ArbG Berlin: Wirksamkeit Befristung Arbeitsverhältnis – Schriftform – elektronische Signatur – fortgeschrittene elektronische Signatur – Zertifizierung
ArbG Berlin, Urteil vom 28.9.2021 – 36 Ca 15296/20
ECLI:DE:ARBGBE:2021:0928.36CA15296.20.00
Volltext: BB-Online BBL2022-318-1
Leitsatz
Dem Schriftformerfordernis gem. § 14 Abs. 4 TzBfG genügt eine elektronische Signatur jedenfalls dann nicht, wenn diese unter Verwendung eines Systems ohne eine nach Art. 26 eIDAS-VO erforderliche Zertifizierung erstellt wurde.
Sachverhalt
Die Parteien streiten um den Bestand eines Arbeitsverhältnisses, in dessen Rahmen der Kläger bei der Beklagten als Mechatroniker zu einem monatlichen Bruttoarbeitsentgelt von etwa 4.334,20 EUR brutto tätig ist.
Der Kläger begründete mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten zum 15. August 2018 ein Arbeitsverhältnis, das bis zum 31. Oktober 2019 befristet war. Ausweislich eines Arbeitsvertrages der Parteien unter dem 19. August 2019 sollte das Arbeitsverhältnis für die Zeit vom 1. November 2019 bis zum 31. Oktober 2020 „weitergeführt“ werden, nach der dortigen Nr. 1 erfolgte die „Befristung … aufgrund von § 14 Abs. 2 TzBfG“.
Einen Arbeitsvertrag unter dem 29. September 2020, nach dem ein Arbeitsverhältnis ab dem 1. November 2020 bis zum Wegfalls eines Sachgrundes bestehen sollten, unterzeichneten die Parteien elektronisch.
Im Rahmen der am 23. November 2020 bei dem Arbeitsgericht (nachfolgend: ArbG) Berlin eingegangenen, der Beklagten am 7. Dezember 2020 zugestellten und später erweiterten Klage trägt der Kläger vor, mit der im Rahmen des Arbeitsvertrages unter dem 19. August 2019 vereinbarten Befristung bis zum 31. Oktober 2020 werde die zulässige Höchstdauer von zwei Jahren einer Befristung eines Arbeitsverhältnisses ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes überschritten. Dem befristeten Arbeitsvertrag unter dem 29. September 2020 fehle die Schriftform, denn die genutzte elektronische Signatur stelle keine qualifizierte elektronische Signatur im Sinne des Gesetzes dar.
Der Kläger beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund der im Vertrag vom 19. August 2019 vereinbarten Befristung mit dem 31. Oktober 2020 geendet hat;
2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund der in der Vereinbarung vom 29. September 2020 vereinbarten Befristung mit dem 30.November 2021 enden wird.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, der Kläger irre, wenn er der Ansicht sei, die Unterzeichnung des Vertrages mit dem Tool e-Sign genüge nicht den gesetzlichen Anforderungen an eine elektronische Signatur.
Das Einloggen in das Tool sei nur möglich, wenn man sich mit seinem eigenen persönlichen Mitarbeiteraccount im System angemeldet habe, dabei seien die Login-Daten nur einem selbst bekannt.
Um einen sog. e-Sign-Workflow zu starten, werde das zu unterzeichnende Dokument im pdf-Format in das Tool in einem e-Sign eingestellt, dabei würden weitere Informationen hinterlegt. In einem weiteren Schritt würden die Unterzeichner und die Reihenfolge der Unterzeichner hinterlegt. Nach einem Klick auf den entsprechenden Button werde der e-Sign-Workflow gestartet, entsprechend würden die Unterzeichner informiert.
Die Aufforderung zur Unterzeichnung eines e-Sign-Dokuments erfolge aus dem System heraus per automatischem E-Mail-Workflow, sobald man selbst an der Reihe sei zu unterzeichnen. Für alle e-Signs würden bei Einstellung in das System zusätzlich automatische, individuelle ID-Nummern generiert.
Wenn man bei dem entsprechenden e-Sign auf „unterzeichnen“ klickt, würde sich der e-Sign-Vorgang mit allen relevanten Informationen und dem zu unterzeichnenden Dokument öffnen, welches im pdf-Format angehängt und gesondert zu öffnen sei. Klicke man, ohne das zu unterzeichnende Dokument geöffnet zu haben, auf „akzeptieren“, erscheine ein Hinweis auf die nicht erfolgte Öffnung des Dokuments. Dies schließe aus, dass die Unterzeichnung unwissentlich ohne vorherige Durchsicht des Dokuments passiere.
Nach Abschluss des e-Sign-Verfahrens durch alle vorgesehene Unterzeichner geniere sich ein finales e-Sign-Dokument im pdf-Format, bestehend aus dem angehängten Dokument, der Unterzeichnerliste mit den jeweiligen Entscheidungen („akzeptiert“ oder „abgelehnt“) der einzelnen Unterzeichner sowie Datum und Uhrzeit der individuellen Freigaben. Des Weiteren sei auf jeder Seite des Dokuments dessen individuelle ID-Nummer, das Datum und die Uhrzeit der Freigabe des letzten Unterzeichners angegeben, so dass die finalen Dokumente fälschungssicher seien und sich die Unterschriftenliste und das zu unterzeichnende Dokument einwandfrei einander zuordnen ließen.
Entsprechend habe sie dem Kläger unter Nutzung des e-Sign-Verfahrens das Angebot auf Abschluss eines wegen eines vorübergehenden Beschäftigungsbedarfs befristeten Arbeitsvertrages gemacht. Mit Hilfe des e-Sign-Tools sei der Vertrag unter dem 29. September 2020 seitens des Klägers auch signiert worden.
Sie behalte sich ausdrücklich vor, bei gerichtlicher Feststellung einer etwaigen Formunwirksamkeit das dann nur faktisch bestehende Arbeitsverhältnis unverzüglich durch einseitige Erklärung aufzulösen.
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Aus den Gründen
I. Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg.
1. Bei den Klageanträgen handelt es sich jeweils um eine Befristungskontrollklage gem. § 17 Satz 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz (nachfolgend: TzBfG). Insofern bestehen hinsichtlich beider Anträge keine Zulässigkeitsbedenken (vgl. auch Landesarbeitsgericht (nachfolgend: LAG) Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Februar 2014 - 1 Sa 8/13 -, zitiert nach juris).
2. Die Klage ist auch begründet.
a. Hinsichtlich des Klageantrages zu 1) beruht dieses darauf, dass die innerhalb der Frist gem. § 17 Satz 1 TzBfG rechtzeitig erhobene Klage sich gegen die Befristung zum 31. Oktober 2020 richtet, die die in § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes zulässige Höchstdauer von zwei Jahren überschreitet und damit unwirksam ist.
aa. Zwar ist die Befristung zum 31. Oktober 2020 seitens der Parteien in dem Arbeitsvertrag unter dem 19. August 2019 mit dem Beginn des 1. November 2019 vereinbart worden und damit kürzer als zwei Jahre. Allerdings sind die Zeiten des Arbeitsverhältnisses zwischen dem 15. August 2018 und dem 31. Oktober 2019 zu berücksichtigen, da ausweislich des Arbeitsvertrages unter dem 19. August 2019 das ursprüngliche Arbeitsverhältnis „weitergeführt“ werden sollte. Damit wurde die zulässige Höchstdauer überschritten.
bb. Dem steht auch nicht entgegen, dass nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung bei mehreren aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverträgen grundsätzlich nur die in dem letzten Vertrag vereinbarte Befristung der Befristungskontrolle unterliegen soll, weil die Parteien durch den vorbehaltlosen Abschluss eines weiteren befristeten Arbeitsvertrags ihr Arbeitsverhältnis auf eine neue Rechtsgrundlage stellten, die für ihre Rechtsbeziehungen künftig allein maßgeblich sein soll, damit würde zugleich ein etwaiges unbefristetes Arbeitsverhältnis aufgehoben (vgl. Bundesarbeitsgericht (nachfolgend: BAG), Urteil vom 24. August 2011 - 7 AZR 228/10 - mit weiteren Nachweisen (nachfolgend: m.w.N.), zitiert nach juris). Ist aber, wie vorliegend, der Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages von einer der Vertragsparteien insgesamt jedenfalls auch bestritten, findet diese Rechtsprechung keine Anwendung.
b. Hinsichtlich des Klageantrages zu 2) beruht die Entscheidung darauf, dass eine Klage der vorliegenden Art bereits vor Ablauf der Zeit, für die das Arbeitsverhältnis eingegangen ist, als zulässig und innerhalb der Frist gem. § 17 Satz 1 TzBfG rechtzeitig erhoben zu bewerten ist (vgl. LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. April 2008 - 23 Sa 2356/07 -, zitiert nach juris).
aa. Zwischen den Parteien wurde ein Arbeitsvertrag mit dem Inhalt des Vertrages unter dem 29. September 2020 jedenfalls durch die Erbringung der wechselseitigen Leistungspflichten nach § 611a Bürgerliches Gesetzbuch (nachfolgend: BGB) geschlossen, denn der Abschluss eines Arbeitsvertrags bedarf nicht der Schriftform (vgl. BAG, Urteil vom 7. Oktober 2015 - 7 AZR 40/14 -, zitiert nach juris). Anderenfalls würde die Beklagte nicht das Rechtsinstituts des faktischen Arbeitsverhältnisses anziehen, das die Erbringung der beiderseitigen Leistungen gerade voraussetzt.
bb. Haben die Parteien nur mündlich oder durch schlüssiges Verhalten einen befristeten Arbeitsvertrag geschlossen, ist eine Befristung wie in Nr. 1 des Arbeitsvertrages der Parteien unter dem 29. September 2020 mangels Einhaltung der Schriftform nach § 125 Satz 1 BGB nichtig. Das hat zur Folge, dass nach § 16 Satz 1 TzBfG ein unbefristetes Arbeitsverhältnis entsteht.
(1) Nach § 14 Abs. 4 TzBfG bedarf die Befristung eines Arbeitsvertrages zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform.
(a) Aufgrund von § 126 BGB ist eine Schriftform dann gewahrt (vgl. BAG, Urteil vom 15. Februar 2017 - 7 AZR 223/15 -, zitiert nach juris), wenn die Urkunde von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet wurde (§ 126 Abs. 1 BGB), bei einem Vertrag muss die Unterzeichnung der Parteien grundsätzlich auf derselben Urkunde erfolgen (§ 126 Abs. 2 BGB).
(b) So gingen die Vertragsparteien unstreitig nicht vor.
(2). Allerdings sind auch die Voraussetzungen nach § 126a BGB nicht erfüllt, wonach dann, wenn eine gesetzlich vorgeschriebene schriftliche Form durch die elektronische Form ersetzt werden soll, der Aussteller der Erklärung dieser seinen Namen hinzufügen und das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen muss (§ 126a Abs. 1 BGB). Nach dem dortigen Absatz 2 müssen die Parteien bei einem Vertrag jeweils ein gleichlautendes Dokument in der in Absatz 1 bezeichneten Weise elektronisch signieren.
(a) Zwar könnte die Nutzung der elektronischen Form zur Wahrung des Formerfordernisses nach § 14 Abs. 4 TzBfG denkbar sein, weil nach § 623 BGB nur die Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch Kündigung oder Auflösungsvertrag in elektronischer Form ausgeschlossen ist. Da für die rechtliche Einordnung, ob es sich um einen auf die alsbaldige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichteten Aufhebungsvertrag oder um eine auf die befristete Durchführung eines Dauerarbeitsverhältnisses gerichtete Vereinbarung handelt, auf den Regelungsgehalt der getroffenen Vereinbarung abzustellen ist (vgl. auch BAG, Urteil vom 11. Februar 2015 - 7 AZR 17/13 - mit weiteren Nachweisen (nachfolgend: m.w.N.), zitiert nach juris), dürfte nicht jede vereinbarte Beendigung eines Arbeitsverhältnisses zwingend einen Aufhebungsvertrag im Sinne des § 623 BGB darstellen.
(b) Dieses kann vorliegend jedoch dahinstehen, da die Parteien vorliegend keine qualifizierte elektronische Signatur genutzt haben.
(aa) Nach Art. 3 Nr. 12 der Verordnung (EU) vom 23. Juli 2014 über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 1999/93/EG (nachfolgend: eIDAS-VO) ist eine qualifizierte elektronische Signatur eine fortgeschrittene elektronische Signatur, die von einer qualifizierten elektronischen Signaturerstellungseinheit erstellt wurde und auf einem qualifizierten Zertifikat für elektronische Signaturen beruht, wobei eine fortgeschrittene elektronische Signatur nach Art. 3 Nr. 11 eIDAS-VO eine elektronische Signatur ist, die die Anforderungen des Art. 26 eIDAS-VO erfüllt. Danach liegt eine fortgeschrittene elektronische Signatur vor, wenn sie eindeutig dem Unterzeichner zugeordnet ist (Art. 26 Buchst. a) eIDAS-VO), die Identifizierung des Unterzeichners ermöglicht (Art. 26 Buchst. b) eIDAS-VO), unter Verwendung elektronischer Signaturerstellungsdaten erstellt wird, die der Unterzeichner mit einem hohen Maß an Vertrauen unter seiner alleinigen Kontrolle verwenden kann (Art. 26 Buchst. c) eIDAS-VO), ferner muss sie so mit den auf diese Weise unterzeichneten Daten verbunden sein, dass eine nachträgliche Veränderung der Daten erkannt werden kann (Art. 26 Buchst. d) eIDAS-VO).
Nach Art. 30 eIDAS-VO wird die Konformität qualifizierter elektronischer Signaturerstellungseinheiten mit den Anforderungen der Verordnung von geeigneten, von den Mitgliedstaaten benannten öffentlichen oder privaten Stellen zertifiziert. In der Bundesrepublik Deutschland ist die Prüfung privater Anbieter nach § 17 Vertrauensdienstegesetz (nachfolgend: VDG) der Bundesnetzagentur übertragen.
(bb) Die danach für die Anerkennung einer qualifiziert elektronischen Signatur erforderliche Zertifizierung ist hinsichtlich des seitens der Beklagten genutzten Tools e-Sign augenscheinlich nicht erfolgt. Ausweislich der Internetpräsentation des Tool-Anbieters ist eine digitale Signatur im allgemeinen ein zuverlässiger Weg, um eine elektronische Signatur zu implementieren, wenn der Unterzeichner durch Erhalt eines Authentifizierungszertifikats von einer von der Regierung autorisierten Zertifizierungsstelle verifiziert wird (vgl. https://www.ems.info/produkte/e-sign/ , abgerufen am 28. September 2021).
Unter Zugrundelegung des Sachvortrages der Beklagten wird zwar davon auszugehen sein, dass das Tool e-Sign eine fortgeschrittene elektronische Signatur im Sinne des Art. 26 eIDAS-VO erstellt. Die erforderliche Zertifizierung nach § 17 VDG, Art. 30 eIDAS-VO wurde seitens Beklagten augenscheinlich nicht veranlasst, weshalb es an den besonderen Voraussetzungen für eine qualifizierte elektronische Signatur fehlt.
cc. Der Kläger ist auch deshalb nicht gehindert, sich auf die Unwirksamkeit Befristung zu berufen, weil beide Parteien ausweislich der Vertragsurkunde ein befristetes Arbeitsverhältnis wollten.
(1) Zwar kann ein Arbeitnehmer in Fällen, in denen der Abschluss des befristeten Arbeitsvertrags von der Einhaltung des Schriftformerfordernisses abhängen soll, ein ihm vorliegendes, nach § 126 BGB schriftliches Vertragsangebot des Arbeitgebers nicht durch die Arbeitsaufnahme konkludent, sondern nur durch die Unterzeichnung der Vertragsurkunde annehmen (vgl. BAG, Urteil vom 7. Oktober 2015 - 7 AZR 40/14 -, zitiert nach juris). Eine dennoch erfolgte Durchführung würde allenfalls ein faktisches Arbeitsverhältnis begründen, das der Arbeitgeber durch Lossagung fristfrei für die Zukunft beenden könnte. Vorliegend hat die Beklagte als Arbeitgeberin dem Kläger als Arbeitnehmer jedoch kein die Schriftform hinsichtlich der Befristungsabrede wahrendes Vertragsangebot übermittelt, sondern lediglich ein nicht hinreichendes elektronisches Schriftstück, weshalb diese Rechtsprechung nicht einschlägig ist.
(2) Somit bleibt es dabei, dass – auch wenn die Parteien lediglich ein befristetes Arbeitsverhältnis begründen wollten – bei Fehlen der Schriftform die Befristungsabrede wegen Formmangels unwirksam und ein unbefristetes Arbeitsverhältnis die Folge ist (vgl. BAG, Urteil vom 14. Dezember 2016 - 7 AZR 797/14 -, zitiert nach juris).
II. Der Kläger obsiegt vollständig, weshalb die Beklagte die Kosten des Rechtsstreites gemäß §§ 46 Abs. 2 Arbeitsgerichtsgesetz (nachfolgend: ArbGG), 91 Zivilprozessordnung (nachfolgend: ZPO) zu tragen hat.
III. Die Entscheidung über den Wert des Streitgegenstandes beruht auf §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 42 Gerichtskostengesetz (nachfolgend: GKG), 46 Abs. 2 ArbGG, 3, 5 ZPO.