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Arbeitsrecht
02.11.2023
Arbeitsrecht
LAG Nürnberg: Tarifvertrag – persönlicher Geltungsbereich – geringfügig Beschäftigte

LAG Nürnberg, Beschluss vom 30.3.2023 – 3 TaBV 18/22

Volltext: BB-Online BBL2023-2611-5

 

Leitsätze

Zeitgeringfügig oder entgeltgeringfügig Beschäftigte sind im Rahmen der verfassungsrechtlich geschützten Tarifautonomie ohne Verstoß gegen § 4 Abs. 1 S. 2 TzBfG vom Geltungsbereich des Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer in der Kunststoff verarbeitenden Industrie in Bayern vom 1.12.1992 ausgenommen. Daher besteht keine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Eingruppierung dieser Personengruppen in die Entgeltgruppen des Manteltarifvertrags.

GG Art. 3 Abs. 1, 9, TzBfG § 4, BetrVG § 99, Ziff. 1b Abs. 1 Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer in der Kunststoff verarbeitenden Industrie in Bayern vom 01.12.1992

Sachverhalt

I.

Die Beteiligten streiten über Mitbestimmungsrechte des Beteiligten zu 1) im Zusammenhang mit der Eingruppierung entgelt- und zeitgeringfügig beschäftigter Arbeitnehmer und außertariflicher Mitarbeiter sowie der Ein- und Umgruppierung von Arbeitnehmern, die – insoweit unstreitig – vom Tarifbereich erfasst werden und über Ansprüche aufgrund grober Verstöße gegen in diesem Zusammenhang bestehende Verpflichtungen der Beteiligten zu 2).

Der Beteiligte zu 1) ist der für die Betriebe der Beteiligten zu 2) in Z…, D…, H… und S… ordnungsgemäß konstituierte Betriebsrat mit aktuell 21 Mitgliedern.

Die Beteiligte zu 2) ist ein in der Spielzeugherstellung tätiges Unternehmen. Weltweit werden bei der Beteiligten zu 2) in ca. 100 Ländern rund 4.600 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt. Deutschlandweit bestehen etwa 60 Stores. Im Betrieb in Z… waren zuletzt ca. 890 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt, in D… 1.400, in H… 260 und in S… 30. Die Beteiligte zu 2) ist als Mitglied des Verbands der Kunststoff verarbeitenden Industrie in Bayern tarifgebunden.

Bei der Beteiligten zu 2) findet der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer in der Kunststoff verarbeitenden Industrie in Bayern vom 01.12.1992 in der Fassung vom 01.05.2009 (MTV) sowie der Lohn- und Gehaltstarifvertrag der Kunststoff verarbeitenden Industrie in Bayern („Entgelttarifvertrag“) in der jeweils gültigen Fassung Anwendung.

Im Manteltarifvertrag ist auszugsweise Folgendes geregelt:

„1b Abs. 1

Der Tarifvertrag gilt (…) für die den Tarifvertragsparteien angehörenden Mitglieder, nämlich Arbeitgeber und für die in deren Betrieben beschäftigten Arbeitnehmer, die rentenversicherungspflichtige Arbeiten verrichten.“

Die Beteiligte zu 2) beantragte beim Beteiligten zu 1) im Zeitraum von Januar 2020 bis April 2020 in insgesamt 105 Fällen die Zustimmung zur Einstellung von geringfügig beschäftigten Arbeitnehmern. Eine Eingruppierung in eine der Entgeltgruppen nahm die Beteiligte zu 2) dabei jeweils nicht vor. In den Unterrichtungen zur Einstellung nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG gab die Beteiligte zu 2) jeweils den Stundenlohn, zu dem der Arbeitnehmer eingestellt werden sollte, losgelöst von den Entgeltgruppen des Entgelttarifvertrags, an. Eine Zustimmung zur Eingruppierung dieser Arbeitnehmer beantragte die Beteiligte zu 2) nicht. Der Beteiligte zu 1) erteilte jeweils die Zustimmung zur Einstellung. Die Zustimmung zur – nicht vorgenommenen – Eingruppierung verweigerte er jeweils vorsorglich. Ein arbeitsgerichtliches Zustimmungsersetzungsverfahren leitete die Beteiligte zu 2) jeweils nicht ein.

Im Zeitraum vom 17.01.2020 bis 17.03.2020 wurde der Beteiligte zu 1) zur Einstellung von 21 Mitarbeitern, deren Verträge bis 08.11.2020 befristet waren sowie zur Einstellung von zehn weiteren Mitarbeitern, deren Verträge bis 31.12.2020 befristet waren, für den Bereich Gastro angehört. Außerdem wurde der Beteiligte zu 1) im Zeitraum vom 07.01.2020 bis 13.03.2020 zur Einstellung von zehn Mitarbeitern, deren Verträge bis 31.12.2020 befristet waren, für den Bereich Mitarbeitershop angehört. Auf den jeweils vorsorglichen Widerspruch des Beteiligten zu 1) hin erfolgte seitens der Beteiligten zu 2) keine Reaktion.

Bei 33 weiteren geringfügig beschäftigten Arbeitnehmern, hinsichtlich derer der Beteiligte zu 1) jeweils arbeitsgerichtliche Verfahren einleitete, waren neben 70-Tages-Kräften auch 450 €-Kräfte betroffen. Hinsichtlich 38 weiterer geringfügig beschäftigter Arbeitnehmer, mit Beschäftigungsbeginn 15.03.2021, leitete die Beteiligte zu 2) auf den Widerspruch des Beteiligten zu 1) ebenfalls keine Zustimmungsersetzungsverfahren ein.

Mit E-Mail vom 07.05.2020 teilten die Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten zu 1) der Beteiligten zu 2) mit, dass in 105 Fällen Mitbestimmungsrechte des Beteiligten zu 1) missachtet worden seien und forderten die Beteiligte zu 2) auf, bis 11.05.2020 zu erklären, dass künftig die Mitbestimmungsrechte im Rahmen des § 99 BetrVG, insbesondere im Hinblick auf die Eingruppierung, eingehalten werden. Auf das Ersuchen um Fristverlängerung teilten die Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten zu 1) mit, dass diese nur gewährt werde, wenn die Beteiligte zu 2) bis zum 14.05.2020 bestätige, dass bis zum Ablauf der Frist in allen Fällen, in denen der Beteiligte zu 1) der beantragten Eingruppierung widerspreche, unverzüglich das gesetzlich vorgesehene Zustimmungsersetzungsverfahren eingeleitet werde. Hierauf erfolgte keine Reaktion der Beteiligten zu 2).

Mit Antragsschriftsatz vom 26.05.2020 verfolgte der Beteiligte zu 1) seine Ansprüche vor dem Arbeitsgericht weiter.

Hinsichtlich des weitergehenden Vorbringens der Beteiligten und der gestellten Anträge in erster Instanz wird auf die tatsächlichen Feststellungen im Beschluss vom 24.11.2021 verwiesen.

Mit Beschluss vom 24.11.2021 hat das Arbeitsgericht Nürnberg den Anträgen teilweise stattgegeben. Das arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren sei durch ordnungsgemäße Beauftragung des Rechtsanwalts eingeleitet worden. Nach Auslegung der Anträge hielt das Arbeitsgericht diese für ausreichend bestimmt. Den Antrag, die Beteiligte zu 2) zu verpflichten, den Beteiligten zu 1) bei der Eingruppierungsentscheidung hinsichtlich der Einordnung in den außertariflichen Bereich zu beteiligen, sei aufgrund der groben Verstöße der Beteiligten zu 2) begründet. Im Übrigen seien die Hauptanträge unbegründet. Die hilfsweise gestellten Feststellungsanträge seien hinsichtlich der geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer begründet, da auch diese in den Tarifbereich des Entgelttarifvertrags eingruppiert seien. Daneben sei festzustellen gewesen, dass die Beteiligte zu 2) verpflichtet sei, den Beteiligten zu 1) dann nochmals anzuhören, wenn sie seiner Auffassung folge. Hinsichtlich der übrigen Fallkonstellationen seien die Anträge unbegründet.

Der Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 24.11.2021 ist der Beteiligten zu 2) am 23.03.2022 zugestellt worden. Die Beschwerdeschrift vom 21.04.2022 ist beim Landesarbeitsgericht Nürnberg am selben Tag eingegangen. Die Beschwerdebegründung vom 25.07.2022 ist innerhalb der bis zu diesem Tag verlängerten Begründungsfrist eingegangen.

Die Beteiligte zu 2) wendet sich gegen den erstinstanzlichen Beschluss und macht geltend, dass das Feststellungsinteresse für den Globalantrag betreffend die Einstellung entgeltgeringfügig beschäftigter Arbeitnehmer nicht vorliege. Es bestehe keine konkrete Zuordnung der geringfügig Beschäftigten zur Gruppe der entgeltgeringfügig Beschäftigten. Die geringfügige Beschäftigung sei eine besondere Beschäftigungsform, die jederzeitige Wiederholung könne nicht standardmäßig angenommen werden, sie bedürfe konkreter Anhaltspunkte. Auch das Feststellungsinteresse hinsichtlich der Pflicht zur erneuten Anhörung, wenn die Beteiligte zu 2) sich der Auffassung des Beteiligten zu 1) anschließe, fehle. Diese Situation sei nicht häufig, die abstrakte Möglichkeit genüge nicht. Die Maßnahme wiederhole sich im Betriebsablauf nicht standardmäßig und nahezu zwangsläufig. Es bestehe keine Eingruppierungspflicht in eine der Entgeltgruppen des Lohn- und Gehaltstarifvertrages. Die Regelung des persönlichen Geltungsbereichs des Manteltarifvertrags sei wirksam und verstoße nicht gegen das Teilzeitbefristungsgesetz. Den Tarifvertragsparteien komme ein weiter Ermessensspielraum bei der Bestimmung des persönlichen Geltungsbereichs eines Tarifvertrages zu. Die Erwägungen der Tarifvertragsparteien für die Beschränkung des persönlichen Geltungsbereichs seien zulässig. Die Herausnahme der zeitgeringfügig beschäftigten Arbeitnehmer sei erfolgt, da das tarifliche Schutzniveau nur für Arbeitnehmer gelten solle, die ihren Lebensunterhalt mit der Tätigkeit verdienten. Aufgrund des Fehlens einer längerfristiger Beschäftigungsperspektive sei die Aufnahme dieser Arbeitnehmergruppe unpraktikabel. Entgeltgeringfügig beschäftigte Arbeitnehmer seien vom persönlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags umfasst. Eine Schlechterstellung dieser Arbeitnehmer sei nicht gegeben. Sie könnten sich von der gesetzlichen Rentenversicherung befreien lassen. Es fehle an einer Schlechterstellung durch die Tarifvertragsparteien, die Arbeitnehmer schlössen sich selbst vom Geltungsbereich des Tarifvertrages aus. Der Manteltarifvertrag verstoße nicht gegen § 4 Abs. 1, 2 TzBfG. Art. 9 Abs. 3 GG stehe unter keinem Gesetzesvorbehalt. Kollidierendes Verfassungsrecht sei nachrangig und daher auf eine Willkürkontrolle reduziert. Sachliche Gründe für die Herausnahme lägen vor. Eine Schlechterstellung wegen einer befristeten bzw. Teilzeit-Tätigkeit liege nicht vor, da Anknüpfungspunkt für die Beschränkung des persönlichen Geltungsbereichs des Manteltarifvertrags nur die Verrichtung rentenversicherungspflichtiger Arbeitszeit sei. Zeitgeringfügig beschäftigte Arbeitnehmer seien weder teilzeit- noch befristet beschäftigte Arbeitnehmer im Sinne des Teilzeitbefristungsgesetzes. Selbst wenn die Herausnahme geringfügig beschäftigter Arbeitnehmer gegen das TzBfG verstoße, habe das Arbeitsgericht Nürnberg eine unzulässige Tarifergänzung vorgenommen. Die Beteiligte zu 2) sei nur Tarifanwender und ihr sei eine eigenständige Wirksamkeitsprüfung tariflicher Regelungen verwehrt.

Die Beteiligte zu 2)) und Beschwerdeführerin stellt folgenden Antrag:

Der Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 24. November 2021, Az. 8 BV 39/20, wird abgeändert und die Anträge zurückgewiesen.

Der Antragsteller, Beteiligte zu 1)) und Beschwerdegegner beantragt,

Die Beschwerde der Beteiligten zu 2)) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 24.11.2021 wird zurückgewiesen.

Der Beteiligte zu 1) verteidigt den erstinstanzlichen Beschluss und vertritt die Ansicht, dass das Arbeitsgericht durchaus zwischen entgeltgeringfügig und zeitgeringfügig Beschäftigten unterscheide. Es bestehe jederzeit die Möglichkeit, dass die Beteiligte zu 2) der anderweitigen Auffassung des Beteiligten zu 1) folge, damit läge das Feststellungsinteresse vor. Die Herausnahme der entgeltgeringfügig und zeitgeringfügig Beschäftigten aus dem Geltungsbereich des Manteltarifvertrages sei sachlich nicht gerechtfertigt und verstieße gegen das Teilzeitbefristungsgesetz. Die Herausnahme treffe den Kern des Diskriminierungsverbotes. Der Tarifvertrag habe das Teilzeitbefristungsgesetz noch nicht berücksichtigen können, da dieser 1992 in Kraft getreten sei. Eine Schlechterstellung läge vor, da die entgeltgeringfügig Beschäftigten bei gleicher Arbeitsleistung geringer bezahlt würden. Der allgemeine Gleichheitssatz sei Ausdruck eines fundamentalen Gerechtigkeitsgebots, deshalb sei die Herausnahme von Teilzeitbeschäftigten aus dem persönlichen Geltungsbereich gleichheitswidrig.

Hinsichtlich des weitergehenden Vorbringens der Beteiligten in der Beschwerdeinstanz wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Niederschrift über die mündliche Anhörung am 30.03.2023 verwiesen.

In der Anhörung am 30.03.2023 haben die Beteiligten erklärt, dass sich mit der Erklärung der Beteiligten zu 2) zu Protokoll die Ziffer 4 des Beschlusses vom 24.11.2021 erledigt habe. Zur Erledigung der Ziffer 3 des Beschlusses vom 24.11.2021 haben die Beteiligten in der Anhörung einen Teilvergleich geschlossen.

Aus den Gründen

II.

1. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist statthaft, § 87 Abs. 1 ArbGG, und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 87 Abs. 2, 89, 66 ArbGG.

2. Die Beschwerde ist sachlich begründet. Sie führt zur Abänderung der Entscheidung des Arbeitsgerichts Nürnberg, soweit über diese noch zu entscheiden war (Ziffern 1 und 2). Zur Erledigung der Ziffer 3 haben die Beteiligten einen Teilvergleich geschlossen, damit erledigt sich auch die Ziffer 5 (Ordnungsgeldandrohung). Nach der Erklärung der Beteiligten zu 2) zu Protokoll des Gerichts haben die Beteiligten übereinstimmend erklärt, dass sich damit das Verfahren hinsichtlich der Ziffer 4 erledigt hat. Das Verfahren war insoweit gemäß §§ 87 Abs. 2, 83a Abs. 1, Abs. 2 S. 1 ArbGG einzustellen.

Hinsichtlich der noch verbleibenden Ziffern des erstinstanzlichen Beschlusses war dieser abzuändern und die Anträge abzuweisen.

2.1. Dabei geht das Beschwerdegericht zunächst mit dem Arbeitsgericht Nürnberg davon aus, dass das Feststellungsinteresse hinsichtlich der Eingruppierung der entgeltgeringfügig beschäftigten Arbeitnehmer ebenso gegeben ist wie das bezüglich der Eingruppierung der zeitgeringfügig beschäftigten Arbeitnehmer.

Die Rügen hinsichtlich der Wirksamkeit der Betriebsratsbeschlüsse hat die Beteiligte zu 2) nicht vertieft, auf die insoweit zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichtes wird verwiesen.

2.2. Es besteht jedoch keine Eingruppierungspflicht in eine der Entgeltgruppen des Lohn- und Gehaltstarifvertrages hinsichtlich der beiden Gruppen. Das Beschwerdegericht folgt der zutreffenden Argumentation der Beschwerdeführerin und macht sie sich zu eigen.

Die Bestimmung des persönlichen Geltungsbereichs eines Tarifvertrages gehört zum Kern der gem. Art. 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich geschützten Tarifautonomie, weil Tarifvertragsparteien hierdurch die Reichweite der tariflichen Regeln festlegen. Aus diesem Grund entspricht es der gefestigten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass Tarifvertragsparteien bei der Bestimmung des persönlichen Geltungsbereichs nicht unmittelbar an Art. 3 Abs. 1 GG gebunden sind. Die in Art. 9 Abs. 3 GG verankerte Tarifautonomie ist vorrangig vor dem allgemeinen Gleichheitssatz gem. Art. 3 Abs. 1 GG (BAG, Urteil vom 24. April 1985, 4 AZR 457/83; BAG, Urteil vom 30. August 2000, 4 AZR 563/99; BAG, Urteil vom 4. April 2001, 4 AZR 232/00).

Konkret bedeutet dies, dass die Tarifvertragsparteien bis zur Grenze der Willkür frei sind, „in eigener Selbstbestimmung den persönlichen Geltungsbereich ihrer Tarifregelungen festzulegen. Die Grenze der Willkür ist erst überschritten, wenn die Differenzierung im persönlichen Geltungsbereich unter keinem Gesichtspunkt, auch koalitionspolitischer Art, plausibel erklärbar ist.“ (BAG, Urteil vom 30. August 2000, 4 AZR 563/99)

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts stellt eine Beschränkung des persönlichen Geltungsbereichs zudem lediglich einen Verzicht auf eine mögliche Normsetzung dar. Es handelt sich also um eine bloße Nicht-Regelung und nicht um eine Negativ-Regelung, wobei Nicht-Regelungen von Art. 9 Abs. 3 GG besonders geschützt sind.

„Der bloße Verzicht auf eine Normsetzung und eine darauf beruhende Ungleichbehandlung verfolgt für sich gesehen aber kein eigenständiges Regelungsziel, das strukturell einer Verhältnismäßigkeitsprüfung im Sinne einer Zweck-Mittel-Relation zugänglich ist. In einem solchen Fall wird den Anforderungen des allgemeinen Gleichheitssatzes genügt, wenn bei typisierender Betrachtung der jeweiligen Gruppen sachbezogene Gruppenunterschiede erkennbar sind und deshalb eine Nichteinbeziehung der betreffenden Arbeitnehmergruppe in den persönlichen Geltungsbereich eines Tarifvertrags gerechtfertigt ist. Dabei können soweit erkennbar auch typische Sachzwänge der kollektiven Vertragsform sowie koalitionsspezifische Interessen berücksichtigt werden.“ (BAG, Urteil vom 27. Mai 2004, 6 AZR 129/03)

Zutreffend hält das Bundesarbeitsgericht in der genannten Entscheidung daher fest, dass Tarifvertragsparteien „in eigener Verantwortung darüber befinden können, für welchen Beschäftigtenkreis das von ihnen gefundene Verhandlungsergebnis sachgerecht ist.“

Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass den Tarifvertragsparteien ein sehr weiter Ermessensspielraum insbesondere bei der Bestimmung des Geltungsbereichs zukommt. In keinem Fall müssen sie die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung wählen.

Gemessen hieran ist die Nichteinbeziehung der geringfügig Beschäftigten in den Geltungsbereich des Manteltarifvertrages nicht zu beanstanden.

2.3. Bei zeitgeringfügig beschäftigten Arbeitnehmern handelt es sich um nebenberuflich beschäftigte Arbeitnehmer. Dabei ist in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass solche nebenberuflich beschäftigten Arbeitnehmer von dem persönlichen Geltungsbereich eines Tarifvertrages ausgenommen werden können.

Gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV liegt eine zeitgeringfügige Beschäftigung vor, wenn die Beschäftigung innerhalb eines Kalenderjahres auf längstens drei Monate oder 70 Arbeitstage nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein pflegt oder im Voraus vertraglich begrenzt ist, es sei denn, dass die Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt wird und die Geringfügigkeitsgrenze übersteigt.

Keine zeitgeringfügige Beschäftigung liegt nach der Gesetzesdefinition demnach dann vor, wenn die Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt wird. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts wird eine Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt, „wenn sie für den Beschäftigten nicht nur von untergeordneter wirtschaftlicher Bedeutung ist und er damit seinen Lebensunterhalt überwiegend oder doch in einem solchen Umfang bestreitet, dass seine wirtschaftliche Situation zu einem erheblichen Teil auf dieser Beschäftigung beruht.“

(BSG, Urteil vom 14. März 2018, B 12 KR 17/16 R; BSG, Urteil vom 24. November 2020, B 12 KR 34/19 R).

Ein Ausschluss zeitgeringfügig beschäftigter Arbeitnehmer vom persönlichen Geltungsbereich eines Tarifvertrages bedeutet demnach einen Ausschluss nebenberuflich beschäftigter Arbeitnehmer, da zeitgeringfügig beschäftigte Arbeitnehmer wie nebenberuflich beschäftigte Arbeitnehmer ihren Lebensunterhalt nicht oder nur mit untergeordneter wirtschaftlicher Bedeutung mit dieser Beschäftigung erwirtschaften.

In der Rechtsprechung ist es anerkannt, dass die Tarifvertragsparteien ihren Ermessensspielraum nicht überschreiten, wenn sie nebenberuflich beschäftigte Arbeitnehmer vom persönlichen Geltungsbereich ausnehmen. Eine solche Herausnahme sei zulässig, da „diese in erheblich geringerem Maße sozial schutzbedürftiger sind als ein hauptberuflich tätiger Arbeitnehmer.“ (LAG Berlin, Urteil vom 17. August 2006, 5 Sa 651/06).

Das Landesarbeitsgericht Berlin hat in der zitierten Entscheidung zutreffend darauf hingewiesen, dass die Herausnahme nebenberuflich beschäftigter Arbeitnehmer auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße, da eine Differenzierung zwischen haupt- und nebenberuflich tätigen Arbeitnehmern wegen deren typischerweise unterschiedlichen sozialen Lage sachlich gerechtfertigt sei.

Kurze Beschäftigungsdauer und unangemessenes Kosten-/Nutzen-Verhältnis sind auch Anknüpfungspunkte für die gesetzliche Differenzierung im Rahmen der Versicherungspflicht in den gesetzlichen Sozialversicherungen (vgl. BSG, Urteil vom 5. Dezember 2017 – B 12 KR 16/15 R).

Wenn die Versicherungspflicht nach Ansicht des Gesetzgebers bei so kurzen Beschäftigungen i.d.R. nur Kosten, aber keinen entsprechenden Nutzen hat und folglich die Versicherungsfreiheit für zeitgeringfügig beschäftigte Arbeitnehmer bestimmt wird, spricht nichts dafür, diese Gesichtspunkte im Rahmen der Bestimmung des persönlichen Geltungsbereichs eines Tarifvertrags als willkürlich zu werten.

Dementsprechend schließen einige Tarifverträge zeitgeringfügig beschäftigte Arbeitnehmer vom persönlichen Geltungsbereich aus. So bestimmt § 1 Abs. 2 lit. m) des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD), dass dieser Tarifvertrag nicht für geringfügig Beschäftigte im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV gilt. Begründet wird diese Beschränkung des persönlichen Geltungsbereichs mit einer Erleichterung des personalwirtschaftlichen Aufwandes (Burger, TVöD – TV-L, 4. Auflage 2020, TVöD AT § 1, Rn. 26).

2.4. Eine Unwirksamkeit des persönlichen Geltungsbereichs des Manteltarifvertrages aufgrund einer vermeintlichen Herausnahme entgeltgeringfügig beschäftigter Arbeitnehmer liegt schon deshalb nicht vor, weil entgeltgeringfügig beschäftigte Arbeitnehmer gar nicht vom persönlichen Geltungsbereich des Manteltarifvertrages ausgenommen sind.

Die Beschränkung des persönlichen Geltungsbereichs in § 1b Abs. 1 des Manteltarifvertrages kann nur dann unwirksam sein, wenn sich aus dieser Regelung eine tatsächliche Schlechterstellung entgeltgeringfügig beschäftigter Arbeitnehmer ergibt. Gem. § 6 Abs. 1b SGB VI werden Personen, die eine geringfügige Beschäftigung nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV ausüben, auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit. Konkret bedeutet dies, dass entgeltgeringfügig beschäftigte Arbeitnehmer gesetzlich rentenversichert sind, sich hiervon jedoch befreien lassen können (sog. Optout). Damit sind geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer vom persönlichen Geltungsbereich des Manteltarifvertrages umfasst, sie können sich jedoch entscheiden, auf den Schutz des Manteltarifvertrages zu verzichten.

Wenn die Anwendung des Manteltarifvertrages aber von der eigenen Entscheidung des entgeltgeringfügig beschäftigten Arbeitnehmers abhängt und er vom persönlichen Geltungsbereich grundsätzlich erfasst ist, schließen nicht die Tarifvertragsparteien entgeltgeringfügig beschäftigte Arbeitnehmer vom Manteltarifvertrag aus, sondern diese sich selbst. Damit fehlt es aber bereits an einer Schlechterstellung entgeltgeringfügig beschäftigter Arbeitnehmer durch die Tarifvertragsparteien.

2.5. Das Beschwerdegericht sieht keinen Verstoß des Manteltarifvertrages gegen § 4 Abs. 1 bzw. Abs. 2 Teilzeitbefristungsgesetz.

Die Feststellung der Unwirksamkeit des persönlichen Geltungsbereichs eines Tarifvertrages stellt unstreitig einen erheblichen Eingriff in die in Art. 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich garantierte Tarifautonomie dar, weil gerade die Bestimmung des Geltungsbereichs zum Kern der Tarifautonomie gehört. Da die Tarifautonomie in Art. 9 Abs. 3 GG unter keinem Gesetzesvorbehalt steht, kann ein solcher Eingriff folglich nur durch kollidierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt werden. Eine Übertragung der Schranken anderer Grundrechte – bspw. von Art. 2 Abs. 1 GG oder Art. 5 GG – scheidet aus. Dem Grundrecht der Koalitionsfreiheit ist vor der Bindung der Tarifvertragsparteien an den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 I GG im bezeichneten Umfang deshalb Vorrang einzuräumen, weil bei Tarifverträgen, insbesondere bei der Vereinbarung ihrer persönlichen Geltungsbereiche, das Grundrecht der Koalitionsfreiheit (Art. 9 III GG) auch den Handlungsrahmen der Tarifvertragsparteien schützt (BAG, Urteil vom 30. August 2000, 4 AZR 563/99).

Selbst wenn man das Verbot der Schlechterstellung teilzeitbeschäftigter bzw. befristet beschäftigter Arbeitnehmer gem. § 4 Abs. 1 bzw. Abs. 2 TzBfG als einen gesetzlich geregelten Sonderfall des allgemeinen Gleichheitssatzes gem. Art. 3 Abs. 1 GG und damit als kollidierendes Verfassungsrecht wertet, dürfte die Prüfung der Wirksamkeit der Beschränkung des persönlichen Geltungsbereichs anhand von § 4 Abs. 1 bzw. Abs. 2 TzBfG jedenfalls nur auf eine reine Willkürkontrolle beschränkt sein. Eine willkürliche Entscheidung der Tarifvertragsparteien liegt bei der Bestimmung des persönlichen Geltungsbereichs aber nicht vor, es liegen sogar sachliche Gründe für die Herausnahme von Arbeitnehmern, die keine rentenversicherungspflichtigen Arbeiten verrichten, vor.

Darüber hinaus scheidet ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 bzw. Abs. 2 TzBfG schon deswegen aus, weil die Beschränkung des persönlichen Geltungsbereichs nicht an die Teilzeitbeschäftigung bzw. befristete Tätigkeit anknüpft. § 4 Abs. 1 bzw. Abs. 2 TzBfG verbieten aber lediglich eine Ungleichbehandlung, die wegen der befristeten bzw. Teilzeit-Tätigkeit erfolgt (LAG Berlin, Urteil vom 17. August 2006, 5 Sa 651/06; statt vieler Preis in Erfurter Kommentar, 22. Auflage 2022, § 4 TzBfG, Rn. 34, 62).

Anknüpfungspunkt für die Beschränkung des persönlichen Geltungsbereichs des Manteltarifvertrages ist aber die Verrichtung rentenversicherungspflichtiger Arbeiten. Damit ist weder die Dauer der Arbeitszeit noch die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses Ursache für die Beschränkung des persönlichen Geltungsbereiches. Es werden weder befristet noch teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer generell vom persönlichen Geltungsbereich ausgenommen. Dies verdeutlicht, dass die Beschränkung des persönlichen Geltungsbereichs gerade nicht wegen der befristeten bzw. Teilzeit-Tätigkeit erfolgt und § 4 Abs. 1 bzw. Abs. 2 TzBfG nicht einschlägig ist.

2.6. Damit sind weder die entgeltgeringfügig beschäftigten Arbeitnehmer noch die zeitgeringfügig beschäftigten Arbeitnehmer vom Geltungsbereich des Tarifvertrags umfasst. Eine Tarifergänzung durch die Arbeitsgerichtsbarkeit scheidet aus. Dementsprechend fehlt es für die Anträge Ziffer 1 und Ziffer 2 einschließlich der jeweiligen Hilfsanträge an einer Anspruchsgrundlage und die Anträge waren zurückzuweisen.

III.

1. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 2 Abs. 2 GKG.

2. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor, §§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 ArbGG.

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