BAG: Unverzügliche Zurückweisung einer Kündigungserklärung bei fehlender Vollmacht
BAG , Urteil vom 08.12.2011 - Aktenzeichen 6 AZR 354/10 (Vorinstanz: LAG Baden-Württemberg vom 10.02.2010 - Aktenzeichen 13 Sa 68/09; ) (Vorinstanz: ArbG Mannheim vom 10.09.2009 - Aktenzeichen 2 Ca 70/09; ) | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Amtliche Leitsätze: Die Zurückweisung einer Kündigungserklärung ist ohne das Vorliegen besonderer Umstände des Einzelfalls nicht mehr unverzüglich iSd. § 174 Satz 1 BGB, wenn sie später als eine Woche nach der tatsächlichen Kenntnis des Empfängers von der Kündigung und der fehlenden Vorlegung der Vollmachtsurkunde erfolgt. Orientierungssätze: 1. Eine gegenüber einem nach § 106 BGB in seiner Geschäftsfähigkeit beschränkten Minderjährigen abgegebene schriftliche Willenserklärung geht zu und wird gem. § 131 Abs. 2 Satz 1 BGB wirksam, wenn sie mit dem erkennbaren Willen abgegeben worden ist, dass sie den gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen erreicht, und wenn sie tatsächlich in den Herrschaftsbereich des Vertreters gelangt. 2. Deshalb geht ein entsprechendes Kündigungsschreiben, das am Morgen des letzten Tages der Probezeit des Ausbildungsverhältnisses durch Boten in den gemeinsamen Hausbriefkasten des minderjährigen Auszubildenden und seiner ihn gesetzlich vertretenden Eltern geworfen wird, noch an diesem Tag zu. 3. Wird ein Kündigungsschreiben an den Auszubildenden, gesetzlich vertreten durch seine Eltern, adressiert, lässt dies den Willen des Ausbildenden, dass das Kündigungsschreiben die Eltern des Minderjährigen als dessen gesetzliche Vertreter erreichen soll, noch hinreichend erkennen. Der Ausbildende trägt allerdings bei einer solchen Adressierung das Risiko, dass bei postalischer Übermittlung die Zusteller ein solches Schreiben in einen eventuell vorhandenen eigenen Briefkasten des Minderjährigen einwerfen. Will der Ausbildende dieses Risiko vermeiden, muss er das Kündigungsschreiben an die Eltern als gesetzliche Vertreter des Auszubildenden adressieren. 4. Auch das Zurückweisungsschreiben nach § 174 BGB ist ein einseitiges Rechtsgeschäft iSd. § 174 BGB. Liegt diesem Schreiben keine Originalvollmacht bei, kann die Zurückweisungserklärung vom Kündigenden nach § 174 Satz 1 BGB zurückgewiesen werden. 5. Die Zurückweisung einer Kündigungserklärung ist nach einer Zeitspanne von mehr als einer Woche ohne das Vorliegen besonderer Umstände des Einzelfalls nicht mehr unverzüglich iSd. § 174 Satz 1 BGB. Die Frist beginnt mit der tatsächlichen Kenntnis des Empfängers von der Kündigung und der fehlenden Vorlegung der Vollmachtsurkunde. Da die Rüge des § 174 BGB keinerlei Nachforschungen über die wirklichen Vertretungs- und Vollmachtsverhältnisse und auch keinen schwierigen Abwägungsprozess erfordert, sondern rein formal und routinemäßig lediglich an das Fehlen der Vollmachtsurkunde knüpft, ist eine Zeitspanne von einer Woche unter normalen Umständen ausreichend, um die Entscheidung über die Zurückweisung zu treffen. 6. Eine im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren erhobene Gehörsrüge ist nach ihrer Inbezugnahme in der Revisionsbegründung im Revisionsverfahren auch dann als Verfahrensrüge zu behandeln, wenn die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung und nicht wegen des gerügten Gehörsverstoßes oder überhaupt wegen eines Gehörsverstoßes erfolgt ist. 7. Die Kündigung eines mit einem Minderjährigen bestehenden Ausbildungsverhältnisses während der Probezeit ist nicht schon deshalb wegen eines Verstoßes gegen Treu und Glauben unwirksam, weil der Ausbildende zuvor kein klärendes Gespräch mit den erziehungsberechtigten Eltern geführt hat. | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Redaktionelle Normenkette: BGB § 106; BGB § 131 Abs. 2; BGB § 174 S. 1; BAG-Pressemitteilung Nr. 91/11
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