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Arbeitsrecht
18.08.2009
Arbeitsrecht
BAG: Reduzierung der Bindungsdauer von Rückzahlungsklauseln durch ergänzende Vertragsauslegung (Entscheidungsreport)

BAG, Urteil 14.01.2009 - 3 AZR 900/07


Zum Volltext des Urteils


Leitsätze:


1. Es ist grundsätzlich zulässig, in vom Arbeitgeber gestellten Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Rückzahlung von Fortbildungskosten zu vereinbaren und die Höhe des Rückzahlungsbetrages davon abhängig zu machen, ob der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis innerhalb einer bestimmten Bindungsdauer beendet.

2. Die Bindungsdauer darf den Arbeitnehmer nicht entgegen den Geboten von Treu und Glauben benachteiligen. Ob dies der Fall ist, bestimmt sich nach Regelwerten, die jedoch einzelfallbezogenen Abweichungen zugänglich sind.

3. Gibt der Arbeitgeber eine zu lange Bindungsdauer vor, ist die daran geknüpfte Rückzahlungsklausel grundsätzlich insgesamt unwirksam. Ein Rückzahlungsanspruch besteht nicht. Jedoch kann im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung die unzulässige Bindungsdauer auf eine zulässige zurückgeführt werden, wenn es wegen der einzelfallbezogenen Betrachtung für den Arbeitgeber objektiv schwierig war, die zulässige Bindungsdauer im Einzelfall zu bestimmen. Verwirklicht sich dieses Prognoserisiko, ist die Bindungsdauer durch ergänzende Vertragsauslegung zu bestimmen.

Zusammenfassung:


Die Parteien streiten über die Pflicht der Klägerin, Ausbildungskosten zurück zu erstatten. Am 26.9.2003 schlossen die Parteien einen Vertrag über die Fortbildung der Klägerin vom 26.9.2003 bis zum 30.10.2004 zur „Betriebswirtin (HWK)". Die Beklagte übernahm die Gebühren in Höhe von 3 360,00 Euro sowie Entgeltfortzahlungskosten für 16 Tage. Die Klägerin übernahm die Verpflichtung, für ihre Ausbildung 16 Urlaubstage aufzuwenden. Nach Ende des Lehrgangs sollten der Klägerin für jeden Monat der Beschäftigung 1/60 des gesamten Rückzahlungsbetrages erlassen werden. Nachdem die Klägerin die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen hatte, kündigte sie ihr Arbeitsverhältnis zum 14.8.2006. Die Beklagte hat durch ihre Widerklage zunächst eine Rückzahlungsforderung von 2 878,20 Euro geltend gemacht, wobei sie diesen Betrag mit der Revision auf 553,47 Euro verringert hat. Dies wurde von ihr damit begründet, dass die Vereinbarung der 5-jährigen Bindungsdauer zwar unwirksam, der Vertrag jedoch mit einer Bindungsdauer von 24 Monaten weiter anzuwenden sei. Sowohl das ArbG als auch das LAG haben das Rückzahlungsbegehren abgewiesen.

Auch die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg. Die Rückzahlungsklausel ist nach der Auffassung des BAG insgesamt unwirksam. Das BAG hat in ständiger Rechtsprechung Regelwerte zur Beurteilung von zulässigen Bindungsdauern für Rückzahlungsklauseln entwickelt. Daneben ist immer eine Einzelfallbewertung durchzuführen. Von den Regelwerten kann abgewichen werden, wenn z.B. der Arbeitgeber ganz erhebliche Mittel aufwendet oder die Teilnahme an der Fortbildung dem Arbeitnehmer überdurchschnittlich große Vorteile bringt. Das BAG hat in diesem Zusammenhang dargelegt, dass grundsätzlich dann eine ergänzende Vertragsauslegung nicht ausgeschlossen ist, wenn trotz sorgfältiger Prüfung und Beachtung der Regelwerte, die Klausel unwirksam ist. Es sei unangemessen, das sich aus der notwendigen Einzelfallbewertung ergebende Prognoserisiko dem Arbeitgeber alleine aufzuerlegen, wenn es für ihn objektiv schwierig war, die zulässige Bindungsdauer zu bestimmen. Die Berücksichtigung des Prognoserisikos sei als Besonderheit des Arbeitsrechts geboten. Im Rahmen einer ergänzenden Vertragsauslegung sei dann ggf. eine angemessene Bindungsdauer zu festzulegen. Im vorliegenden Fall hat sich jedoch nicht das Prognoserisiko des Arbeitgebers verwirklicht, sondern die Beklagte hat die Regelwerte nicht beachtet und eine extrem lange Bindungsdauer vereinbart. Die streitgegenständliche Klausel war daher mit einer Bindungsdauer von fünf Jahren von vornherein unangemessen und nicht auf ein zulässiges Maß zu reduzieren.

Praxisfolgen:


Mit dem Urteil hat das BAG seine ständige Rechtsprechung zur AGB-Kontrolle von Rückzahlungsklauseln in Fortbildungsvereinbarungen bestätigt (zuletzt BAG, Urt. v. 21.7.2005, 6 AZR 452/04). Die wichtige Feststellung des BAG ist jedoch, dass bei Unwirksamkeit einer Klausel unter den beschriebenen Umständen eine ergänzende Vertragsauslegung in Betracht kommt, da die Besonderheiten des Arbeitsrechtes zu beachten sind. Mit dieser Feststellung präzisiert das BAG seine bisherige Rechtsprechung in diesem Zusammenhang (vgl. noch BAG, Urt. v. 11.4.2006, BAGE 118, 36). Arbeitgeber sollten daher beim Entwerfen von Rückzahlungsvereinbarungen höchste Sorgfalt verwenden. Die Regelwerte müssen grundsätzlich beachtet werden. Eine 5-jährige Bindungsdauer ist z.B. nur bei einer Ausbildungsdauer von mehr als 2 Jahren zulässig. Wenn sich dann trotz der nachweislich aufgewendeter Sorgfalt das Prognoserisiko verwirklicht und die Klausel unwirksam ist, dürfte ein Schaden des Arbeitgebers aufgrund der anzuwendenden ergänzenden Vertragsauslegung überschaubar bleiben.


Sonja Sehr
, RAin, White & Case LLP, Frankfurt/M.

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