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Arbeitsrecht
07.06.2018
Arbeitsrecht
LAG Berlin-Brandenburg: Rechtsanwaltsverschulden bei Versäumung der Berufungseinlegungsfrist

LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 3.4.2018 – 21 Sa 387/18

Volltext: BB-ONLINE BBL2018-1395-3

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Amtlicher Leitsatz

Eine Prozessbevollmächtigte oder ein Prozessbevollmächtigter, die oder der am vorletzten Tag der Berufungseinlegungsfrist bei der gemeinsamen Briefannahmestelle des Arbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts eine an das Arbeitsgericht adressierte Berufung einreicht, darf nicht darauf vertrauen, dass die Berufungsschrift so rechtzeitig an das Landesarbeitsgericht weitergeleitet wird, dass sie dort noch vor Fristablauf eingeht.

Sachverhalt

I.              Mit der vor dem Arbeitsgericht Berlin unter dem Aktenzeichen 53 Ca 10955/17 erhobenen Klage hat der Kläger die Feststellung begehrt, dass das mit dem Beklagten begründete Arbeitsverhältnis ungekündigt fortbesteht, und den Beklagten auf Vergütung in Höhe von ………………… Euro brutto in Anspruch genommen. Mit Urteil vom 25. Januar 2018 hat das Arbeitsgericht der Klage teilweise stattgegeben und im Übrigen die Klage abgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt (Bl. 58 ff. d. A.) verwiesen. Das Urteil nebst Rechtsmittelbelehrung ist dem Kläger am 15. Februar 2018 und dem Beklagten am 7. Februar 2018 zugestellt worden.

Mit an das Arbeitsgericht gerichtetem, bei der gemeinsamen Briefannahmestelle des Arbeitsgerichts Berlin und des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg am 14. März 2018 um 16.41 Uhr vorab per Telefax eingegangenem Schriftsatz von demselben Tag hat der Kläger gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berufung eingelegt. Am 15. März 2018 hat die Vorsitzende der Kammer 53 des Arbeitsgerichts die Weiterleitung des Schriftsatzes an das Landesarbeitsgericht verfügt, wo er über die gemeinsame Briefannahmestelle am 20. März 2018 eingegangen ist.

Auf entsprechenden Hinweis des Landesarbeitsgerichts vom 20. März 2018 (Bl. 81 d. A.) hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand mit der Begründung beantragt, da beide Gerichte die gleiche Fax-Nr. hätten, wäre es unproblematisch möglich gewesen, die Berufungsschrift am 15. März 2018 per Telefax an das Landesarbeitsgericht zu übersenden.

Aus den Gründen

II.         Die Berufung des Klägers ist als unzulässig zu verwerfen, weil der Kläger die Frist zur Einlegung der Berufung versäumt hat und auch nicht die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gegeben sind.

1.         Der Kläger hat die Frist zu Einlegung der Berufung nicht eingehalten.

a)         Nach § 64 Abs. 1 und 6 ArbGG, § 519 Abs. 1 ZPO ist die Berufung gegen ein arbeitsgerichtliches Urteil beim zuständigen Landesarbeitsgericht einzulegen. Die Frist zur Einlegung der Berufung beträgt einen Monat (§ 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG) und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach Verkündung (§ 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG).

b)         Das Urteil des Arbeitsgerichts ist dem Kläger am 15. Februar 2018 zugestellt worden. Damit lief die Frist zur Einlegung der Berufung am 15. März 2018 ab. Die Berufung des Klägers ist jedoch nach Weiterleitung der Berufungsschrift durch das Arbeitsgericht erst am 20. März 2018 und damit verspätet beim zuständigen Landesarbeitsgericht eingegangen.

Dass das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht über eine gemeinsame Briefannahmestelle verfügen und die Berufungsschrift dort bereits am 14. März 2018 und damit noch innerhalb der Berufungseinlegungsfrist eingegangen ist, ändert an der Versäumung der Berufungseinlegungsfrist nichts. Denn die Berufungsschrift war nicht an das Landesarbeitsgericht gerichtet, sondern an das Arbeitsgericht. Schriftsätze, die bei einer gemeinsamen Briefannahmestelle mehrerer Gerichte eingehen, gelten grundsätzlich allein bei dem Gericht als eingegangen, an das der jeweilige Schriftsatz gerichtet ist (st. Rspr. des BAG und des BGH, BAG vom 29.08.2001 - 4 AZR 388/00 - Rn. 15 zitiert nach juris, NZA 2002, 347; BGH vom 16.09.2015 - V ZB 54/15 - Rn 7, NJW-RR 2016, 126).

2.         Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand sind nicht gegeben. Der Wiedereinsetzungsantrag des Klägers ist zwar statthaft (§ 64 Abs. 6 ArbGG; § 233 Satz 1, § 517 ZPO) sowie frist- und formgerecht angebracht worden (§ 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 234, 236 ZPO). Er ist jedoch nicht begründet. Der Kläger war nicht ohne sein Verschulden verhindert, die Berufungseinlegungsfrist einzuhalten.

a)         Nach § 64 Abs. 6 ArbGG, § 233 Satz 1 ZPO ist einer Partei Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne Verschulden verhindert war, eine Notfrist wie die Berufungseinlegungsfrist des § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG einzuhalten. Nach § 64 Abs. 6 ArbGG, § 85 Abs. 2 ZPO ist der Partei das Verschulden ihrer oder ihres Prozessbevollmächtigten zuzurechnen.

b)         Die nicht rechtzeitige Einlegung der Berufung beim zuständigen Landesarbeitsgericht ist von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers verschuldet.

aa)       Die Verantwortung für die Absendung der Berufungsschrift mit der fehlerhaften Adressierung trifft den Prozessbevollmächtigten des Klägers. Er hätte vor der Unterzeichnung der Berufungsschrift kontrollieren müssen, ob der Schriftsatz an das richtige Gericht gerichtet ist, und eine Korrektur veranlassen müssen (vgl. BAG vom 29.08.2001 - 4 AZR 388/00 - Rn. 17 zitiert nach juris, a. a. O; BGH vom 21.02.2018 - IV ZB 18/17 - Rn.10, a. a. O.).

bb)       Das Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers war für die Fristversäumung auch ursächlich. Der Prozessbevollmächtigte konnte nicht darauf vertrauen, dass die fehlerhaft adressierte Berufungsschrift noch rechtzeitig beim Landesarbeitsgericht eingehen würde. Insbesondere durfte er sich auch nicht darauf verlassen, dass das Arbeitsgericht den Schriftsatz noch am 15. Februar 2018 per Telefax an das Landesarbeitsgericht weiterleiten würde.

(1)        Die Einreichung einer Berufungsschrift beim mit der Sache erstinstanzlich befassten, für das Rechtsmittel unzuständigen Gericht wirkt sich nur dann nicht auf die Versäumung der Berufungseinlegungsfrist aus, wenn die Berufungsschrift beim erstinstanzlichen Gericht so rechtzeitig eingegangen ist, dass bei Weiterleitung des Schriftsatzes an das zuständige Rechtsmittelgericht ohne weiteres zu erwarten gewesen wäre, dass die Berufungsschrift dort noch innerhalb der Berufungseinlegungsfrist eingeht. In einem solchen Fall darf die Partei nach den Grundsätzen der fairen Verfahrensgestaltung (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG) nicht nur auf die Weiterleitung des Schriftsatzes, sondern auch darauf vertrauen, dass dieser noch fristgerecht beim zuständigen Gericht eingeht (vgl. BVerfG vom 20.06.1995 - 1 BvR 166/93 - Rn. 45 ff. zitiert nach juris, NJW 1995, 3173; vom 03.01.2001 - 1 BVR 2147/00 - Rn. 9 zitiert nach juris; NJW 2001, 1343; vom 17.03.2005 - 1 BvR 950/04 - Rn. 10 zitiert nach juris, NJW 2005, 2138).

Allerdings geht die im Rahmen der fairen Verfahrensgestaltung von Verfassung wegen nach gebotene richterliche Fürsorgepflicht nicht so weit, dass das mit der Sache erstinstanzlich befasste Gericht verpflichtet wäre, einen eingehenden Schriftsatz umgehend auf seine zutreffende Adressierung zu überprüfen, die Prozessbevollmächtigte oder den Prozessbevollmächtigten der Partei telefonisch oder per Telefax auf eine etwaige fehlerhafte Adressierung hinzuweisen oder einen fehlerhaft adressierten Schriftsatz umgehend per Telefax an das zuständige Gericht weiterzuleiten (vgl. BVerfG vom 03.01.2001 - 1 BVR 2147/00 - Rn. 7 ff., a. a. O.; BGH vom 21.02.2018 - IV ZB 18/17 - Rn. 15, a. a. O.; vom 23.05.2012 - IV ZB 2/12 - Rn. 14, NJW-RR 2012, 1461). Es genügt, wenn das mit der Sache erstinstanzlich befasste Gericht den Schriftsatz an das zuständige Gericht im Zuge des ordentlichen Geschäftsgangs weiterleitet (BVerfG vom 20.06.1995 - 1 BvR 166/93 - Rn. 46 zitiert nach juris, a. a. O.; vom 03.01.2001 - 1 BVR 2147/00 - Rn. 9 zitiert nach juris; a. a. O.; vom 17.03.2005 - 1 BvR 950/04 - Rn. 10 zitiert nach juris, a. a. O.). Eine Verpflichtung zur beschleunigten Bearbeitung besteht nicht (BGH vom 21.02.2018 - IV ZB 18/17 - Rn. 13, a. a. O.; vom 12.05.2016 - IX ZB 75/15 - Rn. 15 f. zitiert nach juris).

(2)        In Anwendung dieser Grundsätze konnte der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht darauf vertrauen, dass die Berufungsschrift noch rechtzeitig innerhalb der am 15. März 2018 ablaufenden Berufungseinlegungsfrist beim Landesarbeitsgericht eingehen würde.

Der Schriftsatz war am 14. März 2018 per Telefax um 16.41 Uhr und damit außerhalb der üblichen Geschäftszeit in der gemeinsamen Briefannahmestelle des Arbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts eingegangen. Auch wenn sich die gemeinsame Briefannahmestelle und die beiden Gerichte im selben Gebäude befinden, konnte der Schriftsatz daher frühestens am 15. März 2108 auf der Geschäftsstelle der zuständigen Kammer 53 des Arbeitsgerichts eingehen und der Vorsitzenden vorgelegt werden. Wenn dann die Vorsitzende der Kammer 53 wie hier - womit aber im ordentlichen Geschäftsgang nicht notwendiger Weise zu rechnen ist -, noch am selben Tag die Weiterleitung an das Landesarbeitsgericht verfügt, kann jedenfalls nicht erwartet werden, dass die Verfügung auch noch am selben Tag von der Geschäftsstelle ausgeführt wird und der Schriftsatz darüber hinaus auch noch am selben Tag wieder in die gemeinsame Briefannahmestelle gelangt (vgl. dazu auch BGH vom 12.05.2016 - IX ZB 75/15 - Rn. 15 zitiert nach juris).

3.         Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG, § 97 Abs. 1 ZPO. Danach hat der Kläger die Kosten seines erfolglos eingelegten Rechtsmittels zu tragen.

4.         Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 77 Satz 2 i. V. m. § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor.

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