LAG Berlin-Brandenburg: Weiterbeschäftigungsantrag als unechter Hilfsantrag
LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 4.12.2015 – 17 Ta (Kost) 6104/15
Volltext: BB-ONLINE BBL2016-52-5
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Amtlicher Leitsatz
Ein nach Wortlaut und Begründung unbedingter Antrag auf vorläufige Beschäftigung kann nicht (nicht ist unterstrichen) als unechter Hilfsantrag angesehen werden (entgegen BAG, Beschluss vom 30.08.2011 - 2 AZR 668/10 (A)).
Sachverhalt
I.
Die Klägerin hat sich mit ihrer Klage gegen die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung gewandt und mit dem Klageantrag zu 3. die Verurteilung der Beklagten zur vorläufigen Weiterbeschäftigung verlangt. Der Rechtsstreit wurde durch gerichtlich festgestellten Vergleich beigelegt. Die Parteien einigten sich auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung. Die Beklagte verpflichtete sich zudem, verschiedene Arbeitspapiere ausgefüllt an die Klägerin zu senden; ferner verzichteten beide Parteien auf die Rechte aus einem arbeitsvertraglich vereinbarten Wettbewerbsverbot.
Das Arbeitsgericht hat auf Antrag der Beschwerdeführer durch Beschluss vom 27.10.2015 den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit festgesetzt, wobei es den Klageantrag zu 3. unbewertet ließ und einen Vergleichsmehrwert nicht festsetzte.
Gegen diesen ihnen am 03.11.2015 zugestellten Beschluss richtet sich die am 04.11.2015 eingelegte Beschwerde der Prozessbevoll mächtigten der Klägerin. Sie sind der Auffassung, der Klageantrag zu 3. müsse als unbedingt gestellter Antrag angesehen und bewertet werden. Hinsichtlich der zu den Arbeitspapieren getroffenen Regelung habe ein zu bewertendes Titulierungsinteresse bestanden. Ferner habe zwischen den Parteien vor Abschluss des Vergleichs ein Streit oder eine Ungewissheit über das Bestehen des Wettbewerbsverbots bestanden. Die Beklagte habe zunächst auf der Einhaltung des Wettbewerbsverbots beharrt und sich dann im Zuge der Vergleichsverhandlungen mit einem Verzicht einverstanden erklärt.
Aus den Gründen
II.
Die Beschwerde ist nur zum Teil begründet.
1. Der Klageantrag zu 3. ist mit 3.470,37 EUR – dem Bruttomonatsgehalt der Klägerin – zu bewerten, was zur teilweisen Änderung des angefochtenen Beschlusses führt.
a) Die Klage auf vorläufige Beschäftigung ist gemäß § 23 Abs. 1 RVG, § 48 Abs. 1 GKG, § 3 ZPO nach freiem Ermessen des Gerichts zu bewerten. Dabei ist es regelmäßig angemessen, einen Wert in Höhe eines Bruttomonatsgehalts festzusetzen. Dies wird der Bedeutung einer Beschäftigungsklage im Vergleich zu einer Bestandsstreitigkeit gerecht und entspricht im Übrigen den Empfehlungen der Streitwertkommission für die Arbeitsgerichtsbarkeit vom 09.07.2014 (NZA 2014, 745), an denen sich die Beschwerdekammer im Interesse einer einheitlichen Wertfestsetzung orientiert.
b) Der Bewertung des Klageantrag zu 3. steht § 45 Abs. 1, 4 GKG nicht entgegen.
aa) Ein hilfsweise geltend gemachter Anspruch, der nicht den gleichen Gegenstand wie der Hauptanspruch betrifft, wird mit dem Hauptanspruch zusammengerechnet, sofern eine Entscheidung über ihn ergeht; gleiches gilt, wenn der Hilfsanspruch durch Vergleich erledigt wird (§ 45 Abs. 1, 4 GKG). Ein Weiterbeschäftigungsantrag, der für den Fall des Erfolges mit der Kündigungsschutzklage geltend gemacht wird, ist danach nicht zu bewerten, wenn sich die Parteien in einem gerichtlichen Vergleich auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses einigen. In diesem Fall liegt lediglich eine vergleichsweise Regelung der Bestandsstreitigkeit vor; dass eine Weiterbeschäftigung nicht verlangt werden kann, ist Folge und nicht Inhalt des Vergleichs (vgl. BAG, Beschluss vom 13.08.2014 – 2 AZR 871/12 – NZA 2014, 1359 f.; LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26.01.2015 – 17 Ta (Kost) 6137/14, m.w.N.).
bb) Die Klägerin hat den Anspruch auf vorläufige Beschäftigung nicht im Wege des uneigentlichen Hilfsantrags, sondern mit einem - zu bewertenden – Hauptantrag verfolgt. Der Wortlaut des Antrags deutet in keiner Weise darauf hin, dass der Antrag nur für den Fall des Erfolgs mit der Kündigungsschutzklage gestellt werden soll. Auch die Begründung des Antrags enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass die Weiterbeschäftigung nur hilfsweise verlangt werde. Schließlich lässt sich auch den übrigen Ausführungen der Klägerin in der Klageschrift ein derartiger Wille nicht entnehmen. Dies gilt umso mehr, als die Klageschrift von einem Rechtsanwalt verfasst wurde, dem – wie der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Erteilung eines Zeugnisses zeigt – der Unterschied zwischen Haupt- und Hilfsantrag bekannt war.
cc) Das Bundesarbeitsgericht hat allerdings mit Beschluss vom 30.08.2011 – 2 AZR 668/10 (A) – juris die Auffassung vertreten, der Antrag auf vorläufige Beschäftigung für die Dauer des Kündigungsschutzverfahrens sei auch dann als uneigentlicher Hilfsantrag zu verstehen, wenn er nicht ausdrücklich als solcher bezeichnet werde. Von der Unbedingtheit des Antrags könne nur ausgegangen werden, wenn gerade der Wille, einen unbedingten Antrag zu stellen, ausdrücklich erklärt werde. Der genannte Weiterbeschäftigungsantrag könne überhaupt nur Erfolg haben, wenn dem Kündigungsschutzverfahren Erfolg beschieden sei. Es entspräche damit in keiner Weise den Interessen des klagenden Arbeitnehmers, würde der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung ohne diese Bedingung gestellt.
Die Beschwerdekammer folgt dieser Entscheidung nicht. Ob die klagende Partei einen Haupt- oder einen Hilfsantrag stellen wollte, bestimmt sich ausschließlich nach dem Wortlaut des Antrags und seiner Begründung und nicht nach seinen Erfolgsaussichten oder danach, ob der Antrag dem Kosteninteresse der klagenden Partei entsprach. Die Rechtshängigkeit eines Antrags hängt mit anderen Worten nicht davon ab, ob er zulässig und begründet war und ob die Partei ihr Klageziel auf andere Weise kostengünstiger hätte erreichen können. Lässt sich deshalb aus dem Wortlaut und der Begründung eines Beschäftigungsantrags nicht erkennen, dass er in Abhängigkeit zum Ausgang der Bestandsstreitigkeit gestellt werden sollte, so liegt ein – eigenständig zu bewertender – Hauptantrag vor. Dass ein Rechtsanwalt mit einem derartigen Hauptantrag möglicherweise seine anwaltlichen Vertragspflichten verletzt, weil er seine Partei einem unnötigen Kostenrisiko aussetzt, ist für die Frage, ob das Beschäftigungsbegehren unbedingt oder bedingt verfolgt wurde sowie die anschließende Wertfestsetzung ohne Belang. Bestehen aufgrund der Antragsformulierung bzw. der Begründung Unklarheiten darüber, ob ein Haupt- oder Hilfsantrag gestellt werden soll, hat das Gericht dies ggf. unter Hinweis auf die kostenrechtlichen Auswirkungen zu erörtern (§ 139 Abs. 1 ZPO). Es kann jedoch nicht von sich aus einen unbedingt gestellten Antrag in ein Hilfsverhältnis stellen, nur weil es dies für prozessual sinnvoller hält.
2. Das Arbeitsgericht hat es zu Recht abgelehnt, einen Vergleichsmehrwert für die unter III. und VI. des gerichtlich festgestellten Vergleichs getroffenen Regelungen festzusetzen.
a) Die anwaltliche Einigungsgebühr entsteht für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrags, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht (Nr. 1000 Abs. 1 der Anlage 1 zum RVG). In den Wert eines Vergleichs sind daher die Werte aller rechtshängigen oder nichtrechtshängigen Ansprüche einzubeziehen, die zwischen den Parteien streitig oder ungewiss waren und die mit dem Vergleich geregelt wurden. Demgegenüber ist die bloße Begründung einer Leistungspflicht in dem Vergleich für den Vergleichsmehrwert ohne Bedeutung; denn es kommt für die Wertfestsetzung darauf an, worüber – und nicht worauf – die Parteien sich geeinigt haben. Auch genügt es für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwertes nicht, dass durch den Vergleich ein Streit vermieden wurde (LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 04.04.2013 – 17 Ta (Kost) 6035/13). Ein Titulierungsinteresse kann nur dann berücksichtigt werden, wenn der geregelte Anspruch zwar unstreitig und gewiss, seine Durchsetzung aber ungewiss war. Dies entspricht den genannten Empfehlungen der Streitwertkommission für die Arbeitsgerichtsbarkeit vom 09.07.2014.
b) Es ist im vorliegenden Fall weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die Parteien vor Abschluss des Vergleichs über die Verpflichtung der Beklagten gestritten haben, Arbeitspapiere der Klägerin auszufüllen und herauszugeben; auch eine Ungewissheit über diesen Anspruch, die durch den Vergleich hätte beseitigt werden können, liegt nicht vor. Dass der Anspruch unstreitig und gewiss, seine Durchsetzung aber ungewiss war, ist ebenfalls nicht erkennbar. Die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts kommt für die unter III. des Vergleichs getroffene Regelung deshalb nicht in Betracht.
c) Der Verzicht der Parteien auf die sich aus dem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot ergebenden Ansprüche (VI. des Vergleichs) führt ebenfalls nicht zur Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts. Mit der Vergleichsregelung wurde ein Streit oder eine Ungewissheit über diese Ansprüche nicht beseitigt. Es war zwischen den Parteien weder streitig noch ungewiss, dass das nachvertragliche Wettbewerbsverbot vereinbart worden war und welche Ansprüche sich hieraus wechselseitig ergaben. Dass die Klägerin einen Anspruch auf Aufhebung der Ansprüche geltend gemacht hat, haben die Beschwerdeführer nicht vorgetragen. Die Klägerin hat lediglich die Aufhebung des Wettbewerbsverbots im Zusammenhang mit den Vergleichsverhandlungen gefordert und letztlich erhalten. Die diesbezügliche anwaltliche Tätigkeit ist mit der Einigungsgebühr als solcher abgegolten; für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts fehlt es demgegenüber an einer rechtlichen Grundlage.
III.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
2. Die Entscheidung ist unanfechtbar.