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Arbeitsrecht
15.11.2018
Arbeitsrecht
LAG Düsseldorf: Rechtsschein einer Betriebsvereinbarung

LAG Düsseldorf, Beschluss vom 27.4.2018 – 10 TaBV 64/17

ECLI:DE:LAGD:2018:0427.10TABV64.17.00

Volltext: BB-ONLINE BBL2018-2804-6

unter www.betriebs-berater.de

Amtlicher Leitsatz

Einer Betriebsvereinbarung, die mangels des erforderlichen Beschlusses des Betriebsrats nicht wirksam zustande gekommen ist, fehlt es an ihrer normativen Wirkung i.S.d. § 77 Abs. 4 BetrVG. Sie ist rechtlich unwirksam.

Es mag sein, dass sich der Arbeitgeber im Hinblick auf konkrete Maßnahmen, die er in Vollziehung einer solchen Betriebsvereinbarung ergriffen hat, mit schutzwürdigem Vertrauen rechtfertigen kann und sich nicht deren mitbestimmungsrechtliche Unwirksamkeit vorwerfen lassen muss. Das gilt jedoch nur im Hinblick auf konkrete Mitbestimmungsfragen, wie etwa der Beteiligung im Rahmen von Kündigungen nach §§ 102, 103 BetrVG oder allgemeinen personellen Maßnahmen i.S.d. § 99 BetrVG. Es bedeutet nicht, dass der Rechtsschein der Betriebsvereinbarung rechtliche Wirkung i.S.d. § 77 Abs. 4 BetrVG verleihen könnte.

§ 26 Abs. 2 BetrVG, § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG

Sachverhalt

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob eine am 12.12.2014 vom Vorsitzenden des Antragstellers (im Folgenden: Betriebsrat) und dem damaligen Geschäftsführer der Antragsgegnerin (im Folgenden: Arbeitgeberin) unterzeichnete Betriebsvereinbarung wirksam ist.

Ende des Jahres 2014 trat der damalige Geschäftsführer der Arbeitgeberin an den aus drei Personen bestehenden Betriebsrat und die Belegschaft mit dem Wunsch heran, verschiedene bis dato geltende Betriebsvereinbarungen zwecks Sicherung des Standortes durch eine neue Betriebsvereinbarung zu ändern. Bei im Detail streitigen Darstellungen der weiteren Abläufe ist es im Kern unstreitig, dass der Geschäftsführer der Belegschaft einen Entwurf präsentierte, über dessen Inhalt die gesamte Belegschaft abstimmte. Nachdem der Vorschlag in einer ersten und zweiten Abstimmung von der Belegschaft abgelehnt worden war, kam es am 11.12.2014 zu einer neuerlichen namentlichen Abstimmung, bei der sich die Mehrheit dafür aussprach, den Entwurf zu akzeptieren.

Hieraufhin unterzeichneten der Vorsitzende des Betriebsrats und der Geschäftsführer unter dem 12.12.2014 die "Betriebsvereinbarung 01/2015 zur Neuregelung der Betriebsvereinbarungen" (im Folgenden BV). Ebenfalls am 12.12.2014 verfasste und veröffentlichte der Betriebsratsvorsitzende den folgenden "Aushang Nr. 18/2014":

Abstimmung Betriebsvereinbarung

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!!!

Die erneute Abstimmung über die neue

Betriebsvereinbarung am 11.12.14 wurde mit überragender

Mehrheit angenommen und akzeptiert.

Die neue Betriebsvereinbarung gilt somit ab dem

01.01.2015.

Der Aushang wurde von allen Betriebsratsmitgliedern unterzeichnet.

Im Februar 2015 äußerte der Betriebsrat gegenüber der Arbeitgeberin und der Belegschaft Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit der BV. Hierauf reagierte die Arbeitgeberin mit folgendem "Aushang Nr. 02/2015":

Liebe Mitarbeiterinnen, liebe Mitarbeiter,

die Mitteilung des Betriebsrats vom 12.02.2015 veranlasst uns dazu, folgende Punkte klarzustellen:

-Die Geschäftsleitung geht weiter davon aus, dass die Betriebsvereinbarung vom 12.12.2014 unverändert Bestand hat. Sämtliche Betriebsratsmitglieder haben der Betriebsvereinbarung am 12.12.2014 ausdrücklich zugestimmt. Außerdem wurde die Betriebsvereinbarung nach einer Abstimmung in der Belegschaft mit "überragender Mehrheit angenommen" (vgl. Aushang Nr. 18/2014).

- Wir wollen und können nicht akzeptieren, dass sich der Betriebsrat auf einmal von der Betriebsvereinbarung lossagen will.

- Von einem "schwerwiegenden Verfahrensfehler" ist uns übrigens nichts bekannt. Überzeugend ist dieser Einwand sowieso nicht, denn der Betriebsrat könnte einen solchen Verfahrensfehler ohne Weiteres jederzeit wieder korrigieren.

Wir hoffen im Interesse unseres Unternehmens, dass wir möglichst bald wieder zu einer verlässlichen und vertrauensvollen Zusammenarbeit zurückfinden!

Mit freundlichen Grüßen

Zwischenzeitlich hat der Betriebsrat die BV ordentlich und fristgerecht zum 31.12.2017 gekündigt.

Mit dem am 30.09.2016 eingeleiteten Beschlussverfahren strebt der Betriebsrat die Feststellung an, dass die BV keine Rechtswirkungen entfaltet. Er hält sie für unwirksam, weil sie seinerzeit vom Vorsitzenden unterzeichnet worden sei, ohne dass der Betriebsrat zuvor einen entsprechenden Beschluss gefasst habe. Eine spätere Genehmigung habe es nicht gegeben. Die Arbeitgeberin könne sich auch nicht auf einen vom Betriebsrat gesetzten Rechtsschein berufen. Nach der dritten Abstimmung habe der Vorsitzende den Geschäftsführer aufgesucht und seine Bedenken an der Rechtsmäßigkeit des Zustandekommens der Betriebsvereinbarung durch "Urabstimmung" mitgeteilt. Dieser habe erwidert, dass er eine anwaltliche Auskunft eingeholt habe, wonach die BV durch die Abstimmung der Belegschaft rechtswirksam zustande gekommen sei. In Anbetracht dieser Auskunft habe sich der Vorsitzende in sein Büro begeben, den Aushang Nr. 18/2014 verfasst und unterzeichnet und sich sodann zu den weiteren Betriebsratsmitgliedern begeben, um von diesen nacheinander an ihrem jeweiligen Arbeitsplatz die unter dem Aushang befindliche Unterschrift einzuholen.

Der Betriebsrat hat beantragt,

festzustellen, dass die Betriebsvereinbarung 01/2015 vom 12.12.2014 keine Rechtswirkung entfaltet.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Sie hat mit Nichtwissen bestritten, dass der Betriebsrat seinerzeit keinen Zustimmungsbeschluss gefasst und der Vorsitzende die Unterschriften unter dem Aushang Nr. 18/2014 von den weiteren Mitgliedern nacheinander eingeholt habe. Mit dem vom Betriebsratsvorsitzenden verfassten und von allen Betriebsratsmitgliedern unterzeichneten Aushang Nr. 18/2014 habe der Betriebsrat der BV seine Zustimmung erteilt. Zumindest gehe von der Unterzeichnung der BV durch den Vorsitzenden und des Aushangs Nr. 18/2014 durch alle Mitglieder des Betriebsrats die Vermutung aus, dass die Erklärung des Vorsitzenden durch einen Beschluss des Gremiums gedeckt gewesen sei.

Aber selbst wenn ein wirksamer Beschluss des Betriebsrats fehlen sollte, sei jedenfalls der Rechtsschein gesetzt worden, dass der BV ein Zustimmungsbeschluss zugrunde liege. Aufgrund der Erklärungen im Aushang Nr. 18/2014 habe sie zu keiner Zeit Zweifel an der Vertretungsmacht des Vorsitzenden gehabt und deshalb auf das wirksame Zustandekommen vertrauen dürfen.

Mit Beschluss vom 06.09.2017, auf den wegen der im Einzelnen zugrundeliegenden Erwägungen verwiesen wird, hat das Arbeitsgericht den Antrag zurückgewiesen. Zwar sei davon auszugehen, dass dem Abschluss der BV durch den Vorsitzenden weder ein ordnungsgemäß herbeigeführter Zustimmungsbeschluss noch eine nachträgliche Genehmigung seitens des Betriebsrats zugrunde liege. Hierauf komme es entgegen der Ansicht des Antragstellers aber nicht an, weil der Betriebsrat durch die Unterschrift aller Betriebsratsmitglieder und des Vorsitzenden auf dem Aushang Nr. 18/2014 den Rechtsschein gesetzt habe, dass ein entsprechender Zustimmungsbeschluss vorliege.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Betriebsrat mit seiner Beschwerde, wegen deren Details auf die Beschwerdebegründung verwiesen wird. Insbesondere der Auffassung des Arbeitsgerichts, einen die Wirksamkeit der BV bewirkenden Rechtsschein gesetzt zu haben, könne nicht gefolgt werden. Da es gerade die Antragsgegnerin gewesen sei, die für das Zustandekommen der BV eine "basisdemokratische Abstimmung" habe durchführen lassen und vom Betriebsratsvorsitzenden geäußerte Bedenken hinsichtlich des rechtswirksamen Zustandekommens der BV mit dem Hinweis entkräftet habe, nach eingeholter Rechtsauskunft sei die Betriebsvereinbarung rechtswirksam zustande gekommen, könne sich diese nicht auf Vertrauensschutz berufen.

Der Betriebsrat beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Wesel vom 06.09.2017 - 5 BV 41/16 - abzuändern und festzustellen, dass die Betriebsvereinbarung 01/2015 vom 12.12.2014 keine Rechtswirkung entfaltet.

Die Arbeitgeberin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Mit ihrer Beschwerdeerwiderung, auf die wegen der Einzelheiten ihres zweitinstanzlichen Vorbringens verwiesen wird, verteidigt sie die Entscheidung des Arbeitsgerichts.

Das Beschwerdegericht hat durch Vernehmung von Zeugen Beweis erhoben über die Beschlussfassung des Betriebsrats in Zusammenhang mit dem Zustandekommen der BV. Wegen der Einzelheiten des Beweisbeschlusses sowie des Verlaufs und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Anhörung vom 27.04.2018 verwiesen.

Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten des zugrunde liegenden Sachverhalts sowie des widerstreitenden Sachvortrags und der unterschiedlichen Rechtsauffassungen der Beteiligten ergänzend auf den Akteninhalt, insbesondere die wechselseitigen Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Anhörungstermine Bezug genommen.

Aus den Gründen

II.

Die Beschwerde ist zulässig, denn sie ist an sich statthaft (§ 87 Abs. 1 ArbGG) und auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 87 Abs. 2 Satz 1, 89 Abs. 2, 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, 520 ZPO).

Sie hat auch in der Sache Erfolg. Der Beschluss des Arbeitsgerichts war abzuändern. Entgegen der Entscheidung des Arbeitsgerichts war festzustellen, dass die BV keine Rechtswirkung i.S.d. § 77 BetrVG entfaltet.

1. Die BV ist nicht wirksam zustande gekommen, weil es an dem für ihren Abschluss erforderlichen Betriebsratsbeschluss fehlt.

a) Wie das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 09.12.2014 im Einzelnen herausgearbeitet hat, setzt der wirksame Abschluss einer Betriebsvereinbarung einen darauf bezogenen, wirksamen Beschluss des Betriebsrats voraus. Denn nach der Konzeption des Betriebsverfassungsgesetzes handelt der Betriebsrat als Kollegialorgan. Er bildet seinen gemeinsamen Willen durch Beschluss (§ 33 Abs. 1 BetrVG). Dieser ist beachtlich, wenn er ordnungsgemäß zustande gekommen ist. Dazu muss der Betriebsrat beschlussfähig iSd. § 33 BetrVG sein und sich auf einer Betriebsratssitzung aufgrund einer mit den Vorschriften des BetrVG in Einklang stehenden Ladung mit dem jeweiligen Sachverhalt befasst und durch Abstimmung eine einheitliche Willensbildung herbeigeführt haben. Eine nicht von einem Betriebsratsbeschluss umfasste Erklärung seines Vorsitzenden ist unwirksam und entfaltet keine Rechtswirkungen. Nach § 26 Abs. 2 Satz 1 BetrVG vertritt der Vorsitzende den Betriebsrat nur im Rahmen der von ihm gefassten Beschlüsse. Allerdings können ohne einen wirksamen Betriebsratsbeschluss abgeschlossene Vereinbarungen vom Betriebsrat durch eine spätere ordnungsgemäße Beschlussfassung nach § 184 Abs. 1 BGB genehmigt werden (BAG, Beschluss vom 09. Dezember 2014 - 1 ABR 19/13 -, juris, Rn. 15 f m.w.N.).

b) Vor diesem Hintergrund ist Folgendes festzustellen:

aa) Vor der Unterzeichnung der BV durch seinen Vorsitzenden hat der Betriebsrat keinen entsprechenden Zustimmungsbeschluss gefasst.

Eben dies haben alle drei vom Beschwerdegericht vernommenen Mitglieder des Betriebsrates übereinstimmend bekundet, ohne dass sich aus der Art und Weise ihrer Darstellung der zu erinnernden Vorgänge oder sonst aus ihren Äußerungen oder ihrem Verhalten irgendwelche Anhaltspunkte dafür ergeben hätten, dass sie nicht die Wahrheit sagen würden.

Die Beweisaufnahme war nicht etwa deshalb entbehrlich, weil zugunsten der Arbeitgeberin zu vermuten war, dass der Betriebsrat vor Unterzeichnung der BV durch den Vorsitzenden einen dies legitimierenden Beschluss getroffen hatte. Es mag sein, dass im Ausgangspunkt die Vermutung gilt, dass der Vorsitzende des Betriebsrats seine Erklärungen im Rahmen eines entsprechenden Beschlusses des Kollegialorgans trifft (dafür: BAG, Beschluss vom 19. März 2003 - 7 ABR 15/02 - zu II 2 b der Gründe, juris; BAG, Beschluss vom 24. Februar 2000 - 8 AZR 180/99 - zu II 3 b der Gründe, juris; BAG, Beschluss vom 17. Februar 1981 - 1 AZR 290/78 - zu II 1 a aa der Gründe, juris; demgegenüber zweifelnd; BAG, Beschluss vom 19. Januar 2005 - 7 ABR 24/04 - zu B I 3 der Gründe, juris, Rn. 15). Wie das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 19.01.2005 zutreffend festgehalten hat, ließe sich daraus aber nur herleiten, dass das Gericht im Beschlussverfahren nicht ohne Anlass von Amts wegen die ordnungsgemäße Beschlussfassung des Betriebsrats aufklären muss (BAG, Beschluss vom 19. Januar 2005 - 7 ABR 24/04 - zu B I 3 der Gründe, juris, Rn. 15). Ein Bestreiten - dort des Arbeitgebers, hier des Betriebsrates - ist jedoch ein genügender Anlass, die gerichtliche Aufklärungspflicht auszulösen und - wie geschehen - Beweis zu erheben.

bb) Für die Entscheidung der Angelegenheit kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Betriebsrat eine Beschlussfassung nachgeholt und dadurch das Handeln des Vorsitzenden genehmigt hätte.

 (1) Zwar kann der Betriebsrat durch einen entsprechenden Beschluss das Handeln seines Vorsitzenden nachträglich genehmigen (BAG, Beschluss vom 19. Januar 2005 - 7 ABR 24/04 -, Rn. 16, juris unter Hinweis auf BAG, Beschluss vom 18. Februar 2003 - 1 ABR 17/02 - juris). Da der Betriebsrat jedoch als Kollegialorgan handelt und sich seine Willensbildung durch Beschlüsse vollzieht, ist das nicht stillschweigend möglich, sondern erfordert grundsätzlich eine durch ordnungsgemäße Ladung aller Betriebsratsmitglieder unter Mitteilung der jeweiligen Tagesordnung vorbereitete förmliche Beschlussfassung (BAG, Beschluss vom 19. Januar 2005 - 7 ABR 24/04 -, Rn. 16, juris). Insbesondere an der letztgenannten Voraussetzung hat sich auch aufgrund der seit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 15.04.2014 geltenden erleichterten Voraussetzungen für eine kurzfristige Änderung der Tagesordnung (vgl. BAG, Beschluss vom 15.04.2014 - 1 ABR 2/13 (B) -, juris) nichts geändert.

 (2) Aufgrund der Beweisaufnahme steht für das Beschwerdegericht fest, dass der Betriebsrat auch nachträglich keinen die Unterzeichnung der BV durch den Vorsitzenden genehmigenden Beschluss gefasst hat und zwar weder förmlich und ausdrücklich noch etwa dadurch, dass sämtliche Betriebsratsmitglieder in gemeinsamer Runde den vom Vorsitzenden verfassten Ausgang Nr. 18/2014 unterzeichnet hätten.

Sowohl der Zeuge X. (damaliger Vorsitzender des Betriebsrats) als auch das weitere Betriebsratsmitglied E. haben bekundet, dass es einen Beschluss über die Genehmigung der Unterzeichnung der BV nicht gegeben habe, ohne dass das Beschwerdegericht in ihren Äußerungen oder ihrem Verhalten bei der Vernehmung irgendeinen Anhaltspunkt entdecken konnte, der Anlass zu Zweifeln am Wahrheitsgehalt ihrer Aussage in diesem Punkt gegeben hätte. Nach der Aussage des Zeugen X. war es nicht so, dass die drei Mitglieder des Betriebsrats alle drei zusammengekommen wären und in gemeinsamer Runde über den Aushang gesprochen und ihn schließlich unterzeichnet hätten. Vielmehr habe er als damaliger Vorsitzender des Betriebsrats nach seinem Gespräch mit dem Geschäftsführer sowohl die BV unterzeichnet als auch den Aushang 18/2014 verfasst. Im Anschluss daran sei er "von Kollege zu Kollege gelaufen" mit der Erklärung, sie mögen sich durchlesen, was dort stehe, und unterzeichnen, wenn sie damit einverstanden seien. Diesen Ablauf hat der Zeuge E. bestätigt. Dieser konnte ausschließen, den Aushang in gemeinsamer Runde mit den beiden anderen Betriebsratsmitgliedern unterzeichnet zu haben, und sich konkret daran erinnern, dass sich das dritte Betriebsratsmitglied L. zu dem Zeitpunkt, als er den ihm vom Vorsitzenden vorgelegten Aushang unterzeichnete, "ca. 20 Meter Luftlinie" entfernt an seinem Arbeitsplatz befunden habe. Er habe sich gewundert und sei "etwas genervt" gewesen, wieso nach den drei Wahlgängen nun noch eine Unterschrift erforderlich sei. Speziell in dem vom Zeugen freimütig geäußerten Erinnerungskontext erblickt das Beschwerdegericht ein die Wahrheit seiner Aussage untermauerndes Anzeichen. Demgegenüber gibt die Aussage des dritten Betriebsratsmitglied L. keinen Anlass, den von den zuvor vernommenen Zeugen dargestellten Ablauf ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Der Zeuge war sich unsicher und hatte offenbar keine konkrete Erinnerung. Auf die Frage, ob es später einen Beschluss des Gremiums darüber gegeben habe, die Unterzeichnung der BV durch den Vorsitzenden zu genehmigen, hat der Zeuge erklärt, sich nicht erinnern zu können. Auf weiteres Nachfragen meinte er zwar, dass in gemeinsamer Runde "so etwas wie eine Genehmigung der Betriebsvereinbarung besprochen worden sei", eine konkrete Erinnerung habe er jedoch nicht. Abgesehen davon, dass selbst diese Erinnerung nach eigener Bekundung des Zeugen nicht sicher ist, würde eine "Besprechung" der Genehmigung noch keine Beschlussfassung darstellen. Und schließlich hat auch dieser Zeuge bekundet, dass ihm der Aushang - soweit er sich erinnern könne - im Betrieb und nicht im Betriebsratsbüro vorgelegt worden sei.

Im Ergebnis fehlt es damit an dem für einen wirksamen Abschluss der BV erforderlichen Betriebsratsbeschluss.

2. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts und der Arbeitgeberin kommt der BV trotz fehlender Beschlussfassung des Betriebsrats nicht etwa deshalb Rechtswirkung zu, weil die Arbeitgeberin aus Gründen des Vertrauensschutzes von einer ordnungsgemäßen Bevollmächtigung des Vorsitzenden ausgehen durfte.

a) In der Literatur wird angenommen, dass sich unter Umständen eine Bindung des Betriebsrates an nicht von der Vertretungsmacht gedeckte Erklärungen des Vorsitzenden aus den Grundsätzen der Rechtsscheinhaftung oder der Vertrauenshaftung kraft widersprüchlichem Verhalten ergeben könne (vgl. z.B. Fitting pp., BetrVG, 28. Aufl. § 26, Rn. 32). Von diesem Ansatz ausgehend ist das Arbeitsgericht zu der Erkenntnis gelangt, dass die Arbeitgeberin sich auf den vom Betriebsrat gesetzten Rechtsschein berufen könne.

b) Dem vermag das Beschwerdegericht im Hinblick auf die aus einer solchen Rechtsscheinhaftung gezogene rechtliche Konsequenz, dass die BV damit als Betriebsvereinbarung i.S.d. § 77 BetrVG wirksam zustande gekommen ist, nicht zu folgen.

Es mag wohl sein, dass der Arbeitgeber im Hinblick auf konkrete Mitbestimmungsfragen, wie etwa der Beteiligung im Rahmen von Kündigungen nach §§ 102, 103 BetrVG oder allgemeinen personellen Maßnahmen i.S.d. § 99 BetrVG auf einen vom Betriebsrat ggf. gesetzten Rechtsschein verweisen darf, wenn er eine solche Maßnahme im Vertrauen auf die wirksame Beteiligung des Betriebsrats durchgeführt hat. Das hat aber nur zur Folge, dass weder der Betriebsrat noch ein ggf. betroffener Arbeitnehmer dem Arbeitgeber entgegenhalten kann, die Maßnahme sei mangels ordnungsgemäßer Beteiligung des Betriebsrats unwirksam. Über solch eine Konstellation verhält sich z.B. die - sich allerdings letztlich auf eine gesetzliche Vermutung und nicht auf Duldungs- oder Anscheinshaftung stützende - Entscheidung des Bundesarbeitsgericht vom 24.02.2000 (vgl. BAG, Urteil vom 24. Februar 2000 - 8 AZR 180/99, juris). Im Ergebnis bedeutet das nichts anderes, als dass der Arbeitgeber insoweit geschützt wird, als er "sein Handeln im Vertrauen auf einen entsprechenden Beschluss des Betriebsrates ausgerichtet" hat (so die Formulierung von Raab in GK-BetrVG, 11. Aufl., § 26, Rn. 46).

Das ist vertretbar, darf allerdings nicht die dem Vertrauensschutz innewohnende Begrenzung auf den Zweck vergessen lassen, den Arbeitgeber in seinem "bereits getätigten" Vertrauen zu schützen.

Betriebsvereinbarungen gelten - wenn sie denn wirksam sind - gemäß § 77 Abs. 4 BetrVG unmittelbar und zwingend. Es handelt sich um betriebliche Normsetzung, die wie ein Gesetz auf die Arbeitsverhältnisse einwirkt (Fitting pp. BetrVG, 28. Aufl., § 77 Rn. 125 m.w.N.). Diesem Grundverständnis von der normativen Wirkung von Betriebsvereinbarungen ist bei der Beantwortung der hier im Raume stehende Frage, inwieweit einer Betriebsvereinbarung "kraft Rechtsschein" Wirkung zukommen kann, Rechnung zu tragen.

Es mag sein, dass sich der Arbeitgeber im Hinblick auf konkrete Maßnahmen, die er in Vollziehung einer Betriebsvereinbarung ergriffen hat, Vertrauensschutz verdient. Dazu ist es aber nicht erforderlich, den unzutreffenden Schein dergestalt in die Zukunft zu projizieren, dass die in Wahrheit unwirksame Betriebsvereinbarung einer wirksamen und normativ wirkenden in jeder Hinsicht gleichgestellt wird. Den schutzwürden Belangen des Arbeitgebers ist Genüge getan, wenn die von ihm in der Vergangenheit im Vertrauen auf den vom Betriebsrat gesetzten Rechtsschein getätigten Disposition in ihrer Wirksamkeit ggü. dem Betriebsrat und ggf. betroffenen Arbeitnehmern unangetastet bleiben. Ein weitergehender Schutz ist weder erforderlich noch mit Blick auf das Grundverständnis von der normativen Wirkung der Betriebsvereinbarung angemessen. Demzufolge formuliert Raab zutreffend, dass eine nicht von der Vertretungsmacht gedeckte Erklärung des Betriebsratsvorsitzenden keine rechtliche Bindungswirkung für die Zukunft begründet werden kann, und zwar weder für den Betriebsrat noch zulasten der Arbeitnehmer (vgl. Raab in GK-BetrVG, 11. Aufl., § 26, Rn. 46, 52). Für die hier in Rede stehende BV bedeutet dies, dass der ihr anhaftende Mangel, aufgrund fehlenden Zustimmungsbeschlusses des Betriebsrats nie wirksam zustande gekommen zu sein, sowohl ihrer normativen Geltung als auch ihrer Anwendung kraft Nachwirkung entgegen steht (vgl. BAG, Beschluss vom 09. Dezember 2014 - 1 ABR 19/13 -, juris, Rn. 16).

III.

Die Rechtsbeschwerde war gemäß §§ 92 Abs. 1 Satz 2, 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage der Rechtsscheinwirkung von nicht durch wirksamen Beschluss des Betriebsrats getragenen Betriebsvereinbarungen zuzulassen.

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