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Arbeitsrecht
08.08.2019
Arbeitsrecht
ArbG Stuttgart: Rassistische Äußerungen als Kündigungsgrund

ArbG Stuttgart, Urteil vom 7.2.201911 Ca 3994/18

Volltext: BB-Online BBL2019-1908-4

AMTLICHE Leitsätze

1. Grob beleidigende/rassistische Äußerungen eines Arbeitnehmers können einen fristlosen Kündigungsgrund nach § 626 Abs. 1 BGB zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses darstellen.

2. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung sind insbesondere sowohl die Fragen des Anlasses und der Singularität entsprechender Äußerungen als auch die Frage, ob eine Kenntnisnahme der betroffenen Person bezüglich der Äußerungen vorliegt, von Bedeutung. Ferner ist der Umstand der Dauer eines beanstandungsfreien Arbeitsverhältnisses zu berücksichtigen.

Sachverhalt

Die Parteien streiten um die Frage, ob ihr gemeinsames Arbeitsverhältnis durch fristlose bzw. fristlose Kündigung mit sozialer Auslauffrist der Beklagten beendet wurde.

Der am ... geborene Kläger ist bei der Beklagten, die mehr als 10 Arbeitnehmer im Sinne des § 23 Abs. 1 KSchG beschäftigt, seit 16.01.1984 (vgl. Arbeitsvertrag, Anlage K1, Abl. 4 ff.) als Industriemechaniker zu einem Bruttomonatslohn von zuletzt ca. 5.000,00 EUR beschäftigt und ... unterhaltsverpflichtet. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die tarifrechtlichen Vorschriften der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg Anwendung. Der Kläger ist schwerbehindert und genießt tariflichen Sonderkündigungsschutz nach Ziffer 4.4 des MTV Baden-Württemberg vom 14.06.2005. Der Kläger arbeitet bei seiner Tätigkeit auch mit ausländischen Kollegen zusammen und begegnet insbesondere beim Umziehen immer wieder auch ausländischen Fremdarbeitskräften. Im Betrieb der Beklagten existiert insbesondere die Richtlinie für integres Verhalten, die Gesamtbetriebsvereinbarung Arbeitsordnung, sowie die Konzernbetriebsvereinbarung „Initiative Fairer Umgang", die dem Kläger bekannt sind. Die Verhaltensrichtlinie sieht insbesondere ein Diskriminierungsverbot wegen der Herkunft, Religion und Abstammung vor. Die Gesamtbetriebsvereinbarung statuiert als möglichen wichtigen Kündigungsgrund insbesondere das Anfeinden, Schikanieren oder Diskriminieren von Beschäftigten. Die Konzernbetriebsvereinbarung untersagt bzw. wertet es insbesondere als Diskriminierung abwertende Äußerungen über Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht oder Religion (vgl. im Einzelnen nur Anlagen B2 bis B4, Abl. 85 ff.).

Der Kläger nimmt seit Dezember 2016 Opipramol ein, wobei die Dosis bis Juli 2018 einmal täglich 150 mg betrug, ab August 2018 100 mg. Der Kläger hatte vom 04.05.2018 auf den 05.05.2018 (und bereits Tage davor) Nachtschicht. Ob der Kläger hier eine oder zwei Tabletten Opipramol während der Nachtschicht eingenommen hat, ist nicht klar bzw. auch zwischen den Parteien streitig. Ausweislich des Beipackzettels kann es bei einer Überdosierung insbesondere zu Benommenheit und Unruhe und vorübergehenden Verwirrtheitszuständen kommen. Bei den Nebenwirkungen ist bei „selten“ Erregungszustände vermerkt (vgl. nur Anlage K3, Abl. 212 ff.). Am Ende der Nachtschicht befand sich der Kläger im Umkleideraum mit mehreren Kollegen, wobei zu dieser Zeit (wie regelmäßig) auch Fremdarbeitskräfte ausländischer Herkunft den Umkleideraum betraten. Kurz zeitlich danach hat der Kläger den Umkleideraum verlassen und an der Stempeluhr ausgestempelt. Die weiteren Einzelheiten, insbesondere ob der Kläger rassistische/fremdenfeindliche Äußerungen getätigt hat, ist zwischen den Parteien streitig. Nach dem Ende der Nachtschicht schlief der Kläger in der Zeit 06:45 Uhr bis ca. 20.30 Uhr, wobei er sich nach unbestrittenem Vortrag gegenüber seiner Ehefrau aggressiv verhielt.

Die Beklagte hat verschiedentliche Vernehmungsprotokolle vom 17.05.2018 vorgelegt, die von der Vernehmungsperson Frau S. gezeichnet wurden (vgl. im Einzelnen Abl. 80 ff.). Die Aussage des beklagtenseits benannten Zeugen Herr L. wird hier wie folgt zusammengefasst (Anlage B1, Abl. 80):

 „Der Spind von Herrn L. befindet sich im gleichen Umkleideraum wie der Spind von Herrn S.. In der Zeit, in der sich Herr L. und weitere Kollegen im Umkleideraum befanden, kamen Arbeitskräfte von Fremdfirmen hinzu, die an Samstagen Putz- und Instandhaltungsarbeiten durchführen. Diese Arbeitskräfte haben zum Teil eine dunkle Hautfarbe. In dieser Situation hat sich Herr S. wie folgt geäußert:

„Die elenden Stinker, die stinken wie ein Tier, dieses Dreckspack würde ich vom Boot treten und wenn sie mir zu nahe kommen die Knarre ziehen". Dabei machte Herr S. eine entsprechende Handbewegung, als wolle er eine Pistole ziehen und diese durchladen. Diese Äußerungen machte er lautstark in den Raum, ohne einen bestimmten Kollegen anzusprechen.

Nach dem Umziehen standen mehrere Kollegen zusammen an der Stempeluhr. Auch zu diesem Zeitpunkt betraten Arbeitskräfte von Fremdfirmen das Gebäude. Herr S. äußerte sich mit Worten wie „hier muss ja ein Nest sein von diesen scheiß Negern".

Herr L. und sein Kollege, Herr O. forderten Herrn S. auf, derartige Äußerungen zu unterlassen. Herr S. äußerte sich daraufhin auch nicht mehr in dieser Form“.

Der Kläger selbst wurde selbst am 17.05.2018 ohne vorherige nähere Ankündigung der Beklagten bei der Arbeit zu einem Gespräch gebeten. Ein Betriebsratsmitglied bzw. ein Mitglied der Schwerbehindertenvertretung wurde nicht hinzugezogen. Ob der Kläger zu Beginn des Gesprächs auf die Möglichkeit einer Hinzuziehung hingewiesen wurde, ist zwischen den Parteien streitig. Im Rahmen dieses Gespräches äußerte der Kläger, dass er die Vorwürfe bestreite, er habe allenfalls geäußert, dass hier wohl ein Nest sein müsse. Er führte an, dass eine Frau in einer S-Bahn von Schwarzen belästigt worden sei und er insoweit ein Problem habe. Ferner äußerte er, „es wird nicht mehr vorkommen, das war ein Scheiß, den ich da gesagt habe“. Ferner äußerte er ausweislich des Protokolls, dass ihm sein Kollege, Herr O., mit Schlägen gedroht habe („wenn wir dich draußen erwischen, bekommst Du ein paar in die Fresse“, vgl. auch im Einzelnen Vernehmungsprotokoll vom 17.05.2018, Abl. 83 f.). Im Rahmen der Parteiäußerung im Kammertermin führte der Kläger aus, dass ihm nach dem Personalgespräch erst der Mitarbeiter M. erzählt habe, dass Herr L. ihn bedroht habe. Ferner äußerte der Kläger sowohl schriftsätzlich als auch im Rahmen des Gütetermins/Kammertermins, dass die Belästigung einer Frau so nicht stattgefunden habe, seine Frau habe sich in der Bahn lediglich weggesetzt als einige Personen mit dunkler Hautfarbe in ihrer Nähe laut geredet hätten.

Unter dem Datum vom 22.05.2018 hörte die Beklagte die Schwerbehindertenvertretung ausweislich des vorgelegten Anhörungsschreibens mit Eingangsvermerk am 22.05.2018 zu einer beabsichtigten fristlosen bzw. fristlosen Kündigung mit sozialer Auslauffrist an (vgl. nur Anlage B4, Abl. 24). Mit Datum vom 28.05.2018 nahm die Schwerbehindertenvertretung Stellung (vgl. nur Anlage B5, Abl. 133). Unter dem Datum vom 28.05.2018 wurde der Betriebsrat zu einer beabsichtigten fristlosen Kündigung (bzw. mit sozialer Auslauffrist) sowohl unter dem Gesichtspunkt einer Tat- aber auch einer Verdachtskündigung angehört (vgl. Anlage B1, Abl. 63 ff.). Der Betriebsrat nahm mit Schreiben vom 04.06.2018 Stellung (vgl. Anlage B6, Abl. 135 ff.). Unter dem Datum vom 28.05.2018 sowie 30.05.2018 wurde das Integrationsamt zu einer fristlosen bzw. fristlosen Kündigung mit sozialer Auslauffrist angehört (vgl. Anlagen B7 und B8, Abl. 140 ff.), das Integrationsamt stimmte mit Bescheiden vom 08.06.2018, der Beklagten am 12.06.2018 zugestellt, den beabsichtigten Kündigungen sowohl unter dem Gesichtspunkt einer Tat- aber auch Verdachtskündigung zu (vgl. nur Anlagen B 9 bis B 12, Abl. 144 ff.). Ausweislich der Ausführungen im Integrationsamtsbescheid, vgl. Abl. 149, hat der Kläger sich für seine Äußerungen bei den Kollegen, Migranten und der Geschäftsführung entschuldigt. Mit Datum vom 12.06.2018 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos und hilfsweise fristlos mit sozialer Auslauffrist (vgl. Anlage K 2, Abl. 6).

Der Kläger trägt vor, dass er sich an die Vorgänge am 05.05.2018 bezogen auf die ihm gemachten Vorwürfe nicht mehr erinnern könne. Die vorgetragenen Beleidigungen/rassistischen Äußerungen würden mit Nichtmehrwissen bestritten, was im Hinblick auf die vorliegende Erinnerungslücke zulässig sei. Am fraglichen Tag sei davon auszugehen, dass er gegen 04.30 Uhr bereits eine Tablette Opipramol genommen habe und später, da er nicht mehr sicher wusste, ob er eine bereits zuvor genommen habe, habe er nochmals eine genommen. Zudem nehme er, auch im damaligen Zeitraum, Schmerzmittel (Ibuprofen 600). Im Ergebnis liege eine Übermedikation vor, die die Steuerungsfähigkeit ausgeschlossen habe bzw. es sei dieser Umstand zumindest bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zugunsten des Klägers zu berücksichtigen. Der Kläger habe keine ausländerfeindlichen Tendenzen. Im Rahmen des Personalgespräches am 17.05.2018 sei er aufgeregt gewesen und habe aufgrund der plötzlichen Vorhaltungen sich die Geschichte der Belästigung seiner Frau durch dunkelhäutige Personen ausgedacht, um im Ergebnis ein etwaiges Fehlverhalten seinerseits erklärbar zu machen. Die ausgesprochene Kündigung erweise sich aufgrund seiner langen beanstandungsfreien Tätigkeit und des bestehenden Sonderkündigungsschutzes als unverhältnismäßig. Die Einhaltung der 2-Wochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB werde bestritten. Es werde insbesondere bestritten, dass sich Herr L. am 07.05.2018 an den Vorgesetzten Herr S2. gewandt hatte und ihm von entsprechenden Äußerungen des Klägers berichtet habe. Ferner werde bestritten, dass Herr S3 am 15.05.2018 bzw. das Team arbeitsrechtliche Maßnahmen am 16.05.2018 unterrichtet worden sei. Die Kündigung sei im Übrigen, da bereits das Integrationsamt am 08.06.2018 zugestimmt habe, auch nicht unverzüglich erfolgt.

Der Kläger beantragt nach Klagerücknahme im Übrigen (allgemeine Feststellungsklage) zuletzt:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigungen vom 12.06.2018 nicht aufgelöst wurde.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger arbeitsvertragsgemäß bis zur rechtskräftigen Entscheidung im vorliegenden Verfahren als Maschinenführer weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt:

Klageabweisung.

Die Beklagte trägt vor, dass der Kläger sich am Ende der Nachtschicht am 05.05.2018 zunächst, als Fremdarbeitskräfte mit dunkelhäutiger Hautfarbe den Umkleideraum betreten haben, sich wie folgt geäußert habe:

„Die elendigen Stinker, die stinken wie ein Tier, dieses Dreckspack würde ich vom Boot treten und wenn sie mir zu nahe kommen die Knarre ziehen."

Ferner habe er sich einige Minuten später an der Stempeluhr im Beisein mehrerer Kollegen, als wiederum Fremdarbeitskräfte das Gebäude betraten, wie folgt geäußert:

„Hier muss ja ein Nest sein von diesen Scheiß-Negern!" „Die sollte man im Meer versenken, die stinken ja schon von weitem."

Mit diesen Äußerungen habe der Kläger in schwerwiegender Weise gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten bzw. die zu Grunde liegende Verhaltensrichtlinie und auch die entsprechenden Betriebsvereinbarungen verstoßen. Die Regelungen der Beklagten sei nicht so zu verstehen, dass im Wiederholungsfall erst eine fristlose Kündigung gerechtfertigt sei. Der Kläger zeige ausländerfeindliche Tendenzen. Eine Abmahnung als milderes Mittel sei im konkreten Fall entbehrlich gewesen, der Kläger habe nicht davon ausgehen können, dass sein Verhalten nicht den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet. Im Rahmen der Anhörung am 17.05.2018 habe er zudem einen Kollegen völlig zu Unrecht angeschuldigt. Hier habe der Kläger sich auch widersprüchlich eingelassen, wenn er durch eine etwaige Bedrohung durch einen Kollegen erst nach dem Gespräch von dritten Seite erfahren haben will. Er habe durch seine Einlassung zum Vorfall der Belästigung seiner Frau durch „Schwarze“ bzw. einer „Bande“ wiederum eine ausländerfeindliche Gesinnung gezeigt. Die Aussage des Klägers, dass er sich an die Vorgänge nicht mehr erinnern könne bzw. etwaige Aussagen durch die Medikation mitverursacht sein können, sei als reine Schutzbehauptung zurückzuweisen. Im Rahmen der Anhörung habe er dazu nichts erwähnt. Die Aussagen seien zudem nicht in einem Vieraugengespräch gefallen, sondern unter Beisein einer größeren Öffentlichkeit. Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung seien ordnungsgemäß unterrichtet worden, die 2-Wochenfrist sei, insbesondere vor dem Hintergrund, dass kündigungsberechtigte Personen erst am 16.05.2018 von den Vorfällen erfahren hätten und die Kündigung nach Anrufung des Integrationsamtes am 28.05.2018 bzw. 30.05.2018 unverzüglich ausgesprochen worden sei, gewahrt.

Mit Schriftsatz vom 19.06.2018 (Eingang bei Gericht am 20.06.2018, der Beklagten am 27.06.2018 zugestellt) hat der Kläger Kündigungsschutzklage erhoben.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Verhandlungsprotokolle verwiesen, vgl. nur § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG, § 313 Abs. 2 S. 1 ZPO.

Aus den Gründen

Die zulässige Klage ist begründet. Sowohl die ausgesprochene fristlose als auch die ausgesprochene fristlose Kündigung mit sozialer Auslauffrist sind rechtsunwirksam, da kein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vorliegt. Im Einzelnen:

I.

1. Die ausgesprochene fristlose Kündigung vom 12.06.2018 ist rechtsunwirksam. Dabei kann der Vortrag der Beklagten zum Kündigungsgrund als wahr unterstellt werden, die Kündigung ist auch dann nach Abwägung aller Gesichtspunkte des Einzelfalles jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit rechtsunwirksam.

a) Die ausgesprochene Kündigung ist nicht bereits gemäß § 13 Abs. 1 S. 2 KSchG, §§ 4,7 KSchG rechtswirksam, da der Kläger die maßgebliche 3-wöchige Klagefrist durch rechtzeitige Erhebung der Kündigungsschutzklage gewahrt hat.

 b) Ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB liegt nicht vor. Es kann im Ergebnis dahinstehen, ob der Kläger sich zulässigerweise auf ein „Nichtmehrwissen“ der Vorwürfe berufen kann (vgl. zu den Voraussetzungen etwa OLG Köln vom 19.03.2009 – I-9 U 167/08 m.w.N.) bzw. ob am konkreten Tag aufgrund Medikation die Steuerungsfähigkeit des Klägers ausgeschlossen war bzw. jedenfalls relevant beeinträchtigt war. Selbst wenn man den Vortrag der Beklagten als wahr unterstellt und keine relevante Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit annimmt, geht die erkennende Kammer davon aus, dass zwar grundsätzlich ein wichtiger Grund für eine Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB vorliegt, unter Berücksichtigung aller Umstände sich die Kündigung jedoch (noch) als unverhältnismäßig erweist.

aa) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG vom 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 16; BAG vom 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 19 mwN). Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist insbesondere zu berücksichtigen, ob mildere Maßnahmen wie etwa der Ausspruch einer Abmahnung oder eine Versetzung ausreichend gewesen wären. Weiter sind insbesondere die Dauer des unbeanstandeten Arbeitsverhältnisses, die Chancen auf dem Arbeitsmarkt, das Vorliegen einer Entschuldigung, aber auch Art und Schwere sowie Auswirkungen der Pflichtverletzungen zu beachten (vgl. nur etwa BAG vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 m.w.N.).

Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG (vgl. zum Nachfolgenden nur etwa BAG vom 10.10.2002 – 2 AZR 418/01 m.w.N.) können grobe Beleidigungen des Arbeitgebers und/oder seiner Vertreter oder Repräsentanten einerseits oder von Arbeitskollegen andererseits, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den bzw. die Betroffenen bedeuten, einen erheblichen Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis darstellen und eine außerordentliche fristlose Kündigung an sich rechtfertigen. Dies gilt insbesondere auch für Beleidigungen mit fremdenfeindlichen Hintergrund (vgl. hierzu etwa LAG Hamm vom 03.05.2017 – 15 Sa 1358/16; LAG Nürnberg vom 07.11.2017 – 7 Sa 400/16). Der Arbeitnehmer kann sich dann nicht erfolgreich auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen. Entsprechendes gilt für bewusst wahrheitswidrig aufgestellte Tatsachenbehauptungen, etwa wenn sie den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit schützt zum einen weder Formalbeleidigungen und bloße Schmähungen noch bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen (BVerfG 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 - BVerfGE 93, 266; BVerfG vom 10. November 1998 - 1 BvR 1531/96 - BVerfGE 99, 185). Zum anderen ist dieses Grundrecht nicht schrankenlos gewährt, sondern wird insbesondere durch das Recht der persönlichen Ehre gemäß Art. 5 Abs. 2 GG beschränkt und muss in ein ausgeglichenes Verhältnis mit diesem gebracht werden (BVerfG vom 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 - aaO).

bb) Unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen ist zunächst festzustellen, dass die dem Kläger vorgeworfenen Äußerungen grundsätzlich geeignet sind, eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu begründen. Keiner der Äußerungen ist im Ergebnis mehr von Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt. Nach Ansicht der erkennenden Kammer geht es hier nicht mehr um einen Teil des Meinungskampfes, der trotz Niveaulosigkeit hinzunehmen ist (vgl. zu der Abgrenzung zur reinen Schmähkritik bzw. Diffamierung ohne Auseinandersetzung in der Sache etwa ausführlich LAG Rheinland-Pfalz vom 19.12.2016 – 3 Sa 387/16). Die Äußerungen „Stinker“, „stinken wie die Tiere“, „Dreckspack“ und „vom Boot treten“ bzw. „Scheiß-Neger“ (wobei bei letzterem auch die protokollierten Zeugenaussagen auseinandergehen, ob dies der Kläger tatsächlich gesagt hat) sind als Beleidigungen der Gruppe der Mitarbeiter mit dunkelhäutiger Hautfarbe anzusehen, die hier konkret den Umkleideraum betreten haben bzw. die der Kläger an der Stempeluhr (möglicherweise) wahrgenommen hat. Sollten diese Äußerungen gefallen sein, stellt dies eine erhebliche Pflichtverletzung des Klägers gemäß § 241 Abs. 2 BGB bzw. gegen die zu Grunde liegenden Regelungen der Beklagten (Betriebsvereinbarungen bzw. Verhaltensrichtlinie) dar.

Unter Beachtung aller Umstände kommt die erkennende Kammer jedoch zum Ergebnis, dass sich die ausgesprochene fristlose Kündigung als rechtsunwirksam, da unverhältnismäßig erweist. Eine Abmahnung wäre im konkreten Fall vorrangig gewesen. Gerade § 12 Abs. 3 AGG belegt, dass auch rassistisch motivierte Äußerungen eines Mitarbeiters nicht zwingend eine (außerordentliche) Kündigung rechtfertigen (vgl. zutreffend etwa LAG Nürnberg vom 07.11.2017 – 7 Sa 400/16). Der Kläger stand bis zum Ausspruch der Kündigung seit rund 34 Jahren in einem unbeanstandeten Arbeitsverhältnis (bzw. jedenfalls hat die Beklagte keine Beanstandungen vorgetragen). Der Kläger ist schwerbehindert und genießt den Alterkündigungsschutz nach Tarifvertrag. Mit einem Lebensalter von 55 Jahren würde ihn der Verlust des Arbeitsplatzes besonders hart treffen und im Zusammenspiel mit der bestehenden Schwerbehinderung geht die erkennende Kammer nicht von guten Arbeitsmarktchancen aus.

Zwar ist der Beklagten zuzugestehen, dass die vorgeworfenen Äußerungen isoliert betrachtet kein Einzelfall waren und auch eine gewisse Öffentlichkeit bestand. Auch spricht für die Beklagte, dass es sich bei den Äußerungen durchaus um gravierende Äußerungen handelt, die über etwa „einen rauen Umgangston“ hinausgehen. Zu beachten ist jedoch, dass die Äußerungen an der Stempeluhr sich nur einige Minuten nach den angeblichen Äußerungen in der Kabine ereignet haben sollen. Dies ist letztlich als Einheit zu sehen und damit liegt im Ergebnis doch eine Singularität der Vorfälle vor. Zu beachten ist ferner, dass die Vorwürfe nicht dahingehend gehen, dass der Kläger gezielt eine Person mit seinen Äußerungen angesprochen hat bzw. eine Person gezielt beleidigen wollte. Ob und inwiefern die Fremdarbeitskräfte etwaige Äußerungen (sei es aufgrund des Abstandes des Klägers, sei es aufgrund Sprachschwierigkeiten) überhaupt verstanden haben, ist nicht ersichtlich und wird von der Beklagten nicht dargelegt. Nach Rückfragen im Rahmen des Kammertermins wurden die betroffenen Personen offensichtlich nicht befragt. Auch eine etwaige Beschwerde des Kunden, verbunden mit dann anzunehmender weiterer Außenwirkung für die Beklagte, ist nicht ersichtlich bzw. nicht dargelegt. Bei den vorgeworfenen Äußerungen handelt es sich zwar unzweifelhaft um ausländerfeindliche bzw. rassistische Äußerungen, ein Vergleich zum Nationalsozialismus, was die Beleidigungen noch deutlich schwerwiegender machen würde, liegt indes nicht vor (zu nationalsozialistischen Kennzeichen, etwa dem Hitlergruß vgl. etwa Arbeitsgericht Hamburg vom 20.10.2016 – 12 Ca 348/15). Die vorgeworfene Äußerung, dass der Kläger möglicherweise „eine Knarre ziehen würde“ wertet die Kammer nicht als konkret ernst gemeinte Bedrohung (vgl. auch § 241 StGB). Eine Ernsthaftigkeit ist nicht zu erkennen, eine konkrete Person wurde nicht angesprochen bzw. auch mit Gesten bedroht (die Simulierung des Ziehens einer Waffe richtete sich auch offensichtlich nicht gegen eine konkrete Person), zudem ist die vorgeworfene Aussage offensichtlich im Konjunktiv formuliert („würde, wenn“).

Zu beachten war ferner, dass der Kläger ausweislich der Mitteilung des Betriebsrates bereits mehrere Tage Nachtschicht hatte, wobei die Äußerungen am Ende der Nachtschicht gefallen sein sollen. Eine gewisse mögliche Belastungssituation ist mithin nicht von der Hand zu weisen. Zu Gunsten des Klägers wertet die Kammer schließlich, dass der Kläger zum einen sich für ein etwaiges Fehlverhalten entschuldigte (vgl. bereits Gesprächsprotokoll vom 17.05.2018 und Einlassungen gegenüber dem Integrationsamt) als auch dass der Kläger – von der Beklagten nicht widersprochen – auch mit Arbeitskollegen ausländischer Herkunft problemlos zusammenarbeitet, ohne hier offensichtlich jemals ausländerfeindlich aufgefallen zu sein. Nach unwidersprochenen Vortrag im Kammertermin hat der Kläger im Übrigen selbst nach den Vorfällen am 05.05.2018 noch weitergearbeitet und ist dort immer wieder ausländischen Fremdarbeitnehmern begegnet ohne dass hier entsprechende Äußerungen gefallen sind.

Entgegen der Ansicht der Beklagten lassen die Äußerungen des Klägers im Rahmen der Anhörung nicht auf eine fremdenfeindliche Gesinnung mit Wiederholungsgefahr schließen. Zwar ist richtig, dass der Kläger mit den Ausführungen einer Belästigung seiner Frau zum einen die Unwahrheit gesagt hat und offensichtlich auch einen Kollegen – sachlich ungerechtfertigt – beschuldigte, indem er äußerte, ein Kollege habe ihm Schläge angedroht. Zu beachten war indes, dass der Kläger ohne jegliche Ankündigung am 17.05.2018 aus dem Arbeitsprozess heraus zum Personalgespräch gebeten wurde ohne dass daran eine Vertrauensperson des Klägers, etwa ein Mitglied des Betriebsrates oder der Schwerbehindertenvertretung dabei war. Der Kläger legte für die Kammer nachvollziehbar dar, dass er in dieser Situation überfordert war und aus Anspannung etc. sich zu derartigen Äußerungen hinreißen ließ. Er versuchte offensichtlich eine Erklärung für seinen Fehlverhalten zu schaffen, wobei mit der Gesprächssituation dies für die Kammer durchaus erklärbar ist.

Schließlich ist festzustellen, dass der Kläger, sollten die Vorwürfe zutreffen, zwar nicht lediglich „nur“ gegen seine Verhaltenspflichten aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hätte, sondern auch gegen die ausdrücklich bei der Beklagten in den Betriebsvereinbarungen bzw. der Verhaltensrichtlinie geregelten Verhaltenskodex. Eine Interessenabwägung wird aber dadurch nicht entbehrlich, insbesondere liegt in den Regeln, da nicht auf eine konkrete bevorstehende Situation zugeschnitten, auch keine sog. „vorweggenommene Abmahnung“ (vgl. hierzu etwa LAG Schleswig-Holstein vom 29.06.2017 – 5 Sa 5/17).

Nach alledem erweist sich die fristlose Kündigung vom 12.06.2018 als rechtsunwirksam. Auf etwaige andere Unwirksamkeitsgründe bzw. die Frage der Einhaltung des § 626 II BGB kommt es

2. Die ausgesprochene fristlose Kündigung vom 12.06.2018 mit sozialer Auslauffrist (ausgesprochen zum 31.12.2018) ist ebenfalls rechtsunwirksam. Es kann auf die obigen Ausführungen unter I. 1.b) der Gründe verwiesen werden. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass bei Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist überhaupt nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt. Da die Kammer von dem Vorrang einer Abmahnung im konkreten Fall ausgeht, kommt es auf die Frage, ob in der konkreten Konstellation eine derartige Kündigung überhaupt möglich gewesen wäre, nicht an (vgl. hierzu näher etwa BAG vom 13.05.2015 – 2 AZR 531/14 Rz. 45 m.w.N.).

3. Dem Kläger steht der geltend gemachte Weiterbeschäftigungsanspruch im Hinblick auf das Obsiegen mit seiner Kündigungsschutzklage zu (vgl. BAG vom 27.2.85, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht). Besondere Gründe, die dem Weiterbeschäftigungsverlagen entgegenstehen, sind nicht ersichtlich bzw. von der Beklagten dargelegt. Ob dem Kläger auch ein Anspruch aus § 102 Abs. 5 S. 1 BetrVG zusteht, kann daher im Ergebnis dahinstehen.

II.

Die Beklagte hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, vgl. nur § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG, § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.

III.        

Der Urteilsstreitwert (vgl. § 61 Abs. 1 S. 1 ArbGG) war gemäß den §§ 3 ff. ZPO auf vier Bruttomonatsgehälter festzusetzen (Kündigungsschutzklage Quartalsverdienst, Weiterbeschäftigungsantrag 1 Bruttomonatsgehalt).

IV.

Gründe für eine gesonderte Zulassung der Berufung bestanden nicht, vgl. § 64 Abs. 3 und Abs.3a ArbGG.

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