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Arbeitsrecht
22.05.2015
Arbeitsrecht
LAG Berlin-Brandenburg: Rechtsweg, willkürlicher Verweisungsbeschluss, Bestimmung des zuständigen Gerichts

LArbG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.3.2015 – 21 Ta 460/15

Leitsatz

Wird ein Rechtsstreit in einen anderen Rechtsweg rechtskräftig verwiesen und hält das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, die Verweisung für willkürlich, darf es den Rechtsstreit nicht an das Ausgangsgericht zurückverweisen. Es muss das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO dem obersten Gerichtshof des Bundes der eigenen Gerichtsbarkeit oder dem der anderen Gerichtsbarkeit zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorlegen.

Aus den Gründen

I.

1          Mit der beim Landgericht Potsdam erhobenen Klage nimmt die Klägerin den Beklagten auf die Zahlung von „Werklohn“ in Anspruch. Auf Rechtswegsrüge des Beklagten hat das Landgericht den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten mit Beschluss vom 16. Oktober 2014 (Bl. 145 ff. d. A.) für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel verweisen. Gegen diesen der Klägerin am 28. Oktober 2014 und dem Beklagten am 20. Oktober 2014 zugestellten Beschluss hat keine Partei Rechtsmittel eingelegt.

2          Mit Beschluss der Kammer vom 18. Februar 2015 hat das Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel nach Anhörung der Parteien den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Potsdam zurückverwiesen, weil der Verweisungsbeschluss des Landgerichts vom 16. Oktober 2014 jeder Rechtsgrundlage entbehre. Die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen sei unter keinen Umständen gegeben. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf II. der Gründe des Beschlusses (Bl. 217 d. A.) verwiesen. Im Anhörungsschreiben vom 29. Januar 2015 (Bl. 204 ff. d. A.) hatte das Arbeitsgericht die Parteien darauf hingewiesen, dass nach der Rechtskraft des Verweisungsbeschlusses das Verfahren nach den §§ 36, 37 ZPO dem Gericht des nächst höheren Rechtszuges zur Bestimmung der Zuständigkeit vorzulegen sei.

3          Gegen diesen dem Beklagten am 19. Februar 2015 zustellten Beschluss hat dieser mit am 19. Februar 2015 beim Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel vorab per Telefax eingegangenem Schriftsatz von demselben Tag (Bl. 221 d. A.) sofortige Beschwerde eingelegt. Mit Beschluss des Vorsitzenden vom 9. März 2015 (Bl. 225 d. A.) hat das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

4          Die nach § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG i. V. m. § 78 Satz 1 ArbGG, § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte sowie frist- und formgerecht i. S. v. § 78 Satz 1 ArbGG, § 569 Abs. 1 und 2 ZPO eingelegte sofortige Beschwerde ist begründet. Das Arbeitsgericht durfte den Rechtsstreit nicht an das Landgericht Potsdam zurückverweisen, sondern hätte das Verfahren, wenn es den Verweisungsbeschluss für willkürlich hält, in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO dem Bundesarbeitsgericht oder dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorlegen müssen. Der Beschluss des Arbeitsgerichts ist deshalb aufzuheben, ohne dass es darauf ankommt, ob der Auffassung des Arbeitsgerichts, dass der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen unter keinen Umständen gegeben sei, zu folgen ist.

5          1. Nach § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG, § 48 Abs. 1 ArbGG sind rechtskräftige Verweisungsbeschlüsse für das Gericht des Rechtswegs, in den der Rechtsstreit verwiesen worden ist, bindend. Auch ein rechtskräftiger Verweisungsbeschluss, der nicht hätte ergehen dürfen, ist grundsätzlich einer weiteren Überprüfung entzogen. Nur bei krassen Rechtsverletzungen kommt eine Durchbrechung der gesetzlichen Bindungswirkung ausnahmsweise in Betracht (st. Rspr. d. BAG, zuletzt BAG vom 12.07.2006 - 5 AS 7/06 - Rn. 5 m. w. N., NZA 2006, 1004). Dies ist etwa anzunehmen, wenn der Beschluss dazu führt, dass sich die Verweisung bei Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Normen in einer nicht mehr hinnehmbaren, willkürlichen Weise von dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt oder auf der Versagung rechtlichen Gehörs gegenüber den Verfahrensbeteiligten beruht und damit unter Berücksichtigung elementarer rechtsstaatlicher Grundsätze nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist. Der Verweisungsbeschluss muss ein Beleg willkürlicher Rechtsfindung sein (BAG vom 28.02.2006 - 5 AS 19/05 - Rn. 7, NZA 2006, 453; vom 09.02.2006 - 5 AS 1/06 - Rn. 13, NZA 2006, 454).

6          2. Ist das Gericht, an das der Rechtsstreit rechtskräftig verwiesen worden ist, der Auffassung, der besondere Ausnahmefall der fehlenden Bindungswirkung der Verweisung in einen anderen Rechtsweg sei gegeben, darf es den Rechtsstreit gleichwohl nicht an das Ausgangsgericht zurückverweisen. Es ist vielmehr gehalten, das Verfahren dem zuständigen obersten Gerichtshof des Bundes vorzulegen (Kittner/Zwanziger/ Deinert-Zwanziger, § 146 Rn. 46, BeckOK ArbGG-Hamacher, § 48 Rn. 72; Zöller-Lückemann, § 17a GVG Rn. 13; MüKo/ZPO-Zimmermann, § 17a GVG Rn. 19; Sänger-Rathmann, § 17a GVG Rn. 11; vgl. auch BAG vom 09.02.2006 - 5 AS 1/06 - Rn. 16, a. a. O.; vom 28.02.2006 - 5 AS 19/05 - Rn. 5, a. a. O.; vom 12.07.2006 - 5 AS 7/06 - Rn. 3, a. a. O.; a. A. wohl Natter/Gross-Ahmad, § 48 Rn. 18). Dieser hat dann im Interesse einer schnellstmöglichen Beendigung des Kompetenzstreits in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO das zuständige Gericht zu bestimmen, wenn dies zur Wahrung einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit notwendig ist (vgl. BAG vom 13.01.2003 - 5 AS 7/02 - Rn 12 zitiert nach juris, NZA 2003, 285 vom BAG vom 12.07.2006 - 5 AS 7/06 Rn. 6, a. a. O., jeweils m. w. N.). Zuständig für die Zuständigkeitsbestimmung ist der oberste Gerichtshof des Bundes, der zuerst darum angegangen wird (BAG vom 12.07.2006 - 4 AS 7/06 - Rn. 6, a. a. O.; vom 28.02.2006 - 5 AS 19/05 - Rn. 8, a. a. O.). Daran hat sich auch durch die Einfügung der Absätze 2 und 3 in § 36 ZPO im Jahr 1997 nichts geändert (BAG vom 22.07.1998 - 5 AS 17/98 - Rn. 10 zitiert nach juris, NZA 1998, 1190; 14.12.1998 - 5 AS 8/98 - Rn. 16 zitiert nach juris, NZA 1999, 390).

7          3. Die Entscheidung, das Bundesarbeitsgericht oder den Bundesgerichtshof wegen der Bestimmung des zuständigen Gerichts entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO anzurufen oder nicht, obliegt nunmehr dem Arbeitsgericht. Eine Anrufung hätte nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG - wie auch die Abhilfeentscheidung nach § 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO (GMPM-Germelmann, § 48 Rn. 118; ErfK-Koch, § 48 ArbGG Rn. 8; BeckOk ArbGG-Hamacher § 48 Rn. 91) - durch die Kammer zu erfolgen. Dies ergibt sich daraus, dass die Entscheidung über die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses letztlich auch eine Entscheidung in der Sache ist (vgl. dazu GMPM-Germelmann, § 48 Rn. 118).

III.        

8          Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Gerichtsgebühren sind nicht entstanden. Die außergerichtlichen Kosten der Parteien gehören, weil das Beschwerdeverfahren Teil des Kompetenzkonflikts zwischen dem Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel und dem Landgericht Potsdam ist, zu den Kosten des Rechtsstreits (vgl. Zöller-Herget, § 91 Rn. 13 „Bestimmung des zuständigen Gerichts“).

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