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Arbeitsrecht
19.03.2009
Arbeitsrecht
LAG Schleswig-Holstein: Sozialauswahl bei Pflegekindern

LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 17.12.2008 - 3 Sa 290/08

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Änderungskündigung und in diesem nur um die soziale Auswahl. Die Klägerin ist am ....1952 geboren, damit zurzeit 56 Jahre alt. Sie ist verheiratet und hat keine Kinder. Ihr Ehemann ist berufstätig. Auf ihrer Lohnsteuerkarte ist Steuerklasse 4 eingetragen. Sie ist seit dem 01.04.1971 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Abteilungsleiterin in I. tätig, zuletzt mit einem monatlichen Gehalt von durchschnittlich 3.690,17 EUR brutto. Mit Datum vom 30.01.2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin aus dringenden betriebsbedingten Gründen fristgemäß zum 30.09.2008. Gleichzeitig bot sie der Klägerin ab 01.10.2008 eine Tätigkeit als Abteilungsleiterin in L., Niedersachsen, zum dort maßgeblichen Tarifgehalt von 3.379,00 EUR an (Anlage K2 - Bl. 6 d. A.). Die Klägerin hat dieses Angebot nicht unter Vorbehalt angenommen. Hintergrund der Kündigung ist die unternehmerische Entscheidung, eine unternehmens-einheitliche Führungsstruktur zu schaffen. Aus diesem Anlass kam es auch zum Abschluss eines Interessenausgleichs sowie eines Sozialplans. Die unternehmerische Entscheidung führt zu einem Überhang in der Position der Abteilungsleiter, u.a. in I.. Dort waren bei Ausspruch der Kündigung drei Abteilungsleiter aktiv beschäftigt.

Die Beklagte hat im Zusammenhang mit der zu treffenden sozialen Auswahl ein Punkteschema angewandt, das unter Beteiligung des Präsidenten des LAG Bremen im Zusammenhang mit einem Sanierungstarifvertrag erarbeitet wurde. Der Gesamtbetriebsrat hat dieses Punkteschema gebilligt. Es hat jedoch nicht die Form einer Betriebsvereinbarung, wurde vor allem von niemandem unterzeichnet. Im Rahmen der Berücksichtigung von Unterhaltspflichten sieht dieses Punkteschema drei Punkte für den Familienstand „verheiratet" sowie fünf Punkte für jedes unterhaltsberechtigte

Kind laut Steuerkarte vor (Anlage B5 - Bl. 39a d. A.). Die drei in I. tätigen vergleichbaren Abteilungsleiter weisen folgende Sozialdaten auf:

Person

Geburtsdatum

Betriebszugehörigkeit

Familienstand

Kinder laut Steuerkarte

Pkt

Klägerin

11.09.1952

36 Jahre (01.04.71)

verheiratet

0

47

Herr E.

29.11.1959

31 Jahre (01.08.76)

verheiratet

2

50

Herr S.

17.11.1958

34 Jahre (01.09.73)

Witwer

2

50

Bei den beiden auf der Steuerkarte des Herrn S. eingetragenen Kindern handelt es sich um Pflegekinder, die schon seit etlichen Jahren in der Familie S. leben. Mirko, geboren am ....1996 wurde im Alter von 2 Wochen in den Haushalt aufgenommen und lebt dort seit 12 Jahren. M., geboren am ....1993, lebt, mit einer 6-monatigen Unterbrechung im Jahre 1996 seit Mai 1995, also seit 13 Jahren dort. Herr S. ist zum Vormund bestellt. Es wurde eine Dauerpflegschaft eingeräumt. Er ist seit Januar 2003 Witwer. Die Pflegekinder verblieben in seinem Haushalt und beziehen Halbwaisenrente, die allerdings das Jugendamt erhält. Das Jugendamt zahlt als Zuschuss zur Pflege bis zum 14. Lebensjahr 130,00 EUR pro Kind. Für M. ist dieser Zuschuss im August 2007 altersbedingt erloschen, für Mirko endet der Anspruch im Mai 2010. Es handelt sich um einen Zuschuss für die Kosten einer Haushaltshilfe. Das Kindergeld wird zur Hälfte bzw. zu einem Viertel auf das vom Jugendamt gezahlte Pflegegeld angerechnet. Vor Ausspruch der streitbefangenen Kündigung hat die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat angehört. Dieser hat der beabsichtigten Änderungskündigung widersprochen und die soziale Auswahl als fehlerhaft gerügt. Die Pflegekinder hätten nicht als Unterhaltspflichten berücksichtigt werden dürfen. Zum Punkteschema, das eine Auswahlrichtlinie darstelle, fehle seine Zustimmung (Anlage K3 - Bl. 8, 9 d. A.). Die Klägerin hat am 12.02.2008 Kündigungsschutzklage erhoben. Auch sie hält die soziale Auswahl gerade im Hinblick auf die Berücksichtigung der Pflegekinder des Herrn S. für unrichtig.

Die Klägerin hat beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die Änderungskündigung der Beklagten vom 30.01.2008 nicht aufgelöst ist, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 30.09.2008 hinaus fortbesteht. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Das ist im Wesentlichen mit der Begründung geschehen, die Beklagte habe die Pflegekinder von Herrn S. bei den Unterhaltspflichten berücksichtigen dürfen, da § 1 Abs. 3 KSchG nicht lediglich auf gesetzliche Unterhaltspflichten abstelle und Herr S., der als Witwer dauerhaft für die beiden Pflegekinder sorge, schutzwürdiger sei. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 02.07.2008 verwiesen. Gegen diese der Klägerin am 23.07.2008 zugestellte Entscheidung legte sie am 11.08.2008 Berufung ein, die nach Fristverlängerung bis zum 23.10.2008 am 22.10.2008 begründet wurde. Sie ergänzt und vertieft im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie hält die soziale Auswahl nach wie vor für fehlerhaft. § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG erfasse nur gesetzliche Unterhaltspflichten. Eine gesetzliche Unterhaltspflicht bestehe gegenüber Pflegekindern nicht. Herr S. habe diesen gegenüber nur eine freiwillige Unterhaltsverpflichtung. Eine tatsächliche, freiwillige Unterhaltsleistung könne und dürfe nicht berücksichtigt werden, da es sich um keine Leistungspflicht, sondern um eine freiwillige Leistung handele. Zudem sei das Punkteschema unwirksam, da die Zustimmung des örtlichen Betriebsrats oder auch nur des - unzuständigen - Gesamtbetriebsrates zu dieser Auswahlrichtlinie fehle. Die Klägerin sei in allen Auswahlgesichtspunkten schutzwürdiger, so dass kein Beurteilungsspielraum der Beklagten vorhanden gewesen sei.

Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des am 02.07.2008 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Elmshorn - 1 Ca 274 e/08 - wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die Änderungskündigung der Beklagten vom 30.01.2008 nicht aufgelöst ist. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie hält das angefochtene Urteil sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht für zutreffend. Ihres Erachtens sind die auch auf der Steuerkarte eingetragenen Pflegekinder des Herrn S. bei der Feststellung der Unterhaltspflichten berücksichtigungsfähig. Das ergebe sich allein schon aus der Tatsache der Eintragung auf der Steuerkarte, an der sie sich als Arbeitgeberin habe orientieren dürfen. § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG erfasse nicht nur die klassischen, ausdrücklich gesetzlich normierten Unterhaltspflichten, sondern auch vorliegende Fallkonstellationen. Auch wenn das Punkteschema unter Verstoß gegen die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates aufgestellt worden sein sollte, führe dies nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung. Letztendlich sei die von der Beklagten getroffene Sozialauswahl auch von ihrem Bewertungsspielraum gedeckt, da die Klägerin im Vergleich zu Herrn S. unter Berücksichtigung des jeweiligen Lebensalters und der geringfügigen Unterschiede in der Betriebszugehörigkeit nicht deutlich schutzwürdiger sei. Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Entscheidungsgründe I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb der Berufungsbegründungsfrist auch begründet worden.

Aus den Gründen

II. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Die betriebsbedingte Änderungskündigung, die nicht von der Klägerin unter Vorbehalt angenommen wurde, ist sozial gerechtfertigt. Sie hat daher das Arbeitsverhältnis fristgerecht mit Ablauf des 30.09.2008 beendet. Das hat das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt, indem es die getroffene soziale Auswahl als korrekt eingeordnet hat. Die Klage ist daher zu Recht abgewiesen worden. Dem folgt das Berufungsgericht. 1. Das Vorliegen eines dringenden betrieblichen Erfordernisses, das der Weiterbeschäftigung der Klägerin als einer von insgesamt drei Abteilungsleitern im Betrieb der Beklagten in I. entgegensteht, ist unstreitig. Ebenso steht auch unter Berücksichtigung der Erörterungen in der Berufungsverhandlung zwischen den Parteien außer Streit, dass die Beklagte der Klägerin kein ortsnäheres Angebot für eine anderweitige Beschäftigung als Abteilungsleiterin unterbreiten konnte, weil nur in der Filiale L. ein freier vergleichbarer Arbeitsplatz verfügbar war. Auch ist unstreitig, dass die mit dem Änderungsangebot verbundene Vergütungsreduzierung von 3.690,17 EUR monatlich auf 3.379,00 EUR monatlich ausschließlich auf der Anwendbarkeit des für Niedersachsen maßgeblichen einschlägigen Tarifvertrages beruht, der generell für die Arbeitnehmer geringere Vergütungen regelt. 2. Die von der Beklagten vorgenommene Sozialauswahl zu Lasten der Klägerin ist sozial gerechtfertigt. Die Beklagte hat bei der Auswahl der Klägerin die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten im Vergleich zu anderen vergleichbaren Abteilungsleitern ausreichend im Sinne des § 1 Abs. 3 KSchG berücksichtigt.

a) Es ist im Ergebnis unbeachtlich, dass die Beklagte der Sozialwahl ein Punkteschema zugrunde gelegt hat, bei dem es sich unter Umständen um eine nach § 95 BetrVG mitbestimmungspflichtige Auswahlrichtlinie handelt, die Zustimmung des Betriebsrates und/oder Gesamtbetriebsrates hierzu jedoch nicht vorliegt. Das kann vor-liegend dahingestellt bleiben. Allein die Anwendung eines solchen unter etwaigem Verstoß gegen § 95 Abs. 1 BetrVG aufgestellten Punkteschemas führt nicht zur Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung (vgl. BAG vom 06.07.2006 - 2 AZR

443/05 und 2 AZR 442/05 - zitiert nach juris). Ein solcher Mitbestimmungsverstoß hat lediglich zur Folge, dass die zuständige Personalvertretung (der zuständige Betriebsrat) gegenüber dem Arbeitgeber die Beseitigung des mitbestimmungswidrigen Verhaltens ggf. gerichtlich durchsetzen kann oder zumindest einen entsprechenden Feststellungsanspruch geltend machen kann. Eine dem § 102 BetrVG entsprechende Vorschrift, die die Unwirksamkeit der mitbestimmungswidrigen Kündigung anordnet, besteht nicht (BAG vom 06.07.2006 - 2 AZR 442/05 -, zitiert nach juris, Rz. 32 mwN.). Handelt es sich bei dem Punkteschema um eine nicht ordnungsgemäß zustande gekommene Auswahlrichtlinie im Sinne des § 1 Abs. 4 KSchG, hat der Mitbestimmungsverstoß nur zur Folge, dass die allgemeinen Regeln zur Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG Anwendung finden. Die getroffene Sozialauswahl des Arbeitgebers unterliegt dann in vollem Umfang der gerichtlichen Kontrolle. b) Diese gerichtliche Kontrolle ergibt vorliegend, dass die Beklagte die Sozialdaten der Klägerin im Verhältnis zu den vergleichbaren Mitarbeitern E. und S. ausreichend im Sinne des § 1 Abs. 3 KSchG berücksichtigt und demzufolge die Klägerin als weniger schutzwürdig eingeordnet hat. aa) Die horizontale Vergleichbarkeit der Herren E. und S. steht außer Streit. Sie waren ebenso wie die Klägerin Abteilungsleiter. Andere vergleichbare Personen, die in die soziale Auswahl einzubeziehen gewesen wären, existieren nicht.

bb) Gemäß § 1 Abs. 3 KSchG hat der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers, dem aus dringenden betrieblichen Erfordernissen gekündigt werden soll, die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und ggf. die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers ausreichend zu berücksichtigen. Dem Arbeitgeber steht bei der Gewichtung der Sozialkriterien ein Wertungsspielraum zu (BAG vom 02.06.2005 - 2 AZR 480/04 - zitiert nach juris, Rz. 38 mwN.).

cc) Der 1959 geborene, und damit zwar jüngere Arbeitskollege E., ebenfalls verheiratet, ist mit einer Betriebszugehörigkeitszeit von 31 Jahren und zwei unterhaltsberechtigten Kindern zweifelsfrei schutzwürdiger als die Klägerin, die keiner Person gegenüber unterhaltspflichtig ist.

dd) Die Beklagte durfte im vorliegenden Fall die Unterhaltspflichten des Herrn S. gegenüber seinen Pflegekindern zu dessen Gunsten berücksichtigen und somit letztlich die Sozialauswahl zu Lasten der Klägerin vornehmen. (a) Die Entscheidung, die Unterhaltspflichten gegenüber den Pflegekindern zuguns-ten des Herrn S. zu berücksichtigen, durfte die Beklagte bereits deshalb treffen, weil diese Unterhaltspflichten auf der Lohnsteuerkarte eingetragen sind. Es ist allgemein anerkannt, dass der Arbeitgeber sich bei der Sozialauswahl an den Eintragungen in der Lohnsteuerkarte orientieren darf (vgl. nur BAG vom 17.01.2008 - 2 AZR 405/06 - zitiert nach juris, Rz. 23 mwN.). Mithin bietet die Lohnsteuerkarte für ihn einen wichtigen Anhaltspunkt zur Feststellung rechtlich relevanter Unterhaltspflichten im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG. Damit ergaben sich schon aufgrund der kinderbezogenen Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte des Herrn S. für die Beklagte zwei im Rahmen der sozialen Auswahl zu berücksichtigende Unterhaltspflichten. (b) Dass sich die Eintragungen der Kinderfreibeträge auf der Lohnsteuerkarte „nur" auf Pflegekinder des Herrn S. bezogen, steht der Berücksichtigungsfähigkeit und gleichzeitig der Pflicht zur Berücksichtigung seitens der Beklagten nicht entgegen. Entgegen der Ansicht der Klägerin umfasst § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG nicht ausschließlich die in §§ 1360 ff, 1569 ff, 1601 ff BGB, §§ 2, 5 LPartG ausdrücklich normierten gesetzlichen Unterhaltspflichten unter gleichzeitigem Ausschluss der Berücksichtigungsfähigkeit anderer von der Deutschen Rechtsordnung erfasster und geschützter Unterhaltsverpflichtungen, die beispielsweise gegenüber langfristig in die Familie aufgenommener Pflegekinder bestehen. Soweit § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG bei der sozialen Auswahl von „Unterhaltspflichten" spricht, erfasst diese Vorschrift auch Pflegeverpflichtungen für in den Haushalt aufgenommene Pflegekinder, für die ein Pflegeelternteil zum Vormund bestellt und für die insoweit eine Dauerpflegschaft ein-geräumt wurde. Die Verpflichtungen aus einem solchen Pflegekinderverhältnis sind entgegen der Ansicht der Klägerin nicht gleichzusetzen mit freiwilligen Unterhaltsleistungen, beispielsweise im Rahmen einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft, die nach einhelliger Rechtsprechung, Kommentierung und Literatur nicht im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG bei den Unterhaltspflichten berücksichtigungsfähig sind. Auch wenn sich die Verpflichtung zur Gewährung von Natural- und finanziellem Unterhalt für dauerhaft in die eigene Familie aufgenommene Pflegekinder nicht un-mittelbar aus einer gesetzlichen Vorschrift ergibt, wird das dauerhafte Pflegeverhältnis und die Bindung zwischen Pflegeeltern und Pflegekind ebenfalls vom Schutzbereich des Artikel 6 Abs. 1 Grundgesetz erfasst (vgl. nur Bundesverfassungsgericht vom 12.10.1998 - 1 BvR 818/88 - zitiert nach juris). Auch die Tatsache, dass den Pflegeeltern auf Antrag Kinderfreibeträge in die Lohnsteuerkarte eingetragen werden, zeigt, dass Dauerpflegekinder und Dauerpflegeeltern unter dem Schutz der Rechtsordnung stehen und für sie insoweit eine vergleichbare wirtschaftliche Schutzbedürftigkeit gewährleistet sein soll, wie bei einem leiblichen Eltern-Kind-Verhältnis. Demgegenüber sind die anerkanntermaßen nicht berücksichtigungsfähigen nicht ehelichen Lebensgemeinschaften auch für Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte nicht berücksichtigungsfähig. Da der Arbeitgeber aber gerade die Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte für die Ermittlung der Unterhaltspflichten im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG heranzuziehen hat, gehören auch die dort eingetragenen Pflegekinder in den Schutzbereich der Unterhaltspflichten des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG. Letztendlich zeigt auch die Tatsache, dass die Pflegekinder Halbwaisenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung seit dem Tod der Pflegemutter/Ehefrau des Herrn S. erhalten, dass Pflegekinder verstärkt unter dem gesetzlichen Schutz in der Deutschen Rechtsordnung stehen. Auch aus diesem Grunde sind sie als Unterhaltspflich-ten der Pflegeeltern im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG mitzuzählen.

(c) Durch die Bejahung der Berücksichtigungsfähigkeit von auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen Pflegekindern im Rahmen von „Unterhaltspflichten" im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG wird auch dem Grundgedanken dieser gesetzlichen Regelung Rechnung getragen. Unterhaltspflichten stellen ein Indiz für die soziale und wirtschaftliche Schutzbedürftigkeit eines Arbeitnehmers dar (vgl. die Begründung des Regierungsentwurfes zum Kündigungsschutzgesetz, RdA 1951, 61, 63; ferner BAG vom 05.12.2002, NZA 2003, 791). Mit den Zahlungsverpflichtungen gegenüber unterhaltsberechtigten Personen steigt die Abhängigkeit vom Arbeitsplatz. Insoweit unterscheidet sich die Situation des Herrn S. nicht von der anderer Arbeitnehmer/innen mit leiblichen unterhaltsberechtigten Kindern. Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass Pflegeeltern für Pflegekinder vom Jugendamt Pflegegeld erhalten können - in welchem Umfang auch immer -. Im Gegenzuge werden Renten angerechnet sowie Anteile des Kindergeldes. Angesichts dessen bleibt die soziale und wirtschaftliche Schutzbedürftigkeit eines Pflegekinder versorgenden Arbeitnehmers nach wie vor bestehen. Vor diesem rechtlichen Hintergrund war die Beklagte berechtigt, ausgehend von den Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte des Herrn S., zwei Unterhaltspflichten für seine Pflegekinder im Rahmen der sozialen Auswahl zu berücksichtigen. c) Selbst dann, wenn mit der Klägerin angenommen würde, dass die Unterhaltspflichten des Herrn S. gegenüber seinen Pflegekindern nicht in gleicher Weise hätten berücksichtigt werden dürfen, wie gesetzliche Unterhaltspflichten gegenüber eigenen Kindern, ergibt sich, dass die Auswahlentscheidung zu Lasten der Klägerin immer noch die sozialen Gesichtspunkte im Sinne § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG „ausreichend" berücksichtigt hat. aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes steht dem Arbeitgeber bei der Gewichtung der Sozialkriterien ein Wertungsspielraum zu. Die Auswahlentscheidung muss nur vertretbar sein und nicht unbedingt der Entscheidung entsprechen, die das Gericht getroffen hätte, wenn es eigenverantwortlich soziale Erwägungen hätte anstellen müssen. Der dem Arbeitgeber vom Gesetz eingeräumte Wertungsspielraum führt dazu, dass nur deutlich schutzwürdigere Arbeitnehmer mit Erfolg die Fehlerhaftigkeit der sozialen Auswahl rügen können (BAG vom 18.01.1990 - 2 AZR 357/89 - zitiert nach juris; BAG vom 02.06.2005 - 2 AZR 480/04 - zitiert nach juris, Rz. 38).Keinem der im Gesetz genannten Kriterien kommt eine Priorität gegenüber den anderen zu (BAG a.a.O., Rz. 39).

bb) Auch unter Außerachtlassung der Unterhaltspflichten gegenüber den Pflegekindern des Herrn S. wäre die Klägerin nicht derart „deutlich schützenswerter" im Sinne der Rechtsprechung des BAG, dass die Sozialauswahl als „unzureichend" angesehen werden müsste. Die Klägerin und Herr S. befinden sich in einem Alter, in dem bei gemeinschaftsrechtskonformer Anwendung des Sozialauswahlkriteriums des Lebensalters kein erheblicher Unterschied besteht. Die Chancen am Arbeitsmarkt unterscheiden sich in dem Spannungsfeld eines Lebensalters zwischen 50 Jahren (Herr S.) und 56 Jahren (Klägerin) nicht wesentlich. Entsprechendes gilt bei der Betriebszugehörigkeit. Die Klägerin verfügt mit 36 Jahren Betriebszugehörigkeit über eine lediglich unwesentlich längere Betriebszugehörigkeit als Herr S. mit 34 Jahren. Wegen der somit nahezu gleichen konkreten Wertigkeit der Sozialauswahlkriterien des Lebensalters und der Betriebszugehörigkeit im vorliegenden Fall bleibt es immer noch angemessen, wenn sich die Beklagte, sei es auch nur unter letzter Berücksich-tigung des Umstandes der bestehenden Pflegeverhältnisse des Herrn S. und der sich daraus ergebenden zusätzlichen sozialen und wirtschaftlichen Schutzbedürftigkeit des Herrn S.s zur Kündigung der Klägerin entschlossen hat. 3. Aus den genannten Gründen hat das Arbeitsgericht im Ergebnis zu Recht die von Beklagtenseite getroffene soziale Auswahl als richtig angesehen und deshalb die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Aus diesem Grunde war die Berufung der Klägerin zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO. Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen. Die Frage, ob Pflegekinder, die auf der Lohnsteuerkarte eines Arbeitnehmers mit Kinderfreibeträgen eingetragen sind, als Unterhaltspflichten im Rahmen der sozialen Auswahl berücksichtigt werden können, ist, soweit ersichtlich, bisher nicht Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen gewesen. gez. ...

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