BAG: Vollstreckungsabwehr bei Verlust der Betriebsidentität
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 18.03.2008
Aktenzeichen: 1 ABR 3/07
Rechtsgebiete: ZPO, ArbGG, BetrVG
Vorschriften:
ZPO § 767 Abs. 1 | |
ArbGG § 85 Abs. 1 | |
BetrVG § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b | |
BetrVG § 3 Abs. 5 | |
BetrVG § 23 Abs. 3 |
Die Zusammenfassung von Betrieben nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b BetrVG führt für sich allein nicht zum Verlust der betriebsverfassungsrechtlichen Identität der zusammengefassten Einheiten. Bestehende Betriebsvereinbarungen und Vollstreckungstitel gelten im fingierten Einheitsbetrieb beschränkt auf ihren bisherigen Wirkungsbereich weiter.
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! BESCHLUSS
1 ABR 3/07
Verkündet am 18. März 2008
In dem Beschlussverfahren
hat der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der Anhörung vom 18. März 2008 durch die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts Schmidt, die Richter am Bundesarbeitsgericht Kreft und Linsenmaier, den ehrenamtlichen Richter Frischholz und die ehrenamtliche Richterin Spoo für Recht erkannt:
Tenor:
1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 5. Oktober 2006 - 5 TaBV 39/06 - aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Anhörung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Gründe:
A. Die Beteiligten streiten über die Zulässigkeit der Vollstreckung aus einem Unterlassungstitel.
Am 17. August 1989 erwirkte der "Betriebsrat der D W GmbH, L, K" gegen die "D W GmbH, L, K" beim Arbeitsgericht Darmstadt (Az.: - 10/7 BV 22/89 -) einen rechtskräftigen Beschluss. Darin wird "der Antragsgegnerin" aufgegeben, es zu unterlassen, "aus betrieblichem Anlass Arbeit von Arbeitnehmern über die betriebsübliche Zeit hinaus anzuordnen oder entgegenzunehmen", solange der genannte Betriebsrat oder die Einigungsstelle dem nicht zugestimmt hat.
Auf Grund notariellen Verschmelzungsvertrags vom 29. Dezember 2004 wurde die D W GmbH mit Wirkung zum 13. Januar 2005 auf die D P GmbH - die mittlerweile anders firmierende Arbeitgeberin - verschmolzen. In dem Verschmelzungsvertrag heißt es, die Betriebe der beteiligten Unternehmen sollten "neu strukturiert" werden. Dazu sei der Abschluss eines Tarifvertrags nach § 3 BetrVG geplant.
Einen solchen Zuordnungstarifvertrag hatten die Arbeitgeberin und die Gewerkschaft ver.di schon am 21. Dezember 2004 geschlossen (Z-TV). In dessen § 2 werden elf (künftige) Betriebe aufgeführt, für die jeweils ein Betriebsrat gebildet werden solle; zu ihnen zählt die "Niederlassung G (Area F)".
Nach § 5 Abs. 4 Z-TV sollten in den neu geschaffenen Betrieben erstmals vom 10. bis 12. Mai 2005 Betriebsratswahlen stattfinden. Der beteiligte Betriebsrat ist die daraus für die Niederlassung G hervorgegangene Arbeitnehmervertretung. Zur Niederlassung G gehören verschiedene Betriebsstandorte, für die vor der Verschmelzung unterschiedliche Betriebsräte zuständig waren. Es ist nicht festgestellt, ob zu ihnen auch diejenige betriebliche Einheit zählt, für die der Betriebsrat der D W GmbH, L, K gewählt worden war.
Von Seiten des Betriebsrats wurde aus dem arbeitsgerichtlichen Beschluss vom 17. August 1989 zumindest ab dem Jahr 1998 die Vollstreckung wegen behaupteter Zuwiderhandlungen gegen die titulierte Unterlassungsverpflichtung betrieben. Nach seiner Wahl leitete auch der beteiligte Betriebsrat gegen die Arbeitgeberin mehrere Verfahren auf Festsetzung eines Ordnungsgelds ein.
Mit dem vorliegenden Beschlussverfahren möchte die Arbeitgeberin erreichen, dass die Vollstreckung aus dem Titel für unzulässig erklärt wird. Sie hat die Auffassung vertreten, sie sei nicht die durch den Titel verpflichtete Unterlassungsschuldnerin, der beteiligte Betriebsrat nicht der durch ihn berechtigte Gläubiger. Der Betrieb K existiere nach Maßgabe der Regelungen des Tarifvertrags vom 21. Dezember 2004 nicht mehr. Im Übrigen sei der Titel mangels Bestimmtheit nicht vollstreckbar.
Die Arbeitgeberin hat beantragt,
die Zwangsvollstreckung aus dem Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 17. August 1989 - 10 (7) BV 22/89 - für unzulässig zu erklären.
Der Betriebsrat hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, durch den Tarifvertrag vom 21. Dezember 2004 und seine Wahl im Mai 2005 habe sich die bis dahin geltende Betriebsstruktur nicht geändert.
Die Vorinstanzen haben dem Antrag der Arbeitgeberin entsprochen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt der Betriebsrat erneut, den Antrag abzuweisen.
B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Mit der von diesem gegebenen Begründung kann dem Antrag der Arbeitgeberin nicht stattgegeben werden. Die Fiktion des § 3 Abs. 5 BetrVG führt nicht dazu, dass die nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b BetrVG zusammengefassten Betriebe ihre bisherige Identität als betriebliche Einheiten verlören. Ein für einen der zusammengefassten Betriebe erwirkter gerichtlicher Titel entfaltet auch nach der Zusammenfassung in der betreffenden betrieblichen Einheit weiterhin Wirkung. Ob der Antrag der Arbeitgeberin gleichwohl begründet ist, vermag der Senat mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen zum Schicksal des Betriebs K nicht selbst zu entscheiden.
I. Der Antrag der Arbeitgeberin ist zulässig.
1. Der Antrag ist ein auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren möglicher Antrag auf Vollstreckungsabwehr.
a) Der Schuldner eines vollstreckungsfähigen Titels iSv. § 85 Abs. 1 Satz 1 ArbGG kann gemäß § 85 Abs. 1 Satz 3 ArbGG iVm. § 767 Abs. 1 ZPO die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus diesem Titel in einem neuerlichen Beschlussverfahren durch Vollstreckungsabwehrantrag geltend machen (Matthes in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 6. Aufl. § 85 Rn. 9, 24; GK-ArbGG/Vossen Stand März 2008 § 85 Rn. 29). Dies ist der prozessual gebotene Weg, wenn es dem Vollstreckungsschuldner nicht um die Beseitigung des Titels selbst, sondern um die Beseitigung seiner Vollstreckbarkeit geht. Angriffe gegen die Wirksamkeit des Titels selbst sind zur Begründung eines solchen Antrags grundsätzlich nicht geeignet (BGH 18. November 1993 - IX ZR 244/92 - BGHZ 124, 164, zu B II 1 der Gründe). Gegenstand des Verfahrens nach § 767 Abs. 1 ZPO ist die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus dem Titel, nicht die Entstehung des vollstreckbaren Anspruchs (Thomas/Putzo ZPO 28. Aufl. § 767 Rn. 1, 3 mwN).
b) So verhält es sich hier. Die Arbeitgeberin macht eine nach § 767 Abs. 1 ZPO zu erhebende Einwendung geltend. Sie bringt vor, der titulierte Anspruch sei untergegangen, weil der Betrieb K, auf den er sich bezogen und für den der Titel gegolten habe, nicht mehr bestehe.
c) Das Anliegen der Arbeitgeberin geht allerdings über den Bereich der unmittelbaren Anwendung des § 767 Abs. 1 ZPO hinaus. Sie bringt zudem vor, der Titel sei mangels Bestimmtheit nicht vollstreckungsfähig. Auf diese Weise stellt sie die Wirksamkeit des Titels selbst in Frage. Diese ist nicht Gegenstand eines Vollstreckungsabwehrantrags.
Gleichwohl kann auch der gegen die Wirksamkeit des Titels selbst erhobene Einwand im vorliegenden Verfahren geprüft werden. Er ist möglicher Gegenstand einer Klage in analoger Anwendung von § 767 Abs. 1 ZPO. Eine auf diesen Einwand gestützte Abwehrklage kann mit der "klassischen" Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 Abs. 1 ZPO verbunden werden. Es handelt sich um eine zulässige prozessuale Gestaltungsklage. Ihr Ziel ist die Beseitigung der Vollstreckbarkeit eines wegen seiner Unbestimmtheit unwirksamen Titels (vgl. BGH 15. Dezember 2003 - II ZR 358/01 - DB 2004, 373, zu II 2 a bb der Gründe; 18. November 1993 - IX ZR 244/92 - BGHZ 124, 164, zu B II 1, 2 der Gründe).
2. Die Arbeitgeberin besitzt das notwendige Rechtsschutzbedürfnis. Die titulierte Unterlassungsverpflichtung ist grundsätzlich vollstreckbar. Der beteiligte Betriebsrat macht aus dem Titel Rechte geltend und betreibt die Vollstreckung. Eine solche droht trotz der von der Arbeitgeberin geltend gemachten Unbestimmtheit des Titels. Dieser Einwand schließt deshalb das Rechtsschutzbedürfnis nicht aus (vgl. BGH 18. November 1993 - IX ZR 244/92 - BGHZ 124, 164, zu B II 2 a der Gründe; MünchKommZPO-Schmidt 2. Aufl. § 767 Rn. 43).
3. Die Arbeitgeberin ist antragsbefugt iSv. § 81 Abs. 1 ArbGG. Im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren ist antragsbefugt, wer mit der Einleitung des Verfahrens eigene Rechte geltend macht, deren Bestehen zumindest möglich erscheint (BAG 19. September 2006 - 1 ABR 53/05 - Rn. 22 mwN, BAGE 119, 279). Die Antragsbefugnis für einen Vollstreckungsabwehrantrag nach § 767 Abs. 1 ZPO (analog) steht jedenfalls dem Vollstreckungsschuldner zu. Dies ist hier die Arbeitgeberin. Zwar ist sie im Vollstreckungstitel nicht genannt. Sie ist jedoch mit Eintragung der Verschmelzung gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwG iVm. § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG Rechtsnachfolgerin der im Titel aufgeführten D W GmbH geworden und macht deshalb die Rechte einer Vollstreckungsschuldnerin geltend.
II. Ob der Antrag der Arbeitgeberin begründet ist, vermag der Senat nicht selbst zu entscheiden. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung kann ihm nicht stattgegeben werden. Für eine abschließende Beurteilung bedarf es weiterer Feststellungen.
1. Die Arbeitgeberin ist Inhaberin des Antragsrechts nach § 767 Abs. 1 ZPO (analog). Inhaber dieses Rechts ist der im Titel genannte Vollstreckungsschuldner oder derjenige, gegen den der Titel auf Schuldnerseite nach § 727 Abs. 1 ZPO nachträglich wirksam wird (Stein/Jonas/Münzberg ZPO 22. Aufl. § 727 Rn. 9). Zwar ist die Arbeitgeberin im Titel nicht genannt und ist dieser nicht gegen sie umgeschrieben. Die Arbeitgeberin ist aber gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG materiell-rechtlich Vollstreckungsschuldnerin geworden. Damit ist eine Titelumschreibung gegen sie jederzeit möglich. Dies ist ausreichend. Einer tatsächlichen Umschreibung bedarf es nicht (vgl. für die Umschreibung auf Gläubigerseite BGH 9. Dezember 1992 - VIII ZR 218/91 - NJW 1993, 1396, zu II 2 b der Gründe).
Die Titelumschreibung scheitert nicht daran, dass eine Rechtsnachfolge in die titulierte Verpflichtung auf Arbeitgeberseite ausgeschlossen wäre, weil der dem Titel vom 17. August 1989 zugrunde liegende Unterlassungsanspruch des Betriebsrats aus § 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG iVm. § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 BetrVG materiell-rechtlich ausschließlich gegenüber der früheren Arbeitgeberin bestünde. Zwar ist Voraussetzung eines auf § 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG gestützten Unterlassungsbegehrens des Betriebsrats, dass der Arbeitgeber in der Vergangenheit grob gegen seine betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten verstoßen hat, und wird teilweise verlangt, dass für die Zukunft eine Wiederholungsgefahr besteht (Oetker GK-BetrVG 8. Aufl. § 23 Rn. 176 mwN; offenlassend BAG 29. Februar 2000 - 1 ABR 4/99 - AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 105 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 69, zu B II 2 b der Gründe). Die entsprechende Unterlassungsverpflichtung des Arbeitgebers hat deshalb Ähnlichkeit mit einer höchstpersönlichen Verpflichtung. Höchstpersönliche Pflichten wiederum gehen grundsätzlich nicht auf einen Rechtsnachfolger über. Zumindest im Fall der Gesamtrechtsnachfolge durch Verschmelzung mittels Aufnahme iSv. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwG hat sich aber der aufnehmende Rechtsträger das Verhalten des auf ihn verschmolzenen Rechtsträgers zurechnen zu lassen. Der übernehmende Rechtsträger tritt nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG in sämtliche Verbindlichkeiten des auf ihn verschmolzenen und erlöschenden Rechtsträgers ein. Zu diesen zählt eine Unterlassungsverpflichtung nach § 23 Abs. 3 BetrVG. Ob dies auch im Fall der Einzelrechtsnachfolge durch Betriebsübergang nach § 613a Abs. 1 BGB gilt, bedurfte keiner Entscheidung.
2. Der Antrag ist nicht nach § 767 Abs. 1 ZPO analog wegen Unwirksamkeit des Vollstreckungstitels begründet. Der Titel ist nicht mangels Bestimmtheit vollstreckungsunfähig. Der Inhalt des Beschlusstenors vom 17. August 1989 ist ausreichend eindeutig, um als Vollstreckungsgrundlage zu dienen. Der Arbeitgeberin wurde aufgegeben, "es zu unterlassen, aus betrieblichem Anlass Arbeit von Arbeitnehmern über die betriebsübliche Zeit hinaus anzuordnen oder entgegenzunehmen", solange nicht der Betriebsrat oder die Einigungsstelle dem zugestimmt hat. Der Arbeitgeberin ist damit hinreichend bekannt, welche Handlungen sie unterlassen muss, um nicht ein Ordnungsgeld zu verwirken.
Auch wenn Uneinigkeit darüber entstehen kann, ob ein betrieblicher Anlass für eine Arbeitsanordnung vorliegt und welches die betriebsüblichen Arbeitszeiten sind, ist der Tenor nicht zu unbestimmt. Zwar dürfen Unklarheiten über den Inhalt einer titulierten Verpflichtung nicht aus dem Erkenntnis- in das Vollstreckungsverfahren verlagert werden (BAG 25. August 2004 - 1 AZB 41/03 - AP BetrVG 1972 § 23 Nr. 41 = EzA ArbGG 1979 § 78 Nr. 7, zu B II 2 c bb der Gründe mwN). Das bedeutet aber nicht, dass das Vollstreckungsgericht der Notwendigkeit enthoben wäre, die möglicherweise schwierige Klärung der Frage herbeizuführen, ob gegen die Unterlassungsverpflichtung aus dem Titel verstoßen wurde. Eine solche - uU umfangreiche -Prüfung durch das Vollstreckungsgericht ist unausweichlich, soll nicht das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 BetrVG wegen der unvermeidbaren Notwendigkeit, abstrakte Begriffe bei der Formulierung des Tenors zu verwenden, der Zwangsvollstreckung und damit der Durchsetzung entzogen sein (BAG 25. August 2004 - 1 AZB 41/03 - aaO). Der Titel ist auch nicht deshalb unbestimmt, weil er nicht nur auf die Unterlassung der Anordnung, sondern auch auf die Unterlassung der Entgegennahme - und damit der Duldung - von außerhalb der betriebsüblichen Arbeitszeit geleisteter Arbeit gerichtet ist (vgl. dazu BAG 29. September 2004 - 1 ABR 29/03 - BAGE 112, 87, zu B I 2 a der Gründe mwN). Der Umstand, dass der Titel ausnahmslos jegliche Anordnung oder Duldung der Überschreitung der betriebsüblichen Arbeitszeit aus betrieblichem Anlass untersagt, macht ihn umfassend, aber entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin nicht unbestimmt.
3. Der Vollstreckungsabwehrantrag ist nicht deshalb begründet, weil der Unterlassungstitel vom 17. August 1989 auf Grund des Zuordnungstarifvertrags vom 21. Dezember 2004 keinen Anwendungsbereich mehr hätte. Allein die Zusammenfassung von Betrieben durch einen Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b BetrVG führt trotz der Fiktion des § 3 Abs. 5 BetrVG nicht zum Verlust der betriebsverfassungsrechtlichen Identität der zusammengefassten Betriebe. Diese werden abgrenzbare Teileinheiten der größeren betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheit, in denen die bei der Zusammenfassung bestehenden Vereinbarungen und (titulierten) Verpflichtungen der Betriebsparteien - beschränkt auf die jeweilige Teileinheit - grundsätzlich weitergelten.
a) Nach § 767 Abs. 1 ZPO ist die Vollstreckung aus einem Titel unzulässig, wenn Einwendungen den durch das Urteil - oder den Beschluss im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren - festgestellten Anspruch selbst betreffen. Ein möglicher Einwand des Arbeitgebers gegen einen titulierten Unterlassungsanspruch des Betriebsrats besteht im Wegfall und Identitätsverlust des Betriebs, für den der Betriebsrat gewählt ist. Gerichtlich festgestellte Unterlassungsverpflichtungen des Arbeitgebers gegenüber dem Betriebsrat sind auf Maßnahmen des Arbeitgebers im betreffenden Betrieb als dem Zuständigkeitsbereich des Betriebsrats beschränkt. Ist dieser Betrieb nicht mehr existent, weil er stillgelegt oder unter Verlust seiner Identität in anderen betrieblichen Strukturen aufgegangen ist, gehen die festgestellten Verpflichtungen des Arbeitgebers mangels Bezugobjekts regelmäßig ins Leere. Damit gehen sie materiell-rechtlich unter und die titulierten Ansprüche des Betriebsrats erlöschen (zum Schicksal von Betriebsvereinbarungen bei Verlust der Betriebsidentität vgl. BAG 18. September 2002 - 1 ABR 54/01 - BAGE 102, 356, zu B III 2 a bb der Gründe mwN).
b) Der Betrieb K, für den der Unterlassungstitel vom 17. August 1989 erstritten wurde und Wirkung entfaltete, ist - wenn er denn bis dahin als der nämliche Betrieb, und sei es unter anderer Bezeichnung, noch bestand - als organisatorische Einheit nicht durch den Zuordnungstarifvertrag vom 21. Dezember 2004 untergegangen. Die bloße Zusammenfassung von Betrieben mit bis dahin eigener Arbeitnehmervertretung zu einer größeren betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheit durch Tarifvertrag iSv. § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b BetrVG lässt die betriebsverfassungsrechtliche Identität der zusammengefassten Einheiten unberührt.
aa) Tatsächliche Veränderungen der bisherigen Betriebsorganisation gehen mit der Zusammenfassung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b BetrVG nicht notwendig einher. Die einseitig vom Arbeitgeber bestimmte Betriebsorganisation wird durch bloßen Abschluss eines Zuordnungstarifvertrags nicht geändert. Die zusammengefassten Organisationseinheiten als solche bestehen vielmehr unverändert fort (DKK-Trümner BetrVG 11. Aufl. § 3 Rn. 27; Fitting BetrVG 24. Aufl. § 3 Rn. 33; Kraft/Franzen GK-BetrVG § 3 Rn. 60). Dies zeigt auch die Vorschrift des § 3 Abs. 4 BetrVG. Danach sind tarifliche Regelungen nach § 3 Abs. 1 BetrVG grundsätzlich erstmals bei der nächsten regulären Betriebsratswahl anzuwenden. Bis dahin bleiben die Betriebsräte in den zusammen-gefassten Betrieben im Amt. Das stünde im Widerspruch zur Vorschrift des § 21a Abs. 2 BetrVG, wenn schon mit dem Zuordnungstarifvertrag selbst Veränderungen der bisherigen Betriebsstruktur verbunden wären.
bb) Dementsprechend bleiben - wenn nicht der Arbeitgeber den Abschluss des Zuordnungstarifvertrags zum Anlass nimmt, durch zusätzliche Maßnahmen die Organisations- und Leitungsstruktur der betroffenen Betriebe auch tatsächlich zu ändern - die tariflich zusammengefassten Betriebe als organisatorisch getrennte Teileinheiten der tariflich geschaffenen größeren Organisationseinheit bestehen. Die Betriebe haben zwar nach der ersten Betriebsratswahl in der neuen Einheit keine eigenständigen Arbeitnehmervertretungen mehr, sie behalten aber ihre Leitungs- und Organisationsstruktur bei. Sie sind organisatorisch klar abgegrenzte Betriebsteile des nach § 3 Abs. 5 BetrVG fingierten Einheitsbetriebs. Damit gehen die zusammengefassten Betriebe allein durch die Zusammenfassung ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Identität nicht verlustig. Feststellungen zur Vornahme tatsächlicher Veränderungen in der betrieblichen Organisations- und Leitungsstruktur aus Anlass der Zusammenfassung, die zum Identitätsverlust hätten führen können, hat das Landesarbeitsgericht nicht getroffen.
cc) Der Fortbestand der betrieblichen Einheiten hat zur Folge, dass die in ihnen geltenden Betriebsvereinbarungen im fingierten Einheitsbetrieb normativ fortwirken. Ihre Geltung ist beschränkt auf den Betriebsteil des Einheitsbetriebs, der ihrem bisherigen Geltungsbereich entspricht (DKK-Trümner § 3 Rn. 151; Kraft/Franzen GK-BetrVG § 3 Rn. 60 mwN). Partei der fortgeltenden Betriebsvereinbarungen auf Arbeitnehmerseite ist nach seiner Wahl der Betriebsrat des Einheitsbetriebs. Er hat es für die verschiedenen Betriebsteile ggf. mit unterschiedlichen Betriebsvereinbarungen zum selben Gegenstand zu tun und kann bei Bedarf die Initiative zur Vereinheitlichung ergreifen.
dd) Der Fortbestand der jeweiligen betriebsverfassungsrechtlichen Identität der zusammengefassten Betriebe hat ferner zur Folge, dass das Bezugsobjekt für eine von den Betriebsparteien erstrittene gerichtliche Entscheidung allein auf Grund der Zusammenfassung der Betriebe nicht entfällt. Beschlüsse im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren können demnach weiterhin Wirkung entfalten, ebenfalls beschränkt auf den betreffenden Betriebsteil des Einheitsbetriebs. Titulierte Ansprüche des Betriebsrats gehen nicht ins Leere. Der Betriebsrat des Einheitsbetriebs als Funktionsnachfolger des ursprünglichen Titelgläubigers kann sie, begrenzt auf den betreffenden Teilbereich und die entsprechende Teilbelegschaft, auch künftig geltend machen.
4. Eine abschließende Entscheidung ist dem Senat nicht möglich. Das Landesarbeitsgericht hat - auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung konsequent - keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Betrieb K möglicherweise schon vor Abschluss des Zuordnungstarifvertrags vom 21. Dezember 2004 durch tatsächliche Maßnahmen aufgelöst worden ist und seine Identität verloren hat. Für eine solche Prüfung besteht nach dem eingeschränkten Amtsermittlungsgrundsatz ein hinreichender Anlass. Aus der Vollstreckungsakte des Arbeitsgerichts Darmstadt (Az.: - 10/7 BV 22/89 -) geht hervor, dass von den Beteiligten schon seit Jahren ein Betrieb "K" nicht mehr erwähnt wird. Ebenso wenig kommt die einstige Betriebsanschrift "L, K" noch vor. Vielmehr wurden im Jahr 2003 Vollstreckungsanträge aus dem Titel vom 17. August 1989 von einem Betriebsrat der D W GmbH mit postalischer Anschrift in R gestellt und erging ein gerichtlicher Beschluss im Jahr 2004 zugunsten eines Betriebsrats mit R Anschrift. In einem an das Vollstreckungsgericht gerichteten Schriftsatz der früheren Arbeitgeberin vom 8. Juli 2004 und einem Schriftsatz von Betriebsratsseite vom 18. Mai 2005 ist stattdessen von einem Betriebsrat mit Anschrift in L die Rede. Sollte dies darauf beruhen, dass die ursprüngliche betriebsverfassungsrechtliche Einheit "Betrieb K" aufgelöst wurde und ihre Identität verloren hat, so wäre dem Antrag der Arbeitgeberin mit einer anderen als der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung stattzugeben. Hat dagegen die ursprüngliche betriebsverfassungsrechtliche Einheit ihre Identität über die Jahre hinweg bis zum Dezember 2004 bewahrt und hat die Arbeitgeberin die entsprechende betriebliche Struktur auch aus Anlass des Zuordnungstarifvertrags vom 21. Dezember 2004 in tatsächlicher Hinsicht nicht geändert, wird der Antrag abzuweisen sein.
Für die Amtliche Sammlung: | ja |
Stichworte: | Vollstreckungsabwehr bei Verlust der Betriebsidentität |
Verfahrensgang: | ArbG Darmstadt, 7 BV 9/05 vom 26.01.2006 Hessisches LAG, 5 TaBV 39/06 vom 05.10.2006 |