LG Stuttgart: Unternehmensbewertung anhand eines umsatzgewichteten durchschnittlichen Börsenkurses
LG Stuttgart, Beschluss vom 8.5.2019 – 31 O 25/13 KfH SpruchG
Orientierungssätze
1. Zum Wandel in Rechtsprechung und Literatur bei der Betrachtung von Börsenkursen zur Schätzung des Verkehrswerts von Aktien (C III 1)
2. Bei Unternehmen, deren Aktien an der Börse gehandelt werden, ist die marktorientierte Bewertung im Spruchverfahren (allein) anhand eines umsatzgewichteten durchschnittlichen Börsenkurses eine grundsätzlich geeignete und in der Regel zu angemessenen Ergebnissen führende Bewertungsmethode, sofern die Durchschnittsbildung auf aussagekräftigen Börsenkursen beruht.
Die Anwendung eines „Meistbegünstigungsprinzips“, nach dem ein aussagekräftiger Börsenkurs nur die Untergrenze der (ansonsten nach der Ertragswertmethode zu bestimmenden) Abfindung bilde oder nur zu Plausibilisierungszwecken herangezogen werden dürfe, ist verfassungsrechtlich nicht geboten. Die verfassungsgerichtliche Vorgabe, dem Minderheitsaktionär zu gewähren, was er bei einer (fiktiven) „freien Deinvestitionsentscheidung“ bekommen hätte, entspricht dem Betrag, den er „ohne die zur Entschädigung verpflichtende Intervention des Hauptaktionärs oder die Strukturmaßnahme bei einem Verkauf des Papiers erlöst hätte“ (Verweis auf BGH, Beschluss vom 19. Juli 2010 – II ZB 18/09 –, BGHZ 186, 229-242, Rn. 21 „Stollwerck“). Das ist aus der Perspektive eines Minderheitsaktionärs, der Aktien an einer börsennotierten Gesellschaft hält, im Regelfall nichts anderes als der Börsenkurs. (C III 1 c)
3. Der im Spruchverfahren gesuchte Verkehrswert der Aktie ist regelmäßig mit dem Börsenkurs der Aktie identisch (Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 27. April 1999 – 1 BvR 1613/94 –, juris Rn. 55, 56, 60, 63). Eine gerichtliche Prüfung des Ertragswerts im Spruchverfahren ist und bleibt deshalb entbehrlich, wenn es aussagekräftige Börsenkurse gibt, die zur Bestimmung des Verkehrswerts der Aktie heranzuziehen sind. (C I 1 b, c, III 1 bis 3)
4. „Irrationalitäten“ des Kapitalmarkts, die sich mithilfe der Verhaltensökonomie erklären lassen, stehen der gerichtlichen Wertung des Börsenkurses als Verkehrswert der Aktie nicht entgegen. Im Spruchverfahren geht es auch nicht um die Ermittlung eines subjektiven „höchsten Verkäufergrenzpreises“, zu dem der letzte verbleibende Minderheitsaktionär bereit ist, seine Aktien zu veräußern. Im Spruchverfahren bedarf es nicht der Ermittlung eines wie auch immer gearteten, vom „objektiven“ Deinvestitionswert zum Stichtag unterscheidbaren „Daueranlagewerts“. Verfahrensziel ist die Prüfung, ob die Abfindung (mindestens) dem Verkehrswert der Aktie (nicht: des Gesamtunternehmens) entspricht. (C I 1 d)
5. Die nicht von der Hand zu weisende Gefahr einer für die Minderheitsaktionäre ungünstigen Beeinflussung der Börsenkurses etwa durch den Mehrheitsaktionär betrifft die Frage nach der Aussagekraft der Börsenkurse.
(C I 1 d)
6. Zu den Kriterien, die bei der Prüfung der Aussagekraft von Börsenkursen im Einzelfall im Spruchverfahren herangezogen werden können
(C I 3)
7. Auf den Begriff der „Marktenge“ sollte zur Vermeidung von Missverständnissen wegen des unterschiedlichen Begriffsverständnisses besser nicht abgestellt werden.
(C I 3)
8. Bei der Abwägung, ob zur Schätzung des Verkehrswerts der Aktie im Spruchverfahren auf die kapitalmarktorientierte Bewertungsmethode (ausschließlich anhand eines umsatzgewichteten durchschnittlichen Börsenkurses) oder auf das herkömmliche Ertragswertverfahren abgestellt wird, kann sich die kapitalmarktorientierte Bewertungsmethode im Einzelfall als überlegen erweisen. Für eine solche Überlegenheit kann u.a. sprechen, wenn sich das Unternehmen am Bewertungsstichtag in einer „Umbruchsituation“ befand, wenn sich die der Ertragswertberechnung zugrunde liegenden Planzahlen des Unternehmens erst im Spruchverfahren (nach Begutachtung durch einen Sachverständigen) als teilweise nicht plausibel erweisen, wenn das Gericht deshalb - bei einem über zehn Jahre zurückliegenden Bewertungsstichtag - selbst aus Stichtagssicht realistische Planzahlen (anstelle des Managements) aufstellen müsste und wenn es aufgrund der Komplexität – auch aufgrund der zwischenzeitlich vergangenen Zeit – selbst mit sachverständiger Unterstützung extrem schwer fällt, eine solche konsensfähige, realistische Planung aus Sicht des Bewertungsstichtags zu erstellen (bei einem zugleich zu beachtenden Verbot der retrospektiven Betrachtung zwischenzeitlich bekannter Ist-Zahlen zum damaligen Planungszeitraum).
(C I 5)
9. Der aus der Multiplikation des umsatzgewichteten durchschnittlichen Börsenkurs mit der Gesamtzahl der ausgegebenen Aktien gewonnene Börsenwert des gesamten Unternehmens kann bei aussagekräftigen Börsenkursen in einer solchen Konstellation auch als Schätzgrundlage zur Ermittlung des angemessenen Ausgleichs anlässlich eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages dienen.
(C IV)
A.
Sachverhalt und Verfahrensgang
I. Sachverhalt
Gegenstand des vorliegenden Spruchverfahrens ist die Überprüfung der Angemessenheit der Abfindung und des Ausgleichs anlässlich des am 29. Juni 2007 beschlossenen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages zwischen der damals unter A GmbH firmierenden Antragsgegnerin und der X AG. Die Antragsteller begehren die gerichtliche Bestimmung der angemessenen Abfindung und des angemessenen Ausgleichs.
1. Gesellschaftsrechtliche Verhältnisse
a. X AG
Die X AG mit Sitz in NN wurde … als „X1 AG“ gegründet (eingetragen im Handelsregister des Amtsgerichts NN unter HRB …) und firmierte seit 2003 als X AG (nachfolgend: „X AG“, „X“ und „die Gesellschaft“). Die Gesellschaft entwickelte sich vom klassischen „Broker“ zum Entwickler und Anbieter von Dienstleistungen rund um den Handel mit Wertpapieren. Sie erhielt als Finanzdienstleistungsinstitut Erlaubnisse der BaFin nach § 32 KWG für die Anlagevermittlung, für die Abschlussvermittlung und für den Eigenhandel (Gemeinsamer Bericht gemäß § 293a AktG, Anl. AG 2, nachfolgend „GemB“ Seite 12, 16, 17).
b. Antragsgegnerin
Die Antragsgegnerin wurde im März 2007 gegründet und als „A GmbH“ unter HRB … im Handelsregister des Amtsgerichts NN eingetragen (GemB Seite 21, 22). Nach Abschluss des verfahrensgegenständlichen Unternehmensvertrages firmierte sie in „B GmbH“ um (Bl. 754 ff. d.A.; Anl. AG 29). Im Jahr 2015 wurde sie auf die C AG (HRB … Amtsgericht NN) verschmolzen und anschließend formwechselnd in die D GmbH umgewandelt (HRB 753383 Amtsgericht NN) (Bl. 988 d.A.).
c. Beteiligungsverhältnisse
Das Grundkapital der X AG beträgt 5.150.000 EUR und ist eingeteilt in 5.150.000 auf den Inhaber lautende Stückaktien ohne Nennbetrag.
Bereits seit 2003 hielt die „V“ (nachfolgend „V“) einen Anteil von 75% + 1 Aktie, d.h. insgesamt genau 3.862.501 Aktien an der X AG (GemB Seite 9 f. mit Grafik und zur Erwerbshistorie Seite 26; Geschäftsbericht der X AG 2006, Seite 67).
Im März 2007 gründete die V die Antragsgegnerin unter der Firma „A GmbH“. Sie hielt sämtliche Anteile an der Antragsgegnerin sowie an deren damaliger „Schwestergesellschaft“, der „S AG“, die als „Börsenbetriebsgesellschaft“ der Börse NN fungierte (GemB Seite 9, 18 f.). Über die S AG war die V wiederum zu 51% an der T KG und an der T Verwaltungs GmbH beteiligt, an denen die X jeweils 49% hielt (GemB Seite 10 mit Grafik).
Vor dem Wirksamwerden des verfahrensgegenständlichen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages und nach Ausschüttung der Dividende für 2006 brachte die V ihre Aktien an der X AG im Rahmen einer Sachkapitalerhöhung in die A GmbH ein, so dass nunmehr die Antragsgegnerin und nicht mehr die V unmittelbar 75% + 1 Aktie an der Gesellschaft hielt (GemB Seite 14 f.).
2. Geschäftstätigkeit der X AG vor dem 01. Januar 2007
Die Geschäftstätigkeit der X AG war und ist eng mit der Börse NN (nachfolgend: … und „Börse NN“) verbunden.
Seit ihrer Gründung war die Gesellschaft dort als so genannte Maklergesellschaft tätig. Sie war als einer von zwei Skontroführern (früher „Börsenmakler“ genannt) an der Börse NN tätig, als solcher ausschließlich an der Börse NN zugelassen (GemB Seite 9, 18) und für die Feststellung von Börsenpreisen aus dem betreuten Skontro (dem elektronischen Orderbuch) verantwortlich. § 28 Abs. 1 Satz 1 BörsG verpflichtet den Skontroführer zur neutralen Skontroführung. Besondere Bedeutung kam den Skontroführern im Präsenzhandel („Parketthandel“) zu.
Die X AG war bis Ende 2006 als Skontroführer für den Handel mit Derivaten tätig. Außerdem waren ihr die Skontren der Wertpapiersegmente inländische Aktien, Anleihen und Fondsanteile zugeteilt (GemB Seite 18).
§ 25 BörsG in der Fassung des Vierten Finanzmarktförderungsgesetzes von 2002 erlaubte die Ermittlung des Börsenpreises an Wertpapierbörsen entweder im elektronischen Handel oder durch zur Feststellung des Börsenpreises zugelassene Unternehmen (Skontroführer). Das Gesetz sah noch einen Bestandsschutz für Skontroführer vor. Bis Juni 2005 praktizierte die Börse NN ausschließlich den Skontroführerhandel. Seit 01. Juli 2005 war es den deutschen Wertpapierbörsen gestattet, ihren Handel vollständig als elektronischen Handel ohne die Mitwirkung von Skontroführern zu organisieren. Der gesetzliche Bestandsschutz für Skontroführer lief damit aus (GemB Seite 29, 30; Bl. 444 d.A.). Beim elektronischen Handel liegt die Kontrolle der Preisermittlung bei der Börse selbst (GemB Seite 34).
Am 11. Mai 2006 entschieden die zuständigen Gremien der Börse NN, bis spätestens 01. Januar 2007 ein so genanntes „Neues Marktmodell“ für den Handel mit verbrieften Derivaten einzuführen, in diesem Handelssegment also die Verantwortung für die Preisfeststellung vom Skontroführer auf die Börse selbst zu verlagern (SVGA Seite 41).
Die X AG begegnete dieser Entwicklung mit der Erschließung von Aufgabenfeldern im elektronischen Handel als Alternative zum Geschäftsmodell „Skontroführer“ (GemB Seite 29).
Das operative Geschäft des X-Konzerns umfasste folgende Geschäftsfelder (GemB Seite 18):
- Skontroführung (bis Ende 2006 beim Handel mit Derivaten und noch bis Ende Juni 2007 beim Handel mit inländischen Aktien, Anleihen und Fondsanteilen)
- Dienstleistungen als „Quality Liquidity Provider“ (nachfolgend „QLP“)
- Vermittlungsgeschäft
- Eigenhandel, Venture Capital und Beteiligungen
- Corporate Items (insbesondere Softwareerstellung).
Bei ihrer Tätigkeit als Skontroführer und als QLP konzentrierte sich die X AG auf die Börse NN. Sie war an keiner anderen Wertpapierbörse tätig (GemB Seite 19).
Im Jahr 2006 beschäftigte die X AG im Durchschnitt 110 Mitarbeiter (GemB Seite 15).
Neben den bereits erwähnten Beteiligungen an der T KG und an der T Verwaltungs GmbH (jeweils 49%) hielt die X AG eine 100%-Beteiligung an der I GmbH (die damals keinen eigenen Geschäftsbetrieb unterhielt) sowie eine Beteiligung von 53% an der J AG, einer Aktiengesellschaft nach Schweizer Recht mit Sitz in Zürich, die insbesondere eine elektronische Plattform für die Entgegennahme und Weiterleitung von Börsenaufträgen betrieb und Dienstleistungen im Finanzbereich erbrachte (GemB Seite 16, 17).
3. Veränderungen an der Börse NN 2007
Der Börsenrat der Börse NN hatte entschieden, den Handel mit verbrieften Derivaten zum 01. Januar 2007 vom Präsenzhandel auf den elektronischen Handel umzustellen („Neues Marktmodell“). Damit endete für dieses Handelssegment die Tätigkeit der X AG als Skontroführer (Bl. 445, 649, 650 d.A.), und die Kontrolle der Preisermittlung ging von der X AG auf die Börse selbst über (GemB Seite 34). Mit dem Neuen Marktmodell etablierte die Börse NN erstmals in der deutschen Börsenwelt einen elektronischen Handel für verbriefte Derivate (Geschäftsbericht 2006 der X AG, Seite 67).
Beim für die X als bisherigem Skontroführer relevanten Handel mit Anleihen, Fondsanteilen und inländischen Aktien sollte die Umstellung auf den elektronischen Handel zum 01. Juli 2007 folgen (GemB Seite 29). Die Vorbereitungen für diese Umstellung waren bei Erstattung des Gemeinsamen Berichts im Mai 2007 bereits weitgehend abgeschlossen, es stand noch die für den 21. Juni 2007 geplante Entscheidung des Börsenrats sowie die Zustimmung der Börsenaufsichtsbehörde aus (GemB Seite 18 f.). Den Angaben zufolge, die gegenüber den gerichtlich bestellten Sachverständigen später gemacht wurde, traf der Börsenrat am 26. Juni 2007 die Entscheidung, die Schlussnotengebühr für Aktien und Fonds abzuschaffen (ErgGA Seite 37).
Damit war Ende Juni 2007 absehbar, dass die Tätigkeit der X AG als Skontroführer insgesamt zur Jahresmitte 2007 enden würde (GemB Seite 9).
Seit 01. Januar 2007 war die X AG im elektronischen Derivatehandel im Auftrag der S AG als „QLP“ tätig (GemB Seite 18).
Die europäische Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente („MiFID“), die zum 01. November 2007 in nationales Recht umzusetzen war, stellte – ebenfalls bereits am Bewertungsstichtag bekannt – neue Transparenzanforderungen an die Transaktionsentgelte der Wertpapierbörsen (Bl. 653 d.A.).
Vor diesem Hintergrund führte die Börse NN zum 01. Januar 2007 in Abstimmung mit der X AG auch ein neues Entgeltmodell ein (Bl. 445, 649 d.A.). Während beim alten Marktmodell bei ausgeführten Orders im Bereich Derivate eine Schlussnotengebühr an die Börse NN und eine Maklercourtage an die X AG für deren Tätigkeit als Skontroführer geflossen war, berechnete die Börse NN den Anlegern im neuen Marktmodell nur noch ein einheitliches Transaktionsentgelt, das sich aus einem fixen und einem variablen Vergütungsbestandteil zusammensetzte. Der X-Konzern erhielt wiederum einen prozentualen Anteil des Transaktionsentgelts (Geschäftsbericht 2006 der X, Seite 71 f. mit Grafik), den sie im Innenverhältnis als korrespondierende „QLP-Vergütung“ vereinbarte (Bl. 651 d.A.). Der Anteil der X AG am Transaktionsentgelt belief sich auf 62% (SVGA Seite 42).
Das Transaktionsentgelt für Privatanleger lag laut Geschäftsbericht 2006 bei minimal 3,13 EUR und bei maximal 14,38 EUR. Das Transaktionsentgelt für Emittenten bewegte sich zwischen 5 und 14 EUR - letzteres als Obergrenze ab einem Ordervolumen von 13.000 EUR (Geschäftsbericht 2006 der X, Seite 71). Die Angabe eines maximalen Transaktionsentgelts für Privatanleger in Höhe von 14,38 EUR ergibt sich aus aus dem Geschäftsbericht 2007 der X (Seite 40). Laut Bewertungsgutachten lag das Entgelt je Order unter dem neuen Marktmodell bei mindestens 2,63 EUR und bei höchstens 12,08 EUR (BewGA Seite 23).
Den Emittenten wurden zudem Stufen-Rabatte bei Erreichen eines bestimmten Transaktionsentgeltvolumens eingeräumt. Als Ergebnis von Verhandlungen mit Emittenten verpflichtete sich die S AG außerdem zur Deckelung der Transaktionsentgelte bei einem mit den Emittenten erzielten Umsatz von 3,5 Mio. EUR für mindestens drei Jahre; die Emittenten übernahmen im Gegenzug die Verpflichtung, an der Börse NN alle verbrieften Derivate zu listen, die damals noch an einer anderen Börse gelistet waren (Bl. 652 d.A.).
4. Vorbereitung des Unternehmensvertrages, Geschehen vor der Hauptversammlung
Der Vorstand der V, der Vorstand der X AG und die Geschäftsführung der Antragsgegnerin beauftragten am 30. März 2007 gemeinsam die M (nachfolgend „M“ bzw. „Bewertungsgutachterin“), die Höhe des angemessenen Ausgleichs und der angemessenen Abfindung zu ermitteln (Bl. 438 d.A.).
Auf gemeinsamen Antrag der Antragsgegnerin und der X AG bestellte das Landgericht Stuttgart durch Beschluss vom 02. April 2007 (Anl. AG 22) die P, …, zur sachverständigen Prüferin (nachfolgend „P“ bzw. „sachverständige Prüferin“).
Der Geschäftsbericht der X AG für das Geschäftsjahr 2006 lag im April 2007 – mithin vor dem Bewertungsstichtag – vor (vgl. „Finanzkalender“ in Anl. AG 31, letzte Seite, Band VI d.A.). In einer Ad hoc-Mitteilung vom 23. April 2007 berichtete die Gesellschaft von einem „Wachstum der Orders (+12% auf 3,5 Mio. Stück)“ und einem „Rekordhandelsvolumen (+50% auf 43,0 Mrd. €)“, zugleich aber von einer Ergebnisverschlechterung, die primär aus einem um 20% rückläufigen Handelsergebnis resultiere. Das Ergebnis je Aktie im 1. Quartal liege leicht unter Vorjahr (-8%), aber „merklich“ über der Planung, welche das Niveau des 2. Halbjahres 2006 angesetzt habe. Die rückläufige Bedeutung des Handelsergebnisses resultiere „aus der verfolgten Strategie, alle Kundengruppen der X AG langfristig durch faire und attraktive Handelspraktiken zu binden“ (Anl. AG 8).
Die von der Antragsgegnerin, von der X und von der V gemeinsam beauftragte Bewertungsgutachterin legte unter dem 11. Mai 2007 ihre Gutachtliche Stellungnahme zur Ermittlung der angemessenen Barabfindung und der angemessenen Ausgleichszahlung zum 29. Juni 2007 vor (Anl. AG 1, nachfolgend „Bewertungsgutachten“ bzw. „BewGA“ = Anl. AG 1). Der Bewertung lag der IDW S1 in der Fassung vom 18. Oktober 2005 zugrunde (Bl. 434 d.A.). Die Bewertungsgutachterin ermittelte auf der Grundlage eines damaligen einheitlichen Basiszinssatzes von 4,25%, einer allgemeinen Marktrisikoprämie von 5,5%, eines (anhand einer Peer-Group errechneten) Betafaktors von 1,10 (was einen Risikozuschlag von 6,05% ergab) und eines Wachstumsabschlags von 1,5% einen Unternehmenswert von rund 210,2 Mio. EUR, errechnete hieraus eine Barabfindung von 40,82 EUR und ermittelte eine jährliche Ausgleichszahlung von 3,85 EUR (brutto) bzw. von 2,86 EUR nach Abzug von Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag nach damals geltenden Steuersätzen (BewGA Seite 30 ff., 47).
Am 16. Mai 2007 schlossen die damalige A GmbH und die X AG den Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag (Anl. AG 4; nachfolgend „Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag“ bzw. „BGAV“; Vertragswortlaut vgl. Hauptversammlungseinladung, Anl. A 2 nach Bl. 36 d.A.). Der Vertrag stand unter den aufschiebenden Bedingungen der Zustimmung der Hauptversammlung der X AG, der Gesellschafterversammlung der Antragsgegnerin und der Eintragung der Stammkapitalerhöhung bei der Antragsgegnerin, in deren Zuge die V ihre Aktien an der X AG als Sacheinlage in die Antragsgegnerin einbringt.
Die gerichtlich bestellte sachverständige Prüferin erstattete noch am 16. Mai 2007 ihren Bericht über die Prüfung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages nach § 293b Abs. 1 AktG (nachfolgend „Prüfungsbericht“ bzw. „PB“ = Anl. AG 3). Sie bestätigte darin die Angemessenheit der genannten Beträge für Abfindung und Ausgleich (PB Seite 47). Der gemeinsame Bericht der Geschäftsführung der Antragsgegnerin und der X AG gemäß § 293a AktG (nachfolgend „Gemeinsamer Bericht“ bzw. „GemB“ = Anl. AG 2) datiert ebenfalls auf den 16. Mai 2007.
Am selben Tag gab die X AG durch eine Ad hoc-Mitteilung den Abschluss des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages öffentlich bekannt (Anl. AG 20; PB Seite 41).
Die Aktien der X AG waren an den Börsen Stuttgart und München zum Handel im amtlichen Markt zugelassen und wurden zudem an den Börsen Berlin-Bremen, Düsseldorf, Frankfurt und Hamburg im Freiverkehr sowie auf XETRA, dem elektronischen Handelssystem der Frankfurter Wertpapierbörse, gehandelt (GemB Seite 15). Nach einer späteren Mitteilung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht lag der gewichtete Dreimonats-Durchschnittskurs i.S.v. § 5 Abs. 3 WpÜG-Angebotsverordnung am 15. Mai 2007 bei 39,31 EUR und am 16. Mai 2007 bei 40,32 EUR (Anl. AG 21).
Am 31. Mai 2007 erhöhte die EZB den Leitzins (Bl. 898 d.A.).
5. Hauptversammlungsbeschluss, Anfechtungsklagen und Registereintragung
Am Tag der Hauptversammlung, dem 29. Juni 2007, gab der Vorstand der X AG gegenüber der sachverständigen Prüferin eine „Vollständigkeitserklärung“ ab, in der er bestätigte, dass „mit Ausnahme der in diesem Schreiben namentlich aufgeführten Sachverhalte“ zwischen dem 11. Mai 2007 (dem Tag der Unterzeichnung des Bewertungsgutachtens) und dem Tag der Hauptversammlung „keine wesentlichen Änderungen eingetreten“ seien, die eine andere Beurteilung der wirtschaftlichen Lage zur Folge hätten (Anl. AG 10). Auf die in der Vollständigkeitserklärung aufgeführten abweichenden Sachverhalte wird im Zusammenhang mit den sogenannten „Stichtagsannahmen“ noch zurückzukommen sein.
Auch gegenüber der Bewertungsgutachterin gab der Vorstand eine eigenständige „Vollständigkeitserklärung“ ab (Anl. AG 9).
Die Bewertungsgutachterin gab unter Bezugnahme auf die Vollständigkeitserklärung des Vorstands am 29. Juni 2007 eine „Aktualitätserklärung“ ab. Die Erklärung lässt u.a. erkennen, dass die Bewertungsgutachterin nunmehr mit einem auf 4,5% erhöhten Basiszinssatz rechnete. Die Bewertungsgutachterin erklärte sinngemäß, dass sich in der Gesamtheit keine höhere Abfindung und keine höhere Ausgleichszahlung ergebe, als im Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag vorgesehen (Anl. AG 11). Die sachverständige Prüferin schloss sich dem in einer an die X AG gerichteten schriftlichen Bestätigung vom 29. Juni 2007 im Ergebnis an (Anl. AG 12, nachfolgend „Stichtagserklärung“).
Die Hauptversammlung der X AG stimmte dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag am 29. Juni 2007 zu (vgl. Anl. AG 4). Gegen den Hauptversammlungsbeschluss wurde Anfechtungsklage zum Landgericht Stuttgart erhoben (…). Der Rechtsstreit wurde im Dezember 2007 durch Vergleich beendet (Bl. 182 d.A.). Am 12. Februar 2008 konnte der Abschluss des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages im Handelsregister eingetragen werden. Die Eintragung wurde am 18. Februar 2008 bekannt gemacht (Anl. AG 4; Bl. 2, 430 d.A.).
II. Anträge, Bewertungsrügen und Verfahrensgang
1. Antragstellung und Vortrag zu Bewertungsrügen
Sämtliche Antragsteller begehren in ihren Antragsschriften, die zwischen dem 04. März 2008 und dem 20. Mai 2008 eingegangen sind, eine gerichtliche Bestimmung der angemessenen Abfindung und des angemessenen Ausgleichs gemäß §§ 304 Abs. 3 Satz 3, 305 Abs. 5 Satz 2 AktG i.V.m. § 1 Nr. 1 SpruchG. Die Verfahren waren zunächst bei der 32. Kammer für Handelssachen anhängig und wurden durch Beschluss vom 29. Mai 2008 zu dem Verfahren 32 O 12/08 KfH SpruchG verbunden. Zugleich wurde ein gemeinsamer Vertreter bestellt (Bl. 354 ff. d.A.). Seit der Übertragung sämtlicher noch anhängiger Spruchverfahren auf die 31. Kammer für Handelssachen durch Präsidiumsbeschluss vom 04. Dezember 2012 (Ziff. 16 a cc) mit Wirkung ab 01. Januar 2013 ist das Verfahren unter dem Aktenzeichen 31 O 25/13 KfH SpruchG anhängig.
Die Antragsteller tragen zur Begründung ihrer Anträge zusammengefasst insbesondere folgendes vor:
Viele Antragsteller bemängeln die der Unternehmensbewertung nach dem Ertragswertverfahren zugrunde liegende Planung, teils in allgemeiner Form, teils konkreter. In Bezug auf den Detailplanungszeitraum 2007 bis 2009 beanstanden sie u.a. unter Hinweis auf die Zahlen des 1. Quartals 2007, des ersten Halbjahres 2007 oder die tatsächlich erzielten Jahresergebnisse, dass die Planzahlen bereits für 2007 zu niedrig angesetzt seien (vgl. u.a. Bl. 101, 133, 186, 188, 213, 229, 262, 280 f., 317, 331 d.A.). Im Rahmen der Vergangenheitsanalyse seien falsche Orderzahlen für 2006 zugrunde gelegt worden (Bl. 101, 120 d.A.). Über die Bereinigung (Neutralisierung) einer 2006 gebildeten Rückstellung in Höhe von rund 1,9 Mio. EUR hinaus hätten keine weiteren Bereinigungen erfolgen dürfen (Bl. 250 d.A.). Der „extreme Anstieg“ des Verwaltungsaufwandes sei unrealistisch, das wachsende Kerngeschäft QLP führe zu einem Rückgang variabler Verwaltungsaufwendungen, welcher in der Planung nicht berücksichtigt worden sei (Bl. 214, 249 d.A.). Angesichts des damaligen Wirtschaftsaufschwungs und steigender Aktienkurse sei die Planung mit rückläufigen Jahresüberschüssen unrealistisch und unvereinbar mit der Marktentwicklung. Sämtliche „Börsenunternehmen“ der Peer Group rechneten mit erheblichen Umsatz- und Ergebnissteigerungen (Bl. 280, 281 d.A.).
Der für die „ewige Rente“ ab 2010 ff. geplante „Ergebnisrückgang“ ausgehend von höheren Planzahlen 2008 und 2009, insbesondere der „Einbruch“ des Handelsergebnisses sei mit der Umstellung auf das Neue Marktmodell nicht hinreichend erklärt. Es sei davon auszugehen gewesen, dass entweder das Handelsergebnis weniger stark zurückgeht oder durch ein – in Anbetracht der Marktstellung und des Potentials gerechtfertigtes – höheres Provisionsergebnis kompensiert wird (Bl. 188, 231, 282, 303 d.A.).
Die Planungsphase I sei zu kurz gewählt (Bl. 202 d.A.), die Ableitung des Verkehrswerts aus der Bewertung zum 01. Januar 2007 (technischer Bewertungsstichtag) bei Aufzinsung zum 29. Juni 2007 fehlerhaft (Bl. 186, 229 d.A.). Kritisiert wird auch, dass die wenige Tage nach dem Bewertungsstichtag beschlossenen Änderungen des Steuerrechts nicht berücksichtigt worden seien (Bl. 189 d.A.). Bemängelt werden auch die Ausschüttungsprämissen (u.a. Bl. 133 d.A.).
Einzelne Antragsteller machen methodische Bedenken gegen das Tax-CAPM geltend (u.a. Bl. 3, 277 d.A.).
Nahezu alle Antragsteller kritisieren den im Bewertungsgutachten angesetzten Basiszins von 4,25% als zu hoch (u.a. Bl. 14, 28, 46, 55, 64, 73, 80, 91, 101, 111, 120, 140, 149, 158, 190, 214, 233, 260, 267, 272, 293, 313, 331 d.A.). Auf den laut Aktualitätserklärung der Bewertungsgutachterin (Anl. AG 11) und Stichtagserklärung der sachverständigen Prüferin am Bewertungsstichtag noch einmal erhöhten Basiszins von 4,5% gehen sie in den Antragsschriften nicht ein.
Die Marktrisikoprämie und der anhand einer Peer Group ermittelte Betafaktor seien zu hoch (u.a. Bl. 3, 14, 28, 46, 54 f., 64, 72 f., 80 f., 91 f., 102, 111 f., 121, 129 ff., 139 f., 148, 157 f., 166, 173 f., 190 f., 201 f., 214, 233 f., 241, 251 ff., 261, 267, 272 ff., 292 ff., 313 ff., 332 d.A.), der Wachstumsabschlag zu gering angesetzt (u.a. Bl. 15, 30, 47, 55, 65, 73, 81, 92, 103, 112, 122, 131, 140, 149, 158, 167, 174, 192, 215, 235, 242, 253, 261, 267, 279, 299, 316, 332 d.A.).
Schließlich rügen einige Antragsteller, die Prüfung bzw. Darstellung zum nicht betriebsnotwendigen Vermögen sei nicht ausreichend. Aus dem Bericht gehe nicht hervor, in welcher Höhe der Wert von Marken angesetzt worden sei (u.a. Bl. 15, 17, 47 f., 56 f., 65, 67, 74, 75, 82, 84, 262 d.A.). Teilweise vertreten sie die Auffassung, ein Teil der Kapitalrücklage, der Gewinnrücklage und des Bilanzgewinns bzw. allgemein des Eigenkapitals müssten als Sonderwert bzw. nicht betriebsnotwendiges Vermögen berücksichtigt werden (u.a. Bl. 173, 241, 283, 304 d.A.).
Bei der Ermittlung der Ausgleichszahlung müsse der voll risikoadjustierte Kapitalisierungszinssatz angewandt werden (u.a. Bl. 194, 237, 255, 285, 306 d.A.). Ein Zinszuschlag sei hier erforderlich, weil der Unternehmensvertrag auf Verlangen der BaFin außerordentlich gekündigt werden könne (Bl. 318 d.A.). Bei Anlage des Abfindungsbetrages in langfristigen Staatsanleihen bei einer Rendite von etwa 4% benötige es eines Kapitaleinsatzes von 70,00 €, um eine langfristige jährliche Rendite in Höhe der Ausgleichszahlung von 2,86 € zu erzielen. Das zeige, dass die Relation zwischen Abfindung und Ausgleich nicht stimme (Bl. 140 f., 149 f., 158 d.A.).
Eine marktvergleichende Analyse des Kurs-Gewinn-Verhältnisses und eine Übertragung des KGV-Durchschnitts auf die X-Aktie ergebe einen Wert pro Aktie von 69,57 EUR (Bl. 283 f., 304 d.A.).
Viele Antragsteller thematisieren die Entwicklung des Börsenkurses und lassen in ihren Antragsbegründung zumindest teilweise erkennen, dass nach ihrer Auffassung der Börsenkurs unzureichend berücksichtigt worden sei (u.a. Bl. 15 ff., 30, 47, 56, 65 f., 74 f., 82 f., 93, 103 f., 113, 123, 167, 175, 202, 212 f., 242, 266, 332 f. d.A.).
Mehrere Antragsteller haben entweder bereits in der Antragsschrift oder im Laufe des Verfahrens die vollständige Neubegutachtung des Unternehmenswerts beantragt, teils mit der Behauptung, dass keine ordnungsgemäße Angemessenheitsprüfung durch den sachverständigen Prüfer stattgefunden habe.
Auf die in der Stellungnahme des gemeinsamen Vertreters vom 05. Februar 2009 (Bl. 524 ff. d.A.) enthaltenen Argumente wird Bezug genommen. Im Termin am 04. Mai 2009 überreichte er die Kopie einer von einem Wirtschaftsprüfer und Steuerberater für ein anderes Spruchverfahren erstellten „Gutachtlichen Stellungnahme vom 27. Februar 2009 über die praktische Unbrauchbarkeit des CAPM“ (Bl. 642, 663 ff. d.A.).
Die Antragsgegnerin ist den Bewertungsrügen ebenso entgegengetreten wie einigen Verfahrensanträgen von Antragstellern, etwa auf Einholung eines Gutachtens eines „unabhängigen Sachverständigen“ zur Unternehmensbewertung insgesamt oder zu Einzelaspekten, aber auch Anträge auf Vorlage von Arbeitspapieren der Wirtschaftsprüfer und weiteren Unterlagen.
Wegen der Einzelheiten des Beteiligtenvortrags wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
2. Verfahrensgang
Die an der Prüfung beteiligten Mitarbeiter der sachverständigen Prüferin, Wirtschaftsprüfer Dr. Q und Herr R, wurden am 04. Mai 2009 angehört (Bl. 620 ff. d.A.).
Am 02. September 2009 erließ das Gericht einen Beweisbeschluss, wonach ein schriftliches Sachverständigengutachten zu der Frage einzuholen war, ob die Annahme wieder absinkender Erträge der X AG im zweiten Halbjahr 2007 plausibel und nachvollziehbar sei. Mit der Begutachtung wurde die S1 Wirtschaftsprüfungsgesellschaft …, beauftragt. Wegen der Einzelheiten wird auf den erwähnten Beweisbeschluss und dessen Modifizierung und Ergänzung durch Beschlüsse vom 12. November 2009 und 19. Januar 2010 Bezug genommen (Bl. 718 ff., 754 ff., 767 ff. d.A. mit Ermächtigung zur direkten Kontaktaufnahme). Die Begutachtung wurde von Wirtschaftsprüfer U1 und Wirtschaftsprüfer U2 (nachfolgend: „die Sachverständigen“) übernommen, die im Laufe des Verfahrens zur S2 Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (nachfolgend: „S2“) wechselten.
Im Januar 2012 teilten die Sachverständigen dem Gericht mit, dass ihre Fragen „zeitlich teilweise gestreckt“ beantwortet worden seien und dass die „äußerst rudimentären Ausführungen in den vorhandenen Berichten und Gutachten“ wiederholt „grundsätzlichen Klärungsbedarf bzw. Fragestellungen zu vorhandenen Widersprüchlichkeiten“ ergeben hätten. Dem Schreiben war ein an die Antragsgegnerin gerichteter Katalog mit „verbleibenden Fragen“ beigefügt (Bl. 841 d.A.).
Im Dezember 2012 reichten die Sachverständigen das (erste, wohl irrtümlich auf den 12. Dezember 2011 datierte) Gutachten zu den Akten (Bl. 849, 850 d.A. – gebundenes Exemplar; nachfolgend: „SVGA“, „Sachverständigengutachten“ oder „Gutachten“). Zusammenfassend kamen sie, freilich aufgrund der Fokussierung im Beweisbeschluss auf die Ertragsplanung, zu dem Ergebnis, dass sich der Unternehmenswert „jedenfalls erhöhe“. Anpassungsbedarf sahen sie u.a. beim Zins- und Dividendenergebnis und beim Provisionsergebnis, insbesondere weil sie die bei der Bewertung getroffenen Annahmen zur Entwicklung der Orderstückzahlen im Teilbereich Derivate für die Jahre 2007 bis 2009 als nicht plausibel ansahen. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten Bezug genommen. Alle Beteiligten erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme (Bl. 851 d.A.).
Die Antragsgegnerin äußerte in ihrer Stellungnahme vom 29. Mai 2013 deutliche Kritik am Inhalt des Sachverständigengutachtens (Bl. 866 ff. d.A.). Sie bemängelte u.a. die aus ihrer Sicht fehlerhafte Anpassung sowohl des „Mengengerüsts“ als auch des „Preisgerüsts“ beim Provisionsergebnis durch die Sachverständigen und wies darauf hin, dass eine Anpassung der Erträge (wie von den Sachverständigen vorgenommen) gleichzeitig eine Anpassung von Aufwendungen (Bonuszahlungen, Personalaufwand, Handelsgebühren) erfordere.
In einem weiteren Termin am 21. April 2015 wurden die gerichtlichen Sachverständigen zum schriftlichen Gutachten angehört (Bl. 972 ff. d.A.).
Den in diesem Termin vom gemeinsamen Vertreter unterbreiteten Vergleichsvorschlag (Bl. 980 d.A.) lehnte die Antragsgegnerin später ab und teilte mit, sie werde kein eigenes Vergleichsangebot unterbreiten (Bl. 989 d.A.). Zugleich formulierte sie zahlreiche an die Sachverständigen gerichtete Fragen (Bl. 990 ff. d.A.).
Durch Beweisbeschluss vom 16. September 2015 wurden die Sachverständigen gebeten, ein ergänzendes schriftliches Sachverständigengutachten zur Plausibilisierung der Aufwendungen zu erstatten, die mit den laut Sachverständigengutachten von 2012 nicht plausiblen Planerträgen korrespondierten, und zwar „ausgehend von der Analyse des Erlöspfades“ für die Geschäftsjahre 2007 bis 2009. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beweisbeschluss Bezug genommen (Bl. 1002 ff. d.A.). Eine Plausibilisierung der „Stichtagsannahmen“ oder eine umfassende Neubewertung der X AG waren nicht Gegenstand des Beweisbeschlusses vom 2015.
Im Ergänzungsgutachten vom 20. Juli 2018 (Bl. 1050 ff. d.A. – gebundenes Exemplar, nachfolgend „ErgGA“) stellten die Sachverständigen verschiedene unter unterschiedlichen Prämissen errechnete Werte dar, etwa eine sich bei Ansatz des „unteren Schwellenwerts“ bezüglich der Zahl der Derivate-Orders unter Berücksichtigung korrespondierender erhöhter Aufwendungen ergebende „Wertindikation“ von 41,17 EUR für die Abfindung und von 3,99 EUR für die Ausgleichszahlung pro Aktie. Außerdem führten sie aus, dass sich „nach Anpassung des Erlöspfades“ und der korrespondierenden Aufwandsplanung die angebotene Abfindung von 40,82 EUR pro Aktie und die Brutto-Ausgleichszahlung von 3,85 EUR je Aktie „jedenfalls als angemessen“ abbildet, wenn man noch die (von den Sachverständigen auftragsgemäß nicht plausibilisierten) zum Bewertungsstichtag zusätzlich identifizierten Plan- und Projektkosten sowie die zusätzlichen „Planaufwendungen Braintrade“ berücksichtige (ErgGA Seite 103). Wegen der Einzelheiten wird auf das Ergänzungsgutachten Bezug genommen, zu dem alle Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme erhielten.
Die Kammer hat von Amts wegen verschiedene Unterlagen aus öffentlich zugänglichen Quellen (insbesondere Handelsregister, Unternehmensregister, Internet) beigezogen und hierüber alle Verfahrensbeteiligten mit Verfügung vom 25. Februar 2019 informiert. Zugleich wurden gem. § 7 Abs. 5 SpruchG Hinweise auf vereinzelt fehlende Nachweise zur Antragsberechtigung erteilt. Die betroffenen Beteiligten erhielten unter Fristsetzung Gelegenheit, Nachweise nachzureichen (Bl. 1147 d.A.). Die gesetzte und für einzelne Antragsteller antragsgemäß verlängerte Frist ist inzwischen abgelaufen.
Im Zusammenhang mit dem Wiedereingang von Akten aus einem anderen früher beim Landgericht Stuttgart anhängigen Spruchverfahren wurde 2019 bekannt, dass die frühere Antragstellerin … (vgl. Bl. 197 d.A.) am 30. Januar 2014 verstorben ist und dass der Antragsteller Ziff. 24 ihr Alleinerbe ist (Bl. 1114 d.A.). Die vorliegende Entscheidung betrifft insoweit auch den Nachlass der Erblasserin.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf den gesamten Akteninhalt einschließlich Anlagen Bezug genommen.
B.
Anwendbares Recht, Zuständigkeit und Zulässigkeit der Anträge
Die Anträge der im Beschlusstenor Ziff. 1 genannten Antragsteller sind unzulässig. Die übrigen Anträge sind zulässig.
I. Anwendbares Verfahrensrecht und Zuständigkeit
Auf das vorliegende Spruchverfahren ist, da sämtliche Anträge nach dem 1. September 2003, aber vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit am 1. September 2009 eingegangen sind, im Hinblick auf Fragen der Zuständigkeit und der Zulässigkeit der Anträge das Spruchverfahrensgesetz in der vom 25. April 2007 bis 31. August 2009 geltenden Fassung anzuwenden (vgl. Drescher, in Spindler/Stilz, AktG 4. Aufl. 2019, SpruchG § 17 Rn. 5; Art. 111 Abs. 1 FGG-RG, § 1 Nr. 1 SpruchG a.F.). Die Zuständigkeit des Landgerichts Stuttgart ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Satz 1 SpruchG a.F., die funktionale Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen aus § 2 Abs. 2 SpruchG a.F.
II. Antragsberechtigung
Antragsberechtigt sind gemäß § 3 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 SpruchG nur außenstehende Aktionäre, die auch zum Zeitpunkt der Antragstellung Aktionär waren. Die Aktionärsstellung kann gemäß § 3 Satz 3 SpruchG (ausschließlich) durch Urkunden nachgewiesen werden. Die Umstände, aus denen sich die Antragsberechtigung ergibt, muss der jeweilige Antragsteller gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SpruchG innerhalb der Antragsfrist nach § 4 Abs. 1 SpruchG darlegen.
1. Ausreichende Darlegung der Aktionärsstellung zum maßgeblichen Zeitpunkt
Ein nach dem SpruchG gestellter Antrag auf gerichtliche Festsetzung der Abfindung oder des Ausgleichs ist und bleibt unzulässig, wenn es der Antragsteller versäumt, innerhalb der Antragsfrist (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SpruchG) die Antragsberechtigung wenigstens darzutun. Nur diese Interpretation ermöglicht eine zügige Prüfung zu Beginn des Verfahrens, ob der Antragsteller überhaupt zum Kreis der Antragsberechtigten gehört, die ein Spruchverfahren in Gang setzen können (OLG Stuttgart, Beschluss vom 14. Februar 2008 – 20 W 9/06 - , Rn. 21 juris; vgl. auch BGH, Beschluss vom 25. Juni 2008 – II ZB 39/07, BGHZ 177, 131-141, Rn. 19). Im vorliegenden Fall haben alle Antragsteller ihre Antragsberechtigung fristgemäß dargelegt.
2. Urkundliche Nachweise
Für gerichtliche Ermittlungen zur Antragsberechtigung besteht jedenfalls dann Anlass, soweit bezüglich einzelner Antragsteller Zweifel daran aufkommen (vgl. Drescher, in Spindler/Stilz a.a.O. § 3 SpruchG Rn. 18). Der von § 3 Satz 3 SpruchG geforderte urkundliche Nachweis der Aktionärsstellung zum maßgeblichen Zeitpunkt (hier also: zum Zeitpunkt der Antragstellung) kann auch nach Ablauf der Antragsfrist, allerdings nur noch bis zum Ablauf einer tatrichterlich gesetzten Frist nachgeholt werden kann (BGH, Beschluss vom 25. Juni 2008 – II ZB 39/07 –, BGHZ 177, 131-141, Rn. 13 ff., 24). Legt ein Antragsteller auch innerhalb der richterlichen Frist oder mangels Fristsetzung bis zur tatrichterlichen Entscheidung keinen oder keinen ausreichenden Urkundsnachweis vor, ist sein Antrag mangels Antragsbefugnis unzulässig (OLG München, Beschluss vom 26. Juli 2012 – 31 Wx 250/11 –, Rn. 10, juris).
Aufgrund des Bestreitens der Antragsberechtigung bei einigen Antragstellern durch die Antragsgegnerin in der Antragserwiderung vom 22. Oktober 2008 (Bl. 430 ff. d.A.) hat das Gericht die Unterlagen überprüft, die die betroffenen Antragstellern zur Antragsberechtigung vorgelegt haben. Von der Möglichkeit der Fristsetzung hat das Gericht auch Gebrauch gemacht. § 7 Abs. 4 SpruchG ermöglicht das Setzen einer Replikfrist zur Geltendmachung von Einwendungen gegen die Erwiderung. Eine solche Frist bis 06. Februar 2009 hat das Gericht bereits mit Verfügung vom 13. November 2008 gesetzt (Bl. 501 d.A.). § 7 Abs. 5 SpruchG ermöglicht es dem Gericht, den Verfahrensbeteiligten Fristen für ergänzendes oder erläuterndes schriftliches Vorbringen oder die Vorlage von Aufzeichnungen zu setzen. Vorsorglich hat das Gericht mit Verfügung vom 25. Februar 2019 gemäß § 7 Abs. 5 SpruchG noch einmal ausdrücklich auf vereinzelt fehlende oder unzureichende Nachweise hingewiesen und eine Frist zur Nachreichung fehlender Nachweise gesetzt (Bl. 1147 d.A.). Soweit Belege erst nach Ablauf der gemäß § 7 Abs. 4 SpruchG im November 2008 gesetzten Frist, jedoch noch vor Ablauf der im Februar 2019 gemäß § 7 Abs. 5 SpruchG gesetzten Frist vorgelegt wurden, sieht die Kammer das als noch akzeptabel an, weil erst diese Fristsetzung mit einem konkreten Hinweis auf fehlende Nachweise verbunden war (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 07. Dezember 2011 – I-26 W 7/09 (AktE) –, Rn. 107 ff., juris).
a. Vorlage von Kopien hier ausreichend
Einige Antragsteller haben ihren Antragsschriften zum Nachweis der Antragsberechtigung lediglich Kopien oder Telefaxkopien von Bankbescheinigungen beigefügt oder derartige Kopien nachgereicht, jedoch keine Original-Urkunden vorgelegt. Betroffen waren hiervon zuletzt noch die Antragsteller Ziff. 15 und 16 (Bl. 135, 512 d.A. – entgegen schriftsätzlicher Darstellung, da sowohl der Antrag als auch der Schriftsatz vom 18. Dezember 2008 mit den jeweils beigefügten Bescheinigungen ausschließlich per Telefax eingereicht wurden); die Antragsteller Ziff. 26 und 27 (Bl. 219, 220 d.A.); der Antragsteller Ziff. 32 (entgegen schriftsätzlicher Darstellung, Bl. 522 d.A., lag auch dem per Post eingegangenen Antrag lediglich eine Kopie der Bankbescheinigung bei, Bl. 263 d.A.); der Antragsteller Ziff. 40 (Bl. 335 d.A.).
Die Antragsteller Ziff. 36, 37, 38, 39, 41 haben hingegen Original-Bescheinigungen nachgereicht (Bl. 346, 346, 348, 359, 351, 350 d.A.), ebenso die Antragsteller Ziff. 28 und Ziff. 33 (Bl. 403, 411 d.A.).
Soweit nur Telefax-Kopien oder Kopien von Bankbescheinigungen vorgelegt wurden, ist dies im vorliegenden Fall unschädlich.
Die Antragsgegnerin hat zwar die Antragsberechtigung der betroffenen Antragsteller bestritten, soweit sich bei den Akten keine Originalurkunden befänden, was sie vorsorglich rüge (Bl. 431 d.A.). § 420 ZPO verlangt im Zivilprozess für den Antritt des Urkundsbeweises die Vorlage des Originals. Allerdings verweist § 15 Abs. 1 FGG a.F., der die Beweiserhebung betrifft, hinsichtlich des Urkundsbeweises gerade nicht auf § 420 ZPO. Die Vorschrift kann daher nicht ohne weiteres im Spruchverfahren angewendet werden. Hinzu kommt, dass auch im Zivilprozess die Vorlage von Privaturkunden im Original zum Nachweis ihrer Echtheit und Existenz entbehrlich ist, sofern der Gegner den Inhalt vorgelegter Abschriften nicht bestreitet (Geimer, in Zöller ZPO Kommentar 32. Aufl. § 435 Rn. 1).
Im Spruchverfahren genügt für den urkundlichen Nachweis der Antragsberechtigung auch die Vorlage nicht geschwärzter Kopien, solange – wie hier – die Echtheit nicht bezweifelt wird (Drescher, in Spindler/Stilz a.a.O., SpruchG § 3 Rn. 18; LG Köln, Beschluss vom 24. Juli 2009 – 82 O 10/08 –, Rn. 104, juris). Die „vorsorgliche“ Rüge fehlender Originalurkunden – zudem von der Antragsgegnerin selbst nicht anhand einer Akteneinsicht überprüft – und das bloße Bestreiten der Antragsberechtigung können nicht dahingehend interpretiert werden, dass die Antragsgegnerin auch behaupten wolle, die Echtheit lediglich in Kopie vorgelegter Bankbescheinigungen werde bezweifelt. Im Übrigen wird in Rechtsprechung und Literatur zum Nachweis der Antragsberechtigung vertreten, dass sogar die Vorlage unbeglaubigter Kopien oder von Telefaxen im Rahmen der freien Beweiswürdigung ausreichen kann (Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, SpruchG § 3 Rn. 10 unter Hinweis auf OLG Frankfurt DB 2006, 660; LG Frankfurt AG 2005, 544, bespr. von Luttermann, EWiR 2005, 194; vgl. auch OLG Stuttgart, Beschluss vom 17. Oktober 2011 – 20 W 7/11 –, Rn. 41, 162 bis 164 juris, wonach selbst das Nachreichen einer bloßen Kopie im Beschwerdeverfahren trotz Verstoßes gegen die Verfahrensförderungspflicht des § 10 SpruchG noch ausreichte).
b. Bescheinigte Zeiträume
Die ursprünglichen, von den Antragstellern Ziff. 21 und 22 mit der Antragstellung am 28. April 2008 vorgelegten Bescheinigungen bezogen sich auf einen hier nicht relevanten Bestand an Aktien der „BHW Holding AG“ und das irrelevante Haltedatum „12. Februar 2008“ (Bl. 176, 177 d.A.). Nach Rüge durch die Antragsgegnerin (Bl. 431 d.A.) legten die beiden Antragsteller innerhalb der mit Verfügung vom 13. November 2008 gemäß § 7 Abs. 4 SpruchG gesetzten Frist bis 06. Februar 2009 (Bl. 501 d.A.) zwar neue Bescheinigungen ihres depotführenden Instituts über einen Bestand an Aktien der X AG vor. Die neuen Bescheinigungen beziehen sich jedoch wiederum auf das Haltedatum „12. Februar 2008“ (Bl. 504, 505 d.A.), obwohl die Anträge erst am 28. April 2008 eingegangen sind. Auf den somit nach wie vor fehlenden Nachweis wurden die genannten Antragsteller mit Verfügung vom 25. Februar 2019 unter Fristsetzung hingewiesen (Bl. 1147 f. d.A.). Ihre Anträge sind mangels Vorlage geeigneter Nachweise zur Antragsberechtigung unzulässig.
Die von den Antragstellern Ziff. 34 und 35 zunächst vorgelegten Bankbescheinigungen erstreckten sich auf einen vor dem Zeitpunkt der Antragstellung endenden Zeitraum: Die vom Antragsteller Ziff. 34 vorgelegte Erklärung vom 09. Mai 2008 bescheinigt, dass er Aktien schon „vor dem 01. Juni 2007“ gehalten habe und noch „bis zum heutigen Tage“, also dem 09. Mai 2008 halte (Bl. 288 d.A.). Sein auf den 09. Mai 2008 datierter Antrag ging jedoch per Telefax erst am 19. Mai 2018 bei Gericht ein (Bl. 269 d.A.). Die vom Antragsteller Ziff. 35 vorgelegte Bescheinigung der Bank vom 06. Mai 2008 bestätigt das Halten der Aktien „bis zum heutigen Tag“, erstreckt sich mithin ebenfalls nicht auf den 19. Mai 2008, den Tag des Antragseingangs per Telefax (Bl. 290, 309 d.A.).
Bezüglich Antragsteller Ziff. 35 hat die Antragsgegnerin in der Antragserwiderung ausdrücklich gerügt, aus den vorgelegten Unterlagen (von ihr als „Depotauszüge“ bezeichnet) gehe nicht hervor, dass der Antragsteller bei Antragstellung noch Aktionär gewesen sei. Bezüglich Antragsteller Ziff. 34 vermisste sie jeglichen Nachweis. Die Antragsberechtigung beider Antragsteller hat sie bestritten (Bl. 431 d.A.). Die Antragsteller Ziff. 34 und 35 haben auch innerhalb der mit Verfügung vom 13. November 2008 gemäß § 7 Abs. 4 SpruchG gesetzten Frist zur Auseinandersetzung mit diesen Einwendungen bis 06. Februar 2009 (Bl. 501 d.A.) keine hinreichenden Nachweise ihrer Antragsberechtigung nachgereicht. Ausreichend sind jedoch die vom Antragsteller Ziff. 34 mit Schriftsatz vom 13. März 2009 und vom Antragsteller Ziff. 35 mit Schriftsatz vom 26. März 2009 nachgereichten Bankbescheinigungen (Bl. 569, 572 d.A.).
Der Antragsteller Ziff. 20 hat mit der am 21. April 2008 eingegangenen Antragsschrift eine unterzeichnete Bankbescheinigung vorgelegt, die sich auf die Haltedauer vom 29. Juni 2007 bis 13. Februar 2008 bezog, in der also kein Aktienbestand am Tag der Antragstellung bestätigt worden war (Bl. 169 d.A.). Diese Bescheinigung genügte nicht, aus ihr ergaben sich zudem Anhaltspunkte für eine mögliche Veräußerung vor Antragstellung. Mit Schriftsatz vom 15. Januar 2009 hat der Antragsteller jedoch das Original einer weiteren Bankbescheinigung vom 26. November 2008 vorgelegt, die sich auf den Zeitraum vom 13. Februar 2008 bis 30. Juni 2008 erstreckt (Bl. 516 d.A.). Seine Antragsberechtigung ist damit nachgewiesen.
c. Bankbescheinigungen mit „Sperrvermerken“
Einige Antragsteller haben Bankbescheinigungen vorgelegt, die ein Datum vor Eingang des Antrags tragen, in denen jedoch zugleich bestätigt wird, der bescheinigte Aktienbestand sei bis zu einem bestimmten Tag in der Zukunft (mindestens bis zum jeweiligen Tag der Antragstellung) gesperrt. Dies betrifft die Antragsteller Ziff. 30, 36, 39, 41 (Ziff. 30 - Bl. 243-1 d.A.: Antragseingang am 13. Mai 2008, Bestätigung vom 08. Mai 2008 mit Bestätigung der Sperrung bis 01. Juni 2008; Ziff. 36 und Ziff. 39 und Ziff. 41 - Bl. 320 / 346, 325 / 351, 325 / 350 d.A.: jeweils Antragseingang 19. Mai 2008, Bescheinigung vom 08. Mai 2008 mit bestätigter Sperrung bis 20. Mai 2008).
Der BGH hat bereits 2008 entschieden, dass eine Depotbestätigung mit einem Sperrvermerk selbst bei weiter Auslegung des Urkundenbegriffs in § 3 Satz 3 SpruchG kein urkundlicher Nachweis der Aktionärsstellung mehr sei, weil neben die Bescheinigung über einen Bestand von Aktien im Depot eine Versicherung der Depotbank treten müsse, keine Verfügungen über die Aktien zuzulassen, die zudem keine dingliche Wirkung habe und Verfügungen über den Depotbestand nicht verhindere (BGH, Beschluss vom 25. Juni 2008 – II ZB 39/07 –, BGHZ 177, 131-141, Rn. 21 unter Hinweis auf BayObLG ZIP 2004, 2285). Die zitierte Entscheidung des BayObLG betrifft den Fall eines Antrags auf Bestellung von Sonderprüfern, bei dem der Gesetzgeber gemäß § 142 Abs. 2 Satz 2 AktG für die Antragsberechtigung einen kurzfristigen Aktienerwerb nicht ausreichen lässt, sondern zum Zwecke der Missbrauchsbekämpfung eine längere Haltedauer der Aktien in der Vergangenheit sowie den Nachweis verlangt, dass der antragstellende Aktionär seine Aktien bis zur Entscheidung über den Antrag hält, was in der Praxis dann entweder die Hinterlegung der Aktien oder, bei sammelverwahrten Aktien oder fehlender Verbriefung, das Ergreifen von Maßnahmen erfordere, die „im Ergebnis und in der Wirkung der Übergabe der Aktienurkunden bei einer herkömmlichen Hinterlegung entsprechen“. Die „Sperrerklärung“ der Bank reiche mangels dinglicher Wirkung nicht aus (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 15. September 2004 – 3Z BR 145/04 –, Rn. 14 ff., juris). Für das Spruchverfahren existiert zwar keine dem § 142 Abs. 2 Satz 2 AktG vergleichbare gesetzgeberische Ausgestaltung, so dass es auch genügt, wenn die Aktionärsstellung zum Zeitpunkt der Antragstellung nachgewiesen wird. Letzteres ist aber als Minimum auch zu fordern, um zu verhindern, dass (ehemalige) Aktionäre allein mit wenigen Aktien, die sich zudem noch vor Antragstellung veräußern könnten, mit häufig knapp und standardisiert begründeten Anträgen ein aufwendiges gerichtliches Verfahren in Gang setzen. Wie vom BGH bereits 2008 entschieden, kann im Spruchverfahren die Antragsberechtigung nicht mithilfe einer Erklärung des depotführenden Instituts nachgewiesen werden, dass es über einen gewissen Zeitraum, der den Zeitpunkt des Antragseingangs bei Gericht umfasst, keine Verfügungen über die Aktien zulassen werde (sogenannter Sperrvermerk), weil ein solcher Sperrvermerk keine dingliche Wirkung hat und als gegenüber dem Kunden abgegebene Erklärung ab einer theoretisch denkbaren Beendigung des Depotvertrages vor Antragseingang keine Wirkung mehr entfalten würde (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juni 2008 – II ZB 39/07 –, BGHZ 177, 131-141, Rn. 21; LG Köln, Beschluss vom 24. Juli 2009 – 82 O 10/08 –, Rn. 106, juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 07. Dezember 2011 – I-26 W 7/09 (AktE) –, Rn. 103, juris).
Die Antragsgegnerin ist im Rahmen der Antragserwiderung u.a. in Bezug auf die vorgenannten Antragsteller auf die von ihnen vorgelegten Unterlagen der Bank eingegangen, die sie als „Depotauszüge“ bezeichnete, bei denen es sich aber tatsächlich um – inhaltlich jedoch unzureichende – Bankbescheinigungen handelte. Sie hat ausdrücklich gerügt, dass sich aus den Unterlagen nicht ergebe, ob die Antragsteller am Tag der Antragstellung noch Aktionäre waren (Bl. 431 d.A.). Jedenfalls innerhalb der mit Verfügung vom 13. November 2008 gesetzten Frist gemäß § 7 Abs. 4 SpruchG, die am 06. Februar 2009 abgelaufen ist (Bl. 501 d.A.), haben die betroffenen Antragsteller Ziff. 30, 36, 39, 41 keine inhaltlich hinreichenden Nachweise vorgelegt. Hierauf wurden die betroffenen Antragsteller mit Verfügung vom 25. Februar 2019 unter Fristsetzung bis 22. März 2019 zur Nachreichung geeigneter Nachweise aufmerksam gemacht (Bl. 1147 f. d.A.). Die betroffenen Antragsteller haben keine Unterlagen nachgereicht. Ihre Anträge sind unzulässig.
d. Fehlende Nachweise
Die Antragsteller Ziff. 9 (…) und Ziff. 10 (…) haben die Vorlage von Unterlagen zur Antragsberechtigung zwar in ihren Antragsschriften angekündigt (Bl. 63, 72 d.A.). Obwohl die Antragsgegnerin die Antragsberechtigung in der Antragserwiderung ausdrücklich bestritten hat, bei Antragstellerin Ziff. 10 sogar verbunden mit der Rüge fehlender Unterlagen (Bl. 430, 431 d.A.), haben die genannten Antragsteller es versäumt, innerhalb der mit Verfügung vom 13. November 2008 gesetzten, am 06. Februar 2009 abgelaufenen Frist gemäß § 7 Abs. 4 SpruchG (Bl. 501 d.A.) Nachweise vorzulegen. Der Antragsteller Ziff. 9 hat aber mit Schriftsatz vom 06. März 2019 und damit noch innerhalb der mit Verfügung vom 25. Februar 2019 gesetzten Frist gemäß § 7 Abs. 5 SpruchG eine Bankbescheinigung vorgelegt, die sich auf den richtigen Zeitpunkt bezieht. Sein Antrag ist damit zulässig. Der Antrag der Antragstellerin Ziff. 10, welche es versäumt hat, innerhalb der zu ihren Gunsten bis 05. April 2019 verlängerten Frist (Bl. 1231 d.A.) Belege nachzureichen, ist unzulässig.
3. Hinreichend konkrete Angaben nach § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3, 4 SpruchG
Sämtliche Antragsschriften enthalten hinreichend konkrete Angaben zur Art der Strukturmaßnahme i.S.v. § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SpruchG und – trotz teilweise wortgleicher Formulierungen, die sich auch in anderen teils von denselben Antragstellern betriebenen Spruchverfahren wiederfinden - hinreichend konkrete Bewertungsrügen i.S.v. § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 SpruchG.
III. Antragsfrist
Die Antragsfrist endete gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SpruchG drei Monate nach Bekanntmachung der Eintragung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages durch das Handelsregister, die hier am 18. Februar 2008 erfolgte (vgl. oben A. I. 5.). Der 18. Mai 2008 fiel auf einen Sonntag, so dass die Frist zur Einreichung verfahrenseinleitender Schriftsätze am Montag, den 19. Mai 2008 endete, §§ 17 Abs. 1 SpruchG, 17 Abs. 1, 2 FGG, 188 Abs. 2, 193 BGB. Sämtliche verfahrenseinleitende Anträge der Antragsteller sind bis zum Ablauf der Antragsfrist am 19. Mai 2008 beim Landgericht Stuttgart eingegangen. Ausweislich des Telefaxstempels (nicht: des gerichtlichen Eingangsstempels) sind am 19. Mai 2008 auch die Antragsschriften der Antragsteller Ziff. 36 bis 39 und 41 (Bl. 311 d.A.) sowie des Antragstellers Ziff. 40 (Bl. 328-1 d.A.) eingegangen. Die Antragsfrist ist somit bei allen Antragstellern gewahrt.
IV. Zwischenergebnis
Die Anträge der Antragsteller Ziff. 10, 21, 22, 30, 36, 39 und 41 sind unzulässig.
Aus den Gründen
C.
Unbegründetheit der zulässigen Anträge
Die Anträge der Antragsteller und des gemeinsamen Vertreters auf gerichtliche Bestimmung der Abfindung und des Ausgleichs sind, soweit sie zulässig sind, unbegründet.
I. Allgemeines
Ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag muss gemäß § 304 Abs. 1 Satz 1 AktG einen angemessenen Ausgleich für die außenstehenden Aktionäre durch eine auf die Anteile am Grundkapital bezogene wiederkehrende Geldleistung (Ausgleichszahlung) vorsehen. Außerdem muss der Vertrag die Verpflichtung des anderen Vertragsteils (also des beherrschenden Unternehmens) enthalten, auf Verlangen eines außenstehenden Aktionärs dessen Aktien gegen eine im Vertrag bestimmte angemessene Abfindung zu erwerben (§ 305 Abs. 1 Satz 1 AktG).
1. Grundsätze der Angemessenheitsprüfung
Ziel des Verfahrens ist nach §§ 304, 305 AktG die Feststellung, ob die im abgeschlossenen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag vorgesehene Abfindung und der vorgesehene Ausgleich angemessen sind. Sollte dies nicht der Fall sein, muss das Gericht gemäß §§ 304 Abs. 3 Satz 3, 305 Abs. 5 Satz 2 AktG selbst auf Antrag den angemessenen Ausgleich bzw. die angemessene Abfindung bestimmen. Die Abfindung muss gemäß § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG die Verhältnisse der Gesellschaft im Zeitpunkt des Hauptversammlungsbeschlusses über den Unternehmensvertrag berücksichtigen. Als Ausgleichszahlung ist gemäß § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG mindestens die jährliche Zahlung des Betrags zuzusichern, der nach der bisherigen Ertragslage der Gesellschaft und ihren künftigen Ertragsaussichten unter Berücksichtigung angemessener Abschreibungen und Wertberichtigungen, jedoch ohne Bildung anderer Gewinnrücklagen, voraussichtlich als durchschnittlicher Gewinnanteil auf die einzelne Aktie verteilt werden könnte. Unabhängig davon, ob ein fester oder variabler Ausgleich gewählt wird, ist dabei der Tag der Hauptversammlung als Bewertungsstichtag maßgeblich, die über die Zustimmung zum Unternehmensvertrag entscheidet (Veil/Preisser, in Spindler/Stilz AktG Kommentar 4. Aufl. 2019, § 304 Rn. 51 ff.).
a. Bewertung als Tatsachenfrage
Es gibt allerdings nicht „den einen exakten oder wahren Unternehmenswert“ und auch keine als „einzig richtig“ anerkannte Methode zur Ermittlung des Verkehrswerts einer Aktie, und es kann heute auch nicht festgestellt werden, dass eine der gebräuchlichen Methoden in der Wirtschaftswissenschaft unumstritten wäre (OLG Stuttgart, Beschluss vom 05. Juni 2013 – 20 W 6/10 –, juris Rn. 138). Die Wertermittlung nach den einzelnen Methoden ist mit zahlreichen prognostischen Schätzungen und methodischen Einzelentscheidungen verbunden, die aus juristischer Sicht jeweils nicht einem Richtigkeits-, sondern nur einem Vertretbarkeitsurteil zugänglich sind (OLG Stuttgart, Beschluss vom 04. Mai 2011 – 20 W 11/08 –, juris Rn. 67). Die Wertzumessung ist stets personen- und situationsbezogen (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 03. September 2010 – 5 W 57/09 –, juris Rn. 55).
Wie der BGH ausgeführt hat, enthalten weder das Grundgesetz noch das einfache Gesetz Bestimmungen, nach welcher Methode der Unternehmenswert zu ermitteln ist. „Die Frage nach der geeigneten Bewertungsmethode ist keine Rechtsfrage, sondern Teil der Tatsachenfeststellung und beurteilt sich nach der wirtschaftswissenschaftlichen oder betriebswirtschaftlichen Bewertungstheorie und -praxis“ (BGH, Beschluss vom 29. September 2015 – II ZB 23/14 –, Juris Rn. 12). Letztere eröffnet Bewertungsspielräume. Der Wert des Unternehmens ist nach §§ 287 Abs. 2 ZPO, 738 Abs. 2 BGB vom Gericht zu schätzen (BGH, Beschluss vom 12. März 2001 – II ZB 15/00 –, juris Rn. 20, 21; BGH, Beschluss vom 29. September 2015 – II ZB 23/14 –, Juris Rn. 12).
b. Zielsetzung
Aus verfassungsrechtlicher Sicht muss ausgeglichen werden, was dem Minderheitsaktionär im Falle eines Ausscheidens aus der Gesellschaft gegen Abfindung an Eigentum im Sinne von Art. 14 Abs. 1 GG verloren geht. Nach der grundlegenden Entscheidung des BVerfG von 1999 darf er nicht weniger bekommen, als er bei einer „freien Deinvestitionsentscheidung“ zum Zeitpunkt der aktienrechtlichen Strukturmaßnahme erhalten hätte. Mit Blick auf die Besonderheit des Aktieneigentums, das in der Verkehrsfähigkeit der Aktie liege, stelle sich der Vermögensverlust durch die Strukturmaßnahme als Verlust des Verkehrswerts der Aktie dar. Dieser Verkehrswert ist „regelmäßig mit dem Börsenkurs der Aktie identisch“ (BVerfG, Beschluss vom 27. April 1999 – 1 BvR 1613/94 –, juris Rn. 55, 56, 60, 63). Das BVerfG hat in der Entscheidung von 1999 weiter ausgeführt, der Verkehrswert bilde die Untergrenze der "wirtschaftlich vollen Entschädigung" (a.a.O. Rn. 63).
Verfahrensziel ist damit die Prüfung, ob der vorgesehene Abfindungsbetrag dem Betrag einer „wirtschaftlich vollen Entschädigung“ entspricht, ob der Minderheitsaktionär also mindestens den Verkehrswert, also den Betrag als Abfindung bekommt, den er bei einer „freien Deinvestitionsentscheidung“ erhalten hätte.
c. Prüfungsschritte der Angemessenheitsprüfung
Im Spruchverfahren obliegt es dem Gericht im ersten Schritt zu prüfen, ob die Unternehmensbewertung nach dem Bewertungsgutachten und dem Bericht des sachverständigen Prüfers „auf in der Wirtschaftswissenschaft anerkannten und in der Bewertungspraxis gebräuchlichen Methoden beruht“ (OLG Stuttgart, Beschluss vom 05. Juni 2013 – 20 W 6/10, Rn. 148). Dazu gehört auch, ob die von diesem vorgenommene Bewertung methodisch konsistent ist, ob die inhaltlichen Prämissen der Bewertung zugrunde gelegt werden können, ob der Börsenkurs berücksichtigt wurde, und ob die zugrunde liegenden Daten und Zukunftseinschätzungen fachgerecht abgeleitet wurden (vgl. Steinle/Liebert/Katzenstein, MünchHdb GesR 5. Aufl. Bd. 7 § 34 Rn. 89 ff.; Singhof, in Spindler/Stilz, a.a.O. § 327c Rn. 10 zum „Squeeze Out“). Ist das der Fall, so bilden das Gutachten und der Bericht eine hinreichende Schätzgrundlage, so dass die Angemessenheit der vom Hauptaktionär angebotenen Abfindung bejaht werden kann (OLG Stuttgart, a.a.O. Rn. 148). Das gilt selbst dann, wenn die vom Bewertungsgutachter und dem sachverständigen Prüfer herangezogene Methode aus Sicht des Gerichts „nicht optimal“, aber „angemessen, geeignet und vertretbar“ ist (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 03. September 2010 – 5 W 57/09 –, juris Rn. 35).
Das OLG Stuttgart hat ausgeführt (OLG Stuttgart, Beschluss vom 05. Juni 2013 – 20 W 6/10 –, juris Rn. 141): „Das Gericht ist im Rahmen seiner Schätzung des Verkehrswertes des Aktieneigentums nicht gehalten, darüber zu entscheiden, welche Methode der Unternehmensbewertung und welche methodische Einzelentscheidung innerhalb einer Bewertungsmethode richtig sind. Vielmehr können Grundlage der Schätzung des Anteilswerts durch das Gericht alle Wertermittlungen sein, die auf in der Wirtschaftswissenschaft anerkannten und in der Bewertungspraxis gebräuchlichen Bewertungsmethoden sowie methodischen Einzelfallentscheidungen beruhen, auch wenn diese in der wissenschaftlichen Diskussion nicht einhellig vertreten werden.“ Es ist nicht Aufgabe des Spruchverfahrens, einen Beitrag zur Klärung von in der Betriebswirtschaftslehre umstrittener Fragen zu leisten oder zu entscheiden, welcher der in den Wirtschaftswissenschaften zu einzelnen Aspekten des Ertragswertverfahrens vertretenen Auffassungen der Vorzug gebührt (OLG Stuttgart, Beschluss vom 17. Juli 2014 – 20 W 3/12 –, juris Leitsatz und Rn. 81; vgl. auch KG Berlin, Beschluss vom 14. Januar 2009 – 2 W 68/07 –, Rn. 36, juris). Daran ist auch nach der BGH-Entscheidung vom 29. September 2015 - II ZB 23/14 festzuhalten.
Ergibt sich hingegen im ersten Prüfungsschritt die fehlende Plausibilität der Bewertung und hieraus resultierend die Unangemessenheit der angebotenen Abfindung bzw. des Ausgleichs, so muss das Gericht im zweiten Prüfungsschritt selbst die angemessene Abfindung bzw. den angemessenen Ausgleich bestimmen. In diesem zweiten Prüfungsschritt muss der Tatrichter im Spruchverfahren selbst eine geeignete und aussagekräftige Bewertungsmethode wählen, die gewährleistet, dass die Abfindung „nicht unter dem Verkehrswert“ der Aktie liegt (BGH, Beschluss v. 29. September 2015 - II ZB 23/14, Rn. 34).
2. Verfahrensvoraussetzungen für die Bestimmung der angemessenen Abfindung
Ein von der Antragsgegnerin in Auftrag gegebenes Bewertungsgutachten und der gemäß § 293e Abs. 1 AktG zu erstattende Prüfungsbericht des vom Gericht bestellten sachverständigen Prüfers liegen vor, wie bereits ausgeführt. Die Parallelprüfung durch den von der Antragsgegnerin beauftragten Bewertungsgutachter und durch den vom Gericht bestellten sachverständigen Prüfer ist zulässig (OLG Stuttgart, Beschluss vom 03. Dezember 2008 – 20 W 12/08 –, Rn. 136, juris) und wäre für sich genommen kein Indiz für mangelnde Sorgfalt bei der Prüfung.
Das Bewertungsgutachten und der Prüfungsbericht ließen allerdings im vorliegenden Fall kein abschließendes Urteil über die Angemessenheit oder Unangemessenheit des im Unternehmensvertrag vorgesehenen Abfindungs- und Ausgleichsbetrages zu. Die Gründe werden nachfolgend noch dargestellt (näher II.). Zur Plausibilisierung ausgewählter bewertungsrelevanter Faktoren wurden Sachverständigengutachten eingeholt und im Rahmen gerichtlicher Ermittlungen von Amts wegen Geschäftsberichte, Handelsregisterauszüge und andere Daten aus öffentlich zugänglichen Quellen beigezogen, worüber die Beteiligten informiert wurden (Bl. 1147 d.A.). Außerdem liegen Informationen zum durchschnittlichen Börsenkurs vor (Anl. AG 21); das Gericht hat in diesem Zusammenhang zusätzlich klarstellende Informationen bei der BaFin eingeholt (Bl. 1124 f. d.A.).
Die nunmehr vorliegenden Informationen und Sachverständigengutachten einschließlich Ergänzungsgutachten reichen, wie noch darzustellen sein wird, für die eigenständige Beurteilung der Angemessenheit von Abfindung und Ausgleich durch das Gericht aus (unten III. und IV.), so dass es keiner weiterreichenden Begutachtung bedurfte.
3. Maßgeblicher Bewertungsstichtag
Maßgeblicher Bewertungsstichtag ist der Tag des dem Vertrag zustimmenden Hauptversammlungsbeschlusses, hier also der 29. Juni 2007.
II. Zum Ertragswert laut Bewertungsgutachten und Prüfungsbericht
Die Kammer ist davon überzeugt, dass das Bewertungsgutachten und der Prüfungsbericht einschließlich der „Stichtagserklärungen“ im vorliegenden Fall keine tragfähige Grundlage für eine positive Feststellung der Angemessenheit von Abfindung und Ausgleich durch das Gericht darstellen. Die Bewertungsgutachterin hat zwar mit dem Ertragswertverfahren eine anerkannte Bewertungsmethode verwendet, um den Unternehmenswert zu errechnen (unten 1.). Zu sachgerechten Ergebnissen gelangt man mithilfe des Ertragswertverfahrens aber nur, wenn Mindestanforderungen an die zugrunde gelegten Planzahlen gewahrt sind (unten 2.). Die im vorliegenden Fall bei der Ertragswertberechnung zugrunde gelegten Planzahlen für die Detailplanungsphase, für deren Entwicklung der Vorstand der X AG (und nicht die beteiligten Wirtschaftsprüfer) verantwortlich war, werfen schon hinsichtlich ihrer Genese Fragen auf (unten 3.). Unabhängig davon geben sie zur Überzeugung der Kammer jedenfalls zum Bewertungsstichtag in Teilen kein realistisches Bild der künftigen unternehmerischen Chancen und Risiken im Sinne von „Erwartungswerten“ mehr ab und sind insoweit keine taugliche Grundlage für die Ermittlung des Unternehmenswerts nach dem Ertragswertverfahren (unten 4.). Die Untauglichkeit der von der Bewertungsgutachterin für den Detailplanungszeitraum herangezogenen Planzahlen führt dazu, dass auch die hieraus im Bewertungsgutachten entwickelten Zahlen für die „ewige Rente“ nicht positiv als realistisch eingestuft werden können (unten 5.). Das bedeutet allerdings nicht, dass deshalb bereits die Unangemessenheit von Abfindung und Ausgleich festgestellt werden könnte (dazu näher unten III.).
1. Anwendung einer anerkannten und gebräuchlichen Methode
Die von der Bewertungsgutachterin angewandte und von der sachverständigen Prüferin ohne Beanstandung nachvollzogene Ertragswertmethode stellt eine in der Wirtschaftswissenschaft anerkannte und in der Bewertungspraxis gebräuchliche Methode zur Ermittlung des Unternehmenswerts dar. Das gilt unabhängig davon, ob man auf den am Bewertungsstichtag geltenden Bewertungsstandard IDW S1 2005 abstellt oder auf den heute aktuellen IDW S1 i.d.F. 2008: Beide Standards erwähnen ausdrücklich sowohl das Ertragswertverfahren als auch Discounted Cash Flow-Verfahren (vgl. IDW S1 i.d.F. 2008 Tz. 7 und zum IDW S1 i.d.F. 2005 die Zitate im BewGA Seite 14; zur Zulässigkeit der Heranziehung neuer fachlicher Berechnungsweisen im Spruchverfahren BGH, Beschluss vom 29. September 2015 – II ZB 23/14 –, BGHZ 207, 114-135, Rn. 31 und OLG Stuttgart, Beschluss vom 19. Januar 2011 – 20 W 2/07 –, Rn. 261 f., dort Rn. 158 auch zur Einstufung als anerkannter und verfassungsrechtlich unbedenklicher Methode; nachfolgende Zitate aus dem IDW S1 betreffen, soweit nicht ausdrücklich vermerkt, den Standard in der seit 2008 geltenden Fassung).
Nach der Ertragswertmethode wird der Wert des Unternehmens unter der Voraussetzung ausschließlich finanzieller Ziele allein aus seiner Ertragskraft, d.h. seiner Eigenschaft, finanzielle Überschüsse für die Unternehmenseigner zu erwirtschaften, abgeleitet. Dieser Wert ergibt sich grundsätzlich aus den finanziellen Überschüssen, die bei Fortführung des Unternehmens und Veräußerung etwaigen nicht betriebsnotwendigen Vermögens erwirtschaftet werden (Zukunftserfolgswert). Rechnerisch bestimmt sich der Unternehmenswert durch den Barwert der mit dem Eigentum an dem Unternehmen verbundenen Nettozuflüsse an die Unternehmenseigner (Nettoeinnahmen als Saldo von Ausschüttungen bzw. Entnahmen, Kapitalrückzahlungen und Einlagen). Zur Ermittlung des Barwerts wird ein risikoadäquater Kapitalisierungszinssatz verwendet, der die Rendite aus einer zur Investition in das zu bewertende Unternehmen adäquaten Alternativanlagen repräsentiert (vgl. IDW S 1 i.d.F. 2008, Tz. 4, 5, 7).
Zur Ermittlung des Risikozuschlags hat die Bewertungsgutachterin auf das Tax-CAPM zurückgegriffen (BewGA Seite 31), wonach anders als bei der Standardform des CAPM die Wirkungen persönlicher Ertragssteuern berücksichtigt werden. Auch die Anwendung des Tax-CAPM im Rahmen des Ertragswertverfahrens ist entgegen der Kritik einiger Antragsteller nicht zu beanstanden. Das Tax-CAPM stellt sogar die gegenüber dem Standard-CAPM aktuellere Expertenauffassung der Wirtschaftsprüfer zur Durchführung der Nachsteuerbetrachtung dar (OLG Stuttgart, Beschluss vom 19. Januar 2011 – 20 W 2/07 –, Rn. 265, juris).
2. Mindestanforderungen an die Planzahlen
Grundlage für die zur Unternehmensbewertung nach dem Ertragswertverfahren erforderliche Prognose der künftigen Erträge (IDW S 1, Tz. 25) müssen unternehmensbezogene Informationen sein, insbesondere die internen Planungsdaten der Gesellschaft (IDW S 1, Tz. 71), wobei vergangenheits- und stichtagsbezogene Informationen nach dem IDW S 1 (Tz. 70) nur insoweit von Bedeutung sind, als sie als Grundlage für die Schätzung künftiger Entwicklungen oder für die Vornahme von Plausibilitätsbeurteilungen dienen können. Die Vergangenheitsanalyse bildet den Ausgangspunkt für die Prognose künftiger Entwicklungen und für die erforderliche Vornahme von Plausibilitätsüberlegungen des Wirtschaftsprüfers (IDW S 1, Tz. 72).
In der Bewertungspraxis üblich ist die Unterscheidung mindestens zwischen einer Detailplanungsphase, für die Planzahlen des Unternehmens vorliegen, und der Phase der „ewigen Rente“ für die weiter in Zukunft liegenden, nicht mehr vom Detailplanungszeitraum umfasste Zeiträume, die mangels Existenz unternehmerischer Planzahlen regelmäßig von den beteiligten Wirtschaftsprüfern aufgrund der Zahlen der Detailplanungsphase abgeleitet werden.
Die in die Zukunft gerichteten Planungen der Unternehmen und die darauf aufbauenden Prognosen ihrer Erträge sind gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar. Zu berücksichtigen ist, dass es nicht nur eine richtige Prognose über die künftige Entwicklung eines Unternehmens gibt, und in den seltensten Fällen trifft sie so wie vorhergesagt ein (OLG Stuttgart, Beschluss vom 05. November 2013 – 20 W 4/12 –, Rn. 84, juris; Beschluss vom 27. Juli 2015 – 20 W 5/14 –, Rn. 75; Beschluss vom 02. Dezember 2014 – 20 AktG 1/14 –, Rn. 79; Beschluss vom 17. Oktober 2011 – 20 W 7/11 –, Rn. 180; Beschluss vom 14. September 2011 – 20 W 4/10 –, Rn. 71; Beschluss vom 26. Oktober 2006 – 20 W 14/05 –, Rn. 28; ebenso OLG München, Beschluss vom 14. Juli 2009 – 31 Wx 121/06 –, Rn. 12).
Die unternehmerischen Planungen sind in erster Linie ein Ergebnis der jeweiligen unternehmerischen Entscheidung der für die Geschäftsführung verantwortlichen Personen. Unternehmensplanung ist Aufgabe der Unternehmensleitung und nicht der staatlichen Gerichte. Unter Berücksichtigung der Planungshoheit des Vorstands ist im Spruchverfahren zu prüfen, ob die Geschäftsführung auf der Grundlage zutreffender Informationen geplant hat, ob die getroffenen Planannahmen daran orientiert und realistisch sind, ob sie in sich widerspruchsfrei sind und ob die Geschäftsführung im Ergebnis „auf dieser Grundlage vernünftigerweise annehmen durfte, ihre Planung sei realistisch“ (OLG Stuttgart, Beschluss vom 27. Juli 2015 – 20 W 5/14 –, Rn. 75; OLG Frankfurt, Beschluss vom 24. November 2011 – 21 W 7/11 –, Rn. 48, juris).
Ein Bewertungsgutachter muss die Planungsautonomie der Unternehmensleitung respektieren und darf die vom Vorstand des zu bewertenden Unternehmens aufgestellten Planzahlen nicht eigenmächtig anpassen. Denn mit einer eigenmächtigen Anpassung würde er die Geschäftspolitik des zu bewertenden Unternehmens im Bereich der Planung „an sich ziehen“. Er muss gegebenenfalls auf eine nochmalige formale Planungsanpassung drängen, wenn er der Auffassung ist, die zugrunde gelegten Planzahlen seien nicht realistisch (dazu OLG Stuttgart, Beschluss vom 05. Juni 2013 – 20 W 6/10 –, Rn. 162; OLG Stuttgart, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 20 W 2/12 –, Rn. 129; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. November 2015 – I-26 W 9/14 (AktE) –, Rn. 33; Ihlau/Duscha, in Peemöller, Praxishandbuch Unternehmensbewertung 6. Aufl. 2015, Seite 813).
Im Spruchverfahren sind vorhandene Planungsrechnungen des zu bewertenden Unternehmens nur nach den vorstehenden Kriterien auf ihre Plausibilität zu überprüfen. Eine Korrektur der unternehmerischen Planung kann nur dann erfolgen, wenn diese nicht plausibel und unrealistisch oder in sich widersprüchlich ist. Beruhen die planerischen Entscheidungen des Vorstands des zu bewertenden Unternehmens auf zutreffenden Informationen und realistischen Annahmen und sind diese nicht in sich widersprüchlich, darf also die Geschäftsführung vernünftigerweise annehmen, ihre Planung sei realistisch, so darf diese Planung nicht durch andere - letztlich ebenfalls nur vertretbare - Annahmen des Gerichts oder der am Spruchverfahren Beteiligten ersetzt werden (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 27. Juli 2015 – 20 W 5/14 –, Rn. 75, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 26. Oktober 2006 – 20 W 14/05 –, Rn. 28, juris; OLG München, Beschluss vom 14. Juli 2009 – 31 Wx 121/06 –, Rn. 12, juris).
Fehlen Planungsrechnungen oder sind sie nicht plausibel, so sind sachgerechte Prognosen zu treffen oder Anpassungen vorzunehmen (vgl. OLG München, Beschluss vom 14. Juli 2009 – 31 Wx 121/06 –, Rn. 12, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 05. November 2013 – 20 W 4/12 –, Rn. 84, juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 17. Januar 2017 – 21 W 37/12 –, Rn. 30, juris; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Beschränkung auf eine Plausibilitätsprüfung BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 24. Mai 2012 – 1 BvR 3221/10 –, Rn. 12, 30, juris).
Bei unternehmerischen Planzahlen für die Detailplanungsphase ist für die gerichtliche Prüfung im Spruchverfahren vor allem von Bedeutung, ob es sich bei diesen Zahlen um realistische „Erwartungswerte“ handelt (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 14. September 2011 – 20 W 6/08 –, Rn. 133, juris). Ziel der Planung, die im Rahmen des Ertragswertverfahrens Grundlage einer objektiven Unternehmensbewertung sein soll, ist weder die Schaffung möglichst hoher Anreize für das Management, bestimmte Maßnahmen umzusetzen oder wirtschaftliche Ziele zu erreichen (die sich u.U. später als unerreichbar herausstellen), noch eine möglichst pessimistische Sichtweise nach dem etwa für die kaufmännische Buchführung geltenden „Vorsichtsprinzip“. Es geht vielmehr um die Beurteilung, ob sich aus der unternehmerischen Planung Erwartungswerte möglicher künftiger Ausschüttungen herleiten lassen, die es dann zu diskontieren gilt (vgl. zu letzterem Gleißner, in Peemöller, Praxishandbuch Unternehmensbewertung a.a.O., Seite 877; Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert 3. Aufl. 2018, Seite 24 f. und zur Erwartungswertbildung Seite 405 ff.).
3. Genese der zugrunde gelegten Planzahlen (Planungsprozess)
a. Ursprüngliche Planungsrechnung der X AG vom November 2006
Für Bewertungs- und Prüfungszwecke standen der Bewertungsgutachterin und der sachverständigen Prüferin u.a. die im Herbst 2006 erstellte und im November 2006 vom Vorstand der X AG verabschiedete und vom Aufsichtsrat genehmigte Planungsrechnung für die Jahre 2007 bis 2009 zur Verfügung (vgl. BewGA Seite 2, 19; PB Seite 3).
b. Veränderte Planzahlen vom Mai 2007
Bereits im Rahmen des Bewertungsprozesses und vor Erstattung des Bewertungsgutachtens vom 11. Mai 2007 nahm die Bewertungsgutachterin „in Abstimmung mit der Gesellschaft“ Anpassungen an den Planzahlen der Gesellschaft vor (BewGA Seite 19). Angepasst wurde laut Bewertungsgutachten u.a. die „Ergebnisschätzung“ für die Geschäftsjahre 2007 bis 2009, mit dort nicht näher spezifizierten „Erlösgrößen“ sowie mit den „korrespondierenden Aufwandsposten, insbesondere den variablen Verwaltungs- und Personalaufwendungen“ (BewGA Seite 19). Diese Anpassung der Unternehmensplanung durch die Bewertungsgutachterin war der sachverständigen Prüferin bereits zum Prüfungszeitpunkt bekannt (vgl. Protokoll zur Anhörung am 04. Mai 2009, Seite 3, Bl. 622 d.A.; Schreiben vom 08. Juni 2009, Bl. 644 ff. d.A.). Im Prüfungsbericht ist die Anpassung zwar nicht auf Seite 23 im Zusammenhang mit der Darstellung des Planungsprozesses offengelegt – dort hätte es thematisch hingehört; in PB Seite 23 wurde der Eindruck erweckt, als sei es für die Detailplanungsphase von 2007 bis 2009 bei den ursprünglichen, vom Vorstand beschlossenen und vom Aufsichtsrat genehmigten Planzahlen vom November 2006 geblieben. Auf Seite 24 des Prüfungsberichts unter der Überschrift „Analyse der Planungsrechnung“ sprach die sachverständige Prüferin die Anpassung der Planzahlen durch die Bewertungsgutachterin „in Abstimmung mit der X AG“ aber an und erwähnte auch, dass die Anpassung „wesentliche Ergebnisgrößen“ wie das „Provisions- und Handelsergebnis“ und „korrespondierende Aufwandsgrößen“ betroffen habe.
Hinsichtlich der Orderzahlen, die für die Schätzung des Provisionsergebnisses relevant sind, bestätigte die sachverständige Prüferin gegenüber dem Gericht während des Spruchverfahrens mit Schreiben vom 08. Juni 2009 (Bl. 644, 645-1 d.A.) die Vornahme einer „Planaktualisierung“ wie folgt (Spalte „Veränderung“: eigene Berechnung des Gerichts):
Diese erste Erhöhung der prognostizierten Orderzahl bei Derivaten für 2007 gegenüber der ursprünglichen Planung floss in die Bewertung und das Bewertungsgutachten vom 11. Mai 2007 ein, wie sich aus der Nennung der Zahl von 10.121 Tsd. Orders im Bewertungsgutachten (BewGA Seite 26) ergibt, wobei die Bewertungsgutachterin dort nicht angab, dass es sich hierbei nur um die Orderzahl bei Derivaten handele, und auch die zusätzliche Erhöhung der neu geplanten Orderzahlen für Aktien und Renten nicht offenlegte.
Trotz Kritik der Antragsgegnerin (Schriftsatz vom 24. September 2009, Bl. 735 f. d.A.) an der ursprünglichen Formulierung im Beweisbeschluss vom September 2009 (Bl. 722 d.A.), in dem (etwas verkürzend) von „Planannahmen des Bewertungsgutachters…“ die Rede war, und trotz daraufhin mit Beschluss vom 12. November 2009 erfolgter Änderung der Formulierung („Planannahmen der X AG …“ Bl. 758 d.A.) stellt die Kammer schon aufgrund der unmissverständlichen Formulierung im Bewertungsgutachten fest, dass die Bewertungsgutachterin spätestens im Mai 2007 wesentliche Änderungen der ursprünglichen Planannahmen des Vorstands der X AG vom November 2006 für den Detailplanungszeitraum 2007 bis 2009 vorgenommen hat, und dass sich der Eindruck aufdrängt, dass diese Änderungen nicht etwa auf Betreiben des Managements, sondern auf Betreiben der Bewertungsgutachterin zustande gekommen sind. Dementsprechend formulierten die vom Gericht 2009, also im Laufe des Spruchverfahrens beauftragten Sachverständigen in der Anfrage vom 23. Dezember 2010 zu ihnen fehlenden Unterlagen u.a. auch: „Überleitung der Planung der Gesellschaft auf die Werte im Gutachten“ (Bl. 816 d.A.). Das Gericht gab der Antragsgegnerin auf, die fehlenden Unterlagen bis 01. Februar 2011 zu übermitteln (Bl. 818 d.A.).
Dass die von der Bewertungsgutachterin vorgenommenen „Anpassungen“ der unternehmerischen Planzahlen mit der X AG „abgestimmt“ waren, wird nicht in Abrede gestellt.
Auf die aus Sicht der Kammer nach wie vor fehlende Plausibilität der spätestens im Mai 2007 modifizierten Annahmen zu diesen Orderzahlen bei Derivaten und auf die Auswirkungen beim Provisionsergebnis wird noch zurückzukommen sein (unten 4.).
Laut Bewertungsgutachten ging man bei dessen Erstellung von den in der Tabelle auf Seite 21 angegebenen Planzahlen aus (BewGA Seite 21), die sich nur marginal von denjenigen unterscheiden, die die gerichtlich beauftragten Sachverständigen im Gutachten vom Dezember 2012 als der Bewertung zugrunde gelegte Planzahlen identifiziert haben und die dort ebenfalls in tabellarischer Form wiedergegeben sind (SVGA Seite 23).
c. „Stichtagsannahmen“
Am Bewertungsstichtag 29. Juni 2007 ging zur Überzeugung der Kammer die X AG selbst von gegenüber den Planzahlen vom Mai 2007 abermals erhöhten Orderzahlen im Bereich „Derivate“ aus. Gleichwohl behauptet die Antragsgegnerin, dass bezogen auf den Bewertungsstichtag kein Anlass zur Erhöhung des für 2007 geplanten Provisionsergebnisses für Bewertungszwecke bestanden habe. Es wurde also gegenüber dem Stand 11. Mai 2007 (Erstattung des Bewertungsgutachtens) nicht erhöht.
Die zum Zeitpunkt der Erstattung des Bewertungsgutachtens und des Berichts der sachverständigen Prüfer zugrunde gelegten Planzahlen mussten, dem Stichtagsprinzip entsprechend, am Bewertungsstichtag auf Aktualität überprüft werden. Dies führte zu den „Vollständigkeitserklärungen“ der X vom 29. Juni 2007 (Anl. AG 9, 10) und zu den „Aktualitätserklärungen“ der Bewertungsgutachterin (Anl. AG 11) und der sachverständigen Prüferin vom selben Tag (Anl. AG 12). Der Vorstand der Gesellschaft bestätigte in der „Vollständigkeitserklärung“, dass die Planungsrechnung für die Jahre 2007 bis 2009 und für den Zeitraum ab 2010 weiterhin als maßgeblich und zutreffend anzusehen sei, jedoch einschränkend „unter Berücksichtigung der folgenden Sachverhalte“ (Anl. AG 10):
- Auswirkungen der aktuellen Zinsentwicklung sowie der aktualisierten Planung der Investitionen in Informationstechnologiesysteme auf das geplante Zinsergebnis
- Veränderte Kostenstruktur aufgrund der Einführung des neuen Marktmodells für den Aktien- und Rentenhandel sowie der erwarteten Mehrbelastung aus der Nutzung der Handelsplattform der Börse Z,
- Aktualisierte Planung der Investitionen in Informationstechnologiesysteme zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der X am Börsenplatz NN.
In der Antragserwiderung vom Oktober 2008 legte die Antragsgegnerin die oben erwähnten Dokumente vor (Bl. 453 d.A.). Die damit zusammenfassend umschriebenen Annahmen zum Bewertungsstichtag werden nachfolgend als „Stichtagsannahmen“ bezeichnet.
Eine Quantifizierung der veränderten Prämissen findet sich in keinem der vorstehend genannten drei Dokumente. Erst im Rahmen der Begutachtung durch die im Laufe des Spruchverfahrens beauftragten gerichtlichen Sachverständigen wurde transparent, welche Positionen und in welcher Höhe von den abermals modifizierten Planannahmen betroffen waren. Diese sind im oberen Teil der Tabelle im Sachverständigengutachten auf Seite 76 dargestellt. Bezüglich der Planzahlen geht es demnach um folgende Werte (nachfolgend „Stichtagsannahmen“ genannt):
- Zinsergebnis
- Verwaltungsaufwand
- Aufwandsmindernder Wegfall der Schlussnotengebühr
- Zusätzlicher Aufwand „Braintrade“
- Zusätzliche Projektkosten
- Abschreibungen
- Zusätzliche Abschreibung IT, wohl aufgrund zusätzlicher Investitionen in IT
Gemeint waren folgende Beträge:
Das jeweils negative Vorzeichen der oben als Summe errechneten Beträge zeigt, dass die X AG bzw. die von ihr beauftragte Bewertungsgutachterin am Stichtag mit per Saldo gewinnmindernden Zusatzeffekten rechneten.
4. Teilweise fehlende Plausibilität der Planzahlen (Detailplanungsphase)
Wesentliche Planungsgrößen waren bei den Ertragsgrößen das Provisions- und das Handelsergebnis sowie das Zinsergebnis, bei den Aufwandsgrößen der Verwaltungsaufwand (untergliedert in Personalaufwand und anderen Verwaltungsaufwand) sowie die Abschreibungen. Die entsprechende Schwerpunktsetzung bei der Prüfung durch die sachverständige Prüferin wird im Prüfungsbericht formuliert (PB Seite 23) und ist aus Sicht der Kammer nachvollziehbar, wenn man die Vergangenheitszahlen vor dem Bewertungsstichtag und das im Jahr 2007 neu ausgerichtete Geschäftsmodell der Gesellschaft betrachtet. Die Kammer hat sich daher bei der Prüfung der Planungsplausibilität zunächst auf diese wesentlichen Planungsgrößen konzentriert. Zur Überzeugung der Kammer hat sich bereits bei der Prüfung wesentlicher Planungsgrößen ergeben, dass die der Bewertung am Bewertungsstichtag zugrunde gelegten Planannahmen in wesentlichen Teilen nicht den an sie zu stellenden Mindestanforderungen entsprechen. Sie waren am Bewertungsstichtag nicht (mehr) realistisch und nicht plausibel.
a. Allgemeines
Die vom Vorstand verabschiedete und vom Aufsichtsrat genehmigte Planungsrechnung der X vom November 2006 für die Jahre 2007 bis 2009 gab zur Überzeugung der Kammer am Bewertungsstichtag 29. Juni 2007 – und bereits zum Zeitpunkt der zeitlich vorgelagerten Arbeit der Bewertungsgutachterin am Bewertungsgutachten seit Ende März 2007 (BewGA Seite 2) – kein realistisches Bild mehr ab. Andernfalls hätte für die Bewertungsgutachterin kein Anlass bestanden, die „ursprüngliche“ Planungsrechnung der Gesellschaft anzupassen, wie im Bewertungsgutachten erwähnt (BewGA Seite 18). Die Bewertungsgutachterin berichtet von einer „Aktualisierung“ der Ergebnisschätzung für die Geschäftsjahre 2007 bis 2009, um die „leicht positivere Einschätzung des Geschäftsverlaufs sowie den prognostizierten Einfluss der neuen Handelsmodelle auf das Handelsergebnis“ widerzuspiegeln. Außerdem erwähnt sie die Anpassung der Planzahlen bei den „korrespondierenden Aufwandsposten“, die Berücksichtigung eines „modifizierten Gehaltsmodells“ ab Planjahr 2008 und die Anpassung der Gewinnverwendung entsprechend der „aufsichtsrechtlichen Eigenkapitalanforderungen“ (BewGA Seite 19 f.). Das spricht dafür, dass die vorstehend genannten Umstände in der Planungsrechnung der X AG vom November 2006 nicht berücksichtigt waren, dass ihre Berücksichtigung bei einer Bewertung zum Bewertungsstichtag jedoch schon von der Bewertungsgutachterin für erforderlich angesehen wurde.
Die von der Bewertungsgutachterin gewählte Formulierung, sie habe die Planungsrechnung vom November 2006 „in Abstimmung mit der Gesellschaft“ angepasst (BewGA Seite 19), lässt in formaler Hinsicht offen, ob das für die Planung verantwortliche Gremium der Gesellschaft – also der gesamte Vorstand – die von der Bewertungsgutachterin vorgenommenen Änderungen gebilligt hat. Nur unter dieser Voraussetzung wären die geänderten, dem Bewertungsgutachten zugrunde liegenden Planzahlen als eigenverantwortliche Planung dem Unternehmen zuzurechnen und unterlägen dann, wie bereits erwähnt, der nur eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung. Neben der unbestimmten Formulierung im Bewertungsgutachten fällt diesbezüglich auf, dass die X AG selbst auch gegenüber den gerichtlich bestellten Sachverständigen bezüglich der Anpassungen der ursprünglichen Planzahlen vom November 2006, die im Mai 2007 bei der Bewertung vorgenommen worden waren, von „Anpassungen M“ gesprochen hatte (SVGA Seite 30).
b. Mangelnde Plausibilität der Planzahlen zum Provisionsergebnis
Das Provisionsergebnis war bei der X AG die treibende Kraft der positiven Geschäftsentwicklung und hatte sich mit einem seit 2003 kontinuierlich bei über 50% liegenden Anteil (Konzern-Lagebericht aus dem Geschäftsbericht 2006 der X AG, nachfolgend einheitlich „GB 2006“, GB Seite 47), nach eigener Darstellung sogar mit einem Anteil von fast zwei Dritteln an den Erträgen zum „klar bestimmenden Faktor der operativen Entwicklung aufgeschwungen“ (GB 2006, nachfolgend „GB 2006“, Seite 45). Seit Jahren an zweiter Stelle, jedoch deutlich dahinter, stand auf Ertragsseite das Handelsergebnis, das im Jahr 2006 vom Provisionsergebnis weiter zurückgedrängt worden war (vgl. Grafik GB 2006, Seite 46 Abb. 14; Seite 53). Schon aus der anteiligen Verteilung der Skontren der X (GB 2006, Seite 55 Abb. 27) erklärt sich, dass dabei dem Provisionsergebnis aus Derivaten eine maßgebliche Bedeutung zukam.
aa. Provisionsergebnis Derivate
aaa. Schätzung der Zahl der Derivate-Orders 2007
Aufgrund der überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen im Gutachten vom 12. November 2012 (SVGA Seite 48), denen sich die Kammer anschließt, und aufgrund eigener Analysen insbesondere der Geschäftsberichte der X AG ist die Kammer davon überzeugt, dass die Planung zur Entwicklung der Derivate-Orderstückzahlen zu vorsichtig war und am Bewertungsstichtag keine Erwartungswerte mehr darstellte.
Das gilt sowohl für die ursprünglich (d.h. im November 2006) für 2007 geplante Orderzahl (dazu SVGA Seite 48) als auch für die erhöhte, zum Zeitpunkt des Bewertungsgutachtens angenommene Orderzahl (dazu oben 3.a und b). Dieser bereits modifizierten Planung zufolge sollte die Zahl der Derivate-Orders im Jahr 2007 auf (nur) 10.121 Tsd. Stück, im Jahr 2008 auf 11.133 Tsd. Stück (+10%) und im Jahr 2009 auf 11.801 Tsd. Stück (+6%) steigen (SVGA Seite 44).
(1) Unvereinbarkeit einer Planung mit 10.121 Tsd. Orders mit eigener Hochrechnung
Aus dem Sachverständigengutachten ergibt sich, dass bis Ende Mai 2007 angabegemäß bereits 4.858.203 Derivate-Orders verbucht werden konnten (SVGA Seite 51). Die Zahl von kumuliert 4.858 Tsd. Derivate-Orders lässt sich auch anhand der Monatszahlen bis Mai 2007 errechnen, die in der Anlage zum Schreiben der sachverständigen Prüferin an das Gericht vom 08. Juni 2009 (Bl. 644 ff., 645-1 d.A.) genannt sind; jedenfalls diese Monatszahlen lagen der sachverständigen Prüferin nach eigenem Bekunden vor.
Für die Planung 2007 war am Bewertungsstichtag nahezu nur noch das zweite Halbjahr für eine Prognose „offen“, im Übrigen stand die bis 29. Juni 2007 tatsächlich erreichte Orderzahl fest. Laut Halbjahresbericht 2007 stieg im Derivatehandel die Orderzahl im ersten Halbjahr 2007 tatsächlich um 16% auf 6 Mio. Stück („Bericht zum 1. Halbjahr 2007“ der X AG, Seite 15). Selbst wenn man diesen erst nach dem Bewertungsstichtag aufgestellten Halbjahresbericht und die absolute Entwicklung der Orderzahlen bis zum tatsächlichen Ende des ersten Halbjahres 2007 am 30. Juni 2007 für die Prognose am Bewertungsstichtag 29. Juni 2007 nicht einbezöge, kann sich die Kammer nicht vorstellen, dass die für das Unternehmen so wichtigen Ist-Orderzahlen nicht mit IT-Unterstützung jederzeit „auf Knopfdruck“ generierbar waren; bei Planzahlen von so großer Bedeutung für die Bewertung war die Einholung entsprechender aktueller Fakten am Bewertungsstichtag als Planungsgrundlage ohnehin zwingend.
Tatsächlich gab es auch eine aktualisierte Hochrechnung der X AG zum Bewertungsstichtag, was die erwarteten Orderzahlen für das Gesamtjahr 2007 anbelangt. Dem Sachverständigengutachten zufolge ergab sich unter Berücksichtigung der Entwicklung bis zum 14. Juni 2007 und der Einschätzung der Gesellschaft zur Entwicklung des zweiten Halbjahres 2007 ein (planmäßiges) „aktualisiertes Ordervolumen“ (gemeint: Order-Stückzahl) von 10.839.369 (SVGA Seite 51). Die X AG selbst sei „auf Basis des Forecasts zum Bewertungsstichtag“ ebenfalls von 10.839 Tsd. Orders ausgegangen (ErgGA Seite 68). Die Annahmen des Bewertungsgutachtens (Stand Mai 2007) seien noch von um 6,6% niedrigeren 10.121.227 Orders ausgegangen (SVGA Seite 51).
Dass die im Bewertungsgutachten angesetzten 10.121.227 Orders nicht mehr aktuell waren, räumt auch die Antragsgegnerin ein, indem sie die Zahl von 10.839.000 Derivateorders als zum 29. Juni 2007 von der X AG selbst ermittelte „aktualisierte Hochrechnung“ bezeichnet (Bl. 881 d.A.).
Gleichwohl bestätigte der Vorstand der X AG in der „Vollständigkeitserklärung“ vom 29. Juni 2007 (Anl. AG 9) gegenüber der Bewertungsgutachterin ausdrücklich, dass die übergebene „operative Planung 2007-2009, deren Verabschiedung durch den Vorstand und Genehmigung durch den Aufsichtsrat im November 2006 erfolgte, einschließlich der im Rahmen der gutachterlichen Stellungnahme vorgenommenen Anpassungen“ unter Berücksichtigung weiterer im einzelnen aufgeführter Sachverhalte die „aktuellen Erwartungen“ des Vorstands abbilde. Mit keinem Wort erwähnt wird hier die nochmals gestiegene Zahl der für das Gesamtjahr erwarteten Derivateorders nach der eigenen „aktualisierten Hochrechnung“. Die in der „Vollständigkeitserklärung“ im einzelnen einschränkend aufgeführten Sachverhalte erwähnen das Provisionsergebnis nicht ausdrücklich und betreffen in den ersten beiden Punkten Aufwendungen und Liquiditätsaspekte („veränderte Kostenstruktur…“, „Mehrbelastungen …“, „aktualisierte Planung der Investitionen in IT-Systeme“), im dritten Punkt nur das Zinsergebnis. In der „Vollständigkeitserklärung“ des Vorstands zum Bewertungsstichtag findet sich kein Hinweis auf aktuelle Veränderungen, die wie die gestiegene Zahl der Derivateorders Auswirkungen auf das Provisionsergebnis hatten bzw. haben konnten.
Korrespondierend zur fehlenden Erwähnung der aktualisierten Hochrechnung zur prognostizierten Zahl der Derivateorders in der „Vollständigkeitserklärung“ des Vorstands (Anl. AG 9), fehlen entsprechende Hinweise auch in der „Vollständigkeitserklärung“ der Bewertungsgutachterin (Anl. AG 10) und in der Stichtagserklärung der sachverständigen Prüferin (Anl. AG 11). Ins Bild passt, dass den gerichtlich bestellten Sachverständigen bei Erhebung der „Basisinformationen“ zur Begutachtung nicht die (nochmals) nach oben zu korrigierende Zahl von 10.839 Tsd. Derivateorders genannt wurde, sondern die am Bewertungsstichtag veraltete Zahl von 10.121 Tsd. Orders, wie sich aus dem Sachverständigengutachten ergibt (SVGA Seite 44). Auch im bereits erwähnten Schreiben der sachverständigen Prüferin vom 08. Juni 2009 an das Gericht (Bl. 644 ff. d.A.) findet die aktualisierte Hochrechnung der X AG zum Bewertungsstichtag von 10.839 Tsd. Derivateorders keine Erwähnung.
Zu Recht weisen die vom Gericht beauftragten Sachverständigen sinngemäß darauf hin, dass eine Planung mit nur 10.121 Tsd. Derivate-Orders zum Bewertungsstichtag angesichts dessen, dass das erste Halbjahr 2007 am Bewertungsstichtag nahezu abgeschlossen war, und angesichts der hochrechenbaren Zahlen zum Bewertungsstichtag 29. Juni 2007 bedeuten würde, im zweiten Halbjahr 2007 mit einem Einbruch der Orderstückzahlen auf weniger als 70% des ersten Halbjahres bzw. 41% des gesamten Planjahres 2007 anzunehmen. Die Sachverständigen hielten das auch unter Berücksichtigung der von der Antragsgegnerin und der X AG vorgetragenen Argumente für unplausibel (SVGA Seite 54 f.). Die Kammer schließt sich diesen überzeugenden Ausführungen an.
Unternehmerische Planzahlen, die die am Bewertungsstichtag mit zumutbarem Aufwand ermittelbaren und offenkundig auch tatsächlich ermittelten neuen Orderzahlen des nahezu abgeschlossenen ersten Halbjahres 2007 außer Betracht lassen, und die trotz wesentlicher, bei der Bewertung ins Gewicht fallender Änderungen weiter an veralteten früheren Planungen festhalten, erfüllen nicht die oben dargestellten Anforderungen an die unternehmerische Planung als Bewertungsgrundlage. Denn sie beruhen in diesem Fall nicht (mehr) auf „zutreffenden Informationen“, also richtiger Tatsachengrundlage (vgl. oben II. 2. und OLG Stuttgart, Beschluss vom 27. Juli 2015 – 20 W 5/14 –, Rn. 75, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 26. Oktober 2006 – 20 W 14/05 –, Rn. 28, juris; OLG München, Beschluss vom 14. Juli 2009 – 31 Wx 121/06 –, Rn. 12, juris).
(2) Abgrenzung zwischen „unterem“ und „oberem Schwellenwert“
In Bezug auf die Zahl der Derivate-Orders und das Provisionsergebnis halten die Sachverständigen im Gutachten vom 12. November 2012 zwei Szenarien für plausibel, die sie als „unteren“ und „oberen“ Schwellenwert bezeichnen. Sie sprechen insoweit von einer „Anpassungsbreite“ (SVGA Seite 56), die sie zum Ausgangspunkt für weitere Berechnungen nehmen.
Der von den Sachverständigen als solche bezeichnete „untere Schwellenwert“ von 10.839 Tsd. Derivate-Orders für 2007 entspricht der bereits erwähnten aktualisierten Einschätzung der Gesellschaft zum Bewertungsstichtag (vgl. SVGA Seite 51, 56). Ausgehend vom Ist-Wert der Orderzahl Derivate 2006 von 8.967 Tsd. bedeutet das eine Steigerung im Bereich der Orderzahlen bei Derivaten von rund 21%. Die bezogen auf die Orderzahl bei Aktien einschließlich ETF von den Sachverständigen nicht beanstandete Planung der Gesellschaft implizierte in diesem Bereich eine Steigerung von 1.063 Tsd. Orders auf 1.300 Tsd. Orders, also von rund 22% und damit eine annähernd gleich hohe Wachstumsrate, bezogen auf die Orderzahl. Bezogen auf die prognostische Steigerung der Orderzahlen, stellt sich aus Sicht der Kammer der „untere Schwellenwert“ von 10.839 Tsd. bei Derivaten als ausgewogene Prognose dar. Von einer deutlich über dem „unteren Schwellenwert“ von 10.839 Tsd. hinausgehenden Zahl von Derivate-Orders für 2007 auszugehen, würde bedeuten, in Bezug auf die Orderzahlen ein im Vergleich zu Aktien prozentual höheres Wachstum bei den Orderzahlen für Derivate anzunehmen.
Die von den Sachverständigen als „oberer Schwellenwert“ bezeichnete Zahl von 11.364 Derivate-Orders haben diese aus der Summe eines anhand der Ist-Zahlen bis Mai 2007 ermittelten „Forecast“ für das erste Halbjahr 2007 und einer Hochrechnung für das zweite Halbjahr ermittelt, die sie wiederum „auf Basis der angenommenen Entwicklung des zweiten Halbjahres im Verhältnis zum ersten Halbjahr 2007 des Provisionsergebnisses aus Aktien einschließlich ETF“, also durch einen Vergleich des am Bewertungsstichtag bereits nahezu realisierten Provisionsergebnisses bei Aktien im Vergleich zur Planzahl für das Gesamtjahr 2007 errechnet haben (SVGA Seite 56).
Die Kammer stand daher zunächst vor der Frage, ob für die Bewertung bei der zu erwartenden Zahl der Derivate-Orders ab 2007 eher vom „unteren“ oder eher vom „oberen Schwellenwert“ auszugehen ist.
Für die Heranziehung des „oberen Schwellenwerts“ bei der Prognose der Orderzahlen im Bereich Derivate ab 2007 könnte zwar auf den ersten Blick sprechen, dass die Steigerung der Zahl der Schlussnoten zwischen 2005 und 2006 bei Aktien einschließlich ETFs geringer ausgefallen ist als die jeweilige Steigerung der Zahl der Schlussnoten bei Derivaten, wie die folgende dem Konzern-Lagebericht 2006 (Seite 54) entnommene Grafik veranschaulicht:
…XXX Grafik XXX…
Die prozentualen Veränderungen zwischen 2005 und 2006 können aber nicht als repräsentativ angesehen werden, wie nachfolgend aufgezeigt wird.
Bei der Heranziehung der Zahl der Schlussnoten in der Vergangenheit zur Plausibilisierung der geplanten Orderzahlen wie auch für die Bildung eigener Erwartungswerte ist Zurückhaltung geboten: Denn erstens wurde die Berechnung der Schlussnoten ab dem Jahr 2005 umgestellt (GB 2006, Seite 58). Zweitens knüpfte das Transaktionsentgelt (von dem künftige Provisionsergebnisse im Wesentlichen abhingen) nach dem neuen Marktmodell, das für Derivate ab dem 01. Januar 2007 und für Aktien ab der zweiten Jahreshälfte 2007 galt, anders als bisher nicht mehr an die Anzahl der Schlussnoten an, sondern ausschließlich an das Volumen der ausgeführten Orders, was den Vorteil hatte, dass die Höhe des Börsenentgelts für eine ausgeführte Order im voraus berechenbar wurde. Die „technischen Schlussnoten“ entfielen (GB 2006, Seite 67). Die künftigen jährlichen Provisionserträge der X etwa bei Derivaten stellten sich nun im Wesentlichen als Produkt aus Orderzahl und durchschnittlichem (vom Ordervolumen abhängigen) Entgelt(anteil) dar. Angaben zur Orderzahl finden sich allerdings nur für die Jahre ab 2005, für die Zeit davor muss auf die Zahl der Schlussnoten zurückgegriffen werden (GB 2006, Seite 58). Im Konzernjahresabschluss 2006 (GB Seite 164) wird erläutert, dass eine Order mehrere Schlussnoten generieren kann, je nachdem wie viele Stellen zwischen dem Auftraggeber und dem an der Börse zugelassenen Handelsteilnehmer zwischengeschaltet werden. Die Erfassung der genauen Orderzahlen sei oftmals technisch aufwendig (gewesen). Dass die Gesellschaft vor Umstellung der Abrechnungsweise auf eine exakte Erfassung von Orderzahlen verzichtet hatte, ist nachvollziehbar, weil die Orderzahl – anders als nach dem neuen Marktmodell – seinerzeit nicht als primär relevante Handelskennzahl angesehen wurde.
Im Bewusstsein der fehlenden exakten Orderzahlen in der Vergangenheit und der ohnehin eingeschränkten Vergleichbarkeit von Order- und Schlussnotenzahlen hat die Kammer auf der Grundlage der im Geschäftsbericht 2006 angegebenen historischen Zahlen folgende eigene Berechnungen zur Entwicklung der tatsächlichen Schlussnotenzahlen zwischen 2002 und 2006 bei Derivaten einerseits, bei Aktien einschließlich ETF andererseits angestellt:
Die hieraus gewonnene Grafik
verdeutlicht, dass die Annahme, die Zahl der Schlussnoten entwickle sich bei Derivaten und bei Aktien einschließlich ETF parallel, jedenfalls für die Jahre vor dem Bewertungsstichtag damit nicht belegt werden kann. Das spricht gegen den Ansatz des „oberen Schwellenwerts“ bei der Orderzahl Derivate.
Die Sachverständigen verweisen zur Herleitung des „oberen Schwellenwerts“ auf ihre Analyse des Geschäftsjahres 2006, in der die Orderstückzahlen für Aktien einschließlich ETF eine „korrespondierende Entwicklung“ gezeigt habe (SVGA Seite 55). Nach den Feststellungen der Sachverständigen betrug allerdings im Bereich des Aktienhandels der Anteil des ersten Halbjahres 2006 an den gesamten Orders des Geschäftsjahres 57,3%, während im Bereich des Derivatehandels der Anteil des ersten Halbjahres 2005 an den gesamten Orders des Geschäftsjahres nur etwa 43% ausmachte und sich gerade bei den Derivaten die quartalsweisen Orderstückzahlen in den Geschäftsjahren 2005 bis 2006 uneinheitlich entwickelten; bezogen auf das zweite Halbjahr 2006 verglichen mit dem Gesamtjahr stimmte der jeweilige Anteil mit rechnerisch 42,7% (Aktien) und knapp 43% (Derivate) annähernd überein (SVGA Seite 47, 48, 50). Die dargestellte Uneinheitlichkeit der Entwicklung der Zahl der Derivate-Orders in der Vergangenheit spricht ebenfalls gegen den Ansatz des „oberen Schwellenwerts“.
Die Sachverständigen greifen bei der Herleitung des „oberen Schwellenwerts“ nicht unmittelbar auf den Vergleich zwischen Ist-Orderzahlen des ersten Halbjahres 2007 und den Planzahlen für das Gesamtjahr bei Aktien zurück, sondern auf das geplante Provisionsergebnis bei Aktien 2007 im Vergleich zum bereits erreichten Ist-Ergebnis (vgl. SVGA Seite 56). Der Rückgriff auf die Planung zum Provisionsergebnis bei Aktien 2007 zum Zwecke der Hochrechnung der Orderstückzahl oder das Provisionsergebnis bei Derivaten ist jedoch aus Sicht der Kammer nicht unproblematisch, weil der Wechsel vom Skontroführer zum QLP verbunden mit der Ausdehnung des neuen Marktmodells und des neuen Preisgefüges auf den Handel, bei Aktien anders als bei Derivaten unterjährig, und zwar erst Mitte des Jahres 2007, stattfand, während er bei Derivaten bereits Anfang 2007 vollzogen worden war.
Später zeigte sich im Übrigen, dass die Annahmen der Gesellschaft bezogen auf die Orderzahlen bei Aktien für 2007 zu optimistisch waren: Laut Konzern-Lagebericht 2007 blieb die Anzahl der ausgeführten Aktien-Orders mit (wohl gerundet) 1,1 Mio. Stück (+2%) tatsächlich relativ konstant (Konzern-Lagebericht 2007, nachfolgend zusammen mit dem Konzern-Jahresabschluss einheitlich „GB 2007“, Seite 50). In der Planung vom November 2006 war der Vorstand für den Bereich Aktien noch von einer Steigerung der Orderzahlen für 2007 gegenüber 2006 von rund 22,3% ausgegangen (vgl. zu den absoluten Planzahlen SVGA Seite 44). Die sich nach dem Stichtag ergebende Planunterschreitung bei der Orderzahl Aktien ist zwar wegen der Stichtagsbetrachtung für die auch vom Sachverständigen nicht beanstandete Planung im Bereich Aktien irrelevant, spricht aber dagegen, eine Korrelation der Orderzahlen und des Provisionsergebnisses bei Derivaten mit der diesbezüglichen Planung bei Aktien für das zweite Halbjahr 2007 anzunehmen oder von einer Parallelentwicklung beider Bereiche in Bezug auf die Orderzahlen auszugehen.
Das gesamte Provisionsergebnis war in den Jahren 2004 und 2005 auf ähnlichem Niveau geblieben, wie die Grafik im Konzern-Lagebericht 2006 (GB Seite 46 Abb. 14) veranschaulicht. Hingegen lag die Summe der Schlussnoten bezogen auf Derivate und Aktien einschließlich ETF im Jahr 2006 um rund 10,7% höher als noch 2005, wie sich aus der obigen Tabelle ergibt. Auch das spricht dagegen, bei der Prognose von einer Korrelation zwischen Schlussnoten-/ Orderzahlen und Provisionsergebnis auszugehen.
Sowohl die Entwicklung der Orderzahl bei Derivaten als auch das in diesem Bereich zu erzielende Provisionsergebnis dürften von verschiedenen Faktoren abhängen, u.a. auch von potentiellen Marktanteilsverlusten der Gesellschaft gerade im Bereich Derivate. Denn die Gesellschaft stand bei Derivaten mit anderen deutschen Börsenplätzen, insbesondere Frankfurt, im Wettbewerb um den Anleger. Im Geschäftsjahr 2006 hatte die Gesellschaft ihren Marktanteil sowohl bezogen auf Anlage- und Hebelprodukte zwar erhöhen können (vgl. GB 2006, Seite 56). Nach dem Konzern-Lagebericht 2006 rechnete die Gesellschaft aber beispielsweise mit einer wahrscheinlichen Preissenkung der Börse Z mit Sitz in Z; die Intensität des Preis- und Leistungswettbewerbs im Handel mit verbrieften Derivaten habe sich mit dem steigenden Marktvolumen und der zunehmend reifenden Marktstruktur deutlich erhöht. Die Gesellschaft sprach von zunehmendem Wettbewerbsdruck (GB 2006, Seite 41, 56, 68, 70). Die folgende dem Konzern-Lagebericht 2006 entnommene Grafik (GB 2006, Seite 41 Abb. 12)
…XXX…
verdeutlicht mit dem Vergleich zwischen Börse Z und Börse NN, dass ein positiver Trend bezüglich des Orderaufkommens an einem Börsenplatz (2002 bis 2004 NN) nicht zwingend für einen ebenso positiven Trend an einem anderen deutschen Börsenplatz (2002 bis 2004 Abwärtstrend Z) spricht. Selbst bei unterstellt anhaltend hohem Interesse der Marktteilnehmer am Handel mit Aktien wie auch Derivaten in Deutschland im zweiten Halbjahr 2007 bedeutete das nicht zwangsläufig, dass sich der Derivatehandel im selben Maße wie bisher auch auf die Börse NN als Marktführer konzentrieren würde.
Die Sachverständigen erwähnen im Gutachten die Erwartung der Gesellschaft, dass der Marktanteil von 74,7% zum 31. Dezember 2006 insbesondere durch die Gründung der XETRA-basierten Derivatebörse ALEX (später: „Scoach“) durch Wettbewerber unter Druck geraten werde, verweisen aber zugleich auf die positive Einschätzung des Vorstands zur weiteren Entwicklung der Orders und Orderbuchumsätze (SVGA Seite 52 f.). Die Gesellschaft hatte zwar bereits in der Planung vom November 2006 durchaus mit einer beträchtlichen Steigerung der Orderzahlen bei Derivaten im Jahr 2007 verglichen zu den Vorjahren gerechnet (vgl. Wiedergabe der von der Gesellschaft erhaltenen „Basisinformationen“ in der Tabelle SVGA Seite 44). Diese Annahmen waren jedoch, wie bereits erörtert, am Bewertungsstichtag durch die tatsächlich noch wesentlich positivere Entwicklung bis dahin bereits überholt. Die Gesellschaft selbst ging nun nicht mehr von 10.121 Tsd. Orders bei Derivaten aus (wie noch im Bewertungsgutachten zugrunde gelegt, BewGA Seite 26), sondern in einer „aktualisierten Einschätzung“ von 10.839 Tsd. Derivate-Orders für 2007 (SVGA Seite 51, 56). Dieser nach Einschätzung der Kammer realistische „untere Schwellenwert“ bedeutet eine weitere Erhöhung, die sich – abhängig vom Preisgerüst (dazu noch später) – zugunsten der abzufindenden Minderheitsaktionäre auswirken kann. Die Abweichung von über 7% im Vergleich zu den im Bewertungsgutachten genannten Zahlen fällt nicht mehr unter eine etwaige „Planungstoleranz“.
Die Antragsgegnerin trägt vor, dass (jedenfalls auch) die Volatilität und die davon abhängige Handelsintensität der Marktteilnehmer die Orderzahlen bestimme (Schriftsatz vom 29. Mai 2013, Seite 19, Bl. 884 d.A.). Die Sachverständigen verweisen diesbezüglich auf eigene Analysen des die implizite Volatilität des den DAX-Index abbildenden VDAX (SVGA Seite 54). Die folgende Analyse der Kammer
zeigt zwar eine gewisse Tendenz in dem Sinne, dass in Quartalen, in denen die am VDAX gemessene Volatilität (der DAX-Aktien) gestiegen ist, sich häufig auch die Orderzahlen bei Derivaten erhöht haben. Es gibt aber auch gegenläufige Entwicklungen. So sank die Volatilität gegen Ende des 4. Quartals 2005 zum Jahreswechsel auf ein mit dem Anfang des 3. Quartals 2005 vergleichbares Niveau, während die Orderzahlen des 4. Quartals 2005 höher lagen als diejenigen des 3. Quartals 2005. Im Sommer 2006 stieg die Volatilität deutlich an, während die Zahl der Derivateorders deutlich zurückging. Selbst wenn man von der Volatilität Rückschlüsse auf die Entwicklung der Orderzahlen bei Derivaten an der Börse NN ziehen könnte, was wegen der anzunehmenden Überlagerung durch weitere Faktoren schon nicht eindeutig festzustellen ist, bleiben die Schwierigkeiten, die künftige Volatilität zu prognostizieren, wenn man mithilfe dieser Kennzahl Erwartungswerte hinsichtlich der Orderzahlen bei Derivaten generieren wollte.
Andere Möglichkeiten der sichereren Bestimmung eines realistischen Erwartungswerts der Orderzahlen bei Derivaten gibt es aus Sicht der Kammer nicht. Nach alledem gelangt die Kammer zu der Einschätzung, dass bezüglich der Orderstückzahl bei Derivaten für 2007, von der am Bewertungsstichtag ausgegangen werden konnte, aber auch musste, der „untere Schwellenwert“ von 10.839 Tsd. Orders als der am Stichtag realistische Erwartungswert anzusehen ist und im Rahmen des § 287 Abs. 2 ZPO den „bestmöglichen Schätzer“ bildet. Diese Orderstückzahl ist auch aus Sicht der Sachverständigen ein „plausibles Szenario“ (SVGA Seite 56).
bbb. Schätzung der Zahl der Derivate-Orders 2008 und 2009
Die Bewertungsgutachterin hat für 2008 rechnerisch ein Wachstum von 10% gegenüber dem Vorjahr und für 2009 eine weitere Zunahme der Orderzahlen bei Derivaten von 6% zugrunde gelegt, freilich ausgehend von einem zum Bewertungsstichtag zu niedrigen Ausgangswert bei der Prognose der Derivate-Orderzahl für 2007. Die den Planzahlen immanenten Annahmen der Wachstumsraten hat sie mit der „anhaltend positiven Marktentwicklung“ begründet (BewGA Seite 26). Ausgehend von dieser Begründung und den zugrunde gelegten Wachstumsraten bezüglich der Orderzahl bei Derivaten, führt die erforderliche Anpassung der Orderzahl 2007 bei Derivaten im Sinne des „unteren Schwellenwerts“ konsequenterweise auch zur Anpassung des Mengengerüsts für 2008 und 2009 (mit jeweils +10% bzw. +6%), wie von den gerichtlich beauftragten Sachverständigen im Ergänzungsgutachten noch einmal als sachgerecht bestätigt (ErgGA Seite 87 zu Frage 1c).
Es gibt keine tatsächlichen Anhaltspunkte oder ökonomischen Begründungsansätze dafür, dass die X AG bei ihrer Planung für die gesamte Detailplanungsphase von einer insgesamt konstanten Gesamtorderzahl (Derivate) ausgegangen sein könnte, die sich bei höherem Ausgangswert 2007 nur anders verteilen würde. Zu einem etwaigen „vorweggenommenen“ Wachstum 2007 ist auch im Rahmen der Ergänzungsbegutachtung trotz diesbezüglicher Plausibilisierungsfragen nichts konkretes, insbesondere keine Quantifizierung von Annahmen zur Marktentwicklung, vorgetragen worden (vgl. ErgGA Seite 87).
Die Antragsgegnerin vertritt die These, es sei bezüglich 2008 und 2009 von einem „Fortbestand“ der Ursprungsplanung auszugehen (Bl. 884 d.A.), und behauptet, in Frageform gekleidet, dass „bei einer Erhöhung der Ausgangsbasis für 2007 mit einer Reduktion der Wachstumsrate für die Folgejahre zu rechnen“ sei. Diese Thesen sind unplausibel, wie durch das Ergänzungsgutachten bestätigt (ErgGA Seite 83, 87).
Bei Erstattung des Bewertungsgutachtens (11. Mai 2007) bestand aus Sicht der Kammer objektiv noch Unsicherheit, was etwa die Frage betraf, ob und wieviele Emittenten und Handelsteilnehmer, die nach dem alten Markt- und Entgeltmodell Papiere an der Börse NN gehandelt hatten, das neue Markt- und Entgeltmodell akzeptieren oder zu anderen Börsen „abwandern“ würden. Am Bewertungsstichtag gab es jedoch, wie aus einer Erklärung gegenüber den Sachverständigen hervorgeht, diesbezüglich konkretisierte Erkenntnisse: Sämtliche Emittenten hatten bis dahin dem neuen Marktmodell zugestimmt, so dass nunmehr Klarheit über die Akzeptanz der Handelsmodelle bestand (ErgGA Seite 37). Etwaige zuvor bestehende Unsicherheiten waren mithin weggefallen und konnten es nicht (mehr) rechtfertigen, die im Derivatehandel bei Orderstückzahlen im Mai 2007 angenommenen Wachstumsraten für 2008 und 2009 (+10% bzw. +6% gegenüber dem jeweiligen Vorjahresplanwert) im Falle eines erhöhten Basiswertes für 2007 faktisch nach unten zu korrigieren.
Damit ist festzuhalten, dass die Planung auch bezüglich der Orderzahlen (Derivate) für 2008 und 2009 am Bewertungsstichtag nicht mehr realistisch war. Die bei Erstattung des Bewertungsgutachtens vom Mai 2007 eingeflossene, gegenüber der Planung vom November 2006 schon erhöhte Orderzahl war am Bewertungsstichtag noch zu niedrig.
ccc. Schätzung des durchschnittlichen Provisionsergebnisses pro Derivate-Order
Bei Erstattung des Bewertungsgutachtens veranschlagte die Bewertungsgutachterin bei geplanten 10.121 Tsd. Derivate-Orders für 2007 ein hieraus resultierendes Provisionsergebnis von 32.242 TEUR (BewGA Seite 22 und 26; SVGA Seite 44). Dabei handelt es sich um den vereinbarten, oben bereits erwähnten prozentualen Anteil der X AG am neuen, einheitlichen Transaktionsentgelt. Diesen Anteil am Transaktionsentgelt erhielt die Gesellschaft für die seit 01. Januar 2007 im Bereich Derivate eingenommene neue Rolle des „QLP“ auf der Grundlage des neuen Entgeltmodells von der Börse (Bl. 445, 649, 651 d.A.; GB 2006, Seite 71 f.; GB 2007, Seite 116; vgl. außerdem oben A. I. 3.). Die Kammer hat geprüft, welche Auswirkungen die von der X AG selbst zum Bewertungsstichtag angenommene und auch aus Sicht der Kammer realistische erhöhte Derivate-Orderzahl von 10.839 Tsd. für 2007 auf den Erwartungswert beim Provisionsergebnis bei Derivaten haben musste.
(1) Behauptungen der X AG und der Antragsgegnerin
Die X AG behauptete im Rahmen der Ergänzungsbegutachtung gegenüber den gerichtlich beauftragten Sachverständigen, man habe „keinen Anstieg des Provisionsergebnisses“ erwartet, „da die Emittentenrabatte das Wachstumspotenzial beschränkten und tendenziell mit einem weiteren Rückgang des Provisionsergebnisses 2007 gegenüber dem Bewertungsgutachten gerechnet werde“ (ErgGA Seite 70 f.).
Die Antragsgegnerin behauptet, dass am Bewertungsstichtag 29. Juni 2007 trotz gestiegener Orderzahlen (Derivate) damit gerechnet werden musste, dass die „Ergebnis-Planzahlen für 2007 nicht zu erreichen sind“. Sie trägt vor, eine „Aktualisierung X AG“ zum Bewertungsstichtag habe sogar zu einem um 157 TEUR geringeren Provisions-Gesamtergebnis (nunmehr 41.473 TEUR) geführt (Bl. 886 d.A.). Auffällig ist, dass das im Spruchverfahren behauptete Absinken des für 2007 geplanten Provisionsergebnisses (sei es bei Derivaten trotz gestiegener Orderzahlen, sei es für alle betroffenen Handelsbereiche zusammengenommen) weder in der „Vollständigkeitserklärung“ des Vorstands der X AG noch in der „Aktualitätserklärung“ der Bewertungsgutachterin noch in der Stichtagserklärung der sachverständigen Prüferin erwähnt ist (Anl. AG 9, 10, 11). Die gegenteilige Behauptung der Antragsgegnerin, der Rückgang des Plan-Provisionsergebnisses von 41.630 TEUR (Stand Bewertungsgutachten) auf 41.473 TEUR sei in der „Aktualitätserklärung“ der Bewertungsgutachterin „bestätigt“ worden (Bl. 886 d.A.), ist nicht nachvollziehbar und durch den Inhalt der vorgelegten Erklärung nicht belegt.
Die Antragsgegnerin versucht, die angeblich rückläufigen Erwartungen beim Provisionsergebnis am Bewertungsstichtag auf ein bei steigender Orderzahl sinkendes Entgelt je Order aufgrund der im neuen Entgeltmodell vorgesehenen Rabatte und Entgeltobergrenzen zurückzuführen. Dem Ergänzungsgutachten der Sachverständigen kann entnommen werden, dass die Gesellschaft „im Rahmen der Stichtagserklärung“ (jedoch ohne dies dort offenzulegen) bei 10.839 Tsd. Derivate-Orders mit einem Durchschnittsprovisionsertrag von 2,97 EUR (statt 3,19 EUR pro Order bei 10.121 Tsd. Orders) kalkuliert habe (ErgGA Seite 71). Zugleich trägt die Antragsgegnerin aber selbst vor, dass eine Erhöhung der Orderzahl wegen der Ausgestaltung des neuen Entgeltmodells „im schlechtesten Fall zu konstanten Ergebnissen für die X AG“ führen konnte (Bl. 887 d.A.).
(2) Widerspruch zu anderen Planannahmen
Die Annahme eines trotz erhöhter planmäßiger Derivate-Orderzahl gleichbleibenden oder sogar rückläufigen Plan-Provisionsergebnisses bei Derivaten für 2007 stünde im Widerspruch zu weiteren Planannahmen, die bei der Bewertung getroffen wurden. Denn die X AG selbst hat bezogen auf den gesamten Detailplanungszeitraum 2007 bis 2009 damit gerechnet, dass höhere Orderzahlen bei Derivaten auch zu entsprechend höheren Provisionsergebnissen führen würden. Das zeigt die tabellarische Gegenüberstellung der laut Bewertungsgutachten im Mai 2007 getroffenen Annahmen (BewGA Seite 22, 26; vgl. auch SVGA Seite 44):
Wenn seit 01. Januar 2007 von unveränderten Entgeltkonditionen der Börse für den Gesamtzeitraum 2007 bis 2009 bezogen auf den Derivatehandel auszugehen war, wenn man also für 2007 bis 2009 bei Derivaten von einem unveränderten Preisgerüst auszugehen hatte, und wenn sich auch der vertraglich vereinbarte prozentuale Anteil der X AG am einheitlichen Transaktionsentgelt in diesen Jahren planmäßig nicht änderte (vgl. dazu oben A. I. 3.), dann musste eine erhöhte planmäßige Orderzahl, von der wie bereits ausgeführt am Bewertungsstichtag auszugehen war (vgl. dazu oben aaa.), auch zu einem erhöhten planmäßigen Provisionsergebnis bei Derivaten führen. Unter diesen Prämissen ein gleichbleibendes oder gar sinkendes Provisionsergebnis bei Derivaten zu planen, wäre mit dem Gebot der Widerspruchsfreiheit der Planung unvereinbar (zur Mindestanforderung der widerspruchsfreien Planung bei der gerichtlichen Prüfung OLG Stuttgart, Beschluss vom 27. Juli 2015 – 20 W 5/14 –, Rn. 75; OLG Frankfurt, Beschluss vom 24. November 2011 – 21 W 7/11 –, Rn. 48, juris sowie oben II. 2.).
Musste bei sachgerechter, realistischer Planung am Bewertungsstichtag nun von 10.839 Tsd. Derivate-Orders ausgegangen werden, so war auch das mit 32.242 TEUR in die Bewertung eingeflossene geplante Provisionsergebnis bei Derivaten für 2007 nicht mehr realistisch, sondern anzupassen – und zwar nach oben, nicht nach unten.
(3) Quantifizierung durch die Sachverständigen
Die gerichtlich beauftragten Sachverständigen führten im Ergänzungsgutachten – unter Berücksichtigung der Argumente der Antragsgegnerin – unmissverständlich aus, dass sie den Planwert von 41.630 TEUR für das gesamte Provisionsergebnis 2007 als unplausibel einstufen (ErgGA Seite 71). Im Ausgangsgutachten kamen sie bezogen auf den Derivatehandel für 2007 zu einem auf 34.529 TEUR erhöhten Provisionsergebnis Derivate (SVGA Seite 58, „unterer Schwellenwert“), was eine substantielle Erhöhung um nominal etwa 2.287 TEUR und prozentual rund 7% bedeutet.
Die Antragsgegnerin wirft den Sachverständigen eine fehlerhafte Berechnung des Provisionsergebnisses vor (Bl. 886 f. d.A.). Im Ausgangspunkt noch nachvollziehbar ist die Kritik der Antragsgegnerin, die Sachverständigen seien trotz „angepasster Orderzahl“ von einem im jeweiligen Planjahr gleichbleibenden rechnerischen Durchschnittsentgelt je Order (2007: 3,19 EUR; 2008: 3,12 EUR; 2009: 3,09 EUR) ausgegangen und hätten dabei die Auswirkungen des neuen Entgeltmodells der Börse NN nicht hinreichend berücksichtigt. Eine lineare Fortschreibung – gemeint ist damit der unveränderte Ansatz eines identischen Durchschnittsentgelts pro Order auch bei erhöhter prognostizierter Orderzahl – sei nicht korrekt (Bl. 886 f. d.A.).
Auf diesen Kritikpunkt sind die Sachverständigen jedoch in ihrem Ergänzungsgutachten eingegangen (vgl. ErgGA Seite 10, 71 ff.). Sie halten darin u.a. fest, dass sich selbst nach der von der Bewertungsgutachterin im Rahmen der Ergänzungsbegutachtung beim „Kick-off Meeting“ am 13. April 2016 präsentierten Neuberechnung des Provisionsergebnisses wegen höherer zu planender Orderzahl noch eine Erhöhung des Provisionsergebnisses um 1.772 TEUR ergab (anstelle der von den Sachverständigen zunächst selbst veranschlagten Erhöhung um 2.287 TEUR wegen gestiegener Orderzahl, vgl. oben; ErgGA Seite 11). Das von der Antragsgegnerin behauptete Absinken des zu planenden Provisionsergebnisses bei höherer Orderzahl ist somit bereits durch diese im Auftrag der Antragsgegnerin durchgeführte Neuberechnung widerlegt.
Bei der Neuberechnung des mit dem „unteren Schwellenwert“ der Derivate-Orders korrespondierenden Provisionsergebnisses im Ergänzungsgutachten haben die Sachverständigen dem Einwand der Antragsgegnerin, soweit er das geringere Durchschnittsentgelt pro Order betrifft, hinreichend Rechnung getragen. Sie kommen hier zu einem modifizierten Provisionsergebnis (Derivate) von 34.087 TEUR für 2007 und zu entsprechend korrigierten Werten für 2008 und 2009 (ErgGA Seite 81).
(4) Plausibilitätsüberlegungen unter Berücksichtigung des neuen Entgeltmodells
Aus Sicht der Kammer spricht insbesondere folgende Überlegung gegen die Plausibilität der „Bewertungsannahme“, trotz erhöhter prognostizierter Orderzahl bleibe das Provisionsergebnis gleich oder verringere sich sogar noch:
Das neue, ab 01. Januar 2007 maßgebliche Entgeltmodell beim Derivatehandel an der Börse NN war bereits 2006 festgelegt und zum Zeitpunkt der Erstattung des Bewertungsgutachtens im Mai 2007 seit Monaten praktiziert worden. Die im Bewertungsgutachten dargestellte „Emittentenrabattstaffelung“ und die Entgeltobergrenze für Emittenten („Cap“, vgl. BewGA Seite 23) konnten schlimmstenfalls dazu führen, dass eine zusätzliche Order im Bereich Derivate nicht mit einem zusätzlichen Provisionsertrag von Seiten des Emittenten verbunden war. Sie konnten jedoch nicht dazu führen, dass realistischerweise sämtliche über die in die Bewertung eingeflossenen 10.121 Tsd. Orders hinausgehenden zusätzlichen Orders beim Provisionsertrag mit einem „Nullergebnis“ hätten veranschlagt werden dürfen. Berücksichtigt man noch die von Anlegern bezahlten Transaktionsentgelte, von denen die X AG nach dem neuen Entgeltmodell ebenfalls einen substantiellen Anteil erhielt, und die weder von den „Emittentenrabatten“ noch von dem zugunsten der Emittenten vereinbarten „Gebühren-Cap“ profitierten, so erweist sich die Annahme, eine höhere Zahl von Derivate-Orders führe bei unveränderter Preisstruktur zu niedrigeren Provisionserträgen, als vollkommen unplausibel.
Die Sachverständigen berichten im Ergänzungsgutachten in diesem Zusammenhang von ihren weiteren Nachforschungen, von bei der Gesellschaft angeforderten Unterlagen, (sinngemäß) ausweichenden Antworten und fehlenden Datenlieferungen (ErgGA Seite 72 ff.) und halten als Zwischenergebnis die fehlende Plausibilität der These fest, dass eine deutliche Erhöhung der Orderzahlen praktisch keine Auswirkungen auf das Provisionsergebnis haben soll (ErgGA Seite 75). Die Ausführungen der Antragsgegnerin in ihrer Stellungnahme vom 12. Oktober 2018 zum Ergänzungsgutachten (Bl. 1103 ff. d.A.) bieten insoweit nichts Erhellendes. Die Kammer schließt sich daher in Bezug auf die fehlende Plausibilität den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen an.
(5) Berechnungen der Kammer
Die Quantifizierung des Prognose- und damit Bewertungsfehlers erweist sich als schwierig.
Die Gesellschaft hat trotz dokumentierter Plausibilisierungsanfragen der Sachverständigen im Rahmen der Ergänzungsbegutachtung keine Substantiierung oder weitere Differenzierung vorgenommen, die eine exaktere Einschätzung des Erwartungswerts bezüglich des durchschnittlich erzielbaren Entgelts pro Order in Abhängigkeit von der Prognose der Orderzahl für ein Jahr erlauben würde. Die Sachverständigen nennen im Ergänzungsgutachten (ErgGA Seite 75) etwa Angaben zur Aufteilung der Order zwischen Handelsteilnehmern einerseits (für die es z.B. keine Emittentenrabatte, aber ein Mindest- und Höchstentgelt unabhängig vom Volumen der Order gab) und Emittenten andererseits (denen Emittentenrabatte und eine Deckelung des jährlichen Transaktionsentgelts eingeräumt worden waren, vgl. zum Ganzen oben A. I. 3.). Es dürfte auch mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein, genaue Prognosen zur Aufteilung der Orderzahlen nach deren Auslösung durch Handelsteilnehmer oder Emittenten, zum jeweiligen Transaktionsvolumen und zur statistischen Einordnung der von Marktteilnehmern voraussichtlich veranlassten Derivate-Orders in die Entgeltstufen sowie zu den emittentenbezogenen Entgeltparametern, Nachlässen und zur Frage aufzustellen, ob und bei welchen Emittenten zu erwarten war, dass die Deckelung des jährlichen Transaktionsentgelts zum Tragen kommen würde.
Die Sachverständigen haben im Ergänzungsgutachten eigene Berechnungen vorgenommen. Ausgehend von der gemäß Planung vom Mai 2007 angenommenen Orderzahl von 10.121 Tsd. (Derivate) im Vergleich zur ursprünglichen Planzahl von 8.957 Tsd. Stand November 2006 ermitteln sie rechnerisch einen sich für die X AG ergebenden Anstieg des Durchschnittspreises je Emittentenorder um 0,21 EUR auf 5,24 EUR und des Durchschnittsentgelts je Order um 0,06 EUR auf 3,19 EUR (ErgGA Seite 78).
Zur weiteren Untersuchung der Plausibilität der Planung nimmt die Kammer im Wege der Schätzung (§ 287 ZPO) basierend auf den Angaben im Bewertungsgutachten und den insoweit übereinstimmenden, im Sachverständigengutachten wiedergegebenen „Basisinformationen“ zur Planung vom Mai 2007 für die Jahre 2007 bis 2009 folgende Berechnungen vor:
Die grafische Veranschaulichung zeigt einen nahezu linearen Verlauf; bei genauerer Analyse ergeben sich eine logarithmische Trendlinie und die Formel
y = 27.438 * ln (x) – 220.825,
wobei x für die zu planende Orderzahl und y für das hieraus prognostisch resultierende Provisionsergebnis stehen. Bei Anwendung dieser Formel im Wege der Schätzung, die dann ohne eine retrospektive Betrachtung auskommt, ergeben sich folgende Erwartungswerte für das Provisionsergebnis bei Derivaten:
Die interpolierenden Berechnungen der Sachverständigen, die jedoch u.a. auf Ist-Werte 2007 zurückgreifen und keine logarithmische Funktion, sondern eine lineare Funktion zugrunde legen, führen zu nahezu identischen Ergebnissen, wenn man die Werte zum „unteren Schwellenwert“ betrachtet, was wie oben erörtert sachgerecht erscheint (2007: 34.087 TEUR; 2008: 36.761 TEUR; 2009: 38.452 TEUR; vgl. ErgGA Seite 81; Abweichung jeweils < 1%).
Zur Abrundung: Ein – sowohl für die Beurteilung der Planung als auch für die eigenständige gerichtliche Prognose zum Bewertungsstichtag sicher unzulässiger – retrospektiver Vergleich mit den Ist-Zahlen (laut Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 29. Mai 2013, Seite 25, Bl. 890 d.A.) würde für 2007 und 2008 folgendes ergeben:
Die von der Antragsgegnerin mit dem Ziel der vermeintlichen Erschütterung der Ausführungen der Sachverständigen vorgenommene retrospektive Betrachtung (Bl. 889 ff. d.A.) verbietet sich allerdings nicht nur aus grundsätzlichen Erwägungen heraus, sondern hier im Besonderen wegen der am Bewertungsstichtag 29. Juni 2007 noch nicht vorhersehbaren und von der X AG seinerzeit in ihrem tatsächlichen Umfang auch nicht eingeplanten „Subprime-“ und Finanzkrise, die am 9. August 2007 mit dem sprunghaften Anstieg der Zinsen für Interbankfinanzkredite begann und die ihren Höhepunkt mit dem Zusammenbruch der US-amerikanischen Großbank Lehman Brothers über ein Jahr später, am 15. September 2008 hatte. Dabei handelt es sich um Ereignisse und Entwicklungen, die ab Januar 2008, verstärkt ab Mai 2008 auf den DAX und den Dow Jones durchschlugen, die zu einer „Anlegerzurückhaltung“ führten und nachvollziehbar auch bei der X AG Spuren hinterließen. Im 4. Quartal 2008 wurde etwa der Handel mit von Lehman Brothers emittierten strukturierten Produkten an der Börse NN eingestellt (vgl. Geschäftsbericht 2008, Seite 18 ff.). Diese negative Entwicklung war jedoch am Bewertungsstichtag nicht vorhersehbar und muss deshalb auch bei der stichtagsbezogenen gerichtlichen Angemessenheitsprüfung außer Betracht bleiben. Allerdings zeigen die gerichtlichen Berechnungen eines Erwartungswerts für das Provisionsergebnis bei Derivaten 2007 und der Vergleich mit dem Ist-Ergebnis: Es gibt keinen Grund, die später von der tatsächlichen Entwicklung insoweit noch übertroffene gerichtliche Prognose als einen am Bewertungsstichtag nicht realistischen Wert anzusehen. Umgekehrt veranschaulicht die prozentuale Abweichung von den in die Bewertung eingeflossenen niedrigeren, nicht plausibel begründeten und in sich nicht widerspruchsfreien „Bewertungsannahmen“, dass es sich bei letzteren nicht um Erwartungswerte gehandelt haben kann.
(6) Zum Einwand zusätzlicher Handelsgebühren
Die Antragsgegnerin behauptet (Bl. 888 d.A.), dass der Anstieg der Orderzahlen auch zu zusätzlichen Handelsgebühren für die Orderabwicklung führe. Das sei im Erstgutachten unberücksichtigt geblieben. Der Einwand ist aus zwei Gründen nicht nachvollziehbar:
Erstens konnten Handelsgebühren für die X AG aus zusätzlichen (d.h. in den Planzahlen vom Mai 2007 nicht vorgesehenen) Derivate-Orders an der Börse NN nach dem neuen Entgeltmodell nicht entstehen. Die X AG wirkte nach dem neuen Marktmodell ab 01. Januar 2007 am Derivatehandel nicht mehr wie früher als Skontroführer durch Preisfeststellung mit, sondern war als „QLP“ tätig. Dafür erhielt sie, wie bereits dargestellt (A. I. 3.), beim Derivatehandel einen festen Anteil von 62% am einheitlichen Transaktionsentgelt, das nicht von ihr unmittelbar, sondern von der Börse vereinnahmt wurde. Im Zusammenhang mit dem Wegfall der „Schlussnotengebühr“ und der Umstellung auf das einheitliche, bereits bei Ordererteilung vorhersehbare Transaktionsentgelt entfielen insgesamt sogar Aufwendungen in Millionenhöhe (vgl. SVGA Seite 76), was allerdings wohl erst im Rahmen der „Stichtagsannahmen“ berücksichtigt wurde (zur Frage der Plausibilität der Bewertungsannahmen zum Verwaltungsaufwand noch später). Die bisherige Schlussnotengebühr war beim neuen Entgeltmodell im Transaktionsentgelt enthalten und wurde der X AG von der Börse nicht mehr gesondert berechnet (GB 2007, Seite 47, 111, 119; vgl. auch GB 2006, Seite 71; GB 2007, Seite 40, 42: „weitgehender Wegfall der Schlussnotengebühren im Zusammenhang mit dem neuen Marktmodell“; zum Wegfall bei Aktien etc. GB 2007, Seite 57).
Zweitens ist der Einwand der Antragsgegnerin zur vermeintlichen Nichtberücksichtigung von Handelsgebühren im Zusammenhang mit dem Provisionsergebnis auch deshalb nicht nachvollziehbar, weil die vorstehende rechnerische Betrachtung der Kammer zur Abhängigkeit des von der X AG voraussichtlich erzielbaren Durchschnittsentgelts pro Derivate-Order von der prognostizierten Orderzahl im jeweiligen Planjahr nicht auf Zahlenangaben zu Provisionserträgen, sondern auf die im Bewertungsgutachten zugrunde gelegten Zahlenangaben zu Provisionsergebnissen beruhen. Das Provisionsergebnis umfasst sowohl Provisionserträge als auch –aufwendungen. Etwaige mit Provisionserträgen zusammenhängende Aufwendungen sind hierbei bereits einkalkuliert (SVGA Seite 40 ff.).
(7) Ergebnis
Im Ergebnis bleibt festzuhalten: Die im Bewertungsgutachten zugrunde gelegten Annahmen zur Höhe des Provisionsergebnisses (Derivate) waren jedenfalls am Bewertungsstichtag nicht plausibel und nicht realistisch. Als Erwartungswerte anzusetzen waren bezogen auf den Detailplanungszeitraum:
Derivate-handel |
Prognose Orderzahl Derivate (in Tsd.) |
Prognose Provisions-ergebnis (in TEUR) (durch das Gericht) |
2007 |
10.839 |
34.099 |
2008 |
11.923 |
36.714 |
2009 |
12.638 |
38.313 |
bb. Provisionsergebnis Aktien einschließlich ETF, Renten etc.
Hinsichtlich der geplanten Provisionsergebnisse in den Segmenten Aktien einschließlich ETF, Renten und „J“ sieht die Kammer, auch mit Blick auf die Ausführungen im Sachverständigengutachten (SVGA Seite 48 ff.), keinen Korrekturbedarf. Die von den Sachverständigen quantifizierten Anpassungen des Provisionsergebnisses beruhen ausschließlich auf den erhöhten Erwartungswerten bei der Derivate-Orderzahl (SVGA Seite 58).
cc. Zusammenfassung zur Planung des Provisionsergebnisses
Die Bewertungsannahmen zum Provisionsergebnis waren im Segment Derivate nicht widerspruchsfrei und nicht plausibel. Realistischerweise war am Bewertungsstichtag von folgenden Erwartungswerten auszugehen:
c. Folgeanpassungen beim Personalaufwand
Die erhöhte Orderzahl bei Derivaten, von der gegenüber den Bewertungsannahmen (Stand 11. Mai 2007) auszugehen war, hatte Auswirkungen auf den zu planenden Personalaufwand.
Der Zusammenhang zwischen einer höheren Orderzahl und dem Personalaufwand zeigt sich bereits darin, dass die Bewertungsgutachterin im Bewertungsgutachten gegenüber der Ausgangsplanung vom November 2006 sowohl die erste Erhöhung des planmäßigen Provisionsergebnisses vorgenommen hatte („in Abstimmung mit der Gesellschaft“, BewGA Seite 19; dazu vgl. oben), als auch von einem höheren Personalaufwand ausgegangen war (zur Quantifizierung dieser ersten Anpassung ErgGA Seite 17).
Mit Blick auf die mit Mitarbeitern vereinbarten Leistungsboni (abhängig von der Erreichung individueller Ziele) und die mit Vorständen und Prokuristen vereinbarten Vertragstantiemen (abhängig vom realisierten Ergebnis nach Steuern) sowie die Möglichkeit der Mitarbeiter, durch einen Ertragsbonus am wirtschaftlichen Erfolg der X AG zu partizipieren (ErgGA Seite 22 f.), erscheint plausibel, dass ein aufgrund der aktualisierten Hochrechnung zur Zahl der Derivate-Orders zu erwartendes nochmals erhöhtes Provisionsergebnis auch eine Erhöhung des planmäßigen Personalaufwandes nach sich ziehen musste. Die von der X AG gegenüber den Sachverständigen im Rahmen der Ergänzungsbegutachtung abgegebene Erklärung, dass im Falle einer „weiteren Erhöhung der Orderzahlen“ von einem zusätzlichen Arbeitsaufwand auszugehen sei (ErgGA Seite 26), sowie der Hinweis der Gesellschaft, dass sich mit einer „Planübererfüllung“ das Budget für die variable Vergütung erhöhe (ErgGA Seite 28), sind aus Sicht der Kammer nachvollziehbar.
Ausgehend von den Planzahlen, die dem Bewertungsgutachten vom 11. Mai 2007 zugrunde lagen, und dem sich daraus rechnerisch ergebenden Durchschnitt von 99 Tsd. bearbeiteten Orders pro Mitarbeiter, errechneten die Sachverständigen folgenden zusätzlichen Personalaufwand: 1.211 TEUR für 2007, 934 TEUR für 2008 und 927 TEUR für 2009 (ErgGA Seite 27 ff., 31; aus bereits oben erörterten Gründen sind die Angaben zum „unteren Schwellenwert“ maßgeblich). Dieser plausibel begründete zusätzliche Personalaufwand bildet einen gegenläufigen Effekt zum erhöhten Provisionsergebnis.
d. Fehlende Plausibilität der Planzahlen zu (anderen) Verwaltungsaufwendungen
Zur Position „Verwaltungsaufwand“ gehörten bei der X neben den Personalaufwendungen die „anderen Verwaltungsaufwendungen“, die in früheren Geschäftsberichten wie auch bei der Planung und Bewertung gesondert ausgewiesen wurden und die sich in fixe und variable Verwaltungsaufwendungen untergliedern lassen (vgl. GB 2006, Seite 104; BewGA Seite 27). Auch in diesem Punkt waren die der Bewertung zugrunde gelegten Planzahlen am Bewertungsstichtag nicht realistisch. Die Sachverständigen kamen im Rahmen der Ergänzungsbegutachtung zu dem Ergebnis, dass sowohl die geplanten (d.h. in die Bewertung eingeflossenen) Ansätze als auch die Beträge, die die Bewertungsgutachterin in „Szenarioberechnungen“ eingestellt hatte, überhöht waren (ErgGA Seite 40). Die Kammer schließt sich diesem Votum nach eigener Analyse an.
Zu beanstanden ist jedenfalls die Planung der variablen Verwaltungsaufwendungen der X. Die variablen Verwaltungsaufwendungen setzten sich aus Aufwendungen für das gesetzliche Meldewesen (zu einem verhältnismäßig geringen Anteil, etwa 4,1% im Jahr 2005, 4,4% im Jahr 2006) und ansonsten aus Handelsgebühren (mit einem Anteil von > 95% in den Jahren 2005 und 2006) zusammen (d.h. Schlussnoten-, Abwicklungsgebühren und sonstige Handelsgebühren (GB 2006, Seite 127, 145). Die Handelsgebühren beliefen sich 2005 auf 5.442 TEUR und 2006 auf 6.047 TEUR (GB 2006, Seite 127). In der ursprünglichen Planung vom November 2006 setzte der Vorstand 5.633 TEUR für 2007 an. Im Rahmen der „Plananpassungen“, die in die Bewertung vom 11. Mai 2007 einflossen, legte die Bewertungsgutachterin dann einen (um 1.188 TEUR) auf 6.821 TEUR erhöhten Betrag bei den Handelsgebühren für 2007 zugrunde, so dass sich zusammen mit der unveränderten Planzahl für Aufwendungen für das gesetzliche Meldewesen planmäßige variable Verwaltungsaufwendungen von 7.149 TEUR ergaben (vgl. ErgGA Seite 38; BewGA Seite 27).
Mit der ersten Erhöhung der planmäßigen Derivate-Orderzahl auf 10.121 Tsd. kann die vorgenommene Erhöhung bezüglich der Handelsgebühren nicht erklärt werden, denn die erhöhte Orderzahl bei Derivaten verursachte schon wegen der Abschaffung der Schlussnotengebühr in diesem Segment zum 01. Januar 2007 keine zusätzlichen Handelsgebühren bei der X, wie bereits dargelegt (oben b. aa. ccc.[6]). Weder das Bewertungsgutachten (BewGA Seite 27) noch der Prüfungsbericht (PB Seite 24) enthalten eine nachvollziehbare Erklärung für die gegenüber der Ausgangsplanung vorgenommene, bei der Bewertung am 11. Mai 2007 zugrunde gelegte Erhöhung bei den planmäßigen Handelsgebühren. Auch die dokumentierten Nachfragen der Sachverständigen führten nicht zu einer plausiblen, widerspruchsfreien Erklärung (ErgGA Seite 38 ff.). Die vorgenommene (erste) Plananpassung (Erhöhung der geplanten variablen Verwaltungsaufwendungen) ist damit nicht plausibel.
Zum Bewertungsstichtag kalkulierten die X AG bzw. die Bewertungsgutachterin dann für das Jahr 2007 nur noch mit 4.383 TEUR Handelsgebühren, nahmen also einen Abzug von der am 11. Mai 2007 veranschlagten Planzahl in Höhe von 2.438 TEUR vor. Quantitativ wird das weder in der „Vollständigkeitserklärung“ des Vorstands noch in den „Stichtagserklärungen“ offengelegt. Die Anpassung nach unten ergibt sich jedoch aus dem Ergänzungsgutachten der Sachverständigen (vgl. ErgGA Seite 38).
Erstens fällt auf, dass der Abzugsbetrag (bis auf eine unwesentliche Differenz) dem Gesamtbetrag der Handelsgebühren entspricht, die im 1. Halbjahr 2007 tatsächlich anfielen, welches wiederum am Bewertungsstichtag nahezu abgeschlossen war (Halbjahresbericht X AG 2007, Seite 25; ErgGA Seite 38). Tatsächlich waren die früheren Schlussnotengebühren beim Derivatehandel aber bereits mit Ablauf des 31. Dezember 2006 weggefallen, und nur in den Segmenten Aktien, Anleihen und Renten kam die Abschaffung der Schlussnotengebühr erst ab dem 01. Juli 2007 zum Tragen (vgl. oben A. I. 3.). Für die Kammer ist offensichtlich, dass die sich dadurch ergebende Aufwandsreduzierung schon übersehen wurde, als man die Planzahlen für die Bewertung am 11. Mai 2007 in Bezug auf die variablen Verwaltungsaufwendungen erhöhte – obwohl die teils bereits vollzogenen Änderungen des Markt- und Entgeltmodells nicht erst mit Beschlussfassung durch den Börsenrat am 27.06.2007 (die das Segment Derivate überhaupt nicht mehr betraf), sondern schon bei Erstattung des Bewertungsgutachtens und des Prüfungsberichts vorhersehbar, „in der Wurzel angelegt“ und deshalb bei der Bewertung zu berücksichtigen waren (vgl. nur die Erwähnung in PB Seite 19).
Zweitens wurde der erst im Rahmen der Stichtagsbetrachtung von der Bewertungsgutachterin vorgenommene Abzug vom unzutreffenden, weil zuvor ohne plausible Begründung erhöhten Ausgangsbetrag vorgenommen.
Gleichwohl kann die Kammer feststellen, dass es sich bei den am Stichtag von der Bewertungsgutachterin bzw. der X AG selbst angesetzten 4.383 TEUR Handelsgebühren für 2007 um einen realistischen Erwartungswert handelte. Erstens beliefen sich die im ersten Halbjahr 2007 tatsächlich angefallenen Handelsgebühren auf 2.439 TEUR (vgl. Halbjahresbericht 2007, Seite 25 und ErgGA Seite 40) – obwohl die frühere Schlussnotengebühr im Derivatehandel bereits seit Jahresanfang entfallen war. Zweitens hat die Kammer ergänzend folgende rechnerischen Überlegungen zur möglichen Quantifizierung der notwendigen Korrektur der Vorstandsplanung vom November 2006 angestellt:
Hieraus ergäbe sich dann folgende Korrekturberechnung:
Das liegt im Spektrum der beiden in den „Szenarioberechnungen“ der X bzw. der Bewertungsgutachterin für die Handelsgebühren 2007 angegebenen Werte von 4.383 TEUR und 4.568 TEUR (vgl. ErgGA Seite 38). Auch diese nachträglich offengelegten Berechnungen der Bewertungsgutachterin zeigen, dass sowohl der in der ursprünglichen Planung vom November 2006 als auch der im Bewertungsgutachten vom 11. Mai 2007 zugrunde gelegte Planansatz für die Handelsgebühren 2007 (5.633 TEUR bzw. 6.821 TEUR) überhöht war. Zu diesem Ergebnis kamen auch die Sachverständigen, die in ihre weiteren Berechnungen Handelsgebühren von 4.383 TEUR eingestellt haben (ErgGA Seite 42). Da der letztgenannte Wert unter dem oben errechneten liegt und zudem als Angabe der Bewertungsgutachterin auch der X AG zurechenbar ist, geht die Kammer zugunsten der abfindungsberechtigten Minderheitsaktionäre im Wege der Schätzung von diesem Betrag aus. Der Betrag liegt um nominal 2.438 TEUR oder prozentual rund 36% unter dem in die Bewertung eingestellten Betrag. Die hohe Abweichung liegt außerhalb jeder „Planungstoleranz“ und zeigt, dass auch im Bereich der Handelsgebühren bei Erstellung des Bewertungsgutachtens mit unrealistischen Werten operiert wurde.
Die gegenüber dem Bewertungsgutachten wegen des Wegfalls der Schlussnotengebühren in jedem Fall erforderlichen Korrekturbeträge bei den „anderen Verwaltungsaufwendungen“, Position „Handelsgebühren“, ergeben sich für die Jahre 2007 bis 2009 aus der Tabelle im Sachverständigengutachten auf Seite 76 (Zeile „Wegfall Schlussnotengebühr“).
Die X AG bzw. die Bewertungsgutachterin gehen, wie sich aus dem Ergänzungsgutachten (ErgGA Seite 42) ergibt, selbst von einem darüber hinaus bestehenden Anpassungsbedarf bei den „anderen Verwaltungsaufwendungen“ aus.
e. Zusammenfassung
Bereits die vorstehend erörterten Unplausibilitäten der Bewertungsannahmen (Stand Bewertungsgutachten 11. Mai 2007) und die hieraus resultierenden Folgeanpassungen summieren sich zu folgenden Beträgen (Beträge mit positivem Vorzeichen: Ertragserhöhung, mit ergebniserhöhendem Effekt; Beträge mit negativem Vorzeichen: erhöhter Aufwand, mit ergebnisverringerndem Effekt), wobei weiterer Anpassungsbedarf im Hinblick auf die Planung zum Zinsergebnis an dieser Stelle ausgeklammert bleibt (dazu SVGA Seite 76):
Die Gesellschaft hält diesen Positionen ergebnismindernde Effekte aus zusätzlichen, erst im Rahmen der bereits angesprochenen „Stichtagsannahmen“ am Bewertungsstichtag angesetzten Aufwendungen („Zusatzaufwand Braintrade“, „Projektkosten“, „zusätzliche Abschreibungen IT“) entgegen, die in allen Detailplanungsjahren die Summe der ergebniserhöhenden Effekte mehr als kompensieren sollen (vgl. zu den Beträgen oben 3. c. und SVGA Seite 76).
Weder in den „Vollständigkeitserklärungen“ des Vorstands noch in der „Aktualitätserklärung“ der Bewertungsgutachterin oder der Stichtagserklärung der sachverständigen Prüferin finden sich Angaben zur Quantifizierung und Angaben, die eine Plausibilisierung ermöglichen würden oder die die Plausibilisierungstiefe durch die sachverständige Prüferin erkennen ließen – was insoweit weder für noch gegen die Plausibilität der „Stichtagsannahmen“ spricht.
Es bleibt festzuhalten: Die der Bewertung zugrunde gelegten Planzahlen (Stand 11. Mai 2007) waren in mehreren wesentlichen Punkten mindestens am Bewertungsstichtag nicht (mehr) plausibel, beruhten nicht (mehr) auf sachgerecht ermittelter Tatsachenbasis und waren in sich nicht in allen Punkten frei von Widersprüchen. Auf dieser Zahlengrundlage kann weder die Angemessenheit noch Unangemessenheit der im Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag vorgesehenen Abfindung und des dort vorgesehenen Ausgleichs gerichtlich festgestellt werden. Die bereitgestellten, dem Bewertungsgutachten zugrunde gelegten Planzahlen sind ohne tiefgreifende Anpassungen für eine Ertragswertberechnung untauglich, wie von den Sachverständigen zur Überzeugung der Kammer belegt.
5. Auswirkungen auf die Planzahlen zur „ewigen Rente“
Kann die Plausibilität der Ausgangsbasis (Planergebnisse 2007 bis 2009) nicht positiv festgestellt werden (vgl. oben 4.), so gilt dies auch für die Bewertungsansätze zum nachhaltigen Ergebnis. Denn von Ausnahmen bei einigen Positionen abgesehen, hat die Bewertungsgutachterin die Prognose zum nachhaltigen Ergebnis durch Fortschreibung der Planergebnisse des Detailplanungszeitraums mit angenommenen Wachstumsraten abgeleitet (vgl. BewGA Seite 28; PB Seite 30).
III. Neubewertung durch die Kammer als Konsequenz
Angesichts der obigen Feststellungen zur mangelnden Plausibilität wesentlicher Planzahlen (dazu oben II.) ist nach allgemeinen Grundsätzen (dazu oben I.) im vorliegenden Fall eine Neubewertung durch das Gericht unumgänglich. Die Kammer ist dabei in der Auswahl der Bewertungsmethode grundsätzlich frei, solange sie eine geeignete und aussagekräftige Methode wählt und methodenkonform anwendet, die gewährleistet, dass das gefundene Bewertungsergebnis zu einer angemessenen Abfindung führt, die nicht unter dem Verkehrswert der Aktie liegt (BGH, Beschluss vom 29. September 2015 – II ZB 23/14, Rn. 34). Denn es gibt nicht „den einen exakten oder wahren Unternehmenswert“ und auch keine als „einzig richtig“ anerkannte Methode zur Ermittlung des Verkehrswerts einer Aktie. Es kann nicht einmal festgestellt werden, dass eine der gebräuchlichen Methoden in der Wirtschaftswissenschaft unumstritten wäre (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 05. Juni 2013 – 20 W 6/10, juris Rn. 138).
Die Kammer wählt im vorliegenden Fall als marktwertorientierte Bewertungsmethode zur Ermittlung des Verkehrswerts der Aktie die Heranziehung von Börsenkursen, und zur Ermittlung des Unternehmenswerts der X AG die Hochrechnung des Börsenkurses mithilfe der Stückzahl der Aktien (wie hier bereits LG Stuttgart, Beschluss vom 03. April 2018 – 31 O 138/15 KfHSpruchG –, Rn. 69 ff., juris).
1. Relevanz des Börsenkurses bei der Unternehmensbewertung
a. Rechtsprechungsentwicklung
In Rechtsprechung und Literatur herrschte früher Skepsis, wenn es um die Heranziehung von Börsenkursen bei aktienrechtlichen Bewertungsfragen ging. Man glaubte, die Börsenkurse einer Aktie drückten allein die Bewertung durch kurzfristige und spekulative Anleger aus und seien für langfristig orientierte Anleger ohne jede Aussagekraft. Man hielt früher eine Differenzierung zwischen Börsenkurs und „wahrem Wert“ für erforderlich. Die Skepsis gegenüber Börsenkursen als Bewertungsgrundlage kommt beispielsweise in zwei BGH-Entscheidungen von 1967 und 1978 zum Ausdruck. Die Kursbildung an der Börse unterliege Angebot und Nachfrage, hänge aber auch „von der Größe oder Enge des Marktes, von zufallsbedingten Umsätzen, von spekulativen Einflüssen und sonstigen nicht wertbezogenen Faktoren wie politischen Ereignissen, Gerüchten, Informationen, psychologischen Momenten oder einer allgemeinen Tendenz“ ab. Der Börsenkurs unterliege „unberechenbaren Schwankungen und Entwicklungen“. Das schließe es aus, der Berechnung der angemessenen Abfindung den Börsenkurs zugrunde zu legen (BGH, Urteil vom 30. März 1967 – II ZR 141/64 –, Rn. 11, juris; vgl. auch BGH, Urteil vom 13. März 1978 – II ZR 142/76, BGHZ 71, 40-53, Rn. 27 „Kali & Salz“ zur Bewertung der Angemessenheit der Gegenleistung für bei einer Kapitalerhöhung ausgegebene neue Aktien, die „grundsätzlich nicht nach Börsenkursen, sondern nach dem "wirklichen", unter Einschluss stiller Reserven und des inneren Geschäftswerts zu ermittelnden Wert zu bestimmen sei; zum Ganzen Emmerich, in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht 8. Aufl. § 305 AktG Rn. 42; Riegger/Gayk, in Kölner Kommentar AktG 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rn. 65).
Das Bild, das sich die Rechtsprechung vom Börsenkurs gemacht hat, hat sich jedoch in den letzten Jahren gewandelt.
Das BVerfG hat 1999 formuliert: „Auszugleichen ist, was dem Minderheitsaktionär an Eigentum im Sinne von Art. 14 Abs. 1 GG verloren geht“. Dabei dürfe die Verkehrsfähigkeit als Eigenschaft des Aktieneigentums bei der Wertbestimmung des Eigentumsobjekts nicht außer Betracht bleiben. Weiter heißt es: „Darüber hinaus muss die Abfindung so bemessen sein, dass die Minderheitsaktionäre jedenfalls nicht weniger erhalten, als sie bei einer freien Deinvestitionsentscheidung ... (zum Zeitpunkt der Strukturmaßnahme) erlangt hätten“ (BVerfG, Beschluss vom 27. April 1999 – 1 BvR 1613/94, Rn. 54, 56). Die Beteiligung an einer börsennotierten Aktiengesellschaft ist gerade durch die besondere Verkehrsfähigkeit der Aktie geprägt. „Darin unterscheidet sich die Beteiligung an einer Aktiengesellschaft von anderen Unternehmensbeteiligungen. Vor allem trifft das auf Beteiligungen an börsennotierten Aktiengesellschaften zu, die es dem Gesellschafter, jedenfalls in Zeiten eines funktionierenden Kapitalmarktes, praktisch jederzeit erlauben, sein Kapital nach freiem Belieben zu investieren oder zu deinvestieren. Die Aktie ist aus der Sicht des Kleinaktionärs gerade deshalb so attraktiv, weil er sein Kapital nicht auf längere Sicht bindet, sondern sie fast ständig wieder veräußern kann“ (BVerfG, Beschluss vom 27. April 1999 – 1 BvR 1613/94 –, juris Rn. 55). Der Vermögensverlust, den der Minderheitsaktionär durch die Strukturmaßnahme erleidet, stelle sich für ihn als Verlust des Verkehrswerts der Aktie dar, und dieser Verkehrswert sei „regelmäßig mit dem Börsenkurs der Aktie identisch“ (BVerfG, Beschluss vom 27. April 1999 – 1 BvR 1613/94 –, juris Rn. 56, 60, 63).
Der BGH hat daraus zunächst abgeleitet, dem außenstehenden Aktionär müsse „grundsätzlich mindestens der Börsenwert als Barabfindung“ gezahlt werden. Börsenwert der Aktie und daraus gebildeter „Börsenunternehmenswert“ könnten zwar „mit dem nach § 287 Abs. 2 ZPO ermittelten Unternehmenswert sowie der quotal darauf bezogenen Aktie“ übereinstimmen (Anmerkung: mit dem „nach § 287 Abs. 2 ZPO ermittelten Unternehmenswert sowie der quotal darauf bezogenen Aktie“ dürfte hier der anteilige Ertragswert gemeint sein). Mit Rücksicht auf „unterschiedliche Ansätze“ der Bewertung durch den Markt und der Wertermittlung durch sachverständige Begutachtung könnten diese Werte aber auch differieren. Nach dem Beschluss des BVerfG von 1999 sei der Minderheitsaktionär zum Verkehrswert der Aktie abzufinden, wenn dieser Wert höher sei als der Schätzwert. Wenn jedoch der Schätzwert höher sei als der Börsenwert, stehe dem Aktionär der „höhere Betrag des quotal auf die Aktie bezogenen Schätzwertes zu“ (BGH, Beschluss vom 12. März 2001 – II ZB 15/00 –, juris Rn. 17, 21 „DAT/Altana“).
Das war so zu verstehen und wurde auch so verstanden, dass neben dem Börsenkurs als Untergrenze der Abfindung (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 05. Dezember 2013 – 21 W 36/12 –, juris Rn. 19) stets noch ein Wert „im Wege der Schätzung“ nach der Ertragswertmethode zu ermitteln sei. Der (durchschnittliche) Börsenkurs wurde somit nicht für die Ermittlung des Verkehrswerts der Aktie, sondern nur zu Kontrollzwecken im Sinne einer Plausibilitätsbeurteilung herangezogen (OLG Stuttgart, Beschluss vom 19. Januar 2011 – 20 W 3/09 –, Rn. 261, juris; vgl. Riegger/Gayk, in Kölner Kommentar AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rn. 74).
Das BVerfG hat jedoch in zwei Entscheidungen von 2011 und 2012 noch einmal betont, dass es um den Betrag geht, den die Minderheitsaktionäre „bei einer freien Deinvestitionsentscheidung“ erhalten hätten, und klargestellt: Erstens ist die Anwendung der Ertragswertmethode verfassungsrechtlich nicht geboten. Zweitens kann „bei Einhaltung bestimmter Mindeststandards“ (das Gericht verweist insoweit auf die Rechtsprechung des OLG) auch eine Bewertung allein anhand des Börsenkurses genügen. Drittens haben die Minderheitsaktionäre keinen Anspruch darauf, dass der anteilige Wert ihres Aktieneigentums nach allen erdenklichen Methoden ermittelt und die angemessene Abfindung nach dem „Meistbegünstigungsprinzip“ festgestellt wird (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26. April 2011 – 1 BvR 2658/10 – „Deutsche Telekom / T-Online“, juris Rn. 23, 24; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 16. Mai 2012 – 1 BvR 96/09, 1 BvR 117/09, 1 BvR 118/09, 1 BvR 128/09 –, juris Rn. 18; zur Ablehnung des „Meistbegünstigungsprinzips“ schon OLG Stuttgart, Beschluss vom 17. Oktober 2011 - 20 W 7/11 juris Rn. 69, 187 ff. zur Abfindung und Ausgleichszahlung nach BGAV).
In der „Stollwerck“-Entscheidung von 2010 hat der BGH ausgeführt, dass die angemessene Abfindung im entschiedenen Fall nach dem höheren Börsenwert der Aktie zu bestimmen sei, da dieser über dem nach dem Ertragswertverfahren ermittelten Schätzwert liege und keine Marktenge bestanden habe (BGH, Beschluss vom 19. Juli 2010 – II ZB 18/09 –, BGHZ 186, 229-242, Rn. 10). In der Entscheidung vom 29. September 2015 (II ZB 23/14 Rn. 33) hat der BGH schließlich die „marktorientierte Methode nach dem Börsenwert des Unternehmens“ als grundsätzlich gleichberechtigte Methode neben der Ertragswertmethode und anderen Bewertungsmethoden aufgezählt.
Bereits in der Entscheidung von 2001 zum Abschluss eines BGAV hatte der BGH ausgeführt, dass die Gleichstellung von Börsen- und Verkehrswert auf der Annahme beruht, dass „die Börse auf der Grundlage der ihr zur Verfügung gestellten Informationen und Informationsmöglichkeiten die Ertragskraft des Gesellschaftsunternehmens, um dessen Aktien es geht, zutreffend bewertet, der Erwerber von Aktien sich an dieser Einschätzung durch den Markt orientiert und sich daher Angebot und Nachfrage danach regulieren, so dass sich die Marktbewertung in dem Börsenkurs der Aktien niederschlägt. Beabsichtigt ein anderes - herrschendes - Unternehmen, sich dieses Gesellschaftsunternehmen mit seiner Ertragskraft im Rahmen eines Unternehmensvertrages zunutze zu machen, muss es bei der Verwirklichung seiner Intentionen diese Wertschätzung des Marktes akzeptieren und daran die Abfindung der außenstehenden Aktionäre ausrichten, die sich zum Ausscheiden aus der sich in die Abhängigkeit begebenden Gesellschaft entschließen“ (BGH, Beschluss vom 12. März 2001 – II ZB 15/00 –, juris Rn. 19). In der Entscheidung führt der BGH in anderem Zusammenhang sinngemäß aus, dass auch spekulative Entwicklungen an der Börse die Legitimität der dort zustande gekommenen Kurse nicht generell in Frage stelle. Das gelte selbst für „Abfindungsspekulationen“, solange sie nicht auf Börsenkursmanipulationen beruhten. Ein Anstieg der Börsenpreise aufgrund der Erwartung der Marktteilnehmer, infolge des Abschlusses eines BGAV eine günstige Abfindung erreichen zu können, beruhe „auf dem Marktgesetz, dass Angebot und Nachfrage die Preise bestimmen“ und zum anderen in der Markteinschätzung über die zu erwartenden unechten und echten Synergieeffekte (a.a.O. Rn. 29). Diese Überlegungen sprechen nach Auffassung der Kammer dafür, dass umgekehrt auch die anlässlich einer aktienrechtlichen Strukturmaßnahme abzufindenden Minderheitsaktionäre die „Wertschätzung des Marktes“ grundsätzlich akzeptieren, sich also in der Regel zum Börsenkurs abfinden lassen müssen (LG Stuttgart, Beschluss vom 03. April 2018 – 31 O 138/15 KfHSpruchG –, Rn. 107, juris).
Manche Gerichte vertreten nach wie vor die Auffassung, dass der Börsenkurs „stets nur als Mindestwert einer angemessenen Barabfindung anzusehen“ sei und gegebenenfalls ein höherer, nach dem Ertragswertverfahren berechneter Wert als Abfindung zugesprochen werden müsse (LG München I, Beschluss vom 28. April 2017 – 5 HK O 26513/11 –, juris Rn. 189 – in einem Fall, in dem das Gericht den Börsenkurs offenbar für aussagekräftig hielt, vgl. Rn. 183 ff.).
Das OLG Stuttgart hat hingegen bereits 2011 in einem Spruchverfahren ausgeführt, dass Börsenkurse grundsätzlich auch bei weniger liquiden Aktien „zur Plausibilisierung des mit anderen, nämlich fundamentalanalytischen Methoden ermittelten Werts“ berücksichtigt werden können (OLG Stuttgart, Beschluss vom 19. Januar 2011 – 20 W 3/09 –, Rn. 262, juris). Im entschiedenen Fall hätte sich rechnerisch nach dem Ertragswertverfahren eine Erhöhung der angebotenen Abfindung von 75,50 EUR um 4,54 EUR je Aktie (d.h. 6,02%) ergeben. Das Ergebnis einer Ertragswertberechnung stellt aber, wie das Oberlandesgericht ausgeführt hat, nicht als solches den Verkehrswert eines Unternehmens dar, sondern lediglich „einen von mehreren möglichen Anhaltspunkten für dessen Schätzung“. Im Hinblick darauf, dass der Börsenkurs deutlich unter 75,50 EUR gelegen hatte (im Dreimonatszeitraum vor der Ankündigung bei 26,41 EUR, im Dreimonatszeitraum vor dem Bewertungsstichtag bei 70,22 EUR), fiel die rechnerische Abweichung, die sich bei Anwendung der Ertragswertmethode ergeben hatte, noch unter die Geringfügigkeitsgrenze. Eine höhere Abfindung wurde daher nicht zugesprochen (OLG Stuttgart, Beschluss vom 19. Januar 2011 – 20 W 3/09 –, Rn. 17, 18, 252, 256, 262, 265). Die Entscheidung zeigt aus Sicht der Kammer, dass der Börsenkursentwicklung – zu Recht – entscheidende Bedeutung beigemessen wurde.
Das LG Frankfurt ist 2012 bei einem „Squeeze Out“ zu dem Ergebnis gekommen, dass die Ertragswertmethode – wegen ihrer Ungenauigkeiten und des wissenschaftlichen Streits zu den Berechnungsparametern – der kapitalmarktorientierten Ermittlung des Werts eines Unternehmens nicht überlegen sei (vgl. die bei Riegger/Gayk, in Kölner Kommentar AktG 3. Aufl. 2013, Anh. § 11 SpruchG Rn. 72 zitierte, unveröffentlichte Entscheidung).
Für die im Rahmen der Ausübung des Schätzungsermessens nach § 287 Abs. 2 ZPO bestehende Freiheit, anstelle der Ertragswertmethode im geeigneten Einzelfall eine kapitalmarktorientierte Bewertung zum Börsenkurs vorzunehmen, hat sich neben dem OLG Stuttgart auch das OLG Frankfurt ausgesprochen, und zwar schon vor der BGH-Entscheidung vom 29. September 2015 (OLG Stuttgart, Beschluss vom 05. Juni 2013 – 20 W 6/10 –, juris Rn. 138 ff., 143; OLG Stuttgart, Beschluss vom 04. Mai 2011 – 20 W 11/08 –, juris Rn. 67; OLG Frankfurt, Beschluss vom 03. September 2010 – 5 W 57/09 –, juris Rn. 35 ff., 52 ff.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 20. Dezember 2013 – 21 W 40/11 –, Rn. 43, juris; im Grundsatz auch OLG Frankfurt, Beschluss vom 05. Dezember 2013 – 21 W 36/12 –, juris Rn. 24, einschränkend jedoch bei nicht aussagekräftigem, weil im entschiedenen Fall durch öffentliche Angebote verzerrtem Börsenkurs).
In der Entscheidung vom 29. September 2015 (II ZB 23/14 Rn. 33) hat der BGH neben der Ertragswertmethode eine Wertbestimmung durch eine „marktorientierte Methode nach dem Börsenwert des Unternehmens“, durch das dem der Ertragswertmethode „ähnlichen Discounted-Cash-Flow-Verfahren“ und in besonderen Fällen die Bewertung des Liquidationswerts als denkbare Methoden aufgezählt. Der BGH hat in der Entscheidung formuliert, dass „in der Regel“ davon ausgegangen werden kann, dass der Anteilswert „dem Börsenwert der gehaltenen Aktien zu entnehmen ist“, diesem also entspricht. Wörtlich verstanden, liegt darin eine Abkehr von der früheren Rechtsprechung, wonach der Börsenkurs nur die „Untergrenze“ der angemessenen Abfindung bilde.
Im Anschluss an die weitere BGH-Entscheidung vom 12. Januar 2016 hat das OLG Düsseldorf ausgeführt, dass im Grundsatz – wie sich aus dieser BGH-Entscheidung ergebe - eine Unternehmensbewertung in Spruchverfahren auch allein anhand des Börsenkurses erfolgen könne, wenn eine "effektive Informationsbewertung" durch die Marktteilnehmer vorliege (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Dezember 2016 – I-26 W 25/12 (AktE) –, Rn. 49, juris). Das LG Leipzig hat in einem im Dezember 2016 entschiedenen Spruchverfahren unter Verweis auf die BGH-Entscheidung vom 29. September 2015 nur geprüft, ob der (durchschnittliche) Börsenkurs eine verlässliche Aussage über den Verkehrswert erlaube, und hat dies im entschiedenen Fall mangels Vorliegens einer Marktenge unter Überprüfung der Kriterien des § 5 Abs. 4 WpÜG-AngebVO bejaht, ohne auf Fragen der Ertragswertberechnung näher einzugehen (LG Leipzig, Beschluss vom 09. Dezember 2016 - 01 HK O 2401/15, Seite 8 ff.; im Ergebnis bestätigt durch das OLG Dresden, Beschluss vom 16. August 2017, - 8 W 244/17, Seite 13 ff., freilich unter Überprüfung anhand der Ertragswertmethode).
Die 31. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Stuttgart hat bereits in zwei anderen Spruchverfahren (LG Stuttgart, Beschluss vom 03. April 2018 – 31 O 138/15 KfHSpruchG –, Rn. 87 ff., juris; Beschluss vom 17. September 2018 – 31 O 1/15 KfH SpruchG –, Rn. 145 ff., juris) ausführlich begründet, dass zur Prüfung und Wahl der Bewertungsmethodik auch die tatrichterliche Beurteilung gehört, ob eine allein am Börsenkurs orientierte Abfindung im Einzelfall angemessen ist (wie BGH Beschluss vom 29. September 2015, II ZB 23/14 Rn. 33), und dass das auszuübende Schätzungsermessens nach § 287 Abs. 2 ZPO auch die Freiheit umfasst, anstelle der Ertragswertmethode im geeigneten Einzelfall eine kapitalmarktorientierte Bewertung zum Börsenkurs vorzunehmen (vgl. die oben zitierten Entscheidungen der Oberlandesgerichte Stuttgart und Frankfurt). An dieser Auffassung hält die Kammer weiter fest.
2018 hat das Oberlandesgericht Stuttgart ausgeführt (OLG Stuttgart, Beschluss vom 21. August 2018 – 20 W 2/13, Rn. 61 und Beschluss vom 19. Dezember 2018 – 20 W 1/14 bei B. III. 1.):
„Nach gefestigter Rechtsprechung des Senats ist der Verkehrswert vom Gericht … im Wege der Schätzung gem. § 287 Abs. 2 ZPO zu ermitteln. Die Grundlagen der Schätzung im Spruchverfahren müssen methodensauber, aber mit verfahrensökonomisch vertretbarem Aufwand geschaffen werden. Dabei ist das Gericht im Rahmen seiner Schätzung nicht gehalten, darüber zu entscheiden, welche Methoden der Unternehmensbewertung und welche methodische Einzelentscheidung innerhalb einer Bewertungsmethode richtig sind. Vielmehr können Grundlage der Schätzung des Anteilswerts durch das Gericht alle Wertermittlungen sein, die auf in der Wirtschaftswissenschaft anerkannten und in der Bewertungspraxis gebräuchlichen Bewertungsmethoden sowie methodischen Einzelfallentscheidungen beruhen, auch wenn diese in der wissenschaftlichen Diskussion nicht einhellig vertreten werden. Grundlage der Schätzung des Gerichts können demnach vom Grundsatz her sowohl Wertermittlungen basierend auf fundamentalanalytischen Wertermittlungsmethoden wie das Ertragswertverfahren als auch auf marktorientierten Methoden wie eine Orientierung an Börsenkursen sein. …“
Das Oberlandesgericht Stuttgart spricht sich somit dafür aus, dass es in Spruchverfahren im Einzelfall nicht zwingend der häufig anzutreffenden Ertragswertberechnung bedarf, sondern die Heranziehung repräsentativer Börsenkurse im Rahmen der Angemessenheitsprüfung ausreichen kann.
b. Meinungsumschwung in der juristischen Literatur
Auch in der juristischen Literatur ist inzwischen ein Meinungsumschwung von der Einordnung des durchschnittlichen Börsenkurses als bloßer Untergrenze der Abfindung hin zur in der Regel ausschließlichen Maßgeblichkeit von Börsenkursen zu erkennen.
Katzenstein betont, dass das Recht Spielraum für Alternativen zum Ertragswertverfahren lasse, und spricht in diesem Zusammenhang explizit die in der jüngeren Judikatur thematisierte alleinige Heranziehung von Börsenwerten in Spruchverfahren an (Katzenstein, AG 2018, 739 ff., 745 f. bei Fn. 79 f.). Emmerich hält die Bewertung anhand „realistischer“, also aussagekräftiger Börsenkurse anstelle der Ertragswertmethode trotz verbreiteter Einwände der Betriebswirtschaftslehre für grundsätzlich vorzugswürdig. Man solle sich „wo immer möglich an Marktpreisen zu orientieren“ (Emmerich, in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 8. Aufl. 2016, § 305 Rn. 41a, 41b, 41c, 69b). Auch Krieger und Veil/Preisser plädieren dafür, den Unternehmenswert einer börsennotierten Gesellschaft in der Regel nach dem Börsenkurs der Aktien zu bestimmen und den Börsenwert nicht nur als „Abfindungs- bzw. Wertuntergrenze“ zu verstehen (Krieger, in Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht Band 4, 4. Aufl. 2015, § 71 Rn. 139; Veil/Preisser, in Spindler/Stilz, 4. Aufl. 2019, AktG § 305 Rn. 55). Die Autoren können sich auf fundierte Vorarbeiten in der juristischen und betriebswirtschaftlichen Literatur berufen (Steinhauer, AG 1999, 299, 306 f.; Stilz ZGR 2001, 875, 892 ff.; Weber, ZGR 2004, 280; Aha, AG 1997, 26, 27 f.; Busse v. Colbe, FS Lutter, 2000, 153, 164 f.; Luttermann, ZIP 1999, 45, 47 f.; Weißhaupt, Der Konzern 2004, 474, 479 ff.; Zeidler, NZG 1998, 949 f.).
Stilz hat bereits vor Jahren zutreffend darauf hingewiesen, dass der Mehrheitsaktionär den Minderheitsaktionären bei Durchführung einer Strukturmaßnahme als Abfindung den Verkehrswert ihrer Anteile schulde, der jedoch nicht zwangsläufig mit dem nach der Ertragswertmethode berechneten anteiligen Wert übereinstimme (Stilz, ZGR 2001, 875 ff., 892). Steinhauer hat bereits vor Jahren dafür plädiert, den Börsenkurs nur bei einer fehlerhaften Informationsvereinbarung durch den Kapitalmarkt nicht als maßgeblich heranzuziehen, und hat herausgearbeitet, dass politische Ereignisse, Gerüchte und psychologische Momente durchaus auch zu den wertbezogenen Faktoren gehören, an denen sich der Verkehrswert an der Börse orientiert (Steinhauer, AG 1999, 299 ff., 300, 302). Fleischer vertritt die These, ein „marktorientierter Methodenpluralismus“ verspreche gegenüber der Ertragswertmethode „validere Unternehmenswerte“ (Fleischer, AG 2016, 185, 192).
c. Argumente für die ausschließliche Heranziehung von Börsenkursen im Regelfall
Die Kernargumente, die für die alleinige Orientierung an aussagekräftigen Börsenkursen sprechen, hat die 31. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Stuttgart bereits im erwähnten Beschluss vom 03. April 2018 (31 O 138/15 KfH SpruchG – in juris veröffentlicht) genannt. Mit hiergegen geäußerten Gegenargumenten insbesondere aus der Betriebswirtschaftslehre hat sich die Kammer eingehend auseinandergesetzt (dazu noch unten d.).
Bei Unternehmen, deren Aktien an der Börse gehandelt werden, ist die marktorientierte Bewertung anhand des Börsenkurses eine grundsätzlich geeignete und in der Regel zu angemessenen Ergebnissen führende Bewertungsmethode. Denn die Börse ist der Ort, an dem in einer Marktwirtschaft die Aktionäre und Personen, die Aktionäre der Gesellschaft werden wollen, ihre Wertschätzung zum Ausdruck bringen. Im Börsenkurs spiegelt sich die beobachtbare Wertschätzung der Marktteilnehmer wider. Der Börsenkurs reflektiert den größtmöglichen Konsens zwischen den Marktteilnehmern über den Wert der Aktie (OLG Frankfurt, Beschluss vom 03. September 2010 – 5 W 57/09, juris Rn. 54 ff., 56), weil gewöhnliche Marktteilnehmer regelmäßig die Börse als Ort des Handelns, als Handelsplatz (vgl. § 2 Abs. 5 BörsG) nutzen (und nicht den außerbörslichen Handel), wenn die Börse den Handel mit der betroffenen Aktie möglich macht, und weil der Börsenkurs den Ausgleich von Angebot und Nachfrage reflektiert. Preise, die während der Börsenzeit an einer Börse festgestellt werden, sind Börsenpreise. Als Börsenpreise werden im Übrigen auch Preise angesehen, die während der Börsenzeit im Freiverkehr an einer Wertpapierbörse festgestellt werden (§ 24 Abs. 1 BörsG). Börsenpreise müssen ordnungsmäßig zustande kommen und „der wirklichen Marktlage des Börsenhandels entsprechen“ (so ausdrücklich § 24 Abs. 2 BörsG). Deshalb ist der Börsenkurs regelmäßig als Verkehrswert der Aktie anzusehen (BVerfG, Beschluss vom 27. April 1999 – 1 BvR 1613/94, juris Rn. 56, 60, 63).
Der BGH spricht in der „Stollwerck“-Entscheidung von 2010 die sich an der Börse widerspiegelnde „Markterwartung“ an, indem er formuliert, dass sich der Börsenkurs „aus Angebot und Nachfrage unter dem Gesichtspunkt des vom Markt erwarteten Unternehmenswertes bildet“, bis er durch das Bekanntwerden der bevorstehenden Strukturmaßnahme beeinflusst wird (BGH, Beschluss vom 19. Juli 2010 – II ZB 18/09 –, BGHZ 186, 229-242, Rn. 23). Zu Recht geht der BGH somit davon aus, dass Börsenkurse regelmäßig einen vom Kapitalmarkt erwarteten Unternehmenswert abbilden.
Die Kammer ist nicht davon überzeugt, dass die Ertragswertmethode der marktorientierten Bewertung anhand des Börsenkurses methodisch stets überlegen wäre. Im Gegenteil. Die Kammer hat zwar keinen Zweifel, dass auch die – als solche allgemein anerkannte – Ertragswertmethode zu angemessenen Ergebnissen führen kann. Wenn für bestimmte Unternehmensanteile (wie etwa GbR-, GmbH-Anteile) kein (organisierter) Markt wie eine Börse existiert, bleibt nur die indirekte Methode zur Wertbestimmung.
Die Ertragswertmethode nimmt allerdings für sich in Anspruch, zunächst einen hypothetischen Verkehrswert für das Unternehmen insgesamt aus Sicht eines gedachten bestinformierten Käufers zu ermitteln, den es in der Realität aber nicht gibt. In einem zweiten Schritt muss bei der Ertragswertmethode aus diesem hypothetischen Unternehmenswert, der anhand diskontierter prognostizierter künftiger Erträge des Unternehmens gewonnen wurde, dann der Wert des Anteils abgeleitet werden. Existiert hingegen für Unternehmensanteile wie Aktien ein beobachtbarer Marktpreis, so wird das Bewertungsproblem „im Ansatz von den Füßen auf den Kopf“ gestellt, wenn man statt der „denkbar einfachsten und zudem naheliegenden Bewertungsmöglichkeit“ eine aufwendige (hypothetische) Ertragswertbetrachtung vornimmt und über diese indirekt einen hypothetisch fairen Wert der Aktie aus Sicht eines idealtypisch bestinformierten Aktionärs mit fiktivem Zugang zu sämtlichen bewertungsrelevanten Unternehmensdaten rechnerisch ermittelt (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 03. September 2010 – 5 W 57/09, juris Rn. 58). Mit dem Wert, den der Aktionär im Falle einer börsennotierten Gesellschaft bei einer freien Deinvestitionsentscheidung durch Veräußerung seiner Aktien an dem ihm zur Verfügung stehenden Markt – der Börse – erzielen könnte, hat dieses theoretische Ergebnis allenfalls zufällig etwas zu tun (wie hier schon LG Stuttgart, Beschluss vom 03. April 2018 – 31 O 138/15 KfHSpruchG –, Rn. 90, juris).
Auf einem funktionierenden Kapitalmarkt liefert der Markt – auch aus Sicht des Gesetzgebers - die richtige Unternehmensbewertung (BT-Drucks. 13/9712, S. 13). Deshalb zieht der Steuergesetzgeber zur Bewertung von Unternehmensanteilen regelmäßig den Marktpreis (d.h.: Börsenkurs) heran, wenn ein solcher existiert, und greift nur hilfsweise auf andere Bewertungsverfahren, etwa das Ertragswertverfahren, zurück (vgl. §§ 9, 11 Abs. 1 BewG).
Im Übernahmerecht gilt sowohl für freiwillige Übernahmeangebote als auch für Pflichtangebote: Die angebotene Gegenleistung muss angemessen sein, und dabei ist der Börsenkurs zu berücksichtigen (§§ 31 Abs. 1, 39 WpÜG). Im Interesse einer schnellen und für die Beteiligten möglichst rechtssicheren Abwicklung solcher öffentlicher Marktransaktionen (vgl. BT-Drucks. 14/7034, S. 27) sieht die aufgrund von § 31 Abs. 7 WpÜG erlassene WpÜG-AngebVO die Orientierung am gewichteten durchschnittlichen Börsenkurs in einem Dreimonatszeitraum vor der Veröffentlichung vor, und verlangt eine Unternehmensbewertung nur, wenn für die Aktien an weniger als einem Drittel der Börsentage Börsenkurse festgestellt worden sind und mehrere nacheinander festgestellte Börsenkurse um mehr als 5 Prozent voneinander abweichen (§ 5 Abs. 1, 2, 4 WpÜG-AngebVO; zu den Unterschieden zwischen Übernahmerecht und aktienrechtlichen Strukturmaßnahmen LG Stuttgart, Beschluss vom 17. September 2018 – 31 O 1/15 KfH SpruchG –, Rn. 178, juris).
Im Aktienrecht hat der Gesetzgeber geregelt, dass ein mit der Verwässerung von Anteil und Stimmrecht verbundener Ausschluss des Bezugsrechts nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG insbesondere dann zulässig ist, wenn die Kapitalerhöhung gegen Bareinlagen zehn vom Hundert des Grundkapitals nicht übersteigt und der Ausgabebetrag den Börsenpreis „nicht wesentlich unterschreitet“.
Auch in anderen Rechtsgebieten geht der Gesetzgeber von der Angemessenheit von Marktpreisen aus, die an der Börse zustande kommen (vgl. §§ 385, 1221, 1235 Abs. 2, 1295 BGB; §§ 373 Abs. 2, 381 Abs. 1 HGB; § 821 ZPO; vgl. dazu Aha, AG 1997, 28 f.). Im ehelichen Güterrecht werden Zugewinn- und Pflichtteilsansprüche gegebenenfalls auf der Grundlage von Börsenkursen ermittelt.
Kapitalmarkteffizienz wird häufig nur in abgestufter Form zu finden sein. Ein hocheffizienter Kapitalmarkt läge nur dann vor, wenn sämtliche überhaupt existierenden, wertbeeinflussenden Informationen über die Aktie und das Unternehmen stets allen Marktteilnehmern vorlägen und dementsprechend in den Aktienkursen reflektiert wären. Davon kann in der Praxis nicht ausgegangen werden. Der Kapitalmarkt wie auch die Bewertung nach dem Ertragswertverfahren durch unternehmensexterne Wirtschaftsprüfer steht vor dem Problem des Zugangs zu allen relevanten Unternehmensdaten. Der ausscheidende Minderheitsaktionär kann eine realitätsgerechte Bewertung seiner Aktie verlangen, die sich am Verkehrswert orientieren muss. Die partielle Informationsineffizienz des Kapitalmarkts spricht aber nicht gegen die Legitimität der Heranziehung real gebildeter (Markt-)Preise für die Aktie bei der Bestimmung des Verkehrswerts. Denn man kann zumindest davon ausgehen, dass erstens in die Wertpapierkurse zwar nicht alle vorhandenen, aber doch alle der Öffentlichkeit zugänglichen Informationen potentiell Eingang finden, und dass zweitens von schlecht informierten oder irrational agierenden Marktteilnehmern aufgerufene, zu geringe Angebotspreise schnell von gut informierten, professionellen Anlegern ausgenutzt und zur eigenen Gewinnmaximierung genutzt werden mit der Folge, dass sich der Kurs nach kurzer Zeit dem Wert angleicht, den die bestinformierten Anleger der Aktie beimessen (zum Ganzen vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 03. September 2010 – 5 W 57/09, juris Rn. 63 ff.; wie hier LG Stuttgart, Beschluss vom 03. April 2018 – 31 O 138/15 KfHSpruchG –, Rn. 92, juris).
Der BGH hat bereits in der Entscheidung vom 12. März 2001 (II ZB 15/00 – Rn. 19) darauf abgestellt, dass für die Legitimation zur Heranziehung der Börsenkurse maßgeblich sei, ob und dass „die Börse auf der Grundlage der ihr zur Verfügung gestellten Informationen“ zu einer zutreffenden Bewertung gelangt. Eine strenge Informationseffizienz im Sinne einer Freiheit des Marktes von Informationsasymmetrien verlangt er demnach für die Aktienbewertung nicht. In der Entscheidung vom 12. Januar 2016 formuliert der BGH, dass der Anteilswert „aufgrund einer Unternehmensbewertung zu ermitteln sei“, wenn „im konkreten Fall von der Möglichkeit einer solchen effektiven Informationsbewertung nicht ausgegangen werden (kann), so dass der Börsenkurs keine verlässliche Aussage über den (mindestens zu gewährenden) Verkehrswert der Unternehmensbeteiligung erlaubt“ (BGH, Beschluss vom 12. Januar 2016 – II ZB 25/14 –, a.a.O., Rn. 23). Das kann im Umkehrschluss nur bedeuten, dass die Heranziehung von Börsenkursen zur Bewertung im Spruchverfahren legitim ist und ausreicht, wenn es keine Anhaltspunkte für eine „ineffektive Bewertung“ der dem Kapitalmarkt zugänglich gemachten Informationen gibt (LG Stuttgart, Beschluss vom 03. April 2018 – 31 O 138/15 KfHSpruchG –, Rn. 93, juris).
Zudem sind andere Märkte (etwa der Antiquitäten- oder Kunstmarkt) zumindest in Teilbereichen weit weniger transparent und stellen im Sinne der Informationseffizienz keineswegs sicher, dass allen Marktteilnehmern sämtliche vorhandenen wertbildenden Faktoren bekannt sind, bevor gehandelt wird. Dennoch würde niemand bezweifeln, dass ein an solchen Märkten zustande gekommener Preis im Grundsatz dem „Verkehrswert“ des gehandelten Gutes entspricht. Selbst beim Unternehmenskauf lässt sich durch die „Due Diligence“ und die Vertragsgestaltung nicht vollkommen gewährleisten, dass Käufer und Verkäufer über denselben Informationsstand bezüglich aller wertbildenden Faktoren verfügen. Dennoch legen die Gerichte die privatautonome Preisvereinbarung zwischen den Parteien als angemessen zugrunde, die Rechtsordnung legt den privatautonom vereinbarten Preis regelmäßig als Verkehrswert zugrunde.
Die Ertragswertmethode hat zwar gegenüber der marktorientierten Bewertung nach Börsenkursen den Vorteil, dass sie auch der Öffentlichkeit nicht zugängliche, bewertungsrelevante Informationen etwa zur Unternehmensplanung, ausschließlich unternehmensintern zur Verfügung stehende Informationen über die Konkurrenzsituation am Markt oder interne Informationen über noch nicht öffentlich bekannte Produktentwicklungen mit Ertragspotential wie auch noch nicht öffentlich bekannte, aber unternehmensintern bei der Planung berücksichtigte Ertragsrisiken berücksichtigen kann und sollte. Auf diesen besonderen Wert einer Ertragswertbegutachtung durch einen Wirtschaftsprüfer als Sachverständigen, „in das Unternehmen hineinschauen zu können“, weisen Wirtschaftsprüfer gerne hin.
Leitlinie bei der Angemessenheitsdiskussion muss jedoch die verfassungsgerichtliche Vorgabe sein, den Betrag zu ermitteln, der dem Verkehrswert der Aktie entspricht. Das ist der Betrag, den der außenstehende Aktionär bei einer „freien Deinvestitionsentscheidung“ bzw. einer fiktiven Veräußerung am Markt zu diesem Zeitpunkt – dem Bewertungsstichtag – bekommen hätte (auch wenn er im Falle des § 327a AktG nicht „freiwillig“ veräußern wollte und nicht freiwillig veräußert hätte; auch wenn er im Falle des §§ 304, 305 AktG lieber an einem nicht beherrschten Unternehmen beteiligt geblieben oder nach seiner Anlageplanung lieber zu einem späteren Zeitpunkt veräußert hätte). Der außenstehende Aktionär hat an dem nur unvollständig informierten Kapitalmarkt bei einer freien Deinvestitionsentscheidung praktisch keine Chance auf eine Realisierung potentiell werterhöhender, aber am Kapitalmarkt noch nicht bekannter Faktoren. Umgekehrt werden ihm – über bloß spekulative Erwägungen anderer Marktteilnehmer hinausgehend – bei einer freien Veräußerung über die Börse am Kapitalmarkt im Rahmen der Preisbildung auch keine öffentlich noch unbekannten unternehmensinternen Risiken „entgegengehalten“; er hat vielmehr die Chance, dann dennoch den – bei Ertragswertbetrachtung eigentlich „zu hohen“ – Börsenkurs als von der Öffentlichkeit so wahrgenommenen Verkehrswert zu realisieren. Eine „Kombinationsmethode“ dahingehend, dem Aktionär mindestens den Börsenkurs als „Untergrenze“ und zugleich einen etwaigen höheren Ertragswert zuzubilligen, ihm einen etwaigen im Vergleich zum Börsenkurs niedrigeren Ertragswert aber nicht zum Nachteil gereichen zu lassen, läuft letztlich auf eine unbillige „Rosinentheorie“ hinaus, die Chancen und Risiken ungleich verteilt und weder einfachgesetzlich legitimiert werden kann noch verfassungsrechtlich geboten ist (wie hier schon LG Stuttgart, Beschluss vom 03. April 2018 – 31 O 138/15 KfHSpruchG –, Rn. 96, juris).
Die verfassungsgerichtliche Vorgabe, zu gewähren sei das, was die Minderheitsaktionäre bei einer (fiktiven) „freien Deinvestitionsentscheidung“ bekommen hätte, hat der BGH selbst gleichgesetzt mit dem Betrag, den sie „ohne die zur Entschädigung verpflichtende Intervention des Hauptaktionärs oder die Strukturmaßnahme bei einem Verkauf des Papiers erlöst hätten“ (BGH, Beschluss vom 19. Juli 2010 – II ZB 18/09 –, BGHZ 186, 229-242, Rn. 21 „Stollwerck“). Das ist aus der Perspektive der Minderheitsaktionäre im Regelfall nichts anderes als der Börsenkurs. Denn von Sonderfällen abgesehen („Paketaktionäre“), hätten die Minderheitsaktionäre ihre Aktien auf einem außerbörslichen Markt – außer möglicherweise an den Hauptaktionär – regelmäßig nicht, schon gar nicht zu höheren Preisen als an der Börse, verkaufen können.
Die Ertragswertmethode scheint zudem auszublenden, dass Aktionäre individuelle Anlageentscheidungen regelmäßig nach Heranziehung ganz anderer fundamentalanalytischer Daten und nach Vergleichen mit Papieren anderer Emittenten treffen: Von Bedeutung für sie sind etwa die Dividendenrendite, das Kurs-Gewinn-Verhältnis (eine Aktie, die mit einem KGV unterhalb des langjährigen branchenspezifischen Mittelwert liegt, gilt als günstig), das Kurs-Buchwert-Verhältnis, das Kurs-Umsatz-Verhältnis, die Gesamtkapitalrendite oder die Eigenkapitalquote (insbesondere als Indikator für die finanzielle Stabilität oder Fremdkapitalabhängigkeit eines Unternehmens). Informationen und Mittel zur Ertragswertberechnung, die einem vom Gericht bestellten sachverständigen Prüfer im Vorfeld eines Spruchverfahrens zugänglich gemacht werden, stehen den Minderheitsaktionären am Markt regelmäßig nicht zur Verfügung, sie spielen am Aktienmarkt bei börsennotierten Gesellschaften für die allermeisten Aktionäre keine Rolle. „Kein rational handelnder Minderheitsaktionär wird seine Entscheidung ernsthaft davon abhängig machen, was der zum Bewertungsstichtag gültige IDW-Standard vorschreibt.“ (Fleischer, AG 2016, 185, 195 unter Hinweis auf eine ökonomische Dissertation von Karami, Unternehmensbewertung im Spruchverfahren beim „Squeeze-out“, 2014, S. 252). Der mithilfe der Ertragswertmethode ermittelte „Unternehmenswert“ ist aufgrund zahlreicher dem Verfahren immanenter Unwägbarkeiten notwendigerweise eine Fiktion (OLG Stuttgart, Beschluss vom 19. Januar 2011 – 20 W 3/09 –, Rn. 256, juris). Demgegenüber beruhen Börsenkurse regelmäßig auf einem realen Handelsgeschehen.
Wenn sich Minderheitsaktionäre auf einen (wenn auch eingeschränkt effizienten) Kapitalmarkt begeben, um dort Aktien zu erwerben, so unterwerfen sie sich auch für den Fall einer „freien Deinvestitionsentscheidung“ von vornherein den jeweiligen Marktgegebenheiten. Sie erwerben die Aktien an der Börse regelmäßig nicht in der Erwartung, später eine Abfindung auf der Grundlage eines Ertragswertgutachtens zu bekommen, sondern allenfalls in der Hoffnung, diese Aktie später gegebenenfalls an der Börse wieder zu einem mindestens gleich hohen Preis nach Vereinnahmung von Dividenden veräußern zu können. Der Markt, auf den sie sich bei der Investitionsentscheidung begeben haben, gewährt ihnen keine Sicherheit, dass ihre (Gewinn-) Erwartung zum Zeitpunkt einer „freien Deinvestitionsentscheidung“ auch eintritt (wie hier LG Stuttgart, Beschluss vom 03. April 2018 – 31 O 138/15 KfHSpruchG –, Rn. 100, juris).
Die Bewertung nach der Ertragswertmethode muss mit Plausibilisierungen und Schätzungen arbeiten. Die Methode ist mit zahlreichen Unschärfen und Unwägbarkeiten behaftet (so schon OLG Stuttgart, Beschluss vom 19. Januar 2011 – 20 W 3/09 –, Rn. 256, juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 09. Dezember 2008 – WpÜG 2/08 –, juris Rn. 57). Kern des Ertragswertverfahrens ist die Diskontierung prognostizierter künftiger Erträge, deren Höhe aber nicht bekannt ist, die also nur aufgrund der bisherigen Erträge, der Unternehmensplanungen und allgemeinen Einschätzungen der Zukunft geschätzt werden können. Der Ertragswertmethode, ob nun in Gestalt des CAPM oder des Tax-CAPM, wird in der Literatur vorgeworfen, dass die gebräuchlichen Berechnungsmodelle aufgrund ihrer Bedingungen, die nur in einer idealen Modellwelt Gültigkeit hätten, eine „pseudo-mathematische Exaktheit“ vortäuschten. Die Konsequenz könne zum Schutz der außenstehenden Aktionäre nur darin liegen, „sich wo immer möglich an Marktpreisen zu orientieren“ (Emmerich, in Emmerich/Habersack, a.a.O. 8. Aufl. 2016, § 305 AktG Rn. 41a, 41b, 69b). Bei einer Ertragswertberechnung etwa nach Tax-CAPM ist bei vielen Parametern eine ganze Bandbreite von Werten (insbesondere bei der Marktrisikoprämie) vertretbar und angemessen, ohne dass ein in die Formel eingesetzter Wert als allein „richtig“ und zu einem einzig zutreffenden „wahren Unternehmenswert“ führen würde. Bereits marginale Änderungen etwa beim Basiszins oder der Marktrisikoprämie können erhebliche Auswirkungen auf das Ergebnis der Ertragswertberechnung haben.
Eine gerichtliche Prüfung des Ertragswerts ist und bleibt deshalb entbehrlich, wenn es aussagekräftige Börsenkurse gibt, die zur Bestimmung des Verkehrswerts der Aktie heranzuziehen sind. In diesem Fall bildet der Börsenkurs nicht die Untergrenze, sondern tatsächlich die angemessene Abfindung. Diese Auffassung entspricht auch dem Gebot, im Rahmen der Angemessenheitsprüfung den Aufwand für die Unternehmensbewertung – diese beruht ohnehin (auch beim Börsenkurs) auf einer Schätzung nach §§ 287 Abs. 2 ZPO, 738 Abs. 2 BGB – in verfahrensökonomisch vertretbaren Grenzen zu halten (OLG Stuttgart, Beschluss vom 05. Juni 2013 – 20 W 6/10 –, juris Rn. 140; zur Kritik an der früheren BGH-Rechtsprechung und der damit verbundenen „Doppelarbeit“ auch Stilz, ZGR 2001, 875 ff., 893). Die gegenteilige Auffassung, die auch bei aussagekräftigem Börsenkurs stets (mindestens) eine Plausibilisierung durch eine Ertragswertbetrachtung fordert, ist spätestens durch die Entscheidung des BGH vom 29. September 2015 als überholt anzusehen und läuft auf eine Bestimmung der Abfindung nach dem Meistbegünstigungsprinzip hinaus (durch Abfindung zum Ertragswert, wenn dieser im Einzelfall höher ist als der aussagekräftige Börsenkurs). Die Anwendung eines solchen Meistbegünstigungsprinzips können die Minderheitsaktionäre aber, wie bereits ausgeführt, weder nach einfachgesetzlichen Regelungen noch aufgrund von Art. 14 Abs. 1 GG verlangen. Die noch in der BGH-Entscheidung vom 12. März 2001 wohl für erforderlich angesehene Ermittlung eines „Schätzwerts“ (gemeint: Ertragswert – vgl. Stilz, ZGR 2001, 875 ff., 883), der Vergleich des Ertragswerts mit einem aussagekräftigen Börsenkurs und die Wahl des höheren der beiden Beträge zur Bestimmung der angemessenen Abfindung (BGH, Beschluss vom 12. März 2001 – II ZB 15/00 –, juris Rn. 21) wird damit obsolet.
d. Finanztheoretische Grundlagen
aa. „Wahrer Wert“ als gesuchte Größe und Marktpreis
Manche Wirtschaftsprüfer bezeichnen die Gleichsetzung von Börsenpreis und Unternehmenswert als problematisch (vgl. Castedello/Jonas/Schieszl/Lenckner, Wpg 2018, 806 ff., 819). Der Wert als „allgemeingültige und objektive Eigenschaft eines Unternehmens“ müsse nicht mit dem von subjektiven Vorstellungen geprägten Preis identisch sein (vgl. die Zitate bei Henselmann, in Peemöller, Praxishandbuch Unternehmensbewertung, 6. Aufl., Seite 114).
Ihnen ist jedoch zunächst entgegenzuhalten, dass an einem funktionierenden Kapitalmarkt der Markt die „richtige“ Unternehmensbewertung liefert – und zwar nicht nur aus Sicht des Gesetzgebers (BT-Drucks. 13/9712, S. 13) und aus juristischer Sicht (vgl. Steinhauer, AG 1999, 303 f.), sondern durchaus auch aus ökonomischer Sicht, was in den Überlegungen der Kapitalmarktforschung (dazu sogleich) und in der Formulierung zum Ausdruck kommt, dass zumindest ein „vollkommener Markt“ (gemeint wohl: informationseffizienter Markt) einen „eindeutigen Marktpreis“ generiere (vgl. Henselmann, in Peemöller, a.a.O. Seite 113).
Dementsprechend ist auch aus verfassungsrechtlicher Sicht der im Spruchverfahren „gesuchte“ Verkehrswert „regelmäßig mit dem Börsenkurs der Aktie identisch“ (BVerfG, Beschluss vom 27. April 1999 - 1 BvR 1613/94 -, juris Rn. 56, 60, 63).
Der Kapitalmarkt reflektiert regelmäßig keine Fakten, die am Bewertungsstichtag Unternehmensinterna sind, auf die zwar ein Wirtschaftsprüfer im Rahmen seiner Bewertungstätigkeit, nicht aber der gewöhnliche Kapitalmarktteilnehmer Zugriff hat (vgl. zum Ganzen LG Stuttgart, Beschluss vom 03. April 2018 - 31 O 138/15 KfHSpruchG -, Rn. 68 ff., juris; LG Stuttgart, Beschluss vom 17. September 2018 – 31 O 1/15 KfH SpruchG –, Rn. 457, juris). Der Zugriff auf zusätzliche Informationen bei Praktizieren des Ertragswertverfahrens wird als Vorteil dieser Methode und als Nachteil einer Wertindikation über den Börsenkurs dargestellt (Ruthardt/Hachmeister, NZG 2014, 455 ff., 457). Durch die verhaltensorientierte Finanzmarkttheorie ist aber bekannt, dass die Kapitalmarktteilnehmer, die durch ihr Handeln den Verkehrswert der Aktie prägen, ohnehin regelmäßig unvollständig informiert sind und die sich hieraus ergebende Unsicherheit etwa durch Orientierung am Handeln der „Mehrheit“ der übrigen Akteure am Markt auszugleichen versuchen. Wenn sie aber in Unkenntnis nicht öffentlich bekannter Tatsachen dennoch Anlageentscheidungen treffen und dadurch Transaktionen zustande kommen, anhand derer Verkehrswerte feststellbar sind, so schießt die Ertragswertmethode mit der „Einpreisung“ nicht öffentlich bekannter Informationen zumindest aus verfassungsrechtlicher Perspektive übers Ziel hinaus (auch wenn eine zu hohe Abfindung freilich verfassungsrechtlich unbedenklich ist).
Für den Rückgriff auf Börsenkurse als Marktpreise – wo immer möglich – bei der Angemessenheitsprüfung im Spruchverfahren sprechen die Erkenntnisse aus der neoklassischen Kapitalmarkttheorie, die auf zwei sich bedingenden ökonomischen Konzepten beruhen: auf der Idee des „Gleichgewichtspreises“ und dem Konzept der „Informationseffizienz“. Dabei ergibt sich allerdings aus der verhaltensorientierten Finanzmarkttheorie, dass beide Prämissen in der Realität nicht in Reinform zu finden sind, so dass etwa eine „vollkommene Informationseffizienz“ als unrealistische Bedingung schlechterdings auch nicht gefordert werden kann, um Börsenkurse zur Bewertung heranzuziehen.
Das Konzept des „Gleichgewichtspreises“ geht davon aus, dass sich der Marktpreis durch Ausgleich von Angebot und Nachfrage ergibt (Weber, ZGR 2004, 280 ff., 282) und den „größtmöglichen Konsens unter den Anlegern über den Wert einer Aktie“ repräsentiert (Steinhauer, AG 1999, 299 ff., 303). In der Finanzierungstheorie ist unumstritten, dass der Wert eines Anteils an einem Unternehmen der Summe der abgezinsten erwarteten Zahlungen entspricht, die dem Besitzer des Anteils in Zukunft bis zum Zeitpunkt „unendlich“ zufließen, wobei erwartete Zahlungen Dividenden, Sonderausschüttungen, Abfindungen oder auch Liquidationserlöse sein können und der Abzinsungsfaktor das erwartete Risiko der Aktienanlage für das entsprechende Unternehmen widerspiegelt (Weber, ZGR 2004, 281). Die Parallelen zu den wertbestimmenden Faktoren nach der Ertragswertmethode sind unverkennbar (Steinhauer, AG 1999, 299 ff., 304).
Nun ist auch in der Kapitalmarkttheorie klar: „Der Wert einer Aktie hängt von unsicheren Erwartungen ab, über die einzelne Marktteilnehmer durchaus unterschiedliche Vorstellungen haben können. Diese Marktteilnehmer werden – basierend auf ihren Erwartungen – Kauf- und Verkaufsgebote abgeben. Der sich nach Ausgleich von Angebot und Nachfrage ergebende Gleichgewichtspreis (oder synomym: Gleichgewichtskurs) ist der ‚wahre Wert‘ der Aktie, er bildet die durchschnittlichen Erwartungen der Marktteilnehmer ab. Der Preis kann gemäß dieser theoretischen Denkweise gar nicht vom wahren Wert abweichen. Marktteilnehmer würden diese Abweichung erkennen und die unterbewertete (überbewertete) Aktie kaufen (verkaufen), um so erwartete Gewinne zu erzielen (Arbitrage-Argumentation)“ (Weber, ZGR 2004, 280 ff., 281 f.).
Die Theorie über die Preisanpassung auf Finanzmärkten beruht auf der Hypothese der Kapitalmarkteffizienz. Nach der von Fama entwickelten Effizienzmarkthypothese ist ein Markt dann effizient, wenn die Wertpapierkurse alle vorhandenen Informationen komplett widerspiegeln. Unkorrelierte Fehlbewertungen einiger weniger, irrational handelnder Marktteilnehmer neutralisieren sich (zusammenfassend Daxhammer/Facsar, Behavioral Finance: verhaltenswissenschaftliche Finanzmarktforschung im Lichte begrenzt rationaler Marktteilnehmer, 2018, Seite 39 ff., 42 ff. auch zum Folgenden). Ist diese Bedingung in der mittelstrengen Form der Markteffizienz erfüllt, sind also alle historischen Daten und öffentlich bekannten Informationen bereits in den aktuellen Preisen berücksichtigt, dann führt die fundamentale Wertpapieranalyse auf Basis öffentlicher Informationen zu keinerlei Überrendite, und Überrenditen lassen sich allenfalls durch die Kenntnis von oder die Suche nach privaten Informationen erzielen. Einschränkend: „Effizienz fordert nicht, dass alle Kapitalmarktteilnehmer über die gesamte Information verfügen. Vielmehr kann jedem eine Teilmenge der gesamten Information zur Verfügung stehen, die jedoch im Fall effizienter Märkte aggregiert den Preis korrekt erklären muss.“ (Weber, ZGR 2004, 280 ff., 282).
Eine ökonomische Erklärung für das mögliche Auseinanderfallen von Ertragswert und Preis liefern schwer schätzbare nichtmonetäre Nutzen-Erwägungen von Käufern oder Verkäufern bei der Kauf- oder Verkaufsentscheidung (Henselmann, in Peemöller a.a.O. Seite 114). An einem funktionierenden Kapitalmarkt gleichen sich jedoch unterschiedliche subjektive Wertvorstellungen der Marktteilnehmer aus, der Börsenpreis bildet deren durchschnittliche Erwartungen ab (Weber, ZGR 2004, 280 ff., 282).
Es ist weder gesetzliches Leitbild noch Sinn und Zweck der Angemessenheitsprüfung im Spruchverfahren, subjektive Wertvorstellungen aller Minderheitsaktionäre oder des Mehrheitsaktionärs zu ermitteln oder den höchsten „Verkäufergrenzpreis“, d.h. einen subjektiven Grenzpreis zu finden, zu dem der letzte verbleibende Minderheitsaktionär bereit wäre, seine Aktien zu veräußern. Auch in der betriebswirtschaftlichen Literatur wird bestätigt, dass ein solcher Ansatz „in den meisten Fällen über die normzweckadäquate wirtschaftlich volle Entschädigung hinausgehen“ dürfte (Ruthardt, Normzweckkonforme Unternehmensbewertung und Abfindungsbemessung beim aktienrechtlichen Squeeze Out, 2014, Seite 119).
Die auch in der betriebswirtschaftlichen Literatur thematisierte Gefahr einer möglichen Beeinflussung des Börsenkurses durch den Mehrheitsaktionär, sei es durch gezielte Handelsaktivitäten, sei es durch eine „gesteuerte“ (negative) Informationspolitik (dazu Ruthardt/Hachmeister, NZG 2014, 41 ff., 45), ist im Grundsatz nicht von der Hand zu weisen. Ob die Gefahr sich im Einzelfall realisiert hat, bleibt jedoch im Spruchverfahren fallbezogen zu prüfen. Der Gedanke der Manipulationsgefahr spricht nicht generell gegen die Heranziehung von Marktpreisen zu Bewertungszwecken und sollte juristisch eher beim Merkmal der „Angemessenheit“ als bei der Identifizierung des Verkehrswerts thematisiert werden.
Als früh geäußerte Kritik an der Theorie effizienter Kapitalmärkte wurde die Behauptung verstanden, Börsenkurse würden „von der Größe oder Enge des Marktes, von zufallsbedingten Umsätzen, von spekulativen Einflüssen und sonstigen nicht wertbezogenen Faktoren wie politischen Ereignissen, Gerüchten, Informationen, psychologischen Momenten oder einer allgemeinen Tendenz“ abhängen (vgl. BGH, Urteil vom 30. März 1967 – II ZR 141/64 –, Rn. 11, juris; aufgegriffen von Ruthardt/Hachmeister, NZG 2014, 41 ff., 46). Tatsächlich sind all diese Faktoren durchaus wertbezogene Faktoren (Steinhauer, AG 1999, 299 ff., 302). Akteure am Kapitalmarkt lassen in ihre individuellen Prognosen, die sie vor Anlageentscheidungen treffen, nicht nur unternehmensindividuell erwartete Kennzahlen, sondern z.B. auch allgemeine Markterwartungen einfließen. Nichts anderes geschieht aber bei der Aufstellung unternehmerischer Planzahlen und bei deren Fortschreibung in der „ewigen Rente“ durch Wirtschaftsprüfer, wenn sie das Ertragswertverfahren als Bewertungsmethode anwenden.
Die Verhaltensökonomie (verhaltensorientierte Finanzmarkttheorie) zeigt auf: Anleger verhalten sich am Kapitalmarkt nicht rein rational, sondern nur begrenzt rational (etwa: risikofreudiges Verhalten wegen Verlustaversion; Über- und Unterreaktion; „Herdenverhalten“ aufgrund fehlender Informationen; Heuristik; Endowment-Effekt). Sie sind abweichend vom Konzept des „Homo oeconomicus“ nicht (durchweg) in der Lage, völlig rational alle relevanten Informationen fehlerlos zu verarbeiten. Bei der Informationswahrnehmung bedienen sich die Marktteilnehmer bestimmter Heuristiken, die zwar zu einem schnellen Informationsüberblick verhelfen, aber zugleich verhindern, dass sämtliche verfügbaren Informationen überhaupt in den Entscheidungsprozess einfließen. Kapitalmarktteilnehmer treffen Entscheidungen häufig nicht auf der Grundlage privater Informationen über das Entscheidungsobjekt, sondern orientieren sich am Verhalten einer bestimmten Gruppe anderer Akteure. Psychologische Kräfte haben erheblichen Einfluss auf das Anlegerverhalten, insbesondere wenn Unsicherheiten im Spiel sind. Das führt zu ständigen Über- oder Unterbewertungen. Die meisten von der Verhaltensökonomie beschriebenen Phänomene lassen sich wissenschaftlich erklären. Der Ausgangspunkt der neoklassischen Wirtschaftstheorie, der „Homo oeconomicus“ als „selten erreichtes Ideal“, das Konzept vom Gleichgewichtspreis und die Effizienzmarkthypothese ermöglichen eine zur Lösung von Einzelproblemen durchaus sinnvolle Vereinfachung der Realität auf einige wenige Annahmen und dienen der Komplexitätsreduktion der Modelle, müssten aber zur Abbildung des realen Anleger- und „Bewertungsverhaltens“ um weitere Annahmen ergänzt werden (zum Ganzen Daxhammer/Facsar, Behavioral Finance, a.a.O., Seite 20 ff., 73, 79 ff., 89 ff., 209 ff., 213; Hacker, Verhaltensökonomik und Normativität, 2017, Seite 59 ff., 78, 103 ff., 122 ff.; von Holle, Ökonomie 4.0, 2018, Seite 43 ff., 57, 81, 84). Aus der Komplexitätsreduktion folgt jedoch bereits, dass nicht jede Feststellung einer Abweichung der Realität etwa von der Effizienzmarkthypothese dazu zwingt, die Ergebnisse des Marktes zu verwerfen.
Das von der Verhaltensökonomie beschriebene Verhalten prägt vielmehr den Markt und damit auch den Verkehrswert der Aktie und ist kein Grund, Börsenwerte als Verkehrswerte generell in Frage zu stellen. Werden im Einzelfall von der Verhaltensökonomie analysierte begrenzt rationale oder „irrationale“ Verhaltensweisen der Marktteilnehmer als kursprägend festgestellt, kann eine vertiefte Prüfung zum gesetzlichen Merkmal der Angemessenheit erforderlich werden, wobei die Kammer hier dahingestellt lässt, in welchen Konstellationen die Angemessenheit der Abfindung zum Verkehrswert (umsatzgewichteten durchschnittlichen Börsenkurs) zu verneinen ist.
Soweit in der Betriebswirtschaftslehre beschrieben wird, dass der Börsenkurs „einem labilen Regelkreis folgend“ um den „fundamentalen Wert“ der Aktie schwanke (Ruthardt/Hachmeister, NZG 2014, 455 ff., 456 m.w.N.), könnte sich aus der verhaltensorientierten Finanzmarkttheorie eine Erklärung für diese Schwankungen ergeben. Der Rückgriff auf einen dreimonatigen Referenzzeitraum und einen umsatzgewichteten Durchschnittskurs trägt im Rahmen der richterlichen Schätzung wiederum der Nivellierung kurzfristiger „Übertreibungen“ Rechnung.
bb. Relevanz eines „Daueranlagewerts“?
In der betriebswirtschaftlichen Literatur wird teilweise darauf verwiesen, dass für die Bewertung von börsennotierten Unternehmensanteilen eine Typisierung der Anlagestrategie der abzufindenden Aktionäre erforderlich sei (Ruthardt/Hachmeister, NZG 2004, 41 ff.). Es wird argumentiert, der „Deinvestitionswert“ sei nur für Anleger mit sehr kurzem Anlagehorizont die relevante Wertkategorie. Da es jedoch auch langfristig orientierte Anleger gebe, müsse aus verfassungsrechtlichen Gründen der Wert der Aktie (auch) unter der Annahme einer dauerhaften Halteabsicht ermittelt werden. Neben dem „Deinvestitionswert“ sei auch der „Daueranlagewert“ zu ermitteln, den man bei einer Fokussierung auf den Börsenkurs vernachlässige. Wenn ein Minderheitsaktionär seine Anteile vor Ankündigung einer Strukturmaßnahme nicht zum Börsenkurs verkauft habe, müsse sein „Verkäufer“-Grenzpreis über dem Börsenkurs gelegen haben (Ruthardt, Normzweckkonforme Unternehmensbewertung a.a.O., Seite 205; Ruthardt/Hachmeister, NZG 2004, 41 ff., 44, 46).
Dieser Argumentation ist entgegenzuhalten: Glaubt ein Anleger, eine Aktie sei am Kapitalmarkt unterbewertet, so kann er die Aktie in der Absicht einer späteren Weiterveräußerung zum höheren Preis oder in der Erwartung der nachhaltigen Erzielung von Überrenditen (gegenüber dem Markt) erwerben. Glaubt er, sie sei überbewertet, wird er tendenziell verkaufen. Wie bereits dargestellt, bringt der Kapitalmarkt – unter der Prämisse der Kapitalmarkteffizienz – die unterschiedlichen subjektiven Wertvorstellungen zum Ausgleich, und der sich dabei ergebende Preis entspricht an einem informationseffizienten Kapitalmarkt genau dem im Spruchverfahren gesuchten „objektiven“ oder „wahren“ Wert des Anteils zum jeweiligen Zeitpunkt. Der Börsenkurs widerspiegelt, wie ausgeführt, an einem funktionierenden Kapitalmarkt die durchschnittlichen Ertragserwartungen der Anleger. Die von Ruthardt vorgeschlagene Differenzierung zwischen „Kurz- und Langfristanlegern“ führt eine subjektive Komponente ein, die als vermeintlicher Nachteil der marktorientierten Bewertungsmethode nach dem Börsenkurs dargestellt wird, obwohl auch bei der Ertragswertmethode versucht werden muss, unterschiedliche Erwartungshorizonte miteinander in Einklang zu bringen, was letztlich auch nur mithilfe subjektiver Einschätzungen der Bewerter erreicht werden kann; am funktionierenden Kapitalmarkt sorgen idealerweise bereits die dargestellten Marktmechanismen für den Ausgleich im Preis.
Art. 14 Abs. 1 GG gebietet im vorliegenden Kontext, dass der Minderheitsaktionär als Abfindung nicht weniger erhält, als er „bei einer freien Deinvestitionsentscheidung zum Zeitpunkt des Unternehmensvertrags oder der Eingliederung erlangt hätte“ (BVerfG, Beschluss vom 27. April 1999 – 1 BvR 1613/94 –, BVerfGE 100, 289-313, Rn. 56). „Bloße, in dem aktuellen Wert des konkreten Eigentums noch nicht abgebildete Gewinnerwartungen und in der Zukunft liegende Verdienstmöglichkeiten sowie Chancen und Gegebenheiten, innerhalb derer ein Unternehmen seine Tätigkeit entfaltet, liegen grundsätzlich außerhalb des Schutzbereichs der Eigentumsgarantie“ (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 16. Mai 2012 – 1 BvR 96/09, 1 BvR 117/09, 1 BvR 118/09, 1 BvR 128/09 –, Rn. 23, juris; Nichtannahmebeschluss vom 23. August 2000 – 1 BvR 68/95 –, Rn. 18, juris m.w.N.). Die subjektive Einschätzung eines „Langfristanlegers“, der von ihm unterstellte „Daueranlagewert“ sei höher als der aktuelle Wert (regelmäßig: der Marktpreis), entspricht in Höhe der Differenz einer solchen im aktuellen Wert „nicht abgebildeten“ und deshalb verfassungsrechtlich nicht geschützten „Gewinnerwartung“ und „in Zukunft liegenden Chance“ auf Verdienstmöglichkeiten. Entgegen der Auffassung von Ruthardt besteht verfassungsrechtlich nicht die Notwendigkeit, die von diesem „Langfristanleger“ erwartete zusätzliche Gewinnchance bei der Abfindungsbemessung (in Höhe der Differenz zwischen seinem individuellen Grenzpreis und dem Börsenkurs) zwingend mitzukompensieren. Überdies schlagen sich die Erwartungen sowohl von Kurz- als auch Langfristanlegern im Marktpreis nieder, soweit sie gerade kaufen oder verkaufen. Verfassungsrechtlich geboten ist die Ermittlung eines über dem Marktpreis liegenden (subjektiven) „Daueranlagewerts“ also nicht.
cc. Keine Manipulationsfreiheit bei Anwendung der Ertragswertmethode
In der Betriebswirtschaftslehre wird argumentiert, die Minderheitsaktionäre könnten nur durch eine „fundamentale Wertermittlung“ unter Beachtung unternehmensinterner Informationen (also wohl: durch Praktizierung der Ertragswertmethode) vor „Manipulationsmöglichkeiten“ des Mehrheitsaktionärs geschützt werden, der bei einer alleinigen Maßgeblichkeit des Börsenkurses private Informationen zu Lasten außenstehender Aktionäre nutzen könne (Ruthardt/Hachmeister, NZG 2014, 455 ff., 457). Einzuwenden ist jedoch, dass auch die Ertragswertmethode in der Prägung durch den IDW S 1 die Minderheitsaktionäre nicht vollkommen vor „Manipulationsmöglichkeiten“ schützt. Denn die Unternehmensplanung lässt dem Management des zu bewertenden Unternehmens viele Spielräume, Einfluss auf die Bewertung zu nehmen.
dd. Stringenzüberlegungen
Im Übrigen zieht die Betriebswirtschaftslehre bei der Ermittlung des Ertragswerts vielfach Marktdaten heran. So wird die unternehmensindividuelle Risikoprämie für das Ertragswertverfahren regelmäßig (wie auch im vorliegenden Fall) anhand von Betafaktoren von Peer-Group-Unternehmen ermittelt, die wiederum anhand von Kapitalmarktdaten errechnet werden. Auch bei der Marktrisikoprämie verwendet die Betriebswirtschaftslehre im Rahmen des Ertragswertverfahrens nach dem Tax-CAPM in jüngster Zeit Gesamtrenditen als „implizite Kapitalkosten“ zur zusätzlichen Begründung der (subjektiven) Einschätzung. Diese impliziten Kapitalkosten leitet man wiederum aus bekannten Marktwerten (Börsenkursen) und erwarteten Cashflows her (Castedello/Jonas/Schieszl/Lenckner, Wpg 2018, 806 ff., 818 unter Hinweis auf Jäckel/Kaserer/Mühlhäuser, WPg 2013, 365 ff.; Wagner/Mackenstedt/Schieszl/ Lenckner/ Willmershausen, WPg 2013, 948 ff., 950 ff.).
Die Kammer hat bereits in einem anderen Spruchverfahren ausgeführt, dass sie für diesen Weg durchaus gute Gründe sieht – trotz möglicherweise im Einzelfall berechtigten Misstrauens gegen die Zuverlässigkeit einzelner Analystenschätzungen, trotz fehlender intersubjektiver Nachprüfbarkeit und trotz begrenzt möglicher Betrachtungszeiträume und weiterer Argumente (LG Stuttgart, Beschluss vom 17. September 2018 – 31 O 1/15 KfH SpruchG –, Rn. 452 ff., juris). Bestehen jedoch im Einzelfall bei der „indirekten Bewertungsmethode“ über den Ertragswert keine Bedenken, Kapitalmarktdaten wie Börsenkurse bei der Einschätzung einer angemessenen Marktrisikoprämie heranzuziehen, so ist es konsequent, diese Börsenkurse – wo immer möglich – direkt und unmittelbar zur Bewertung der Aktie heranzuziehen.
Der BGH hat in der Entscheidung „DAT/Altana“ deutlich gemacht, dass im Falle einer Verschmelzung für die Bewertung der Aktien sowohl der beherrschten als auch der herrschenden AG grundsätzlich der Börsenkurs zugrunde zu legen ist, damit möglichst gleiche Ausgangsvoraussetzungen für die Bestimmung der Wertrelation vorliegen. Auf den „Schätzwert“ (also nach dem Ertragswertverfahren ermittelte Werte) könne nur ausnahmsweise bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen ausgewichen werden (BGH, Beschluss vom 12. März 2001 – II ZB 15/00 –, Leitsatz 4, juris). Was für die Verschmelzungswertrelation gilt, sollte als Regel auch beim Abschluss von Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen gelten.
2. Referenzzeitraum
Nach der Rechtsprechung des BGH ist beim Börsenkurs auf einen Durchschnittskurs über einen „relativ kurz“ zu wählenden Zeitraum von drei Monaten „in größtmöglicher Nähe zu dem Stichtag“ abzustellen.
Die ursprüngliche Auffassung, beim Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages sei auf den Durchschnittskurs in den drei Monaten vor der Hauptversammlung der beherrschten Gesellschaft abzustellen (BGH, Beschluss vom 12. März 2001 – II ZB 15/00 –, „DAT/Altana IV“, juris Rn. 24), hat der BGH im Jahr 2010 aufgegeben. Nach entsprechender Kritik des OLG Stuttgart (OLG Stuttgart, Beschluss vom 18. Dezember 2009 – 20 W 2/08 –, juris Rn. 97 ff.; vgl. schon Stilz, ZGR 2001, 875 ff., 888) und des OLG Düsseldorf (auf dessen Vorlage hin entschieden wurde) hat der BGH entschieden, dass es auf den nach Umsatz gewichteten Durchschnittskurs im Dreimonatszeitraum „vor der Bekanntmachung der Strukturmaßnahme“ ankomme (BGH, Beschluss vom 19. Juli 2010 – II ZB 18/09 –, BGHZ 186, 229 ff., „Stollwerck“, Rn. 21, 22, auch zum Folgenden). Zur Begründung hat der BGH ausgeführt, der Tag der Hauptversammlung sei als Stichtag des Referenzzeitraums nicht geeignet, weil der Börsenkurs im Zeitraum davor regelmäßig von den erwarteten Abfindungswerten wesentlich mitbestimmt werde und bei einer Bemessung der Abfindung aufgrund dieser Referenzperiode nicht mehr der Verkehrswert der Aktie entgolten werde. „Von der Mitteilung der angebotenen Abfindung“ an, also spätestens mit der Einberufung der Hauptversammlung, die in aller Regel innerhalb des Dreimonatszeitraums liegt, nähere sich der Börsenwert dem angekündigten Abfindungswert. Dabei werde der Kurs in der Erwartung eines Aufschlags im Spruchverfahren oder - als Lästigkeitswert - im Anfechtungsprozess häufig leicht überschritten. Der angebotene Preis für die Aktie werde sicher erreicht. Aber auch schon vor der Bekanntgabe des Abfindungsangebots ändere sich „mit der Bekanntgabe der Maßnahme“ die Börsenbewertung, weg von der Orientierung am möglichen künftigen Unternehmenswert hin zur Erwartung an die künftige Abfindung. Das führe nicht selten zu „heftigen Kursausschlägen“, weil „der Phantasie in beide Richtungen keine Grenzen gesetzt seien“. Mit der Bekanntgabe der Abfindungshöhe beginne „die Spekulation auf den Lästigkeitswert“. Nach Bekanntgabe der Strukturmaßnahme bilde sich der Börsenkurs nicht mehr „aus Angebot und Nachfrage unter dem Gesichtspunkt des vom Markt erwarteten Unternehmenswertes“. Er widerspiegele dann vielmehr den Preis, „der gerade wegen der Strukturmaßnahme erzielt werden kann“, und die „durch die Strukturmaßnahme geweckte besondere Nachfrage“. Diese Nachfrage habe aber „mit dem Verkehrswert der Aktie, mit dem der Aktionär für den Verlust der Aktionärsstellung so entschädigt werden soll, als ob es nicht zur Strukturmaßnahme gekommen wäre, ... nichts zu tun“ (BGH, a.a.O., Rn. 23).
Solange die Kapitalmarktforschung keine noch besser geeigneten Anhaltspunkte entwickle, sei also der nach dem gewichteten durchschnittlichen inländischen Börsenkurs während der letzten drei Monate vor der Bekanntmachung, die nicht notwendig eine Bekanntmachung im Sinne des § 15 WpHG sein müsse, für die Bestimmung des Börsenwertes maßgeblich (BGH, Beschluss vom 19. Juli 2010 – II ZB 18/09 –, BGHZ 186, 229 ff., „Stollwerck“, Rn. 10 ff., 23).
In einer Entscheidung von 2011 hat der BGH die Festlegung des Dreimonatszeitraums auf den Zeitraum vor der Bekanntgabe der Strukturmaßnahme noch einmal bekräftigt (BGH, Beschluss vom 28. Juni 2011 – II ZB 2/10 –, juris Rn. 8).
3. Voraussetzungen der Aussagekraft von Börsenkursen
a. Generelle Voraussetzungen
Unter welchen Voraussetzungen Börsenkurse im Spruchverfahren als hinreichend aussagekräftig anzusehen sind, bleibt aus verfassungsrechtlicher Sicht der fachrichterlichen Prüfung und Würdigung überlassen. Die abstrakte Gefahr der Manipulierbarkeit oder die bloße, unbewiesene Behauptung einer Manipulation eines einzelnen Börsenkurses reicht jedenfalls nicht aus, die Aussagekraft von Börsenkursen als Bewertungsgrundlage generell in Frage zu stellen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26. April 2011 – 1 BvR 2658/10 – „Deutsche Telekom / T-Online“, juris Rn. 25; LG Stuttgart, Beschluss vom 03. April 2018 – 31 O 138/15 KfHSpruchG –, Rn. 114, juris).
Dass eine Bewertung anhand von Börsenkursen nicht möglich ist, wenn an der Börse über längere Zeit praktisch kein Handel mit den Aktien der Gesellschaft stattgefunden hat, so dass nicht von „repräsentativen Börsenkursen“ die Rede sein kann, liegt auf der Hand (BVerfG, Beschluss vom 27. April 1999 – 1 BvR 1613/94 –, juris Rn. 67; LG Stuttgart, Beschluss vom 03. April 2018 – 31 O 138/15 KfHSpruchG –, Rn. 115, juris). Gegen die Heranziehung taxierter Kurse spricht, dass ihnen kein realer Börsenhandel zugrunde liegt und sie lediglich auf einer Schätzung des Skontroführers beruhen (Riegger/Wasmann, in FS Stilz, 2014, Seite 513). Es sollten daher nur gehandelte Kurse, keine Taxakurse einfließen (LG Stuttgart, Beschluss vom 03. April 2018 – 31 O 138/15 KfHSpruchG –, Rn. 116, juris).
Im Übrigen gilt: Der Unternehmenswert einer börsennotierten Gesellschaft ist in der Regel nach dem Börsenkurs der Aktie zu bestimmen. Die Nichtheranziehung des Börsenkurses zur Wertbestimmung im Spruchverfahren sollte die Ausnahme bleiben (wie hier Veil/Preisser, in Spindler/Stilz AktG 4. Aufl. 2019, § 305 Rn. 55 f.).
Eine solche Ausnahme liegt etwa vor, wenn Börsenkurse wesentlich durch eine Kursmanipulation im Wege gezielter Falschinformationen beeinflusst wurden oder wenn und soweit es um Börsenkurse geht, die durch nachgewiesenen Insiderhandel zustande gekommen sind. Denn in diesem Fall ermöglicht der Börsenkurs kein Angemessenheitsurteil (zu diesen Fallgruppen schon LG Stuttgart, Beschluss vom 03. April 2018 – 31 O 138/15 KfHSpruchG –, Rn. 116, juris).
Die partielle Informationsineffizienz des Kapitalmarkts an sich spricht hingegen nicht gegen die Legitimität der Heranziehung real gebildeter (Markt-)Preise für die Aktie bei der Bestimmung des Verkehrswerts. Denn man kann nach den bereits oben dargestellten Grundüberlegungen der neoklassischen Finanzmarkttheorie zumindest davon ausgehen, dass erstens zwar nicht alle vorhandenen, aber doch alle der Öffentlichkeit zugänglichen Informationen potentiell Eingang in die Wertpapierkurse finden, und dass zweitens von schlecht informierten oder irrational agierenden Marktteilnehmern aufgerufene, zu geringe Angebotspreise schnell von gut informierten, professionellen Anlegern ausgenutzt und zur eigenen Gewinnmaximierung genutzt werden mit der Folge, dass sich im Idealfall der Kurs nach kurzer Zeit dem Wert angleicht, den die bestinformierten Anleger der Aktie beimessen (zum Ganzen vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 03. September 2010 – 5 W 57/09, juris Rn. 63 ff.; LG Stuttgart, Beschluss vom 03. April 2018 – 31 O 138/15 KfHSpruchG –, Rn. 92, juris).
Eine strenge Informationseffizienz im Sinne einer vollständigen Freiheit des Marktes von Informationsasymmetrien verlangt auch der BGH für die Aktienbewertung nicht. Sie als Voraussetzung für die Heranziehung von Börsenkursen zur Bewertung zu fordern, hieße, unrealistische Bedingungen zu formulieren, und erscheint wie bei der Bewertung anderer Wirtschaftsgüter, die auf anderen (noch ineffizienteren) Märkten gehandelt werden, auch nicht zwingend geboten (LG Stuttgart, Beschluss vom 03. April 2018 – 31 O 138/15 KfHSpruchG, Rn. 94, juris; einschränkend Veil/Preisser, in Spindler/Stilz a.a.O. § 305 Rn. 56). Das zeigt sich in der vom BGH in den Entscheidungen vom 12. März 2001 und vom 12. Januar 2016 gewählten Formulierung: „... die Berücksichtigung des Börsenwerts beruht auf der Annahme, dass die Marktteilnehmer auf der Grundlage der ihnen zur Verfügung gestellten Informationen und Informationsmöglichkeiten die Ertragskraft des Unternehmens, um dessen Aktien es geht, zutreffend bewerten und sich die Marktbewertung im Börsenkurs der Aktien niederschlägt.“
Die vom BGH geforderte „effektive Informationsbewertung“ (BGH, Beschluss vom 12. Januar 2016 – II ZB 25/14 –, BGHZ 208, 265-278, Rn. 23) bedeutet also im Sinne einer mittelstrengen Informationseffizienz, dass es jedenfalls ausreicht, wenn alle der Öffentlichkeit zugänglichen Informationen tatsächlich kurzfristig auch Eingang in den Börsenkurs gefunden haben und insoweit keine „Kursverzerrungen“ ersichtlich sind (vgl. BGH, Beschluss vom 12. März 2001 - II ZB 15/00 – Rn. 19; Beschluss vom 12. Januar 2016 – II ZB 25/14, Rn. 23; LG Stuttgart, Beschluss vom 03. April 2018 – 31 O 138/15 KfHSpruchG –, Rn. 93, Rn. 118, juris; zu den Informationseffizienzgraden OLG Frankfurt, Beschluss vom 03. September 2010 – 5 W 57/09, juris Rn. 65).
Im Übrigen gilt: Wenn man mit den Erkenntnissen aus der Verhaltensökonomie (auch dazu oben) von teils irrationalem (wissenschaftlich aber erklärbarem) Verhalten der Marktteilnehmer ausgeht, verarbeitet der Mensch bei Anlageentscheidungen ohnehin nicht alle verfügbaren Informationen. Durch dieses Verhalten werden nicht nur das Marktgeschehen, sondern auch die Wertvorstellungen der Marktteilnehmer geprägt. Ein Nachweis über eine „vollständige“ und rationale Informationsverarbeitung in den Börsenkursen wird deshalb kaum zu erbringen sein. Die Kammer lässt an dieser Stelle offen, ob und wann im jeweiligen Einzelfall wissenschaftlich erklärbare und nach den Erkenntnissen der Verhaltensökonomie sogar marktprägende „Verzerrungen“ (etwa im Sinne einer verzögerten oder ausbleibenden „rationalen“ Informationsverarbeitung in den Kursen) dazu führen müssen, die Börsenkursentwicklung im Referenzzeitraum als vom „wahren Wert“ losgelöst und als „unangemessen“ im Sinne von §§ 304, 305 AktG zu betrachten.
Die in der Literatur zu findende These, dass bei „Marktenge“ die dennoch zustande gekommenen Kurse nicht hinreichend repräsentativ seien und dass es sich dabei um „Zufallskurse“ handele (Richard/Weinheimer, BB 1999, 1613 ff., 1620), gilt es für die Anwendung bei §§ 304, 305 AktG kritisch zu hinterfragen. Denn der Minderheitsaktionär wird bei einer fiktiven, „freien“ Deinvestitionsentscheidung nicht nur, aber auch im Falle der „Marktenge“ unter Umständen damit konfrontiert, dass potentielle Käufer seiner Aktien sich gerade an den erwähnten „Zufallskursen“ orientieren, wenn sie limitierte Kauforders abgeben. Der Minderheitsaktionär, der sich in dieser Situation dennoch von seinen Aktien trennen will, riskiert, dass er am Markt niemanden findet, der an der Börse einen höheren „wahren inneren Wert“ zu zahlen bereit ist, so dass auch er in der Realität nur die tatsächlich gehandelten Kurse erzielen kann (wie hier schon LG Stuttgart, Beschluss vom 03. April 2018 – 31 O 138/15 KfHSpruchG –, Rn. 117, juris). Die „Marktenge“ ist insoweit dem Papier, das der Minderheitsaktionär hält, immanent. Sie schränkt faktisch die an sich gegebene, durch die Börsennotierung gesteigerte Verkehrsfähigkeit der Aktie ein, ohne dass diese Einschränkung erst durch die Strukturmaßnahme, die Anlass für das Spruchverfahren gibt, verursacht worden wäre. Es gibt keine verfassungsrechtlichen Gründe, die „Marktenge“ bei der Bestimmung der Abfindung außer Betracht zu lassen.
Von der Situation der „Marktenge“ (also der Knappheit von Angebot oder Nachfrage, so dass nicht jeder Transaktionswunsch zu jeder Zeit erfüllt werden kann) grundlegend zu unterscheiden ist die bereits angesprochene Situation, in der über längere Zeiträume praktisch nur „taxierte Kurse“ dokumentiert werden.
Die Kammer lässt dahingestellt, ob und welche sonstigen Konstellationen es geben kann, in denen dem durchschnittlichen Börsenkurs die Aussagekraft abzusprechen ist.
b. Vorliegen der Voraussetzungen für eine Heranziehung im vorliegenden Fall
Die Voraussetzungen für eine Heranziehung der umsatzgewichteten durchschnittlichen Börsenkurse der X-Aktie im Dreimonatszeitraum vor der Bekanntgabe des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages am 16. Mai 2007 liegen vor.
Eine „Marktenge“ lag nicht vor. Soweit man in § 5 Abs. 4 WpÜG-AngebVO eine Konkretisierung des Begriffs der Marktenge sieht, wäre von einer solchen nur dann auszugehen, wenn kumulativ während der letzten drei Monate an weniger als einem Drittel der Börsentage Börsenkurse festgestellt worden wären und mehrere nacheinander festgestellte Börsenkurse um mehr als fünf Prozent voneinander abgewichen wären (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12. September 2017 – 12 W 1/17 –, Rn. 40, juris). Die Aktie wurde jedoch im Referenzzeitraum an jedem Handelstag gehandelt (PB Seite 41; zur Erhebung der Handelsdaten Bl. 1195 ff.).
Soweit man auf einen Vergleich zwischen dem Handelsvolumen im Referenzzeitraum und der Gesamtzahl der ausgegebenen Aktien abstellt, fehlt es im vorliegenden Fall ebenfalls an einer „Marktenge“ (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 07. Januar 2013 – 13 W 2/12, Rn. 25: keine Erhöhung auf den durchschnittlichen Börsenkurs bei einem Handelsvolumen von nur 0,022%). Abgesehen von den Beteiligungen der Antragsgegnerin in Höhe von seinerzeit 75% + 1 Aktie und des Herrn Bruker von 377.551 Aktien (rund 7,3% des Grundkapitals) befanden sich im Mai 2007 die übrigen 909.948 Aktien, also rund 17,7% des Grundkapitals, im Streubesitz (Anl. AG 2, Gemeinsamer Bericht, Seite 14). Zwischen dem 16. Februar 2007 und dem 15. Mai 2007 wurden insgesamt über 201.000 X-Aktien an den Börsen Stuttgart, Berlin, Düsseldorf, Frankfurt und München gehandelt. Das entspricht rund 3,9% des Grundkapitals und über 22% des Streubesitzes. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass jeder Aktionär grundsätzlich in der Lage gewesen wäre, seine Aktien zum Börsenkurs zu veräußern (vgl. Bl. 1195 ff. d.A. und BewGA Seite 40; PB Seite 41).
Anzeichen für eine Manipulation des Börsenpreises sind hier nicht festzustellen.
Vor Manipulation schützen bereits die sanktionsbewehrten kapitalmarktrechtlichen Informationspflichten (§ 15 WpHG a.F., heute Art. 17 der Marktmissbrauchs-Verordnung, Verordnung (EU) Nr. 596/2014 vom 16. April 2014; so auch BGH, Beschluss vom 19. Juli 2010 – II ZB 18/09 –, BGHZ 186, 229-242, Rn. 27), das kapitalmarktrechtliche Insiderhandelsverbot und das Verbot der Marktmanipulation (Art. 14, 15 der Marktmissbrauchs-Verordnung).
Im Übrigen hat der BGH ausgeführt, dass Manipulationen erheblich erschwert, mit einiger Wahrscheinlichkeit sogar ausgeschlossen werden, wenn (wie hier geschehen) ein durchschnittlicher Referenzkurs gewählt wird (BGH, Beschluss vom 12. März 2001 – II ZB 15/00 –, Rn. 24, juris).
Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass Details zur Unternehmensplanung der X AG vom November 2006 oder zur modifizierten Planung Stand 11. Mai 2007 vor Ablauf des Referenzzeitraums, d.h. vor der Bekanntgabe des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages veröffentlicht oder sonst am Kapitalmarkt bekannt geworden sind. Die nicht veröffentlichten Planzahlen konnten daher auch den Börsenkurs nicht zum Nachteil der Minderheitsaktionäre negativ beeinflussen. Der Hinweis in der Ad hoc-Mitteilung vom 23. April 2007 (Anl. AG 8) darauf, dass das Ergebnis „merklich über die Planung“ liege, und die positiv gestaltete Ad hoc-Mitteilung selbst, in der von einem Quartalsergebnis „auf hohem Niveau“ die Rede ist und die keine Ausführungen zu einem etwaigen pessimistischen Ausblick enthält, waren ebenfalls nicht geeignet, den Börsenkurs zum Nachteil der Minderheitsaktionäre negativ zu beeinflussen.
Weder aus dem Bewertungsgutachten, aus dem Prüfungsbericht der sachverständigen Prüferin (PB Seite 39 ff.) und aus dem Vertragsbericht noch aus den Stellungnahmen der Antragsteller ergeben sich konkrete Tatsachen, die gegen eine Heranziehung des Börsenkurses sprechen würden. Im Gegenteil, verweisen viele Antragsteller in den Antragsschriften auf die ihres Erachtens unzureichende Berücksichtigung des Börsenkurses (oben A. II.). Die sachverständige Prüferin hat den durchschnittlichen Börsenkurs als „geeigneten Vergleichsmaßstab“ bezeichnet (PB Seite 41).
4. Ermittlung des durchschnittlichen, umsatzgewichteten Börsenkurses
Der hier maßgebliche, nach den oben genannten Kriterien zu ermittelnde durchschnittliche umsatzgewichtete Börsenkurs im Dreimonatszeitraum vor der Bekanntgabe der Strukturmaßnahme (vgl. Anl. AG 20; PB Seite 41) betrug 39,31 EUR pro Aktie, wie sich aus der vorgelegten Mitteilung der BaFin und deren Bezugnahme auf § 5 Abs. 3 WpÜG-AngebVO ergibt (Anl. AG 21). Kurse, die am Tag der Bekanntgabe der Strukturmaßnahme (hier: 16. Mai 2007) zustande gekommen sind, waren nicht mitzurechnen (vgl. Bl. 1125, 1147 d.A.), denn es ist davon auszugehen, dass sie ebenso wie die Kurse, die erst nach Bekanntgabe der Strukturmaßnahme bis zum Bewertungsstichtag an der Börse zustande gekommen sind, durch „Abfindungsspekulationen“ mitgeprägt waren.
Zu einer rechnerischen Erhöhung, wie sie bei Verstreichenlassen eines längeren Zeitraums zwischen Bekanntgabe der Strukturmaßnahme und Bewertungsstichtag geboten sein kann (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Juli 2010 – II ZB 18/09 –, BGHZ 186, 229-242, Rn. 29, im entschiedenen Fall: siebeneinhalb Monate, vgl. Rn. 30), besteht vorliegend kein Anlass. Denn zwischen dem Ende des Referenzzeitraums und dem Tag der Hauptversammlung lagen weniger als zwei Monate (vgl. Austmann, in Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 4, 4. Aufl. 2012 § 75 Rn. 101 m.w.N.).
5. Überlegenheit der marktorientierten Bewertungsmethode im vorliegenden Fall
Die Kammer hält im vorliegenden Fall die marktorientierte Bewertungsmethode, also die Heranziehung von an der Börse gebildeten Marktpreisen zur Bestimmung des Verkehrswerts der Aktie gegenüber der Ertragswertmethode für überlegen. Neben den allgemeinen hierfür sprechenden Argumenten, die bereits dargestellt wurden (oben 2.), sprechen für diese Überlegenheit hier insbesondere folgende Erwägungen:
- Die X AG befand sich am Bewertungsstichtag noch in einer unternehmerischen „Umbruchsituation“. Das frühere, im Bereich „Derivate“ bis Ende 2006 und im Bereich Aktien, Fonds und Renten bis Mitte 2007 betriebene Geschäftsmodell der Skontroführerschaft musste durch Betätigung in anderen Geschäftsfeldern, insbesondere als „Quality Liquidity Provider“ ersetzt werden (dazu schon oben A. I.).
- Als weitere Schwierigkeit bei der rückblickenden Bewertung der X AG zum Bewertungsstichtag mithilfe der Ertragswertmethode kommt hinzu, dass sich die Gesellschaft im „Börsenumfeld“ betätigte und betätigt, und dass sie abhängig war und ist von den sich verändernden gesetzlichen Rahmenbedingungen, von der generellen Entwicklung nicht nur des Kapitalmarktes in Deutschland und weltweit (etwa beim Ordervolumen), sondern auch von den Zukunftsaussichten speziell der Börse NN, an die sie sich wirtschaftlich gebunden hatte, insbesondere in den bis Ende 2006 schwerpunktmäßig von ihr als Skontroführer betreuten Handelssegmenten. Zuverlässige stichtagsbezogene Prognosen zur Entwicklung des Marktes und des Wettbewerbs unter den Börsenplätzen in Deutschland und zwischen der Gesellschaft und anderen Wettbewerbern an anderen Börsenplätzen (beispielsweise um Emittenten) sind und waren kaum möglich.
- Sowohl für den Vorstand als auch für die an der Bewertung anlässlich des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages beteiligten Wirtschaftsprüfer war es – trotz tatsächlich festgestellter Unzulänglichkeiten der Planung – ebenso wie für das Gericht angesichts dieser Ausgangslage extrem schwierig, sachgerechte Planannahmen zu treffen und diese möglichst anhand von Fakten zu „verplausibilisieren“.
- Vor dem Problem der hier besonders schwierigen Einschätzung von Chancen und Risiken des Unternehmens und vor dem Problem sehr unsicherer Prognosen standen auch die Kapitalanleger, die sich am Bewertungsstichtag überlegten, Aktien der X AG zu erwerben oder zu veräußern.
- Die Bewertungsgutachterin hat bei der Begutachtung im Mai 2007 „in Abstimmung“ mit der Gesellschaft den geplanten Verwaltungsaufwand bei den Handelsgebühren erhöht (oben C. II. 3., 4. b. aa. ccc. (6) sowie 4. d.), was von der sachverständigen Prüferin nicht beanstandet wurde, obwohl damals bereits erkennbar war, dass die Handelsgebühren sich durch den Wegfall der Schlussnotengebühren teilweise bereits im ersten Quartal merklich verringert hatten und absehbar war, dass sie weiter abnehmen würden (Abschaffung der Schlussnotengebühren im Rahmen des neuen Marktmodells und der neuen Gebührenregelung der Börse). Angesichts dessen ist es aus Sicht der Kammer nicht gerechtfertigt, den Planzahlen des Unternehmens bzw. der Bewertungsgutachterin größeres Vertrauen entgegenzubringen als der Einschätzung des Kapitalmarkts.
- Die Ertragswertmethode steht allgemein, im vorliegenden Fall aber in besonderem Maße vor dem Problem, dass nunmehr fast zwölf Jahre alte Planzahlen für die Jahre 2007 bis 2009 und daraus abzuleitende Ergebnisse für die „ewige Rente“ auf Plausibilität zu prüfen und hier wegen teilweise fehlender Plausibilität (dazu oben II. 4.), und zwar nicht nur punktuell, im Wege der Schätzung korrigiert werden müssten – dies bei einem zugleich zu beachtenden Verbot der retrospektiven Betrachtung. Bei Rückgriff auf den durchschnittlichen Börsenkurs stellen sich derartige Probleme nicht.
Die Kammer traut den damaligen Akteuren am Kapitalmarkt bei einer Gesamtabwägung eine gute und ausgewogene Einschätzung des Werts der X-Aktie zu, so dass sich aus den Börsenkursen unmittelbar auch ihr Verkehrswert ergibt und der angemessene Ausgleich berechnen lässt (wie geschehen). Vertiefte Überlegungen zum möglichen Spektrum eines Ertragswertes sind damit obsolet.
6. Ergebnis für die Angemessenheitsprüfung der Abfindung und den Unternehmenswert
Mit Blick auf den umsatzgewichteten durchschnittlichen Börsenkurs von 39,31 EUR, der unter dem im Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag vorgesehenen Abfindungsbetrag von 40,82 EUR liegt, kann festgehalten werden: Die im Unternehmensvertrag vorgesehene Abfindung ist angemessen, weil sie den Verkehrswert pro Aktie übersteigt.
Bei 5.150.000 Aktien und einem Verkehrswert von 39,31 EUR pro Aktie ergibt sich rechnerisch ein Unternehmenswert zum Bewertungsstichtag von 202.446.500 EUR. Die Bewertungsgutachterin und die sachverständige Prüferin sind im Mai 2007 auf der Grundlage des Ertragswertverfahrens zu einem Unternehmenswert am Bewertungsstichtag von 210.079 TEUR gelangt (BewGA Seite 38; PB Seite 39), letzteres allerdings unter Verwendung teils nicht realistischer Planzahlen einerseits und eines zu niedrigen Basiszinssatzes andererseits (zu letzterem unten IV. 2. c.).
IV. Angemessenheit des Ausgleichs
Der am 16. Mai 2007 unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Hauptversammlung geschlossene Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag sieht eine jährliche Ausgleichszahlung von 3,85 EUR je Aktie „abzüglich der auf diesen Betrag entfallenden Körperschaftsteuer nebst Solidaritätszuschlag nach den jeweils für diese Steuern für das betreffende Geschäftsjahr geltenden Sätzen“ vor, wobei ein Bruttobetrag von 3,74 EUR pro Aktie der deutschen Körperschaftsteuer unterlag und weitere 0,11 EUR aus nicht mit deutscher Körperschaftsteuer belasteten Gewinnen herrührten (vgl. Vertragswortlaut § 5 Abs. 1, Anl. A 2 nach Bl. 36 d.A.).
Ein Gewinnabführungsvertrag muss gemäß § 304 Abs. 1 Satz 1 AktG einen angemessenen Ausgleich für die außenstehenden Aktionäre in Form einer wiederkehrenden Geldleistung (Ausgleichszahlung) vorsehen. Als Ausgleichszahlung ist gemäß § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG mindestens die jährliche Zahlung des Betrags zuzusichern, der nach der bisherigen Ertragslage der Gesellschaft und ihren künftigen Ertragsaussichten unter Berücksichtigung angemessener Abschreibungen und Wertberichtigungen, jedoch ohne Bildung anderer Gewinnrücklagen, voraussichtlich als durchschnittlicher Gewinnanteil auf die einzelne Aktie verteilt werden könnte. Das Gericht hat im Spruchverfahren gemäß § 304 Abs. 3 Satz 3 AktG dann einen angemessenen Ausgleich festzusetzen, wenn der im Vertrag bestimmte Ausgleich nicht angemessen ist.
1. Methodische Vorgehensweise und Basis der Verrentung
Zur Prognose der durchschnittlich verteilungsfähigen Gewinne wird wegen der Volatilität der Ertragslage überwiegend an den Unternehmenswert angeknüpft. Aus diesem wird sodann nach der Rentenformel der Ausgleichsbetrag abgeleitet. Durch die Verrentung könne methodisch der Durchschnitt der künftigen Gewinnerwartungen ermittelt werden (OLG Stuttgart, Beschluss vom 20. August 2018 - 20 W 1/13 unter B.II.2.b; Beschluss vom 14. Februar 2008 – 20 W 9/06 –, Rn. 116, juris unter Hinweis auf Jonas Wpg 2007, 835, 836 f.; Beschluss vom 14. September 2011 – 20 W 6/08 –, Rn. 216, juris; BGH, Beschluss vom 21. Juli 2003 – II ZB 17/01 –, Rn. 12, 13: Ermittlung des Bruttowerts des Ausgleichs mithilfe eines Kapitalisierungszinssatzes). Diese Methode entspricht auch der herrschenden Meinung sowohl in der betriebswirtschaftlichen als auch in der juristischen Literatur (Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert a.a.O. Seite 859; Emmerich, in Emmerich/Habersack Aktien-/GmbH-KonzernR 8. Aufl. 2016, § 304 Rn. 39; Paulsen, in MüKo AktG 4. Aufl. 2015, § 304 AktG Rn. 75, 77; zur vereinzelt vertretenen Gegenauffassung, der Ausgleich nach § 304 AktG dürfe nicht als verrentete Abfindung angesehen werden und könne daher nicht aus dem „Abfindungswert“ berechnet werden, Paschos, in Henssler/Strohn GesR 3. Aufl. § 304 Rn. 8). Streng genommen geht es bei § 304 Abs. 2 AktG nicht um den gesamten künftigen Gewinn (der über die Verrentung miteinbezogen wird), sondern um den künftigen verteilungsfähigen Gewinn, freilich ohne Berücksichtigung der Bildung von Gewinnrücklagen.
Wäre der Verkehrswert des Unternehmens mithilfe des Ertragswertverfahrens ermittelt worden und läge dieser höher als der Börsenwert, so wäre der höhere Wert Ausgangsbasis für die Ausgleichsberechnung (BGH, Urteil vom 13. Februar 2006 – II ZR 392/03 –, BGHZ 166, 195-203, Rn. 13; OLG Stuttgart, Beschluss vom 17. Oktober 2011 – 20 W 7/11 –, Rn. 481, juris). Das ist hier jedoch nicht der Fall. Der Börsenwert entspricht dem Verkehrswert der X AG zum maßgeblichen Bewertungszeitpunkt, welcher wiederum auch etwaiges nicht betriebsnotwendiges Vermögen bereits umfasst, so dass auch diesbezüglich keine Addition vorzunehmen ist.
2. Kapitalisierungszinssatz
a. Mischzinssatz
Inzwischen hat sich in der betriebswirtschaftlichen und juristischen Literatur wie auch in der Rechtsprechung die Auffassung durchgesetzt, dass für die Zwecke der Ausgleichsberechnung nach § 304 AktG nicht der zur Ermittlung des Ertragswerts herangezogene „volle“ Kapitalisierungszinssatz, sondern ein Mischzinssatz aus risikolosem Basiszinssatz und „vollem“ Kapitalisierungszinssatz zu verwenden ist, insbesondere weil die Ausgleichszahlungen zumindest während der Laufzeit des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages anders als die unregelmäßigen vorvertraglichen Gewinne und anders als Dividendenzahlungen abgesehen vom Bonitätsrisiko quasi sicher sind, so dass eine Verrentung mit dem vollen risikoadjustierten Kapitalisierungszinssatz nicht sachgerecht wäre. Das Risiko des garantierten Ausgleichs liegt unter dem normalen Risiko einer unternehmerischen Beteiligung. Letzteres lebt im Falle der Beendigung des Beherrschungsvertrags wieder auf. Möglicherweise besteht danach auch eine andere Risikostruktur als zum Bewertungsstichtag. Das rechtfertigt es, einen über dem quasi risikolosen Basiszinssatz, aber unter dem risikobehafteten vollen Kapitalisierungszinssatz liegenden Verrentungszinssatz anzuwenden. Überwiegend wird deshalb für die Ermittlung des Ausgleichs ein Mischzinssatz aus risikofreiem Basiszinssatz und risikoadjustiertem Kapitalisierungszinssatz angenommen (OLG Stuttgart, Beschluss vom 20. August 2018 - 20 W 1/13 unter B.II.2.b.bb; OLG Stuttgart, Beschluss vom 05. November 2013 – 20 W 4/12 –, Rn. 134, juris; Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, Seite 859 f.; Paulsen, in MüKo AktG a.a.O. § 304 Rn. 77; anders in diesem Punkt wohl noch BGH, Beschluss vom 21. Juli 2003 – II ZB 17/01 –, Rn. 14, juris).
b. Nachsteuerbetrachtung
Die Nachsteuerbetrachtung, wonach die Auswirkungen persönlicher Ertragssteuern der Anteilseigner zum einen auf der Ebene der künftigen Zuflüsse und zum anderen beim Kapitalisierungszinssatz berücksichtigt werden, ist für den vorliegenden Bewertungsanlass allgemein anerkannt und gebräuchlich. Dasselbe gilt für die Typisierung der steuerlichen Verhältnisse der Anteilseigner (vgl. inzwischen IDW S1 i.d.F. 2008, Tz. 28-31, 43 ff.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 15. Oktober 2013 – 20 W 3/13 –, Rn. 113, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 28. September 2017 – 20 W 5/16 –, Rn. 45, juris). Die Minderheitsaktionäre können nur eine Zahlung verlangen, die um die Körperschaftsteuer in der jeweils gesetzlich vorgegebenen Höhe gemindert ist (BGH, Beschluss vom 21. Juli 2003 – II ZB 17/01 –, BGHZ 156, 57-64, Rn. 12). Die Berechnung des Ausgleichsbetrags wird nach der Rechtsprechung des BGH - unter Abkehr vom Stichtagprinzip - von der künftigen Steuerrechtsentwicklung abhängig gemacht, weil den Aktionären der Bruttogewinnanteil je Aktie abzüglich der von der Gesellschaft hierauf zu entrichtenden (Ausschüttungs-) Körperschaftssteuer in Höhe des „jeweils gültigen Steuertarifs“ zugesprochen werden soll (OLG Stuttgart, Beschluss vom 14. September 2011 – 20 W 6/08, Rn. 231 für einen Bewertungsstichtag vor Inkrafttreten des Unternehmenssteuerreformgesetzes 2008).
Einige Antragsteller vertreten die Auffassung, dass bei der Bewertung abweichend vom Bewertungsgutachten und vom Prüfungsbericht die Auswirkungen des Unternehmenssteuerreformgesetzes 2008 vom 14. August 2007 (BGBl. I, 1912) berücksichtigt werden müssten. Diesem Anliegen kann nicht gefolgt werden.
Am Bewertungsstichtag lag ein von der Bundesregierung beschlossener Entwurf des Unternehmenssteuerreformgesetzes 2008 vor, der u.a. eine Verringerung der nominalen Belastung bei Kapitalgesellschaften und den Übergang vom Halbeinkünfteverfahren zur Abgeltungssteuer vorsah (BT-Drs. 16/4841). Der Gesetzentwurf war dem Bundesrat am 30. März 2007 zur Stellungnahme gemäß Art. 76 Abs. 2 GG zugeleitet worden (BR-Drs. 220/07). Der Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zeigt jedoch, dass zum Bewertungsstichtag über wesentliche Fragen für die Absenkung der Steuerlast der Unternehmen und den zur Gegenfinanzierung vorgesehenen Einschränkungen von Steuergestaltungsmöglichkeiten noch keine Einigkeit bestand. In ihren Stellungnahmen vom 30. April 2007 und 02. Mai 2007 empfahlen der federführende Finanzausschuss, der Agrarausschuss, der Ausschuss für Innere Angelegenheiten und der Wirtschaftsausschuss dem Bundesrat für dessen Sitzung am 11. Mai 2007 zunächst nicht die Zustimmung zu dem Gesetzentwurf (BR-Drs. 220/1/07). Auch das Land Baden-Württemberg hielt in seinem Plenarantrag vom 10. Mai 2007 Korrekturen bei den geplanten Regelungen zur sog. Zinsschranke für geboten (BR-Drs. 220/2/07). Tatsächlich beschloss der Bundesrat im ersten Durchgang zunächst nicht die Zustimmung zu dem Gesetzentwurf, wie sich aus seiner 35 Seiten umfassenden Stellungnahme vom 11. Mai 2007 und den dort aufgeführten Prüfungspunkten ergibt (BR-Drs. 220/07 Beschluss). Der nach Umschichtungen gefasste Gesetzesbeschluss des Bundestages vom 25. Mai 2007 (BT-Drs. 16/5491) ging erst am 15. Juni 2007 beim Bundesrat ein (BR-Drs. 384/07). Auch danach galt dessen Zustimmung noch als unsicher und war keineswegs "reine Formsache". Die erforderliche Mehrheit von Bundesratsstimmen für die Zustimmung der Länderkammer, die letztlich am 06. Juli 2007 erteilt wurde (BR-Drs. 384/07 Beschluss), zeichnete sich erst am Vortag ab.
Bei der Ermittlung des Unternehmenswerts ist grundsätzlich auf die Verhältnisse der Gesellschaft am Bewertungsstichtag abzustellen. Infolgedessen sind grundsätzlich auch die gesetzlichen Regelungen dieses Stichtages zugrunde zu legen. Entwicklungen, die erst später eintreten, dürfen nur berücksichtigt werden, soweit sie zum Zeitpunkt des Bewertungsstichtags im Kern angelegt waren (sog. „Wurzeltheorie“; vgl. BGH, Urteil vom 17. Januar 1973 - IV ZR 142/70 - Rn. 17; Beschluss v. 04. März 1998 - II ZB 5/97- Rn. 11; Urteil v. 28. Mai 2013 - II ZR 67/12 - Rn. 59). Gesetzgebungsvorhaben, die zum Bewertungsstichtag noch nicht abgeschlossen sind, können nur dann in die Bewertung einbezogen werden, wenn bereits am Stichtag abzusehen ist, dass die Reformen in Kraft treten werden (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25. Mai 2016 – I-26 W 2/15 (AktE), Rn. 58; OLG Stuttgart, Beschluss vom 04. Mai 2011 - 20 W 11/08 - Rn. 146; Beschluss vom 17. Oktober 2011 - 20 W 7/11 - Rn. 263 m.w.N.; Kruschwitz/Löffler/Essler, Unternehmensbewertung für die Praxis (2009), S. 155; Popp/Ruthardt, AG 2015, 857 f.). Das entspricht auch der zum Bewertungsstichtag aktuellen Empfehlung im Bewertungsstandard IDW S 1 (2005) (dort Tz. 22), der publizierten Auffassung des Fachausschusses für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) speziell zu diesem Problem (IDW FN Nr. 4/2007, Seite 175, vorgelegt als Anl. AG 5) sowie der späteren Empfehlung des FAUB vom 02. April 2008 (vgl. IDW S 1 (2008) FN 1 S. 4).
Den Minderheitsaktionären, die die Ausgleichszahlung in Anspruch genommen haben und nehmen, widerfährt dadurch bei der Ausgleichsberechnung kein Nachteil, weil durch Ausweis des Bruttobetrages abzüglich Steuerbelastung in der jeweils gesetzlich geregelten Höhe das am Tag der Ausgleichszahlung geltende Steuerrecht berücksichtigt wird.
c. Basiszinssatz
Der Kapitalisierungszinssatz setzt sich aus dem Basiszinssatz für eine „quasi risikolose“ Alternativanlage und einem Risikozuschlag zusammen. Maßgeblich sind die Verhältnisse am Bewertungsstichtag, nicht diejenigen bei Erstattung des Bewertungsgutachtens.
Der einheitliche Basiszinssatz lag am Bewertungsstichtag bei gerundet 4,5%, wie in der Aktualitätserklärung der Bewertungsgutachterin (Anl. AG 11, Seite 2) und in der Stichtagserklärung der sachverständigen Prüferin vom 29. Juni 2007 (Anl. AG 12, Seite 2) dargestellt (entgegen der ursprünglichen Behauptung der Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 27. April 2009, Seite 11, Bl. 584 d.A., korrigiert im Schriftsatz vom 29. Mai 2013, Seite 33, Bl. 898 d.A.). Im Vergleich zum bei Erstattung des Bewertungsgutachtens noch geltenden, anhand von Zinsstrukturkurven unter Zugrundegelegung der von der Deutschen Bundesbank veröffentlichten Parameter überprüften Basiszins von 4,25% (BewGA Seite 30; PB Seite 33) galt damit am Bewertungsstichtag ein höherer Basiszins.
Die gerichtlich bestellten Sachverständigen bezeichneten es im Interesse einer Modellkonsistenz als sachgerecht, bei der im Rahmen der Begutachtung zunächst vorgenommenen Bandbreitenbetrachtung einen Basiszinsatz vor Steuern von 4,5% zugrunde zu legen, und zwar sowohl im Zähler (etwa beim höheren Zinsergebnis, soweit für Ertragswertberechnungen relevant und im Rahmen der „Stichtagsannahmen“ berücksichtigt) als auch im Nenner (bei der Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes). Sie erwähnten auch die Leitzinserhöhung der EZB (SVGA Seite 80; vgl. auch ErgGA Seite 10, 59, 65), die sich zwar in erster Linie kurzfristig auswirkte (so Antragsteller Ziff. 38, Bl. 902 d.A.), die aber laut Bewertungsgutachten und Prüfungsbericht auch einen Effekt auf die Langfristbetrachtung und die Zinsstrukturkurve hatte.
Die Kammer schließt sich dem überzeugenden Votum der Sachverständigen an. Für Bewertungszwecke ist hier mithin von einem Basiszins von 4,5% (vor Steuern) auszugehen, ohne dass es der Einholung eines weiteren Gutachtens zum Kalkulationszinsfuß bedurfte.
Bei Ansatz eines typisierten Steuersatzes von 35 % unter dem damals geltenden Halbeinkünfteverfahren (OLG Stuttgart, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 20 W 2/12 –, Rn. 23, 152 juris unter Hinweis auf IDW S 1 2000 Tz. 51 und IDW S 1 2005 Tz. 53) ergibt sich ein Basiszinssatz nach Steuern von 2,925%.
d. Risikozuschlag
aa. Allgemeines
Einige Antragsteller halten die Berücksichtigung einer Marktrisikoprämie generell nicht für angebracht. Langfristig betrachtet wiesen Aktien keine Überrendite gegenüber der Anlage in öffentlichen Anleihen aus. Folgt man dieser These, müsste möglicherweise jedem Risikozuschlag grundsätzlich die Berechtigung abgesprochen werden. Das aber hieße, dass Aktienanleger letztlich im Durchschnitt keine höhere Renditeerwartung hätten als Anleger, die in relativ sichere öffentliche Anleihen investieren.
Die These, für das unzweifelhaft höhere Risiko der Aktienanlage sei keinerlei Risikozuschlag anzusetzen, verstieße nach Einschätzung der Kammer gegen jegliche Lebenserfahrung. Gegenüber der Anlage in Zerobonds oder festverzinslichen Anleihen „sicherer“ öffentlicher Emittenten bei bestehendem Rückzahlungsanspruch ist die Investition in Aktien eines Unternehmens zweifellos mit höheren Chancen, aber auch Risiken verbunden, die sich aus der unternehmerischen Tätigkeit ergeben (OLG Stuttgart, Beschluss vom 01. April 2014 – 20 W 4/13 –, Rn. 68, juris). Der Aktionär trägt im Umfang seiner Beteiligung nicht nur das Insolvenzrisiko, sondern auch das im Vergleich zum Ausfallrisiko bei festverzinslichen Staatsanleihen „sicherer“ Emittenten tendenziell höhere unternehmerische Risiko mit, dass künftige Erträge nicht einklagbar sind, dass sie bei verfehlten Geschäftsführungsentscheidungen ganz ausbleiben oder durch Verluste in späteren Geschäftsjahren aufgezehrt werden können und dass es auch keine Garantie dafür gibt, dass sie stetig anfallen. Darüber hinaus trägt er anders als bei Staatsanleihen mit festem Rückzahlungsbetrag, der bei Fälligkeit einklagbar wäre, auch noch das Risiko, bei einer in Zukunft getroffenen, freien Deinvestitionsentscheidung letztlich auf die zu diesem Zeitpunkt aktuelle Wertschätzung des Kapitalmarkts angewiesen zu sein. Hieraus ergibt sich das Risiko, dass der Gesamtertrag für den Anleger selbst bei regelmäßigen Überschüssen letztlich infolge von Kursverlusten negativ sein kann. All diese Chancen, aber auch Risiken unterscheiden die Aktienanlage von derjenigen in festverzinslichen Staatsanleihen.
Anleger sind jedoch im Grundsatz risikoavers. Nach aller Lebenserfahrung sollte sich der vernünftig denkende Anleger bei seinen Renditeerwartungen an seiner Bereitschaft orientieren, Risiken zu übernehmen. Ist er bereit, höhere Risiken in Kauf zu nehmen, darf er auch eine höhere Rendite erwarten. Eine geringere Risikobereitschaft korrespondiert mit einer entsprechend geringeren Rendite. Risikoaverse Anleger würden bei einer Marktrisikoprämie von Null mangels vorteilhafter Alternativen ihr gesamtes Vermögen risikofrei anlegen. Je höher die Marktrisikoprämie ist, desto höher auch der Anteil, den Anleger bereit sind, in risikoreiche Anlagen zu investieren. Bei einer unterstellten Marktrisikoprämie von Null für die Aktienanlage wäre nicht plausibel erklärbar, dass ein vernünftig denkender, durchschnittlicher Marktteilnehmer überhaupt in ungesicherte, ggfs. hohen Kursschwankungen unterliegende Aktien investiert. Das spricht dafür, dass man dem Aktienanleger im Vergleich zur risikofreien Anlage zum Basiszins eine Risikoprämie zubilligen muss (OLG Stuttgart, Beschluss vom 17. Oktober 2011 – 20 W 7/11 –, Rn. 287, juris; vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04. Juli 2012 – I-26 W 8/10 (AktE) –, Rn. 56, juris; Beschluss vom 29. September 2010 – I-26 W 4/09 (AktE) –, Rn. 62). Die Kammer geht davon aus, dass durch Angebot und Nachfrage in einem Kapitalmarkt, in dem der durchschnittliche Marktakteur risikoavers ist, für gegenüber der risikofreien Anlage riskantere Anlagen automatisch eine positive Marktrisikoprämie entsteht.
Hinzu kommt das im vorliegenden Fall bestehende „Auszehrungsrisiko“ während der unbefristeten Laufzeit des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages, das nach dessen etwaiger Beendigung für die Minderheitsaktionäre zum Tragen käme, und das von ihnen getragene Bonitätsrisiko der Antragsgegnerin als Schuldnerin der Ausgleichszahlung. Diese Risiken sind höher einzustufen als die Risiken, die ein Anleger als Gläubiger einer „quasi risikofreien“ Anleihe der öffentlichen Hand trägt.
Nicht nur das OLG Stuttgart, sondern auch andere Gerichte gehen deshalb in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass sich der Kapitalisierungszinssatz, zu dem künftig zufließende Erträge zu diskontieren sind, aus einem risikolosen Basiszinssatz und einem Risikozuschlag zusammensetzt (OLG Stuttgart, Beschluss vom 01. April 2014 – 20 W 4/13 –, Rn. 58, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 17. Oktober 2011 – 20 W 7/11 –, Rn. 287, juris), und nehmen an, dass im Grundsatz von einer Überrendite von Aktien auszugehen ist (OLG Stuttgart, Beschluss vom 04. Mai 2011 – 20 W 11/08 –, Rn. 177, juris). Daran ist festzuhalten.
bb. Schätzung des Risikozuschlags im vorliegenden Fall
Die Kammer schätzt den angemessenen individuellen Risikozuschlag für die X AG am Bewertungsstichtag auf 6,0% nach Steuern.
Zu den grundlegenden methodischen Fragen und Problemen der Ermittlung von Risikoprämien, zu den Empfehlungen des IDW bzw. des FAUB, zu empirischen Methoden und anderen Begründungssträngen sowie zur Möglichkeit der Heranziehung dieser Empfehlungen in Spruchverfahren verweist die Kammer auf die ausführliche Darstellung in früheren Beschlüssen zu Spruchverfahren (vgl. u.a. LG Stuttgart, Beschluss vom 17. September 2018 – 31 O 1/15 KfH SpruchG –, Rn. 443 ff.).
Am Bewertungsstichtag im vorliegenden Fall, dem 29. Juni 2007, galt einkommensteuerlich das „Halbeinkünfteverfahren“. Bezogen auf das Halbeinkünfteverfahren, gab es eine Empfehlung des Arbeitskreises Unternehmensbewertung des IDW („AKU“), eine Marktrisikoprämie nach Steuern von 5,0% bis 6,0% anzuwenden (IDW-FN 2005, 71). Diese Empfehlung von 2005 stützte sich auf Ergebnisse einer empirischen Untersuchung von Prof. Stehle aus dem Jahr 2004 zu historischen Marktrenditen, übernahm diese Ergebnisse aber nicht pauschal (er hatte bei Abstellen auf den CDAX Nachsteuerwerte zwischen 3,83% und 6,66% ermittelt). Der Empfehlung liegt eine eigenständige Auswertung des damaligen Meinungsstandes zur Bestimmung der Marktrisikoprämie zugrunde. Das OLG Stuttgart hat zu dieser Empfehlung bereits entschieden, dass es sich um eine anerkannte Expertenauffassung handele, die als Schätzgrundlage dienen könne (OLG Stuttgart, Beschluss vom 17. Oktober 2011 - 20 W 7/11 -, Rn. 319 ff., juris).
Bei Ansatz einer geschätzten (§ 287 Abs. 2 ZPO) einheitlichen unternehmensindividuellen Risikoprämie von 6,0 % kann die Kammer dahingestellt lassen, ob die im Bewertungsgutachten und im Prüfungsbericht angeführten Argumente valide sind, die gegen die Heranziehung des eigenen Betafaktors der X-Aktie und für die Heranziehung des mit 1,10 berechneten unverschuldeten Betafaktors der Peer-Group sprechen sollen (BewGA Seite 31 ff.). Entscheidend ist aus Sicht der Kammer für die Schätzung der Risikoprämie, dass sich die X AG am Bewertungsstichtag einerseits als solide finanziertes Unternehmen mit prinzipiell guten Zukunftsperspektiven darstellte, dass andererseits aber auch zu berücksichtigen war, dass das neue Marktmodell der Börse NN seinerzeit noch nicht vollkommen etabliert war, dass sich das Geschäftsmodell der X AG mit dem Jahreswechsel 2006/2007, durch den Wegfall der Skontroführung und die Fokussierung auf das Geschäft des „QLP“ grundlegend geändert hatte und dass – trotz Wachstumsmarkt „Derivate“ – zu erwarten war, dass sich die Volatilität der Börse und die beständige Konkurrenz der Börse NN zu anderen Börsenplätzen bei gleichzeitiger Bindung der X AG an die Börse NN auch künftig auf die Geschäftszahlen der Gesellschaft auswirken werde.
Es kann dahingestellt bleiben, ob man von einer Marktrisikoprämie am oberen Rand des vom IDW seinerzeit empfohlenen Spektrums und von einem Betafaktor von 1,0 ausgeht oder von einer geringeren Marktrisikoprämie, dafür aber von einem etwas höheren Betafaktor.
e. Kapitalisierungszinssatz nach Steuern
Die Kammer legt für weitere Berechnungen folgende Kapitalisierungszinssätze zugrunde:
3. Berechnung des angemessenen Ausgleichs
Auf der Grundlage des nach der marktorientierten Bewertungsmethode, d.h. anhand des umsatzgewichteten durchschnittlichen Börsenkurses ermittelten Unternehmenswerts von 202.446.500 EUR zum Bewertungsstichtag (vgl. oben III. 5.), ergibt sich bei einer Aufteilung des Unternehmenswerts auf die schweizerische Tochtergesellschaft J AG, die nicht der deutschen Körperschaftsteuer unterliegt, und auf die übrigen Teile des Unternehmens entsprechend der im Bewertungsgutachten und im Prüfungsbericht zugrunde gelegten Anteilsverhältnisse (BewGA Seite 45; PB Seite 44), folgende Berechnung des Ausgleichsbetrags:
Der tatsächlich im Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag vorgesehene Bruttoausgleichsbetrag von 3,85 EUR pro Aktie ist höher und somit angemessen.
V. Ergebnis
Die im Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag vom 16. Mai 2007 zwischen der damaligen A GmbH und der X AG vorgesehene Abfindung von 40,82 EUR pro Aktie und die dort vorgesehene Ausgleichszahlung von 3,85 EUR (brutto) sind angemessen. Es besteht kein Anlass, im Spruchverfahren höhere Beträge festzusetzen.
Dies entspricht auch dem Ergebnis der Sachverständigen im Ergänzungsgutachten vom 20. Juli 2018, die dort in ihrer Schlussbemerkung festhalten, dass sich bei Wahl des Ertragswertverfahrens die angebotene Abfindung und die angebotene Brutto-Ausgleichszahlung „jedenfalls als angemessen abbilden“, wenn man erstens – zutreffend, wie oben erörtert (II. 4. b. aa. ccc. (3) bis (5) und cc.) – die ursprünglichen, im ersten Sachverständigengutachten vorgenommenen Berechnungen zum Provisionsergebnis insbesondere im Hinblick auf die Annahmen zum durchschnittlichen Provisionsergebnis pro Derivate-Order anpasst, wenn man zweitens die mit erhöhter Orderzahl bei Derivaten einhergehenden korrespondierenden höheren Aufwendungen etwa bei IT und Personal berücksichtigt und wenn man drittens die im Rahmen der „Stichtagsannahmen“ zusätzlich getroffenen Annahmen insbesondere zu Plan- und Projektkosten sowie zum Zusatzaufwand „BT“ berücksichtigt und den „Erlöspfad“ anpasst (ErgGA Seite 106).
VI. Plausibilisierung mithilfe des Ertragswerts und allgemeinen Erwägungen
Die Kammer hat, ausschließlich zum Zwecke der Plausibilisierung des mithilfe der marktorientierten Bewertungsmethode ermittelten Unternehmenswerts, selbst eine überschlägige Berechnung eines möglichen Ertragswerts der X AG zum Bewertungsstichtag vorgenommen. In diese Plausibilisierungsüberlegungen sind die bisherigen Erkenntnisse der Sachverständigenbegutachtung eingeflossen.
Die nachfolgenden Berechnungen ergeben, dass sich der gefundene Unternehmenswert unter den im Ergänzungsgutachten der Sachverständigen dargestellten Prämissen auch mithilfe der Ertragswertmethode darstellen lässt. Für eine Plausibilisierung des bereits aus anderen Gründen gefundenen positiven Angemessenheitsurteils (oben C. III. bis V.) reicht die überschlägige Berechnung aus – trotz von den Sachverständigen dokumentierter eingeschränkter Kooperation der X bzw. der Antragsgegnerin bei der Datenbeschaffung im Rahmen der Begutachtung. Denn die Kammer stützt die vorliegende Entscheidung ohnehin nicht auf die Ergebnisse des Ertragswertverfahrens. Mangels Entscheidungserheblichkeit waren daher keine weiteren gerichtlichen Ermittlungen zu den Grundlagen einer „präziseren“ Berechnung des Ertragswerts erforderlich, zumal die lange Verfahrensdauer und das Gebot zu berücksichtigen waren, methodensauber, jedoch mit (noch) vertretbarem verfahrensökonomischem Aufwand zu einem Ergebnis zu kommen (OLG Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss vom 21. August 2018 - 20 W 1/13, Rn. 61, juris; Beschluss vom 05. Juni 2013 - 20 W 6/10, Rn. 140 juris).
Wegen der Korrektur des Provisionsergebnisses in den Planjahren 2007 bis 2009 wird auf die obige Berechnung verwiesen (C. II. 4. b. cc). Das gilt insbesondere für die rechnerische Herleitung eines geschätzten durchschnittlichen Provisionsergebnisses pro Derivate-Order (geringfügig abweichend von der Methodik der Sachverständigen) und mit Blick auf die Anwendung des „unteren Schwellenwerts“ bei der geschätzten Orderzahl (C. II. 4. b. aa.). Wegen der Folgeanpassung des Personalaufwandes wird auf die obige Darstellung (vgl. C. II. 4. c.) und das Ergänzungsgutachten der Sachverständigen Bezug genommen. Das korrigierte nachhaltige Provisionsergebnis ergibt sich aus der Erhöhung des korrigierten Werts für das Planjahr 2009 um die nicht zu beanstandende planmäßige Wachstumsrate. Dasselbe gilt für das nachhaltige Ergebnis aus Finanzanlagen und den korrigierten Personalaufwand.
Wegen der „Stichtagsannahmen“ insbesondere beim Verwaltungsaufwand wird auf das Sachverständigengutachten (Seite 76) und das Ergänzungsgutachten (insbesondere Seite 42) verwiesen. Eine vertiefte Erörterung der „Stichtagsannahmen“ im Rahmen dieser Entscheidung war nicht angezeigt, und zwar mangels Entscheidungserheblichkeit des Ertragswerts an sich, angesichts der Anregung des gemeinsamen Vertreters, auf der Grundlage der bisherigen Erkenntnisse eine „bestmögliche Schätzung“ vorzunehmen, aber auch mit Blick auf den Umfang der Thematisierung der Stichtagsannahmen im Verfahren durch die Verfahrensbeteiligten (vgl. Steinle/Liebert/Katzenstein, in Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Bd. 7, 5. Aufl. 2016, § 24 Rn. 16 ff., 24 ff. und § 4 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 SpruchG und § 10 Abs. 1, 3 SpruchG).
Die Sachverständigen sind im Ergänzungsgutachten zu dem Ergebnis gekommen, dass sich unter bestimmten Prämissen, insbesondere unter Berücksichtigung der im Rahmen der „Stichtagsannahmen“ veranschlagten Plan- und Projektkosten, die vorgesehene Abfindung und der vorgesehene Ausgleich als angemessen abbilden (ErgGA Seite 106). Zum Ergänzungsgutachten haben sich innerhalb der vom Gericht gesetzten und verlängerten Frist (Bl. 1055 d.A.) der gemeinsame Vertreter und die Antragsgegnerin geäußert (Bl. 1094 ff., 1103 ff. d.A.). Der gemeinsame Vertreter hat in seiner Stellungnahme zum Ergänzungsgutachten angeregt, das Gericht möge nun eine „bestmögliche Schätzung“ vornehmen (Bl. 1095 d.A.). Die Antragsgegnerin hat zu den „Stichtagsannahmen“ sinngemäß noch auf zusätzlichen, mit den geplanten IT-Investitionen verbundenen Finanzierungsbedarf und zusätzliche, aus ihrer Sicht in den Berechnungen der Sachverständigen unvollständig berücksichtigte Auswirkungen auf das Zinsergebnis hingewiesen (Bl. 1112 d.A.). Im Übrigen sind keine Stellungnahmen mit neuem Vortrag zu Bewertungsthemen mehr eingegangen, auch nicht nach der gerichtlichen Ankündigung mit Verfügung vom 25. Februar 2019, dass die Kammer nach Ablauf des 22. März 2019 eine Entscheidung treffen werde (Bl. 1148 d.A.).
Geringfügige rechnerische Abweichungen von den im Bewertungsgutachten angegebenen Planzahlen vom 11. Mai 2007 (BewGA Seite 21 f.) beruhen auf Rundungsdifferenzen und können hier vernachlässigt werden. Abweichungen von Werten im Sachverständigengutachten bzw. im Ergänzungsgutachten beruhen teils ebenfalls auf Rundungsdifferenzen, im Übrigen auf den eigenständigen Überlegungen und Berechnungen der Kammer zur Anpassung des Provisionsergebnisses, insbesondere was die Annahmen zum durchschnittlichen Provisionsergebnis pro Order anbelangt (C. II. 4. b. aa. ccc.).
Im Rahmen der überschlägigen Berechnung wurden vereinfachte Annahmen etwa zur Ertragssteuerbelastung getroffen. Thesaurierungsannahmen wurden entsprechend den Bewertungsannahmen übernommen. Die Berechnungsmethode entspricht derjenigen im Bewertungsgutachten.
Eine überschlägige Prognose der Überschüsse ergibt:
Die Sachverständigen geben im Ergänzungsgutachten (u.a. bei etwas höheren Annahmen zum Provisionsergebnis auch für den „unteren Schwellenwert“) als „Wertindikation“ bei Berücksichtigung der „zusätzlichen Kosten laut Aktualisierungsprüfung“ einen Wert pro Aktie von 35,34 EUR und eine korrespondierende Ausgleichszahlung von 3,42 EUR an (ErgGA Seite 60). Die Kammer hat – mit werterhöhendem Effekt zugunsten der Antragsteller – die Korrektur der Handelsgebühren wegen des Wegfalls der Schlussnotengebühren in die Berechnung mit eingestellt.
Selbst wenn man bei der überschlägigen Berechnung der Kammer die im Rahmen der „Stichtagsannahmen“ für den „Terminal Value“ zugrunde gelegten Anpassungen wegen des Zusatzaufwandes „BT“ eliminiert, ergäbe sich mit rund 203.560 TEUR noch ein Wert unter dem tatsächlich bei der Bewertung angesetzten Ertragswert und somit kein Anpassungsbedarf bei der Abfindung. Selbst wenn man sämtliche Anpassungen durch zusätzliche IT-Abschreibungen für die Planjahre 2007 bis 2009 und für den „Terminal Value“ eliminiert, läge die sich rechnerisch ergebende Abweichung vom Abfindungsbetrag pro Aktie noch unter +4%. Die Abweichung fiele damit unter die „Geringfügigkeitsschwelle“ (dazu OLG Stuttgart, Beschluss vom 19. Januar 2011 – 20 W 3/09 –, Rn. 255; OLG Frankfurt, Beschluss vom 17. Januar 2017 – 21 W 37/12 –, Rn. 150: Schwelle bei etwa 5%), wenn man eine Ursache der Abweichung im vorliegenden Sonderfall jedenfalls in Planungsunsicherheiten sieht. Die Abweichung würde also nicht zur Feststellung der Unangemessenheit der vorgesehenen Abfindung führen.
VII. Gesamtergebnis
Abfindung und Ausgleich sind auf der Grundlage der eigenen, vom Gericht vorgenommenen marktorientierten Bewertung des Unternehmens zum Stichtag angemessen. Es besteht kein Grund zur gerichtlichen Anpassung von Abfindung und Ausgleich.
D. Verfahrensanträge, Nebenentscheidungen
I. Verfahrensanträge
Der Einholung weiterer Sachverständigengutachten und einer weiteren Beweiserhebung bedurfte es mangels Entscheidungserheblichkeit nicht. Dasselbe gilt für die von einigen Antragstellern beantragte Anordnung der Vorlage weiterer Unterlagen gemäß § 7 Abs. 7 SpruchG a.F. (wie hier LG München I, Beschluss vom 28. April 2017 – 5 HK O 26513/11, Rn. 181, juris).
II. Kostenentscheidung, Geschäftswertfestsetzung, Beschwerdezulassung
Die Kostenentscheidung und die Festsetzung des Geschäftswerts für die Gerichtsgebühren beruhen auf § 15 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Satz 2, § 6 SpruchG a.F. (Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG; zu den Anwaltsgebühren OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Januar 2018 – I-26 W 10/17 AktE, juris). Die Voraussetzungen für eine Erstattung außergerichtlicher Kosten der Antragsteller nach § 15 Abs. 4 SpruchG a.F. liegen nicht vor.
Bezüglich der Frage der Beschwerdezulassung war zu berücksichtigen, dass für das erstinstanzliche Verfahren hier noch das SpruchG a.F. wie auch das frühere, zum 01. September 2009 abgelöste FGG anzuwenden sind (Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG). § 17 Abs. 2 Satz 2 SpruchG (in der schon 2008 geltenden, seitdem nicht veränderten Fassung) ordnet zwar für das Beschwerdeverfahren die Anwendung des SpruchG an, das am 01. September 2003 in Kraft getreten ist. Das betrifft aber in erster Linie die hier nicht einschlägige Konstellation einer erstinstanzlichen Antragstellung vor dem 01. September 2003, bei der in erster Instanz nicht das SpruchG angewendet werden konnte. Im Hinblick auf die hier relevanten Änderungen des SpruchG und den Übergang vom FGG a.F. zum FamFG durch das FGG-Reformgesetz zum 01. September 2009 fehlt es jedoch abgesehen von Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG an einer speziellen Übergangsvorschrift zur etwaigen Anwendung des neuen Verfahrensrechts im Beschwerdeverfahren und an einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers, dass unabhängig von einer Verfahrenseinleitung vor oder nach 2009 in zweiter Instanz das FamFG gelte (anders noch bei der gesetzgeberischen Entscheidung 2003, vgl. BT-Drs. 15/838 Seite 18). Die hier einschlägige Verweisung in Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG auf das alte, vor dem 01. September 2009 geltende Verfahrensrecht umfasst auch § 17 Abs. 1 SpruchG a.F., der wiederum nicht auf das FamFG, sondern das frühere FGG verwies.
Die Übergangsregelungen werden deshalb so interpretiert, dass bei erstinstanzlicher Antragstellung vor dem 01. September 2009 (wie hier) für das gesamte Verfahren einschließlich des Rechtsmittelverfahrens die vor diesem Stichtag geltenden Verfahrensvorschriften, mithin also das SpruchG a.F. i.V.m. dem FGG maßgeblich sind (OLG München, Beschluss vom 25. Februar 2010 – 31 Wx 32/10 –, Rn. 2, juris; Drescher, in Spindler/Stilz, AktG 4. Aufl. 2019, § 17 Rn. 3, 4 und 5; Fritzsche, in Dreier/Fritzsche/Verfürth, SpruchG Komm. 2. Aufl. 2016, § 17 Rn. 2, 26). Welche Rechtsmittel im vorliegenden Verfahren statthaft sind, richtet sich deshalb nach §§ 12, 17 SpruchG a.F. i. V.m. §§ 27 ff. FGG (OLG München, Beschluss vom 25. Februar 2010 – 31 Wx 32/10 –, Rn. 3, juris). Für die Beschwerdeberechtigung gilt § 20 Abs. 1 FGG a.F. (Drescher, a.a.O. § 17 SpruchG Rn. 3; zur Anwendung des alten Rechts in Übergangsfällen OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12. September 2017 – 12 W 1/17 –, Rn. 19, juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 04. März 2011 – 21 W 1/11 –, Rn. 7, juris allerdings bei Beginn des erstinstanzlichen Verfahrens vor dem 01. September 2003; ebenso bei Divergenzvorlagen nach § 28 Abs. 2 Satz 1 FGG a.F. während eines Beschwerdeverfahrens BGH, Beschluss vom 12. Januar 2016 – II ZB 25/14 –, BGHZ 208, 265-278, Rn. 8; Beschluss vom 29. September 2015 – II ZB 23/14 –, BGHZ 207, 114-135, Rn. 8; zum Ausschluss der weiteren Beschwerde § 12 Abs. 2 Satz 3 SpruchG a.F.).
Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 SpruchG in der hier anwendbaren Fassung von 2008 findet die „sofortige Beschwerde“ statt. § 20 Abs. 1 FGG in der hier anwendbaren Fassung von 2008 regelt zwar das Rechtsmittel der „Beschwerde“, ist aber dennoch entsprechend anwendbar (Drescher, a.a.O. § 17 SpruchG Rn. 3). Nach dieser Vorschrift hängt die Beschwerdeberechtigung nur von einer Rechtsbeeinträchtigung ab, nicht (wie nach heute geltenden Vorschriften, § 17 Abs. 1 SpruchG n.F. i.V.m. § 61 FamFG) vom Erreichen einer Beschwerdesumme oder der Beschwerdezulassung. Ein Ausspruch der Beschwerdezulassung war daher nicht erforderlich, auch wenn die Kammer diese hier zugelassen hätte, weil mit Blick auf die angewandte marktorientierte Bewertungsmethode die Voraussetzungen des § 61 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG vorlägen.