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Arbeitsrecht
17.08.2012
Arbeitsrecht
BAG: Urlaubsabgeltung im bestehenden Arbeitsverhältnis

BAG , Urteil  vom 20.04.2012 - Aktenzeichen 9 AZR 504/10 (Vorinstanz: LAG Frankfurt/Main vom 11.05.2010 - Aktenzeichen 13 Sa 1991/09; ) (Vorinstanz: ArbG Gießen vom 08.10.2009 - Aktenzeichen 1 Ca 287/09; )
Amtliche Leitsätze: Orientierungssätze: 1. Im bestehenden Arbeitsverhältnis besteht kein Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs. Das gilt grundsätzlich auch für tariflichen Mehrurlaub, sofern die Tarifvertragsparteien nichts anderes vereinbart haben. 2. Der vom Arbeitgeber geschuldete Schadensersatz bei Verfall des vom Arbeitnehmer rechtzeitig beantragten Urlaubs ist im bestehenden Arbeitsverhältnis nicht auf eine Entschädigung in Geld, sondern auf die Gewährung von Ersatzurlaub als Naturalrestitution gerichtet. 3. Soweit tarifliche Ausschlussfristen alle "gegenseitigen Ansprüche" aus dem Arbeitsverhältnis erfassen, unterfallen ihnen regelmäßig nicht nur synallagmatische Ansprüche, sondern alle Ansprüche des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers und damit auch die Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, die wie der Urlaubsanspruch nicht von einer Gegenleistung abhängen. 4. Knüpfen die Tarifvertragsparteien den Anspruch auf Urlaubsgeld, das für jeden Urlaubstag zu zahlen ist, an den Antritt des Urlaubs, verfällt der Anspruch auf Urlaubsgeld aufgrund dieser Akzessorietät mit dem Verfall des Urlaubs. 5. Eine zeitdynamische Bezugnahme auf den jeweils aktuellen Tarifvertrag setzt nicht zwingend voraus, dass der Arbeitsvertrag eine sog. Jeweiligkeitsklausel enthält. Redaktionelle Leitsätze: 1. Enthält der Wortlaut des Arbeitsvertrags keine Anhaltspunkte für eine statische Verweisung in dem Sinne, dass ein bestimmter Tarifvertrag in einer bestimmten Fassung gelten soll und wird das in Bezug genommene Tarifwerk nur allgemein als abgeschlossener Tarifvertrag bezeichnet, führt die Vertragsauslegung dazu, dass es sich bei einer Verweisungsklausel um eine (konstitutive) zeitdynamische Bezugnahme handelt. 2. a) § 7 Abs. 4 BUrlG erlaubt eine Abgeltung nicht gewährten Urlaubs nur bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses. § 11 Abschn. I Nr. 6 MTV 2003 regelte - insoweit wortgleich mit § 8 Abschn. I Nr. 6 MTV 2007 - nichts anderes. b) Hat der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer rechtzeitig verlangten Urlaub nicht gewährt, wandelt sich der im Verzugszeitraum verfallene Urlaubsanspruch in einen auf Gewährung von Ersatzurlaub als Naturalrestitution gerichteten Schadensersatzanspruch um. c) Der Arbeitgeber schuldet nach § 251 BGB nur dann Schadensersatz in Geld, wenn die Gewährung von Ersatzurlaub wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses unmöglich geworden ist. 3. a) Zum schlüssigen Vortrag der Begründetheit einer Klageforderung, die tariflichen Ausschlussfristen unterliegt, gehört die Darlegung der fristgerechten Geltendmachung; Unterbleibt dieser Vortrag, ist die Klage unschlüssig. b) Die Einhaltung der tariflichen Ausschlussfristen durch rechtzeitige Geltendmachung ist eine materiell-rechtliche Voraussetzung für den Fortbestand des behaupteten Anspruchs, wobei es nicht erforderlich ist, dass sich der Prozessgegner auf die Verfallfristen beruft.
  Amtliche Normenkette: BGB § 251; BGB § 305c Abs. 2; BGB § 307 Abs. 1 S. 2; BUrlG § 7 Abs. 3; BUrlG § 7 Abs. 4; TVG § 4 Abs. 5; TVG § 5 Abs. 4; Manteltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Hessen ( MTV 2003 vom 3. Februar 2003) § 10; Manteltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Hessen ( MTV 2003 vom 3. Februar 2003) § 11; Manteltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Hessen ( MTV 2003 vom 3. Februar 2003) § 15; Manteltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Hessen ( MTV 2003 vom 3. Februar 2003) § 21; Entgelttarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Hessen (EntgeltTV 2007 vom 14. Juni 2007) § 7; Manteltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Hessen ( MTV 2007 vom 14. Juni 2007) § 7;
Tatbestand: 
Die Parteien streiten über tarifliches Urlaubsgeld, den Umfang des Urlaubsanspruchs für das Jahr 2008 sowie über die Höhe des Zuschlags für am Ostersonntag 2009 geleistete Arbeit. RN 1
Die Beklagte ist ein Unternehmen des Wach- und Sicherheitsgewerbes. Sie bewacht vor allem Kasernen und sonstige Objekte der amerikanischen Streitkräfte. Die Klägerin ist bei ihr aufgrund eines schriftlichen Arbeitsvertrags vom 16. Juni 2003 als Sicherheitsmitarbeiterin im Wachdienst beschäftigt und in einem Objekt in G eingesetzt. Im Arbeitsvertrag heißt es ua.: RN 2
"§ 1 Firma P GmbH ist Mitglied des Bundesverbandes deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen e. V. Dieser Arbeitsvertrag unterliegt dem zwischen o. g. Verband und der Gewerkschaft ver.di Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Hessen für das Bundesland Hessen abgeschlossenen Tarifvertrag. 
... 
§ 4 Der Arbeitnehmer erhält eine Vergütung von € 8,21 in der Stunde. Aufgrund der Tätigkeit wird zusätzlich eine freiwillige, jederzeit widerrufliche Zulage von € 0,12 pro Stunde gezahlt. Die Zahlung weiterer Zulagen erfolgt gemäß den Bestimmungen des gültigen Landestarifvertrages. 
§ 4.1 Der Arbeitnehmer erhält 34 Kalendertage Urlaub gemäß den Bestimmungen des gültigen Landestarifvertrages. 
§ 4.2 Als Urlaubsgeld wird gemäß Tarifvertrag für jeden Urlaubstag € 7,50 gezahlt. 
... 
§ 7 Auf übertarifliche Verdienstbestandteile sind tariflich festgelegte Entgelterhöhungen - unabhängig von deren Grund und Art - ganz oder teilweise anrechenbar, sofern tarifvertraglich keine andere Vereinbarung besteht." 
Der mit Wirkung zum 28. Juni 2003 für den Bereich des Landes Hessen für allgemeinverbindlich erklärte Manteltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Hessen vom 3. Februar 2003 ( MTV 2003) regelte ua.: RN 3
"§ 10 
Zeitzuschläge 
... 
6. Für Arbeit an gesetzlichen Feiertagen, auch wenn diese auf einen Sonntag fallen, sowie am Ostersonntag, Pfingstsonntag in der Zeit von 00:00 bis 24:00 Uhr 100 % pro Stunde. 
... 
§ 11 
Urlaubsanspruch 
I. Allgemeine Bestimmungen 
1. Jeder Arbeitnehmer hat im Kalenderjahr Anspruch auf Urlaub unter Fortzahlung seiner Bezüge. Der Urlaub wird auf der Basis von vollen Kalendertagen (00:00 bis 24:00 Uhr) gewährt. Das Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr. 
... 
6. Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so ist er abzugelten. 
... 
8. ... Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder dringende, in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. ... 
... 
14. Im Übrigen gelten die gesetzlichen Bestimmungen. 
II. Höhe des Urlaubsanspruches 
1. Der Grundurlaub für Arbeitnehmer beträgt 
ab 01.01.2003  34 Kalendertage 
ab 01.01.2005  35 Kalendertage. 
2. Neben dem Grundurlaub erhält jeder Arbeitnehmer nach einer Betriebszugehörigkeit von 
    
mehr als 2 Jahren  1 Kalendertag Zusatzurlaub, 
mehr als 4 Jahren  2 Kalendertage Zusatzurlaub, 
mehr als 6 Jahren  4 Kalendertage Zusatzurlaub, 
mehr als 8 Jahren  7 Kalendertage Zusatzurlaub. 
Der Zusatzurlaub im Rahmen der o. g. Betriebszugehörigkeitsdauer wird in dem Urlaubsjahr gewährt, in dem der Arbeitnehmer seine jeweilige Betriebszugehörigkeit vollendet hat. Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr. 
... 
§ 15 
Urlaubsgeld 
1. Die Arbeitnehmer erhalten in jedem Kalenderjahr ein Urlaubsgeld. 
2. Das Urlaubsgeld beträgt für jeden Urlaubstag € 7,50. 
Bei finanzieller Urlaubsabgeltung entfällt die Verpflichtung zur Zahlung des Urlaubsgeldes. 
Diese Regelung gilt nicht, wenn der Arbeitnehmer bis zum tatsächlichen Ausscheiden den Urlaub aus betriebsbedingten Gründen nicht nehmen konnte. 
... 
3. Auf Wunsch des Arbeitnehmers ist das Urlaubsgeld für den beantragten Urlaubszeitraum vor Urlaubsantritt auszuzahlen. 
... 
§ 21 
Erlöschen von Ansprüchen 
1. Alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und soweit sie mit dem Arbeitsverhältnis im Zusammenhang stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von 2 Monaten nach Fälligkeit schriftlich gegenüber der Gegenpartei geltend gemacht werden. 
..." 
Am 1. Juli 2007 trat der bis zum 30. Juni 2009 für allgemeinverbindlich erklärte Entgelttarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Hessen vom 14. Juni 2007 in Kraft (EntgeltTV 2007). Dieser Tarifvertrag enthielt im Vergleich zum Lohn- und Gehaltstarifvertrag vom 31. März 2005 höhere Stundensätze und regelte in § 7 Nr. 1 ua., dass sämtliche gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis beiderseits drei Monate nach Fälligkeit erlöschen, sofern sie nicht vorher unter Angabe der Gründe schriftlich geltend gemacht worden sind. Nach § 8 Abschn. II Nr. 1 des ebenfalls am 1. Juli 2007 in Kraft getretenen Manteltarifvertrags für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Hessen vom 14. Juni 2007 ( MTV 2007) beträgt der Grundurlaub nicht mehr 35, sondern nur noch 32 Kalendertage. Zusätzliche Urlaubstage werden gemäß § 8 Abschn. II Nr. 2 MTV 2007 erst nach einer im Vergleich zur Regelung in § 11 Abschn. II Nr. 2 MTV 2003 längeren Betriebszugehörigkeit gewährt. Die Zahlung von Urlaubsgeld ist im MTV 2007 nicht vorgesehen. Nach § 7 Nr. 4 MTV 2007 beträgt der Zuschlag für Arbeit am Ostersonntag nur noch 25 %. Die Ausschlussfristenregelung in § 13 MTV 2007 entspricht der in § 7 EntgeltTV 2007. Gemäß § 14 Nr. 2 MTV 2007 traten mit dem Inkrafttreten dieses Tarifvertrags der MTV 2003 sowie eventuelle Anhänge oder Protokollnotizen außer Kraft. Nach der Protokollnotiz 1 zum MTV 2007 waren sich die Tarifvertragsparteien ua. einig, dass § 11 Abschn. II und § 15 MTV 2003 bis zum 31. Dezember 2007 weitergelten und § 8 Abschn. II MTV 2007 bis zum 31. Dezember 2007 keine Anwendung findet. RN 4
Die Beklagte gewährte der Klägerin im Jahr 2008 36 Kalendertage Urlaub. Mit Schreiben vom 2. März 2009 verlangte die Klägerin erfolglos die Gewährung von drei weiteren Urlaubstagen am 22., 26. und am 27. März 2009. Für die von der Klägerin am Ostersonntag 2009 zwischen 0:00 und 6:00 Uhr geleistete Arbeit zahlte die Beklagte einen Zuschlag von 25 %. RN 5
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, der Arbeitsvertrag nenne ausdrücklich das von der Beklagten zu zahlende Urlaubsgeld sowie die Anzahl der zu gewährenden Urlaubstage, sodass ihr das beanspruchte Urlaubsgeld und die verlangte Entschädigung für drei nicht gewährte Urlaubstage zustünden. Der Arbeitsvertrag verweise statisch auf den MTV 2003, sodass der Zeitzuschlag für die von ihr am Ostersonntag 2009 geleistete Arbeit nicht 25 %, sondern 100 % betrage. Jedenfalls seien die Verweisungsklauseln im Arbeitsvertrag unklar und intransparent und benachteiligten sie unangemessen. Im Übrigen folgten ihre Ansprüche auch aus einer betrieblichen Übung. Die tariflichen Ausschlussfristen erfassten nur gegenseitige Ansprüche und hätten ihren Anspruch auf Urlaubsgeld und ihren weitergehenden Urlaubsanspruch nicht berührt, weil diese Ansprüche nicht von einer Gegenleistung abhängig gewesen seien, sondern nur das Bestehen des Arbeitsverhältnisses vorausgesetzt hätten. RN 6
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, RN 7
1. an sie 292,50 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14. Mai 2009 zu zahlen, 
2. ihr weitere 298,99 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14. Mai 2009 zu zahlen, 
3. ihr weitere 74,67 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16. Mai 2009 zu zahlen. 
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, im Arbeitsvertrag sei die jeweils aktuelle Fassung der Tarifverträge in Bezug genommen worden. Dies zeige die Hervorhebung ihrer Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband. Die auf die Urlaubstage und das Urlaubsgeld bezogenen Angaben seien deklaratorischer Natur und gäben nur den bei Vertragsschluss aktuellen tariflichen Status quo wieder. Den von ihr beanspruchten Zuschlag iHv. 100 % für die Arbeit am Ostersonntag 2009 habe die Klägerin falsch berechnet. Im Übrigen stehe dieser nach § 7 Nr. 4 MTV 2007 nur noch der gezahlte Sonntagszuschlag iHv. 25 % zu. RN 8
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der im Tenor des Berufungsurteils zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

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