: Schweigen als fingierte Willenserklärung zur Begründung einer gegenläufigen betrieblichen Übung
BAG, Urteil vom 18.3.2009 - 10 AZR 281/08 (LAG Köln, Urteil vom 22. 1. 2008 - 9 Sa 1184/07)
Leitsätze
1. Hat ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer jahrelang vorbehaltlos Weihnachtsgeld gezahlt, wird der Anspruch des Arbeitnehmers auf Weihnachtsgeld aus betrieblicher Übung nicht dadurch aufgehoben, dass der Arbeitgeber später bei der Leistung des Weihnachtsgeldes erklärt, die Zahlung des Weihnachtsgeldes sei eine freiwillige Leistung und begründe keinen Rechtsanspruch, und der Arbeitnehmer der neuen Handhabung über einen Zeitraum von drei Jahren hinweg nicht widerspricht.
2. Erklärt ein Arbeitgeber unmissverständlich, dass die bisherige betriebliche Übung einer vorbehaltlosen Weihnachtsgeldzahlung beendet werden und durch eine Leistung ersetzt werden soll, auf die in Zukunft kein Rechtsanspruch mehr besteht, kann nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts am 1. 1. 2002 nach § 308 Nr. 5 BGB eine dreimalige widerspruchslose Entgegennahme der Zahlung durch den Arbeitnehmer nicht mehr den Verlust des Anspruchs auf das Weihnachtsgeld bewirken (Aufgabe der Rechtsprechung zur gegenläufigen betrieblichen Übung, vgl. BAG [4. 5. 1999], BAGE 91, 283 = NZA 1999, 1162 = NJW 2000, 308; BAG [26. 3. 1997], NZA 1997, 1007 = NJW 1998, 475 = AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 50 = EzA BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 38).
Orientierungssätze der Richterinnen und Richter des BAG:
1. Erklärt der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern, dass die bisherige betriebliche Übung einer vorbehaltlosen Gratifikationszahlung beendet werden und durch eine Leistung ersetzt werden soll, auf die in Zukunft kein Rechtsanspruch mehr besteht, und wird diese Erklärung als Änderungsangebot verstanden, liegt eine für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingung i.S. von § 305 I BGB vor.
2. Die Annahme, durch eine dreimalige widerspruchslose Entgegennahme einer vom Arbeitgeber ausdrücklich unter dem Vorbehalt der Freiwilligkeit gezahlten Gratifikation werde die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Gratifikationszahlung aus betrieblicher Übung beendet, ist mit dem Klauselverbot für fingierte Erklärungen in § 308 Nr. 5 BGB nicht zu vereinbaren.
3. Der Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung zur gegenläufigen betrieblichen Übung bei Gratifikationszahlungen nicht fest.
BGB §§ 108 II 2, 133, 145, 157, 177 II 2, 305 I, 308 Nr. 5, 415 II 2, 416 I 2, 455 S. 2
Sachverhalt:
Die Parteien streiten über Weihnachtsgeld für das Jahr 2006 in rechnerisch unstreitiger Höhe von 1354,08 Euro brutto. Der Kl. ist seit dem 1. 8. 1971 bei der Bekl. als Spezialbaufacharbeiter gegen einen Stundenlohn in Höhe von zuletzt 14,56 Euro brutto beschäftigt. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag wurde nicht abgeschlossen. Die nicht tarifgebundene Bekl. zahlte dem Kl. seit dem Beginn des Arbeitsverhältnisses bis zum Jahr 2005 Weihnachtsgeld. Dieses erhielten der Kl. und die anderen Arbeitnehmer der Bekl. zunächst am Jahresende. Für die Jahre 2002 bis 2005 zahlte die Bekl. das Weihnachtsgeld jeweils in drei Raten. Die erste Rate leistete die Bekl. jeweils im November, die zweite Rate jeweils im Dezember und die dritte Rate jeweils im Januar des Folgejahres. Mit Ausnahme der Lohnabrechnungen für November 2002 und November 2003 enthielten die Lohnabrechnungen der Bekl. für die Monate, in denen sie dem Kl. und ihren anderen Arbeitnehmern für die Jahre 2002 bis 2005 Weihnachtsgeldraten zahlte, jeweils den handschriftlichen Vermerk: „Die Zahlung des Weihnachtsgeldes ist eine freiwillige Leistung und begründet keinen Rechtsanspruch!"
Der Kl. ist der Ansicht, ihm stehe auf Grund betrieblicher Übung für das Jahr 2006 Weihnachtsgeld zu. Er habe einer abändernden betrieblichen Übung nicht zugestimmt, sondern mit einem anwaltlichen Schreiben vom 20. 2. 2002 dem Freiwilligkeitsvorbehalt in den Lohnabrechnungen ausdrücklich widersprochen. Der Kl. begehrt die Zahlung von 1354,08 Euro brutto nebst Zinsen.
Das ArbG hat der Klage stattgegeben. Das LAG (BeckRS 2008, 52528) hat die Berufung der Bekl., soweit für die Revision von Interesse, zurückgewiesen. Die Revision der Bekl. hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen:
[7]Die Bekl. schuldet dem Kl. für das Jahr 2006 Weihnachtsgeld in unstreitiger Höhe von 1354,08 Euro brutto.
[8]I. Das LAG hat zutreffend erkannt, dass dem Kl. aus betrieblicher Übung Weihnachtsgeld für das Jahr 2006 zusteht. Für jährlich an die gesamte Belegschaft gezahlte Gratifikationen besteht die Regel, dass eine dreimalige vorbehaltlose Gewährung zur Verbindlichkeit erstarkt (st. Rspr., vgl. BAG [30. 7. 2008], NZA 2008, 1173 = NJW 2008, 3592; BAG [28. 6. 2006], BAGE 118, 360 [368f.] = NZA 2006, 1174). Die Annahme des LAG, auf Grund der vorbehaltlosen Zahlung von Weihnachtsgeld in den Jahren 1971 bis 2001 habe sich die Bekl. nach den Grundsätzen der betrieblichen Übung vertraglich zur Zahlung von Weihnachtsgeld verpflichtet, hat die Bekl. auch nicht mit Revisionsrügen angegriffen.
[9]II. Entgegen der Ansicht der Bekl. ist der Anspruch des Kl. auf Weihnachtsgeld nicht durch eine geänderte betriebliche Übung aufgehoben worden. Dies gilt auch dann, wenn der Kl. den Freiwilligkeitsvorbehalten der Bekl. in den Lohnabrechnungen nicht widersprochen hat.
[10]1. Allerdings konnte nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats eine betriebliche Übung durch eine geänderte betriebliche Übung beendet werden (BAG [26. 3. 1997], NZA 1997, 1007 = NJW 1998, 475 = AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 50 = EzA BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 38). Der Senat hat dies bei Gratifikationszahlungen dann angenommen, wenn der Arbeitgeber erklärt hat, die Zahlung der Gratifikation sei eine freiwillige Leistung, auf die zukünftig kein Rechtsanspruch bestehe, und die Arbeitnehmer der neuen Handhabung über einen Zeitraum von drei Jahren hinweg nicht widersprochen haben. Auf Grund der dadurch zu Stande gekommenen konkludenten Vereinbarung sei der Arbeitgeber nicht mehr zur Zahlung der Gratifikation verpflichtet. Durch die dreimalige widerspruchslose
Annahme einer ausdrücklich unter dem Vorbehalt der Freiwilligkeit gezahlten Gratifikation schaffe der Arbeitnehmer beim Arbeitgeber einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand. Dieser habe auf Grund des Verhaltens des Arbeitnehmers keine Veranlassung, eine ausdrückliche Änderung der vertraglichen Abrede herbeizuführen.
[11]2. Diese Rechtsprechung ist im arbeitsrechtlichen Schrifttum ganz überwiegend auf Ablehnung gestoßen (Henssler, in: Festschr. 50 Jahre BAG, S. 683 [704ff.]; Schaub/Koch, ArbR-Hdb., 12. Aufl., § 111 Rdnr. 28; ErfK/Preis, 9. Aufl., § 611 BGB Rdnr. 225; HWK/Thüsing, ArbeitsR, 3. Aufl., § 611 BGB Rdnr. 235; Speiger, NZA 1998, 510; Kettler, NJW 1998, 435; Franzen, Anm. BAG, NZA 1997, 1007 = NJW 1998, 475 = SAE 1997, 344 [346ff.]; Goertz, AuR 1999, 463; Waltermann, RdA 2006, 257 [268f.]; krit. auch Bepler, RdA 2004, 226 [238ff.]). Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 4. 5. 1999 (BAG [4. 5. 1999], BAGE 91, 283 = NZA 1999, 1162 = NJW 2000, 308) grundsätzlich daran festgehalten, dass sich der Arbeitgeber von einer betrieblichen Übung durch eine gegenläufige betriebliche Übung lösen kann. Er hat dabei auf die Anwendung der Grundsätze zurückgegriffen, die zum Entstehen eines Anspruchs aus betrieblicher Übung führen. Danach ist nicht allein eine wiederholte Leistungsgewährung maßgeblich. Entscheidend ist vor allem, dass der Arbeitgeber diese nicht mit einem Freiwilligkeitsvorbehalt verbunden und den Hinweis unterlassen hat, dass aus der Zahlung keine Rechtsansprüche für die Zukunft abgeleitet werden können. Die sich aus einem solchen unterlassenen Hinweis des Arbeitgebers ergebenden Rechtsfolgen hat der Senat auf die Spiegelseite übertragen und angenommen, dass auch an eine vom Arbeitnehmer unterlassene Erklärung Rechtsfolgen geknüpft werden können (a.A. Maties, Die gegenläufige betriebliche Übung, S. 50ff.; Thüsing, NZA 2005, 718 [720]; Speiger, NZA 1998, 510 [511f.]; Franzen, SAE 1997, 344 [347]). Allerdings hat der Senat in seiner Entscheidung vom 4. 5. 1999 (BAGE 91, 283 = NZA 1999, 1162 = NJW 2000, 308) der Kritik an seiner Rechtsprechung teilweise Rechnung getragen und die Anforderungen an eine gegenläufige betriebliche Übung erheblich verschärft. Er hat verlangt, dass der Arbeitgeber nicht nur deutlich machen muss, dass er das Weihnachtsgeld künftig unter dem Vorbehalt der Freiwilligkeit der Leistung zahlen will, sondern darüber hinaus seinen Arbeitnehmern unmissverständlich erklären muss, dass die bisherige betriebliche Übung einer vorbehaltlosen Zahlung beendet werden und durch eine Leistung ersetzt werden soll, auf die in Zukunft kein Rechtsanspruch mehr besteht.
[12]3. Der Senat hält nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts am 1. 1. 2002, mit dem die Bereichsausnahme des § 23 I AGBG aufgegeben wurde, an seiner Rechtsprechung zur Verschlechterung oder Beseitigung vertraglicher Ansprüche von Arbeitnehmern auf Sonderzahlungen auf Grund einer gegenläufigen betrieblichen Übung nicht fest. Eine dreimalige widerspruchslose Annahme einer vom Arbeitgeber unter dem Vorbehalt der Freiwilligkeit gezahlten Gratifikation kann nach § 308 Nr. 5 BGB nicht mehr den Verlust eines vertraglichen Anspruchs auf die Gratifikation bewirken.
[13]a) Nach der vom BAG in ständiger Rechtsprechung vertretenen Vertragstheorie werden durch eine betriebliche Übung vertragliche Ansprüche der Arbeitnehmer auf die üblich gewordenen Leistungen begründet (vgl. BAG [19. 8. 2008], NZA 2009, 196 = NJW 2009, 874 L = DB 2009, 463; BAG [28. 5. 2008], NZA 2008, 941 = NJW 2008, 2875 = AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 80 = EzA BGB 2002 § 242 Betriebliche Übung Nr. 8; BAG [26. 9. 2007], NZA 2008, 179 = NJW 2008, 463 L = AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 58 = EzA BGB 2002 § 305c Nr. 13; BAG [28. 6. 2006], BAGE 118, 360 [369] = NZA 2006, 1174; BAG [26. 5. 1993], NZA 1994, 513 = AP AVR Diakonisches Werk § 12 Nr. 2 = EzA BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 28). Ein im Arbeitsvertrag vereinbarter Anspruch des Arbeitnehmers auf eine Gratifikation kann nur durch Kündigung oder vertragliche Abrede unter Vorbehalt gestellt, verschlechtert oder beseitigt werden, nicht aber durch eine gegenläufige betriebliche Übung (BAG [24. 11. 2004], BAGE 113, 29 = NZA 2005, 349). Da eine dreimalige vorbehaltlose Gratifikationszahlung den Arbeitgeber vertraglich zur Leistung verpflichtet, kann er einen nach den Grundsätzen der betrieblichen Übung entstandenen Anspruch des Arbeitnehmers auf die Gratifikation ebenso wie einen im Arbeitsvertrag geregelten Gratifikationsanspruch auch nur durch Kündigung oder eine entsprechende Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer unter Vorbehalt stellen, verschlechtern oder beseitigen. Der nach den Grundsätzen der betrieblichen Übung entstandene Rechtsanspruch ist kein vertraglicher Anspruch minderer Rechtsbeständigkeit. Der Arbeitgeber kann ihn daher im Vergleich zu einem durch ausdrückliche arbeitsvertragliche Abrede begründeten Anspruch des Arbeitnehmers nicht unter erleichterten Voraussetzungen zu Fall bringen (vgl. Henssler, in: Festschr. 50 Jahre BAG, S. 683 [706]; ErfK/Preis, § 611 BGB Rdnr. 225).
[14]b) Es ist bereits zweifelhaft, ob ein Freiwilligkeitsvorbehalt wie derjenige in den Lohnabrechnungen der Bekl. ein Vertragsangebot i.S. von § 145 BGB darstellt oder ob es sich lediglich um die Ankündigung einer möglichen Einstellung oder Einschränkung der Gratifikationszahlung oder die Äußerung einer Rechtsansicht handelt (vgl. Maties, Die gegenläufige betriebliche Übung, S. 43f.; Waltermann, RdA 2006, 257 [268f.]; Thüsing, NZA 2005, 718 [720]; Goertz, AuR 1999, 463 [465]; Speiger, NZA 1998, 510 [512]; Kettler, NJW 1998, 435 [437]). Selbst wenn ein Vertragsangebot anzunehmen ist, ergab sich eine Obliegenheit des Kl., das Angebot ausdrücklich abzulehnen, wenn er dieses nicht annehmen wollte, nicht daraus, dass er die Gratifikationszahlung schweigend entgegengenommen hat. Das Schweigen auf ein günstiges Angebot kann dem Schweigen auf ein verschlechterndes Angebot nicht gleichgestellt werden (vgl. Schaub/Koch, ArbR-Hdb., § 111 Rdnr. 28). Abgesehen von der Deutung konkludenten Verhaltens als ein bestimmtes Erklärungsverhalten und von den gesetzlichen Erklärungsfiktionen, z.B. in den §§ 108 II 2, 177 II 2, 415 II 2, 416 I 2, 455 S. 2 BGB, ist das Unterlassen einer Handlung und damit auch das Schweigen keine Erklärung und kann vor allem im Geschäftsverkehr der Verbraucher auch nicht als solche gedeutet werden oder Erklärungswirkung entfalten (H. Schmidt, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 10. Aufl., § 308 Nr. 5 BGB Rdnr. 5).
[15]c) Allerdings ist in der Rechtsprechung des BAG anerkannt, dass eine widerspruchslose Fortsetzung der Tätigkeit durch den Arbeitnehmer nach einem Änderungsangebot des Arbeitgebers gemäß den §§ 133, 157 BGB als konkludente Annahme der Vertragsänderung ausgelegt werden kann, wenn diese sich unmittelbar im Arbeitsverhältnis auswirkt, nicht hingegen, solange deren Folgen nicht hervortreten (BAG [1. 8. 2001], BAGE 98, 293 = NZA 2003, 924; BAG [13. 5. 1987], BAGE 55, 275 = NZA 1988, 95; BAG [22. 12. 1970], AP BGB § 305 Billigkeitskontrolle Nr. 2 = EzA BGB § 315 Nr. 4; BAG [17. 7. 1965], AP BGB § 242 Ruhegehalt Nr. 101). Letzteres war der Fall. Das Arbeitsverhältnis der Parteien änderte sich nicht unmittelbar. Die Bekl. hat das Weihnachtsgeld für die Jahre 2002 bis 2005 weitergezahlt.
Anders als bei einer Einschränkung oder Einstellung der Gratifikationszahlung wirkte sich der von der Bekl. in den Lohnabrechnungen erklärte Vorbehalt der Freiwilligkeit damit nicht unmittelbar auf das Arbeitsverhältnis aus. In einem solchen Fall muss ein Arbeitnehmer nicht erkennen, dass seine widerspruchslose Weiterarbeit als Einverständnis mit einer Vertragsänderung verstanden wird (vgl. Ricken, DB 2006, 1372 [1376], der den Freiwilligkeitsvorbehalt für eine ungewöhnliche Klausel i.S. von § 305c I BGB hält). Setzt der Arbeitnehmer seine Tätigkeit widerspruchslos fort, darf der Arbeitgeber dem regelmäßig nicht das Einverständnis des Arbeitnehmers mit der Aufgabe seines bisherigen Rechtsanspruchs auf die Gratifikation entnehmen.
[16]d) Der Kl. hat allerdings selbst behauptet, dass er einer abändernden betrieblichen Übung nicht nur nicht zugestimmt, sondern mit einem an die Bekl. gerichteten anwaltlichen Schreiben vom 20. 2. 2002 dem Freiwilligkeitsvorbehalt ausdrücklich widersprochen hat. Dies legt nahe, dass er die Erklärung der Bekl. in den Lohnabrechnungen als abänderndes Vertragsangebot verstanden hat und sich deshalb veranlasst sah, ausdrücklich zu widersprechen. Ohne Bedeutung ist, dass er den Zugang des Schreibens nicht nachgewiesen hat. Entscheidend ist vielmehr, dass nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts am 1. 1. 2002, mit dem die Bereichsausnahme des § 23 I AGBG aufgegeben wurde, einer dreimaligen widerspruchslosen Annahme einer vom Arbeitgeber unter dem Vorbehalt der Freiwilligkeit gezahlten Gratifikation nicht mehr die bisher angenommene Bedeutung beigemessen werden kann. Unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer den Vorbehalt, die Gratifikationszahlung sei eine freiwillige Leistung und begründete keinen Rechtsanspruch, als Änderungsangebot des Arbeitgebers verstanden hat oder nicht, muss das Schweigen des Arbeitnehmers als Ablehnung verstanden werden.
[17]aa) Erklärt der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern, dass die bisherige betriebliche Übung einer vorbehaltlosen Gratifikationszahlung beendet werden und durch eine Leistung ersetzt werden soll, auf die in Zukunft kein Rechtsanspruch mehr besteht, und wird diese Erklärung als Änderungsangebot verstanden, liegt eine für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingung i.S. von § 305 I BGB vor. Die Annahme, durch eine dreimalige widerspruchslose Entgegennahme einer vom Arbeitgeber ausdrücklich unter dem Vorbehalt der Freiwilligkeit gezahlten Gratifikation werde die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Gratifikationszahlung beendet, ist mit dem Klauselverbot für fingierte Erklärungen in § 308 Nr. 5 BGB nicht zu vereinbaren.
[18]bb) Nach dieser Vorschrift ist in Allgemeinen Geschäftsbedingungen insbesondere eine Bestimmung unwirksam, wonach eine Erklärung des Vertragspartners des Verwenders bei Vornahme oder Unterlassung einer bestimmten Handlung als von ihm abgegeben oder nicht abgegeben gilt, es sei denn, dass dem Vertragspartner eine angemessene Frist zur Abgabe einer ausdrücklichen Erklärung eingeräumt ist und der Verwender sich verpflichtet, den Vertragspartner bei Beginn der Frist auf die vorgesehene Bedeutung seines Verhaltens besonders hinzuweisen. Die Bestimmung beruht auf § 307 II Nr. 1 BGB. Sie bezweckt, dass der zu den wesentlichen Prinzipien des Privatrechts gehörende Grundsatz, wonach Schweigen in der Regel keine Willenserklärung ist, durch Allgemeine Geschäftsbedingungen nur in engen Grenzen änderbar ist (Palandt/Grüneberg, BGB, 68. Aufl., § 308 Rdnr. 25). § 308 Nr. 5 BGB verbietet den Vertragsparteien zwar nicht, zu vereinbaren, dass das Schweigen einer Partei zu einem Antrag der anderen Partei als Annahmeerklärung anzusehen ist. Die Vorschrift untersagt fingierte Erklärungen jedoch für den Fall, dass die drohende Fiktionswirkung dem Vertragspartner des Klauselverwenders nicht hinreichend bewusst gemacht und ihm keine angemessene Frist zur Abgabe einer ausdrücklichen Erklärung eingeräumt wird (Kieninger, in: MünchKomm, 5. Aufl., § 308 Nr. 5 Rdnr. 1).
[19]cc) Soll eine an ein Schweigen geknüpfte Fiktionswirkung eintreten, muss dies nach § 308 Nr. 5 BGB nicht nur von den Vertragsparteien vereinbart worden sein. Nach dieser Vorschrift muss der Klauselverwender sich darüber hinaus verpflichtet haben, seinen Vertragspartner bei Beginn der Frist auf die Bedeutung seines Schweigens besonders hinzuweisen. Schließlich muss dieser Hinweis auch tatsächlich und in einer Form erfolgen, die unter normalen Umständen Kenntnisnahme verbürgt (Palandt/Grüneberg, § 308 Rdnr. 26a m.w. Nachw.). Gibt der Klauselverwender den Hinweis, hat er sich aber dazu vertraglich nicht verpflichtet, tritt die Erklärungsfiktion nicht ein (Däubler/Dorndorf, AGB-Kontrolle im ArbR, § 308 Nr. 5 BGB Rdnr. 6; Palandt/Grüneberg, § 308 Rdnr. 26a; Kieninger, in: MünchKomm, § 308 Nr. 5 Rdnr. 14; H. Schmidt, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, § 308 Nr. 5 BGB Rdnr. 12). Dies gilt auch bei einem unterbliebenen Hinweis auf eine vereinbarte Erklärungsfiktion.
[20]dd) Daran gemessen reicht eine dreimalige widerspruchslose Entgegennahme einer vom Arbeitgeber unter dem Vorbehalt der Freiwilligkeit gezahlten Gratifikation nicht aus, um eine vertragliche Verpflichtung des Arbeitgebers zur Gratifikationszahlung zu beenden. Haben die Arbeitsvertragsparteien nicht vereinbart, dass das Schweigen des Arbeitnehmers zu einem Änderungsangebot des Arbeitgebers als Annahme des Angebots gilt, reicht selbst ein ausdrücklicher Hinweis des Arbeitgebers bei der Zahlung der Gratifikation nicht aus, dass eine dreimalige widerspruchslose Annahme der unter dem Vorbehalt der Freiwilligkeit geleisteten Zahlung zum Verlust des Rechtsanspruchs auf die Gratifikationszahlung führt.
[21]e) Allerdings ist der Kl. bereits seit dem 1. 8. 1971 bei der Bekl. beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde damit viele Jahre vor dem Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes begründet und der Arbeitsvertrag im Vertrauen auf die damals geltende Gesetzeslage und die nicht den Bindungen des AGB-Rechts unterworfene Rechtsprechung abgeschlossen. Bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses bestand für die Parteien deshalb keine Veranlassung, Vereinbarungen zu treffen, die einer Inhaltskontrolle nach den §§ 305ff. BGB standhalten und den nach § 308 Nr. 5 BGB an fingierte Erklärungen zu stellenden Anforderungen genügen. Dies bewirkt jedoch nicht, dass sich die Bekl. mit Erfolg auf die bisherige Rechtsprechung zur gegenläufigen betrieblichen Übung berufen kann und deshalb nicht zur Zahlung des vom Kl. beanspruchten Weihnachtsgeldes verpflichtet ist.
[22]aa) Wollte ein Arbeitgeber die betriebliche Übung einer vorbehaltlosen Gratifikationszahlung beenden, durfte er sich nach der Entscheidung des Senats vom 4. 5. 1999 (BAGE 91, 283 = NZA 1999, 1162 = NJW 2000, 308) nicht wie die Bekl. auf den Hinweis der Freiwilligkeit beschränken, sondern musste gegenüber seinen Arbeitnehmern unmissverständlich erklären, dass die bisherige betriebliche Übung einer vorbehaltlosen Zahlung beendet werden und durch eine Leistung ersetzt werden soll, auf die in Zukunft kein Rechtsanspruch mehr besteht. Damit musste der Arbeitgeber auf die bisherige betriebliche Übung hinweisen und sein Änderungsangebot mit dem Anerkenntnis eines Rechtsanspruchs des Arbeitnehmers auf die Gratifikation verbinden.
[23]bb) An einem solchen Anerkenntnis fehlt es. Die Bekl. hat in den handschriftlichen Vermerken auf den Lohnabrechnungen lediglich erklärt, die Zahlung des Weihnachtsgeldes sei eine freiwillige Leistung und begründe keinen Rechtsanspruch.