Jens Berger: Neue Prominenz von IFRIC-Agendaentscheidungen
An die Regelungsdichte und auch Änderungsgeschwindigkeit in den internationalen Rechnungslegungsvorschriften IFRS haben sich inzwischen die meisten gewöhnt. Auch das unterschiedliche „Wie“ der Veröffentlichungen aus London, die ja nicht nur harte Standardänderungen umfassen, ist inzwischen bekannt.
Eine bedeutende Rolle spielen dabei die „klarstellenden“ IFRIC-Agendaentscheidungen. Sie sind eigentlich nur die Dokumentation, ob das Interpretationskomitee des International Accounting Standards Board – IASB (IFRS IC oder althergebracht IFRIC) eine Einreichung auf die Agenda nimmt oder nicht. Der ganz überwiegende Teil sind dabei die sog. Nicht-Agendaentscheidungen, also die Entscheidung des IFRS IC, etwas gerade nicht weiterzubearbeiten – i. d. R. weil aus Sicht des IFRIC die IFRS bereits ausreichend klar sind. Diese Entscheidungen haben sich über die Jahre als Quasi-GAAP etabliert, obwohl sie formal nicht Bestandteil der verpflichtend anzuwendenden IFRS-Regelungen sind und dem sog. Due Process zum Standardsetting nicht unterliegen. Allerdings finden sie sich zum einen regelmäßig in den Büchern der großen WP-Netzwerke. Zum anderen sehen die Enforcer und sonstigen Regulatoren diese als grundsätzlich bindend an im Interesse einer einheitlichen Anwendung der IFRS. Das bringt in der Praxis eine gewisse Klarheit, jedoch auch Probleme mit sich: Wie und wie schnell muss etwa eine aus einer Nicht-Agendaentscheidung folgende Änderung in der Bilanzierung umgesetzt werden? Stichwort: Fehler vs. Änderung einer Bilanzierungsmethode oder „irgendwie prospektiv“? Erschwert wird die Situation interessanterweise dadurch, dass viele dieser Entscheidungen mittlerweile weitere fachliche Erläuterungen bzw. Klarstellungen enthalten, auch wenn aus Sicht des IFRS IC die Bilanzierung unter den bestehenden Regelungen bereits eindeutig ist. Der IASB wollte dem Thema bereits mit einer Änderung an IAS 8 begegnen und damit die Entscheidungen in seine IAS 8-Hierarchie einbauen (s. dazu den BB-Standpunkt: Was tun, wenn IFRS zwar ausgelegt, aber nicht interpretiert werden?). Das Feedback dazu war sehr gemischt. Aktuell überlegt man deshalb in London, das Projekt ggf. komplett zu Grabe zu tragen.
In der Zwischenzeit haben sich auch weitere Entwicklungen ergeben. Zum einen wurde erneut diskutiert, wie viel Zeit man eigentlich zum Umsetzen einer solchen Entscheidung hat. Die Antwort: so schnell wie es möglich und der Sache angemessen ist (s. hierzu die Erläuterung der IFRIC-Vorsitzenden und IASB-Vizevorsitzenden Sue Lloyd: Agenda Decisions - Time is of the Essence). Zum anderen soll das Verfahrenshandbuch (Due Process Handbook) der IFRS-Stiftung abgeändert werden. Hier soll neben der Festschreibung des Konzepts einer ausreichenden Zeit zur Umsetzung solcher Agendaentscheidungen auch noch ein weiteres Mittel eingeführt werden, um den Strauß an Kommunikationsmitteln des IASB zu erweitern: die Board-Agendaentscheidung. Dies soll „selten“ genutzt werden, wenn es der IASB für angemessen hält, schnell zu reagieren und nicht erst eine Einreichung beim IFRIC abzuwarten – quasi bei „Gefahr im Verzug“. Noch sind diese Änderungen im Entwurfsstadium. Sie haben aber bereits zu großen Diskussionen in der Praxis geführt.
Die Aufwertung und Prominenz von IFRIC-Agendaentscheidungen und auch das mögliche Mittel sog. Board-Agendaentscheidungen lenken erneut die Diskussion auf folgende Themen:
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Ist eine Änderung der Bilanzierung auf Basis einer solchen Entscheidung eine Fehlerkorrektur, eine freiwillige Änderung in der Bilanzierung oder ein ganz eigener Fall, der auch eines gesonderten Vorgehens bedarf?
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Sollten solche Entscheidungen nicht auch einen Erstanwendungszeitpunkt haben, wenn man den GAAP-vergleichbaren Status auch kodifiziert? Wäre ein allgemeines Konzept der „ausreichenden Zeit“ belastbar genug in der praktischen Umsetzung, und wie stehen die Regulatoren dazu?
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Bedarf es einer weiteren Ebene der Board-Agendaentscheidungen, oder kann dies nicht durch Anpassung des bestehenden IFRIC-Verfahrens gelöst werden (z.B. indem der Board selbst Themen einreichen kann)?
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Ist der Due Process aufgrund der gestiegenen Prominenz und Bindungswirkung der Entscheidungen hier noch ausreichend?
Die vorgehenden kurzen Ausführungen zeigen, dass es sich hier nicht nur um Randdiskussionen handelt, sondern dies unmittelbar Auswirkungen auf alle IFRS-Bilanzierer hat. Wenn Sie eine Meinung dazu haben, sollten Sie diese dem IASB im Rahmen der Kommentierung des Due Process Handbook kundtun!
Dipl.-Kfm. Jens Berger, CPA, ist Partner beim Prüfungs- und Beratungsunternehmen Deloitte in Frankfurt a. M. und Leiter des deutschen IFRS Centre of Excellence.