LAG Berlin-Brandenburg: TVöD und Arbeitnehmerfreizügigkeit - Anrechnung einschlägiger Beschäftigungszeiten
LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6.10.2015 – 7 Sa 773/15
Volltext: BB-ONLINE BBL2016-564-3
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Amtliche Leitsätze
1. Der Anwendungsbereich der Art. 45 Abs. 2 AEUV und Art. 7 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 ist nur auf Sachverhalte mit Auslandsbezug eröffnet (vgl.. EuGH vom 01.04.2008 –C-212/06 – SozR 4-6035 Art 39 Nr 3; vom 26.01.1999 – C-18/95 [Ter-hoeve] - Slg. 1999, I-345-397, Ziff. 27; vom 28.01.1992 – C-332/90 [Steen] - Slg. 1992, I-341 – 358, Rz. 12).
2. Ein Arbeitnehmer, der niemals das Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft ausgeübt hat, kann sich daher nicht darauf berufen, die Differenzierung in § 16 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 TV-L zwischen Arbeitnehmern, die ein neues Arbeitsverhältnis zum selben Arbeitgeber nach einer gemäß der Protokollerklärung Nr. 3 zu § 16 Abs. 2 TV-L unschädlichen Unterbrechung begründen, und den Arbeitnehmern, die von einem anderen Arbeitgeber in ein Arbeitsverhältnis zu einem Land wechseln, verstoße gegen die unionsrechtlichen Regelungen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit und sei daher nichtig.
Sachverhalt
Die Parteien streiten darüber, ob Beschäftigungszeiten, die die Klägerin bei einem privaten Arbeitgeber zurückgelegt hat, für die Stufenzuordnung nach dem TV-L anzurechnen sind.
Die Klägerin, eine Erzieherin mit staatlicher Anerkennung, ist bei dem beklagten Land seit dem 06.01.2014 auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 26.11.2013 als Erzieherin tätig. Gemäß § 2 des Arbeitsvertrages gelten für das Arbeitsverhältnis die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst der Länder, in der für das Land Berlin geltenden Fassung. Nach § 4 des Arbeitsvertrages ist die Klägerin in der Entgeltgruppe 8 TV-L eingruppiert. Bei ihrer Einstellung wurde sie in dieser Entgeltgruppe der Stufe 2 zugeordnet und erhält seitdem ein entsprechendes Entgelt.
Vor ihrer Anstellung bei dem beklagten Land war die Klägerin nach zwei Berufspraktika im Zeitraum vom 01.09.1997 bis zum 28.02.1998 und vom 09.08.1998 bis zum 09.09.1998 und nach Erlangung der staatlichen Anerkennung als Erzieherin zunächst vom 15.03.1999 bis zum 30.06.1999 als Erzieherin beim Kinderhaus M. B. e. V. beschäftigt. Danach war sie vom 01.10.2001 bis zum 15.08.2011 im Kinderladen E. L. e. V. und vom 16.08.2011 bis zum 31.12.2013 bei der Technischen J. F.- und B. (tjbfg) als Erzieherin tätig.
Mit Schreiben vom 28.07.2014 (Bl. 14 und 15 d. A.) machte die Klägerin unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 05.12.2013 (C-514/12 [Salzburger Landeskliniken Betriebs GmbH]) die Zuordnung zur Stufe 4 der Entgeltgruppe 8 geltend. Das beklagte Land erwiderte darauf mit Schreiben vom 06.08.2014 (Bl. 16 d. A.), sie habe einschlägige Berufserfahrung aus mehreren Arbeitsverhältnissen nachweisen können, nach den tariflichen Regelungen ergebe sich daraus jedoch nur eine Zuordnung zur Stufe 2. Mit einem weiteren Schreiben vom 30.09.2014 (Bl. 17 d. A.) machte die Klägerin die Zahlung eines Entgelts aus Entgeltgruppe 8 Stufe 5 geltend und forderte das beklagte Land auf, das Entgelt entsprechend nachzuberechnen und ihr auch künftig Entgelt nach Entgeltgruppe 8 Stufe 5 zu zahlen.
Mit ihrer am 15.10.2014 beim Arbeitsgericht eingegangenen Feststellungsklage verlangt die Klägerin ab dem 06.01.2014 Entgelt nach der Entgeltgruppe E 8 Stufe 5 TV-L Berliner Fassung. Sie begründet ihren Anspruch damit, die Nichtberücksichtigung von Vorbeschäftigungszeiten bei anderen Arbeitgebern als dem Land Berlin verstoße nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gegen die europäischen Regelungen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit. Insofern erweise sich die tarifliche Regelung als nichtig.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 1. April 2015, auf dessen Tatbestand wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien Bezug genommen wird, der Klage stattgegeben und festgestellt, dass das beklagte Land verpflichtet ist, die Klägerin mit Wirkung ab dem 6. Januar 2014 nach der Entgeltgruppe E 8 Stufe 5 TV-L Berliner Fassung zu vergüten. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe durch die vor der Beschäftigung bei dem beklagten Land ausgeübten Tätigkeiten einschlägige Berufserfahrung in der Entgeltgruppe 8 TV-L erworben. Die Tätigkeiten bei dem Kinderladen EKT L. und bei der Technischen J.F.- und B. (tjbfg) seien bei der Stufenzuordnung zu berücksichtigen, da die Klägerin dort ebenfalls die Tätigkeit einer staatlich anerkannten Erzieherin im Sinne der Voraussetzungen der Entgeltgruppe 8 TV-L ausgeübt habe. Dem könne § 16 Abs. 2 S. 3 TV-L nicht entgegengehalten werden, da diese Tarifnorm nicht mit Art. 45 AEUV und 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union vereinbar sei. Durch die Regelung des § 16 Abs. 2 S. 3 TV-L komme es zu einer mittelbaren Diskriminierung von grenzüberschreitend tätigen Beschäftigten, da sie im Vergleich zu inländischen Beschäftigten häufiger unter die abgestufte Einordnung nach dieser Vorschrift fallen könnten. Eine Rechtfertigung dieser mittelbaren Diskriminierung durch eines der im Vertrag der Europäischen Union genannten legitimen Ziele oder durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses liege nicht vor. Rechtfolge der Unwirksamkeit der tariflichen Regelung sei bis zu einer Abänderung des Tarifvertrages die Anwendung der Regelungen für die nicht diskriminierten Arbeitnehmer, was zu einer Anpassung nach oben im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts führe.
Gegen dieses dem beklagten Land am 20. April 2015 zugestellte Urteil richtet sich seine Berufung die es mit einem beim Landesarbeitsgericht am 5. Mai 2015 eingegangenen Schriftsatz eingelegt und mit einem beim Landesarbeitsgericht am 18. Juni 2015 eingegangenen Schriftsatz begründet hat.
Das beklagte Land wendet sich im Wesentlichen mit Rechtsausführungen gegen die arbeitsgerichtliche Entscheidung. Die Klägerin könne sich auf die europarechtliche Vorschrift zur Freizügigkeit schon deshalb nicht berufen, weil es an einer subjektiven grenzüberschreitenden Betroffenheit fehle. Sie habe zu keinem Zeitpunkt von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht. Aber auch dann, wenn die grundsätzliche Anwendung unionsrechtlicher Vorschriften im vorliegenden Fall bejaht würde, wäre eine Diskriminierung von „Wanderarbeitnehmern“ nicht ersichtlich. § 16 Abs. 2 S. 3 TV-L stelle – anders als Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 nicht auf die Staatsangehörigkeit ab. Die Vorschrift gelte für Aus- und Inländer gleichermaßen. Zudem liege unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 23. September 2010 – 6 AZR 180/09 – mit der in § 16 Abs. 2 TV-L normierten Besitzstandsvereinbarung ein legitimes Interesse an der unterschiedlichen Behandlung vor. Jedenfalls aber stelle eine Anwendung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs auf den vorliegenden Fall einen gravierenden Eingriff in die Tarifautonomie dar.
Das beklagte Land beantragt,
auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 01. April 2015 – 21 Ca 14506/14 – abgeändert und die Klage abgewiesen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung des beklagten Landes zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil mit Rechtsausführungen zur Anwendbarkeit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 05.12.2013 auf den vorliegenden Sachverhalt. Auf die fehlende „Auslandsberührung“ komme es nach diesem Urteil nicht an. Folge der mittelbaren Diskriminierung durch § 16 Abs. 2 S. 2 und 3 TV-L sei die Nichtigkeit dieser Vorschrift (§ 7 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011), die nicht etwa nur im Verhältnis zu bestimmten Arbeitnehmern (mit „Auslandserfahrung“) eintrete, sondern die Regelung insgesamt betreffe. Der Geltungsbereich des EU-Rechts sei auch deshalb eröffnet, weil eine solche Regelung inländische Arbeitnehmer davon abhalten könne, von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen, wie dies der EuGH in seiner Entscheidung ausgeführt habe. Weiterhin sei zu berücksichtigen, dass die Anwendung der Regelung nur auf Arbeitnehmer mit Auslandsbezug dazu führen würde, dass inländische Arbeitnehmer im Verhältnis zu diesen benachteiligt würden. Eine mittelbare Diskriminierung von Inländern sei ebenso unzulässig, wie die von Angehörigen anderer Staaten. Dass § 16 Abs. 2 S.3 TV-L nicht auf die Staatsangehörigkeit abstelle, sei unerheblich. § 16 Abs. 2 S. 3 TV-L könne sich seinem Wesen nach jedenfalls stärker auf andere Staatsangehörige auswirken. Ein „legitimes Interesse“ an der unterschiedlichen Behandlung liege nicht vor. Das Bundesarbeitsgericht habe sich in seiner Entscheidung noch nicht mit primärem und sekundärem Europarecht auseinandergesetzt. Der Gesichtspunkt, dass Berufserfahrungen bei anderen Arbeitgebern oftmals in gänzlich andersartigen Strukturen erworben worden seien, sei eher im Rahmen der Stufenzuordnung bei der Prüfung einschlägiger Berufserfahrung zu berücksichtigen als bei der Zuordnung zu einer höheren Stufen. Ein Anreiz zur Rückkehr sei kein legitimes und angemessenes Ziel im Lichte der Verordnung. Eine Regelung, die die „Betriebstreue“ privilegiere, sei mittelbar diskriminierend. Auch sei ein Eingriff in die Tarifautonomie nicht feststellbar, da die Tarifvertragsparteien ohnehin an höherrangiges Recht gebunden seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf den Schriftsatz des beklagten Landes vom 18.06.2015 (Bl. 74 – 82 d. A.) sowie auf denjenigen der Klägerin und Berufungsbeklagten vom 15.07.2015 (Bl. 87 – 91 d. A.) Bezug genommen.
Aus den Gründen
1. Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des beklagten Landes ist von ihm fristgemäß und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO, § 66 Abs. 1 S. 1 und 2 ArbGG).
Die Berufung des beklagten Landes ist daher zulässig.
2. Die Berufung des beklagten Landes hat in der Sache Erfolg. Die Klägerin ist bei ihrer Einstellung zu Recht gemäß § 16 Abs. 2 S. 3 TV-L der Stufe 2 der Entgeltgruppe 8 zugeordnet worden. Sie kann sich nicht darauf berufen, die Differenzierung in § 16 Abs. 2 S. 2 und S. 3 TV-L zwischen Arbeitnehmern, die ein neues Arbeitsverhältnis zum selben Arbeitgeber begründen und den Arbeitnehmern, die wie die Klägerin von einem anderen, insbesondere privatrechtlichen Arbeitgeber in ein Arbeitsverhältnis zum beklagten Land gewechselt sind, verstoße gegen Art. 45 AEUV und 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union und sei daher insgesamt nichtig.
2.1 Der Anspruch der Klägerin auf Anerkennung der Vorbeschäftigungszeiten für die Zuordnung zu einer höheren Stufe der Entgeltgruppe 8 folgt nicht bereits aus den Regelungen des TV-L in der für das Land Berlin geltenden Fassung. Diese gelten aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme unabhängig von einer Tarifbindung der Klägerin.
2.1.1 Die dafür maßgebliche Vorschrift in § 16 Abs. 2 TV-L lautet wie folgt:
„Bei der Einstellung werden die Beschäftigten der Stufe 1 zugeordnet, sofern keine einschlägige Berufserfahrung vorliegt. Verfügen Beschäftigte über eine einschlägige Berufserfahrung von mindestens einem Jahr aus einem vorherigen befristeten oder unbefristeten Arbeitsverhältnis zum selben Arbeitgeber, erfolgt die Stufenzuordnung unter Anrechnung der Zeiten der einschlägigen Berufserfahrung aus diesem vorherigen Arbeitsverhältnis. Ist die einschlägige Berufserfahrung von mindestens einem Jahr in einem Arbeitsverhältnis zu einem anderen Arbeitgeber erworben worden, erfolgt die Einstellung in die Stufe 2, bzw. – bei der Einstellung nach dem 31. Januar 2014 (§ 9 Abs. 3 Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten des Landes Berlin in das Tarifrecht der TD-L (TV Wiederaufnahme Berlin) vom 12. Dezember 2012) und Vorliegen einer einschlägigen Berufserfahrung von mindestens drei Jahren – in Stufe 3. Unabhängig davon kann der Arbeitgeber bei Neueinstellung zur Deckung des Personalbedarfs Zeiten einer vorherigen beruflichen Tätigkeit ganz oder teilweise für die Stufenzuordnung berücksichtigen, wenn diese Tätigkeit für die vorgesehene Tätigkeit förderlich ist.“
2.1.2 Nach diesen tariflichen Regelungen hat das beklagte Land die Klägerin zutreffend in die Stufe 2 eingruppiert. Die Klägerin weist eine einschlägige Berufserfahrung von mindestens einem Jahr in einem Arbeitsverhältnis zu einem anderen Arbeitgeber auf. Eine Zuordnung zur Stufe 3 konnte indes nicht erfolgen. Auch wenn die Klägerin eine einschlägige Berufserfahrung von mindestens 3 Jahren aufweist, findet die Regelung in § 16 Abs.2 Satz 2 TV-L keine Anwendung, da nach § 9 Abs. 3 des Tarifvertrags zur Überleitung der Beschäftigten des Landes Berlin in das Tarifrecht der TD-L (TV Wiederaufnahme Berlin) vom 12. Dezember 2012 der Stichtag dafür für den Bereich des Landes Berlin auf den 31.01.2014 verschoben wurde, die Klägerin aber bereits am 06.01.2014 eingestellt wurde.
2.1.3 Eine Anrechnung von Vorbeschäftigungszeiten nach § 16 Abs. 2 S. 2 TV-L kam nach den tariflichen Regelungen nicht in Betracht. Diese setzen voraus, dass die einschlägige Berufserfahrung bei demselben Arbeitgeber erworben worden sein muss (§ 16 Abs. 2 S. 2 TV-L). Dass die Differenzierung in § 16 Abs. 2 S. 2 und S. 3 TV-L zwischen Arbeitnehmern, die ein neues Arbeitsverhältnis zum selben Arbeitgeber nach einer gemäß der Protokollerklärung Nr. 3 zu § 16 Abs. 2 TV-L unschädlichen Unterbrechung begründen, und den Arbeitnehmern, die von einem anderen Arbeitgeber in ein Arbeitsverhältnis zu einem Land wechseln, mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, hat das Bundesarbeitsgericht bereits entschieden (Urteil vom 23.09.2010 – 6 AZR 180/09 – BAGE 135, 313 ff.). Dem schließt sich die erkennende Kammer an.
2.2 Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Anerkennung ihrer Vorbeschäftigungszeiten gemäß § 16 Abs. 2 TV-L aus Art. 45 Abs. 2 AEUV und Art. 7 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union.
2.2.1 Art. 45 Abs. 2 AEUV verbietet jede auf der Staatsangehörigkeit beruhende unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten der Europäischen Union in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen. Art. 7 Abs. 1 der Verordnung 492/2011 stellt nur eine besondere Ausprägung des in Art. 45 Abs. 2 AEUV enthaltenen Diskriminierungsverbots auf dem speziellen Gebiet der Beschäftigungsbedingungen und der Arbeit dar und ist daher ebenso auszulegen wie Art. 45 Abs. 2 AEUV (EuGH v. 05.12.2013 – C-514/12 [Salzburger Landeskliniken Betriebs GmbH] – NZA 2014, 204 – 207). Bestimmungen in Tarifverträgen sind nichtig, soweit sie für Arbeitnehmer, die Staatsangehörige anderer Mitgliedsstaaten sind, diskriminierende Bedingungen vorsehen oder zulassen (Art. 7 Abs. 4 Verordnung (EU) Nr. 492/2011). An ihre Stelle tritt die Regelung, die für die Nicht-Diskriminierten gilt (sog. „Anpassung nach Oben“, EuGH v. 22.06.2011 – C-399/09 [Landtovà] – Slg 2011, I-5573-5614; ErfK/Wißmann AEUV Art. 45, Rn 53 mwN).
Die Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit sind jedoch nur auf solche Sachverhalte anwendbar, die einen Auslandsbezug aufweisen (ErfK/Wißmann AEUV Art. 45 Rz. 46; Schubert/Däubler Arbeitsrecht 3. Aufl. Art. 267 Rn 69). Sie sind nicht auf Tätigkeiten anwendbar, die keine Berührung mit irgendeinem Sachverhalt aufweisen, auf die das Gemeinschaftsrecht abstellt und mit keinem relevanten Element über die Grenzen eines Mitgliedstaates hinausreichen (vgl. EuGH vom 01.04.2008 –C-212/06 – SozR 4-6035 Art 39 Nr 3; vom 26.01.1999 – C-18/95 [Terhoeve] - Slg. 1999, I-345-397, Ziff. 27; vom 05.06.1997 – C-64/96 und C-65/96 [Uecker und Jacquet] - Slg.1997, I-3171, Rnr. 16 und vom 02.07.1998 – C-225/95 bis C-227/95, [Kapasakalis u. a.] Slg.1998, I-0000, Rnr. 22). Ein Staatsangehöriger, der niemals das Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft ausgeübt hat, kann sich im Hinblick auf einen rein internen Sachverhalt nicht auf die europäischen Regelungen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit berufen (vgl. EuGH vom 28.01.1992 – C-332/90 [Steen] - Slg. 1992, I-341 – 358, Rz. 12).
2.2.2 So aber verhält es sich auch im Streitfall. Der Anwendungsbereich von Art. 45 Abs. 2 AEUV und 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 492/2011 ist für die Klägerin nicht eröffnet. Es fehlt in ihrer Person an einem grenzüberschreitenden Sachverhalt. Weder hat die Klägerin die Staatsangehörigkeit eines anderen EU-Mitgliedsstaates, noch hat sie Beschäftigungszeiten in einem anderen Mitgliedsstaat erworben, deren Anerkennung sie nun im vorliegenden Prozess geltend machen möchte. Die hier im Streit stehenden Beschäftigungszeiten hat die Klägerin ausschließlich bei einem privaten Arbeitgeber im Inland zurückgelegt. Die Klägerin hat von ihrem Recht auf Freizügigkeit nie Gebrauch gemacht.
Der erforderliche Auslandsbezug lässt sich auch nicht daraus ableiten, dass die Klägerin (möglicherweise) mit der tariflichen Regelung davon abgehalten werden könnte, von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen. Ob der erforderliche Auslandsbezug gegeben ist, hängt von den tatsächlichen Feststellungen ab, die im Rechtsstreit vom innerstaatlichen Gericht zu treffen sind (vgl. EuGH vom 28.01.1992 – C-332/90 [Steen] – a.a.O. Rn ). Danach ergibt der Sachverhalt keine Anhaltspunkte dafür. Die Klägerin hat gerade erst ihre Tätigkeit für das beklagte Land aufgenommen. Die rein hypothetische Aussicht auf Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit stellt aber nach der Rechtsprechung des EuGH (vgl. EuGH vom 08.11.2012 – C-40/11 – [Iida] - EuGRZ 2012, 745-752 Rz. 77) keinen Bezug zum Unionsrecht her, der eng genug wäre, um die Anwendung der Unionsrechtsbestimmungen zu rechtfertigen (so auch ErfK/Wißmann Art. 45 AEUV Rz. 46).
2.2.3 Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, die tarifliche Regelung in § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L, wonach Beschäftigungszeiten nur bei demselben Arbeitgeber in vollem Umfang zu berücksichtigen seien, sei nach Art. 7 Abs. 4 der Verordnung (EU) insgesamt nichtig und damit auch auf ihren Fall nicht anwendbar.
2.2.3.1 Zutreffend ist, dass Unionsrecht Vorrang vor nationalem Recht beansprucht. Der Anwendungsvorrang folgt aus dem Unionsrecht, weil die Union als Rechtsgemeinschaft nicht bestehen könnte, wenn die einheitliche Wirksamkeit des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten nicht gewährleistet wäre. Im Anwendungsbereich des Unionsrechts ist entgegenstehendes mitgliedstaatliches Recht unanwendbar (vgl. BVerfG vom 06.07.2010 – 2 BVR 2661/06 – NZA 2010 995 Rz. 53).
2.2.3.2 Der Anwendungsvorrang ist aber auf den Anwendungsbereich des Unionsrechts begrenzt. Denn nach Art. 5 Abs. 1 und 2 EUV (idF von 2012) wird die Union nur innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten tätig, die die Mitgliedsstaaten ihr in den Verträgen zur Verwirklichung der darin niedergelegten Ziele übertragen haben. Alle der Union nicht in den Verträgen übertragenen Zuständigkeiten verbleiben bei Mitgliedsstaaten. Aus diesem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung folgt, dass Unionsrecht nur für den ihm von den Mitgliedsstaaten übertragenen Anwendungsbereich Geltung und Vorrang entfalten will. Dies führt dazu, dass entgegenstehendes nationales Recht nicht insgesamt nichtig ist, sondern weiter seine Geltung entfalten kann, wenn und soweit es jenseits des Anwendungsbereich einschlägigen Unionrechts einen sachlichen Regelungsbereich behält (vgl. BVerfG vom 06.07.2010 – 2 BVR 2661/06 – a.a.O).
2.2.3.3 Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die tariflichen Regelungen – deren Verstoß gegen die europäischen Regelungen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit einmal unterstellt – nur dann keine Anwendung finden, sofern ein entsprechender Sachverhalt mit Unionsbezug vorliegt. Die tarifliche Regelung ist nicht insgesamt und gegenüber jedermann nichtig, mit der Folge, dass sich auch die Klägerin darauf berufen könnte. Dies kommt auch im Wortlaut von Art. 7 Abs. 4 der Verordnung (EU) deutlich zum Ausdruck, indem es dort heißt „…soweit sie für Arbeitnehmer, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind…“. Die Nichtigkeitsregelung beschränkt sich ausschließlich auf Fallkonstellationen, die in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, also bei denen ein Bürger der Europäischen Gemeinschaft von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat und in einem anderen Mitgliedsstaat seine Berufstätigkeit ausgeübt hat. Dies ist bei der Klägerin nicht der Fall.
2.2.4 Aus der von der Klägerin herangezogenen Entscheidung des EuGH vom 05.12.2013 (C-514/12.[Salzburger Landeskliniken Betriebs GmbH]-a.a.O.) ergibt sich nichts anderes. Der EuGH hat dort in Beantwortung der ihm vorgelegten Frage in einem Rechtsstreit zwischen dem Zentralbetriebsrat der gemeinnützigen Salzburger Landeskliniken Betriebs GmbH und dem Land Salzburg eine Auslegung der Art. 45 AEUV und 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 492/2011 vorgenommen. Auf die Frage, ob der Anwendungsbereich der Regelungen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit im Einzelfall eröffnet war, kam es im dortigen Ausgangsrechtsstreit nicht an. Eine allgemein gültige Feststellung der Unwirksamkeit innerstaatliches Recht, für dass der Gerichtshof ohnehin keine Kompetenz beansprucht (vgl. EuGH vom 15.01.1998 – Rechtssache C-15/96 – NZA 1998, 205 Rz. 9 mwN.), hat er dort nicht getroffen.
2.2.5 War aber im vorliegenden Fall der Anwendungsbereich von Art. 45 AEUV und Art. 7 EUV nicht eröffnet, erweist sich schon aus diesem Grund die tarifliche Regelung nicht nach Art. 7 Abs. 4 EUV als nichtig. Mithin stehen der Klägerin Ansprüche auf die Anerkennung von Vorbeschäftigungszeiten bei privaten Arbeitgebern im vorliegenden Arbeitsverhältnis für die Zuordnung zu den tariflichen Stufen nicht zu.
2.3 Aber auch wenn der Anwendungsbereich von Art. 45 AEUV und Art. 7 EUV eröffnet wäre, erweist sich die tarifliche Regelung nicht wegen Verstoßes gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit als nichtig. Dabei kann dahinstehen, ob bei der hier im Streit stehenden tariflichen Regelung nach § 16 TV-L, die auf die Beschäftigungszeiten bei demselben Arbeitgeber abstellt, überhaupt eine mittelbare Diskriminierung von „Wanderarbeitnehmern“ vorliegt. Denn auch wenn dies der Fall wäre, wäre eine solche Maßnahme zulässig. Für die volle Anerkennung von bei demselben Arbeitgeber erworbenen Beschäftigungszeiten liegt ein sachlicher Grund vor. Die Tarifvertragsparteien haben in § 16 TV-L ein differenziertes Konzept zur Wahrung von Besitzständen geschaffen und mit der Regelung sichergestellt, dass bei wiederholten Befristungen, wie sie im öffentlichen Dienst verbreitet üblich sind, dieser Personenkreis überhaupt die Chance zum Stufenaufstieg erhält (vgl. BAG vom 23.09.2010 – 6 AZR 180/09 – BAGE 135, 313 ff.). Der in einem vorangegangenen Vertragsverhältnis mit demselben Arbeitgeber erworbene Besitzstand sollte nicht durch die rechtliche oder kurzfristige tatsächliche Unterbrechung des Vertrages verloren gehen. Dabei mussten die Tarifvertragsparteien die bei anderen Arbeitgebern erworbene Berufserfahrung nicht in gleicher Weise berücksichtigen. Sie konnten in diesem Zusammenhang davon ausgehen, dass die bei demselben Arbeitgeber erworbene Berufserfahrung den Beschäftigten befähigt, nach seiner Wiedereinstellung die im vorherigen Arbeitsverhältnis erworbene Berufserfahrung schneller im vollen Umfang im neuen Arbeitsverhältnis einsetzen zu können, als dies einem Arbeitnehmer möglich ist, der seine Berufserfahrung in den oftmals gänzlich andersartigen Strukturen bei anderen Arbeitgebern, namentlich bei solchen der Privatwirtschaft erworben hat (BAG vom 23.09.2010 – 6 AZR 180/09 – aaO.). Auch konnten die Tarifvertragsparteien mit dieser Regelung einen Anreiz zur Rückkehr solcher Beschäftigten in den öffentlichen Dienst schaffen, die bereits einschlägige Berufserfahrung beim selben öffentlichen Arbeitgeber erworben haben (vgl. BVerfG vom 28.11.1997 – 1 BVR 8/96 – NZA 1998, 318). Es ist ein berechtigtes Interesse des öffentlichen Arbeitgebers, sich die von ihm bereits eingearbeiteten und qualifizierten Arbeitnehmer zu erhalten bzw. wieder zu gewinnen.
Insofern unterscheidet sich die vorliegende tarifliche Regelung von der früheren Regelung zum Zeitaufstieg nach dem BAT, für die der EuGH (Urteil vom 15.01.1998 - C-15/96 – NZA 1998, 205 ff.) ausgeführt hat, dass die damalige Berücksichtigung zurückgelegter Beschäftigungszeiten für den Zeitaufstieg angesichts der großen Zahl der Arbeitgeber nicht mit dem Bestreben gerechtfertigt werden könne, die Treue der Arbeitnehmer zu honorieren, aber auch von den der Rechtssache Salzburger Landeskliniken zugrunde liegenden Regelungen. Denn anders als bei dem damaligen System des Zeitaufstiegs und anders als bei den Salzburger Landeskliniken ist die volle Anerkennung einschlägiger Berufserfahrung auf denselben Arbeitgeber beschränkt, also auf die den Vertrag abschließende juristische Person. Es handelt sich damit um eine allein aus den vergangenen vertraglichen Beziehungen begründete Verpflichtung zur Anerkennung einschlägiger Berufserfahrung, die so bei Arbeitnehmern aus anderen Vertragsverhältnissen von den Tarifvertragsparteien als nicht in gleicher Weise berücksichtigungsfähig angesehen werden durfte.
3. Ein Anspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Soweit die Klägerin darauf verweist, dass sie als „Inländerin“ möglicherweise im Vergleich zu ausländischen Arbeitnehmern benachteiligt werden könnte, fehlt es an einem vergleichbaren Sachverhalt. Auch wenn das beklagte Land bei Arbeitnehmern, die im Ausland tätig gewesen waren, im Hinblick auf die unionsrechtlichen Regelungen zur Freizügigkeit dort erworbene einschlägige Berufserfahrung anerkennen würde, wäre eine solche Differenzierung aufgrund der unterschiedlichen Rechtsregelungen sachlich gerechtfertigt. Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass Art. 45 auch dann nicht anwendbar ist, wenn ein Arbeitnehmer, dessen Sachverhalt über die Grenzen seines Heimatstaates nicht hinausweist von seinem dort ansässigen Arbeitgeber im Vergleich zu ausländischen Arbeitnehmern benachteiligt wird (vgl. ErfK/Wißmann – a.a.O. AEUV Art. 45 Rz. 46 mwN.).
4. Aus diesen Gründen war auf die Berufung des beklagten Landes das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der entscheidungserheblichen Rechtsfrage zuzulassen (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG).