LAG Nürnberg: Wiedereinsetzung – Berufungsbegründungsfrist – Verschulden
LAG Nürnberg, Beschluss vom 19.2.2024 – 4 Sa 289/23
Volltext: BB-Online BBL2024-1012-3
Leitsatz
Es gehört allein zu den Aufgaben eines Verfahrensbevollmächtigten, rechtlich zu prüfen, ob eine zweite Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist (§ 66 Abs. 1 Satz 5 ArbGG) möglich ist. Er kann sich im Rahmen des § 85 ZPO nicht darauf berufen, die unzutreffende rechtliche Bewertung dessen Rechtsanwaltsfachangestellter sei ihm nicht zurechenbar.
§§ 233, 234, 236 ZPO, § 66 Abs. 1 ArbGG, § 85 Abs. 2 ZPO
Aus den Gründen
I.
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung vom 28.11.2022.
Das Arbeitsgericht Nürnberg hat mit Endurteil vom 12.10.2023 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 28.11.2022 nicht aufgelöst wurde.
Ausweislich des Empfangsbekenntnisses wurde das Urteil dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 25.10.2023 zugestellt.
Mit Schriftsatz vom 27.11.2023, eingegangen beim Landesarbeitsgericht Nürnberg am 27.11.2023 (Montag), legte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten gegen das Urteil Berufung ein.
Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 22.12.2023, die Berufungsbegründungsfrist bis 17.01.2024 zu verlängern. Die Frist zur Berufungsbegründung wurde mit Verfügung vom 27.12.2023 antragsgemäß bis 17.01.2024 verlängert. Ein die Berufung begründender Schriftsatz ist bis zu diesem Zeitpunkt nicht beim Landesarbeitsgericht Nürnberg eingegangen.
Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 17.01.2024, eingegangen beim Landesarbeitsgericht Nürnberg am selben Tag, 16:52 Uhr, die Frist zur Berufungsbegründung bis einschließlich 29.02.2024 zu verlängern.
Mit Beschluss vom 18.01.2024 wurde der Fristverlängerungsantrag der Beklagten unter Verweis auf § 66 Abs. 1 S. 5 ArbGG zurückgewiesen.
Mit Schriftsatz vom 19.01.2024 beantragte die Klägerin, die Berufung der Beklagten zu verwerfen.
Mit Schriftsatz vom 01.02.2024, eingegangen beim Landesarbeitsgericht Nürnberg am selben Tag, begründete die Beklagte die Berufung und beantragte wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die Beklagte führte aus, dass für die Fristenkontrolle und Fristenberechnung die langjährig beschäftigte Rechtsanwaltsfachangestellte Frau Z. zuständig sei. Deren Aufgabe sei es, Fristen zu notieren und den Rechtsanwalt mindestens eine Woche vor Ablauf auf die ablaufende Frist hinzuweisen. Sollte diese durch den Rechtsanwalt nicht eingehalten werden können, teile er dies Frau Z. mit und diese bereite einen entsprechenden Fristverlängerungsantrag vor. Die Tätigkeit werde regelmäßig stichprobenartig überprüft. Im anhängigen Verfahren habe Frau Z. den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 05.01.2024 erstmalig auf die ablaufende Berufungsfrist hingewiesen. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten habe sie gebeten, einen Fristverlängerungsantrag vorzubereiten. Frau Z. habe mitgeteilt, dass eine weitere Fristverlängerung noch möglich sei. Entsprechend sei am 17.01.2024 ein entsprechender Fristverlängerungsantrag durch den Prozessbevollmächtigten unterzeichnet und am gleichen Tag per beA versendet worden. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten habe sich auf die Aussage der stets gewissenhaft tätigen und sehr erfahrenen Rechtsanwaltsfachangestellten verlassen. Ihm sei nicht aufgefallen, dass eine Fristverlängerung bereits einmal erfolgt sei und daher nicht noch einmal verlängert werden durfte. Zum Zeitpunkt der Versendung hätte noch genügend Zeit bestanden, eine Berufungsbegründung zu fertigen und zu versenden. Kenntnis von der Fristversäumung habe der Prozessbevollmächtigte der Beklagten erst durch den gerichtlichen Beschluss vom 18.01.2024 erlangt. Folglich sei die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist weder der Partei noch dem Unterzeichner als Vertreter zuzurechnen und damit unverschuldet im Sinne von § 233 ZPO.
Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 17.02.2024 geltend gemacht, dass die Berufung als unzulässig zu verwerfen sei. Eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand komme nicht in Betracht, da die Beklagte nicht ohne eigenes Verschulden verhindert gewesen sei, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten.
II.
Die Berufung der Beklagten ist unzulässig, da sie nicht innerhalb der gesetzlichen Frist des § 66 Abs. 1 ArbGG, begründet worden ist.
Nach § 64 Abs. 6 ArbGG, § 520 Abs. 1 ZPO muss der Berufungskläger die Berufung begründen. Die Begründung muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten ab Zustellung des angefochtenen Urteils erfolgen (§ 66 Abs. 1 Sätze 1 und 2 ArbGG). Die Berufungsbegründungsfrist begann am 25.10.2023 und endete nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist mit Ablauf des 17.01.2024.
Wegen der verspäteten Berufungsbegründung ist die Berufung der Beklagten als unzulässig zu verwerfen, §§ 66 Abs. 2 Satz 2 ArbGG, 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO.
Der Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung ist als unbegründet zurückzuweisen, vgl. §§ 237, 238 ZPO, denn die Fristversäumung erfolgte nicht ohne ein zurechenbares Anwaltsverschulden gem. § 85 Abs. 2 ZPO.
Im Einzelnen:
1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist gemäß § 233 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, §§ 234, 236 ZPO.
2. Der Wiedereinsetzungsantrag ist nicht begründet, denn die Fristversäumung beruht auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten, das sich dieser zurechnen lassen muss, §§ 233, 85 Abs. 2 ZPO.
Die Beklagte hat nicht glaubhaft gemacht, dass sie ohne ein ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten daran gehindert gewesen wäre, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten.
Entgegen des Vortrages der Beklagten kann diese sich nicht darauf berufen, dass das behauptete Verschulden der Rechtsanwaltsfachangestellten des Prozessbevollmächtigten bzw. das Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten nicht gemäß § 85 Abs. 2 ZPO der Beklagten zuzurechnen sei.
Es gehört allein zu den Aufgaben eines Verfahrensbevollmächtigten, dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig erstellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Dabei gehört die Erstellung fristwahrender Rechtsmittel oder Rechtsmittelbegründungen zu den Aufgaben, die ein Rechtsanwalt seinem angestellten Büropersonal nicht übertragen darf, ohne das Arbeitsergebnis auf seine Richtigkeit und Vollständigkeit selbst sorgfältig zu überprüfen (BGH v. 08.03.2022 – VI ZB 78/21).
Unabhängig davon, dass ein Rechtsanwalt, der eine Rechtsmittelbegründungsfrist bis zum letzten Tag ausschöpft, wegen des damit erfahrungsgemäß verbundenen Risikos erhöhte Sorgfalt aufzuwenden hat, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen (vgl. BGH v. 09.05.2006 – XI ZB 45/04), war es vorliegend allein Aufgabe des Prozessbevollmächtigten der Beklagten, rechtlich zu bewerten, ob eine zweite Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist zulässig gewesen ist. Folglich oblag es allein dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten, § 66 Abs. 1 S. 5 ArbGG zu erkennen und zutreffend anzuwenden, mithin zu beachten, dass die Frist zur Begründung der Berufung nur einmal verlängert werden kann.
Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten konnte diese Bewertungsfrage von vornherein nicht auf dessen Rechtsanwaltsfachangestellte übertragen (BeckOK, ZPO/Wendtland, ZPO, 233 Rn. 27-31 m. w. Nw). Bereits dadurch liegt ein Verschulden nach § 85 Abs. 2 ZPO vor. Hinzu kommt, dass dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten nach dessen Vortrag der erneute Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am 17.01.2024, dem letzten Tag der Rechtsmittelbegründungsfrist, vorgelegt und von diesem unterzeichnet wurde. Auch insoweit oblag es dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten, eigenständig nach Maßgabe anwaltlicher Sorgfaltspflichten die rechtliche Zulässigkeit des Antrages zu prüfen und § 66 Abs. 1 S. 5 ArbGG zu beachten. Wäre dies erfolgt und hätte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten erkannt, dass eine weitere Fristverlängerung nicht möglich gewesen ist, hätte zudem – nach dem Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Beklagten – die Berufungsbegründungsschrift noch gefertigt und innerhalb der Berufungsbegründungsfrist versandt werden können.
Folglich kann gerade nicht festgestellt werden, dass die Beklagte ohne ihr Verschulden verhindert gewesen ist, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
IV.
Für die Zulassung der Revisionsbeschwerde bestand keine Veranlassung, da die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht gegeben sind, § 77 Satz 1 und 2 ArbGG.