LAG Schleswig-Holstein: Vorzeitige Kündigung bei Betriebsstilllegung
LAG Schleswig-Holstein , Urteil vom 30.11.2010 - Aktenzeichen 5 Sa 282/10 (Vorinstanz: ArbG Lübeck vom 29.04.2010 - Aktenzeichen 2 Ca 35/10; ) | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Redaktionelle Leitsätze: 1. Bei einer mehr als zweijährigen Vorlaufzeit zwischen der Unternehmerentscheidung und der geplanten Betriebsstilllegung kann der Ausgang etwaiger Bemühungen für einen Unternehmensverkauf oder Weiterverpachtung des Betriebs (noch) nicht realistisch eingeschätzt werden; unter diesen Umständen kann der künftige Wegfall der Arbeitsplätze trotz der beschlossenen Einstellung der eigenen Betriebstätigkeit realistisch und bei vernünftiger wirtschaftlicher Betrachtungsweise noch nicht verlässlich prognostiziert werden. 2. Überschreitet die Arbeitgeberin bei Ausspruch der Kündigung die maßgebliche (tarifliche) ordentliche Kündigungsfrist von sechs Wochen zum Quartalsende um mehr als das Achtfache und schließt sie zugleich einen möglichen Betriebsübergang nicht aus sondern hält ihn sogar eher für wahrscheinlich, ist die Kündigung nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt. 3. Es ist rechtsmissbräuchlich und führt zur Umgehung des gesetzlichen Kündigungsschutzes, wenn die Arbeitgeberin eine Kündigung mit einer weit längeren als der an sich zu beachtenden Kündigungsfrist ausspricht und wenn die Verlängerung der Kündigungsfrist allein oder überwiegend in ihrem Interesse liegt und dabei die längste nach Tarifvertrag oder Gesetz zu beachtende Kündigungsfrist überschreitet; auf diese Weise wird das Kündigungsschutzgesetz in beanstandungswürdiger Weise umgangen. 4. Bei einer mehr als zwei Jahre im Voraus ausgesprochenen Kündigung stehen nicht die Interessen der Arbeitnehmer im Vordergrund, sich auf den Verlust des Arbeitsplatzes einrichten zu können, sondern der Wunsch der Arbeitgeberin nach einer rechtssicheren und kostengünstigen Beendigung der Arbeitsverhältnisse; bei einer derart langen Vorlaufzeit schließt die Arbeitgeberin das Risiko, vom gekündigten Arbeitnehmer auf Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten verwiesen zu werden, praktisch aus. 5. Je früher die Arbeitgeberin die Kündigung ausspricht, desto schwerer ist es für den Arbeitnehmer, zu Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten konkret vorzutragen; die Prozessaussichten verschlechtern sich im gleichen Maße, wie sich die der Arbeitgeberin verbessern. | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Redaktionelle Normenkette: KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 3; BGB § 242; BGB § 613a Abs. 1 S. 1; DB 2011, 424
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