OLG Düsseldorf: Verwendung des unternehmenseigenen Beta-Faktors bei Unternehmensbewertung
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 5.9.2019 – I-26 W 8/17 [AktE]
BB-ONLINE BBL2021-754-1
Amtlicher Leitsatz
Der unternehmenseigene Betafaktor kann dann nicht für die Ermittlung des Ertragswerts herangezogen werden, wenn er aufgrund kursverzerrender Sonderfaktoren – hier: anhaltend geringer Free Float und Unsicherheiten aufgrund der besonderen Eigentümerstruktur der zu bewertenden Gesellschaft im gesamten Referenzzeitraum - nicht für eine objektivierte Bewertung des operativen Risikos geeignet ist.
SpruchG § 12 Abs. 1; AktG §§ 327a, 327b
Sachverhalt
I. Das Spruchverfahren betrifft die in der Hauptversammlung der Degussa AG („De-gussa“) vom 29.5.2006/30.5.2006 beschlossene Übertragung der Aktien von Minder-heitsaktionären auf die - im Jahr 2002 als 100 %-ige Tochtergesellschaft der Obergesellschaft des RAG-Konzerns („RAG“) gegründete, nachfolgend auf die RAG Beteiligungs-AG verschmolzene und zur Antragsgegnerin umfirmierte - RAG Projektgesellschaft mbH („RAGP“) gegen Gewährung einer Barabfindung (sog. Squeeze-out).
Zum Bewertungsstichtag bildete die Degussa die Chemie-Sparte des RAG-Konzerns. Entstanden ist sie im Februar 2001 aus der Verschmelzung der Degussa-Hoechst Aktiengesellschaft, Frankfurt am Main, und der SKW Trostberg AG, Trostberg. Mehrheitsaktionärin war die E.ON AG („E.ON“) mit einer Beteiligung von 64,56 % am Grundkapital. Das operative Geschäft war – bis zu einer Neuorganisation zum 1.1.2006 - eingeteilt in die Unternehmensbereiche Fein- und Industriechemie, Performance Materials, Coatings & Füllstoffsysteme, Spezialpolymere sowie den - im Februar 2006 veräußerten - Unternehmensbereich Bauchemie. Der Degussa-Konzern war in 50 Ländern weltweit mit eigenen Produktionsanlagen tätig und in fast allen Ländern mit Vertriebsniederlassungen präsent; rund 70 % des Umsatzes wurden außerhalb von Deutschland erwirtschaftet.
Im Jahr 2000 beschloss die Unternehmensleitung von E.ON, sich strategisch auf das Energiegeschäft zu konzentrieren und in mehreren Schritten vollständig die Ruhrgas AG mit Sitz in Essen („Ruhrgas“), das seinerzeit größte importierende Ferngasunternehmen in Deutschland, zu übernehmen. Zu diesem Zweck meldete E.ON im zweiten Halbjahr 2001 beim Bundeskartellamt den Erwerb von 51 % der Anteile an der Gelsenberg AG und von über 99 % der Anteile an der Bergemann GmbH an, die damals unmittelbar und mittelbar Anteile von 25,5 % bzw. 34,8 % der Ruhrgas hielten. Der RAG bot E.ON im Frühjahr 2002 im Tausch gegen deren Ruhrgas-Beteiligung (rd. 18 %) die von ihr – E.ON - gehaltene Mehrheitsbeteiligung an der Degussa an.
Die RAG beabsichtigte, sich mit der Veräußerung ihrer Ruhrgas-Anteile und der Übernahme der Degussa-Mehrheitsbeteiligung strategisch neu auszurichten und ihr Kerngeschäftsfeld Chemie auszubauen. In den Jahren nach ihrer Gründung als Bergbauunternehmen im Jahr 1969 hatte sie sich zu einem international tätigen Energie- und Chemiekonzern entwickelt, dessen Kerngeschäft neben dem Bergbau (sog. „Schwarzer Bereich“) in den Sparten Energie, Immobilien und Chemie – dem sog. „Weißen Bereich“ – bestand. Im Rahmen eines am 20.5.2002 angekündigten und am 24.6.2002 veröffentlichten freiwilligen Übernahmeangebots zur Zahlung eines Betrages von 38 EUR je Stückaktie plante sie, von den freien Aktionären und E.ON zum 1.1.2003 zunächst so viele Degussa-Aktien zu erwerben, dass sie und E.ON jeweils einen gleichen Anteil an Degussa, mindestens 30 %, hielten. Im Frühjahr 2004 sollte sie von E.ON weitere Degussa-Anteile zum selben Preis übernehmen, um die Mehrheit der Stimmrechte zu kontrollieren.
Die beabsichtigten Transaktionen verzögerten sich. Im Frühjahr 2002 untersagte das Bundeskartellamt die von E.ON beabsichtigten Zusammenschlüsse, weil diese die Verstärkung marktbeherrschender Stellungen beim Absatz von Gas und von Strom erwarten ließen. Daraufhin beantragte E.ON beim seinerzeitigen Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie die Erteilung einer Ministererlaubnis für beide Zusammenschlussvorhaben; mit Verfügung vom 5.7.2002 wurde diese unter Auflagen erteilt. Gegen die Ministererlaubnis legten neun Strom- und Gashandelsunternehmen erfolgreich jeweils mit Anträgen auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung verbundene Beschwerden beim Oberlandesgericht Düsseldorf ein (OLG Düsseldorf, Kartellsenat, Beschlüsse v. 11.7.2002 und 25.7.2002 – Kart 25/02 (V), juris). Im September 2002 wurden die Ministererlaubnis in Teilen geändert und die Auflagen zulasten von E.ON und Ruhrgas verschärft. Den durch das Bundeswirtschaftsministerium gestellten Antrag, die einstweiligen Anordnungen aufzuheben, wies der Kartellsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf indes im Dezember 2002 zurück (Beschluss v. 16.12.2002-Kart 25/02 (V), juris). Erst aufgrund einer außergerichtlichen Einigung zwischen E.ON und sämtlichen Beschwerdeführern vom 31.1.2003 wurde die (geänderte) Ministererlaubnis bestandskräftig, so dass die geplanten Transaktionen vollzogen werden konnten. E.ON übernahm daraufhin noch am selben Tag u.a. die Ruhrgas-Anteile der RAG. Diese erwarb im Gegenzug am 14.2.2003 – basierend auf dem o.g. Übernahmeangebot zur Zahlung eines Betrages von 38 EUR je Stückaktie – von E.ON 18,08 % und von freien Aktionären weitere Anteile an der Degussa, an der sie sodann zunächst mit 46,48 % - zu gleichen Teilen wie E.ON - beteiligt war. Am 1.6.2004 übernahm sie die Mehrheitsbeteiligung an der Degussa, nachdem sie von E.ON weitere 3,62 % der Anteile erworben und dadurch ihre Beteiligung auf insgesamt 50,1 % aufgestockt hatte. Bei E.ON verblieb ein Degussa-Anteil von 42,86 %. Rund 7,04 % der Degussa-Aktien befanden sich weiterhin im Streubesitz.
In einer ad-hoc-Mitteilung vom 19.12.2005 kündigte die RAG (erneut) ihre Absicht an, die Degussa - einschließlich des E.ON-Anteils von 42,86 % - vollständig zu übernehmen. Den außenstehenden Aktionären wollte sie – voraussichtlich im Januar 2006 - ein freiwilliges Erwerbsangebot zu einem Preis von 42 EUR je Stückaktie unterbreiten und nachfolgend einen Ausschluss der Minderheitsaktionäre gemäß §§ 327a ff. AktG vornehmen. Durch eine Nachbesserungsregelung sollte sichergestellt werden, dass die Aktionäre, die ihre Degussa-Aktien im Rahmen des Erwerbsangebots andienten, nicht schlechter gestellt würden als die außenstehenden Aktionäre im Rahmen des Squeeze-out. Beabsichtigt war, die seinerzeitige RAG Beteiligungs-GmbH und die in ihr gebündelten Aktivitäten außerhalb des deutschen Steinkohlebergbaus – den sog. „Weißen Bereich“ - an die Börse zu bringen. Der Erlös aus dem beabsichtigten Börsengang sollte in die – nachfolgend im Jahr 2007 gegründete – RAG-Stiftung fließen, deren Zweck vor allem in der Finanzierung von Ewigkeitskosten des Steinkohlebergbaus nach dessen Beendigung besteht. Die vollständige Integration der Degussa in den RAG-Konzern wurde als wesentlicher Bestandteil für den Erfolg des beabsichtigten Börsengangs angesehen (Übertragungsbericht S. 65). Das freiwillige Erwerbsangebot gab die RAG am 27.1.2006 – wie am 25.1.2006 nochmals angekündigt – ab und erwarb in der Folgezeit den früheren E.ON-Anteil in Höhe von 42,86 % sowie weitere Anteile an der Degussa.
Mit Schreiben vom 20.3.2006 übermittelte die RAGP dem Vorstand der Degussa das förmliche Verlangen, die Aktien der Minderheitsaktionäre der Degussa gegen Gewährung einer Barabfindung auf sie zu übertragen; der mit 42,66 EUR je Stückaktie festgelegten Kompensationsleistung stimmte die Hauptversammlung der Degussa am 29.5.2006/30.5.2006 zu. Das Grundkapital betrug 205.623.590 EUR, eingeteilt in 205.623.590 auf den Inhaber lautende Stückaktien. Diese wurden an der Frankfurter Wertpapierbörse im Amtlichen Markt (Prime Standard) und im Freiverkehr an den Börsen Berlin-Bremen, Düsseldorf, Hamburg, Hannover, München und Stuttgart gehandelt. Hauptaktionärin war die RAGP mit einem Anteil am Grundkapital von nunmehr insgesamt 97,53 %. Die restlichen 2,47 % (5.085.013 Stückaktien) befanden sich im Streubesitz.
Der mit 42,66 EUR je Stückaktie festgelegten Barabfindung liegt eine seitens der L. AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft („L.“) erstattete Unternehmensbewertung zugrunde (Übertragungsbericht S. 95 ff.). Dort wird die Barabfindung anhand des - als Wertuntergrenze herangezogenen - Drei-Monats-Durchschnittskurses der Degussa-Aktie vor dem förmlichen Übernahmeverlangen der RAGP (20.12.2005 bis 19.3.2006) bestimmt. In dem Drei-Monats-Zeitraum vor Ankündigung der Übernahmeabsicht am 19.12.2005 hatte der Börsenwert der Aktie nur 36,62 EUR betragen.
Den anhand des Ertragswertverfahrens auf der Basis des Bewertungsstandards IDW S1 2005 ermittelten Unternehmenswert haben die Bewertungsgutachter L. mit 6.928,7 Mio. EUR und den daraus resultierenden Wert pro Stückaktie mit lediglich 33,70 EUR ermittelt und daher nicht für maßgeblich erachtet. Die Bewertung erfolgte nach der Phasenmethode auf der Basis von zwei Planungsphasen, nämlich der Detailplanungsphase (Jahre 2006 bis 2008) und der Phase der ewigen Rente (Jahre 2009 ff.). Die zu kapitalisierenden Ergebnisse der ersten Phase wurden anhand der im Dezember 2005 verabschiedeten Planungsrechnung der Degussa für die Geschäftsjahre 2006 bis 2008 ermittelt, die im Rahmen des jährlichen Strategie- und Planungsprozesses des Konzerns erstellt worden war. Die nachhaltig erzielbaren Ergebnisse der mit dem Geschäftsjahr 2009 beginnenden Phase der ewigen Rente wurden aus dem Ergebnis des Planjahres 2008 abgeleitet.
Den Basiszins hat L. anhand der Svensson-Methode mit 4 % vor bzw. - unter Berücksichtigung der typisierten Einkommensteuerbelastung (35 %) – mit 2,6 % nach Steuern ermittelt, den Risikozuschlag als Produkt aus der Marktrisikoprämie (5,5 % nach persönlichen Steuern) und Betafaktor (0,7 unverschuldet) gebildet.
Zur Ableitung des Betafaktors haben sie aufgrund des geringen Streubesitzanteils der Degussa auf die Betafaktoren einer Peer Group zurückgegriffen. In den zwölf Monaten vor dem 31.1.2003 – dem Wirksamwerden des ersten Übernahmeangebots der RAG - hatte das durchschnittliche Handelsvolumen der Degussa-Aktie noch 570.624 Aktien pro Tag – entsprechend einem Anteil von 0,28 % bezogen auf die Gesamtzahl der handelbaren Aktien – betragen. Demgegenüber sank es in dem Zeitraum danach – bei einem Streubesitzanteil von durchgehend 7,04 % -, vom 1.2.2003 bis 30.11.2005 auf durchschnittlich 44.124 Aktien pro Tag, was einem Anteil von 0,02 % an der Gesamtzahl der handelbaren Aktien entsprach (Übertragungsbericht S. 134 f.). Die Betafaktoren der Peer Group haben die Bewertungsgutachter jeweils für einen zurückliegenden Zeitraum von einem Jahr zu verschiedenen Stichtagen (31.3.2004, 31.3.2005 und 31.3.2006) auf der Basis wöchentlicher Beobachtungen und unter Regression gegen den breitesten Marktindex des jeweiligen Herkunftslandes der Vergleichsunternehmen ermittelt. Aus den unverschuldeten Betafaktoren haben sie einen Durchschnittswert für den gesamten Beobachtungszeitraum gebildet und für die Ableitung des Ertragswerts einen gerundeten, unverschuldeten Betafaktor in Höhe von 0,7 verwendet, den sie zuvor an die sich aus der Planungsrechnung ergebende zukünftige Finanzierungsstruktur und den Verschuldungsgrad der Degussa periodenspezifisch angepasst hatten.
Den Wachstumsabschlag haben die Bewertungsgutachter mit 1,5 % angesetzt. Im Ergebnis errechneten sich für die Detailplanungsphase Risikozuschläge zwischen 4,43 % und 4,12 % bzw. Kapitalisierungszinssätze zwischen 7,03 % und 6,72 %, für die Phase der ewigen Rente wurde der Risikozuschlag mit 3,89 % bzw. der Kapitalisierungszinssatz mit 4,99 % angesetzt.
Den von ihnen ermittelten Ertragswert (ohne den mit dem Nettoveräußerungserlös als Sonderwert berücksichtigten Unternehmensbereich Bauchemie) haben die Bewertungsgutachter auf der Grundlage einer vergleichsorientierten Marktbewertung anhand des EBIT-Multiplikators plausibilisiert; danach ergab sich ein noch geringerer Unternehmenswert.
Die vom Landgericht zum sachverständigen Prüfer gemäß § 327c Abs. 2 AktG bestellte X. AG hat die Angemessenheit der Barabfindung mit Prüfbericht vom 18.4.2006 bestätigt. U.a. hat sie den Betafaktor auf der Basis eigenständig gebildeter Vergleichsgruppen zu Vergleichszwecken neu ermittelt, wobei sie zu höheren (den Minderheitsaktionären ungünstigeren) Betafaktoren als L. gelangt ist (Prüfbericht S. 21).
Im Zusammenhang mit mehreren Anfechtungsklagen gegen den Übertragungsbeschluss verpflichtete sich die RAGP mit Erklärung vom 28.7.2006, jedem Minderheitsaktionär der Degussa für jede übertragene Stückaktie einen zusätzlichen Betrag von 1,37 EUR und somit 44,03 EUR je Aktie - den von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht festgestellten gewichteten Drei-Monats-Durchschnittskurs zum Zeitpunkt der beschlussfassenden Hauptversammlung - zu zahlen. Mit am 19.9.2006 im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlichten Teilprozessvergleich verpflichtete sie sich zu einer weiteren Zuzahlung von 1,08 EUR je Aktie. Der Gesamtbetrag aus Barabfindung und Zuzahlungen entsprach danach – mit insgesamt 45,11 EUR je Stückaktie - dem gewichteten Durchschnittskurs der außerbörslichen Aktienkäufe der RAGP zwischen der Veröffentlichung des Erwerbsangebotes vom 27.1.2006 und dem Abschluss des Teilprozessvergleichs.
Die Antragsteller haben die Barabfindung - auch unter Berücksichtigung der vorgenommenen Erhöhungen - für zu gering gehalten. Unter anderem haben sie gerügt, die im Bewertungsgutachten zugrunde gelegte Planung sei zu pessimistisch, Basiszins, Marktrisikoprämie und Risikozuschlag seien zu hoch, der Wachstumsabschlag zu niedrig angesetzt worden. Es sei der unternehmenseigene Betafaktor heranzuziehen.
Die Antragsteller und der gemeinsame Vertreter der Minderheitsaktionäre haben be-antragt,
eine angemessene Barabfindung festzusetzen.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
Sie hat gemeint, die im Übertragungsbeschluss festgelegte Barabfindung sei ange-messen.
Das Landgericht hat den Sachverständigen Dr. G. mit einer Neubewertung beauftragt. Dieser hat den Unternehmenswert in seinem Gutachten vom 9.1.2012 anhand der Ertragswertmethode unter Anwendung des zwischenzeitlich verabschiedeten IDW S1 2008 – mit Ausnahme der auf die Unternehmenssteuerreform 2008 bezogenen Teile – mit 10.846,2 Mio. EUR und die angemessene Barabfindung mit 52,75 EUR je Stückaktie ermittelt. In verschiedenen Alternativberechnungen mit geänderten Bewertungsprämissen und -parametern ist er zu noch höheren Unternehmenswerten und Barabfindungswerten – in einer Bandbreite von bis zu 54,91 EUR je Aktie - gelangt.
Dabei hat auch er die im Dezember 2005 verabschiedete Planungsrechnung der Degussa zugrunde gelegt. Die nachhaltigen Investitionen und Restrukturierungsaufwendungen sowie die Ausschüttungsquote hat er jedoch – unternehmenswerterhöhend – reduziert. Den Basiszins hat er mit 4,347 % und damit höher als L. (4,0 %), die Marktrisikoprämie (wie L.) mit 5,5 % nach Steuern angesetzt.
Abweichend von L. hat der Sachverständige allerdings den - von ihm mit 0,49 ermittelten - historischen Betafaktor der Degussa für vorzugswürdig gehalten, um deren künftiges systematisches Risiko zu schätzen. Dabei hat er sowohl den Aktienkursverlauf im Zeitraum vom 21.5.2002 bis zum 23.7.2002 - nach Ankündigung des ersten Übernahmeangebots - als auch den nach der weiteren Übernahmeankündigung der RAG im Dezember 2005 nicht zur Ermittlung des Betafaktors herangezogen, da Verzerrungen des Aktienkursverlaufs durch die jeweiligen Übernahmeabsichtserklärungen nicht ausgeschlossen werden könnten (Gutachten S. 152 Rz. 555). Ab dem 25.7.2002 bis einschließlich 18.12.2005 sei der Verlauf „nicht durch das Übernahmeangebot geprägt“ gewesen (Gutachten S. 152 Rz. 556). Am besten lasse sich das künftig zu erwartende unternehmenseigene Risiko anhand des historischen Betafaktors im Zeitraum vom 31.12.2003 bis zum 18.12.2005 ableiten, da auch für den an das Auslaufen des Übernahmeangebots am 23.07.2002 anschließenden Zeitraum noch „eine gewisse nachfolgende Abkopplung der Aktie vom allgemeinen Marktgeschehen“ erkennbar sei (Gutachten S. 180 Rz. 631).
Zur Berechnung des unternehmenseigenen Betafaktors hat der Sachverständige wöchentliche Freitagsrenditen, darüber hinaus - zu Vergleichszwecken - tägliche und monatliche Renditeintervalle verwendet; als Referenzindex hat er den CDAX und den MSCI World gewählt (Gutachten S. 152 Rz. 556, 559, S. 153 Rz. 561). Um die Liquidität zu beurteilen, hat er den Handelsumsatz und die Geld-Brief-Spanne (Bid-Ask-Spread) für am aussagekräftigsten erachtet. Daneben hat er den Streubesitzanteil, das Handelsvolumen sowie die Anzahl der Handelstage ermittelt (Gutachten S. 153 Rz. 565, S. 154 Rz. 566; vgl. S. 320). Die jeweiligen Kennzahlen hat der Sachverständige anhand einer von ihm verfassten - dem Gutachten als Anhang E („Manuskript zur Kapitalmarktstudie: Betafaktoren und Aktienliquidität“; Gutachten S. 315 ff.) beigefügten - Studie ausgewertet. Diese enthalte „Anhaltspunkte für Schwellenwerte“ für die Liquiditätsmaße Bid-Ask-Spread und Handelsumsatz, ab denen „grundsätzlich“ von einem prognosegeeigneten Betafaktor ausgegangen werden könne (Gutachten S. 325; Ergänzungsgutachten S. 78 Tz. 263). In seiner Studie hatte der Sachverständige Unternehmen, die zum Ende des Jahres 2010 bzw. Anfang des Jahres 2011 in den Indizes CDAX (Deutschland), Euro Stoxx (Europa) und S&P 500 (USA) gelistet waren, hinsichtlich ihrer durchschnittlichen Geld-Brief-Spannen und ihres durchschnittlichen Handelsumsatzes analysiert und korrespondierende Betafaktoren ermittelt. Im Anschluss hat er die Unternehmen in jeweils zehn Gruppen einheitlicher Liquidität gebündelt; ergänzend hat er den t-Test als „in der Praxis (noch) vorherrschendes“ Filterkriterium durchgeführt und den Free Float betrachtet (Gutachten S. 326, 330, 336). Danach sei aufgrund „derzeitiger Erkenntnisse“ für den CDAX bei Bid-Ask-Spreads von (rund) 1,25 % und einem Handelsumsatz von (rund) 115.000 EUR […] „regelmäßig nicht mehr“ von hinreichender Liquidität für die Bestimmung unverzerrter Betafaktoren auszugehen (Gutachten S. 333, 335, 347). Die abschließende Beurteilung der Liquidität habe allerdings „in einer Gesamtschau der Liquiditätskriterien“ zu erfolgen; auch bei liquiden Aktien seien die Kursverläufe überdies auf kursverzerrende Einmalereignisse zu untersuchen, die die Prognoseeignung einschränken könnten (Gutachten S. 347).
Gemessen daran sei der historische Betafaktor der Degussa-Aktie geeignet, das zukünftige systematische Risiko zu schätzen. Denn „zumindest“ bei Bid-Ask-Spreads von weniger als 1 % und einem Handelsumsatz von „jedenfalls“ über 250.000 EUR pro Tag würden Aktienkurse „grundsätzlich“ eine sachlich und zeitlich unverzerrte Anpassung gewährleisten (Gutachten S. 155, 156). In dem Zeitraum vom 25.7.2002 bis zum 18.12.2005 habe der Bid-Ask-Spread der Degussa-Aktie im Median 0,77 % und der Handelsumsatz 1.129.608 EUR pro Tag betragen (Gutachten S. 158 Rz. 574). Auch unter Berücksichtigung der Veränderung der Liquiditätsmaße im Zeitverlauf sei die Degussa-Aktie „hinreichend“ liquide. Ihr geringer Streubesitzanteil dürfe nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Jahresdurchschnitt – außer im Jahr 2004 – ein Handel im Wert von über 1 Mio. EUR (Median 1,1 Mio. EUR) pro Tag getätigt worden sei (Gutachten S. 159 Rz. 579 f.).
Den von ihm ermittelten Betafaktor hat der Sachverständige anhand von unverschuldeten Betafaktoren einer von ihm gebildeten Peer Group plausibilisiert, die er in aufsteigender Reihenfolge der Höhe nach geordnet und in drei Subgruppen mit durchschnittlichen Beta-Werten - 0,47, 0,66 und 0,92 - gebündelt hat. Danach werde der - von ihm mit 0,49 ermittelte - unternehmenseigene Betafaktor von der Bandbreite der Peer Group deutlich erfasst (Gutachten S. 181).
Basierend auf dem mit 0,49 zugrunde gelegten Betafaktor hat der Sachverständige - unter Anwendung des Tax-CAPM - Risikozuschläge zwischen 2,7 % und 2,88 % (L.: 4,12 % und 4,43 %) bzw. Kapitalisierungszinssätze zwischen 5,59 % und 5,7 % (L.: 6,72 % bis 7,03 %) errechnet. Für die Phase der ewigen Rente hat er den Risikozuschlag mit 2,7 % (statt 3,89 %) und den Kapitalisierungszinssatz mit 4,03 % (statt 4,99 %) angesetzt. Danach ergab sich (im „Basisszenario“) mit 52,75 EUR ein um 13,56 EUR allein durch die Berücksichtigung des unternehmenseigenen Betafaktors höherer Wert je Stückaktie als nach der Ertragswertermittlung der Bewertungsgutachterin L. (Gutachten S. 226 Rz. 808).
In einer zu Plausibilisierungszwecken durchgeführten Multiplikatorenbewertung ist der Sachverständige zu Barabfindungswerten von 37,94 EUR (EBIT-Multiple), 48,89 EUR (EBITDA-Multiple) und 50,17 EUR (Umsatz-Multiple) je Stückaktie gelangt (Gutachten S. 213 Rz. 757). Da der von ihm ermittelte Barabfindungswert „nur um 4,9 % über der oberen Grenze der Bandbreite“ gemäß der Multiplikatoranalyse liege, bestätige das den von ihm ermittelten Ertragswert (Gutachten aaO Rz. 758).
Die Antragsgegnerin und einzelne Antragsteller haben Einwendungen gegen das Gutachten erhoben. Die Antragsteller haben sich u.a. gegen die Erhöhung des Basiszinses, die verwendeten Planzahlen und den Abzug für den Sonderwert Pensionsverpflichtungen gewendet. Den Wachstumsabschlag haben sie für zu niedrig erachtet.
Die Antragsgegnerin hat – u.a. gestützt auf ein Privatgutachten des Prof. M. vom 25.8.2012 - gerügt, die von dem Sachverständigen ermittelte Bandbreite der Barabfindung sei offensichtlich unangemessen. Insbesondere sei der Betafaktor aus einer Peer Group abzuleiten. Die dem Sachverständigengutachten beigefügte Studie des Sachverständigen genüge wissenschaftlichen Anforderungen nicht; die daraus gezogenen Schlussfolgerungen und abgeleiteten Schwellenwerte seien willkürlich. Die von dem Sachverständigen vertretene These, bei nicht hinreichender Liquidität sei grundsätzlich von einem verzerrenden Einfluss auf den durchschnittlichen Betafaktor auszugehen, der sich in einem Absinken niederschlage, stehe im Gegensatz zur herrschenden Meinung in der Literatur und werde bisher wissenschaftlich nicht akzeptiert, die in der Studie abgeleiteten Schwellenwerte seien nicht hinreichend belastbar, zudem sei die Studie mangels Veröffentlichung in einer renommierten Fachzeitschrift aus wissenschaftlicher Sicht nicht akzeptabel. Die Bewertungsgutachter hätten die Degussa-Aktie zu Recht als nicht liquide eingestuft. Nach den Feststellungen Prof. M.s auf der Basis einer von ihm durchgeführten, auf das Handelsjahr 2003 bezogenen empirischen Untersuchung sei die Degussa-Aktie sowohl hinsichtlich der Bid-Ask-Spreads als auch hinsichtlich der Handelsvolumina weit weniger liquide als die seinerzeitigen DAX-Titel gewesen. Die Antragsgegnerin hat die Einholung einer schriftlichen Stellungnahme des mit dem Prüfbericht befassten Wirtschaftsprüfers Prof. K., dessen mündliche Anhörung sowie die Anhörung des Prof. M. beantragt. Ihr gegen den Sachverständigen gerichtetes Ablehnungsgesuch hat das Landgericht zurückgewiesen; die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde sowie die spätere Anhörungsrüge der Antragsgegnerin blieben ohne Erfolg (Senatbeschlüsse v. 10.3.2014 und v. 30.4.2014– I-26 W 16/13 (AktE), letzterer AG 2015, 438 f.).
In seinem Ergänzungsgutachten vom 30.6.2015 hat der Sachverständige keinen Anhalt gesehen, die von ihm angesetzten Parameter und ermittelten Barabfindungswerte zu korrigieren. Eine nachträglich von ihm durchgeführte Ausreißer-Analyse habe allenfalls Anhaltspunkte für einen leicht reduzierten unternehmenseigenen Betafaktor ergeben. Dieser sei aufgrund hinreichender Liquidität verwendbar, wie die von ihm durchgeführte Analyse anhand des Xetra Liquiditätsmaßes (XLM) bestätigt habe (EGA S. 90 Tz. 302 f., Anhang F). Verweise auf andere Studien oder Literaturquellen zu der Thematik von Schwellenwerten für die Verwendbarkeit eines Betafaktors seien nicht möglich, da ihm solche Beiträge trotz umfassender Auswertung der Literatur nicht bekannt seien (EGA S. 106 Tz. 356).
Auf die weiteren Einwendungen der Antragsteller und der Antragsgegnerin hin ist der mit dem Prüfbericht bei X. befasst gewesene Prof. K. im Termin vom 23.6.2016 angehört worden (Bl. 2095 ff.). Der Sachverständige hat seine Gutachten im Anhörungstermin vom 24.4.2017 mündlich erläutert und in einer weiteren Stellungnahme vom 9.5.2017 schriftlich ergänzt (Bl. 2203 ff., 2338 ff.).
Mit dem angegriffenen Beschluss vom 7.6.2017 hat das Landgericht die Anträge der Antragsteller zu 16) und 82) als unzulässig verworfen. Die Barabfindung hat es – der Wertermittlung des Sachverständigen im „Basisszenario“ folgend – auf 52,75 EUR je Stückaktie festgesetzt. Mit Beschluss vom 13.7.2017 hat es das Rubrum hinsichtlich der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers zu 9) und der Antragstellerin zu 14) ergänzt.
Zur Begründung hat die Kammer unter anderem ausgeführt, die Anwendung der Ertragswertmethode bei der Ermittlung des Unternehmenswerts sei nicht zu beanstanden. Auch habe sich der Sachverständige ausführlich mit den Einwendungen der Beteiligten befasst und seine Wertansätze überzeugend begründet. Der Betafaktor sei nicht anhand einer Peer Group, sondern anhand des unternehmenseigenen Betafaktors abzuleiten, da dieser einen besseren Rückschluss auf das systematische Risiko der Degussa zulasse. Nach den Feststellungen des Sachverständigen sei der unternehmenseigene Betafaktor verlässlich ermittelbar und in Zukunft nahezu konstant zu erwarten. Die Verwendung von Freitags-Kursen zur Ableitung des Betafaktors entspreche der gutachterlichen Praxis. Wegen der weiteren Ausführungen wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses verwiesen.
Hiergegen richten sich die Antragsgegnerin und die Antragstellerin zu 59) und der Antragsteller zu 60) mit ihren sofortigen Beschwerden.
Die beschwerdeführenden Antragsteller meinen, die vom Landgericht festgesetzte Kompensation sei noch zu niedrig. Der Sachverständige habe in seiner Alternativberechnung unter Berücksichtigung eines auf 4,5 % erhöhten Rechnungszinses der Pensionsrückstellungen einen Wert je Aktie von 53,68 EUR ermittelt, der der Barabfindung zugrunde zu legen sei.
Die beschwerdeführenden Antragsteller beantragen sinngemäß,
den landgerichtlichen Beschluss aufzuheben und die angemessene Barabfindung mit 53,68 EUR je Stückaktie festzusetzen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die sofortigen Beschwerden der Antragsteller zurückzuweisen, den landgerichtlichen Beschluss aufzuheben und die Anträge zurückzuweisen.
Sie wiederholt und vertieft ihre Ansicht, die im Übertragungsbeschluss festgelegte Barabfindung sei angemessen. Das Landgericht habe sich in dem angefochtenen Beschluss nur unzureichend mit ihrem Vortrag, den von ihr vorgelegten Privatgutachten und Feststellungen im Prüfbericht befasst und stattdessen kritiklos die – fehlerhafte – Wertermittlung des Sachverständigen akzeptiert. Insbesondere sei es aufgrund der Verwendung des mit 0,49 zugrunde gelegten historischen Betafaktors statt dem einer Peer Group zu einem ökonomisch nicht begründbaren Unternehmenswert gelangt. Die Kammer habe verkannt, dass der historische Betafaktor aufgrund der faktischen Konzernierung der Degussa und den auf die Degussa-Aktie bezogenen Übernahmeangeboten in den Jahren vor dem Bewertungsstichtag verzerrt und es daher geboten gewesen sei, den Peer Group-Betafaktor zu verwenden. Die Feststellung des Sachverständigen, wonach der von ihm ermittelte historische Betafaktor gemessen an den in seiner Studie entwickelten „Schwellenwerten“ aussagekräftig und prognosegeeignet sei, sei unhaltbar. Die Studie sei wissenschaftlich nicht anerkannt und enthalte keine allgemeingültigen Grenzwerte. Auch gebe es noch keinen Konsens über die Höhe von „Schwellenwerten“ für bestimmte Liquiditätsmaße. Zudem habe das Landgericht – dem Sachverständigen folgend - auf der Basis der Freitagsrenditen der Degussa-Aktie willkürlich den mit Abstand niedrigsten Wochentag-Betafaktor herangezogen.
Die Antragsteller und der gemeinsame Vertreter bitten um Zurückweisung der Beschwerde der Antragsgegnerin. Sie verteidigen den angefochtenen Beschluss. Der gemeinsame Vertreter der Minderheitsaktionäre macht geltend, die Barabfindung sei unter Zugrundelegung der von dem Sachverständigen ermittelten Erträge, jedoch ohne Abzug der persönlichen Einkommensteuer mit mindestens 57,75 EUR je Stückaktie festzusetzen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze und in Bezug genommenen Anlagen, Sitzungsprotokolle und gutachterlichen Stellungnahmen des gerichtlich bestellten Sachverständigen verwiesen.
Aus den Gründen
II. Die Rechtsmittel der Antragsgegnerin und der Antragsteller sind jeweils zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden. In der Sache hat allein die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin Erfolg. Die Rechtsmittel der Antragstellerin zu 59) und des Antragstellers zu 60), die die gerichtliche Festsetzung einer höheren Barabfindung als vom Landgericht festgesetzt fordern, sind unbegründet.
Mit Erfolg rügt die Antragsgegnerin, dass das Landgericht die Barabfindung auf 52,75 EUR je Stückaktie erhöht hat. Die angemessene Barabfindung liegt keinesfalls über der zuletzt mit insgesamt 45,11 EUR je Stückaktie - dem gewichteten Durchschnittskurs der außerbörslichen Aktienkäufe der RAGP zwischen der Veröffentlichung des Erwerbsangebotes vom 27.1.2006 und dem Abschluss des Teilprozessvergleichs vom 12.9.2006 - vorgesehenen Kompensation. Diese erweist sich danach in jedem Fall als angemessen, die auf gerichtliche Festsetzung einer höheren Barabfindung gerichteten Anträge sind zurückzuweisen.
Nach § 327f Satz 2 AktG ist die angemessene Barabfindung im Spruchverfahren gerichtlich festzusetzen, wenn die vom Hauptaktionär festgelegte Barabfindung nicht angemessen ist. Ausgangspunkt dieser Angemessenheitsprüfung ist hier die vergleichsweise auf 45,11 EUR je Stückaktie erhöhte Barabfindung. Erhöht der Hauptaktionär die Kompensationsleistung im Rahmen eines Vergleichs mit Wirkung für alle betroffenen Aktionäre, so bildet diese in einem nachfolgenden Spruchverfahren den Gegenstand der Angemessenheitsprüfung (BGH, Beschlüsse v. 29.9.2015 – II ZB 23/14 Rn. 51, BGHZ 207, 114 ff. „Stinnes“; v. 19.7.2010 - II ZB 18/09, BGHZ 186, 229 Rn. 32 „Stollwerck“).
Die von der Antragsgegnerin auf insgesamt 45,11 EUR je Stückaktie erhöhte Barabfindung übersteigt nicht nur (deutlich) den Börsenkurs im nach der Stollwerck-Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 19.7.2010 (aaO) als Wertuntergrenze maßgeblichen Drei-Monats-Zeitraum vor Ankündigung der Übernahmeabsicht der Antragsgegnerin am 20.12.2005 (36,62 EUR) wie auch den von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht festgestellten Drei-Monats-Durchschnittskurs zum Zeitpunkt der beschlussfassenden Hauptversammlung, der lediglich 44,03 EUR je Stückaktie betrug. Entgegen der landgerichtlichen Wertung stellt sie sich auch unter Berücksichtigung des Ertragswertes als angemessen dar.
1. Die Ertragswertmethode ist, wie das Landgericht richtig angenommen hat, als eine geeignete Methode der Unternehmensbewertung anerkannt (vgl. IDW S1 2008 Tz. 7, IDW S1 2005 Tz. 16, IDW S1 2000 Tz. 16; BGH, Beschlüsse v. 12.1.2016 – II ZB 25/14 Rn. 21, BGHZ 208, 265 ff.; 29.9.2015 - II ZB 23/14, aaO Rn. 33 „Stinnes“; 21.7.2003 – II ZB 17/01 Rn. 7, BGHZ 156, 57 „Ytong“; Paulsen in: MünchKomm AktG, 4. Aufl., § 305 Rn. 80) und verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG, Beschluss v. 27.4.1999 - 1 BvR 1613/94 Rn. 61, BVerfGE 100, 289 ff. „Aktiengesellschaft“). Auch die Heranziehung des von dem Sachverständigen zugrunde gelegten - nach dem Bewertungsstichtag verabschiedeten - Bewertungsstandards IDW S1 2008 ist nicht zu beanstanden (vgl. BGH, Beschluss v. 29.9.2015, aaO Rn. 31). Dieser unterscheidet sich nur marginal von der zum Bewertungsstichtag aktuellen Vorgängerfassung des IDW S1 2005; beide Standards führen unter Berücksichtigung der zum Bewertungsstichtag (noch) geltenden Regelungen des StSenkG zu identischen Bewertungsmodellen (vgl. Senat, Beschluss v. 21.2.2019 – I-26 W 5/18 (AktE) Rn. 44, juris).
2. Zu Recht hat das Landgericht – den Bewertungsgutachtern, der sachverständigen Prüferin und dem gerichtlich bestellten Sachverständigen folgend – die zu kapitalisierenden Ergebnisse der Detailplanungsphase (Geschäftsjahre 2006 bis 2008) anhand der im Rahmen des jährlichen Strategie- und Planungsprozesses des Konzerns erstellten und im Dezember 2005 verabschiedeten Planungsrechnung für die Geschäftsjahre 2006 bis 2008 ermittelt. Planungen und Prognosen sind in erster Linie ein Ergebnis der jeweiligen unternehmerischen Entscheidung der für die Geschäftsführung verantwortlichen Personen. Liegt eine entsprechende Unternehmensplanung vor, beschränkt sich die Überprüfung grundsätzlich darauf, ob die in der Planung enthaltenen Entscheidungen auf zutreffenden Informationen (Tatsachengrundlagen) und daran orientierten, realistischen Annahmen aufbauen; diese dürfen zudem nicht in sich widersprüchlich sein (vgl. etwa Senat, Beschluss v. 12.11.2015 – I-26 W 9/14 (AktE) Rn. 32, AG 2016, 329 ff.; 6.4.2011 – I-26 W 2/06 (AktE) Rn. 47; OLG München, Beschluss v. 20.3.2019 – 31 Wx 185/17 Rn. 31, jeweils juris; OLG Frankfurt, Beschluss v. 5.3.2012 – 21 W 11/11 Rn. 22, AG 2012, 417; OLG Stuttgart, Beschluss v. 3.4.2012 – 20 W 6/09 Rn. 131, AG 2012, 839 ff.; Ruiz de Vargas in: Bürgers/Körber, AktG, 4. Aufl., Anh. § 305 Rn. 24, 24b m.w.N.). Dass die unternehmenseigene Planung unrealistisch oder widersprüchlich gewesen wäre, ist - auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Antragsteller in der Beschwerdeinstanz - nicht ersichtlich. Der gerichtlich bestellte Sachverständige hat im Rahmen seiner vollständigen Neubewertung nahezu identische Ergebnisse nach Unternehmenssteuern und zu kapitalisierende Ergebnisse für die Detailplanungsphase wie die Bewertungsgutachterin L. ermittelt (vgl. Gutachten S. 97 Tz. 362, S. 98 Rz. 370).
3. Mit Erfolg rügt die Antragsgegnerin indessen, dass das Landgericht – dem Sachverständigen folgend – den Risikozuschlag und damit den Kapitalisierungszinssatz verringert hat, indem es den von dem Sachverständigen mit 0,49 ermittelten unternehmenseigenen Betafaktor statt – wie die Bewertungsgutachterin L. – den Betafaktor einer Peer Group – mit 0,7 – zugrunde gelegt hat. Infolgedessen ist es – trotz Ansatz eines höheren Basiszinssatzes (4,347 % statt 4 %) und übereinstimmender Marktrisikoprämie (5,5 % nach Steuern) – letztlich von zu geringen Kapitalisierungszinssätzen (zwischen 5,59 % und 5,7 % gegenüber 7,03 % bis 6,72 % im Bewertungsgutachten L.) ausgegangen und dadurch zu einem (deutlich) überhöhten Unternehmenswert gelangt.
3.1 Zwar hat das Landgericht den Risikozuschlag – im Einklang mit den Bewertungsgutachtern, der sachverständigen Prüferin und dem gerichtlich bestellten Sachverständigen – methodisch korrekt anhand des sog. Tax-CAPM ermittelt (vgl. nur Senat, Beschluss v. 30.4.2018 – I-26 W 4/16 (AktE) Rn. 44, AG 2018, 679; v. 27.5.2009 - I-26 W 5/07 (AktE) Rn. 122, WM 2009, 2220, 2226).
3.2 Auch die mit 5,5 % - dem Mittelwert der Empfehlung des Arbeitskreises Unternehmensbewertung (AKU) des IDW - angesetzte Marktrisikoprämie ist entgegen der Ansicht einzelner nicht beschwerdeführender Antragsteller - auch bezogen auf den vorliegenden Bewertungsstichtag im Mai 2006 - nicht zu beanstanden (vgl. Senat, Beschlüsse v. 25.5.2016 - I-26 W 2/15 (AktE) Rn. 64, AG 2017, 584 ff. (Stichtag Mai 2007); 4.7.2012 - I-26 W 8/10 (AktE) Rn. 54, AG 2012, 797 ff. (Stichtag: 29.11.2007); 9.1.2014 - I-26 W 22/12 (AktE), n.v. (Stichtag 4.11.2005); OLG Stuttgart, Beschlüsse v. 4.5.2011 - 20 W 11/08 Rn. 175, AG 2011, 560 ff. (Stichtag 26.6.2007); 14.9.2011 - 20 W 4/10 Rn. 144, AG 2012, 221 ff. (Stichtag: 30.11.2006); 18.12.2009 - 20 W 2/08 Rn. 232, AG 2010, 513 ff. (Stichtag: 16.2.2007); 17.10.2011 - 20 W 7/11 Rn. 313, juris (Stichtag 16.2.2007); OLG Frankfurt, Beschluss v. 5.3.2012 - 21 W 11/11 Rn. 61, AG 2012, 417 ff. (Stichtag November 2007). Die Empfehlungen des IDW zur Bestimmung der Marktrisikoprämie stellen zwar keine Rechtsnormen dar, sie gelten aber als – wenn auch nicht unbestrittene, so doch anerkannte – Expertenauffassungen (vgl. Senat, Beschluss v. 4.7.2012 aaO Rn. 48). Sowohl die Frage, welche Mittelwertbildung bei der Ableitung der Marktrisikoprämie verwendet werden sollte, als auch die konkrete Höhe der Marktrisikoprämie ist innerhalb der Wirtschaftswissenschaften sehr umstritten. Eine allgemein anerkannte Höhe hat sich bislang nicht herausgebildet; eine empirisch genaue Festlegung ist nach dem aktuellen Stand der Wirtschaftswissenschaften nicht möglich (vgl. ausführlich Senat, Beschluss v. 4.7.2012 aaO Rn. 52 m.w.N.; ebenso BGH, Kartellsenat, Beschluss v. 27.1.2015 - EnVR 37/13 Rn. 29 ff., ZNER 2015, 133 ff. „ONTRAS Gastransport GmbH"). Solange die wirtschaftswissenschaftliche Diskussion andauert, kann die Marktrisikoprämie stets nur eine mit Zweifeln behaftete Schätzung sein (so auch OLG Karlsruhe, Beschluss v. 18.5.2016 - 12a W 2/15 Rn. 68, juris). Vor diesem Hintergrund besteht kein Anlass, von dem vom Landgericht geschätzten Wert, der dem Mittelwert der empfohlenen Bandbreite entspricht, abzuweichen. Diese wird durch die vornehmlich gegen die Ausarbeitung von Prof. Stehle gerichteten und dem ständig mit Spruchverfahren befassten Senat bereits aus anderen Verfahren bekannten Einwände nicht in Frage gestellt. Der Hinweis auf ein Gutachten Prof. Großfelds in einem Spruchverfahren vor dem Landgericht Hannover vermag daran nichts zu ändern; wie dem Senat aus einem anderen Verfahren bekannt ist, betrifft es überdies einen Bewertungsstichtag im Jahr 2009. Den dahin gehenden Beweisanregungen einzelner nicht beschwerdeführender Antragsteller, die den Ansatz einer niedrigeren Marktrisikoprämie anstreben, ist nicht nachzugehen. Entscheidend ist, dass die Studie Stehles in Zusammenschau mit den Ergebnissen anderer Studien, allgemeinen Plausibilitätserwägungen, der Rechtsprechung anderer Gerichte und den Empfehlungen des einschlägigen Berufsverbandes als ausreichende Schätzgrundlage angesehen werden kann. Dies gilt auch trotz der in der Bewertungspraxis vereinzelt erhobenen Bedenken dagegen, die Marktrisi-koprämie anhand des Deutschen Rentenperformance-Index (RECP) als Anleihenalternative abzuleiten (kritisch dazu etwa Knoll/Wenger, Bewertungs-Praktiker 2011, 18 ff.). Nach alledem ist der vom Landgericht angenommene Wert im Rahmen einer Schätzung, die sich zwischen einer Vielzahl unterschiedlicher Werte zu bewegen hat – auch bezogen auf den vorliegenden Bewertungsstichtag im Mai 2006 – nicht zu beanstanden.
3.3 Mit Erfolg rügt die Antragsgegnerin indessen, dass das Landgericht – dem Sachverständigen folgend - seiner Wertermittlung einen deutlich niedrigeren Betafaktor als im Bewertungsgutachten L. zugrunde gelegt hat. Statt des unternehmenseigenen ist hier der Betafaktor einer Peer Group zu schätzen und – basierend auf den diesbezüglichen Feststellungen der Bewertungsgutachterin L., der sachverständigen Prüferin und des gerichtlich bestellten Sachverständigen – mit 0,7 anzusetzen. Der von dem Sachverständigen mit nur 0,49 ermittelte - unternehmenseigene - Betafaktor ist zur Prognose des künftigen Risikos der Degussa ungeeignet.
Die Bewertungsgutachterin L. hatte aufgrund des geringen Streubesitzanteils der Degussa-Aktie auf die Betafaktoren einer – aus neun börsennotierten Vergleichsunternehmen gebildeten - Peer Group zurückgegriffen. Die Betafaktoren der Vergleichsunternehmen hat sie ausgehend von verschiedenen Stichtagen (31.3.2004, 31.3.2005 und 31.3.2006) jeweils für einen zurückliegenden Zeitraum von einem Jahr sowie für den gesamten Drei-Jahreszeitraum (31.3.2004 bis 31.3.2006) auf Basis wöchentlicher Beobachtungen und mittels Regression gegen den breitesten Marktindex des jeweiligen Herkunftslandes bestimmt (vgl. Gutachten S. 144 Tz. 524). Aus den jeweiligen Werten hat sie durchschnittliche Jahreswerte bzw. Drei-Jahreswerte der Peer Group in einer Bandbreite zwischen 0,70 und 0,76 (Drei-Jahres-Durchschnitt 0,72) ermittelt. Für die Einschätzung des zukünftigen Risikos der Degussa hat sie – unternehmenswertmaximierend - einen gerundeten, unverschuldeten Betafaktor von 0,7 zugrunde gelegt (Übertragungsbericht S. 135).
Die sachverständige Prüferin hat diesen Wert für jedenfalls angemessen befunden, nachdem sie – basierend auf den von ihr selbst ermittelten Peer Group-Betafaktoren – zu höheren (und damit den ausgeschiedenen Aktionären ungünstigeren) Werten als L. gelangt war (vgl. Prüfbericht S. 21). Wie der mit dem Prüfbericht befasst gewesene Prof. K. im Anhörungstermin anhand der seinerzeitigen Arbeitspapiere (Anlagen 4a-e und 5 zum Sitzungsprotokoll v. 23.6.2016) ergänzend zum Prüfbericht erläutert hat, waren diese zu Vergleichszwecken anhand von insgesamt fünf Peer Groups ermittelt worden, die auf Divisionsebene der ehemaligen Degussa-Geschäftsbereiche Bauchemie, Fein- und Industriechemie, „Performance Materials“, „Coatings & Advanced Fillers“ und Spezialpolymere aus – insgesamt neunzehn - Vergleichsunternehmen gebildet wurden. Danach betrugen die unverschuldeten Betafaktoren der einzelnen Divisionen für den Zeitraum 2.4.2004 bis 24.3.2006 (wöchentlich) zwischen 0,81 (Division Fein- und Industriechemie) und 0,95 (Division Coatings & Fillers“, Mittelwert); für den Konzern errechneten sich Mittelwerte zwischen 0,87 (Mittelwert) und 0,86 (Median) (vgl. Anlage 5, Bl. 2132).
Demgegenüber hat das Landgericht seiner Wertermittlung mit 0,49 den von dem Sachverständigen auf der Basis von Freitags-Wochenrenditen im Zeitraum vom 31.12.2003 bis zum 18.12.2005 ermittelten – und von ihm trotz des geringen Streubesitzanteils für hinreichend liquide erachteten - historischen unternehmenseigenen Betafaktor zugrunde gelegt.
Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
3.3.1 Der Betafaktor dient dazu, das künftige, den finanziellen Überschüssen des Bewertungsobjekts inhärente systematische Risiko abzubilden, indem er die Schwankungsbreite (Volatilität) des Kurses einer Aktie oder Branche im Verhältnis zum Gesamtmarkt beschreibt. In der Praxis werden Betafaktoren ganz überwiegend aus Vergangenheitsdaten berechnet und unterstellt, dass diese ein vernünftiger Schätzer für das nachhaltig zu erwartende Beta sind. Je nachdem, ob ein börsen- oder nicht-börsennotiertes Unternehmen zu bewerten ist, kann der Betafaktor anhand der historischen Börsenkursentwicklung der zu bewertenden Aktie selbst bzw. - soweit es sich um ein nicht-börsennotiertes Unternehmen handelt oder die Börsenkurse nicht aussagekräftig sind – anhand der einer Peer Group oder auch auf der Grundlage allgemeiner Überlegungen zum individuellen Unternehmensrisiko im Vergleich zum Marktportfolio geschätzt werden (vgl. zuletzt Senat, Beschlüsse v. 21.2.2019 – I-26 W 5/18 (AktE) Rn. 67; v. 22.3.2018 – I-26 W 20/14 (AktE) Rn. 97; v. 15.8.2016 - I-26 W 17/13 (AktE) Rn. 61, jeweils juris; OLG Frankfurt, Beschluss v. 26.1.2017 – 21 W 75/15 Rn. 79, AG 2017, 790 ff.; OLG Stuttgart, Beschluss v. 21.8.2018 – 20 W 1/13 Rn. 105 ff., 109, AG 2019, 255 ff; Castedello/Bertram/Schöniger/Tschöpel, Bewertung und Transaktionsberatung (2018), Kap. A Rn. 402 ff.; ausführlich auch Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszinssatz in der Unternehmensbewertung, 2. A., S. 145 ff. sowie Franken/Schulte in: Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, 2. A., § 6 Rn. 6.90 ff.). Die Ableitung auf Basis des historischen Betafaktors der zu bewertenden Aktie setzt stets voraus, dass der historische Betafaktor des zu bewertenden Unternehmens anhand der Regression zwischen den Renditen der Aktien des Unternehmens und den Renditen des jeweiligen Aktienindex verlässlich ermittelt und seine zeitliche Stabilität erwartet werden kann. Ist dies nicht der Fall, ist auf alternative Schätzverfahren, etwa die Ableitung des Betafaktors aus dem einer Peer Group von Vergleichsunternehmen oder Branchenanalysen zurückzugreifen (Senat aaO; OLG Stuttgart aaO; Paulsen aaO § 305 Rn. 120; Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 9. A., § 305 Rn. 69a; Dörschell/Franken/Schulte, aaO S. 146; Franken/Schulte aaO § 6 Rn. 6.95 f.; vgl. auch Popp/Ruthardt ebenda § 12 Rn. 12.107; Veil/Preisser in: Spindler/Stilz, AktG, 4. A., § 305 Rn. 91: Das operative Geschäftsrisiko wird meist durch Heranziehung einer Gruppe von Vergleichsunternehmen ermittelt und durch den durchschnittlichen Betafaktor der Vergleichsgruppe das branchenspezifische Geschäftsrisiko der Alternativrendite erfasst). Die Prognoseeignung des Betafaktors ist im jeweiligen Einzelfall zu würdigen (IDW S1 2008 Tz. 121).
3.3.2 Nach Maßgabe dessen lässt sich der Betafaktor vorliegend nur anhand des Betafaktors einer Peer Group ableiten.
3.3.2.1 Voraussetzung eines aussagekräftigen Betafaktors ist, dass sich die Aktienrenditen sachlich und zeitlich unverzerrt an die Änderungen der ökonomischen Rahmenbedingungen anpassen können, da ansonsten die Gefahr besteht, dass der Betafaktor den Zusammenhang zwischen den Schwankungen der Aktie und denen des Marktes verzerrt widerspiegelt. Der unverzerrte Anpassungsprozess setzt insbesondere ein hinreichendes tatsächliches Handelsvolumen voraus (Dörschell/Franken/Schulte aaO S. 166). Daneben werden in der Praxis weitere Liquiditätsmaße und –kennzahlen herangezogen, die Anhaltspunkte für die sog. Aktienliquidität liefern können, etwa der Wert der gehandelten Aktien (Handelsumsatz), das Verhältnis der handelbaren Aktien zur gesamten Aktienanzahl (Free Float) sowie die Geld-Brief-Spanne (Bid-Ask-Spread). Letztere beschreibt, wie weit Kauf- und Verkaufsangebote voneinander abweichen (Dörschell/Franken/Schulte aaO S. 169). In der Literatur ist eine hohe Korrelation zwischen den Liquiditätsmaßen Handelsvolumen als Anzahl von gehandelten Aktien, Handelsumsatz als Wertvolumen, Streubesitzanteil und Geld-Brief-Spanne festgestellt worden. Allerdings existiert kein eindeutiges Messkonzept für die Liquiditätsbeurteilung; eine trennscharfe Abgrenzung eines für die Ermittlung des Betafaktors ausreichenden Liquiditätsgrads auf Basis isoliert betrachteter Kennzahlen ist nicht möglich. Ist eine Aktie jedoch bei der Berechnung verschiedener Kennzahlen regelmäßig in der Gruppe der Wertpapiere enthalten, die einen hohen Liquiditätsgrad aufweisen, kann dies als Indiz für eine insgesamt hohe Liquidität des Wertpapiers und damit für eine Belastbarkeit des entsprechenden Betafaktors gewertet werden (Dörschell/Franken/Schulte aaO).
3.3.2.2 Gemessen daran liegen in Anbetracht der o.g. - von dem gerichtlich bestellten Sachverständigen für den von ihm gewählten Zeitraum eingehend untersuchten - Kriterien zwar durchaus Indizien dafür vor, dass der aufgrund des geringen Streubesitzanteils verengte Markt möglicherweise noch liquide gewesen sein könnte. Denn den von der Bewertungsgutachterin L. allein herangezogenen Kennzahlen des Streubesitzanteils und des Handelsvolumens stehen, wie der Sachverständige überzeugend festgestellt hat, in dem von ihm betrachteten Zeitraum die Aussagekraft des Handelsumsatzes, die Zahl der Handelstage und der - unter den in der Rechtsprechung sonst genannten Grenzwerten liegende - Bid-Ask-Spread der Degussa-Aktie gegenüber. Der Streubesitzanteil betrug im Jahr 2002 35,44 %; ab dem Vollzug des ersten Übernahmeangebots sank er auf – immerhin noch – 7,04 %, entsprechend 14.475.900 handelbaren Stückaktien mit einer entsprechend hohen Marktkapitalisierung. Das durchschnittliche Handelsvolumen war zwar sowohl gemessen an der Gesamtzahl aller handelbaren Aktien als auch gemessen am Free Float gering (2002 anteilig 127.844 St./Tag, 2003: 54.131 St./Tag [0,37 % des Free Float], 2004: 24.520 St./Tag [0,17 % des Free Float], 2005: 32.715 St./Tag [0,27 % des Free Float]). Dieses ging aber einher mit einem relativ hohen Handelsumsatz (über 1 Mio. EUR in den Jahren 2003 und 2005, 711.000 EUR im Jahr 2004), wobei – wie noch ausgeführt werden wird – letztlich dahinstehen kann, ob der Handelsumsatz zur Beurteilung der Liquidität grundsätzlich geeigneter als das in Stück gemessene Handelsvolumen ist, da er das „ökonomische“ Volumen besser reflektiert (so Dörschell/Franken/Schulte aaO). Auch die Geld-Brief-Spanne war mit 0,9 % im Jahr 2002, 0,91 % im Jahr 2003, 0,81 % im Jahr 2004 und 0,61 % im Jahr 2005 relativ gering. Die Grenzwerte, ab denen nach der Rechtsprechung möglicherweise Bedenken an der Liquidität bestehen, liegen - unabhängig davon, dass es keine festen Werte hinsichtlich der einzelnen Indikatoren gibt - deutlich darüber (vgl. das Beschwerdeverfahren anlässlich der Ablehnung des Sachverständigen, Senatsbeschluss v. 10.3.14 - 26 W 16/13 Rn. 7, AG 2015, 439 ff.: 1,25 %; fehlende Liquidität bejahend: OLG Frankfurt, Beschlüsse v. 26.1.2017 - 21 W 75/15 Rn. 34, AG 2017, 790 ff.: deutlich über 2 %; v. 29.1.2016 - 21 W 70/15 Rn. 69, ZIP 2016, 716 ff.: 2,37 %; v. 26.1.2015 - 21 W 26/13 Rn. 55, AG 2015, 504 ff.: 1,88 %; LG Stuttgart, Beschluss v. 5.11.2012 – 31 O 55/08 KfH AktG Rn. 120, NZG 2013, 342: 1,7 %). Die Anzahl der Handelstage spricht als weiteres Kriterium (Wollny, Unternehmensbewertung, 3. A., S. 615) für eine relativ regelmäßige Handelstätigkeit mit Degussa-Aktien in dem von dem Sachverständigen betrachteten Zeitraum. Nach seinen Feststellungen wurden Degussa-Aktien im Jahr 2002 (anteilig) an 105 Tagen gehandelt, im Jahr 2003 an 253 Tagen, im Jahr 2004 an 254 Tagen und im Jahr 2005 an 256 Tagen. Danach liegen in der Gesamtschau durchaus Indizien für einen liquiden Markt vor, ohne dass es auf die von dem Sachverständigen zur Unterstützung seiner Einschätzung herangezogenen „Schwellenwerte“ in der dem Gutachten als Anhang beigefügten Studie entscheidend ankäme.
3.3.2.3 Indessen hat der Sachverständige – und mit ihm das Landgericht – nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Kursentwicklung und damit der unternehmenseigene Betafaktor auch in dem von ihm in den Blick genommenen Zeitraum durch unternehmensspezifische Sonderfaktoren der Degussa – dem relativ geringen Free Float und der besonderen Eigentümerstruktur – nicht aussagekräftig waren.
Ob die historisch abgeleiteten Betafaktoren fortgeschrieben werden können, d.h. ob das in der Vergangenheit bestehende systematische Risiko auch für die Zukunft weiterhin repräsentativ ist, ist regelmäßig auch vor dem Hintergrund zu würdigen, ob der Kursverlauf im Beobachtungszeitraum etwa Strukturbrüche aufweist oder durch besondere Ereignisse, extreme Kursschwankungen oder etwaige Kursmanipulationen, z.B. aufgrund spekulativer Interessen sowie Einmalereignissen beeinflusst worden ist (Franken/Schulte aaO § 6 Rn. 6.140). So können etwa extreme Kursschwankungen, Kursverzerrungen aufgrund spekulativer Interessen oder wesentliche Einmalereignisse die Schätzung von Betafaktoren wesentlich beeinflussen. Auch makroökonomische Einflüsse wie jüngst die weltweite Finanzmarktkrise oder aber konkret für das Bewertungsobjekt relevante Ereignisse wie z.B. Gerichtsverfahren, Übernahmegerüchte oder die (gescheiterte) Markteinführung neuer Produkte können die Entwicklung des Börsenkurses prägen und die Ermittlung eines prognosetauglichen Betafaktors unter Umständen erschweren. Von daher ist eine Analyse der Kursentwicklung zwingend erforderlich (Dörschell/Franken/Schulte, aaO S. 177; Franken/Schulte aaO § 6 Rn. 6.141). Wie der Sachverständige richtig gesehen hat, können sich Zweifel, ob sich Rückschlüsse auf das künftige individuelle Unternehmensrisiko aus einem historischen Kursverlauf ziehen lassen, etwa dann ergeben, wenn dieser für einen Zeitraum beobachtet wird, in dem bereits eine Übernahmeabsicht mitgeteilt war (siehe etwa Kruschwitz/Löffler/Essler, Unternehmensbewertung für die Praxis, S. 143 f).
Der Sachverständige hat deshalb zwar bei seiner Analyse - zu Recht - den Zeitraum bis zum 31.12.2003 als Referenzzeitraum ausgeklammert, da der Kursverlauf „noch eine gewisse Abkoppelung der Aktie vom allgemeinen Marktgeschehen“ erkennen ließ (Gutachten Tz. 631). Weiter hat er überzeugend festgestellt, dass der Zeitraum nach dem formellen Ende des ersten Übernahmeangebots vom 24.6.2002 (38 EUR) am 23.7.2002 jedenfalls noch bis zu dessen Wirksamwerden und seinem Vollzug am 14.2.2003 durch den Schwebezustand geprägt war, den die Untersagung des Zusammenschlusses E.ON/Ruhrgas und die Anfechtung der beiden Ministererlaubnisse mit sich brachte und der schließlich durch die Rücknahmen der Beschwerden am 31.1.03 beendet wurde. Das erste Übernahmeangebot beschränkte sich in der Zielsetzung darauf, dass der Hauptaktionär E.ON (zusätzlich) so viele Aktien an die RAG abgibt, dass beide zu gleichen Teilen beteiligt sind; bis Ende 2004 sollte die RAG nach dem E.ON Ruhrgasdeal dann 50,1 % an Degussa halten, was durch den Erwerb von weiteren 3,62 % von E.ON auch zum 1.6.2004 umgesetzt wurde. Auch den Zeitraum ab Bekanntgabe des zweiten Übernahmeangebots hat der Sachverständige zu Recht aus seiner Betrachtung des Aktienkursverlaufs ausgenommen.
Bei der gebotenen Gesamtwürdigung war die Kursentwicklung der Degussa-Aktie indessen nicht nur in den o.g. Zeiträumen, sondern in dem gesamten Zeitraum seit dem 14.2.2003 bis zum Ende des von dem Sachverständigen herangezogenen Schätzungszeitraums aufgrund des geringen Free Floats und der besonderen Eigentümerstruktur der Degussa verzerrt. Dies hat der Sachverständige – und mit ihm das Landgericht – nicht hinreichend berücksichtigt.
Nach Einschätzung der Analysten war die Kursentwicklung der Degussa-Aktie bereits vor März 2005 - faktisch ab der Ankündigung des ersten Übernahmeangebots – allein durch den geringen Free Float und die bestehende Unsicherheit hinsichtlich des anstehenden Verkaufs der E.ON Anteile, also des „Wann“ und „Wie“ eines Ausstiegs von E.ON als zweitem Großaktionär der Degussa beeinflusst. Nach einhelliger Meinung der Bankanalysten, die sich auch in den von der Antragsgegnerin vorgelegten Veröffentlichungen ausdrückt, war die Aktienkursentwicklung in dem gesamten von dem Sachverständigen gewählten Referenzzeitraum für die Ermittlung der Betafaktoren durch zwei Faktoren beeinflusst, nämlich erstens den geringen Free Float und zweitens die Unsicherheit hinsichtlich des anstehenden Verkaufs der von E.ON gehaltenen Degussa-Anteile. Es entsprach offensichtlich der ganz herrschenden Auffassung der Kapitalmarktteilnehmer, dass das Kurspotenzial aufgrund der beiden Umstände begrenzt war. Diese sich durch alle Analysen ziehende Aussage und die damit verbundenen Empfehlungen haben die Aktienkursentwicklung der Degussa unzweifelhaft beeinflusst und Schwankungen gedämpft. Dies lässt auch nachvollziehen, warum es – anders als bei den konkreten Übernahmeankündigungen – keine Kurssprünge oder -ausschläge gab, der Kurs der Degussa-Aktie also ausgehend von dem ersten Übernahmeangebot von 38 EUR keine großen Sprünge mehr machte, wie der mit dem Prüfbericht befasst gewesene Prof. K. und auch der gerichtlich bestellte Sachverständige im Rahmen ihrer Anhörung – insoweit übereinstimmend – bestätigt haben (Sitzungsprotokolle v. 23.6.2016, S. 3 ff.; S. 10; v. 24.4.2017 S. 8 unten).
Schon in den seinerzeitigen Geschäftsberichten der Degussa wurde explizit darauf hingewiesen, dass der 7,04 %-ige Streubesitz und der durchschnittliche Börsenumsatz von rd. 24.000 Aktien pro Tag (2004) bzw. 42.000 Aktien pro Tag (2005) die nötige Liquidität nur bedingt bereitstellen könne und Ursache für ein schwaches Interesse institutioneller Großanleger sei (Degussa Geschäftsberichte 2003, 2004). Analysten des „Aktiencheck“ stellten im März 2003 fest, dass sich der (auf 7,04 % gesunkene) Free Float der Degussa seit der Übernahme von Ruhrgas durch E.ON merklich auf das geringe Kurspotenzial von Degussa auswirke (Anlage AG 27.13). Am 25.04.2003 wurde berichtet, das Chance/Risiko-Verhältnis zeige angesichts des geringen Streubesitzes und der Unsicherheit hinsichtlich der zukünftigen Eigentümerstruktur sowie eines gewissen Gewinnrisikos nach unten (Anlage AG 27.14). Analysen im September und Oktober 2003 zufolge belasteten die aktuelle Eigentümerstruktur und der kommende Abgabedruck seitens des Großaktionärs E.ON die Kursentwicklung der Degussa-Aktie weiterhin (Anlagen AG 27.15 und AG 27.16). Auch im November 2003 wurde wenig Kurspotenzial bei Degussa gesehen, weil die Unklarheit über den Ausstiegszeitpunkt von E.ON weiterhin die Aktie belaste (Anlage AG 27.6). Auch nach Einschätzungen des „Aktiencheck“ im April und Mai des Folgejahres 2004 war für die weitere Kursentwicklung der Degussa-Aktie - unverändert gegenüber dem Vorjahr - mehr die zukünftige Aktionärsstruktur als die operative Entwicklung der Degussa ausschlaggebend (Anlagen AG 27.9, AG 27.10). Im Juni 2004 wurde vermutet, dass die geplante Platzierung des E.ON-Pakets an der Börse die Kursentwicklung der Degussa-Aktie noch belasten könne; zudem stelle der (weiterhin) geringe Free Float keinen Kaufanreiz dar. Trotz sich aufhellender Konzernperspektiven bestätigten die Analysten der Hamburger Sparkasse deshalb ihre „Halte-Position“ für die Degussa-Aktie (Anlagen AG 27.18, AG 27.19). Wie das Managermagazin online im August 2004 feststellte, blieb der niedrige Streubesitz der Degussa-Aktie „ein Hemmschuh“. Zudem sei unklar, wann sich insbesondere E.ON von seinen Anteilen trennen werde (Anlage AG 27.27). Auch im Oktober 2004 wurde vermutet, dass die Quartalszahlen aufgrund des geringen Free Float keine größeren Kursbewegungen auslösen würden (Anlage AG 27.11). Im März des Folgejahres 2005 stellten die Analysten des „Aktiencheck“ fest, dass die Diskussionen um die Rolle von Degussa bei einem möglichen Börsengang der RAG sowie das „Wann“ und „Wie“ eines Ausstiegs von E.ON die Anleger verunsichern würden, wodurch der Aktienkurs belastet werde (Anlage AG 27.24). Nach Einschätzung des Handelsblatts reagierte die Notierung der Degussa „üblicherweise“ selbst auf fundamentale Nachrichten kaum, weil nur 7 % des Kapitals nicht in der Hand der Aktionäre RAG (50,1 %) und E.ON (42,9 %) liege. Zuvor hatte das Blatt über Spekulationen von Degussa über einen Rückzug von der Börse berichtet (Anlagen AG 25.3 und AG 25.4). „Der Aktionär“ nannte die mit der Aktionärsstruktur verbundenen Unsicherheiten als Grund für die Abkopplung der Degussa-Aktie von Vergleichsunternehmen: Zwar laufe das Geschäft auf Hochtouren, doch die Kursentwicklung von Degussa sei hinter der von Branchenprimus BASF zurückgeblieben. Hintergrund sei die Unsicherheit in Bezug auf die Rolle des MDAX-Unternehmens bei einem möglichen Börsengang der RAG und – wie in den Vorjahren - der Zeitpunkt und die Form eines Ausstiegs von Großaktionär E.ON (Anlage AG 25.6). Das Handelsblatt berichtete, dass Degussa nur 7 % freie Aktionäre habe, die ihre Anteile als Chemieinvestment ansehen würden. E.ON und RAG hielten den Rest an Degussa aus übergeordneten Motiven. Dies sei der Grund dafür, dass die Aktie auf Fundamentaldaten kaum kalkulierbar reagiere. Aufgrund der Börsenpläne der RAG hänge der Aktienkurs kaum davon ab, wie gut Degussa das Chemiegeschäft beherrsche (Anlage AG 25.6a). Auch der „Aktiencheck“ berichtete am 2.9.2005, die Eigentümerstruktur der Degussa bestehe fast vollständig aus so genannten „ruhigen Händen“. Daher lasse sich der Degussa-Aktienkurs auch von schlechten Nachrichten kaum irritieren. Die weitere Kursfantasie liege insbesondere in der potentiellen Entwicklung der Eigentümerstruktur. Viele Marktbeobachter würden darauf spekulieren, dass die von E.ON abgegebenen Aktien zumindest teilweise an der Börse platziert würden (Anlage AG 25.9).
Bei dieser Sachlage können die Betafaktoren der Degussa-Aktie aufgrund der hier vorliegenden kursverzerrenden Sonderfaktoren – anhaltend geringer Free Float und Unsicherheiten aufgrund der besonderen Eigentümerstruktur - in dem von dem Sachverständigen herangezogenen Referenzzeitraum nicht für eine objektivierte Bewertung des operativen Risikos der Degussa herangezogen werden.
3.3.2.4 Damit kommt es nicht weiter darauf an, dass die Degussa zum Bewertungsstichtag 30.5.2006 bereits seit längerem ein (faktisch) konzerniertes Unternehmen war, was der Validität der beobachtbaren eigenen Betafaktoren ebenfalls entgegenstehen kann (vgl. zuletzt Senat, Beschluss v. 22.3.2018 aaO Rn. 98; ebenso bereits Beschluss v. 20.3.2013 - I-26 W 6/09 (AktE) Rn. 62, juris; OLG Frankfurt, Beschluss v. 5.3.2012 - 21 W 11/11 Rn. 76, AG 2012, 417 ff.; OLG Stuttgart, Beschlüsse v. 3.4.2012 - 20 W 6/09 Rn. 170 ff., AG 2012, 839; v. 19.1.2011 - 20 W 3/09 Rn. 214, AG 2011, 205 ff.). Bei der Bewertung konzernierter Unternehmen wird daher in aller Regel nicht der eigene Betafaktor, sondern der einer Peer Group verwendet (vgl. Senat, Beschluss v. 25.5.2016 - I-26 W 2/15 (AktE) Rn. 66, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss v. 15.11.2012 - 12 W 66/06 Rn. 167, AG 2013, 353 ff.; OLG Stuttgart, Beschlüsse v. 18.12.2009 - 20 W 2/08 Rn. 255, AG 2010, 513 ff.; v. 17.10.2011 - 20 W 7/11 Rn. 385 ff.; ebenso ausdrücklich zu Bewertungsfällen anlässlich Squeeze-out OLG Frankfurt, Beschluss v. 7.6.2011 - 21 W 2/11 Rn. 42, NZG 2011, 990; OLG Stuttgart, Beschluss v. 3.4.2012 - 20 W 7/09 Rn. 122 f., juris; Veil/Preisser aaO; Wollny, aaO Kap. 23.7.4; Franken/Schulte aaO § 6 Rn. 6.171 ff.; Popp/Ruthardt ebenda § 12 Rn. 12.100; Popp, AG 2010,1 ff., 7).
3.3.2.5 Nicht von der Hand zu weisen ist überdies das Argument der Antragsgegnerin, dass der von dem Sachverständigen ermittelte Ertragswert – basierend auf der Verwendung des unternehmenseigenen Betafaktors - in einem nicht überbrückbaren Widerspruch zu der seinerzeitigen Marktbewertung wie auch den aktuellen Börsenkursen stehen würde (vgl. ähnlich OLG Frankfurt, Beschluss v. 5.12.2013 – 21 W 36/12 Rn. 95, NZG 2014, 464 ff.).
3.3.2.6 Bei dieser Sachlage kann es dahinstehen, ob auch die von der Antragsgegnerin angeführten Portfolio-Veränderungen der Degussa Anlass gaben, von der Verwendung des unternehmenseigenen Betafaktors abzusehen. Ebenso kann die Frage offen bleiben, ob die von der Antragsgegnerin gerügte Verzerrung des unternehmenseigenen Betafaktors dadurch zustande gekommen ist, dass der Sachverständige diesen anhand von Freitagsrenditen ermittelt hat (sog. DayoftheWeek-Effekt; vgl. dazu LG München I, Beschluss v. 2.12.2016 – 5 HK 5781/15 Rn. 184, juris; für eine Durchschnittsbildung plädierend Watrin/Stahlberg/Kappenberg, CFB 2011, 176194).
3.3.2.7 Schließlich kommt es auch nicht weiter darauf an, dass die Bandbreite der Betafaktoren der von dem Sachverständigen selbst gebildeten – gegenüber der von L. um vier Vergleichsunternehmen erweiterten – Peer Group mit 0,55 (Einjahreszeitraum vom 31.12.2001 bis 31.12.2002) bis 0,86 (Einjahreszeitraum vom 31.12.2002 bis 31.12.2003) um einiges höher ausfällt als der historische unternehmenseigene Betafaktor (Gutachten S. 178 Tz. 627). Dies gilt erst Recht für den unverschuldeten Betafaktor der Peer Group in dem letztlich für die Ermittlung des historischen Betafaktors herangezogenen Zeitraum vom 31.12.2003 bis zum 18.12.2005, der mit 0,68 (Mittelwert) bzw. 0,69 (Median) (Gutachten S. 179 Tz. 627 f.) nahezu identisch ist mit dem von L. angesetzten Wert. Bezogen auf den Fünf-Jahreszeitraum vom 31.12.2001 bis zum 30.5.2006 ergaben sich zwar für die von dem Sachverständigen betrachteten 13 Vergleichsunternehmen Betafaktoren in einer Bandbreite von 0,36 bis 1,10; dabei fielen aber lediglich der der (nachträglich in die Peer Group einbezogenen) – und am niedrigsten bewerteten - Nippon Shokubai Co Ltd mit 0,36 sowie der der Lonza Group AG mit 0,45 noch niedriger aus als unternehmenseigene Betafaktor der Degussa (Gutachten S. 179 Rz. 628), was durch die „Cluster-Bildung“ der Betafaktoren letztlich nur auf eine andere Art und Weise veranschaulicht wird. Auch nach der Analyse der Peer Group-Betafaktoren von L. hatte sich (nur) für ein einziges Vergleichsunternehmen (Koniklijke DSM N.V.) - und zwar lediglich im Jahreszeitraum vor dem 31.3.2005 - ein noch niedrigerer Wert (0,37) ergeben (vgl. Gutachten S. 144 Rz. 524). Der Sachverständige selbst hat für die - auch von ihm in die Peer Group einbezogene - Koniklijke DSM N.V. für den Zeitraum vom 31.12.2001 bis 30.5.2006 einen deutlich höheren Betafaktor (0,69) ermittelt (Gutachten S. 179 Rz. 628). In seiner zu Plausibilisierungszwecken durchgeführten Multiplikatorenbewertung ist er überdies zu Barabfindungswerten von 37,94 EUR (EBIT-Multiple), 48,89 EUR (EBITDA-Multiple) und 50,17 EUR (Umsatz-Multiple) je Stückaktie – und damit bei jeder Betrachtungsweise unterhalb der von ihm im „Basisszenario“ ermittelten Barabfindung gelangt (Gutachten S. 213 Rz. 757). Seine Einschätzung, der ermittelte Wert sei dennoch plausibel, da er „nur um 4,9 % über der oberen Grenze der Bandbreite“ liege, kann angesichts dessen nicht überzeugen.
3.3.2.8 Nach alledem kann der anhand des Ertragswertverfahrens zu ermittelnde, stichtagsbezogene Unternehmenswert keinesfalls höher sein als der nach den Erhöhungen durch die Antragsgegnerin mit 45,11 EUR festgelegte Abfindungswert. Dem Gutachten des Sachverständigen zufolge reduziert sich der von ihm ermittelte Ertragswert von 52,75 EUR bei isolierter Korrektur des Betafaktors um 13,56 EUR je Aktie (Gutachten S. 226 Tz. 808), so dass sich der anteilige Unternehmens- und Anteilswert bei – in der Sache allein gebotener – Berücksichtigung eines aus einer Peer Group abgeleiteten Betafaktors mit 0,7 auf 39,19 EUR beläuft und damit nicht nur unter dem Abfindungswert von 45,11 EUR, sondern auch unter den Durchschnittsbörsenkursen von 36,62 EUR bzw. 44,03 EUR liegt. Angesichts dessen ist für die gerichtliche Festsetzung einer höheren Kompensationsleistung kein Raum, ohne dass es auf die weiteren von der Antragsgegnerin mit der Beschwerde gerügten Korrekturen der nachhaltigen Investitionen, Restrukturierungsaufwendungen sowie der Ausschüttungsquote, die das Landgericht - dem Sachverständigen folgend - vorgenommen hat, noch entscheidend ankäme.
Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Antragsteller, die - gestützt auf die alternative Ertragswertermittlung des Sachverständigen - den Ansatz eines höheren Rechnungszinses bei der Berechnung der Pensionsrückstellungen und die Festsetzung der Barabfindung mit 53,68 EUR bzw. mit mindestens 54,91 EUR - dem höchsten durch den Sachverständigen ermittelten Ertragswert – fordern, da sich bereits bei isolierter Korrektur des Betafaktors in jedem Fall ein Wert unterhalb der nach den vorgenommenen Erhöhungen maßgeblichen Barabfindung ergibt.
Nichts anderes gilt für die Alternativberechnung des gemeinsamen Vertreters, der meint, die Barabfindung sei basierend auf den von dem Sachverständigen ermittelten Erträgen, jedoch ohne Abzug der persönlichen Einkommensteuer mit mindestens 57,75 EUR je Stückaktie festzusetzen. Die in den Bewertungsstandards des IDW S1 für den Zeitraum vor Einführung des Abgeltungssteuersystems zum 1.1.2009 empfohlene typisierende Betrachtung (IDW S1 2000 Tz. 51; IDW S1 2005 Tz. 53; IDW S1 2008 Tz. 58) mit einem Steuersatz von 35 % ist nicht zu beanstanden (st. Rspr., vgl. nur Senat, Beschluss vom 2.7.2018 - I-26 W 4/17 (AktE) Rn. 39 ff., DB 2018, 2108 ff. m.w.N.). Die grundsätzliche Berücksichtigung persönlicher Einkommenssteuern steht im Einklang mit der Bewertungspraxis und entspricht der ständigen Rechtsprechung in Abfindungsfällen (vgl. etwa Senat, Beschlüsse vom 21.2.2019 – 26 W 4/18 (AktE) Rn. 55 f.; v. 20.9.2006 - I-26 W 8/06 (AktE) Rn. 52; OLG Frankfurt, Beschluss v. 20.7.2016 - 21 W 21/14 Rn. 84 ff., jeweils juris; OLG München, Beschluss v. 18.2.2014 - 31 Wx 211/13 Rn. 15, AG 2014, 453 ff.; OLG Stuttgart, Beschluss v. 14.9.2011 - 20 W 6/08 Rn. 174 ff., AG 2012, 49 ff.; Popp/Kunowski in: Peemöller, Praxishandbuch Unternehmensbewertung, 6. A., S. 1314 ff.; Baetge/Niemeyer/Kümmel/Schulz ebenda, S. 353, 419 ff.; Simon/Leverkus/Simon, SpruchG, Anh. § 11 Rn. 140 f.; Ruiz de Vargas aaO Anh. § 305 Rn. 34; Steinle/Liebert/Katzenstein in: MünchHandb. GesR, 5. A., § 34 Rn. 135; Wagner/Jonas/Ballwieser/Tschöpel, WPg 2006, 1005, 1013 f.).
3.4 Schließlich bestehen – auch unter Berücksichtigung des Vorbringens einzelner nicht beschwerdeführender Antragsteller in der Beschwerdeinstanz – keine Bedenken gegen den Wachstumsabschlag, den das Landgericht im Einklang mit allen sachverständigen Bewertern mit 1,5 % angesetzt hat.
Die Bewertungsgutachterin L. hat den mit 1,5 % angesetzten Wachstumsabschlag mit den hohen nachhaltigen durchschnittlichen Wachstumserwartungen des Vorstands begründet (Übertragungsbericht S. 135). Die sachverständige Prüferin hat diesen Wert – auch unter Berücksichtigung des gesamtwirtschaftlichen Wachstums – insgesamt (noch) für angemessen gehalten. Ihren Feststellungen zufolge liegt er zwar leicht oberhalb des aktuellen Wachstums des nominalen Bruttoinlandsprodukts; er ist aber - trotz der Risiken eines weiteren Anstiegs des Ölpreises sowie eines wachsenden Wettbewerbs asiatischer Anbieter – angesichts der durchaus positiven langfristigen Wachstumserwartungen für die deutsche Chemieindustrie und der starken Wettbewerbspositionen der Degussa einschließlich des Unternehmensbereichs Bauchemie als plausibel einzustufen. Dies gilt umso mehr, als die Degussa bei einem Großteil ihrer Aktivitäten zu den weltweit führenden Anbietern zählte (Prüfbericht S. 22 ff., 24). Auch der Sachverständige hat den mit 1,5 % angesetzten Wachstumsabschlag für angemessen befunden. Dabei hat er - entgegen dem Vorwurf einzelner Antragsteller – keineswegs die Neustrukturierung der Degussa „unter den Tisch gekehrt“ (Bl. 2632). Wie der Sachverständige Dr. G. insoweit überzeugend begründet hat, hatte die bloße veränderte Darstellung in Form der Neuorganisation der Unternehmensbereiche der Degussa zum 1.1.2006 keinen Werteffekt (Gutachten S. 52 Rz. 204 f.). Angesichts der Geschäftsfelder, in denen die Degussa zum Bewertungsstichtag tätig war, hat er plausibel angenommen, dass sich zwar durch technische Innovationen und einen zunehmenden Lebensstandard in vielen Ländern der Erde ein nachhaltiges Wachstum – über dem durchschnittlichen gesamtwirtschaftlichen Wachstum – für die Degussa ergeben werde, langfristig jedoch zu berücksichtigen sei, dass sich (individuell bzw. branchenspezifisch) überdurchschnittliche Wachstumsraten langfristig dem Wachstumsniveau von Unternehmensgewinnen bzw. Preisentwicklungen anpassten. Da der von L. angesetzte Wachstumsabschlag bereits deutlich über der durchschnittlichen jährlichen Veränderung der Erzeugerpreise für chemische Erzeugnisse im Zeitraum von 1995 bis 2005 liege, bilde er insofern plausibel ein nachhaltiges reales Wachstum ab (Gutachten S. 186 Rz. 653). Nach alledem besteht weder Anlass, im Wege der Amtsermittlung den Folgen der Umorganisation des operativen Geschäfts bei der Degussa nachzugehen, noch den Wachstumsabschlag höher festzusetzen.
Für eine gerichtliche Erhöhung der Barabfindung ist daher kein Raum.
III. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist nicht veranlasst. Erstinstanzlich haben bereits mündliche Verhandlungen stattgefunden, in denen sowohl der für die sachverständige Prüferin tätige Prof. K. als auch der Sachverständige umfassend angehört wurden. Die Entscheidung des Senats beruht im Wesentlichen auf der Würdigung (bewertungs-)rechtlicher Fragestellungen und Sachverhalte, die bereits erstinstanzlich zwischen den Verfahrensbeteiligten ausführlich thematisiert wurden.
Die im Beschwerdeverfahren entstandenen Gerichtskosten einschließlich der Vergütung des gemeinsamen Vertreters hat die Antragsgegnerin zu tragen (§ 15 Abs. 1 SpruchG). Sie ganz oder teilweise den Antragstellern aus Billigkeitsgründen aufzuerlegen ist nicht veranlasst. Dies gilt auch mit Blick darauf, dass ihre auf Erhöhung der Barabfindung gerichteten Anträge im Ergebnis erfolglos blieben, denn sie waren zumindest nicht offenkundig unbegründet.
Gleichzeitig entspricht es angesichts des Verfahrensausgangs nicht der Billigkeit, dass die Antragsgegnerin die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller im Beschwerdeverfahren trägt (§ 15 Abs. 2 SpruchG). Dies gilt erst Recht für die außergerichtlichen Kosten der beschwerdeführenden Antragsteller, deren Rechtsmittel erfolglos geblieben ist.
Die Festsetzung des Geschäftswertes für das erstinstanzliche Verfahren beruht auf § 15 Abs. 1 Satz 2 SpruchG a.F. (§ 136 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Nr. 2 GNotKG), für das Beschwerdeverfahren auf § 74 Abs. 1 Satz 1 GNotKG.
Der gemeinsame Vertreter kann gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 SpruchG von der An-tragsgegnerin in entsprechender Anwendung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes den Ersatz seiner Auslagen und eine Vergütung für seine Tätigkeit verlangen. Der Geschäftswert gilt nach § 6 Abs. 2 Satz 3 SpruchG auch für die Bemessung seiner Vergütung.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.