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Arbeitsrecht
01.12.2022
Arbeitsrecht
Hessisches LAG: Zum Rechtsmissbrauchseinwand des öffentlichen AG bei einer Bewerbung einer beruflich aktiven Rechtsanwältin, die als schwerbehinderter Mensch anerkannt ist

Hessisches LAG, Urteil vom 12.10.2020 – 7 Sa 1042/19

ECLI:DE:LAGHE:2020:1012.7SA1042.19.00

Volltext des Urteils: BB-ONLINE BBL2022-2872-1

unter www.betriebs-berater.de

Leitsatz

1. Eine unmittelbare Benachteiligung gemäß § 3 Abs. 1 AGG wegen einer Schwerbehinderung eines AN bei einer Einstellung nicht in die Auswahl des AG einbezogen wird, sondern vorab ausgenommen und vorzeitig aus dem Bewerbungsverfahren ausgeschlossen wird. Hierin liegt die Benachteiligung in der Versagung einer Chance.

2. Durch die Pflicht des öffentlichen AG den schwerbehinderten Bewerbers gemäß § 82 S. 2 SGB IX zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, soll der schwerbehinderte Bewerber insoweit gegenüber den nicht schwerbehinderten Bewerber besser behandelt werden. Bittet der schwerbehinderte Bewerber nach einer Einladung zum Vorstellungstermin um einen Ausweichtermin, so kann der öffentliche AG dieser Bitte nicht mit dem Argument, dass praktische oder organisatorische Gesichtspunkte der Durchführung der Auswahlgespräche auch mit nicht schwerbehinderten Menschen dies verhindern, entgegentreten.

Sachverhalt

Die Klägerin begehrt von dem beklagten Landkreis eine Entschädigungszahlung wegen einer Diskriminierung.

Die Klägerin ist 56 Jahre alt und freiberuflich als Rechtsanwältin und Parlamentsstenografin tätig. Die Klägerin ist als schwerbehinderter Mensch mit einem GdB von 60 anerkannt. Die Klägerin besitzt einen Schwerbehindertenausweis, der gültig ist ab dem 10. August 2015. Wegen der Einzelheiten dieses Schwerbehindertenausweises wird auf die Anlage zur Klageschrift (Bl. 12 d.A.) Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 19. Juli 2018 hat sich die Klägerin online um die unbefristete Stelle einer Volljuristin in Vollzeit für den Bereich Vergabestelle und Justiziariat des Kreisausschusses des beklagten Landkreises A mit der Entgeltgruppe 13 TVöD-VKA beworben. Wegen der Einzelheiten des hierzu von der Klägerin übersandten Bewerbungsschreibens wird auf die Anlage zur Klageschrift (Bl. 13 f d.A) verwiesen. Die Bewerbung der Klägerin war veranlasst durch eine Stellenausschreibung mit einem entsprechenden Anforderungsprofil. Desweiteren existiert beim beklagten Landkreis ein Frauenförderplan nach dem die Verpflichtung zur Erhöhung des Frauenanteils in diesem Bereich besteht. Bei gleicher Qualifikation sollte die bevorzugte Berücksichtigung schwerbehinderter Bewerberinnen und Bewerber erfolgen. Wegen der weiteren Einzelheiten dieser Stellenausschreibung wird auf die Anlage zur Klageschrift (Bl. 15 ff d.A.) verwiesen. Dem Bewerbungsschreiben der Klägerin war ein Lebenslauf beigefügt, aus dem die einzelnen Ausbildungsstationen, die erreichten Abschlüsse und die weiteren Fortbildungen und Qualifikationen sowie Kenntnisse hervorgehen. Dabei wies die Klägerin auch auf ihre Schwerbehinderung hin. Wegen der Einzelheiten dieses Lebenslaufs wird auf die Anlage zur Klageschrift (Bl. 17 f d.A.) verwiesen. Bewerbungsschluss für die ausgeschriebene Stelle war Freitag, der 20. Juli 2018. Die Klägerin wurde sodann mit Schreiben des beklagten Landkreises vom 31. Juli 2018 zu einem Vorstellungsgespräch am 09. August 2018 am Sitz des beklagten Landkreises eingeladen. In diesem Schreiben formulierte der beklagte Landkreis, dass die Klägerin den Beklagten darüber informieren sollte, wenn sie den Termin nicht wahrnehmen könnte. Sie solle dann aber Verständnis dafür haben, dass in diesem Fall kein Ausweichtermin vereinbart werden könne. Desweiteren erfolgte ein Hinweis darauf, dass die Kosten für die Teilnahme am Vorstellungsgespräch nicht erstattet werden könnten. Wegen der Einzelheiten dieses Schreibens wird auf die Anlage zur Klageschrift (Bl. 19 d.A.) verwiesen. Mit Schreiben vom 04. August 2018 teilte die Klägerin dem beklagten Landkreis mit, dass sie das Schreiben vom 09. August 2018 erst am 03. August 2018 erreicht habe. In diesem Schreiben bat die Klägerin um eine Terminsverlegung, da sie aus beruflichen Gründen diesen Termin nicht wahrnehmen könne. Desweiteren bat sie darum, zu berücksichtigen, dass sie beruflich und nachsorgebedingt an mehreren Terminen nicht teilnehmen könnte. Wegen der Einzelheiten dieses Schreibens der Klägerin vom 04. August 2018 wird auf die Anlage zur Klageschrift (Bl. 20 d.A.) Bezug genommen. Mit Schreiben vom 07. August 2018 ließ der beklagte Landkreis durch Frau B antworten, dass er das Schreiben der Klägerin vom 04. August 2018 zur Kenntnis genommen habe, allerdings daran festhalten müsse, dass kein Ausweichtermin vereinbart werden könne. Im nächsten Absatz heißt es dann wörtlich:

„Wir bedauern daher, Ihnen keine günstigere Mitteilung geben zu können, für Ihre weitere Arbeitsplatzbemühungen wünschen wir Ihnen viel Erfolg.“

Mit Schreiben vom 07. August 2018 antwortete die Klägerin, dass sie das Schreiben des beklagten Landkreises vom 07. August 2018 mit Bedauern zur Kenntnis genommen habe. Für eine Berufstätige mit zwei freiberuflichen Tätigkeiten sei eine solch enge zeitliche Terminierung äußerst problematisch. Die Klägerin bat um Überdenken der Entscheidung des beklagten Landkreises. Wegen der weiteren Einzelheiten dieses Schreibens der Klägerin vom 07. August 2018 wird auf die Anlage zur Klageschrift (Bl. 22 d.A.) Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 08. August 2018 antwortete der beklagte Landkreis, dass er das Schreiben der Klägerin zur Kenntnis genommen habe, er trotzdem aber leider keinen Ausweichtermin anbieten könne. Dies habe folgende Gründe: Zum einen sei der Beklagte an einer möglichst schnellen Besetzung der Stelle interessiert, ein Ausweichtermin würde das Verfahren zwangsläufig verzögern und er müsse sicherstellen, dass das aus mehreren Personen bestehende Gremium an einem Tag in der gleichen Zusammensetzung beraten könnte. Abschließend bat der beklagte Landkreis um Verständnis, dass er leider keinen Ausweichtermin anbieten könnte. Wegen der weiteren Einzelheiten dieses Schreibens vom 08. August 2018 wird auf die Anlage zur Klageschrift (Bl. 23 d.A.) Bezug genommen.

Zum Vorstellungsgespräch am 09. August 2018 wurden durch den beklagten Landkreis 6 Frauen und 3 Männer eingeladen. Die Klägerin war als letzte Teilnehmerin für 16:15 Uhr vorgesehen. Dieser Zeitplan wurde am 31. Juli 2018 an die Teilnehmer auf der Seite der Beklagten, darunter an den Schwerbehindertenvertreter, Herrn C, versandt. Wegen des hierzu von beklagten Landkreis aufgestellten Ablaufplans für die Vorstellungsgespräche wird auf die Anlage zum Schriftsatz des Beklagten vom 20. August 2020 (Bl. 427 d.A.) verwiesen. Wegen der Übermittlung dieses Zeitplans an die Schwerbehindertenvertretung wird auf die Anlage zum Schriftsatz des Beklagten vom 20. August 2020 (Bl. 428 d.A.) verwiesen. Die Klägerin hat am 09. August 2018 kein Vorstellungstermin wahrgenommen.

Mit Schreiben vom 05. Oktober 2018 hat die Klägerin ihre Entschädigungsansprüche beim beklagten Landkreis geltend gemacht. Wegen der Einzelheiten dieses Schreibens vom 05. Oktober 2018 wird auf die Anlage zur Klageschrift (Bl. 24 ff d.A.) Bezug genommen. Diese Ansprüche hat der beklagte Landkreis mit Schreiben vom 07. Januar 2019 abgelehnt. Wegen der Einzelheiten dieses Schreibens vom 07. Januar 2019 wird auf die Anlage zum klägerischen Schriftsatz vom 18. Februar 2019 (Bl. 118 d.A.) verwiesen.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass die Einladungsfrist, nämlich 3 Arbeitstage vor dem Vorstellungsgespräch, in diskriminierender Weise vom beklagten Landkreis zu kurz bemessen gewesen sei. Auch ziele die Stellenausschreibung auf Berufsanfänger ab, die zeitlich flexibel seien. Darüber hinaus sei die Verfahrensgestaltung fehlerhaft gewesen, denn in der Stellenausschreibung sei ein voraussichtlicher Einstellungstermin nicht genannt worden. Deswegen könne man auch nicht von einer besonderen Dringlichkeit, die die kürze der Einladungsfrist rechtfertigen würde, ausgehen. Außerdem habe die Beklagte einen Ausweichtermin überhaupt nicht in Erwägung gezogen, sodass auch insoweit von einem Indiz im Sinne des § 22 AGG auszugehen sei.

Des weiteren hat die Klägerin die Auffassung vertreten, dass die Schwerbehindertenvertretung nicht ordnungsgemäß beteiligt worden sei und sich auch daraus ein Indiz im Sinne von § 22 AGG ergeben würde. Die Schwerbehindertenvertretung sei nämlich unmittelbar nach Eingang der Bewerbung zu unterrichten.

Des weiteren hat die Klägerin die Auffassung vertreten, dass die Stellenausschreibung mit dem Hinweis „gerne auch Berufsanfängerinnen bzw. Berufsanfänger“ zu einer Altersdiskriminierung geführt habe. Schließlich sei die Klägerin auch wegen ihres Geschlechts diskriminiert worden.

Außerdem hat die Klägerin die Auffassung vertreten, dass die fehlerhafte Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung zu einem Indiz im Sinne des § 22 AGG geführt habe. Schließlich sei auch nicht die Agentur für Arbeit unterrichtet worden. Deswegen sei von einer fehlerhaften Bewerberauswahl auszugehen.

Zusätzlich hat die Klägerin die Auffassung vertreten, dass die fehlende Möglichkeit eines Ausweichtermins einen Organisationsmangel begründe und deswegen auch ein Indiz im Sinne des § 22 AGG darstelle.

Die Klägerin hat behauptet, dass sie die Anforderungen des Stellenprofils erfüllt habe.

Auch aus dem nachträglichen Verhalten des beklagten Landkreises, bis hinein in die gerichtlichen Verfahren, müsse man von einer diskriminierenden Haltung des beklagten Landkreises ausgehen. Auf dieser Grundlage sei die Höhe der Entschädigung mit 3 Bruttomonatsgehältern gerechtfertigt.

Die Klägerin hat beantragt,

den beklagten Landkreis zu verurteilen, an sie eine Entschädigung zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch einen Betrag in Höhe von EUR 13.438,23 nicht unterschreiten sollte.

Der beklagte Landkreis hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der beklagte Landkreis hat die Auffassung vertreten, er sei durch das Schreiben vom 31. Juli 2018 seiner Pflicht zur Einladung zum Vorstellungsgespräch nachgekommen.

Der beklagte Landkreis hat behauptet, dass alle zum Vorstellungsgespräch eingeladenen Bewerberinnen und Bewerbern mitgeteilt worden sei, dass ein Ausweichtermin nicht möglich sei.

Die Schwerbehindertenvertretung sei ordnungsgemäß beteiligt worden. Die Stellenbesetzung sei dringlich gewesen, deshalb sei die Einladungsfrist kurz bemessen worden.

Der beklagte Landkreis hat weiter behauptet, dass die Klägerin auch nicht ernsthaft an der Stellenbesetzung interessiert gewesen sei. Als gut ausgebildete und qualifizierte Rechtsanwältin wäre sie nicht zum Landkreis nach A gekommen.

Das Arbeitsgericht Fulda – 1 Ca 38/19 – hat mit seinem am 19. Juli 2019 verkündeten Urteil der Klage weitgehend stattgegeben. Der Klägerin stehe der geltend gemachte Entschädigungsanspruch in Höhe eines 1,5-fachen Bruttomonatsgehalts der angestrebten Stelle zu. Der beklagte Landkreis habe nämlich seiner Pflicht zur Einladung zum Vorstellungsgespräch nicht genügt. Das Einladungsschreiben zu dem Termin am 09. August 2018 habe die Klägerin erst am 03. August 2018 erreicht. Wenn man auf § 217 ZPO achte, sei dabei von einer zu kurzen Einladungsfrist auszugehen. Die Klägerin habe nicht die effektive Möglichkeit erhalten, dem öffentlichen Arbeitgeber einen persönlichen Eindruck zu vermitteln. Die Klägerin habe eben nicht die Möglichkeit gehabt, den beklagten Landkreis in einem persönlichen Gespräch von sich überzeugen zu können. Dies begründe aber die benachteiligende Handlung. Zur Höhe der Entschädigung hat das Gericht die Auffassung vertreten, man könne nicht schematisch von drei Bruttomonatsgehältern als Entschädigungshöhe ausgehen. Es bestehe kein Anlass davon auszugehen, dass die Verletzungsfolgen bei der Klägerin besonders gering einzustufen seien, noch sei ersichtlich, dass die Versäumnis des beklagten Landkreises bei der Ausgestaltung des Bewerbungsverfahrens zu einer gravierenden Kränkung der Klägerin geführt hätte. Des Weiteren sei auch nicht ersichtlich, dass die Klägerin eine altersbezogene oder geschlechtsbezogene Benachteiligung erlitten habe. Der beklagte Landkreis habe nämlich in der Stellenausschreibung nur über das Anforderungsprofil unterrichtet. Auch von einer mittelbaren Diskriminierung könne nicht ausgegangen werden.

Gegen das Urteil des Arbeitsgerichts hat der beklagte Landkreis innerhalb der zu Protokoll der Berufungsverhandlung vom 27. Juli 2020 festgestellten und dort ersichtlichen Fristen Berufung eingelegt. Die Klägerin hat gegen das Urteil des Arbeitsgerichts innerhalb der zu Protokoll der Berufungsverhandlung vom 27. Juli 2020 festgestellten und dort ersichtlichen Fristen Anschlussberufung eingelegt und diese begründet.

Der Beklagte bleibt bei seiner Auffassung und sieht keinerlei Versäumnisse oder gar Pflichtverletzungen in der Verfahrensgestaltung, insbesondere nicht im Hinblick auf die unterbliebene Einräumung eines Ausweichtermins zum Vorstellungsgespräch für die Klägerin.

Der Beklagte behauptet hierzu, es sollte zu einer schnellen Besetzung der ausgeschriebenen Stelle kommen. Deswegen hätten die Vorstellungsgespräche zeitnah stattfinden müssen. Es gäbe auch keine Frist für die Einladung zum Vorstellungsgespräch. Zwischen dem Zugang des Einladungsschreibens bei der Klägerin und dem Vorstellungstermin hätten schließlich 7 Tage gelegen.

Der Beklagte behauptet weiter, dass die Klägerin keinen triftigen Grund für die Terminverschiebung angegeben habe. Durch die Benennung der anderen Termine, an denen die Klägerin keine Möglichkeit gehabt habe, habe sie zugleich die Bestimmung eines Ausweichtermins unmöglich gemacht. Die Klägerin habe auch keine Umstände für die Terminverschiebung angegeben, die im Zusammenhang mit ihrer Behinderung stehen könnten. Außerdem seien alle Einladungen zu den Vorstellungsgesprächen am 09. August 2018 am 31. Juli 2018 an die Bewerberinnen und Bewerber versandt worden. Nach dem ersten Anschein betrage die Postlaufzeit innerhalb Deutschlands einen Tag und deswegen sei davon auszugehen, dass die Klägerin das Einladungsschreiben bereits zu einem früheren Zeitpunkt erreicht habe. Außerdem sei die Klägerin nach ihren eigenen Angaben an mehreren Tagen im August so oder so verhindert gewesen.

Daraus folgert der Beklagte die Auffassung, dass der Gesetzgeber keine verbindliche Frist in § 165 SGB IX aufgenommen habe. Anwaltliche Fristen könnten deswegen nicht entscheidend sein. Außerdem hätte die Klägerin ihre anderen Termine verlegen müssen.

Der Beklagte behauptet weiter, dass die Schwerbehindertenvertretung zwischen dem 24. Juli 2018 und dem 30. Juli 2018 ordnungsgemäß beteiligt worden sei. Insbesondere verweist der beklagte Landkreis auf sein tatsächliches Vorbringen auf Seite 3 f. seines Schriftsatzes vom 26. November 2019 (Bl. 319 f. d.A.).

Nach dem gerichtlichen Hinweisbeschluss in der Berufungsverhandlung vom 27. Juli 2020 hat sich auf der Grundlage des tatsächlichen Vorbringens des Beklagten Folgendes ergeben: Auf Seite 3 seines Schriftsatzes vom 26. November 2019 führt der beklagte Landkreis aus, dass die Klägerin mit dem Schreiben vom 07. August 2018 dahingehend beschieden worden sei, dass sie wegen der Nichtteilnahme an dem Vorstellungsgespräch aus dem Bewerbungsverfahren ausgeschieden sei. Während der Beklagte mit dem Schreiben vom 08. August 2018 begründet habe, warum ihm die Bestimmung eines Ausweichtermins nicht zumutbar sei, habe die Klägerin ihre angebliche Verhinderung nicht näher begründet. Auf Seite 2 seines Schriftsatzes vom 20. August 2020 führt der beklagte Landkreis aus, dass die Fachdienstleiterin Frau D mit Telefaxschreiben vom 08. August 2018 begründet habe, warum kein Ausweichtermin genannt werden könne, insbesondere, dass die selben Personen an den Vorstellungsgesprächen teilnehmen müssten, darunter auch die Schwerbehindertenvertretung. Die Klägerin hätte noch die Möglichkeit gehabt, an dem Vorstellungsgespräch am 09. August 2018 teilzunehmen. Zeitlich wäre das kein Problem gewesen, da das Vorstellungsgespräch der Klägerin ohnehin als letztes vorgesehen gewesen sei. Die Klägerin sei eben gerade nicht vorzeitig aus dem Bewerbungsverfahren ausgeschieden. Sie hätte sich am 09. August 2018 vorstellen können. Etwas Anderes ergebe sich auch nicht aus dem Schreiben von Frau B am 07. August 2018. Sachliche Aussage sei nämlich dort, dass es keinen Ausweichtermin gebe. Die Klägerin habe das Schreiben von Frau B auch so verstanden. Seitens der Schwerbehindertenvertretung sei auch kein Ausweichtermin für die Klägerin gefordert worden.

Zusammenfassend behauptet der beklagte Landkreis, der Klägerin sei abgesagt worden, weil sie ohne tragfähige Begründung nicht am Vorstellungsgespräch teilgenommen habe.

Des Weiteren vertritt der beklagte Landkreis die Auffassung, dass das Entschädigungsverlangen der Klägerin rechtsmissbräuchlich sei.

Hierzu behauptet der beklagte Landkreis, die Klägerin habe sich nicht beworben, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern nur um den formalen Status als Bewerberin zu erlangen. Dies ergebe sich aus folgenden objektiven Umständen: Die Klägerin sei seit dem Jahr 2009 selbständige Rechtsanwältin in E. Sie habe sich fortgebildet. Die Klägerin wohne auch privat in E. Außerdem habe die Klägerin keinerlei Angaben zu einer möglichen Motivation in F in abhängiger Stellung weisungsgebunden zu arbeiten, gemacht. Die Klägerin habe ihre Bewerbung bewusst verspätet abgesandt. Die Klägerin habe sich der Teilnahme für den Arbeitgeber obligatorischen Vorstellungsgespräch verweigert. Sie habe dafür keine schlüssige Begründung gehabt. Außerdem habe sich die Klägerin zeitgleich bei anderen Arbeitgebern beworben. Dies ergebe sich aus der Email vom 20. Juli 2018. Diese Bewerbungen könnten nicht ihre Ursache in einer Arbeitslosigkeit der Klägerin gehabt haben. Die Klägerin habe auch keinen vernünftigen Grund dafür benannt, warum sie ihre freiberuflichen Tätigkeiten in E für eine Tätigkeit als Verwaltungsangestellte in F aufgeben wolle.

Zur Anschlussberufung der Klägerin ist der beklagte Landkreis der Ansicht, dass der Entschädigungsanspruch, wenn er denn der Klägerin zustünde, hinreichend bemessen sei. Schließlich habe der beklagte Landkreis die Klägerin als schwerbehinderten Menschen und Bewerberin zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Außerdem habe die Klägerin eine wirtschaftliche Existenzgrundlage in E.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt im Wege der Anschlussberufung,

den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin eine Entschädigung gem. § 15 Abs. 2 AGG, die in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, allerdings nicht unter € 13.438,23 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Januar 2019 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass die Höhe der Entschädigung mit drei Bruttomonatsgehältern anzusetzen sei. Es gebe keine Obergrenze, sondern allenfalls eine Kappungsgrenze. Da sie aber wegen mehrerer Merkmale diskriminiert worden sei, nämlich wegen ihrer Schwerbehinderung und ihrem Alter, müsse die Entschädigungshöhe auf dieser Grundlage ermittelt werden. Schließlich habe der Beklagte auch gegen die Grundsätze der Bestenauslese verstoßen.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, sie habe kein förmliches Absageschreiben erhalten. Die fehlende förmliche Absage sei dem Beklagtenvertreter auch bekannt. Deswegen müsse der beklagte Landkreis ein Absageschreiben vorlegen oder im Tatsachenvortrag klar darlegen.

Des Weiteren behauptet die Klägerin, die Schwerbehindertenvertretung sei nicht ordnungsgemäß angehört und beteiligt worden. Die Zuleitung am 24. Juli 2018 bedeute gerade nicht, dass die Schwerbehindertenvertretung und der Personalrat die Bewerbung der Klägerin samt Unterlagen auch am 24. Juli 2018 zur Kenntnis genommen habe. Eine spätere tatsächliche Kenntnisnahme von Bewerbung und Bewerbungsunterlagen erfülle nicht das in § 164 Abs. 1 S. 3 SGB IX normierte Unmittelbarkeitserfordernis. Die Schwerbehindertenvertretung habe nicht nur die Bewerbung eines schwerbehinderten Bewerbers, sondern auch die Bewerbungen der nicht schwerbehinderten Bewerberinnen und Bewerber nicht zur Kenntnis zu erhalten. Wegen der weiteren Einzelheiten des tatsächlichen Vorbringens der Klägerin hierzu wird auf Bl. 2 ihres Schriftsatzes vom 30. September 2020 (Bl. 448 d.A.) verwiesen.

Zusammenfassend behauptet die Klägerin hierzu, ihr sei mit Schreiben vom 07. August 2018 ohne die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung eine Stellenabsage erteilt worden. Der Schwerbehindertenvertretung sei weder das Schreiben vom 07. August 2018, oder das Schreiben vom 08. August 2018 vor dem Vorstellungsgespräch am 09. August 2018 mitgeteilt worden.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass der beklagte Landkreis das Einladungsschreiben auch per Mail hätte verschicken können. Die Einladungsfrist von drei Tagen sei zu kurz bemessen gewesen. Damit könne auch nicht das Prinzip der Bestenauslese verwirklicht werden.

Insgesamt sieht die Klägerin die Indizien nach § 22 AGG durch folgende Umstände gegeben: Es sei kein Ausweichtermin angeboten worden, der beklagte Landkreis habe eine gerichtliche Auseinandersetzung billigend in Kauf genommen, die Dringlichkeit der Stellenbesetzung sei kein Rechtfertigungsgrund im Sinne von § 22 AGG. Ihre Qualifikation und ihre Berufserfahrung würden weit über das Anforderungsprofil hinausgehen.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass die als Indiz im Sinne von § 22 AGG zu wertende Tatsache, wonach der beklagte Landkreis die lebensältere schwerbehinderte Bewerberin aufgrund ihres Alters und ihrer Schwerbehinderung gar nicht einstellen wollte, sondern insofern billigend in Kauf genommen habe, dass ihr die Einladung zum Vorstellungsgespräch nicht rechtzeitig zukomme, würde auch dadurch deutlich, dass der beklagte Landkreis ausführe, dass aufgrund des Lebensalters der Klägerin und den sich hieraus nur noch wenigen voraussichtlichen Tätigkeitsjahren im Öffentlichen Dienst ergebe, dass er die Klägerin schon aufgrund ihres Alters gar nicht einstellen wollte.

Es sei auch nicht von einer rechtsmissbräuchlichen Bewerbung auszugehen. Die Klägerin habe ihre Bewerbung nicht bewusst spät versandt, außerdem würde sich aus ihren beruflichen Tätigkeiten als Rechtsanwältin und als Parlaments-stenografin ergeben, dass sie mobil im gesamten Bundesgebiet sei. Deswegen könne man keinesfalls von einer rechtsmissbräuchlichen Bewerbung ausgehen.

Aus den Gründen

 

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Fulda – 1 Ca 38/19 – vom 19. Juli 2019 ist statthaft (§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 + 2 b ArbGG). Die Berufung des Beklagten ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 517, 519, 520 ZPO) und damit insgesamt zulässig.

Die Anschlussberufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Fulda – 1 Ca 38/19 – vom 19. Juli 2019 ist gem. § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 524 Abs. 1 und 2 ZPO statthaft. Die Berufungsbegründungsfrist für den Beklagten lief am 16. Oktober 2019 ab, während die Berufungsbegründung des Beklagten bei der Klägerin am 08. Oktober 2019 zugestellt wurde. Die Anschlussberufung der Klägerin am 06. November 2019 hält sich innerhalb der Frist des § 524 Abs. 2 ZPO. Die Anschlussberufung ist auch unmittelbar mit Einreichung des Anschlussberufungsschriftsatzes begründet worden und damit insgesamt zulässig.

 

In der Sache ist die Berufung des beklagten Landkreises unbegründet und deswegen zurückzuweisen.

Die Berufung ist unbegründet, weil der Klägerin der geltend gemachte Entschädigungsanspruch zusteht.

Der von der Klägerin geltend gemachte Entschädigungsanspruch auf der Grundlage des § 15 Abs. 2 AGG ist nicht gem. § 15 Abs. 4 AGG verfallen.

 

Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die Klägerin mit Schreiben vom 05. Oktober 2018 ihre Entschädigungsansprüche bei dem beklagten Landkreis geltend gemacht hat. Zuvor ist es dazugekommen, dass der beklagte Landkreis mit Schreiben vom 07. August 2018 die Bitte der Klägerin nach einem Ausweichtermin abgelehnt hat. Des Weiteren hat der beklagte Landkreis mit Schreiben vom 08. August 2018 seine Position bestätigt, am 09. August 2018 die Vorstellungsrunde abgehalten und eine Auswahlentscheidung getroffen zu haben. Wenn die Klägerin, obwohl ein förmliches Absageschreiben durch den beklagten Landkreis nach dem 09. August 2018 nicht angefertigt worden ist, ihre Ansprüche dann am 05. Oktober 2018 geltend macht, so hält sich dies in der Frist des § 15 Abs. 4 AGG, nachdem nämlich ein Anspruch nach § 15 Abs. 2 AGG innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden muss und die Frist mit dem Zugang der Ablehnung oder der Kenntniserlangung beginnt. Die Klägerin war vom beklagten Landkreis, dies ist zwischen den Parteien unstreitig, zu einem Vorstellungsgespräch am 09. August 2018 eingeladen worden. Zu diesem Zeitpunkt wollte der beklagte Landkreis die eingeladenen Bewerberinnen und Bewerber in Vorstellungsgesprächen dann näher beurteilen und eine Auswahlentscheidung treffen. Das Schreiben vom 05. Oktober 2018 wahrt deswegen die Frist.

 

Der auf Zahlung einer Entschädigung gerichtete Klageantrag ist zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt, § 46 Abs. 2 ArbGG iVm. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Klägerin durfte die Höhe der von ihr begehrten Entschädigung in das Ermessen des Gerichts stellen. Grundlage hierfür ist § 15 Abs. 2 S. 1 AGG, der für einen Schaden, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld vorsieht. Dem Gericht wird bei der Bestimmung der Höhe der Entschädigung ein Ermessensspielraum eingeräumt, weshalb eine Bezifferung des Zahlungsantrages nicht notwendig ist. Erforderlich ist allein, dass die Klägerin Tatsachen, die das Gericht bei der Bestimmung des Betrages heranziehen soll, benennt und die Größenordnung der geltend gemachten Forderung angibt (BAG vom 15.03.2012 – 8 AZR 37/11 [BB 2013, 319 m. BB-Komm. Bleis] –; BAG vom 19.08.2010 – 8 AZR 370/09 [BB 2012, 263 m. BB-Komm. Lipinski/Hund] –).

 

Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die Klägerin hat einen Sachverhalt dargelegt, der dem Gericht grundsätzlich die Bestimmung einer Entschädigung ermöglicht und den Mindestbetrag der angemessenen Entschädigung € 13.438,23 angegeben.

 

§ 15 Abs. 2 AGG ist für den vorliegenden Fall anwendbar. Der persönliche Anwendungsbereich des AGG ist eröffnet. Die Klägerin ist als Bewerberin „Beschäftigte“ im Sinne des AGG. Nach § 6 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 AGG gelten als Beschäftigte auch Bewerberinnen für ein Beschäftigungsverhältnis. Für den Bewerberbegriff kommt es dabei weder auf die objektive Eignung (BAG vom 19.08.2010 – 8 AZR 466/09 –) noch auf die subjektive Ernsthaftigkeit der Bewerbung an. Deren Fehlen kann allenfalls einen Rechtsmissbrauchseinwand nach § 242 BGB begründen, für den der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast trägt (BAG vom 13.10.2011 – 8 AZR 608/10 –).

Der beklagte Landkreis ist als Arbeitgeber auch passiv legitimiert. Nach § 6 Abs. 2 S. 1 AGG ist Arbeitgeber im Sinne des Gesetzes, wer „Personen nach Abs. 1“ des § 6 AGG beschäftigt.

Ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG setzt materiell einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG voraus. § 15 Abs. 2 AGG enthält zwar nur eine Rechtsfolgenregelung, jedoch ist Voraussetzung des Anspruchs auf § 15 Abs. 1 S. 1 AGG zurückzugreifen. Dies ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang der gesetzlichen Regelung (BAG vom 16.02.2012 – 8 AZR 697/10 –; BAG vom 22.08.2013 – 8 AZR 563/12 –).

 

Der beklagte Landkreis hat die Klägerin bei seiner Auswahlentscheidung unmittelbar gem. § 3 Abs. 1 AGG benachteiligt. Die Klägerin hat nämlich eine Indiztatsache im Sinne des § 22 AGG dargelegt, die der beklagte Landkreis auf der Grundlage seines tatsächlichen Vorbringens nicht widerlegen konnte. So gesehen ist die Rechtsfolge dann eine Vermutung einer Benachteiligung wegen einer Schwerbehinderung gem. § 3 Abs. 1 AGG gegeben, die gem. § 7 Abs. 1 AGG rechtswidrig ist und den Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG auslöst.

Im Hinblick auf die Kausalität zwischen der Schwerbehinderung und der Benachteiligung sieht § 22 AGG für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmung zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

 

Danach genügt eine Person, die sich durch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, ihrer Darlegungslast nach ständiger Rechtsprechung des BAG bereits dann, wenn sie Indizien darlegt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt ist, wobei alle Umstände des Rechtsstreits in einer Gesamtwürdigung des Sachverhaltes zu berücksichtigen sind (BAG vom 29.05.2017 – 8 AZR 402/15 [BB 2018, 186] -; BAG vom 26.01.2017 – 8 AZR 73/16-; BAG vom 15.12.2016 – 8 AZR 454/15 [BB 2017, 1279 m. BB-Komm. Hey] -; BAG vom 11.08.2016 – 8 AZR 375/15 [BB 2016, 3124 Os] -; BAG vom 19.05.2016 – 8 AZR 470/14 [BB 2016, 2675 Os] -).

Handelt es sich bei der erfolglosen Bewerberin um einen schwerbehinderten Menschen, so gelten im Hinblick auf die Kausalität Besonderheiten. Missachtet nämlich der Arbeitgeber im Bewerbungs-/Stellenbesetzungsverfahren zugunsten schwerbehinderter Menschen getroffene Verfahrens- und/oder Förderpflichten, unterlässt es der Arbeitgeber beispielsweise entgegen § 164 Abs. 1, § 178 Abs. 2 SGB IX die Schwerbehindertenvertretung zu beteiligen, so ist dies nach ständiger Rechtsprechung des BAG ein Indiz im Sinne von § 22 AGG, das mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lässt, das der schwerbehinderte Bewerber wegen der Behinderung benachteiligt wurde (BAG vom 20.01.2016 – 8 AZR 194/14 [BB 2016, 1267 Os] -).

 

Ein weiteres Indiz ist der Verstoß des öffentlichen Arbeitgebers gegen seine aus § 82 S. 2 SGB IX a.F. (neu § 165 S.3 SGB IX) folgende Verpflichtung, den schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen.

Nach § 82 S. 3 SGB IX a.F. ist eine Einladung nur dann entbehrlich, wenn dem schwerbehinderten Menschen die fachliche Eignung offensichtlich fehlt. Damit muss der öffentliche Arbeitgeber einem sich bewerbenden schwerbehinderten Menschen die Chance eines Vorstellungsgespräches auch dann geben, wenn dessen fachliche Eignung zwar zweifelhaft, aber nicht offensichtlich ausgeschlossen ist (BAG vom 11.08.2016 – 8 AZR 375/15 [BB 2016, 3124 Os]-). Insoweit ist die schwerbehinderte Bewerberin im Bewerbungsverfahren bessergestellt als nicht schwerbehinderte Konkurrenten.

 

Lädt demnach der öffentliche Arbeitgeber den sich bewerbenden schwerbehinderten Menschen nicht zu einem Vorstellungsgespräch ein, kann dies die Vermutung der Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung nur dann begründen, wenn dem Arbeitgeber die Schwerbehinderung des Stellenbewerbers zum Zeitpunkt der benachteiligenden Maßnahme bekannt ist oder er sie kennen muss. Deshalb muss ein Bewerber, der seine Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch bei der Behandlung seiner Bewerbung berücksichtigt wissen will, den potenziellen Arbeitgeber über die vorhandene Schwerbehinderung rechtzeitig in Kenntnis setzen, soweit dieser nicht bereits aus anderen Zusammenhang über diese Information verfügt. Zur Mitteilung einer Schwerbehinderung eines Bewerbers kann auch die Vorlage des Schwerbehindertenausweises ausreichend sein (BAG vom 22.10.2015 – 8 AZR 384/14-).

 

Die Klägerin hat in ihrem Bewerbungsschreiben und dem angefügten Lebenslauf mit Fettdruck eine eigenständige Rubrik gebildet mit dem Titel „Schwerbehinderung“ und dabei den Schwerbehindertenausweis beigefügt. Die Partei streiten demgemäß auch nicht darüber, dass der beklagte Landkreis nicht von der schwerbehinderten Eigenschaft der Klägerin bei der Gestaltung des Verfahrens ausgegangen ist.

Damit kommen 3 Pflichten in Frage, gegen die der beklagte Landkreis verstoßen haben könnte, als er das Verfahren gegenüber der Klägerin als schwerbehinderten Mensch gestaltet hat. Zum einen ist dies Frage, ob es zu einer wirksamen und gesetzeskonformen Einladung zu einem Vorstellungsgespräch gekommen ist, zum anderen die Mitteilungen des beklagten Landkreises gegenüber der bei ihm gebildeten Schwerbehindertenvertretung und schließlich der Tatsachenvortrag des Beklagten, die Klägerin habe nur noch wenige Jahre die Möglichkeit, im öffentlichen Dienst beschäftigt zu werden.

 

Dieser letzte Umstand wurde aber vom beklagten Landkreis vornehmlich darauf bezogen, um den Rechtsmissbrauchseinwand gemäß § 242 BGB zu begründen. Dies wird nämlich daran deutlich, dass der Beklagte eine bestimmte Verfahrensgestaltung zur Vorbereitung einer Auswahlentscheidung vor dem Hintergrund der Eigenschaft der Klägerin als schwerbehinderter Mensch vorgenommen hat, die eine mögliche Kausalität hinsichtlich des Lebensalters der Klägerin und der Ablehnung einer Einstellung der Klägerin weder unmittelbar noch im Sinne des § 22 AGG klar ergibt.

Macht man sich diese Pflichtenlage und die hierzu erfolgte Verfahrensgestaltung durch den beklagten Landkreis klar, so ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die Klägerin am 09. August 2018 nicht zum Vorstellungsgespräch beim beklagten Landkreis erschienen ist, die Schwerbehindertenvertretung auch keinen Ausweichtermin vom beklagten Landkreis verlangt hat.

 

Eine unmittelbare Benachteiligung gem. § 3 Abs. 1 S. 1 AGG wegen der Schwerbehinderung der Klägerin ist auch dann anzunehmen, wenn die Klägerin im Rahmen der Auswahlentscheidung des beklagten Landkreises, insbesondere bei der Einstellung nicht in die Auswahl einbezogen worden wäre, sondern vorab ausgenommen und vorzeitig aus dem Bewerbungsverfahren ausgeschlossen worden wäre. Hierin liegt die Benachteiligung in einer Versagung einer Chance (BAG vom 23.08.2012 – 8 AZR 285/11-; BAG vom 22.08.2013 – 8 AZR 563/12-; BAG vom 23.01.2020 – 8 AZR 484/18 [BB 2020, 1664 m. BB-Komm. Jesgarzewski] -).

 

Die Klägerin hat in ihr tatsächliches Vorbringen hierzu aufgenommen, dass es kein förmliches Absageschreiben gegeben habe und sie mit Schreiben vom 07. August 2018 ohne vorherige Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung eine Absage erhalten habe. Der beklagte Landkreis hat hierzu wie folgt erwidert: zuerst hat er dargelegt, dass die Klägerin mit Schreiben vom 07. August 2018 dahingehend beschieden worden sei, dass sie wegen der Nichtteilnahme an dem Vorstellungsgespräch aus dem Bewerbungsverfahren ausgeschieden sei. Würde man dieses tatsächliche Vorbringen des Beklagten der Entscheidung zu Grunde legen, so hätte er damit dargelegt, dass die Klägerin vor Abschluss des Bewerbungsverfahrens bereits auf der Grundlage des Schreibens vom 07. August 2018 vor der Durchführung des Vorstellungsgesprächs nicht mehr am Bewerbungsverfahren teilgenommen hätte.

 

Nach der ersten Berufungsverhandlung hat der beklagte Landkreis dann sein tatsächliches Vorbringen dahingehend geändert, indem er darlegt, dass die Klägerin sich am 09. August 2018 bei dem beklagten Landkreis hätte vorstellen können. Seitens der Schwerbehindertenvertretung sei auch kein Ausweichtermin für die Klägerin gefordert worden. Würde man dieses tatsächliche Vorbringen des beklagten Landkreises der Entscheidung zu Grunde legen, so hätte die Klägerin am 09. August 2018 noch eine Bewerbungschance in der Weise erhalten, dass sie sich in einem Vorstellungsgespräch hätte vorstellen können.

 

Ob eine Indizwirkung nach § 22 AGG anzunehmen ist, richtet sich nach den Darlegungen der Parteien und vor allem nach einer Gesamtwürdigung des Tatsachenvortrags der Parteien. Damit ergibt sich folgendes Bild: Die Klägerin hat sich als schwerbehinderter Mensch beworben. Der Beklagte hatte Kenntnis von der Bewerbung eines schwerbehinderten Menschen. Mit Schreiben vom 31. Juli 2018 hat der beklagte Landkreis dann zum 09. August 2018 zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, allerdings in den nachfolgenden Absätzen gleich deutlich gemacht, keinen Ausweichtermin vereinbaren zu können und schließlich auch nicht die Kosten für die Teilnahme am Vorstellungsgespräch, die der Klägerin entstehen würden, erstatten zu können. Ganz gleich, wann dieses Schreiben bei der Klägerin zugegangen ist, ob die Länge der Frist richtig berechnet worden sein könnte, dieses Einladungsschreiben enthält in den zwei letzten Absätzen doch zumindest textlich ausgedrückt eine Distanzierung, zumal im Hinblick auf die Qualifikationen und die Schwerbehinderteneigenschaft der Klägerin kein Grund für die fehlende Kostenübernahme angegeben wird. Wenn dann die Klägerin unter dem 04. August 2018 um einen Ausweichtermin bittet, dabei auch Termine unter Bezugnahme auf eine berufliche und nachsorgebedingte Verhinderung mitteilt, dann vom Beklagten ein Schreiben erhält mit dem Zusatz „Für ihre weiteren Arbeitsplatzbemühungen wünschen wir ihnen viel Erfolg“ wird diese Distanzierung noch vertieft. Die Klägerin lässt dann hingegen diese Verfahrensgestaltung nicht unbearbeitet und antwortet am 07. August 2018, während der beklagte Landkreis abermals auf die fehlende Möglichkeit zu einem Ausweichtermin hinweist. Der beklagte Landkreis macht in diesem Schreiben dann praktische Gesichtspunkte geltend, obwohl doch nach der Gesetzesbegründung und nach der vorzitierten Rechtsprechung des BAG die schwerbehinderte Bewerberin in einem Bewerbungsverfahren nach der Einladungspflicht des § 82 SGB IX besser zu behandeln ist, als die übrigen Bewerber. Würde man nunmehr das Argument des beklagten Landkreises zugrunde legen, dass praktische Gesichtspunkte gegen einen Ausweichtermin gesprochen hätten, so bezögen diese Gründe sich sicherlich auch auf die übrigen Bewerber, aber werden damit der Zwecksetzung des § 82 SGB IX (neu § 165 S.3 SGB IX), eben der insoweit anzunehmenden Besserstellung des schwerbehinderten Menschen im Bewerbungsverfahren, nicht gerecht.

 

Aber auch wenn man nunmehr zugunsten des beklagten Landkreises sein weiteres tatsächliches Vorbringen dahingehend berücksichtigt, dass die Klägerin am 09. August 2018 sich durchaus bei dem Beklagten hätte vorstellen können, man also vom Inhalt des Schreibens vom 08. August 2018 dahingehend ausgeht, dass die Klägerin nicht aus dem Bewerbungsverfahren ausgeschieden sein könnte, so hat der Beklagte nach seinem eigenen tatsächlichen Vorbringen diese Verfahrensgestaltung der bei ihm gebildeten Schwerbehindertenvertretung nicht hinreichend deutlich mitgeteilt. Auch insoweit läge unter Berücksichtigung des tatsächlichen Vorbringens des Beklagten, die Klägerin sei nicht aus dem Bewerbungsverfahrens ausgeschieden, die Schwerbehindertenvertretung sei informiert worden, eine Vermutungstatsache gem. § 22 AGG.

 

Verstößt ein Arbeitgeber gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, greift grundsätzlich die Vermutung im Sinne von § 22 AGG, wonach eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vorliegt (BAG vom 16.05.2019 – 8 AZR 815/18 -).

Ein solcher Verstoß ist hier deswegen auf der Grundlage des tatsächlichen Vorbringens des beklagten Landkreises anzunehmen, weil der Beklagte gegen die Verpflichtung nach § 164 Abs. 1 S. 6 SGB IX n.F. verstoßen hat. Er hat die Schwerbehindertenvertretung nach seinem eigenen Tatsachenvortrag nicht unmittelbar darüber informiert, dass die Klägerin um einen Ausweichtermin gebeten hat, dieser aber seitens des beklagten Landkreises nicht gewährt worden ist.

 

Sinn und Zweck der Informationspflichten gegenüber der Schwerbehindertenvertretung ist es nämlich, dass der Arbeitsgeber frühzeitig Transparenz über die eingegangenen Bewerbungen gegenüber den betrieblichen Interessenvertretungen schafft, soweit es um Bewerbungen schwerbehinderter Menschen geht. Hierbei hat der Arbeitgeber so umfassend zu informieren, dass die Schwerbehindertenvertretung in die Lage versetzt wird, die ihr nach § 178 SGB IX n.F. auferlegten Pflichten wahrzunehmen, insbesondere die Interessen der schwerbehinderten Menschen sachgerecht zu vertreten. Der Schwerbehindertenvertretung soll es ermöglicht werden, sich inhaltlich auf Augenhöhe mit dem Arbeitgeber auseinanderzusetzen. All dies ist aber nur möglich, wenn der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung zielgerichtet über eingegangene Bewerbungen von schwerbehinderten Menschen informiert.

 

Würde man nunmehr den angeleisteten Tatsachenvortrag des beklagten Landkreises zugrunde legen, und dabeibleiben, dass die Klägerin sich am 09. August 2018 bei dem Beklagten hätte vorstellen können, und es des weiteren auch würdigen, dass die Schwerbehindertenvertretung keinen Ausweichtermin für die Klägerin gefordert habe, so hat der beklagte Landkreis auf Seite 3 seines Schriftsatz vom 26. November 2019 unter Beweisantritt dargelegt, dass zwischen dem 24. Juli 2018 und dem 30. Juli 2018 die Bewerbungen, auch die der Klägerin, der Schwerbehindertenvertretung, dem Personalrat und der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten jeweils direkt zugeleitet worden sind. Daraus folgert der beklagte Landkreis, dass die erforderliche Unterrichtung stattgefunden hätte und die Schwerbehindertenvertretung ihre Rechte in vollem Umfang hätte wahrnehmen können. Legt man nun diesen Tatsachenvortrag zugrunde, so geht aus ihm nicht hervor, dass der Schwerbehindertenvertretung der sich nach dem 30. Juli 2018 entwickelte Schriftverkehr vorgelegt oder sonst wie bekannt sein könnte. So hat der beklagte Landkreis das Schreiben mit der Einladung an die Klägerin am 31. Juli 2018 verfasst. Mit Schreiben vom 04. August 2018 hat die Klägerin um einen Ausweichtermin gebeten. Mit Schreiben vom 07. August 2018 hat der beklagte Landkreis dies abgelehnt, während die Klägerin mit Schreiben vom 07. August 2018 den beklagten Landkreis darum gebeten hat, die Entscheidung zu überdenken. Dann wiederum hat der beklagte Landkreis am 08. August 2018 geantwortet. Nimmt man jetzt hinzu, dass der beklagte Landkreis zuerst davon ausgegangen ist, dass das Schreiben vom 07. August 2018 eine Entscheidung dahingehend enthalten hatte, dass die Klägerin aus dem Bewerbungsverfahren ausgeschieden ist, nimmt man dann das tatsächliche Vorbringen des beklagten Landkreises auch hinzu, dass sei so nicht gemeint gewesen und die Klägerin hätte sich am 09. August 2018 vorstellen können, so hat der beklagte Landkreis mit keiner tatsächlichen Darlegung diese konkreten Zusammenhänge des Schriftverkehrs in seine Mitteilung zur Schwerbehindertenvertretung aufgenommen. Der beklagte Landkreis spricht nämlich davon, er habe bis zum 30. Juli 2018 die Bewerbungen vorgelegt. Wann aber die Information erfolgt sein könnte, dass es nachfolgend wegen dem Ausweichtermin und einer möglichen Teilnahme der Klägerin am Bewerbungsverfahren noch weiteren Schriftverkehr gegeben hat, lässt sich dem tatsächlichen Vorbringen und der hierzu angegebenen Beweismittel auf Seite 3 f des vorgenannten Schriftsatzes gerade nicht entnehmen.

 

Würde man hingegen das zuletzt abgeleistete tatsächliche Vorbringen des beklagten Landkreises zugrunde legen, so wäre es erklärlich, dass die Schwerbehindertenvertretung um keinen Ausweichtermin beim Vorstellungsgespräch für die Klägerin gebeten hat. Die Schwerbehindertenvertretung wäre nämlich hinsichtlich dieses Sachverhaltsausschnitts nicht informiert gewesen.

Vor dem Hintergrund des § 22 AGG ist ein Kausalzusammenhang zwischen der nachteiligen Behandlung der Klägerin und ihrer Schwerbehinderung anzunehmen. Der Kausalzusammenhang zwischen nachteiliger Behandlung und Behinderung ist bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an die Behinderung anknüpft oder durch sie motiviert ist. Ausreichend ist, dass die Behinderung Bestandteil eines Motivbündels ist, das die Entscheidung beeinflusst hat (BAG vom 21.07.2009 – 9 AZR 431/08; BAG vom 17.08.2010 – 9 AZR 839/08). Es genügt dabei, wenn die vom Arbeitgeber unterlassenen Maßnahmen objektiv geeignet sind, schwerbehinderten Menschen keine oder schlechtere Chancen einzuräumen (BAG vom 16.09.2008 – 9 AZR 791/07-; BAG vom 12.09.2006 – 9 AZR 807/05-; BAG vom 17.08.2010 – 9 AZR 839/08-). Als Vermutungstatsachen für einen Zusammenhang mit der Behinderung kommen damit alle Pflichtverletzungen in Betracht, die der Arbeitgeber begeht, indem er Vorschriften nicht befolgt, die zur Förderung der Chancen der schwerbehinderten Menschen geschaffen wurden. Dies ist wie vorstehend begründet von § 164 SGB IX n.F. anzunehmen. Anspruchsvoraussetzung für einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs.2 AGG ist es nicht, dass der Arbeitgeber selbst oder eine für ihn tätig werdende Person schuldhaft gehandelt hat. Der Entschädigungsanspruch setzt nämlich kein Verschulden oder gar eine Benachteiligungsabsicht voraus (BAG vom 17.08.2010 – 9 AZR 839/08-; BAG vom 22.08.2013 – 8 AZR 563/12-). Es bedarf daher im Streitfall auch keiner Zurechnung eines schuldhaften Fehlverhaltens der für die Durchführung und Gestaltung des Bewerbungsverfahrens verantwortlichen Mitarbeiter des beklagten Landkreises. Es geht ausschließlich um eine Zurechnung der objektiven Handlungsbeiträge oder Pflichtverletzungen der für den Arbeitgeber handelnden Personen im vorvertraglichen Vertrauensverhältnis (BAG vom 16.09.2008 – 9 AZR 791/07-; BAG vom 22.08.2013 – 8 AZR 563/12-). Vor diesem Hintergrund kann das Argument des beklagten Landkreises auch keine ausschlaggebende Bedeutung haben, dass er sich doch im Ausgangspunkt an die Pflicht zur Einladung zum Vorstellungsgespräch gehalten haben könnte, des weiteren in weiten Bereichen seine Pflichten nach dem SGB IX erfüllen würde. Es kommt allein auf das konkrete Verfahren, die objektiven Zuordnungen und die durch das SGB IX entstandene Pflichtenlage an.

 

Die durch § 22 AGG auf der Grundlage eines Verstoßes gegen § 82 S. 2 SGB IX (neu § 165 S. 3 SGB IX) gestützten Kausalitätsvermutungen können nicht dadurch widerlegt werden, wenn der beklagte Landkreis darauf abstellt, dass ausschließlich andere Gründe als die Behinderung für die Benachteiligung der Klägerin ausschlaggebend gewesen seien. Es muss nämlich hinzukommen, dass nicht die fachliche Eignung der Klägerin zu der ablehnenden Entscheidung geführt hat. Diese zusätzliche Anforderung folgt aus der in § 82 S. 3 SGB IX (neu § 165 S. 3 SGB IX) getroffenen Bestimmung, wonach eine Einladung des schwerbehinderten Bewerbers zu einem Vorstellungsgespräch nur dann entbehrlich ist, wenn diesem die fachliche Eignung offensichtlich fehlt. § 82 S. 3 SGB IX (§ 165 S. 3 SGB IX) enthält insoweit eine abschließende Regelung, die bewirkt, dass sich der potenzielle Arbeitgeber zur Widerlegung der Infolge der Verletzung des § 82 S. 3 SGB IX (§ 165 S.3 SGB IX) vermuteten Kausalität oder der unterbliebenen Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung gem. § 164 Abs. 1 SGB IX n.F. eben nicht auf Umstände berufen kann, die die fachliche Eignung des Bewerbers berühren. Eine Widerlegung dieser Vermutung setzt daher den Nachweis voraus, dass die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch oder die ordnungsgemäße Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung aufgrund von Umständen unterblieben ist, die weder einen Bezug zur Behinderung aufweisen noch die fachliche Eignung der Bewerberin berühren (BAG vom 20.01.2016 – 8 AZR 194/14 [BB 2016, 1267 Os] -; BAG vom 11.08.2016 – 8 AZR 375/15 [BB 2016, 3124 Os]-; BAG vom 11.08.2016 - 8 AZR 375/15 [BB 2016, 3124 Os] -).

 

Das Entschädigungsverlangen der Klägerin ist auch nicht dem Einwand des Rechtsmissbrauchs im Sinne des § 242 BGB ausgesetzt, mit der Folge, dass diese geltend gemachten Ansprüche nicht bestehen würden.

Rechtsmissbrauch im vorliegenden Zusammenhang durch die Klägerin wäre allenfalls dann anzunehmen, sofern sie sich nicht beworben haben sollte, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihr darum gegangen sein sollte, nur den formalen Status als Bewerberin im Sinne von § 6 Abs. 1 S. 2 AGG zu erlangen mir dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung/- oder Schadensersatz geltend zu machen (BAG vom 11.08.2016 – 7 AZR 406/16-; BAG vom 19.05.2016 – 8 AZR 470/14 [BB 2016, 2675 Os] -; BAG vom 26.01.2017 – 8 AZR 848/13-). Dabei führt nicht jedes rechts- oder pflichtwidrige Verhalten stets oder auch nur regelmäßig zu Unzulässigkeit zur Ausübung der hierdurch erlangten Rechtsstellung. Hat der Anspruchsteller sich die günstige Rechtsposition aber gerade durch ein treuwidriges Verhalten verschafft, liegt eine unzulässige Rechtsausübung im Sinne von § 242 BGB vor.

 

Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen, die den rechtshindernden Einwand des Rechtsmissbrauchs begründen, trägt nach den allgemeinen Regeln der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast derjenige, der diesen Einwand geltend macht (BAG vom 18.06.2015 – 8 AZR 848/13 [BB 2015, 2176 m. BB-Komm. Jesgarzewski] -; BAG vom 23.08.2012 – 8 AZR 285/11-; BAG vom 13.10.2011 – 8 AZR 608/10-; BAG vom 26.01.2017 – vorzitiert).

Unter diesen Voraussetzungen begegnet der Rechtsmissbrauchseinwand nach § 242 BGB auch keinen unionsrechtlichen Bedenken (EuGH vom 28.07.2016 – C-423/15 [BB 2016, 1971, I] -).

 

Dem Bewerbungsschreiben der Klägerin allein lassen sich keine hinreichenden objektiven Umstände entnehmen, die den Schluss auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Klägerin erlauben würden. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung, ob jemand sich nicht beworben hat, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern ob es ihm vielmehr darum gegangen ist, nur den formalen Status als Bewerber im Sinne von § 6 Abs. 1 S. 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, eine Entschädigung oder Schadensersatz geltend zu machen, ist in der Regel der Zeitpunkt der Bewerbung. Damit können im Rahmen der Prüfung, ob ein Entschädigungs- oder Schadensersatzverlangen dem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand ausgesetzt sind, in der Regel nur Umstände aus der Zeit bis zur Absage berücksichtigt werden und deshalb regelmäßig nicht solche, die zeitlich danach liegen.

 

Die Klägerin hat ein sprachlich einwandfreies Bewerbungsschreiben unter dem 19. Juli 2017 erfasst, dabei ihre berufliche Tätigkeit beschrieben und auch ihre Interessensgebiete oder Schwerpunkte klar benannt. Des Weiteren hat die Klägerin in diesem Bewerbungsschreiben schon Bezug genommen auf die dort enthaltenen Anforderungen. Es handelt sich damit keinesfalls nur um formelhaft, nichtssagenden Wendungen ohne Bezugnahme auf die auszuübende Tätigkeit. Deswegen kann insoweit von einer Scheinbewerbung nicht ausgegangen werden (BAG vom 19.05.2016 – vorzitiert-). Auch eine Vielzahl von erfolglosen Bewerbungen hat der Beklagte nicht dargelegt, zumal nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch diese Tatsache nicht zur Begründung des Rechtsmissbrauchseinwands herangezogen werden könnte (BAG vom 18.06.2015 - 8 AZR 848/13 [BB 2015, 2176 m. BB-Komm. Jesgarzewski]-).

 

Der Beklagte beruft sich auf Seite 7 ff seines Schriftsatzes vom 20. August 2020 auf folgende objektive Umstände: Die Klägerin sei seit dem Jahr 2009 selbstständige Rechtsanwältin in ihrer Heimatstadt E. Sie wohne auch privat in E. Sie habe keine Angaben zur Motivation gemacht, in F in einer abhängigen Stellung zu arbeiten. Außerdem habe die Klägerin ihre Bewerbung bewusst verspätet, nach Ablauf der Bewerbungsfrist abgesandt. Sie habe außerdem eine Verhinderung am Vorstellungsgespräch ohne schlüssige Begründung angegeben und schließlich sich auch zeitgleich bei anderen Arbeitgeber beworben.

 

Das Bundesarbeitsgericht sieht in einer Vielzahl an erfolglosen Bewerbungen noch keine Scheinbewerbung (BAG vom 18.06.2015 – 8 AZR 848/13 [BB 2015, 2176 m. BB-Komm. Jesgarzewski]-). Eine Bewerbung eines Rechtsanwaltes mit bestehenden Mandantenverhältnissen in einer mittelständigen Kanzlei an einem anderen Ort ist auch kein Indiz für eine Scheinbewerbung, auch wenn der Einzelanwalt bisher in gänzlich anderen Tätigkeitsbereichen arbeitete (BAG vom 19.05.2016 – 8 AZR 470/14 [BB 2016, 2675 Os]-).

Die anderen vom Beklagten herangezogenen sogenannten objektiven Umstände, begründen auch nicht den Rechtsmissbrauchseinwand. Aufgrund veränderter beruflicher oder persönlicher Situationen kann es dazu kommen, dass Menschen mit einem bestimmten Wohnsitz und einem bestimmten Dienstsitz sich auf eine andere Stelle bewerben.

Die Klägerin hat sich auch nicht bewusst verspätet beworben, denn die Auswahlentscheidung des beklagten Landkreises war noch nicht getroffen, nach Ablauf der Bewerbungsfrist kann dann eine Bewerbung noch Berücksichtigung finden. Der tatsächliche Ablauf im vorliegenden Fall macht dies auch deutlich. Auch die Tatsache, dass sich die Klägerin zeitgleich bei anderen Arbeitgebern beworben hat, deutet nicht hinreichend deutlich auf den Rechtsmissbrauch hin, sondern ist eine zulässige Verhaltensweise der Bewerberin vor den Hintergrund der Berufswahlfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG.

 

Dass die Klägerin mehrere Entschädigungsprozesse darüber hinaus führen könnte, hat der beklagte Landkreis nicht mitgeteilt. Insoweit kommt es auch nicht auf eine etwaige Arbeitslosigkeit der Klägerin an. Die Klägerin kann ihren Beruf in der gesamten Bundesrepublik vor dem Hintergrund des Grundrechts des Art. 12 Abs. 1 GG oder auch Art. 33 Abs. 2 GG auch und gerade bei einem öffentlichen Arbeitgeber verwirklichen.

 

Auch der Zeitpunkt dieser Bewerbung ist vor dem Hintergrund einer bestimmten Dienstzeit im öffentlichen Dienst nicht zu kritisieren. Es gilt auch für den beklagten Landkreis Art. 33 Abs. 2 GG, es sind bestimmte Fristen im Hinblick auf die Erreichung einer Altersversorgung zu beachten, ansonsten ergibt sich aus einer Bewerbung im öffentlichen Dienst zu einem bestimmten Zeitpunkt nichts anderes. Deswegen ist es auch nicht bedeutsam, wie viele Beschäftigungsjahre die Klägerin noch im öffentlichen Dienst erreichen kann, zumal dies allenfalls mittelbar Auswirkungen auf die vom Beklagten geschuldete Altersversorgung haben könnte. Wie die Klägerin vor dem Hintergrund ihrer Bewerbung ihre Altersversorgung gestaltet, ist vornehmlich ihre eigene Lebensplanung. Eine Tatsache für eine Scheinbewerbung oder aber eine Bewerbung zur Begründung des Rechtsmissbrauchs ist darin nicht zu sehen.

 

Auch die Tatsache, dass die Klägerin möglicherweise in der mündlichen Verhandlung keine Erklärung für ihren Wunsch zur Verschiebung des Vorstellungsgesprächs gegeben haben könnte, rechtfertigt keine andere Sichtweise. In dem Schreiben vom 04. August 2018 hat die Klägerin nämlich ihren Wunsch nach Terminverschiebung mit einer beruflichen und nachsorgebedingten Terminüberschneidung erklärt. Später hat die Klägerin nunmehr die Art ihrer Erkrankung mitgeteilt. Auch wenn der beklagte Landkreis das Schreiben vom 04. August 2018 zum damaligen Zeitpunkt hinsichtlich der Erkrankung der Klägerin möglicherweise nicht vollständig verstanden hat, es begründet nicht den Rechtsmissbrauchseinwand bei der Bewerbung der Klägerin. Damit steht der Klägerin ein Entschädigungsanspruch gem. § 15 Abs. 2 AGG zu, deren Höhe Gegenstand sowohl der Berufung des beklagten Landkreises, aber auch der Anschlussberufung der Klägerin gewesen ist.

Die Kammer hat die Berufung des beklagten Landkreises zurückgewiesen, weil der Anspruch der Klägerin besteht und auch die vom Arbeitsgericht Fulda ausgeurteilte Entschädigungshöhe überschritten wird. Die Anschlussberufung der Klägerin ist dann teilweise zurückzuweisen, weil die Kammer für die Entschädigung zwei Bruttomonatsgehälter der angestrebten Stelle als ausreichend, aber auch notwendig ansieht.

Nach § 15 Abs. 2 S. 1 AGG kann der oder die Beschäftigte wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Nach § 15 Abs. 2 S.2 AGG darf die Entschädigung bei einer Nichteinstellung 3 Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

 

Die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG hat eine Doppelfunktion: Sie dient einerseits der vollen Schadenskompensation und andererseits der Prävention, wobei jeweils der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren ist. Die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG muss einen tatsächlichen und wirksamen rechtlichen Schutz der aus den Antidiskriminierungsrichtlinien des Unionsrechts hergeleiteten Recht gewährleisten. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) muss die Höhe der Sanktionen der Schwere des Verstoßes entsprechen, indem sie insbesondere eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber gewährleistet, zugleich aber den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt (BAG vom 28.05.2020 – 8 AZR 170/19 [BB 2020, 1981] -). § 15 Abs. 2 S. 2 AGG gibt dabei keinen Rahmen für die Bemessung der Entschädigung vor. Anderes wäre mit den unionsrechtlichen Vorgaben auch nicht vereinbar. Bei der Grenze in § 15 Abs. 2 S. 2 AGG handelt es sich vielmehr um eine Kappungs- bzw. Höchstgrenze (BAG vom 25.10.2018 – 8 AZR 501/14 [BB 2019, 563 Ls] -; BAG vom 23.01.2020 - 8 AZR 484/18 [BB 2020, 1664 m. BB-Komm. Jesgarzewski] -; BAG vom 28.05.2020 – 8 AZR 170/19 [BB 2020, 1981] -).

 

Im Fall einer Nichteinstellung ist für die Bemessung der Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG an das Bruttomonatsgehalt anzuknüpfen, das die erfolglose Bewerberin erzielt hätte, wenn sie die ausgeschriebene Stelle erhalten hätte. Auch dies folgt aus der in § 15 Abs. 2 S. 2 AGG getroffenen Bestimmung, wonach die Entschädigung bei einer Nichteinstellung 3 Monatsgehälter nicht übersteigen darf, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

 

Bei der Bestimmung der angemessenen Entschädigung für den erlittenen immateriellen Schaden nach § 15 Abs. 2 AGG steht den Tatsachengerichten nach § 287 Abs. 1 ZPO ein weiter Ermessensspielraum zu, innerhalb dessen sie die Besonderheiten jedes einzelnen Falles zu berücksichtigen haben. § 15 Abs. 2 AGG entspricht insoweit der Regelung zur billigen Entschädigung in § 253 BGB. Deswegen muss sich das Tatsachengericht bei der Bemessung der Entschädigung von den maßgeblichen Umständen leiten lassen und sich mit diesen auseinandersetzen (BAG vom 28.05.2020 – 8 AZR 170/19 [BB 2020, 1981] -).

 

Die Kammer ist deswegen wie folgt vorgegangen: Es ist zwischen den Parteien unklar, ob die Klägerin bereits zu einem früheren Zeitpunkt als den 09. August 2018 aus dem Bewerbungsverfahren ausgeschieden ist. Jedenfalls ist dieser konkrete Ablauf und der hierzu zwischen den Parteien nach dem 30.7. 2018 geführte Schriftverkehr der Schwerbehindertenvertretung nicht mitgeteilt worden. Dies begründet zum einen mögliche Verfahrensverstöße im Hinblick auf § 82 SGB IX a.F. sowie § 165 SGB IX n.F. Da die Klägerin nicht zum Vorstellungsgespräch am 09. August 2018 gekommen ist, liegt die Benachteiligung in der Versagung einer Chance (BAG vom 17.08.2010 – 9 AZR 839/08 -). Damit lag im Streitfall die benachteiligende Handlung in der im Vorfeld der eigentlichen Besetzungsentscheidung stattfindenden Verfahrenshandlung, dem Ausscheiden aus dem Bewerbungsverfahren bzw. in der Versagung einer Chance und der hierzu unterbliebenen Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung. Deswegen ist auch nicht jeder Verstoß gesondert zu entschädigen. Die einzelnen Verstöße gegen Verfahrensvorschriften, die zur Förderung der Chancen schwerbehinderter Menschen in konkreten Stellenbesetzungsverfahren geschaffen wurden, bilden vielmehr Indizien im Sinne von § 22 AGG (BAG vom 17.08.2010 – 9 AZR 839/08-; BAG vom 15.03.2012 – 8 AZR 37/11 [BB 2013, 319 m. BB-Komm. Bleis]-). Sie gewinnen bei der Bemessung der Entschädigungshöhe allerdings Bedeutung (BAG vom 21.07.2009 – 9 AZR 431/08-; BAG vom 15.03.2012 – 8 AZR 37/11 [BB 2013, 319 m. BB-Komm. Bleis]-). Des weiteren gilt es festzuhalten, der Beklagte hat dies in seiner Argumentation immer wieder deutlich gemacht, dass es für die Bemessung der Entschädigung irrelevant ist, dass ein respektvolles Verhalten gezeigt worden ist oder aber der Arbeitgeber ansonsten die Vorschriften des SGB IX einhält (BAG vom 28.05.2020 – 8 AZR 170/19 [BB 2020, 1981] -).

 

Die Klägerin hat sich in einer bestimmten Lebenslage und beruflichen Situation beworben. Der beklagte Landkreis hat zu Beginn dieses Bewerbungsverfahrens Texte verfasst, die auf Besonderheiten hingewiesen haben, nämlich das Fehlen eines Ausweichtermins und die Nichtübernahme der Vorstellungskosten. Anschließend hat die Klägerin dann noch im Verfahrensstadium reagiert und vom Beklagten möglicherweise eine Absage erhalten. Angesichts der Kürze der ausstehenden Zeit bis zum Vorstellungsgespräch, wurde die Möglichkeit darauf zu reagieren immer geringer. Wegen der Abfolgen in der Verfahrensgestaltung, wegen der Nichtbeachtung der Vorschriften zur Förderung schwerbehinderter Menschen, wegen der getroffenen Auswahlentscheidung, ohne die Fachqualifikationen der Klägerin zu würdigen, andererseits aber das Abheben des beklagten Landkreises auf eine Scheinbewerbung, hat die Kammer den Entschädigungsbetrag auf 2 Bruttomonatsgehälter der angestrebten Stelle festgesetzt. Die Klägerin hat von ihren Freiheitsrechten bei der Bewerbung beim beklagten Landkreis Gebrauch gemacht, dieser hat allerdings eine bestimmte Verfahrensgestaltung vorgenommen. Diese Vorgehensweise auf Seiten des beklagten Landkreises muss präventiv und abschreckend durch die Entschädigungshöhe erfasst sein.

 

Auch die von der Klägerin zur Bemessung der Entschädigungshöhe herangezogenen weiteren möglichen Diskriminierungen fallen darüber hinaus nicht ausschlaggebend ins Gewicht. Soweit nämlich die Klägerin darauf abstellt, in der Stellenausschreibung sei auf eine geringe Berufserfahrung Bezug genommen worden, und dies eine Altersdiskriminierung begründen könnte, so schlägt dieses Argument vorliegend nicht durch. Zwar ist anerkannt, dass eine nach § 11 AGG fehlerhafte Stellenausschreibung zu einer Vermutungswirkung nach § 22 AGG führen kann (BAG vom 23.11.2017 – 8 AZR 604/16-; BAG vom 26.01.2017 – 8 AZR 73/16-; BAG vom 19.05.2016 – 8 AZR 470/17-; BAG vom 19/08.2010 – 8 AZR 530/09 [BB 2011, 703 m. BB-Komm. Reiserer] -). Eine mittelbare Diskriminierung wegen des Alters im Sinne von § 3 Abs. 2 AGG kann beispielsweise durch Stellenanforderungen indiziert sein, wonach die gesuchte Person eine geringe Berufserfahrung (BAG vom 19.05.2016 – 8 AZR 470/14 [BB 2016, 2675 Os] -) haben oder gerade „frischgebacken“ aus einer kaufmännischen Ausbildung (BAG vom 15.12.2016 – 8 AZR 454/15 [BB 2017, 1279 m. BB-Komm. Hey] -) kommen soll. Mit solchen Anforderungen werden ältere Personen gegenüber jüngeren Personen in besonderer Weise benachteiligt. Bei der Berufserfahrung handelt es sich damit um ein Kriterium, das dem Anschein nach neutral ist im Sinne von § 3 Abs. 2 AGG. Unmittelbar wird damit nicht auf ein bestimmtes Alter Bezug genommen. Jedoch ist das Kriterium der Berufserfahrung mittelbar mit dem in § 1 AGG genannten Alter zu beachten.

 

Die von der Klägerin in bezuggenommene Stelle bezieht sich auf das 2. juristische Staatsexamen, und den Zusatz „gerne auch Berufsanfängerinnen bzw. Berufsanfänger“. Damit wird eine bestimmte berufliche Qualifikation im Ausgangspunkt als Voraussetzung für die Bewerbung niedergelegt, allerdings auch Berufsanfängerinnen und Berufsanfänger motiviert angesprochen. Im weiteren Teil der Stellenausschreibung gibt es dann die Bezugnahme auf einen Frauenförderplan, gleichzeitig auch auf schwerbehinderte Bewerberinnen und Bewerber. Liest man nun diese Stellen im Zusammenhang, so geht es um das 2. Juristische Stattsexamen, eine weitere Berufserfahrung ist insoweit nicht notwendig, während eine Frauenförderung und eine Förderung von schwerbehinderten Menschen auch genannt werden. Damit ist das Kriterium Berufsanfängerin nicht ausschließlich oder gar überwiegend in der Stellenanzeige formuliert. Da es noch andere Bewerbungskriterien gibt, kann man nicht von einem ausschließlichen Einstellungskriterium nach dem Alter ausgehen (BAG vom 11.08.2016 – 8 AZR 4/15 [BB 2017, 51 Os] -; BAG vom 19.05.2016 – 8 AZR 470/14 [BB 2016, 2675 Os] -; BAG vom 26.01.2017 – 8 AZR 848/13-).

 

Der beklagte Landkreis hat mit dieser Stellenausschreibung nicht lediglich ein Interesse an der Gewinnung jüngerer Mitarbeiterinnen formuliert. Es geht ihm auch um die Verwirklichung des Frauenförderplans und um die bevorzugte Einstellung einer schwerbehinderten Bewerberin. Insofern kann ein Ausschließlichkeitskriterium in dem Passus „gerne auch Berufsanfängerinnen bzw. Berufsanfänger“ nicht gesehen werden. Dieser Umstand kann damit auch nicht die Bemessung und Bestimmung der Entschädigungshöhe beeinflussen.

Da die Kammer zwei Bruttomonatsgehälter für die angestrebte Stelle zur Bemessung der Entschädigungshöhe ansetzt, ist die Berufung des Beklagten zurückzuweisen und die von der Klägerin erhobene Anschlussberufung ist teilweise zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage im § 97 ZPO iVm § 91 ZPO iVm § 92 ZPO. Der beklagte Landkreis ist im Ausgangspunkt von keiner Entschädigungspflicht ausgegangen, während die Klägerin mit ihrer Anschlussberufung 3 Bruttomonatsgehälter angestrebt hat. Da die Zuvielforderung der Klägerin vor dem Hintergrund der Antragstellung nicht gesondert berücksichtigt werden muss, hat der Beklagte die gesamten Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Eine gesetzlich begründbare Veranlassung zur Zulassung der Revision besteht für keine der Parteien.

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