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Arbeitsrecht
22.05.2025
Arbeitsrecht
LAG Nürnberg: Streit über Klagerücknahme – Streitwertfestsetzung

LAG Nürnberg, Beschluss vom 26.3.2025 – 2 Ta 7/25

Volltext: BB-Online BBL2025-1268-6

Leitsatz

Wenn die Wirksamkeit einer Klagerücknahme vor Festsetzung des Streitwerts nach § 63 Abs. 2 GKG streitig wird, kann der Streitwert mangels Beendigung des gesamten Verfahrens nicht festgesetzt werden. Allerdings ist gegen eine insoweit „verfrühte" Festsetzung des Streitwerts eine Beschwerde des Prozessbevollmächtigten des Beklagten mangels Beschwer unzulässig.

ZPO § 52, § 269, GKG § 63, RVG § 32, § 33

Aus den Gründen

I. Mit ihren Beschwerden wenden sich die Vertreter der Beklagten zu 1) und 4) sowie die Beklagten zu 1) und 4) gegen den Streitwertfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts vom 08.01.2025.

 

Gegenstand der Klage vom 12.10.2024 in der Fassung des Schriftsatzes vom 12.11.2024 war die Unterlassung von Menschenraub. Mit Schriftsatz vom 15.11.2024, eingegangen beim Arbeitsgericht Nürnberg am 30.12.2024, erklärte der Kläger die Klagerücknahme. Auf Antrag der Vertreterin der Beklagten zu 2), eingegangen beim Arbeitsgericht Nürnberg am 08.01.2025 um 12:39 Uhr, wurde der Streitwert mit Beschluss vom 08.01.2025 auf 2.500,00 € festgesetzt.

 

Hiergegen legte der Beklagtenvertreter zu 4 mit Schreiben vom 08.01.2024, eingegangen beim Arbeitsgericht Nürnberg am selben Tag um 17:41 Uhr, Beschwerde ein. Die Voraussetzungen für die Festsetzung des Streitwerts lägen nicht vor. Weder sei eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergangen noch sei das Verfahren anderweitig erledigt. Für den Kläger sei beim Amtsgericht Nürnberg ein Betreuungsverfahren eingeleitet worden, das noch nicht abgeschlossen sei. Solange nicht geklärt sei, ob der Kläger Prozesserklärungen wirksam abgeben könne, sei weder feststehend, ob die erhobene Klage zulässig sei noch ob die Klagerücknahme wirksam vom Kläger habe erklärt werden können. Das gegenständliche Verfahren sei nicht beendet. Denkbar sei allenfalls, den Streitwert vorläufig festzusetzen. In diesem Fall sei ein solcher mit 10.000,00 € zu beziffern. Der Streitwert bei Unterlassungsansprüchen werde in der Regel von den Zivilgerichten in dieser Höhe bestimmt. Jedenfalls aber sei das Vierteljahreseinkommen des Klägers maßgeblich, welches bei der Beklagten zu 4) 6.237,00 € brutto betragen habe.

 

Der Vertreter der Beklagten zu 1) schloss sich zur Begründung seiner Beschwerde den Ausführungen des Vertreters der Beklagten zu 4) an.

 

Das Arbeitsgericht hat den Beschwerden mit Beschluss vom 13.02.2025 nicht abgeholfen und dem Landesarbeitsgericht das Verfahren zur Entscheidung vorgelegt. Die Beschwerde hinsichtlich des Hauptantrags sei unzulässig, da eine „verfrühte Festsetzung“ nicht zu einer Beschwer führe. Außerdem sei nicht ersichtlich, dass der Beklagtenvertreter zu 4 auch im Namen des Beklagten zu 4 Beschwerde eingelegt habe.

 

Das Landesarbeitsgericht hat den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

 

Der Beklagtenvertreter zu 4) hält an seiner Argumentation fest und führt darüber hinaus aus, dass er sowohl im Namen der Beklagten zu 4) als auch im eigenen Namen Beschwerde eingelegt habe. Beide seien beschwert, da eine Streitwertfestsetzung nicht habe ergehen dürfen, da das Verfahren nicht abgeschlossen sei. Der Beklagtenvertreter zu 1 schließt sich der Beschwerde des Beklagtenvertreters zu 4) an. Die Beklagte zu 1) hält in ihrem Schriftsatz vom 07.03.2025 die Festsetzung eines gesonderten Streitwerts für nicht gerechtfertigt. Im Übrigen wird auf die Stellungnahmen der Beteiligten im Beschwerdeverfahren Bezug genommen.

 

II. Die Beschwerden der Beklagten zu 1) und zu 4) sind zulässig und begründet. Die Beschwerden der Beklagtenvertreter zu 1) und 4) sind unzulässig.

 

1. Die Beschwerden der Beklagten zu 1) und 4) sind statthaft, § 68 Abs. 1 GKG, denn sie richten sich gegen einen Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühr gemäß § 63 Abs. 2 GKG festgesetzt worden ist. Auch die Beklagte zu 1) hält die Festsetzung eines gesonderten Streitwerts für nicht gerechtfertigt. Dies ist als Beschwerde gegen die Festsetzung an sich auszulegen. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,- €. Denn die Beschwerdeführer zu 1) und 4) begehren, dass eine Streitwertfestsetzung (derzeit) ganz unterbleibt. Die Beschwerde ist innerhalb der in § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG bestimmten Frist eingelegt worden, § 68 Abs. 1 Satz 3 GKG.

 

2. Die Beschwerden der Beklagten zu 1) und 4) sind begründet. Das Arbeitsgericht hätte den Wert für die Gerichtsgebühren (noch) nicht festsetzen dürfen, da das Verfahren vor dem Arbeitsgericht noch nicht vollständig beendet ist.

 

a. Nach § 63 Abs. 2 GKG setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält. Eine anderweitige Erledigung liegt auch vor bei einer wirksamen vollständigen Klagerücknahme.

 

b. Beim Streit über die Wirksamkeit der Klagerücknahme ist das Verfahren fortzusetzen (Stein/Roth ZPO 24. Aufl. 2024, § 269 ZPO Rn 34; MüKo ZPO 7. Aufl. 2025 Rn 35). Im vorliegenden Fall streiten der Kläger und die Beklagten zu 1) und 4) über die Prozessfähigkeit des Klägers. Die Prozessfähigkeit ist aber sowohl für die Klageerhebung als auch für die Klagerücknahme eine notwendige Prozesshandlungsvoraussetzung. Für den Streit über die Prozessfähigkeit wird die Partei als prozessfähig behandelt (Zöller/Althammer, ZPO, 35. Aufl. § 52 ZPO Rn 6 mwN). Die Beklagte zu 4) hatte die Prozessunfähigkeit des Klägers zwar erst nach dessen Klagerücknahme mit Schriftsatz vom 07.01.2025 eingewandt, aber noch vor der Streitwertfestsetzung vom 08.01.2025. Damit war die Wirksamkeit der Klagerücknahme noch vor der Festsetzung des Streitwerts strittig. Der angegriffene Beschluss hätte (noch) nicht ergehen dürfen und war daher aufzuheben.

 

3. Die Beschwerden der Beklagtenvertreter zu 1 und 4 sind unzulässig. Sie sind zwar statthaft. Auch können die Beklagtenvertreter aus eigenem Recht Beschwerde einlegen, § 32 Abs. 2 RVG.

 

a. Hinsichtlich ihres Hauptantrags sind die Beschwerden jedoch mangels Beschwer unzulässig. Die Beklagtenvertreter begehren ebenfalls die Aufhebung des Streitwertbeschlusses, da das Verfahren noch nicht beendet sei. Es ist aber nicht ersichtlich, inwieweit diese verfrühte Festsetzung bei den Beklagtenvertretern zu Nachteilen führen sollte. Bei einer späteren Erhöhung des Streitwerts im fortgesetzten Verfahren kann eine Änderung nach § 63 Abs. 3 GKG erfolgen.

 

b. Auch der mit der Beschwerde verfolgte Hilfsantrag auf vorläufige Festsetzung des Streitwerts nach § 63 Abs. 1 GKG ist nicht zulässig. Denn im arbeitsgerichtlichen Verfahren sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, nicht – wie von § 63 Abs. 1 GKG vorausgesetzt – mit der Einreichung der Klageschrift fällig (§ 6 Abs. 3 iVm § 9 Abs. 3 GKG). Für eine vorläufige Festsetzung des Streitwerts ist daher kein Raum. Die Frage nach der Höhe eines vorläufigen Streitwertes stellt sich daher im Beschwerdeverfahren nicht. Eine Festsetzung des Gegenstandswerts nach § 33 RVG kommt für die Beklagtenvertreter zu 1 und 4 schon deswegen nicht in Betracht, da das Verfahren hinsichtlich der Beklagten zu 1 und 4 fortzusetzen ist und die Vergütung daher nach § 8 RVG nicht fällig ist (§ 33 Abs. 2 Satz 1 RVG).

 

4. Das Beschwerdegericht weist darauf hin, dass mit der vorliegenden Entscheidung zwar der auf Antrag der Beklagtenvertreterin zu 2 nach § 63 Abs. 2 GKG ergangene Streitwertbeschluss, der für die Rechtsanwaltsgebühren nach § 32 RVG für alle beteiligten Parteien maßgeblich wäre, aufgehoben ist. Nicht entschieden ist allerdings, ob im Hinblick darauf, dass die Beklagte zu 2 die mangelnde Prozessfähigkeit des Klägers nicht gerügt hat, sondern – quasi im Gegenteil – Streitwertfestsetzung nach der Klagerücknahme beantragt hat, ihr Antrag als Antrag auf Gegenstandswertfestsetzung nach § 33 Abs. 2 Satz 2 RVG auszulegen sein könnte. Ob ein solcher Antrag zulässig wäre, wäre ggf. vom Arbeitsgericht zu prüfen.

 

III. Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden alleine ergehen, § 78 Satz 3 ArbGG.

 

Für eine Kostenentscheidung bestand kein Anlass, da das Beschwerdeverfahren gebührenfrei ist und eine Kostenerstattung nicht stattfindet, § 68 Abs. 3 GKG.

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