LAG Nürnberg: Tarifauslegung – Berechnung eines Zuschlags für vollkontinuierliche Arbeitsweise
LAG Nürnberg, Urteil vom 12.11.2024 – 6 SLa 105/24
Volltext: BB-Online BBL2025-1203-3
Leitsatz
Der Zuschlag für vollkontinuierliche Arbeitsweise nach § 5 TV VK-Arbeit berechnet sich nach dem individuellen Bruttoverdienst des Arbeitnehmers einschließlich übertariflicher Zulagen.
Sachverhalt
Die Parteien streiten um die Berechnungsweise eines tariflichen Zuschlags und damit verbundene Entgeltdifferenzen für die Monate Januar bis März 2023.
Der Kläger ist bei der Beklagten, welche Packmittel aus Röhrenglas für die pharmazeutische Industrie herstellt, seit 24.09.2012 als Anlagenbediener beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft beiderseitiger Organisationszugehörigkeit die Tarifverträge für die gewerblichen Arbeitnehmer der Hohlglas veredelnden Betriebe Anwendung.
Der zwischen dem Arbeitgeberverband der deutschen Glasindustrie e.V. und der Industriegewerkschaft Chemie-Papier-Keramik abgeschlossene Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer und Auszubildenden der Betriebe, die Hohlglas aller Art oder Glasfaser erzeugen, veredeln oder verarbeiten, in der Bundesrepublik Deutschland vom 16.06.1976, gültig ab 01.08.1976, in der Fassung vom 04.07.1992 (im folgenden MTV) lautet auszugsweise wie folgt (vgl. Bl. 50 ff. d.A.):
§ 4 Zuschläge für Mehr-, Nacht-, Sonntags-, Feiertags- und Schichtarbeit
I. – Die Zuschläge betragen:
6. Schichtarbeit bei zwei-, dreischichtiger und vollkontinuierlicher Arbeitsweise für die Spätschicht 5%
II. – Berechnung der Zuschläge:
Bei der Berechnung der Zuschläge ist zugrunde zu legen:
1. Für Zeitlohnarbeit:
a) der Stundenverdienst ausschließlich sozialer Zulagen,
§ 5 Löhne
1. Die Löhne sind in Lohntarifverträgen festgesetzt. Die darin vereinbarten Löhne sind Mindestlöhne.
Der zwischen dem Arbeitgeberverband der Deutschen Glasindustrie e.V. und der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie abgeschlossene Tarifvertrag über Weihnachtsgeld für die Arbeitnehmer der Hohlglasveredelungs- und -Verarbeitungsindustrie vom 12.11.1996, gültig ab 01.01.1996, lautet auszugsweise wie folgt (vgl. Bl. 119 f. d.A.):
§ 3
1. Berechnungsgrundlage für das Weihnachtsgeld ist:
a) der tarifliche Zeitlohn für Zeitlohnarbeiter;
Der zwischen dem Bundesarbeitgeberverband Glas und Solar e.V. und der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie abgeschlossene Tarifvertrag über vollkontinuierliche Arbeitsweise vom 18.03.2022 (im folgenden TV VK-Arbeit) lautet auszugsweise wie folgt (vgl. Bl. 27 ff. d.A.):
§ 5 Zuschlag für vollkontinuierliche Arbeitsweise
Arbeitnehmer, die in vollkontinuierlicher Arbeitsweise beschäftigt werden, erhalten auf ihren Bruttoverdienst – ausgenommen soziale Zulagen – einen Zuschlag von 10,5%.
Der Kläger ist in Lohngruppe II der Anlage 1 zum Lohntarifvertrag für Hohlglasveredelung und -verarbeitung vom 15.11.2022, gültig ab 01.11.2022, (vgl. Bl. 83 ff. d.A.) eingruppiert. Er erhielt im streitgegenständlichen Zeitraum einen tariflichen Stundenlohn von € 15,93 brutto sowie eine übertarifliche Zulage von € 2,98 brutto/Stunde (vgl. Entgeltbescheinigungen für die Monate Januar bis März 2023, Bl. 22 f., 44 d.A.).
Der Kläger war in den Monaten Januar bis März 2023 im vollkontinuierlichen Schichtbetrieb eingesetzt. Die Beklagte rechnete den Zuschlag für vollkontinuierliche Arbeitsweise im Monat Januar 2023 auf der Basis von € 3.973,09 brutto mit € 382,76 brutto, im Monat Februar 2023 auf der Basis von € 3.458,72 brutto mit € 333,75 brutto und im Monat März 2023 auf der Basis von € 3.463,32 brutto mit € 363,65 brutto ab. In die Berechnung bezog sie jeweils die Entgeltbestandteile Zeitlohn tariflich, Urlaub, Nachtschichtzulage, Spätschicht-Zuschlag, Sonntagszuschlag, Feiertagszuschlag und Nachtzuschlag, jedoch nicht den übertariflichen Stundenlohn ein (vgl. Entgeltbescheinigungen für die Monate Januar bis März 2023, Bl. 22 f., 44 d.A.).
Mit Schreiben vom 06.04.2023 machte der Kläger Ansprüche auf Zahlung der Differenzbeträge des Zuschlags für vollkontinuierliche Arbeitsweise für die Monate Januar bis März 2023 bezogen auf den übertariflichen Stundenlohn geltend (vgl. Bl. 24 ff. d.A.). Die Beklagte lehnte diese mit Schreiben vom 20.04.2023 ab.
Mit Klage vom 25.05.2023, beim Arbeitsgericht eingegangen am 30.05.2023, hat der Kläger seine Ansprüche für die Monate Januar bis März 2023 weiterverfolgt. Er ist der Auffassung, dass die Zuschläge für vollkontinuierliche Arbeitsweise bezogen auf den individuellen Bruttomonatsverdienst berechnet werden müssten. Ausweislich der Abrechnungen habe die Beklagte bei der Berechnung der Zuschläge den übertariflichen Stundenlohn nicht berücksichtigt. Es würden sich demnach für den Monat Januar 2023 noch ein Betrag von € 34,42 brutto, für den Monat Februar 2023 noch ein Betrag von € 29,41 brutto sowie für den Monat März noch ein Betrag von € 41,15 brutto errechnen. Der TV VK-Arbeit sei bewusst mit einem vergleichsweise hohen Zuschlag von 10,5% auf den gesamten Bruttolohn abgeschlossen worden, damit die gewerblichen Arbeitnehmer einen gewissen finanziellen Ausgleich für ihre körperlich anstrengenden Tätigkeiten erhielten und die Lohntabellen sehr niedrig seien. Die Beklagte berechne die anderen Zuschläge ebenfalls auf Basis des gesamten Bruttolohns einschließlich des übertariflichen Stundenlohns und nicht lediglich aufgrund des Tariflohns. Diese Sichtweise werde auch durch den Tarifvertrag über Weihnachtsgeld gestützt, in dem als Berechnungsgrundlage explizit der tarifliche Zeitlohn genannt sei. Insofern würden die Tarifvertragsparteien in den Tarifverträgen eine klare definitorische Trennung zwischen Bruttolohn und Tariflohn vornehmen. Die Regelung in § 5 TV VK-Arbeit lasse demnach keine andere Auslegung zu. Im Übrigen sei in der Protokollnotiz zu § 4 des wortgleichen TV VK-Arbeit vom 02.05.1969, gültig ab 01.05.1969, seinerzeit klar definiert worden, dass der Bruttoverdienst abzüglich evtl. sozialer Zulagen wie Fahrgeldersatz oder -zuschuss, Mietzuschuss oder Familienzuschlag zugrunde zu legen sei (vgl. Bl. 123 d.A.). Daran habe sich auch in der nachfolgenden und aktuell gültigen Fassung grundsätzlich nichts geändert.
Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,
1.Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 34,41 € brutto zu bezahlen, zuzüglich Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.02.2023.
2.Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 29,41 € brutto zu bezahlen, zuzüglich Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.03.2023.
3.Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 41,14 € brutto zu bezahlen, zuzüglich Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.04.2023.
Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beklagte hat erstinstanzlich vorgetragen, dass sich der Zuschlag für vollkontinuierliche Arbeitsweise nach § 5 TV VK-Arbeit nur auf das Bruttotarifentgelt beziehe. Die Tarifvertragsparteien hätten für die Zuschlagsberechnung keine eigenständige Definition des Bruttoverdiensts treffen wollten. Insofern seien die Regelungen des MTV ergänzend heranzuziehen. Die Vorschrift des § 4 MTV bestimme, wie Zulagen, unter anderem auch für die vollkontinuierliche Schichtarbeit, zu berechnen seien. Nach § 4 Ziffer II. 1 a) MTV sei hierfür der Stundenverdienst und damit ausschließlich das tarifliche Entgelt zugrunde zu legen. Es sei nicht ersichtlich, dass die Tarifvertragsparteien über diese Definition hinaus eine eigenständige Definition für die Zuschlagsberechnung bei der vollkontinuierlichen Arbeitsweise treffen hätten wollen. Die Grundlage für den Abschluss des TV VK-Arbeit im Jahr 2022 sei der gleichlautende TV VK-Arbeit der Hohlglas herstellenden Betriebe aus dem Jahr 1969 gewesen. Eine Neufassung der Tarifformulierung sei insoweit nicht veranlasst gewesen, da die Berechnung bislang nicht strittig gewesen sei. Der MTV sei im Jahr 1976 und damit zeitlich nach dem ursprünglichen TV VK-Arbeit aus dem Jahr 1969 abgeschlossen worden. Die Verwendung unterschiedlicher Begrifflichkeiten in den Tarifverträgen wie Bruttolohn, Stundenverdienst und tariflicher Zeitlohn dürfte eher der Präzisierung durch zeitliche Weiterentwicklung geschuldet sein. Die körperlichen Belastungen aufgrund der Tätigkeit im vollkontinuierlichen Schichtbetrieb würden mit der entsprechenden Zulage kompensiert. Es sei nicht ersichtlich, weshalb diese anders zu berechnen sei als die übrigen Zuschläge. Im Übrigen wäre eine tarifvertragliche Regelung, die sich auf außertarifliche Entgeltbestandteile erstrecke, in einem Flächentarifvertrag als sogenannten Effektivklausel unzulässig. Die Tarifvertragsparteien könnten nur über Tarifmaterie befinden, womit sich die Berechnung von Zuschlägen auch nur auf tarifliche Entgeltbestandteile beziehen könne. Dies würde ansonsten dazu führen, dass der Arbeitgeber beispielsweise außertarifliche Entgeltbestandteile nicht auf tarifliche Leistungen anrechnen könnte. Zudem wäre die tatsächliche Höhe des Zuschlags nicht berechenbar gewesen, soweit dem Flächentarifvertrag Unternehmen angehören würden, die gegebenenfalls den Tarifvertragsparteien unbekannte außertarifliche Zahlungen leisten würden. Es sei nicht nachvollziehbar, dass die Tarifvertragsparteien einen Zuschlag vereinbaren, dessen Höhe sie nicht bestimmen könnten. Die nicht stringente Berechnung der Beklagten im Einzelfall in Bezug auf die seit längerem gezahlten Zuschläge und den neu eingeführten Zuschlag für vollkontinuierliche Arbeitsweise führe nicht zu einer anderen Sichtweise. In der Protokollnotiz zum TV VK-Arbeit aus dem Jahr 1969 finde sich außer der Herausnahme sozialer Zulagen kein ausdrücklicher Hinweis darauf, dass außertarifliche Lohnbestandteile in die Zuschlagsberechnung miteinfließen würden.
Das Arbeitsgericht hat mit Endurteil vom 08.02.2024 wie folgt entschieden:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 34,41 € brutto zu bezahlen zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.02.2023.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 29,41 € brutto zu bezahlen zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.03.2023.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 41,14 € brutto zu bezahlen zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.04.2023.
4. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
5. Der Streitwert wird festgesetzt auf 104,96 €.
6. Die Berufung wird zugelassen.
Das Arbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass es grundsätzlich zulässig sei, dass Tarifverträge bei der Berechnung von Zuschlägen nicht an das Tarifentgelt, sondern an das tatsächlich vom Arbeitnehmer erzielte außer- bzw. übertarifliche Entgelt anknüpfen würden. Die Auslegung des TV VK-Arbeit ergebe, dass die Zuschläge nach dem tatsächlichen Bruttoverdienst des Arbeitnehmers und nicht nach dem gegebenenfalls niedrigeren Tariflohn zu berechnen seien. Für die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages seien die für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln heranzuziehen. Danach sei zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen sei, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut sei der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden habe. Abzustellen sei stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefere und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden könnten. Lasse dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann könnten die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung, ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gelte es zu berücksichtigen. Im Zweifel gebühre derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führe.
Der Wortlaut der Regelung in § 5 TV VK-Arbeit stelle auf den "Bruttoverdienst" des Arbeitnehmers, der in vollkontinuierlicher Arbeitsweise beschäftigt werde, ab und lege nahe, dass es für die Berechnung des Zuschlags auf den tatsächlich erzielten Bruttoverdienst ankomme. Ziehe man zur Auslegung den MTV heran, so gebe es auch hierbei Anhaltspunkte, wonach nicht auf den tariflichen Lohn, sondern auf den tatsächlich vom Arbeitnehmer verdienten Bruttolohn abzustellen sei. Soweit nach § 4 Ziffer II. 1 a) MTV für die Berechnung der Zuschläge bei Zeitlohnarbeit der Stundenverdienst ausschließlich sozialer Zulagen zugrunde zu legen sei, lasse sich allein daraus nicht entnehmen, dass die Tarifvertragsparteien lediglich den tariflichen Stundenverdienst gemeint hätten. Denn in § 5 Nr. 1 MTV sei geregelt, dass die Löhne in Lohntarifverträgen festgesetzt würden und es sich dabei um Mindestlöhne handle. Wenn der MTV bei der Zuschlagsberechnung den Stundenverdienst zugrunde lege, spreche auch insoweit der Wortlaut dafür, vom konkreten Verdienst des jeweiligen Arbeitnehmers auszugehen. Denn dieser sei das, was er jeweils konkret verdient habe, im Gegensatz zu dem im Lohntarifvertrag vereinbarten Lohn, der ihm mindestens zustehe. In diesem Sinn verstehe auch die Beklagte die Regelungen des MTV, wenn sie die dort genannten Zuschläge unstreitig nach dem tatsächlichen Bruttoverdienst und nicht nach dem tariflichen Mindestlohn berechne. Entgegen ihrer Auffassung lasse sich daher auch dem MTV keine allgemeine Definition für den im TV VK-Arbeit verwendeten Begriff "Bruttoverdienst" entnehmen. Gegen ein anderes Verständnis dieses Begriffs, das sich weiter vom Wortlaut entferne, spreche auch die Tatsache, dass die Tarifvertragsparteien im Tarifvertrag über Weihnachtsgeld aus dem Jahr 1992, also nach Inkrafttreten des wortgleichen TV VK-Arbeit aus dem Jahr 1969, als Berechnungsgrundlage eindeutig den tariflichen Zeitlohn festgesetzt hätten. Sie hätten daher deutlich zwischen dem tarifvertraglich festgesetzten Lohn als Mindestlohn und dem Bruttoverdienst des einzelnen Arbeitnehmers unterschieden, aber dennoch bei der Neufassung des TV VK-Arbeit im Jahr 2022 keine Veranlassung für eine Klarstellung gesehen. Dafür, dass sich die Beteiligten damals in der für die Arbeitnehmer ungünstigen Auslegung einig waren, finde sich im Vortrag der Beklagten keine Grundlage.
Für die hier verstandene Bedeutung des Begriffs "Bruttoverdienst" spreche auch der tarifliche Zusammenhang. Sinn und Zweck von Zuschlägen sei es, Arbeit generell dann für den Arbeitgeber teurer zu machen, wenn diese für Arbeitnehmer besonders belastend sei. Insofern sei es gerechtfertigt, die einzelne Stunde mit dem jeweiligen Verdienst zu verteuern und nicht nur mit einem geringeren, von den Tarifvertragsparteien festgelegten Stundenlohn. Vor diesem Hintergrund sei auch kein Grund ersichtlich, weshalb die gewünschte Verteuerung lediglich für Mehr- oder Nachtarbeit, nicht jedoch in gleichem Maße für vollkontinuierliche Schichtarbeit gelten sollte. Verstehe man den Bruttoverdienst als tatsächlich erzielten Bruttoverdienst und nicht lediglich als den tarifvertraglichen Mindestlohn, sei auch nicht davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien mit dieser Regelung in die Vertragsfreiheit eingegriffen hätten. Nach Sinn und Zweck von Zuschlägen, die Arbeit zu bestimmten Zeiten und in bestimmten Formen teurer und damit unattraktiver machen sollen, sei es irrelevant, ob diese im Einzelfall bei einem Unternehmen höher als bei einem anderen ausfallen würden. Der Arbeitgeber könne im Einzelfall auch anders disponieren, ohne dass Zuschläge zwingend anfallen würden. Das Gesamtgefüge werde in Bezug auf die tatsächlich gezahlten Löhne durch die Regelung zur Höhe der Zuschläge ausgehend von einer prozentualen Verteuerung jedenfalls nicht geändert. Mit der wie hier verstandenen Auslegung des Tarifvertrags sei die tarifvertragliche Bestimmung auch nicht deshalb unwirksam, weil die Gefahr drohe, dass ein bisher über- oder außertariflich gewährter Lohnbestandteil zum Tariflohn würde. Eine solche Effektivklausel würde gegen die Grundprinzipien des Tarifrechts verstoßen, indem sie einzelvertraglich vereinbarte Lohnbestandteile der Verfügung der Arbeitsvertragsparteien entziehen würde. Die Regelung in § 5 TV VK-Arbeit sei jedoch nicht als eine solche Klausel zu verstehen. Die generelle Unwirksamkeit von Effektivklauseln habe keinen Einfluss auf die Befugnis der Tarifvertragsparteien, mit tarifrechtlicher Wirkung festzulegen, dass bei der Berechnung von tariflichen Leistungen von dem effektiven Verdienst des Arbeitnehmers und nicht von dem tariflichen Mindestverdienst auszugehen sei. Der Zuschlag für vollkontinuierliche Arbeitsweise knüpfe daher an die individuelle Vergütung des Arbeitnehmers und nicht an den tariflichen Mindestlohn an, so dass dem Kläger die Differenzbeträge für die Monate Januar bis März 2023 zuständen. Er habe seine Forderungen auch innerhalb der tarifvertraglichen Ausschlussfrist geltend gemacht.
Das Endurteil des Arbeitsgerichts vom 08.02.2024 ist den Prozessbevollmächtigten der Beklagten ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 22.04.2024 zugestellt worden. Diese haben hiergegen namens und mit Vollmacht der Beklagten mit Schriftsatz vom 17.05.2024, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am gleichen Tag, Berufung eingelegt. Die Berufung ist – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist aufgrund am 18.06.2024 eingegangenen Antrags bis 08.07.2024 – mit am 02.07.2024 eingegangenem Schriftsatz gleichen Datums begründet worden.
Die Beklagte trägt im Rahmen des Berufungsverfahren vor, dass sie den Zuschlag für vollkontinuierliche Arbeitsweise korrekt abgerechnet und ausbezahlt habe. Der Zuschlag sei auf den Bruttoverdienst zu berechnen, jedoch ohne Berücksichtigung der außertariflichen Zulagen. Das Arbeitsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass es naheliegend sei, dass der tatsächlich erzielte Bruttoverdienst gemeint sei. Zwar hätten die Tarifvertragsparteien die Befugnis, mit tarifrechtlicher Wirkung festzulegen, dass bei der Berechnung von tariflichen Leistungen vom effektiven und nicht vom tariflichen Mindestverdienst auszugehen sei. Im vorliegenden Fall gebe es jedoch keine ausdrückliche Regelung oder einen Hinweis darauf, dass die Tarifvertragsparteien die außertariflichen Zulagen in die Zuschlagsberechnung mit einfließen lassen wollten. Die Verwendung des Begriffs Bruttoverdienst lasse daher nicht den Rückschluss zu, dass damit auch außertarifliche Zulagen umfasst sein sollten. Sofern dies tatsächlich der Wille der Tarifvertragsparteien gewesen wäre, hätten sie hierzu eine Klarstellung getroffen, dies sei nicht erfolgt. Das Arbeitsgericht habe zu Unrecht die Schlussfolgerung getroffen, dass sich aus § 4 Ziffer II. 1. a) MTV bei der Berechnung des Stundenverdienstes ausschließlich sozialer Zulagen nicht entnehmen lasse, dass sich die Tarifvertragsparteien hierbei auf den tariflichen Stundenverdienst beziehen würden. Nachdem die Tarifvertragsparteien keine ausdrückliche Regelung dahingehend getroffen hätten, dass auch außertarifliche Zulagen in die Zuschlagsberechnung einfließen, komme es bei dem Begriff Stundenverdienst lediglich auf den tariflichen Stundenlohn an. Daher müsse nach dem Sinn und Zweck der Regelung der Tarifvertrag so verstanden werden, dass die Tarifvertragsparteien eine Berechnungsgrundlage auf Basis der Tarifleistungen getroffen hätten. Auch die Ergänzung, dass soziale Zulagen ausgenommen seien, führe zu keinem anderen Ergebnis, denn klargestellt werde damit lediglich, dass tarifliche Zulagen oder andere tarifliche Leistungen mit in den Stundenverdienst fließen sollen, nicht jedoch außertarifliche Leistungen. Zu Unrecht nehme das Arbeitsgericht an, die Beklagte würde die Regelungen des MTV ebenso wie das Gericht verstehen, da sie die dort genannten Zuschläge unstreitig nach dem tatsächlichen Bruttoverdienst, nicht jedoch nach dem tariflichen Mindestlohn berechne. Zwar erfolge die Berechnung der anderen tariflichen Zuschläge auf diese Art und Weise, dies sei jedoch dem damaligen Abrechnungssystem der Beklagten geschuldet gewesen, in dem für die Zuschläge der gesamte Stundenlohn herangezogen worden sei. Erst ab Februar 2016 sei eine Korrektur und sodann eine getrennte Darstellung des tariflichen Stundenlohnes und der übertariflichen Zulage in der Abrechnung erfolgt. Man habe zu diesem Zeitpunkt jedoch nur die Darstellung auf dem Entgeltnachweis geändert, nicht die Berechnung der Zuschläge. Ansonsten hätte man den Mitarbeitern Lohn wegnehmen müssen, was nicht gewollt gewesen sei. Bei der Neueinführung des Zuschlages für vollkontinuierliche Arbeitsweise im Januar 2023 habe die Beklagte jedoch nicht die Absicht gehabt, diese irrtümliche Berechnung auf weitere Zuschläge auszuweiten und habe den streitgegenständlichen Zuschlag nun korrekt auf Tarifbasis berechnet. Diese Vorgehensweise könne nicht zu ihrem Nachtteil ausgelegt werden. Das Arbeitsgericht habe auch den Sinn und Zweck der Zuschläge für vollkontinuierliche Arbeitsweise unzutreffend interpretiert. Nach dessen Auffassung sollen Zuschläge die Arbeit zu bestimmten Zeiten und in bestimmten Formen allgemein teurer und damit unattraktiver machen, dabei sei es irrelevant, ob diese im Einzelfall bei dem einen Unternehmen höher als bei dem anderen ausfallen würden. Zuschläge müssten in diesem Sinn nicht zwingend anfallen, der Arbeitgeber könne im Einzelfall auch anders disponieren. Im Hinblick auf den Sinn und Zweck der Zuschläge sei dies im tariflichen Zusammenhang im Falle der vollkontinuierlichen Arbeitsweise, welche in glasproduzierenden Betrieben aufgrund der technischen Gegebenheiten zwingend sei, nicht zutreffend. Die Zuschläge für vollkontinuierliche Arbeitsweise würden somit für alle Beschäftigten im vollkontinuierlichen Schichtbetrieb anfallen und könnten nicht verhindert werden. Daher sei hier ein Unterschied zu anderen Zuschlägen und deren Sinn und Zweck zu sehen. Der tarifliche Zusammenhang ergebe hier gerade nicht, dass der Zuschlag für vollkontinuierliche Arbeitsweise danach berechnet werde, dass er durch Berücksichtigung außertariflicher Entgeltbestandteile besonders hoch sein solle. Zwar solle die Belastung durch den vollkontinuierlichen Schichtbetrieb ausgeglichen werden, es gebe jedoch kein Indiz dafür, dass es für die Tarifvertragsparteien irrelevant gewesen sei, ob der Zuschlag bei einzelnen Unternehmen aufgrund außertariflicher Zulagen wesentlich höher ausfallen könnte als bei anderen. Im Gegenteil, Sinn und Zweck eines Tarifvertrages sei die Vereinheitlichung der Vergütung der Beschäftigten, was durch Regelungen auf tariflicher Basis erfolge. Ein Anspruch auf Auszahlung der Differenz nach Berechnung der Zuschläge unter Einbeziehung außertariflicher Zuschläge bestehe daher nicht.
Die Beklagte und Berufungsklägerin stellt folgenden Antrag:
Das Urteil des Arbeitsgerichtes Würzburg – Kammer Schweinfurt –, Az. 9 Ca 404/23, abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,
I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Die Berufungsklägerin hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.
Der Kläger schließt sich den Ausführungen des Arbeitsgerichts an und hält an seiner erstinstanzlichen Argumentation fest. Das Arbeitsgericht habe die Tarifnorm zutreffend ausgelegt. Die Regelung des § 5 TV VK-Arbeit bezwecke eine Kompensation für langes und ungesundes Arbeiten. Entgegen der Auffassung der Beklagten gebe es sehr wohl eine klare definitorische Trennung zwischen Bruttolohn und Tariflohn in den Tarifverträgen. So werde in § 3 des Tarifvertrags über Weihnachtsgeld explizit "der tarifliche Zeitlohn für Zeitlohnarbeiter" aufgeführt. Gemäß § 5 des TV VK-Arbeit beziehe sich die Zuschlagshöhe auf den individuellen Bruttoverdienst und nicht auf den tariflichen Mindestverdienst. Hätten die Tarifvertragsparteien eine solche definitorische Trennung gewollt, hätten sie die Berechnungsgrundlage wie in den anderen Tarifverträgen anders benannt, z.B. den Bruttotariflohn. Daran ändere auch der Vortrag der Beklagten nichts, wonach die jahrelang geübte Abrechnungspraxis quasi ein Versehen und ab dem genannten Zeitpunkt nur eine Korrektur der Abrechnungsweise vorgenommen worden sei. Entscheidend sei die tarifliche Regelung und deren Auslegung.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Darstellung des Sachverhalts in Tatbestand und Entscheidungsgründen der arbeitsgerichtlichen Entscheidung, auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht vom 12.11.2024 und auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Aus dem Gründen
I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft, § 64 Abs. 1 und Abs. 2 a) ArbGG, und in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG; 519, 520 ZPO.
II. Die Berufung ist jedoch in der Sache nicht begründet.
Das Arbeitsgericht hat zutreffend festgestellt, dass dem Kläger nach § 5 TV VK-Arbeit ein Zuschlag für vollkontinuierliche Arbeitsweise auf der Basis seines Bruttoverdiensts einschließlich der übertariflichen Zulage zusteht. Die Berufungskammer folgt den sorgfältig begründeten Ausführungen des Arbeitsgerichts und schließt sich ihnen an, so dass auf eine erneute, nur wiederholende Darstellung verzichtet werden kann, § 69 Abs. 2 ArbGG. Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen ist noch ergänzend auszuführen:
1. Der Kläger hat einen Anspruch auf Bezahlung der von ihm geltend gemachten Ent geltdifferenzen für die Monate Januar bis März 2023 nach § 5 TV VK-Arbeit.
a. Wie das Arbeitsgericht ausgeführt hat, folgt die Auslegung des normativen Teils ei nes Tarifvertrags nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, sofern und soweit er in den tariflichen Regelungen und ihrem systematischen Zusammenhang Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der T arifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags und gegebenenfalls die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. z. B. die Nachweise bei BAG v. 02.11.2016; Az. 10 AZR 615/15; BAG v. 28.08.2012, Az. 10 AZR 701/12; BAG v. 11.07.2012, Az. 10 AZR 488/11).
b. Die Anwendung dieser Grundsätze ergibt, dass der Zuschlag für vollkontinuierliche Arbeitsweise gemäß § 5 TV VK-Arbeit aus dem gesamten Bruttoverdienst einschließlich der übertariflichen Zulage zu berechnen ist.
aa. Insoweit ist nach Auffassung der Berufungskammer bereits der Wortlaut des § 5 TV VK-Arbeit, von dem vorrangig auszugehen ist, eindeutig. Bei der Wortlautauslegung ist, wenn die Tarifvertragsparteien einen Begriff nicht eigenständig definieren, erläutern oder einen feststehenden Rechtsbegriff verwenden, vom allgemeinen Sprachgebrauch auszugehen. Wird ein bestimmter Begriff mehrfach in einem Tarifvertrag verwendet, ist im Zweifel weiter davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien dem Begriff im Geltungsbereich dieses Tarifvertrags stets die gleiche Bedeutung beimessen wollen (vgl. BAG v. 02.11.2016; Az. 10 AZR 615/15; m.w.N.).
Die Tarifvertragsparteien haben den Begriff "Bruttoverdienst" nicht selbst bestimmt, so dass davon auszugehen ist, dass sie diesen in seiner allgemeinen Bedeutung verstanden haben wissen wollen. Wenn die tarifliche Regelung in § 5 TV VK-Arbeit auf "ihren Bruttoverdienst" abstellt, ist vom tatsächlich erzielten Bruttoverdienst – ausgenommen soziale Zulagen – der Arbeitnehmer auszugehen. Das Pronomen "ihren" deutet nach allgemeinem Sprachgebrauch auf den individuellen Verdienst der Arbeitnehmer hin. Mit "Bruttoverdienst" ist – mit Ausnahme der sozialen Zulagen – das gesamte Entgelt vor Abzug von Steuern und Sozialversicherung gemeint. Mithin stellt der Wortlaut des § 5 TV VK-Arbeit nicht nur die tarifvertraglichen Bestandteile ab. Der Wortlaut lässt damit eine Auslegung im Sinne des vom Kläger für richtig gehaltenen Verständnisses zu.
bb. Darüber hinaus lassen auch die Systematik bzw. der Wortlaut der weiteren Regelungen des TV VK-Arbeit darauf schließen, dass der "Bruttoverdienst" nach § 5 TV VK-Arbeit die außertariflichen Entgeltbestandteile einschließt. Insoweit wird demgegenüber in § 3 Ziffer 6. und in § 6 TV VK-Arbeit auf "ausgefallenen Verdienst ohne Zuschläge" sowie in § 4 Ziffer 4. TV VK-Arbeit auf "tarifliche Schichtzuschläge" und "sonstige manteltarifvertragliche Zuschlägen und Zulagen" abgestellt. Der Tarifvertrag trifft mithin auch andere Regelungen, die eindeutig auf tarifliche Entgeltbestandteile oder einen Verdienst ohne Zuschläge abheben.
cc. Auch aus dem Zusammenhang des TV VK-Arbeit mit den weiteren für die Hohlglas veredelnden Betriebe geltenden Tarifverträgen ergibt sich nichts Anderes. Insoweit regelt § 4 Ziffer II. 1. a) MTV, dass die Zulagenberechnung auf Basis des Stundenverdiensts ausschließlich sozialer Zulagen erfolgt. Eine eindeutige Regelung, dass damit nur der tarifliche Stundenlohn gemeint ist, ist nicht getroffen.
Wie das Arbeitsgericht zu Recht ausgeführt hat, sind die tariflichen Stundenlöhne nach dem Lohntarifvertrag entsprechend § 5 Ziffer 1. MTV Mindestlöhne. Die Berechnung von Zuschlägen auch auf der Basis von übertariflichen Entgeltbestandteilen ergibt sich mithin auch aus den Regelungen des MTV. Darüber hinaus stellt auch die Regelung in § 2a Ziffer 4. MTV wieder auf "tarifliche Schichtzuschläge" und "sonstige manteltarifvertragliche Zuschläge und Zulagen" ab. Mithin trifft auch der MTV Regelungen, die ausdrücklich auf tarifliche Zuschläge abheben. Gestützt wird die Auffassung des Klägers ferner durch die Regelung in § 3 Ziffer 1.a) des Tarifvertrages über Weihnachtsgeld, wonach Berechnungsgrundlage für das Weihnachtsgeld der tarifliche Zeitlohn ist. Die Tarifvertragsparteien haben damit auch bei den weiteren Tarifverträgen für die Hohlglas veredelnden Betriebe im Hinblick auf tarifliche und übertarifliche Lohnbestandteile differenziert.
dd. Aus Sinn und Zweck der Regelung in § 5 TV VK-Arbeit ergibt sich ebenfalls kein Anhaltspunkt, bei der Zuschlagsberechnung nicht vom Bruttoverdienst einschließlich übertariflicher Entgeltbestandteile auszugehen. Der Sinn des Zuschlags für vollkontinuierliche Arbeit liegt darin, den Arbeitnehmern einen monetären Ausgleich für arbeitszeitbedingte und nicht nachholbare Entbehrungen des Privatlebens, insbesondere an Wochenenden bzw. grundsätzlich arbeitsfreien Sonntagen, zu verschaffen. Es ist nicht ersichtlich, dass dieser Ausgleich sich nur auf den tariflichen Stundenlohn beziehen soll.
ee. Auch die Tarifgeschichte und das Zustandekommen des TV VK-Arbeit sprechen nicht für die von der Beklagten vertretene Auffassung. Die Tarifvertragsparteien haben bei der Neufassung des TV VK-Arbeit im Jahr 2022 die Formulierung in § 5 in Kenntnis der Begrifflichkeiten des MTV und des Tarifvertrages über Weihnachtsgeld abweichend geregelt. Eine Klarstellung im Hinblick auf den tariflichen Zeitlohn als Berechnungsgrundlage ist nicht erfolgt.
ff. Nicht zuletzt spricht die praktische Tarifübung, insbesondere die Abrechnungspraxis der Beklagten, für die Auffassung des Klägers. Die Beklagte rechnet unstreitig die anderen tariflichen Zuschläge auf Basis sowohl des tariflichen als auch des übertariflichen Lohns ab. Es ist somit widersprüchlich, wenn sie den Zuschlag für vollkontinuierliche Arbeit auf Basis sämtlicher Vergütungsbestandteile mit Ausnahme der übertariflichen Zulage berechnet. Widersprüchlich ist auch die Auffassung der Beklagten, wonach mit der Ausnahme sozialer Zulagen lediglich klargestellt werde, dass tarifliche Zulagen oder andere tarifliche Leistungen mit in den Stundenverdienst fließen sollten, jedoch keine außertariflichen Leistungen. Diese Differenzierung ergibt sich aus der Regelung in § 5 TV VK-Arbeit gerade nicht.
3. Nach alledem kann der Kläger den Zuschlag für vollkontinuierliche Arbeitsweise be rechnet auf der Basis seines Bruttoverdiensts einschließlich der übertariflichen Zulage, mithin die Zahlung der geltend gemachten Vergütungsdifferenzen für die Monate Januar bis März 2023, verlangen. Das Arbeitsgericht hat zutreffend entschieden, so dass die Berufung zurückzuweisen ist.
4. Die Beklagte hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.
5. Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der entscheidungserheb lichen Rechtsfrage zugelassen, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.