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Arbeitsrecht
29.09.2022
Arbeitsrecht
LAG Nürnberg: Streitwert – Vergleichsmehrwert – Abgeltungsklausel

LAG Nürnberg, Beschluss vom 29.1.2021 – 2 Ta 6/21

Volltext: BB-Online BBL2022-2291-3

Leitsatz

Kein Vergleichsmehrwert für eine Abgeltungsklausel, wenn diese aufgrund einer pauschalen, jedoch weder näher konkretisierten noch fassbaren Anspruchsbehauptung einer Partei gegenüber der anderen Partei vereinbart wurde. Auf das interne Mandatsverhältnis kommt es nicht an.

Sachverhalt

A.

Die Parteien stritten um die Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte des Klägers. Das Einkommen des Klägers betrug monatlich 7.198,33 € brutto.

Das Verfahren endete durch gerichtlich festgestellten Vergleich am 19.11.2020. Darin einigten sich die Parteien u.a. auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung, die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte, die Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses mit Bewertung sowie eine Abgeltungsklausel, wonach alle finanziellen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und anlässlich seiner Beendigung abgegolten und erledigt sind.

Das Arbeitsgericht setzte den Streitwert mit Beschluss vom 26.11.2020 für das Verfahren auf 7.198,33 (1 Monatsgehalt) und den überschießenden Vergleichswert auf 28.793,32 € (4 Monatsgehälter) fest.

Mit Schriftsatz vom 29.12.2020 legten die Vertreter des Klägers im Urteilsverfahren (künftig Beschwerdeführer) gegen diesen Beschluss "Rechtsmittel" ein und beantragten gleichzeitig die Festsetzung des Gegenstandswerts für die anwaltliche Tätigkeit.

Dabei gingen sie von einem Wert für das Verfahren von 7.198,33 € aus. Gegen die Bewertung der Ziffern 1 - 7 des Vergleichs (Ziffer 1 Beendigung des Arbeitsverhältnisses: 21.595,99 €, Ziffer 3 Entfernung der Abmahnung 7.198,33 Vergleichswert, nicht Vergleichsmehrwert. Ziffer 7 Zeugnis 7198,33, Ziffern 2, 3, 4, 6, 7 kein Vergleichsmehrwert) wandten sich die Beschwerdeführer nicht. Für die in Ziffer 8 vereinbarte Abgeltungsklausel sei jedoch ein Vergleichsmehrwert von 210.000,- € anzusetzen. Der Kläger habe in seiner E-Mail vom 11.10.2020 an den Beschwerdeführer Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in dieser Höhe beziffert.

Der Kläger bestritt die Mandatierung der Beschwerdeführer bezüglich der in der E-Mail genannten Forderungen, da sie mit "Überlegungen" überschrieben sei.

Das Arbeitsgericht half der Beschwerde mit Beschluss vom 04.01.2021 nicht ab und legte das Verfahren dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vor. Für die Abgeltungsklausel sei ein Mehrwert nicht festzusetzen, da sich aus der E-Mail des Klägers nur entnehmen lasse, dass die in den Raum gestellten Argumente für die Vereinbarung der Höhe der Abfindung dienen sollten.

Hiergegen wandten sich die Beschwerdeführer bereits mit Schriftsatz vom 06.01.2021. Der Beschwerdeführer sei auch hinsichtlich der Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche mandatiert worden. Es habe sich um echte materiell-rechtliche Forderungen des Klägers gehandelt. Dies ergebe sich insbesondere auch aus dem vierseitigen Schreiben (Blatt 255 - 258 der Akten) und der E-Mail vom 29.10.2020 (Blatt 259 der Akten) an die Beschwerdeführer. Diese seien mit der Abgeltungsklausel erledigt. Auch sei eine entsprechende Honorarvereinbarung getroffen worden. Diesbezüglich sei mittlerweile eine Honorarklage (Teilklage) beim Amtsgericht Fürth anhängig.

Das Landesarbeitsgericht gab Gelegenheit zur Stellungnahme bis 25.01.2021.

Mit Schriftsatz vom 25.01.2021 bestritt der Kläger u.a., dass die Forderungen gegenüber der Beklagten geltend gemacht worden seien.

In einem Telefonat vom 27.01.2021 wies das Gericht die Beschwerdeführer darauf hin, dass die Streitwertfestsetzung nach der ständigen Rechtsprechung des LAG Nürnberg auch für den Vergleichsmehrwert nach § 32 RVG erfolge und ein solcher für die Abgeltungsklausel nur dann in Frage komme, wenn die Ansprüche gegenüber der Beklagten geltend gemacht worden seien. Die Beschwerdeführer sollten daher eine Rücknahme der Beschwerde in Erwägung ziehen.

Mit Schriftsatz vom 28.01.2021 behaupteten die Beschwerdeführer, dass zumindest in der ersten telefonischen Besprechung mit der gegnerischen Synikusanwältin am 12.10.2020 die möglichen Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche in den Raum gestellt worden seien für den Fall, dass eine Einigung nicht zustande komme. Nach telefonischer Rückfrage bei der gegnerischen Syndikusanwältin habe diese bestätigt, dass der Beschwerdeführer dem Landesarbeitsgericht zum Zwecke der Streitwertfestsetzung gerne so schreiben könne, dass "wie schon im ersten Telefonat über mögliche Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche gesprochen hätten" bzw. diese im Raum stünden. Mit Schriftsatz vom 29.01.2021 verwiesen die Beschwerdeführer erneut auf die E-Mail vom 29.10.2020.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Beschwerdeakte verwiesen.

Aus den Gründen

B.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

I. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist statthaft, § 68 Abs. 1 GKG, denn sie richtet sich gegen einen Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühr gemäß § 63 Abs. 2 GKG festgesetzt worden ist. Dies gilt auch für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts (LAG Nürnberg 28.05.2020 - 2 Ta 76/20 juris; 24.02.2016 - 4 Ta 16/16 juris mwN). Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,- €. Die Beschwerde ist innerhalb der in § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG bestimmten Frist eingelegt worden, § 68 Abs. 1 Satz 3 GKG. Der Beschwerdeführer kann als Klägervertreter aus eigenem Recht Beschwerde einlegen, § 32 Abs. 2 RVG. Der Antrag auf Festsetzung des Gegenstandswerts für die anwaltliche Tätigkeit nach § 33 RVG wird im Hinblick auf die vorrangige und erfolgte Festsetzung nach § 32 RVG als gegenstandslos betrachtet.

II. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.

1. Die seit 01.01.2020 für Streitwertbeschwerden allein zuständige Kammer 2 des Landesarbeitsgerichts Nürnberg folgt grundsätzlich den Vorschlägen der auf Ebene der Landesarbeitsgerichte eingerichteten Streitwertkommission. Diese sind im jeweils aktuellen Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit niedergelegt (derzeitige Fassung vom 09.02.2018, NZA 2018, 498). Der Streitwertkatalog entfaltet zwar keine Bindungswirkung. Er stellt aber aus Sicht des erkennenden Gerichts eine ausgewogene mit den gesetzlichen Vorgaben übereinstimmende Orientierung für die Arbeitsgerichte dar.

2. Die Festsetzung des Streitwerts für das Verfahren in Höhe eines Monatsgehalts und des Vergleichsmehrwerts bezogen auf die Ziffern 1 - 7 des Vergleichs begegnet weder seitens der Beteiligten noch des Beschwerdegerichts Bedenken. Sie entspricht den Empfehlungen im Streitwertkatalog.

3. Zu Recht hat das Arbeitsgericht für Ziffer 8 des Vergleichs (Abgeltungsklausel) einen Vergleichsmehrwert nicht festgesetzt.

a. Eine Einigungsgebühr für die anwaltliche Tätigkeit fällt gem. Nr. 1000 VV RVG (Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG) für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrages an, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis oder einen Rechtsanspruch beseitigt wird. Dem tragen die Regelungen für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts in Ziffer I Nr. 25.1 des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit Rechnung, wonach ein Vergleichsmehrwert nur festzusetzen ist, wenn durch den Vergleichsabschluss ein weiterer Rechtsstreit und/oder außergerichtlicher Streit erledigt und/oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt werden. Dabei muss gerade über die Frage eines Anspruchs oder Rechts in Bezug auf die jeweilige Regelung zwischen den Parteien Streit und/oder Ungewissheit bestanden haben; keine Werterhöhung tritt ein, wenn es sich lediglich um eine Gegenleistung zur Beilegung des Rechtsstreits handelt. Ausgleichsklauseln erhöhen den Vergleichswert nur, wenn durch sie ein streitiger oder ungewisser Anspruch erledigt wird. Abzustellen ist auf das wirtschaftliche Interesse der in Anspruch genommenen Partei (Ziffer I 15.1.5 Streitwertkatalog). Abzustellen ist auf die Umstände zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses.

b. Voraussetzung für die Existenz und Beilegung einer möglichen Forderung in einer Abgeltungsklausel ist allerdings, dass die erledigte Forderung zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses noch besteht bzw. bereits soweit manifestiert und konkretisiert sind, dass für den Forderungsgegner voraussichtlicher Forderungsgrund und ungefähre Forderungshöhe erkennbar sind und er auch erkennen kann, ob der Forderungsinhaber sich einer fassbaren Forderung ernsthaft berühmt und eine Geltendmachung möglich erscheint. Nur dann hat die Abgeltungsklausel bezüglich einer möglichen Forderung für die Beteiligten einen wirtschaftlichen Wert. Wird eine Abgeltungsklausel lediglich deklaratorisch vereinbart oder erfolgt ihre Vereinbarung aufgrund der pauschalen, jedoch weder näher konkretisierten noch fassbaren Anspruchsbehauptung einer Partei, kommt ihr kein eigener Wert zu (LAG Rheinland-Pfalz 10.10.2011 - 1 Ta 179/11; LAG Baden-Württemberg 09.12.2014 - 5 Ta 180/14 Rn 7). Entscheidend ist dabei nicht das interne Mandatsverhältnis, sondern das Verhältnis zur gegnerischen Partei.

c. Im vorliegenden Fall ist nicht hinreichend erkennbar, dass die vom Kläger intern aufgelisteten Forderungen (E-Mail vom 11.10.2020, vierseitiges Schreiben, E-Mail vom 29.10.2020) auch gegenüber der Beklagten so kommuniziert bzw. in den Raum gestellt wurden, dass für die Beklagte eine ungefähre Forderungshöhe erkennbar war. Auch nach den Ausführungen der Beschwerdeführer im Schriftsatz vom 28.01.2021, ist nicht ersichtlich, dass die im Raume stehenden Forderungen über eine pauschale nicht näher konkretisierte oder fassbare Anspruchsbehauptung hinausgingen. Die bloße Behauptung von Schadensersatzansprüchen oder Schmerzensgeldansprüchen gegenüber der Beklagten ohne näheren Inhalt genügt nicht, um die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts zu rechtfertigen.

d. Das Beschwerdegericht stellt aber ausdrücklich klar, dass die gerichtliche Streitwertfestsetzung für die Abreden innerhalb des Mandatsverhältnisses insbesondere der streitigen Honorarvereinbarung nicht ausschlaggebend ist. Diese Frage wird im Honorarprozess zu klären sein.

C.

Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden alleine ergehen, § 78 Satz 3 ArbGG.

Für eine Kostenentscheidung bestand kein Anlass, da das Beschwerdeverfahren gebührenfrei ist und eine Kostenerstattung nicht stattfindet, § 68 Abs. 3 GKG.

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