LAG Berlin-Brandenburg: Sonntagszuschläge bei Entgeltfortzahlung
LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.7.2015 –15 Sa 802/15
Volltext: BB-Online BBL2015-2291-1
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Amtlicher Leitsatz
Nach § 16 Abs. 2 i.V.m. § 15 Abs. 1 MTV für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen sind während der Entgeltfortzahlung Sonntagszuschläge nicht zu zahlen.
Sachverhalt
Die Parteien streiten darüber, ob während der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle auch Sonntagszuschläge zu berücksichtigen sind.
Die Klägerin arbeitet bei der Beklagten als Fluggastkontrolleurin. Der MTV für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen vom 11.09.2013 findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Dieser lautet auszugsweise:
„§ 15 ENTGELTZAHLUNG / MONATSENTGELT
(1) Es wird ein monatliches Regelentgelt gezahlt. Das monatliche Regelentgelt einer / eines Vollzeitbeschäftigten errechnet sich aus der der jeweiligen Tätigkeit zugrunde liegenden entgelttariflichen Stundengrundvergütung multipliziert mit der monatlichen Arbeitszeit nach § 13 dieses Manteltarifvertrages. Teilzeitbeschäftigte erhalten ein monatliches Regelentgelt entsprechend der arbeitsvertraglich vereinbarten Arbeitszeit. Zum Regelentgelt werden zusätzlich die im Abrechnungszeitraum erarbeiteten Zeitzuschläge sowie sonstige Zulagen (Funktions-, Führungs- und Fachzulagen) zur Auszahlung gebracht.
(2) …
§ 16 ENTGELTFORTZAHLUNG IM KRANKHEITSFALL
(1) Soweit nichts anderes im Tarifvertrag geregelt ist, gilt das Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) in seiner jeweils aktuellen Fassung.
(2) Während der Krankheit wird unter den Voraussetzungen des § 3 des EFZG das monatliche Regelentgelt fortgezahlt.
(3) Krankheitstage, die gemäß EFZG Berücksichtigung finden, werden bei der Stundenwertstellung wie folgt berechnet: Individuelle Gesamtstunden der letzten 12 Monate geteilt durch die individuellen geleisteten Arbeitstage der letzten 12 Monate = Stundenwertstellung. …“
Die Klägerin war in dem Zeitraum vom 03.01.2014 bis 09.02.2014 arbeitsunfähig erkrankt. Laut ihrem Schichtplan hätte sie in diesem Zeitraum an insgesamt 4 Sonntagen arbeiten müssen. Hätte sie gearbeitet, hätte sie Sonntagszuschläge in unstreitiger Höhe von 224 EUR erhalten. Diese Sonntagszuschläge berücksichtigte die Beklagte bei der Entgeltfortzahlung nicht.
Mit Schreiben des Prozessbevollmächtigten vom 15. Mai 2014 machte die Klägerin einen Anspruch auf Korrektur der Lohnabrechnung und Nachzahlung geltend. Die Klägerin hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, dass die tarifvertragliche Regelung in § 16 des MTV die Zahlung der Sonntagszuschläge im Falle der Entgeltfortzahlung nicht eindeutig ausschließe.
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 224 EUR brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, das nach § 16 Abs. 2 MTV im Krankheitsfall nur das Regelentgelt fortzuzahlen sei. Dies sei auch Auffassung der Gewerkschaften.
Das Arbeitsgericht Berlin hat mit Urteil vom 12.03.2015 die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Nach Auffassung des Arbeitsgerichts weicht § 16 Abs. 2 MTV für den Fall der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall von dem gesetzlich angeordneten Entgeltausfallprinzip ab. Die Regelung sei eindeutig. Dies ergebe sich aus § 15 Abs. 1 des MTV. Danach werden Zeitzuschläge zusätzlich zum Regelentgelt gezahlt. Regelentgelt sei eine Vergütung ohne die im Abrechnungszeitraum anfallenden Zeitzuschläge sowie sonstigen Zulagen. Gem. § 4 Abs. 4 Entgeltfortzahlungsgesetz sei eine Abweichung durch Tarifvertrag zulässig.
Hiergegen wendet sich die Berufung der Klägerin. Sie ist der Ansicht, Das Arbeitsgericht sei fälschlicherweise davon ausgegangen, dass die Zuschläge für Sonntagsarbeit gem. § 4 a EfzG abgegolten werden könnten. In § 15 Abs. 1 MTV werden die Sonntagszuschläge im Gegensatz zu anderen Zulagen nicht ausdrücklich erwähnt. Die dortige Aufzählung sei abschließend, so dass die Sonntagszuschläge zu zahlen seien.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 12.03.2015 zum Aktenzeichen 23 Ca 10278/14 zu verurteilen, an sie 224 EUR brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält die Regelungen im Manteltarifvertrag weiterhin für eindeutig. Die dortigen Regelungen bewegten sich auch in den Grenzen des § 4 Abs. 4 EfzG.
Aus den Gründen
Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung ist zulässig. Die Berufung war auch vom Arbeitsgericht zugelassen worden, so dass es nicht darauf ankommt, dass der Beschwerdewert 600,- EUR nicht übersteigt (§ 64 II ArbGG).
II.
In der Sache hat die Berufung jedoch keinen Erfolg. Zu Recht das das Arbeitsgericht Berlin die Klage abgewiesen. Nach § 16 Abs. 2 i. V. m. § 15 Abs. 1 MTV für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen sind während der Entgeltfortzahlung Sonntagszuschläge nicht zu zahlen. Dies ergibt die Auslegung des Tarifvertrages. Nach § 16 Abs. 2 MTV ist nur das monatliche Regelentgelt fortzuzahlen. Gem. § 15 Abs. 1 MTV wird einerseits ein monatliches Regelentgelt gezahlt. Zusätzlich hierzu werden Zeitzuschläge sowie sonstige Zulagen zur Auszahlung gebracht. Auch wenn sonstige Zulagen in einem Klammerzusatz näher beschrieben werden, gilt dies für Zeitzuschläge nicht. Unter diesem Begriff sind alle Zuschläge zu verstehen, die wegen der besonderen Lage der Arbeitszeit zu zahlen sind. Dies betrifft eben auch Zuschläge für zu leistende Sonntagsarbeit. Insofern ist der Wortlaut und der Regelungszweck des MTV eindeutig.
Soweit die Klägerin meint, das Arbeitsgericht habe § 4 a EfzG fälschlicherweise angewandt, kann dies nicht nachvollzogen werden. Auf diese Norm hat das Arbeitsgericht sich nicht bezogen. Sie betrifft im Übrigen auch nur die Kürzung von Sondervergütungen. Um derartige Zahlungen geht es vorliegend nicht.
Die tarifvertragliche Regelung verstößt nicht gegen § 4 Abs. 4 EfzG.
Nach §§ 3 Abs.1, 4 Abs.1 EFZG ist der Arbeitgeber verpflichtet, bis zur Dauer von sechs Wochen das Arbeitsentgelt fortzuzahlen, das dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehen würde. Der Grundsatz der hundertprozentigen Entgeltfortzahlung ist jedoch gem. § 4 Abs. 4 EFZG abänderbar. Danach kann durch Tarifvertrag eine abweichende Bemessungsgrundlage des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts festgelegt werden. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages kann zwischen nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern die Anwendung der tarifvertraglichen Regelungen über die Entgeltfortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfall vereinbart werden. Die Beklagte wendet einheitlich die bei ihr geltenden Tarifverträge für alle Arbeitnehmer an, so dass an sich eine Abweichung in Betracht kommt.
Das Bundesarbeitsgericht musste verschiedentlich feststellen, wie der Grundsatz der hundertprozentigen Entgeltfortzahlung abzugrenzen ist gegen die Abweichungsmöglichkeit nach § 4 Abs. 4 EFZG. Das Bundesarbeitsgericht hat immer wieder darauf hingewiesen, dass die Tarifvertragsparteien einzelne Entgeltbestandteile ausklammern dürfen, die Grundvergütung in vollem Umfang in die Entgeltfortzahlung aber einbeziehen müssen (BAG, 13.03.2002 –5 AZR 648/00 – Rn. 26). Es hat weiterhin ausgeführt, dass auch regelmäßig anfallende Zuschläge bei der Berechnung der Entgeltfortzahlung ausgenommen werden dürfen. Es hat hierzu ausgeführt:
„Zuschläge werden regelmäßig wegen zusätzlicher Erschwernisse und wegen besonderer Belastungen, die mit bestimmten Arbeiten verbunden sind, gezahlt. Entfällt die zusätzliche Erschwernis oder die besondere Belastung für den Arbeitnehmer, weil die Arbeit wegen der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ausfällt, erscheint es gerechtfertigt, den zusätzlichen finanziellen Ausgleich ebenfalls entfallen zu lassen. Die Tarifvertragsparteien dürfen insoweit das Lebensstandardprinzip hintanstellen, zumal die tariflichen Zuschläge in aller Regel nicht den Lebensstandard des Arbeitnehmers prägen.“ (BAG, a. a. O. Rn. 22)
An anderer Stelle hat das Bundesarbeitsgericht ausgeführt, dass sich aus tariflichen Entgeltfortzahlungsbestimmungen ergeben könne, dass bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nur der Grundlohn ohne (bestimmte) Zuschläge fortzuzahlen ist (BAG, 01.12.2004 – 5 AZR 68/04 – Rn. 26). Ein Tarifvertrag dürfe aber die Höhe des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts nicht gezielt unter 100 % absenken (BAG, 18.11.2009 – 5 AZR 975/08 – Rn. 17).
Bei Anwendung dieser Grundsätze durften die Tarifvertragsparteien die Sonntagszulage bei der Entgeltfortzahlung ausklammern. Das Bundesarbeitsgericht erlaubt eine Abweichung durch Tarifverträge hinsichtlich zu zahlender Zuschläge. Dies wird damit begründet, dass diese regelmäßig wegen zusätzlicher Erschwernisse und wegen besonderer Belastungen gezahlt werden. In der Tat können sich derartige Zuschläge aus den näheren Umständen der Arbeitsleistung oder der besonderen Lage der Arbeitszeit ergeben. Derartige Zuschläge prägen den Lebensstandard des Arbeitnehmers in der Regel nicht, worauf das Bundesarbeitsgericht zu Recht hingewiesen hat.
III.
Die Klägerin hat die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels zu tragen (§ 97 ZPO).
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 72 Abs. 2 ArbGG).
Der Rechtsstreit hat keine grundsätzliche Bedeutung. Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage liegt nicht vor, da die tarifvertragliche Regelung völlig eindeutig ist (ErfK-Koch § 72 ArbGG Rdnr. 5).