Tätigkeiten befasst. Dass die Insolvenzschuldnerin ihre fachärztlichen Tätigkeiten nicht ausgeübt habe, sei ihnen nicht anzulasten. Veränderte Verhältnisse nach dem 30.04.2004 seien daher nicht ausreichend berücksichtigt worden. Das erstinstanzliche Urteil stelle auf künftig erzielbare Einnahmen ab, ließe aber das Wegbrechen der Einkünfte durch die vom Gesetzgeber verordnete Budgetierung und aufgrund des Wegfalls eines mitarbeitenden Arztes und den Verlust eines Kassenarztsitzes bei gleichbleibender Kostenstruktur außer Acht.

Bei der Wertberechnung des Goodwills sei fälschlicherweise von einem weitgehenden Konkurrenzschutz ausgegangen worden. Das abweichende Leistungsprofil der von der Insolvenzschuldnerin eröffneten Praxis im Vergleich zur Gemeinschaftspraxis der Beklagten habe die Insolvenzschuldnerin durch die Kooperation mit der Praxis in H………. kompensiert.

Die Beklagten kritisieren, dass das erstinstanzliche Gericht von dem Eintrittsgeld in Höhe von 7 Millionen DM auf die Existenz eines Goodwills geschlossen habe. Es sei nicht Aufgabe des erstinstanzlichen Gerichts, eine „moralisch gerechtfertigte Korrektur“ vorzunehmen. Die Insolvenzschuldnerin habe infolge des Einstiegpreises sofort eine lukrative Vergütung erhalten und in ihrer 5 jährigen Tätigkeit Einkünfte in Höhe des vereinbarten Eintrittsgeldes erzielt. Das Eintritts-geld habe sie nicht vollständig gezahlt, was die Beklagten zur Kündigung veranlasst habe.

Das erstinstanzliche Gericht habe das Mitverschulden der Insolvenzschuldnerin durch die späte Eröffnung der eigenen Praxis nicht berücksichtigt. Die Insolvenz-schuldnerin hätte bereits am dem 01.05.2004 die eigene Praxis eröffnen können.

Die Beklagten beantragen,

das Urteil des Landgerichts O........... vom 04.03.2010 zum Az. 5 O 310/07 aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise das Urteil des Landgerichts O........... vom 04.03.2010 zum Az. 5 O 310/07 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Ver-handlung an eine andere Kammer des Landgerichts O........... zurück-zuweisen.

Der Kläger und der Nebenintervenient beantragen,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Der Kläger begründet das Vorhandensein eines Goodwills mit der Zuweisungs-struktur. Der Goodwill folge aus der großen Anzahl von Ärzten, die ihre Patienten mit Kinderwunsch an die Gemeinschaftspraxis verweisen. Hinsichtlich der von dem Sachverständigen verwendeten Methode verweist der Kläger darauf, dass diese von dem Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) als Standardmethode anerkannt sei.

Der Kläger behauptet, die Insolvenzschuldnerin habe ab dem 01.05.2004 ihre fachärztliche Tätigkeit nicht ausüben können, weil die Beklagten ihr die Nutzung der Praxiseinrichtung untersagt hätten. Ferner behauptet er, die Kündigung der Insolvenzschuldnerin sei aus wirtschaftlichen Gründen erfolgt, um die nachteiligen Veränderungen in den Abrechnungen durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung abzufedern.

Nach Auffassung des Nebenintervenienten wirke sich die Mitnahme des Kassenarztsitzes auf den Goodwill nicht aus, weil die Regelungen über die Leistungsbudgetierung nicht für reproduktionsmedizinische Leistungen gelten und die kassenärztliche Zulassung lediglich allgemeine gynäkologische Behandlungen erlaube.

Der Senat hat ein ergänzendes schriftliches Sachverständigengutachten zu der Frage eingeholt, auf welche Höhe sich der Ertragswert (Goodwill) der Gemein-schaftspraxis zum 30.04.2004 beläuft, wenn es in der Zeit danach zu einer Fortführung der Praxis mit 3 Fachärzten, jedoch mit nur 2 Vertragszulassungen gekommen wäre. Das Gutachten des Sachverständigen I.......... vom 25.11.2011 wurde nach dem Versterben des Sachverständigen I.......... durch den Sachverständigen S........... gemäß Beweisbeschluss vom 19.03.2013 hinsichtlich der von dem Sachverständigen I.......... vorgenommenen Kürzungen im kassenärztlichen Bereich zur Höhe von 55% und im privatärztlichen Bereich zur Höhe von 37,5 % neu berechnet.

Aus den Gründen

II.

Die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil ist nur zu einem geringen Teil begründet.

1.

Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Abfindungsanspruch in Höhe von 795.000,00 EUR aus § 738 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 BGB.

Nach § 80 Abs. 1 InsO geht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin wurde am 16.05.2006 eröffnet. Die Forderungsinhaberschaft des Abfindungsanspruchs wurde auch nicht durch die Pfändung des Anspruchs durch den Neben-intervenienten verändert.

Nach § 738 Abs. 1 Satz 2 Var. 3 BGB sind die Gesellschafter verpflichtet, dem Ausscheidenden dasjenige zu zahlen, was er bei einer Auseinandersetzung erhalten würde, wenn die Gesellschaft zur Zeit seines Ausscheidens aufgelöst worden wäre, wobei nach § 738 Abs. 2 BGB das Gesellschaftsvermögen erforderlichenfalls im Wege der Schätzung zu ermitteln ist.

Die Insolvenzschuldnerin ist aus der ursprünglich bestehenden Gesellschaft ausgeschieden. Zwischen den Beklagten und der Insolvenzschuldnerin bestand seit dem 1.7.2002 eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (§§ 705 ff BGB). Der ursprüngliche Vertragsentwurf über die Errichtung einer Gemeinschaftspraxis zwischen den Beklagten und der Insolvenzschuldnerin wurde mangels einer Unterschrift der Insolvenzschuldnerin zwar nicht wirksam. Für die Gründung einer GbR ist ein schriftlicher Gesellschaftsvertrag sinnvoll, aber nicht notwendig. Durch das Betreiben der Gemeinschaftspraxis wurde jedenfalls konkludent ein Gesellschaftsvertrag geschlossen.

2.

Das Landgericht hat zunächst ohne Rechtsfehler festgestellt, dass die Insolvenz-schuldnerin zum 30.4.2004 unstreitig aus der Gemeinschaftspraxis ausgeschieden ist, womit die gemeinsame Berufsausübung der Insolvenzschuldnerin und beider Beklagten beendet wurde. Dies ergibt sich nicht nur aus dem vom Landgericht festgestellten unstreitigen Vortrag, sondern auch aufgrund der mehrfachen Kündigungen der Beklagten im April bis Juni 2004. Ein Gesellschafter kann zwar nach § 737 BGB aus der Gesellschaft nur ausgeschlossen werden, wenn der Gesellschaftsvertrag eine Fortsetzungsklausel für den Fall der Kündigung durch einen Gesellschafter enthält und ein zur Kündigung berechtigender Umstand nach § 723 Abs. 1 Satz 2 BGB in der Person des auszuschließenden Gesellschafters vorliegt. Ein schriftlicher Gesellschaftsvertrag mit einer Fortsetzungsklausel existiert nicht (s.o.). Ein Fortsetzungsbeschluss kann jedoch auch nachträglich noch im Abwicklungsstadium gefasst werden (Palandt/Sprau, 72. Auflage, § 737, Rdnr. 2). Angesichts der tatsächlichen Fortführung der Gemeinschaftspraxis durch die Beklagten ist von einem konkludenten Fortsetzungsbeschluss auszugehen. Die Beklagten betrieben ihre ärztliche Tätigkeit in den gleichen Räumlichkeiten unter Nutzung der vorhandenen Einrichtung und Infrastruktur fort. In dem mangels Unterschrift der Insolvenzschuldnerin nicht wirksam gewordenen Gesellschaftsvertrag war auch eine entsprechende Fortsetzungsklausel vorhanden, was auf einen Fortsetzungswillen hinweist (Bl. 80/I d. A.). Ein wichtiger Grund für die Kündigung durch die Beklagten lag vor. Dies ist der Fall, wenn den kündigenden Gesellschaftern bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände im Einzelfall nach Treu und Glauben die Fortsetzung des Gesellschaftsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann (Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 8. Auflage, Rdnr. 95 a). Die Insolvenzschuldnerin hob am 20.04.2004 ohne Zustimmung der Beklagten einen Betrag von 154.000,00 EUR von dem Gemeinschaftskonto der Gesellschaft ab. Das eigenmächtige Abheben eines solchen Betrages von einem Gemeinschaftskonto ist geeignet, das Vertrauensverhältnis unter den Gesellschaftern zu erschüttern. Eine andere Bewertung resultiert auch nicht daraus, dass der Ehemann der Beklagten zu 1) – damaliger Verwalter des Gewinnverteilungskontos – zuvor den Gewinnanspruch der Insolvenzschuldnerin auf das Konto der Beklagten zu 1) überwies, weil die Insolvenzschuldnerin der Beklagten zu 1) noch einen Teil des Kaufpreises für den Praxiseintritt schuldete und die Restzahlung des Kaufpreises in unberechtigter Weise verweigerte. Diese selbstständige Forderungseintreibung durch den Ehemann der Beklagten entspricht zwar nicht dem von dem Gesetzgeber vorgegebenen Weg. Die eigenmächtige Geldabhebung von dem Gemeinschaftskonto rechtfertigte es aber nicht. Aus der Zusammenschau der Geldabhebung und dem Streit um die Kaufpreiszahlung für den Praxisanteil ist von einem zerstörten Vertrauensverhältnis auszugehen.

Aufgrund des zwischen den Parteien geschlossenen Teilvergleichs ist Gegen-stand des streitgegenständlichen Abfindungsanspruchs nur der immaterielle Wert der Gemeinschaftspraxis, der sog. Goodwill. Dass dem Kläger ein Anspruch auf den Goodwill zusteht, ist unstreitig, fraglich ist allein die Höhe. Grundsätzlich liegt ein immaterieller Wert vor, wenn ein potentieller Erwerber einer Praxis bereit ist, einen höheren Preis zu zahlen, als es dem Sachwert der Praxiseinrichtung entspricht (BGH, Urteil vom 13.10.1976, Az.: IV ZR 104/74, Rdnr. 26, zitiert nach juris). Abgegolten wird der Vorteil des potentiellen Erwerbers, in eine „eingelaufene“ Praxis einzusteigen und dadurch Vorteile zu erlangen, die im Falle der Neugründung einer Praxis nicht bestünden.

3.

Das Vorhandensein eines Goodwills ist nicht wegen der besonderen Kundenstruktur der Gemeinschaftspraxis abzulehnen. Angesichts der Spezialisierung der Praxis auf die Reproduktionsmedizin handelt es sich nicht um

eine Arztpraxis, die von Patienten über Jahre hinweg bei gesundheitlichem Anlass aufgesucht wird. Ein Goodwill kann aber auch bei einer Praxis der vorliegenden Art bestehen. Zum einen besteht hier eine langjährige Vertrauensbeziehung zu den sog. Einweiserärzten, die an die Stelle von langjährigen Arzt-Patienten-Beziehungen tritt. Diese Einweiserärzte – insbesondere Gynäkologen und Urologen – vermitteln die Patienten mit unerfülltem Kinderwunsch an Reproduktionsmediziner und Gynäkologen und betreuen gegebenenfalls bei erfolgreicher Behandlung die schwangeren Frauen anschließend weiter. Haben sich Reproduktionsmediziner einen guten Ruf bei den einweisenden Gynäkologen und anderen Ärzten erarbeitet, profitieren sie von dieser Verbindung. Dieser gute Ruf bezieht sich bei der Gemeinschaftspraxis nicht nur auf den einzelnen Arzt, sondern auf die Gemeinschaftspraxis als solche. Künstliche Befruchtungen stellen aufgrund der erforderlichen Einzelschritte ein Werk der Gemeinschaftspraxis dar. So ist beispielsweise bei einer reproduktionsmedizinischen Behandlung neben der Tätigkeit des Arztes auch die Arbeit einer Biologin erforderlich. Diese Gynäkologen und Urologen werden ihrerseits nicht ohne Grund ihre Patienten an eine andere auf Reproduktionsmedizin spezialisierte Praxis verweisen. Bei der Neueröffnung einer auf Reproduktionsmedizin spezialisierten Praxis besteht diese Beziehung zu den einweisenden Gynäkologen und Urologen noch nicht. Des Weiteren profitiert eine eingesessene Praxis bereits über einen möglichen guten Ruf bei Patienten, den sich eine neugegründete Praxis noch erarbeiten muss. Erfolgreich behandelte Patienten empfehlen die Praxis an Paare mit unerfülltem Kinderwunsch weiter.

4.

Die Existenz eines Goodwills ist nicht wegen der im Jahr 2006 in O........... eröffneten Praxis der Insolvenzschuldnerin abzulehnen. Ein immaterieller Wert einer Praxis kann abzulehnen sein, wenn die Praxis durch den ausscheidenden Arzt unmittelbar ohne Veränderungen in naher räumlicher Distanz fortgesetzt wird (vgl. OLG Celle, Teilurteil vom 29.05.2002, Az.: 9 U 310/01). Werden die bisherigen Patienten in die neue Praxis mitgenommen, verliert der Arzt beim Ausscheiden aus der bisherigen Praxis nicht den Kundenstamm und muss auch keinen neuen aufbauen. Die Insolvenzschuldnerin konnte jedoch keine Einweiserärzte in die neue Praxis nahtlos „mitnehmen“. Die Insolvenzschuldnerin hat ihre bisherige berufliche Tätigkeit nicht in anderen Räumlichkeiten fortgesetzt. Dies folgt bereits aus dem Zeitraum von zwei Jahren, der zwischen dem Ausscheiden aus der Gemeinschaftspraxis einerseits und dem Eröffnen der eigenen Praxis andererseits liegt. In diesem Zeitraum von zwei Jahren konnten die einweisenden Ärzte zwar Patienten an die Praxis der Beklagten verweisen, nicht aber an die Insolvenzschuldnerin. Die Insolvenzschuldnerin konnte auch nicht ihre bisherige Tätigkeit in der neuen Praxis fortführen. Der „mitgenommene“ Kassenarztsitz berechtigt nur zu den herkömmlichen gynäkologischen Behandlungen. Reproduktionsmedizinische Behandlungen wie die des Gametentransfers oder der In-Vitro-Fertilisation darf die Insolvenzschuldnerin in Ermangelung der erforderlichen IVF-Genehmigung nicht durchführen. Die Insolvenzschuldnerin selbst darf nur die reproduktionsmedizinische Behandlungsmethode der Insemination nach Stimulation anbieten. Diese Behandlungsmethode führt zu einem erhöhten Risiko von Schwangerschaften mit drei oder mehr Embryonen (Richtlinie zur Genehmigung von Maßnahmen zur Durchführung künstlicher Befruchtungen durch Ärzte Einrichtungen und Krankenhäuser, Bl. 175/I d. A.). Von der IVF-Genehmigung ist die Insemination nach Stimulation ebenfalls erfasst (Bl. 176/I d. A.). Behandlungen, für die die IVF-Genehmigung erforderlich ist, werden lediglich über die Insolvenzschuldnerin vermittelt. Aus den eingereichten Unterlagen der Beklagten über die Kommunikation zwischen der Insolvenzschuldnerin und einer reproduktionsmedizinischen Praxis in H………. (L……….) folgt, dass die Behandlungen dort durchgeführt wurden (Bl. 45 ff /II d. A.). Der Werbeflyer der Insolvenzschuldnerin zeigt, dass diese nach Untersuchungen eine Behandlung nur empfiehlt (Bl. 157 d. A.). Die Praxis in H……….. ist von O…………jedoch ca. 140 km entfernt, so dass sich durchaus einige Patienten nach einer Praxis mit den vorgenannten Verfahren in der O…………Region erkundigen und die Einweiserärzte eher an die Gemeinschaftspraxis der Beklagten verweisen.

Die Monopolstellung im Bereich der Reproduktionsmedizin im Raum O………….unterstreicht die Existenz eines immateriellen Wertes der Gemeinschaftspraxis. In O........... befindet sich keine weitere gynäkologische Praxis, die reproduktionsmedizinische Verfahren wie die des Gametentransfers oder In-Vitro-Fertilisation anbietet. Das Patienteneinzugsgebiet der Praxis der Beklagten umfasst einen Radius von ca. 80-120 km.

5.

Auch die Mitnahme des Kassenarztsitzes führt nicht zum Ausschluss des Goodwills. Dieser alleine berechtigte nicht zur Durchführung der finanziell lukrativen Behandlungsmethoden des Gametentransfers oder der In-Vitro-Fertilisation. Die für diese Behandlungsmethoden erforderliche IVF-Genehmigung ist nach Auskunft des Sachverständigen I.......... ca. 5-10 Mal so viel wert wie eine kassenärztliche Zulassung. Anträge der Insolvenzschuldnerin auf Erteilung einer solchen IVF-Genehmigung wurden 2004 und 2009 – nach Anhörung der Beklagten – abgelehnt.

6.

Die Mitnahme der Zertifizierungsunterlagen durch die Insolvenzschuldnerin lässt den Goodwill ebenfalls nicht entfallen. Die neu eröffnete Praxis der Insolvenz-schuldnerin erhält hierdurch keine Zertifizierung. Die Insolvenzschuldnerin hat hingegen nicht mehr den Vorteil, in einer zertifizierten Praxis zu arbeiten. Angesichts des geringeren Behandlungsspektrums der Insolvenzschuldnerin ist ein Vorteil aus der Mitnahme der Zertifizierungsunterlagen nicht erkennbar.

7.

Die Berücksichtigung des gezahlten Eintrittsgelds durch das erstinstanzliche Gericht in der Urteilsbegründung war nicht zu beanstanden. Es stellt ein Indiz für das Vorhandensein eines immateriellen Praxiswerts dar. Es zeigt, dass auch die Insolvenzschuldnerin bereit war, für den Eintritt in die Praxis einen Betrag zu zahlen, der sich nicht nur an dem Sachwert der Praxis orientierte. Es ist angesichts der Inventarliste und des dort ausgewiesenen materiellen Praxiswerts von 204.516,75 EUR (Gutachten des Sachverständigen I.......... vom 30.01.2009, Anlage 1) davon auszugehen, dass der Einstiegspreis weit über dem materiellen Praxiswert lag.

8.

Hinsichtlich der Höhe des Goodwills ist das erstinstanzliche Gericht im Wesentlichen zutreffenderweise den Berechnungen des Sachverständigen gefolgt. Dabei ist es nicht Aufgabe des Berufungsgerichts, das Ergebnis einer Beweisaufnahme zu überprüfen. Wegen der grundsätzlichen Bindung an die Tatsachenfeststellungen des erstinstanzlichen Gerichts (Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann, ZPO, 67. Aufl., § 529, Rdnr. 4; BGH NJW 2005, 1584) beschränkt sich der Prüfungsumfang des Berufungsgerichts (§ 529 ZPO) vielmehr auf die Frage, ob im angegriffenen Urteil widersprüchliche oder lückenhafte Ausführungen des Sachverständigen zugrunde gelegt worden sind (BGH NJW 2006, 152).

Solche Rechtsfehler sind in Bezug auf die vom Sachverständigen und ihm folgend vom Landgericht angewendete Bewertungsmethode nicht gegeben. Der ausge-schiedene Gesellschafter erhält nach § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB dasjenige, was er bei Auseinandersetzung der Gesellschaft erhalten hätte. Für die Berechnung des Abfindungsanspruchs ist zunächst der Wert der Gesellschaft und daraus in einem zweiten Schritt der Wert des Anteils des Ausgeschieden zu ermitteln (sog. indirekte Methode). Für die Berechnung ist also nicht auf den Wert des Anteils selbst abzustellen, sondern auf den anteiligen Ertragswert des gesamten Unternehmens (Münchener Handbuch des Gesellschaftsrecht – Piehler/Schulte, 4. Auflage, § 75 Rdnr. 28). Grundlage für die Ermittlung des Gesellschaftswertes ist hierbei der sog. Fortführungswert, also der Ertragswert auf Grundlage der als werbend fortgesetzten Gesellschaft (Münchener Handbuch des Gesellschaftsrecht – Piehler/Schulte, 4. Auflage, § 75 Rdnr. 19). Dieser Fortführungswert (sog. going concern) unterscheidet sich von dem sog. Liquidationswert, der sich aus den Einzelveräußerungspreisen bei der Zerschlagung des Unternehmens ergeben würde (vgl. Hütter/Koch, Gesellschaftsrecht, 8. Auflage, S. 112). Der Liquidations-wert ist nach allgemeiner Auffassung entgegen dem Wortlaut des § 738 BGB nicht maßgebend, weil die Anteile mit dem Ausscheiden auf die übrigen Gesellschafter übergehen.

Der Sachverständige ermittelte den Fortführungswert anhand der modifizierten Ertragswertmethode. Das Gesetz schreibt eine Methode zu Ermittlung des

Goodwills nicht vor, weshalb die gewählte Methode nur darauf zu überprüfen war, ob sie gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt oder auf rechtsfehler-haften Erwägungen beruht (BGH, Urteil vom 24.10.1990, Az.: XII ZR 101/89, Rdnr. 11, zitiert nach juris). Die von dem Sachverständigen gewählte Berech-nungsmethode war nicht zu beanstanden, weshalb es die Einholung eines Obergutachtens nach § 412 Abs. 1 ZPO nicht bedurfte.

Eine Wertermittlung alleine nach dem Umsatz scheidet nach allgemeiner Auffassung aus, weil in diesem Fall etwaige hohe Kosten einer Praxis nicht berücksichtigt werden und so ein Rückschluss auf den tatsächlichen Wert der Praxis nicht gezogen werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 09.02.2011, Az.: XII ZR 40/09, Rdnr. 18, zitiert nach juris). Der Bundesgerichtshof schreibt eine bestimmte Bewertungsmethode nicht vor, hält es aber für sachgerecht, wenn eine Bewertungsmethode herangezogen wird, die in Form einer Richtlinie von einem Gremium der zuständigen Standesorganisation empfohlen und verbreitet angewendet wird (BGH, Urteil vom 06.02.2008, Az.: XII ZR 45/06), Rdnr. 19, zitiert nach juris). Von der Bundesärztekammer wird die ertragswertorientierte Methode empfohlen. Es handelt sich um eine in die Zukunft gerichtete Analyse, bei der die Umsatz- und Kostenstruktur sowie das alternative Arztgehalt berücksichtigt werden (Deutsches Ärzteblatt, Jg. 105, Heft 51-52).

Entgegen der Auffassung der Beklagten war die Indexierte Basis – Teilwertmethode (sog. IBT-Methode) dem Gutachten zur Ermittlung des Goodwills nicht zugrunde zu legen. Die IBT-Methode führt in seine Berechnung neben den Umsätzen und Gewinnen Marktdaten ein, die speziell für die Region und Fachrichtung ermittelt werden. Berücksichtigt werden bei dieser Methode auch tatsächlich gezahlte Übernahmeentgelte. Da die Daten für die gezahlten Übernahmeentgelte in der Regel jedoch einige Jahre zurückliegen, bestehen Zweifel an der Aktualität des ermittelten Goodwills. Die IBT-Methode wird als wenig nachvollziehbar kritisiert. Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten sah der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 06.02.2008 die IBT-Methode nicht als die geeignete Methode an. Der Bundesgerichtshof führte dort vielmehr aus, dass bei der Berechnung mittels der IBT-Methode nicht erkennbar sei, ob und in welcher Weise der auf die Arbeitskraft entfallende Teil der Praxisinhaber und auf deren eventuell nicht übertragbaren besonderen Fähigkeiten entfallenden Teil des Ertrages erfasst und berücksichtigt worden ist (BGH, Urteil vom 06.02.2008, Az..XII ZR 45/06 Rdnr. 27, zitiert nach juris).

Der Sachverständige I.......... hat die Ertragsmethode in modifizierter Form angewandt. Diese entspricht den Hinweisen der Bundesärztekammer, wonach der ideelle Wert einer Arztpraxis ertragswertorientiert ermittelt wird; nach den Hinweisen der Bundesärztekammer stellt der nachhaltig erzielbare Gewinn im Prognosezeitraum den Goodwill dar; für die Berechnung des nachhaltig erzielbaren Gewinns sind die Umsatz- und Kostenstruktur der Praxis sowie das alternative Arztgehalt zu berücksichtigen (vgl. Deutsches Ärzteblatt, Jg. 105, Heft 51-52, A 5). Der Sachverständige hat den Goodwill ermittelt, indem er den nachhaltig erzielbaren Gewinn mit einem Prognosemultiplikator ermittelt hat. Der Prognosemultiplikator ergibt sich aus der Anzahl der Jahre, in der von einer Patienten- bzw. Einweiserbindung ausgegangen werden kann und beträgt üblicherweise zwei Jahre (vgl. Deutsches Ärzteblatt, Jg. 105, Heft 51-52). Der nachhaltig erzielbare Gewinn wird anhand des Umsatzes und der Kosten einschließlich des sog. alternativen Arztgehaltes ermittelt. In dem Sachverständi-gengutachten wurde der Umsatz der letzten drei Kalenderjahre und die durch-schnittlichen Kosten der letzten drei Kalenderjahre zur Ermittlung des Gewinns herangezogen (vgl. S. 25 ff des Gutachtes vom 30.11.2009). Von diesem Betrag wurden entsprechend den Hinweisen der Bundesärztekammer zur Bewertung von Arztpraxen die alternativen Arztgehälter abgezogen. Ein solches Gehalt ist abzuziehen, weil es den Wert verkörpert, der auf dem persönlichen Einsatz des Arztes beruht und nicht übertragbar ist (BGH, Urteil vom 09.02.2011, Az.: XII ZR 40/09, Rdnr. 27). Der Bundesgerichtshof gibt insoweit vor, dass nicht ein pauschaler, sondern nur ein den individuellen Verhältnissen entsprechender Unternehmerlohn in Abzug gebracht werden dürfe (BGH, Urteil vom 06.02.2008, Az.XII ZR 45/06 Rdnr. 22, zitiert nach juris). Die Arztgehälter wurden unter Beachtung der Qualifikation der Ärzte und der Größe der Praxis bestimmt (Gutachtens des Sachverständigen I.......... vom 30.11.2009, S. 48). Entgegen der Auffassung der Beklagten wurden die Arztgehälter auch nicht zu niedrig angesetzt. Nach den Hinweisen der Bundesärztekammer zur Bewertung von Artpraxen wurde das Facharztgehalt im Krankenhaus mit lediglich 76.000,00 EUR angesetzt (Deutsches Ärzteblatt, Hinweise zur Bewertung von Arztpraxen, A 5). Der aus den Umsätzen unter Abzug des Unternehmerlohns ermittelte Betrag wurde mit 2,34 % auf 4 Jahre abgezinst. Der Zinssatz von 2,34 % wurde nachvollziehbar unter Berücksichtigung eines Risikozuschlages berechnet (Gutachten des Sachverständigen I.......... vom 30.11.2009, S. 50). Der Berechnungszeitraum von 4 Jahren erscheint angesichts der üblichen zwei Jahre zunächst lang. Im Sachverständigengutachten wird der Zeitraum von 4 Jahren nachvollziehbar mit der Einweiserstruktur und der besonderen Wettbewerbs-situation begründet (Gutachten des Sachverständigen I.......... vom 30.11.2009, S. 48). Die Praxis der Beklagten weist angesichts der vorhandenen IVF-Genehmigung in der Region O........... ein Alleinstellungsmerkmal auf, so dass von einer langjährigen Überweisungsstruktur ausgegangen werden kann. Von der – restriktiven – Erteilung weiterer IVF-Genehmigungen war richtigerweise nicht auszugehen. Mit der Praxis der Beklagten war der Bedarf für reproduktions-medizinische Tätigkeiten in der Region O........... gedeckt.

Die Kritik der Beklagten, die Praxis stelle kein Wirtschaftsunternehmen dar und könne daher nicht wie ein Wirtschaftsunternehmen bewertet werden, geht fehl. Gegen die Bewertung von Freiberuflerpraxen mittels der Ertragswertmethode könnte sprechen, dass die Ertragskraft einer Freiberuflerpraxis entscheidend von der Person des Praxisinhabers abhängt (vgl. Münchener Kommentar zum Gesellschaftsrecht – Piehler/Schulte, 4. Auflage, § 10 Rdnr. 82). Eine herkömmliche Arztpraxis unterscheidet sich von einem Wirtschaftsunternehmen durch die enge Arzt-Patienten-Bindung; in der hiesig zu bewertenden Praxis besteht eine solche Bindung nicht (s.o.). Es besteht zwar eine Verbindung zu den Einweiserärzten; diese besteht aber zu der Praxis insgesamt (s.o.). Scheidet ein Arzt aus einer Gemeinschaftspraxis aus und tritt dafür ein neuer Arzt in die Gemeinschaftspraxis ein, wird ein Patient des ausscheidenden Arztes den neuen Arzt nur bei entsprechender Sympathie als Nachfolger wählen; die einweisenden Ärzte werden bei einem Arztwechsel die Überweisungen an eine Praxis, mit der die Zusammenarbeit gut lief, nur nach Beanstandung einstellen. Darüber hinaus trifft dieser Kritikpunkt auch nur die „echte Ertragswertmethode“, weil die modifizierte Ertragswertmethode die Umstände des Einzelfalls beispielsweise durch den Unternehmerlohn ausreichend berücksichtigt.

9. Hinsichtlich des Zeitpunktes der Berechnungen hat das Landgericht rechtsfehler-frei auf den 30.04.2004 abgestellt. Auf diesen Zeitpunkt haben sich die Parteien in dem Teilvergleich vom 08.11.2007 geeinigt. Nach dem Teilvergleich haben sich die Beklagten verpflichtet, daran mitzuwirken, den Goodwill der von den Parteien betriebenen Gemeinschaftspraxis R………….. L………….93 bis 95 in O........... per Stichtag 30.04.2004 zu ermitteln (Bl. 140/I d. A.). Dieser Vergleich erfolgte über den klageweise geltend gemachten Auskunftsanspruch zur Bezifferung des Auseinandersetzungsanspruchs nach § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB. Überdies ist die Insolvenzschuldnerin am 30.04.2004 aus der Gemeinschaftspraxis ausgeschieden und die Beklagten haben zumindest faktisch ab dem 01.05.2004 die Praxis ohne die Insolvenzschuldnerin fortgeführt.

10. Auch die Auswirkungen der Gesundheitsreform im Jahre 2004 hat das Landgericht ausreichend berücksichtigt. Infolge des Gesundheits-Modernisierungs-Gesetzes werden die Kosten für die künstliche Befruchtung nur zu 50 % bei Bestehen einer gewissen Erfolgsaussicht von der gesetzlichen Krankenversicherung getragen, sofern gewisse Altersgrenzen des Elternwunsch-paares nicht überschritten werden. Anhand der Zahlen über die wirtschaftliche Entwicklung der Gemeinschaftspraxis ist ein Abfall von ca. 1600 Behandlungs-fällen pro Quartal vor 2004 auf aktuell ca. 900 Behandlungsfälle pro Quartal zu verzeichnen, was einem Abfall von ca. 44 % entspricht. Diese Zahlen könnte dafür sprechen, dass der Sachverständige I.......... die Änderungen durch das Gesundheits-Modernisierungs-Gesetzes mit negativen Umsatzentwicklungen von – 25 bis – 40 % nicht ausreichend berücksichtigt hat (Gutachten des Sachverständigen I.......... vom 30.01.2009, Bl. 21 und 44). Der Sachverständige I.......... ging davon aus, dass die Behandlungszahlen sich insgesamt nicht erheblich verringern und die Mindereinnahmen im Bereich der gesetzlichen Krankenkasse durch Mehreinnahmen im Bereich der privat behandelten Patienten aufgefangen werden (Gutachten des Sachverständigen I.......... vom 30.01.2009, S. 22). Anhand der Umsatzzahlen sind vermehrte Einnahmen im Bereich der privat behandelten Patienten nicht zu erkennen (Bl. 130/II d. A.). Aus der Darstellung der bundesweiten Anzahl von Follikelpunktionen, also die Entnahme von Eizellen zur Befruchtung außerhalb des Körpers, ergibt sich, dass sich die Behandlungszahlen nach 2003 erheblich verringerten. So schrumpften die 80.434 Punktionen im Jahre 2003 auf 37.633 Punktionen im Jahre 2004. Da sich die Behandlungszahlen ab dem Jahre 2006 wieder normalisierten, ist davon auszugehen, dass sich viele Paare mit Kinderwunsch noch für eine Behandlung vor Eintritt der neuen Rechtslage (ab 1.1.2004) entschieden, um keine Kosten der Behandlung selbst tragen zu müssen. Vergleicht man die Punktionen im Jahre 2002 und 2006 ist zu erkennen, dass sich die Anzahl der künstlichen Befruchtungen um ca. 35 % verringert hat.

Daraus folgt, dass die von dem Sachverständigen I.......... getroffene Prognose, wonach das Gesundheits-Modernisierungs-Gesetz im Mittel zu Umsatzeinbußen von 32,5 % führte, zutreffend geschätzt war, so dass das Landgericht seiner Annahme zu Recht gefolgt ist.

11. Das Urteil des Landgerichts ist allerdings rechtsfehlerhaft, soweit es bei der Schätzung des Goodwills und der Berechnung der Umsatzprognose der auf den Stichtag folgenden Jahre zwingend annimmt, dass es trotz des Ausscheidens der Insolvenzschuldnerin zur Fortsetzung der Praxis mit drei Vertragsärzten kommen wird. Denn das Landgericht ist dem Sachverständigen gefolgt, der ausweislich seiner Angaben am 03.02.2010 (Bl. 35 Bd. III d.A.) bei seiner Bewertung davon ausgegangen ist, dass es zur Fortführung der Gemeinschaftspraxis mit drei Ärzten kommen werde. Dabei hat er in seinen Gutachten auch klar gemacht, dass bei Berücksichtigung einer Fortsetzung mit nur zwei Ärzten und nur zwei Kassenzu-lassungen von anderen Bewertungszahlen auszugehen sei (vgl. Anmerkung Bl. 51 des Hauptgutachtens, Bl. 6 ff des Ergänzungsgutachtens). Nach dem Gutachten-auftrag habe er jedoch von einer Praxisfortsetzung nach alten Bedingungen ausgehen müssen. Tatsächlich wurde die Insolvenzschuldnerin unstreitig nach deren Ausscheiden nicht durch eine andere Person ersetzt. Die Praxisgemein-schaft arbeitet auch heute noch nur mit den zwei Beklagten, weil eine neue dritte Kassenzulassung wegen einer Sperrung des Gebietes nicht erlangt werden konnte. Unabhängig davon, ob die Praxis mit zwei oder drei Vertragsärzten tatsächlich fortgeführt wurde, muss sich dies nach Auffassung des Senats im Rahmen der Ertragswertberechnung auswirken, denn diese Umstrukturierung der Praxis hat erhebliche Budgetfolgen (vgl. Cramer/Maier, MedR 2002, S. 621). Zwar könnte ein dritter Arzt ohne Kassenzulassung in die Praxis hinein genommen werden, der sogar im Rahmen der Invitrobehandlungen mitarbeiten dürfte, das Kassenbudget der Gemeinschaftspraxis würde jedoch lediglich um 3 % erhöht werden (vgl. die Ausführungen des Sachverständigen Bl. 35, 36 Bd.III). Wäre hingegen ein potentieller Erwerber des Anteils der Insolvenzschuldnerin ein Gynäkologe mit Kassenarztzulassung aus O..........., hätte dieser ggfs. seine Kassenarztzulassung mitgenommen und die Gemeinschaftspraxis wäre weiterhin mit drei Kassenarztzulassungen betrieben worden. Allerdings ist dies rein hypothetisch und man wird bei der hypothetischen Betrachtungsweise der Weiterentwicklung der Praxis nicht ohne Weiteres unterstellen können, dass die Gemeinschaft einen Kollegen aufzunehmen hat, nur weil er eine Kassenarztzu-lassung besitzt. Da der Abfindungsanspruch die wirtschaftliche Kompensation für den Verlust der Mitgliedsposition samt zugehöriger Rechte und Pflichten darstellt (Früchtl, NZG 2007, S. 368 (369), kann deshalb aufgrund dieser Kompensations-funktion nur der Fortführungswert zum Zeitpunkt des Ausscheidens relevant sein. Dass zu diesem Zeitpunkt ein potentieller Käufer des Praxisanteils mit Kassen-arztzulassung zur Verfügung stand, ist nicht dargetan und keineswegs zwingend. Damit bleibt es dabei, dass der Wegfall einer Kassenarztzulassung im Zeitpunkt des Ausscheidens der Insolvenzschuldnerin feststand und die Berechnung des Ertragswerts unter der Prämisse zu erfolgen hat, dass die Praxis nach dem Ausscheiden nur mit zwei Fachärzten betrieben wird.

Der Sachverständige I.......... hat im Rahmen des Berufungsverfahrens in seinem Gutachten vom 25.11.2011 zur Berechnung des Goodwills unter Berücksichtigung des Kassenarztsitzverlustes und des Gesundheits-Modernisierungs-Gesetzes aus dem Jahre 2004 insgesamt einen Abschlag von 55 % bei den Kassenumsätzen errechnet. Gegen diese Schätzung bestehen seitens des Senats keine Bedenken. Insoweit macht sich der Senat die Ausführungen des Sachverständigen S........... in seinem nachvollziehbaren und in sich schlüssigen Gutachten vom 12.02.2014 zu Eigen (S. 5 f. des Gutachtens). Auf die dortigen Ausführungen sowie seine ergänzende Stellungnahme vom 25.07.2014 (Bd. VI, Bl. 72) wird Bezug genommen.

Hinsichtlich der Abnahme des Umsatzes im Geschäftsbereich der Privatpatienten hat der Sachverständige I.......... in seinem ursprünglichen Gutachten Werte zwischen -10 und -15 % angenommen. Die GKV-Erstattungsregeln wurden in die Beihilfeordnungen des Bundes und der Länder übernommen. Nach § 43 der Bundesbeihilfeverordnung wird hinsichtlich der Aufwendungen für die künstliche Befruchtung auf § 27 a SBG V verwiesen. In § 27 a SGB V wurden die Änderungen durch das GKV-Modernisierungsgesetz normiert. Diese Veränderungen führten nach 2003 bei Beihilfe beziehenden Elternwunschpaaren nach dem von dem Nebenintervenienten eingereichten privaten Gutachten über die Entwicklungen durch das GMG zu einem Rückgang von künstlichen Befruchtungen um 33 % (Bl. 18/V, Anlage N 10). Insoweit war auch hier von einem Rückgang auszugehen, der allerdings wiederum berücksichtigen musste, dass die Insolvenzschuldnerin ihren Kassenarztsitz bei Ausscheiden aus der Gesellschaft mitgenommen hat. Dabei war entgegen der zunächst vom Sachver-ständigen I.......... durchgeführten Schätzung aber zu berücksichtigen, dass ein erheblicher Teil der KV-Umsätze über den Bereich der Privatabrechnungen ausgeglichen werden kann und daher der Rückgang der Privatumsätze sich nicht derart stark auswirkt, wie zunächst vom Sachverständigen I.......... angenommen. Insoweit wird Bezug genommen auf die Ausführungen in den Gutachten des Sachverständige S........... vom 12.02.2014 und 25.07.2014. Die von ihm errechnete Honorarminderung von 12 % ist daher als realistische Schätzung einzustufen, die auch der Senat zugrunde gelegt hat.

Daraus folgt, dass im Bereich der Kassenabrechnungen 768.446 EUR und im Privatbereich 1.527.333 EUR sowie im Umsatzbereich Sonstiges 26.537 EUR an mittleren Planumsatz zugrunde zu legen waren. Im Ergebnis errechnet sich daher nach der nachvollziehbaren Berechnungstabelle des Sachverständigen I.........., die auch vom Sachverständigen S........... in seinem Gutachten vom 12.02.2014 zugrunde gelegt ist, in der Differenz von mittlerem Planumsatz und Plankosten ein Planertrag vor Steuern von 1.251.136 EUR, von dem ein Unternehmerlohn von 280.000,-Euro in Abzug gebracht wurde. Damit besteht ein Überschuss vor

Steuern in Höhe von 971.136 EUR. Auf vier Jahre gemittelt ergibt dies aufgrund des angesetzten Rentenbarwertfaktors einen Ertragswert unter Berücksichtigung, dass die Praxis nur mit zwei Vertragsärzten fortgeführt werden könnte, in Höhe von 2.383.880 EUR. Im Rahmen der Schätzung, die der Senat vorzunehmen hat, wird dieser Betrag auf 2.385.000,00 EUR gerundet, so dass dem Kläger bei dem ihm zustehenden Drittel ein Betrag in Höhe von 795.000,00 EUR als Goodwill zusteht.

12. Soweit der Kläger schließlich gegen die Berechnung des Sachverständigen S........... in dessen Gutachten vom 12.02.2014 einwendet, der Sachverständige arbeite bei der Berechnung des Goodwills fälschlicherweise nicht mit den tatsächlichen Umsatzzahlen der Jahre 2005 bis 2012, gibt dieser Auffassung dem Senat keinen Grund, von der Schätzung des Sachverständigen abzuweichen.

Zunächst war der Senat nicht gehalten, zu dieser Frage den Sachverständigen nochmals persönlich anzuhören. Denn ob die Berechnung des Goodwills letztlich ex ante oder ex post betrachtet vorzunehmen ist, ist eine Rechtsfrage, dessen Beantwortung dem Senat vorbehalten ist. Im Übrigen haben die Parteien dies trotz Anfrage des Senats auch nicht beantragt.

Der Sachverständige hat zu diesem Einwand der Beklagten mit seinen ergänzenden Ausführungen vom 25.07.2014 Stellung genommen und dargelegt, warum er seiner Schätzung nicht die tatsächlichen, sondern die hypothetischen Umsatzzahlen ab dem 01.05.2004 (Bewertungsstichtag gemäß Teilvergleich) zugrunde legt. Er begründet dies damit, dass der Bewertungsstichtag für die Berechnung des Goodwills maßgeblich ist und er deshalb eine zu diesem Zeitpunkt vorgenommene Betrachtung vornehmen müsse. Es komme nicht darauf an, wie sich die Praxis tatsächlich weiterentwickelt hat, sondern wie sie sich aus damaliger Sicht betrachtet normalerweise weiterentwickelt hätte.

Dieser Auffassung schließt sich der Senat an. Der Abfindungsanspruch entsteht im Zeitpunkt des Ausscheidens. Er ist daher auch der Höhe nach zu diesem Zeitpunkt zu bestimmen und bleibt insoweit konstant. Die Bewertung ist dann im

Rahmen der Schätzung, die der Senat mit Hilfe des Sachverständigen vorgenommen hat, anhand einer ex ante Betrachtung durchzuführen. Denn es darf keinen Unterschied machen, wann der Anspruch auf den Goodwill letztlich geltend gemacht wird bzw. wie sich die Praxis nach dem Ausscheiden tatsächlich weiterentwickelt hat. Dies wäre aber der Fall, wenn eine ex post Betrachtung mit tatsächlichen Umsatzzahlen vorgenommen würde. Es ergäbe sich in diesem Fall jeweils ein anderer Goodwill, je nachdem, wann der Anspruchssteller seinen Anspruch geltend macht und wie sich die Gesellschaft tatsächlich weiterentwickelt hat. Eine solche Betrachtung wäre unbillig, denn der Goodwill muss am Bewertungsstichtag immer gleich hoch sein, egal wann man ihn geltend macht. Es obläge so auch den verbleibenden Gesellschaftern durch ihr eigenes Engagement den Wert des Goodwills zu verändern. Eine solche Ungewissheit und Beliebigkeit kann nicht zu Lasten des ausgeschiedenen Gesellschafters gehen. Daher muss betrachtet vom Bewertungsstichtag anhand von hypothetischen Werten eine ex ante Betrachtung vorgenommen werden, so wie dies der Sachverständige vorliegend gemacht hat.

13. Der Zinsanspruch in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz besteht nicht bereits ab dem 17.05.2006, sondern erst ab dem 31.07.2006. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB und beginnt am 31.07.2006 (§ 187 BGB analog). Die Zustellung der Stufenklage erfolgte am 30. Juli 2007 nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe (Bl. 103/I d. A.). Zinsen sind nicht schon ab Entstehen oder Fälligkeit des Anspruchs zu zahlen, sondern dann, wenn die Gesellschaft nach Eintritt der Fälligkeit auf eine Mahnung nicht leistet (MünchKomm/Schäfer, BGB, 6. Auflage, § 738, Rdnr. 22). Eine eindeutige Zahlungsaufforderung wurde seitens des Klägers aber nicht vorgetragen.

14. Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 97, 92 Abs. 2, 101, 708 Nr. 10, 709 S. 2, 711 ZPO.

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