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Arbeitsrecht
22.04.2010
Arbeitsrecht
ArbG Berlin: Verwirkung von Sonderkündigungsschutz als Schwerbehinderter

ArbG Berlin , Urteil  vom 03.09.2008 - Aktenzeichen 55 Ca 6593/08
Amtliche Leitsätze: 1. Die Geltendmachung des Sonderkündigungsschutzes als anerkannter Schwerbehinderter kann im Kündigungsschutzprozess eine unzulässige Rechtsausübung darstellen. Dies wird regelmäßig dann angenommen, beruft sich der gekündigte Arbeitnehmer nicht innerhalb einer kurzen Frist (aktuell: drei Wochen ab Zugang der Kündigung, vgl. BAG vom 11.12.2008 - 2 AZR 395/07) gegenüber dem Arbeitgeber auf seine - diesem bislang nicht bekannte - Anerkennung als schwerbehinderter Mensch. § 6 Satz 1 KSchG soll insoweit keine Anwendung finden. 2. Eine solche Verwirkung des Sonderkündigungsschutzes scheidet aus, ist der beklagte Arbeitgeber nicht schutzwürdig. 3. Fehlende Schutzwürdigkeit des Arbeitgebers ist anzunehmen, ist die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers offenkundig (Beispiel: fehlendes Gliedmaß). 4. Fehlende Schutzbedürftigkeit ist aber auch bereits dann anzunehmen, vermag die Anerkennung als schwerbehinderter Mensch den Arbeitgeber nicht zu überraschen. Dies ist regelmäßig dann anzunehmen, verfügt der Arbeitnehmer über eine körperliche Anomalie, die jedermann den Gedanken nahe legt, der Arbeitnehmer könnte als schwerbehinderter Mensch anerkannt sein (hier: ständiges Hinken wegen der Versteifung eines Beines). Die Offenkundigkeit braucht sich daher nicht auch auf einen GdB von wenigstens 50 zu beziehen.
  Amtliche Normenkette: SGB IX § 85;
Tatbestand: 
Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen Kündigung. 
Der am ..... 1977 geborene Kläger ist ausweislich des Ausweises unter dem 17. Juli 1996 (Bl. 19 f d.A) als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 60 anerkannt. Der Kläger leidet an einer neuralen Muskelathrophie, d.h. einer Muskelschwäche, die die Gehfähigkeit des Klägers einschränkt. Sein Gang ist etwas auffällig, wovon sich die Kammer im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 3. September 2008 selbst ein Bild machen konnte. Die Muskelschwäche hat auch zur Folge, dass der Kläger die Zehen nicht anheben kann und somit öfter als andere Menschen stolpert oder hinfällt. 
Der Kläger trat zum 2. April 2001 in ein Arbeitsverhältnis als Mitarbeiter im Call-Center bei der Rechtsvorgängerin des Beklagten. Insgesamt wurde der Kläger im Laufe der Jahre sechsmal durch eine andere Person als Arbeitgeber übernommen, wobei jeweils ein "Übergabe- und Übernahmevertrag" geschlossen wurde. Dies geschah zuletzt unter dem 5. März 2008 (Bl. 14 d.A.), wodurch der Beklagte in das Arbeitsverhältnis einrückte. Gleichzeitig schlossen die Parteien eine Zusatzvereinbarung unter dem 5. März 2008 (Bl. 33 d.A.), in der es wörtlich heißt: 
"Der Angestellte A.T., geb. am .....88, ist ab dem 05.03.08 bei der MCD 81 beschäftigt, jedoch rückwirkend vom 02.04.2001 - 04.03.2008 für die rechtlichen Schritte bei der Firma M. C. B. geltend machen kann". 
Das Arbeitsverhältnis der Parteien begann am 5. März 2008, dem Beklagten war die Eigentümlichkeit des Ganges des Klägers bekannt. Er wies ihn an, darüber gleich mit seinen Kollegen über seine Behinderung zu sprechen, damit das Thema erledigt sei. Den Schwerbehindertenausweis zeigte der Kläger jedenfalls dem Beklagten nicht. - Ausweislich der Entgelt-abrechnungen für Dezember 2007 bis Februar 2008 (Bl. 15 - 17 d.A.) verdiente der Kläger zuletzt ein durchschnittliches Monatsbruttoentgelt in Höhe von 1.360,-- €. 
Ohne dass es zuvor eine Beteiligung des Integrationsamtes gegeben hätte, ging am 9. April 2008 dem Kläger mit Schreiben des Beklagten unter dem 7. April 2008 (Bl. 18 d.A.) die Kündigung des Arbeitsverhältnisses "innerhalb der Probezeit" zum 7. April 2008 zu. Gegen die Rechtswirksamkeit dieser Kündigung wendet sich der Kläger mit seiner am 21. April 2008 bei Gericht eingegangenen Kündigungsschutzklage. Ein Zustellversuch ist am 30. April 2008 gescheitert. Der Mitarbeiter der D. P. AG hat den Beklagten an der in der Klageschrift angegebenen Anschrift für nicht ermittelbar gehalten. Auf einen am 13. Mai 2008 durch das Arbeitsgericht abgesandten Hinweis hin hat der Kläger am 15. Mai 2008 um Zustellung an dieselbe Adresse gebeten, nunmehr jedoch unter Anführung der Firma vor dem Namen des Beklagten anstatt umgekehrt. So ist die Klage dem Beklagten schließlich am 21. Mai 2008 zugestellt worden. 
Der Kläger ist der Meinung, dass der Beklagte so viele Arbeitnehmer beschäftige, dass der Kläger in den Genuss des allgemeinen Kündigungsschutzes komme (Einzelheiten und Namen Bl. 49 d.A.). Kündigungsgründe gebe es nicht. Außerdem scheitere die Kündigung daran, dass vor ihrem Ausspruch das Integrationsamt nicht beteiligt worden ist. Diesbezüglich behauptet der Kläger, bei seiner Bewerbung im Jahre 2001 seinen Schwerbehindertenausweis vorgelegt zu haben. Es sei eine Kopie für den damaligen Arbeitgeber gefertigt und in die Personalakte aufgenommen worden. Die Übertragung des Arbeitsverhältnisses auf die zahlreichen Arbeitgeber sei auch stets deswegen geschehen, um die Schwerbehinderten-Beschäftigungsquote zu erfüllen. Im Ergebnis habe daher auch der Beklagte um die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers gewusst. - Abschließend rügt der Kläger, dass die streitgegenständliche Kündigung die Kündigungsfrist nicht wahre. 
Der Kläger beantragt, 
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten mit Schreiben unter dem 7. April 2008 nicht aufgelöst worden ist. 
Der Beklagte beantragt, 
die Klage abzuweisen. 
Er ist der Meinung, dass es auf Kündigungsgründe nicht ankomme, da dem Kläger der allgemeine Kündigungsschutz nicht zukomme. Hierzu reiche die Anzahl der Beschäftigten bei dem Beklagten nicht hin (Näheres Bl. 53 d.A.). Außerdem habe der Kläger zu spät gegenüber dem Beklagten geltend gemacht, dass er als schwerbehinderter Mensch anerkannt ist. Die Eigenart des Ganges des Klägers sei dem Beklagten durchaus bekannt gewesen. Hieraus folge aber kein Wissen um dessen Anerkennung als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 60. Dieser Umstand sei dem Beklagten nicht bekannt gewesen. Die Geschehnisse im Bewerbungsgespräch von 2001 seien mit Nichtwissen zu bestreiten; die Personalakte sei leer. 
Entscheidungsgründe: 
I. Die Klage ist zulässig. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen folgt aus § 2 Abs.1 Nr. 3. b) ArbGG. 
II. Die Klage ist begründet. Die klägerseits begehrte Feststellung ist zu treffen, denn die streitgegenständiche Kündigung mit Schreiben unter dem 7. April 2008 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst, da sie rechtunwirksam ist. 
Auf diese Frage kommt es an, denn der Kläger hat rechtzeitig im Sinne der §§ 4 Satz 1, 7 KSchG Kündigungsschutzklage erhoben. Diese Normen beanspruchen Geltung, ohne das es hier auf die Anzahl der regelmäßig bei dem Beklagten Beschäftigten - dies folgt aus § 23 Abs. 1 Satz 2,3 KSchG - oder auf die Erfüllung der Wartezeit aus § 1 Abs. 1 KSchG (vgl. BAG vom 28. Juni 2007 - 6 AZR 873/06- AP Nr. 61 zu § 4 KSchG 1969) ankäme. Zwar ist zwischen dem Zugang der Kündigung beim Kläger am 9. April 2008 und der Zustellung der Kündigungsschutzklage am 21. Mai 2008 ein Zeitraum vergangen, der weit länger als drei Wochen ist, jedoch gereicht dies dem Kläger nicht zum Nachteil. Ihm kommt die Vorschrift des § 167 ZPO zu Gute, bei der es für die Fristberechnung nicht auf die Zustellung der Klage bei dem Beklagten sondern auf den Eingang der Klage bei dem Gericht - hier dem 21. April 2008 - ankommt, wenn die Zustellung "demnächst" erfolgt. 
Hier ist die Zustellung "demnächst" nicht zu verneinen, obwohl zwischen Anhängigkeit bei Gericht und Zustellung bei dem Beklagten exakt ein Monat verging. Die Störung bei der Zustellung stammt aus der Sphäre der D. P. AG und ist somit dem Kläger nicht zurechenbar. Die Behandlung der Sache durch das Arbeitsgericht entsprach dem gewöhnlichen Geschäftsgang. Der Kläger teilte bereits zwei Tage nach Abladung vom Gütetermin wegen Unzustellbarkeit der Klage dem Arbeitsgericht mit, dass die Anschrift des Beklagten die zutreffende sei, es sich jedoch empfehle, die Reihenfolge von Name und Firma des Beklagten umzukehren. Weshalb es der Mitarbeiter der D. P. AG nicht vollbrachte, die Klage zuzustellen, als der Name der Firma voran ging bleibt nicht nachvollziehbar, gelang die Zustellung doch, als der Name der Firma nachfolgte. Jedenfalls sind keine Versäumnisse des Klägers erkennbar, die es geböten, ihn von der Rechtsfolge des § 167 ZPO auszuschließen. 
1. Die streitgegenständliche Kündigung ist nach § 134 BGB nichtig, denn sie verstößt gegen § 85 SGB IX. Dies gölte nach § 91 Abs. 1 SGB IX auch für den Fall, wollte man die Kündigung nicht als ordentliche, sondern als außerordentliche begreifen. 
Der Kläger ist seit dem 17. Juli 1996 als schwerbehinderter Mensch im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGB IX anerkannt. Zuwider § 85 SGB IX stimmte das Integrationsamt der Kündigung nicht vor deren Ausspruch zu, da es durch den Beklagten überhaupt nicht beteiligt wurde. Rechtsfolge ist die Gesetzeswidrigkeit und somit Nichtigkeit der Kündigung. Ausnahmevorschriften und Ausnahmen hierzu greifen nicht ein. 
a) Der Kläger ist nicht vom persönlichen Geltungsbereich in § 85 SGB IX gem. § 90 Abs. 1 Nr. 1. SGB IX ausgenommen. Das Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten bestand zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung zwar kürzer als sechs Monate, jedoch gilt es als ein Arbeitsverhältnis, welches zwischen den Parteien bereits seit dem 2. April 2001 besteht. 
Durch die Reihe von Arbeitgeberwechseln verlor das Arbeitsverhältnis nicht seine Einheitlichkeit, sondern es wurde durch die eingereichten "Übergabe- und Übernahmeverträge" jeweils klargestellt, dass nicht neue Arbeitsverträge begründet, sondern nur neue Arbeitgeber in das stets ansonsten gleich bleibende Arbeitsverhältnis eintreten. Dies ist zwischen den Parteien auch nicht weiter umstritten. 
Auf die Zusatzvereinbarung unter dem 5. März 2008 ist der Beklagte trotz entsprechender Beauflagung das Gericht nicht zurückgekommen. Dieser Vertrag der Parteien ist aus sich heraus schwer verständlich und bedürfte der Auslegung. Eine Auslegung kann nicht ergeben, dass die Parteien ein neues, mit den Vor-Arbeitsverhältnissen mit anderen Arbeitgebern nicht im Zusammenhang stehendes Arbeitsverhältnis begründen wollten, denn dies stünde im unüberbrückbaren Widerspruch zu dem "Übergabe- und Übernahmevertrag" den die Parteien sowie ein Herr B. B. an demselben Tag geschlossen haben und in dem es unzweideutig heißt, dass der Beklagte den bestehenden Arbeitsvertrag zwischen den Kläger und Herrn B. übernimmt. Im Übrigen ist der Zusatzvertrag unter dem 5. März 2008 so unklar, dass er einer Inhaltskontrolle nicht standhält, § 307 Abs. 1 BGB. Da er von dem Beklagten vorbereitet und vorgelegt sein dürfte, handelt es sich bei ihm auch bei einmaliger Verwendung um eine allgemeine Geschäftsbedingung, § 310 Abs. 3 Nr. 2. BGB. 
b) Die Ausnahmevorschrift des § 90 Abs. 2 a SGB IX kommt nicht in Betracht. Die Eigenschaft des Klägers als schwerbehinderter Mensch ist bereits seit dem 17. Juli 1996 nachgewiesen. 
c) Die Geltendmachung des besonderen Kündigungsschutzes als schwerbehinderter Mensch stellt auch keine unzulässige Rechtsausübung durch den Kläger dar. 
Wegen der möglichen Sachlage, das ein Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber niemals von seiner Anerkennung als schwerbehinderter Mensch informiert hatte, besteht für jeden Arbeitgeber nach Ausspruch einer Kündigung die Gefahr, das der Kläger nunmehr auf seine Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch und somit auf den Sonderkündigungsschutz hinweist. Die Kündigung wäre dann wegen fehlender vorheriger Beteiligung des Integrationsamtes zwingend rechtsunwirksam. In Ansehung dessen ist durch langjährige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entwickelt worden, das der Arbeitnehmer unabhängig von jeder Kündigungsschutzklage den Arbeitgeber innerhalb einer Frist von vier Wochen nach Kündigungszugang von der Schwerbehinderteneigenschaft und dem Sonderkündigungsschutz zu unterrichten habe, widrigenfalls das Argument des Sonderkündigungsschutzes prozessual nicht mehr verwertbar sei (vgl. BAG vom 7. März 2002 - 2 AZR 612/00 - BAGE 100, 355). An dieser Rechtsprechung hat das Bundesarbeitsgericht auch nach Schaffung des SGB IX festgehalten (BAG v. 20.1.2005 - 2 AZR 675/03 - AP Nr. 1 zu § 85 SGB IX, unter II. 3. a) der Gründe). 
Ob eine solche zeitliche Begrenzung der Geltendmachung des besonderen Kündigungsschutzes widerspruchsfrei möglich ist, erscheint durchaus als zweifelhaft. § 90 Abs. 2 a SGB IX baut in gewissem Maße der "Überraschung" des Arbeitgebers von der Schwerbehinderteneigenschaft seines Arbeitnehmers vor. § 9 Abs.1 Satz 1 MSchG sieht eine Frist von zwei Wochen für die Geltendmachung des besonderen Kündigungsschutzes vor, ordnet jedoch zugleich an, dass dessen Verwirkung ausfällt, hat die Schwangere die Fristversäumnis nicht zu vertreten. Insbesondere folgt aber aus § 4 Satz 1, 6 Satz 1und 2 KSchG n.F., dass der Arbeitnehmer grundsätzlich jedes Sachargument gegen die Rechtswirksamkeit einer Kündigung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz in den Prozess einführen kann, hat er denn binnen der Drei-Wochen-Frist die Kündigungsschutzklage überhaupt erhoben. Versäumt das Arbeitsgericht die Hinweispflicht aus § 6 Satz 2 KSchG, entfällt sogar diese Beschränkung. Es ist schwer einzusehen, dass dem Arbeitnehmer die Berufung auf seine Schwerbehinderteneigenschaft schon zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt abgeschnitten sein soll, obwohl dies nicht gesetzlich angeordnet ist und der besondere Kündigungsschutz ein Kernstück des auch europarechtlich verankerten besonderen Schutzes für schwerbehinderte Menschen ist. Wie der vorliegende Fall zeigt, kann die Monatsfrist auch dann versäumt sein, wird das Argument bereits mit der Kündigungsschutzklage angezogen, weil die Kündigungsschutzklage zu spät zugestellt wird. 
Aus alledem folgt zumindest, dass die Verwirkung des Sonderkündigungsschutzes schwerbehinderter Menschen die Ausnahme bleiben muss. Es muss ein besonderes Schutzbedürfnis des Arbeitsgebers vorliegen. Zu Recht wird dieses verneint, wenn die Schwerbehinderung für den Arbeitgeber offensichtlich ist (BAG vom 20. Januar 2005 - 2 AZR 675/03, AP Nr. 1 zu § 85 SGB IX, unter II 3 b der Gründe). Gleiches gilt, wenn der Arbeitnehmer den Arbeitgeber über seine körperliche Beeinträchtigung sowie seine Absicht, einen Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch zu stellen, informiert hatte (BAG ebenda). Es gilt aber auch im vorliegenden Fall. Hier war dem Beklagten die körperliche Beeinträchtigung des Klägers bekannt, denn der Gang des Klägers weist Eigentümlichkeiten auf, die auch dem Laien - so der erkennenden Kammer - auffallen. Dem Beklagten ist zuzugeben, dass hieraus nicht sicher darauf zu schließen ist, dass der Kläger als schwerbehinderter Mensch - und zwar mit einem Grad der Behinderung von 60 - anerkannt ist. Hierauf kommt es jedoch nicht an. Es kommt vielmehr darauf an, ob die Schwerbehinderten-eigenschaft des Klägers für den Beklagten nunmehr - d.h. zum Zeitpunkt der Zustellung der vorliegenden Klage - eine Überraschung darstellt oder nicht. Nur dann könnte das Anziehen des Argumentes durch den Kläger eine unzulässige Rechtsausübung sein. In Ansehung des Wissens um die körperliche Beeinträchtigung und der Aufforderung, mit den Kollegen darüber zu sprechen, damit das Thema erledigt sei, ist dem Beklagten indessen ein Überraschungsmoment von Rechts wegen nicht mehr zuzuerkennen. Objektiv hätte dem Beklagten der Gedanke kommen müssen, der Kläger könnte Schwerbehinderter sein. Dies muss im hiesigen Zusammenhang genügen, eine Präklusion des Argumentes auszuschließen und dem besonderen Schutz der Schwerbehinderten die gebotene Durchschlagskraft zu verleihen. 
Wird somit der Sonderkündigungsschutz als rechtzeitig vorgebracht, so haben eine Reihe von Fragen dahinzustehen. Es braucht nicht mehr geklärt zu werden, ob der Beklagte nicht nur über die körperliche Einschränkung des Klägers, sondern auch über dessen Anerkennung als schwer-behinderter Mensch von Anbeginn an aufgeklärt war. Den Fragen des Inhaltes der Personalakte und der Einhaltung einer Schwerbehinderten-Beschäftigungsquote braucht nicht mehr nachgegangen zu werden. Schließlich braucht nicht geklärt zu werden, ob es dem Beklagten nach § 138 Abs. 4 ZPO überhaupt offen steht, den Geschehensablauf bei Einstellung des Klägers mit Nichtwissen zu bestreiten, nachdem er in das damals begründete Arbeitsverhältnis eingetreten ist. 
2. Dahinzustehen hat die Frage, ob die streitgegenständliche Kündigung auch sozialwidrig nach § 1 Abs. 1 KSchG ist. Kündigungsgründe im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG hat der Beklagte nicht vorgetragen, jedoch ist nicht abschließend geklärt, ob der Anwendungsbereich von § 1 Abs. 1 KSchG eröffnet ist oder es an den betrieblichen Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Satz 2 u. 3 KSchG fehlt. 
Schließlich muss nicht gefragt werden, was die zutreffende Kündigungsfrist wäre. Es deutet sich jedoch an, dass diese bis zum 30. Juni 2008 liefe, da der Beklagte während einer (nicht existenten) Probezeit - also ordentlich - kündigte und das Arbeitsverhältnis seit dem 2. April 2001 besteht. 
III. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen, denn er ist in vollem Umfang unterlegen, § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. 
IV. Der Wert der Beschwer des Beklagten durch dieses Urteil ist gem. § 61 Abs. 1 ArbGG, 3 ff. ZPO festzusetzen. Die Festsetzung erfolgt hier in Anlehnung an § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG auf drei monatliche Bruttoentgelte des Klägers. 
 

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