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Arbeitsrecht
16.01.2008
Arbeitsrecht
: Unterlassungsanspruch bei Betriebsänderung

LAG Hamm, Beschluss vom 30.7.2007 - 10 TaBVGa 17/07

sachverhalt: A. Der antragstellende Betriebsrat begehrt im Wege der einstweiligen Verfügung von der Arbeitgeberin die Unterlassung einer aus seiner Sicht bevorstehenden Betriebsänderung bis zum Abschluss oder Scheitern eines Interessenausgleichs.

Die Arbeitgeberin, ein Unternehmen mit bundesweit 74 Einzelhandelsfilialen, betreibt unter anderem ein Warenhaus in L1. Dort besteht ein Betriebsrat, der Antragsteller im vorliegenden Verfahren.

In L1 sind 37 Arbeitnehmer beschäftigt, die bislang neben Verkaufs- und Kassieraufgaben auch Warenservicetätigkeiten (z.B. Auspacken, Auffüllen von Ware) wahrnehmen.

Nach einem Beschluss der Arbeitgeberin im Sommer 2006 wurde dem im Unternehmen bestehenden Gesamtbetriebsrat (Beteiligter zu 3.) am 04.08.2006 für sämtliche Filialen ein Konzept zur Trennung der Tätigkeiten in die Bereiche Verkauf/Kasse einerseits und Warenservice andererseits vorgestellt. Für letzteren Bereich sollte ein sogenanntes Warenteam unter der Leitung eines Teamleiters Warenservice geschaffen werden.

In der Folgezeit kam es am 09.11.2006 zum Abschluss einer Gesamtbetriebsvereinbarung, nach deren Ziffer 1 die Verkaufsmitarbeiter zukünftig schwerpunktmäßig für reine Verkaufstätigkeiten und die Warenservicemitarbeiter überwiegend für logistische und administrative Aufgaben eingesetzt werden sollten. Unter Ziffer 5 einigte man sich auf die Durchführung einer dreimonatigen Testphase. In zwei ausgesuchten Filialen wurde eine personelle Funktionstrennung zwischen den Bereichen Verkauf und Warenservice vorgenommen (sog. Testmodell 1), während in der dritten (kleineren) Filiale der Test ohne die Funktionstrennung erfolgte (sog. Testmodell 2). Wegen des weiteren Inhalts der Gesamtbetriebsvereinbarung wird verwiesen auf die mit Antragsschriftsatz vom 19.07.2007 eingereichte Kopie (Bl. 25 ff.d.A.).

Anschließend schloss man am 13.02.2007 eine "Ergänzungsvereinbarung", in der unter Ziffer 1 festgestellt wurde, dass sich beide Testmodelle bewährt haben. Abhängig von der Größe der Filiale und der dort gegebenen Personaldichte ordnete man 13 Filialen dem Testmodell 2 zu. In den übrigen Filialen, darunter L1, soll das Testmodell 1 umgesetzt werden, und zwar in L1 zum 01.08.2007.

Nachdem der Betriebsrat mit Schreiben vom 27.06.2007 die Arbeitgeberin vergeblich aufgefordert hatte, unter anderem Interessenausgleichsverhandlungen aufzunehmen, leitete er am 19.07.2007 das einstweilige Verfügungsverfahren ein.

Er hat die Auffassung vertreten, es handele sich bei der beabsichtigten Umsetzung des Organisationskonzepts um eine Betriebsänderung. Sie dürfe solange nicht realisiert werden, bis die mit ihm zu führenden Interessenausgleichsverhandlungen erfolgreich abgeschlossen oder endgültig gescheitert seien.

Der Betriebsrat hat beantragt,

1. der Antragsgegnerin zu untersagen,

a) die Bereiche Verkauf/Kasse und Warenservice organisatorisch zu trennen und die Arbeitnehmer in ein Warenteam und ein Kundenteam aufzuteilen,

b) Arbeitnehmer auf Arbeitsplätze im Bereich Warenservice zu versetzen,

solange mit dem Betriebsrat kein Interessenausgleich zustande gekommen ist oder die Verhandlungen über einen Interessenausgleich endgültig, gegebenenfalls in der Einigungsstelle gescheitert sind,

2. der Antragsgegnerin wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen ihre Verpflichtungen aus Ziffer 1 a) und b) ein Ordnungsgeld in Höhe von 100.000,-- € angedroht.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Sie hat die Meinung vertreten, es bestehe angesichts der beim Betriebsrat spätestens seit Mitte Februar 2007 bereits vorhandenen Kenntnisse über das umzusetzende Personalkonzept kein Verfügungsgrund.

Davon abgesehen gebe es keine Rechtsgrundlage für einen Verfügungsanspruch. Die für die Filiale L1 vorgesehene personelle Funktionstrennung sei auch keine Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG. In jedem Fall sei der Betriebsrat aber wegen der unternehmensweiten Neuausrichtung unzuständig; es bestehe eine originäre Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 25.07.2007 den Antrag zurückgewiesen. Gegen diese noch nicht begründete Entscheidung des Arbeitsgerichts hat der Betriebsrat am 27.07.2007 Beschwerde eingelegt und diese zugleich auch begründet.

Unter Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens beantragt der Betriebsrat,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Detmold vom 25.07.2007 - 2 BVGa 27/07 - abzuändern und der Arbeitgeberin unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 10.000,00 € für den Fall der Zuwiderhandlung aufzugeben, die zum 01.08.07 geplante personelle Funktionstrennung zwischen Mitarbeitern im Verkauf/Kasse (Kundenteam) und im Warenservice (Warenteam) in der Filiale L1 solange zu unterlassen, bis der zwischen Betriebsrat und Arbeitgeberin zu versuchende Interessenausgleich zustande gekommen oder entgültig gescheitert ist.

Die Arbeitgeberin und der Gesamtbetriebsrat beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Dabei wiederholt die Arbeitgeberin ebenfalls ihren Vortrag erster Instanz.

aus den gründen:

II. Die zulässige Beschwerde des Betriebsrats ist unbegründet.

I. Nach der Rechtsprechung beider Beschwerdekammern (LAG Hamm AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 165; Beschluss vom 26.02.2007 - 10 TaBVGa 3/07, jeweils mit umfangreichen Nachweisen) besteht ein im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzbarer Anspruch auf Unterlassung einer Betriebsänderung bis zum Abschluss der Verhandlungen über einen Interessenausgleich gegeben. Nur so kann nämlich sichergestellt werden, dass der Betriebsrat die ihm durch §§ 111, 112 BetrVG zugewiesenen Aufgaben wahrnehmen kann, nämlich nach erfolgter Unterrichtung im Zuge der zwingend vom Gesetzgeber vorgegebenen Beratung die Arbeitnehmerinteressen argumentativ in den Entscheidungsprozess des Unternehmers einfließen zu lassen. Bei der Gewährung eines Unterlassungsanspruchs geht es also ausschließlich darum, den Weg bis zum ordnungsgemäßen Zustandekommen eines Interessenausgleichs oder seines Scheiterns verfahrensrechtlich abzusichern. Andernfalls würde man den Betriebsrat hinsichtlich seiner Rechte auf rechtzeitige und umfassende Unterrichtung und auf Beratung einschließlich der Möglichkeiten, den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit um Vermittlung zu ersuchen und/oder die Einigungsstelle anzurufen (§ 111 Satz 1, § 112 Abs. 2 BetrVG), im Ergebnis schutzlos stellen.

Davon zu trennen ist die nachgelagerte, vom Bundesarbeitsgericht (AP ArbGG 1979 § 85 Nr. 2) entschiedene Frage, dass ein abgeschlossener Interessenausgleich materiellrechtlich keine Ansprüche des Betriebsrats erzeugen kann. Denn in einer solchen Konstellation wurde den Beteiligungsrechten des Betriebsrats, um deren Absicherung es vorliegend allein geht, im Vorfeld ausreichend Rechnung getragen.

Auch der Verweis auf § 113 Abs. 3 BetrVG kann den Unterlassungsanspruch nicht ausschließen. Es muss nämlich unterschieden werden zwischen dem kollektivrechtlichen Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat einerseits und dem individualrechtlichen Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer andererseits. Die Tatsache, dass einem betroffenen Arbeitnehmer ein von ihm geltend zu machender Nachteilsausgleichsanspruch zusteht, nicht dazu führen, die dem Betriebsrat als Kollektivorgan zustehenden Rechte nach §§ 111 f. BetrVG als ausreichend gesichert anzusehen.

Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die Richtlinie 2002/14/EG vom 11.03.2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der EU (im Folgenden kurz: RL 2002/14/EG) innerhalb der vorgegebenen drei Jahre nicht umgesetzt worden ist. Dies führt zwingend dazu, dass die in ihr enthaltenen Vorgaben bei Anwendung der nationalen Vorschriften im Wege der richtlinienkonformen Auslegung zu berücksichtigen sind. Nach Art. 8 Abs. 1 Satz 2 RL 2002/14/EG haben die Mitgliedsstaaten insbesondere dafür zu sorgen, dass es ein geeignetes Gerichtsverfahren gibt, mit dessen Hilfe die in Art. 4 RL 2002/14/EG beschriebenen Unterrichtungs- und Anhörungsrechte durchgesetzt werden können. Daneben werden in Art. 8 Abs. 2 RL 2002/14/EG von den Mitgliedsstaaten angemessene Sanktionen gefordert.

Das darin zum Ausdruck kommende Nebeneinander von verfahrenssichernden Maßnahmen einerseits und Sanktionen im Falle eines Verstoßes andererseits führt im Wege der richtlinienkonformen Auslegung (auch) zwingend dazu, dem Betriebsrat trotz der Sanktion des § 113 Abs. 3 BetrVG bei drohender Missachtung seiner Beteiligungsrechte gemäß §§ 111, 112 BetrVG gerichtlicherseits einen effektiven Rechtsschutz in Gestalt eines Unterlassungsanspruchs zu gewähren (so jetzt auch Richardi/Annuß, 10. Aufl., § 111 Rn. 168; Fauser/Nacken, NZA 2006, 1136, 1142 f.; Reichold, NZA 2003, 289, 298; vgl. auch LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 26.10.2006 - 11 TaBV 58/06, das ein entsprechendes Recht des Betriebsrats für "möglich" hält).

II. Der danach grundsätzlich gegebene Unterlassungsanspruch steht dem für die Filiale L1 gewählten Betriebsrat aber nicht zu.

1. In dem Zusammenhang wird allerdings zu seinen Gunsten davon ausgegangen, dass es sich bei der bevorstehenden personellen Funktionstrennung tatsächlich um eine beteiligungspflichtige Betriebsänderung im Sinne des § 111 Satz 3 BetrVG handelt - namentlich in Gestalt der Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden gemäß § 111 Satz 3 Nr. 5 BetrVG, weil es schwerpunktmäßig um die Art und Weise geht, wie die menschliche Arbeitskraft zukünftig bei einer geänderten Arbeitsorganisation in den Filialen zum Einsatz kommen soll (vgl. z.B. Fitting, 23. Aufl., § 111 Rn. 97 f.; GK-BetrVG/Oetker, 8. Aufl., § 111 Rn. 13 f.; Richardi/Annuß, a.a.O., § 111 Rn. 119 f.).

2. Für die danach erforderliche Regelung der interessenausgleichspflichtigen Angelegenheit ist aber die originäre Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG gegeben.

Nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (zuletzt z.B. BAG AP BetrVG 1972 Nr. 22, 26, 29; zust. z.B. Fitting, a.a.O., § 50 Rn. 59) weist die genannte Norm dem Gesamtbetriebsrat die Behandlung einer beteiligungspflichtigen Angelegenheit dann zu, wenn diese nicht auf den einzelnen Betrieb beschränkt ist und deshalb die Interessen der Arbeitnehmer nicht mehr auf der betrieblichen Ebene gewahrt werden können. Es muss ein zwingendes Erfordernis nach einer betriebsübergreifenden Regelung vorliegen; eine bloße Zweckmäßigkeit reicht dafür nicht aus.

Danach war hier der Gesamtbetriebsrat ausschließlich zuständig für den Abschluss des Interessenausgleichs mit Regelungen namentlich dazu, in welcher Filiale welches Personalkonzept umgesetzt werden soll. In dem Zusammenhang ist auszugehen von der arbeitgeberseits geplanten Maßnahme (BAG AP BetrVG 1972 § 50 Nr. 22, 26; AP BetrVG 1972 § 111 Nr. 47; vgl. § 111 Satz 1 BetrVG). Sie sieht hier die Einführung geänderter Personaleinsatzstrukturen in allen 74 Filialen des Unternehmens vor, um eine stärkere Kundenorientierung zu erreichen und zugleich die Warenlogistik in allen angeschlossenen Geschäften zu vereinheitlichen und effektiver zu gestalten. Nach Beendigung einer Testphase in drei Warenhäusern wurden, abhängig von der Größe und der jeweiligen Personaldichte, zwei Modelle zur beabsichtigten Trennung von Verkauf und Logistik geschaffen und auf die einzelnen Filialen zur Anwendung gebracht. Aus alledem wird deutlich, dass über den einzelnen Betrieb hinaus ein unternehmenseinheitliches Konzept zum zukünftigen Einsatz des vorhandenen Personal entwickelt wurde und umgesetzt werden soll - mit der Folge, dass die dazu erforderlichen interessenausgleichsrelevanten Abreden über das Ob, Wann und Wie der geplanten Änderung einheitlich mit dem Gesamtbetriebsrat, wie am 09.11.2006 und 13.02.2007 geschehen, zu treffen waren.

i. V. Dr. Müller Depping Hering

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