LAG Berlin: Prüfung der Sozialwidrigkeit einer verhaltensbedingten Kündigung – Verhalten des Arbeitnehmers nach der Tatbegehung
LAG Berlin, Urteil vom 17.5.2017 – 4 Sa 30/17
Volltext: BB-ONLINE BBL2017-2035-5
unter www.betriebs-berater.de
Amtliche Leitsätze
Im Rahmen einer bei der Prüfung der Sozialwidrigkeit einer verhaltensbedingten Kündigung vorzunehmenden Interessenabwägung kann auch auf das Verhalten des Arbeitnehmers nach der Tatbegehung abgestellt werden. Dabei kann beispielsweise berücksichtigt werden, ob er die Tat einräumt und bei einer Aufklärung des Sachverhalts mitwirkt, oder aber bei den Aufklärungsmaßnahmen des Arbeitgebers weitere Täuschungshandlungen begeht.
§ 626 BGB, § 1 KSchG
Sachverhalt
Die Parteien streiten im Wesentlichen um die Wirksamkeit einer außerordentlichen und ordentlichen Kündigung vom 03.02.2016.
Die zum Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigungen 50jährige verheiratete Klägerin ist unter Anrechnung früherer Dienstzeiten seit dem 01.09.1981 bei der Beklagten, zuletzt als Energiemanager Außendienst beschäftigt. Gemäß der Präambel des letzten Arbeitsvertrages vom 18.02.2003 finden auf das Arbeitsverhältnis unter anderem auch die Betriebsvereinbarungen und die betrieblichen Regelungen in der jeweils geltenden Fassung Anwendung. Die Klägerin erhält zusätzlich zum tarifvertraglichen Entgelt eine erfolgsabhängige Vergütung, wenn die individuell vereinbarten Vertriebsziele, gemessen am Rohertrag, erreicht werden. Hierzu existiert eine Betriebsvereinbarung (BV 2010/05, vgl. Blatt 198 ff. der Gerichtsakte). Auf dieser Grundlage erhielt die Klägerin eine erfolgsabhängige Vergütung für das Jahr 2010 in Höhe von 3.000 € brutto, für das Jahr 2012 in Höhe von 3.422,71 € brutto und für das Jahr 2014 in Höhe von 2.476,52 € brutto.
Bei der Beklagten existieren zahlreiche betriebliche Regelungen zum Thema der sogenannten „Compliance“. Hierzu gehören unter anderem der R. Verhaltenskodex, der auch für die Gesellschaften der e. Gruppe, mithin auch für die Beklagte, gilt (vgl. zum Inhalt des R. Verhaltenskodex Blatt 213 ff. der Gerichtsakte). Er ist für die Mitarbeiter der Beklagten im Intranet einsehbar. Auf der entsprechenden Seite sind auch Fragen und Antworten zum R. Verhaltenskodex verlinkt (vgl. Blatt 211 bis 212 der Gerichtsakte). Ebenso erhielt jeder Mitarbeiter und mithin auch die Klägerin jeweils ein Exemplar des R. Verhaltenskodex. Auch im Intranet einsehbar und abrufbar sind die Leitlinien „Marketinghilfen“ (vgl. Blatt 217 ff. der Gerichtsakte). Gleiches gilt für die Geschäftsordnung „Compliance“, Anlage zur Geschäftsordnung „Organisationsregelung OR1-93 compliancekonformer Umgang mit Geschäftspartnern“ (vgl. die Geschäftsordnung „Compliance“, Blatt 221 ff. der Gerichtsakte sowie die Organisationsregelung Blatt 232 ff. der Gerichtsakte). Vorgenannte Regelwerke sind bei der Beklagten Grundlage regelmäßiger Unterweisungen und Schulungen zu den Themen „Compliance und Kartellrecht“. Auch die Klägerin hat an derartigen Unterweisungen teilgenommen, so beispielsweise am 13.06.2012 unter anderem zum Thema „R. Verhaltenskodex“ sowie am 07.10.2015 an der Compliance-Schulung (vgl. Blatt 206 und 207 der Gerichtsakte). Zu den Arbeitsaufgaben der Klägerin gehört unter anderem die Betreuung vorwiegend ergebnisstarker Kunden sowie das Verhandeln und zum Abschluss bringen von Verträgen. Der disziplinarische Vorgesetzte der Klägerin ist der Gruppenleiter Herr Sch.. Diesem ist die Klägerin direkt unterstellt. Herr Sch. hat in seiner Gruppe die Verantwortung für 19 Mitarbeiter, wovon er sechs Energiemanager im Außendienst betreut. Die Beklagte unterhält geschäftliche Beziehungen in Form von Strom- und Gaslieferverträgen unter anderem zu der H. Möbel Gruppe. Diesbezüglich beliefert die Beklagte insgesamt sieben Lieferstellen mit Strom. Herr P. ist alleinvertretungsberechtigter geschäftsführender Gesellschafter der in der H. Möbel Gruppe zusammengefassten GmbHs mit Ausnahme der H. Möbel GmbH, an welcher sein Sohn A. zur Hälfte beteiligt ist. Die Klägerin betreut die H. Möbel Gruppe als Kunden der Beklagten seit 1999. Neben den Stromlieferverträgen für die Möbelhäuser der H. Möbel Gruppe bestehen auch Stromlieferverträge mit Herrn P. privat. Beliefert werden dabei durch die Beklagte die private Wohnanschrift (Wohnhaus) und eine Photovoltaikanlage von Herrn P.. Sowohl für die Photovoltaikanlage, als auch für das Privathaus des Herrn P. existiert jeweils eine Vertragskontonummer bei der Beklagten.
Im Sommer 2014 begannen Vertragsverhandlungen über die Strombelieferung der Lieferstellen der Möbel H. Gruppe ab dem 01.01.2016. Diese Verhandlungen führte für die H. Möbel Gruppe Herr P. zum Teil selbst, zum Teil beauftragte er Energieberater. Herr P. fragte in diesem Zusammenhang nach einer Provision für sich selbst als Privatperson für die Vermittlung der Stromlieferverträge an seine Unternehmen. Die Klägerin wies zunächst darauf hin, dass dies nicht in ihrer Zuständigkeit liege und informierte ihren Vorgesetzten Herrn Sch. hierüber, der sie auf die entsprechenden Formulare im Vertriebsinformationsportal hinwies. Die Klägerin kontaktierte sodann am 04.07.2014 die Abteilung Back Office, Gruppe Koordination Geschäftskunden, namentlich Herrn H., ob mit Herrn P. ein entsprechender Beratervertrag geschlossen werden könne. Nach internen Recherchen teilte Herr H. der Klägerin mit E-Mail vom 22.07.2014 mit, dass auf dieser Basis kein Beratervertrag abgeschlossen werden sollte. Gleichzeitig wurden der Klägerin sowie in „cc“ ihrem Vorgesetzten Sch. die interne Stellungnahme von Frau J. aus der Rechtsabteilung zur Kenntnis gebracht. Hier heißt es:
„… würde Herr P. in seiner Funktion als GF tätig und für die Vermittlung des Geschäftskundenvertrages eine Vermittlungsprovision erhalten, so wäre die Angelegenheit eindeutig nicht compliancekonform.
Unabhängig von der ggf. strafrechtlichen Relevanz (§ 299 Abs. 2 StGB) setzt e. bereits vorher an. Wir sind demnach bereits verpflichtet jeden Anschein der unangemessenen Einflussnahme auf den Geschäftspartner zu vermeiden.
Aber selbst bei der vorliegenden Konstellation sollte aus Compliancesicht dieses Geschäft nicht abgeschlossen werden, da praktisch kaum eine Trennung zwischen Vermittler Herr P. (Privatperson) und Geschäftsführer Herr P. vorstellbar ist. Weiterhin spricht der Anschein ebenfalls nicht für den sauber zustande gekommenen Geschäftsabschluss.
Der Vermittlervertrag sollte vorliegend nicht abgeschlossen werden.“
Mit E-Mail vom 15.12.2014 fragte die Klägerin erneut bei Herrn Hofmann unter VeR.is auf eine Abstimmung mit Herrn Sch. an, ob die Gewährung einer Vermittlerprovision für Herrn P. möglich sei („Anforderung Beratereinsatz“ mit der Bitte um Bearbeitung und Genehmigung). Auch hier erhielt die Klägerin letztlich mit Antwort vom 07.01.2015 die Auskunft, dass dies rechtlich nicht zulässig sei, weil Herr P. als Beauftragter der potentiellen Kunden tätig werde und auch auf die Entscheidung der verschiedenen GmbHs zum Abschluss der Lieferverträge maßgeblichen Einfluss nehmen könne. Ein Beratervertrag wurde mit Herrn P. nicht geschlossen. In Fortführung der Verhandlung zur Stromlieferung der H. Möbel Gruppe erwartete Herr P. jedoch weiterhin für den nächsten Vertragsabschluss eine Bonuszahlung, was er bei den Verhandlungen gegenüber der Klägerin kundtat. Die Klägerin äußerte in diesem Zusammenhang in der E-Mail vom 19.01.2015 gegenüber dem Vorgesetzten Sch. den Vorschlag, Gutschriften auf das private Vertragskonto des Herrn P. bezüglich der Photovoltaikanlage in Abhängigkeit der Länge der Vertragsverlängerung zu zahlen (es wird Bezug genommen auf die Anlage B17 zum Schriftsatz der Beklagten vom 24.06.2016, Blatt 251 der Gerichtsakte). Herr Sch. teilte der Klägerin daraufhin mit E-Mail vom 20.01.2015 mit, dass er bei Herrn L. L. angefragt habe, ob beim privaten Haus des Herrn P. eine Gutschrift von 750 € eingestellt werden kann (Anlage B18 zum Schriftsatz der Beklagten vom 24.06.2016, Blatt 252 der Gerichtsakte). Es existiert tatsächlich eine Anfrage des Herrn Sch. an Herrn L. per E-Mail vom 20.01.2015 um 09.20 Uhr, worin er Herrn L. mitteilt, dass die Verhandlungen sich zuspitzen und anfragt, ob es möglich wäre, 750 € Gutschrift für die private Abrechnung von Herrn P. einstellen zu lassen (vgl. Anlage B19 zum Schriftsatz der Beklagten vom 24.06.2016, Blatt 253 der Gerichtsakte). Herr L. ist Abteilungsleiter und gleichzeitig Prokurist der envia service GmbH. Bei dieser handelt es sich um eine 100prozentige Tochtergesellschaft der Beklagten, welche auf Grundlage eines Dienstleistungsvertrages für die Beklagte Aufgaben des Kundenservices erbringt, nämlich die Betreuung von Privat- und Gewerbekunden sowie Geschäftskunden und Abrechnungsdienstleistungen sowie damit im Zusammenhang stehende Dienstleistungen im Namen und für Rechnung der Beklagten. Dabei gehört es auch zu ihren Aufgaben, Gutschriften, Prämien bzw. Boni im Auftrag der Beklagten an Privat- und Gewerbekunden zu buchen und auszuzahlen. Die höchstmögliche Bonuszahlung liegt bei einem Betrag von 2.500 € pro Jahr. Mit E-Mail vom 06.03.2015 teilte die Klägerin ihrem Vorgesetzten Herrn Sch. mit, dass bei der derzeit laufenden Ausschreibung der Stromlieferung für die Möbelhäuser der H. Möbel Gruppe noch eine Differenz zwischen dem besten Wettbewerberangebot und dem der Beklagten von 8.000 € pro Jahr besteht. Außerdem sei Herr P. mit der besprochenen Provisionsvereinbarung nicht einverstanden und erhoffte sich eine wesentlich höhere Zahlung. Des Weiteren fragt die Klägerin hierin an, ob es denkbar wäre, dass je Lieferstelle eine Gutschrift gegeben wird und diese auf das angegebene Konto von Herrn P. eingezahlt wird. Wegen des weiteren Inhalt wird auf die Anlage B21 zum Schriftsatz der Beklagten vom 24.06.2016, Blatt 257 der Gerichtsakte Bezug genommen. Herr Sch. schrieb daraufhin am 27.03.2015 an die Klägerin per E-Mail um 08.46 Uhr:
„Sieht gut aus ….
Bei Rückfragen stehe ich gern zur Verfügung.“
Dabei leitete er gleichzeitig seine Korrespondenz mit Herrn L. von der e. service GmbH an die Klägerin weiter. Zu dieser Korrespondenz zählte auch eine E-Mail des Herrn Sch. an Herrn L. vom 26.03.2015 von 12.23 Uhr. Hierin teilt Herr Sch. Herrn L. folgendes mit:
„Hallo L..,
die Verhandlungen ziehen sich weiter …..wir kommen nur weiter, wenn wir bei dem Verbrauch eine höher Gutschrift geben….2.500 € / a. Befristet für die Laufzeit der Stromlieferung. Bekommen wir das hin? Nach Eurem ok platzieren wir das finale Angebot ….
Bei Rückfragen stehe ich gern zur Verfügung.“
Herr L. antworte hierauf mit E-Mail vom 27.03.2015 um 08.42 Uhr an Herrn Sch.:
„Guten Morgen M..,
wir schauen und das gerade noch mal an.
Wir reden wirklich über einen Betrag von 2.500€/ Jahr? (nicht über 2.500 kWh/ Jahr)
Zumindest muss der Kunde mehr als 2.500 €/ Jahr Kosten verursachen.
Dann wäre es schick, wenn wir jährlich an diesen Auftrag erinnert werden. Man muss dass jedes Jahr manuell erledigen. Es gibt keinen Automatismus.
Gruß L.“
Mit weiterer E-Mail vom 27.03.2015 um 09.50 Uhr teilte Herr Sch. der Klägerin mit: „Bei Rückfragen stehe ich gern zur Verfügung.“ und übermittelte gleichzeitig die von Herrn L. an Herrn Sch. gesendete Antwort vom 27.03.2015 um 09.41 Uhr. Hierin heißt es:
„Guten Tag M.,
ja es ist technisch möglich, 2.500 € manuell in das Kundenkonto von Herrn P. (VK 2008188626) einzubuchen. Mit der Belegart 36 (sonstige Bonuszahlung) kann man max. 2.500 € in einem Betrag buchen. Eine maschinelle bzw. automatische jährliche Buchung ist nicht möglich.
Bitte schickt uns jährlich einen Auftrag zur Buchung des Betrages. Damit ist stets sicher gestellt, dass es Euer Wille ist und wir einen Nachweis für die Bonusbuchung in der Kundenakte hinterlegen können.
Sollen wir nun – im April die ersten 2.5000 € im Kunden – VK einbuchen?
Gruß L.“
Im Betreff der jeweiligen E-Mails ist jeweils das private Kundenkonto für das Wohnhaus des Herrn P. genannt.
Wegen des weiteren Inhalts wird auf die Anlage B24 zum Schriftsatz der Beklagten vom 24.06.2016, Blatt 262 der Gerichtsakte Bezug genommen.
Die weiteren Vertragsverhandlungen mit Herrn P. für die Stromlieferung seiner Möbelhäuser zogen sich bis Sommer 2015. Die weitere Forderung des Herrn P. auf Aufnahme seiner privaten Lieferstelle in den RLM-Bündelvertrag betreffend die Lieferstellen der Möbelhäuser lehnte die Klägerin ab. Herr P. verlangte von der Klägerin weiterhin mit Nachdruck, einen zusätzlichen Bonus gewährt zu bekommen, sonst würde er mit allen Möbelhäusern zum Wettbewerber wechseln.
Am 10.06.2015 um 17.39 Uhr sendete die Klägerin an den sich gerade zu einer auswärtigen Dienstberatung befindlichen Herrn Sch. eine E-Mail:
„Hallo M..,
wie besprochen erfolgt am 17.06.2015 die Stromausschreibung H. Möbel. Wir bieten für alle Lieferstellen gleiche Preise an. Anbei die Preisrechner, in Summe haben wir einen RE von ca. 4.200 € geplant, hier würden wir dann die Gutschrift von 2.500,00 € pro Jahr für Herrn P. gegenrechnen (Zahlung auf das Privatstromkonto). In Summe bleiben dann noch ca. 1.700,00 € RE übrig. Ich bitte um Genehmigung.“
Der E-Mail war eine Übersicht mit handschriftlichen Ergänzungen beigefügt, aus der sich der tatsächliche, prognostizierte Rohertrag pro Jahr unter Berücksichtigung des Bonus ergab (vgl. Anlage B25 zum Schriftsatz der Beklagten vom 24.06.2016, Blatt 264 und 264 Rückseite der Gerichtsakte). Herr Sch. antwortete hierauf nicht. Die Klägerin erhielt jedoch eine automatisch generierte Lesebestätigung der E-Mail mit Datum vom 11.06.2015 um 07.59 Uhr (vgl. Anlage B26, Blatt 265 der Gerichtsakte). Die Klägerin einigte sich sodann unter Versprechen der Gutschrift im Namen der Beklagten mit Herrn P. am 16.06.2015 auf den Abschluss des RLM-Bündelvertrages für die gewerblichen Lieferstellen. Sie bestätigte Herrn P. mit E-Mail vom 16.06.2015 des Weiteren die Gutschrift in Höhe von 2.500 €/a beginnend mit der Abrechnung für 2015 auf das Privatstromkonto des Wohnhauses des Herrn P.. Auf Aufforderung von Herrn P. konkretisierte die Klägerin nochmals mit E-Mail vom 17.06.2015 an Herrn P. die Gutschrift auf eine Höhe von insgesamt 10.000 €, die sich auf eine jeweilige Gutschrift von 2.500 € pro Jahr für die Jahre 2015 bis 2018 auf das Privatstromkonto des Herrn P. aufteilt. Wegen des weiteren Inhalts wird die Anlage B28, Blatt 267 der Gerichtsakte Bezug genommen. Im sogenannten CRM (Costumer Relation Management System) der Beklagten wurde der zugesagte Bonus aus Anlass des Abschlusses des RLM-Bündelvertrages für die Lieferstellen der Möbelhäuser nicht vermerkt. Der Stromliefervertrag wurde letztlich von der Klägerin und Herrn He. für die Beklagte unterzeichnet. Letzterer handelte wegen der urlaubsbedingten Abwesenheit von Herrn Sch. in Vertretung für diesen. Am 11.12.2015 bat schließlich die Klägerin Herrn L. per E-Mail um die Ausreichung der besprochenen Gutschrift für Herrn P. in Höhe von 2.500 €. Die von Herrn L. mit E-Mail vom 17.12.2015 gegebene Zusage der Ausführung wurde jedoch letztlich nicht umgesetzt. Mitarbeiterinnen der E. Service GmbH hatten den Sachverhalt an das Compliance-Team weitergeleitet. Es folgten zahlreiche Recherchen und Anhörungen aller beteiligten Mitarbeiter sowie nach Zustimmung des Betriebsrates die Einsichtnahme und Auswertung des entsprechenden E-Mail Verkehrs. Die Klägerin telefonierte am 17.12.2015 mit einer der Mitarbeiterinnen, die den Compliance-Verstoß gemeldet hatten. Die Mitarbeiterin fertigte einen Vermerk über den Inhalt des Gesprächs, hinsichtlich dessen genauen Wortlauts auf Bl. 300 d. A. verwiesen wird. Die Klägerin nahm auf Bitte der Beklagten zweimal schriftlich Stellung zum Sachverhalt, so mit Schreiben vom 04.01.2016 (Anlage B39 zum Schriftsatz der Beklagten vom 24.06.2016, Blatt 282 ff. der Gerichtsakte) sowie mit Schreiben vom 25.01.2016 (Anlage B47 zum Schriftsatz der Beklagten vom 24.06.2016, Blatt 303 ff. der Gerichtsakte). Auch der Vorgesetzte Herr Sch. nahm sowohl mit Schreiben vom 03.01.2016 (Anlage B38, Blatt 281 der Gerichtsakte) als auch mit Schreiben vom 25.01.2016 (Anlage B48, Blatt 306 ff. der Gerichtsakte) Stellung. Ebenso wird auf die Stellungnahmen des Herrn L. vom 04.01.2016 (Anlage B40, Blatt 284 der Gerichtsakte) und vom 25.01.2016 (Anlage B49, Blatt 308 ff. der Gerichtsakte) Bezug genommen.
Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin mit Schreiben vom 03.02.2016, der Klägerin zugegangen am 04.02.2016, außerordentlich ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist. Mit weiterem Schreiben vom 03.02.2016, der Klägerin am 09.02.2016 zugegangen, wurde das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30.09.2016 gekündigt. Den Herren Sch. und L. wurde ebenfalls fristlos sowie hilfsweise fristgemäß gekündigt.
Mit beim Arbeitsgericht Cottbus am Schriftsatz am 10.02.2016 eingegangen Schriftsatz hat die Klägerin Klage gegen beide Kündigungen erhoben.
Die Klägerin hat einen Verstoß gegen die Verhaltens- und Compliance-Regelungen der Beklagten zugestanden, jedoch die Verantwortung sowohl was die aktive Planung, die interne Klärung als auch die Entscheidung zur Umsetzung anbelangt, allein beim Vorgesetzten der Klägerin, Herrn Sch. gesehen. Die Klägerin habe lediglich als weisungsgebundene Sachbearbeiterin diese Entscheidung ihres Vorgesetzten, der dieses Vorgehen überdies mit dem Prokuristen der E. Service GmbH, Herrn L., abgestimmt habe, lediglich umgesetzt. Ihr könne allenfalls vorgeworfen werden, dass sie auf die Korrektheit ihres Vorgesetzten vertraut habe. Der Klägerin sei vorzuwerfen, dass sie nicht den Mut gehabt habe, sich dem allseitigen Druck zu widersetzen – einerseits dem Druck des Geschäftskunden P., aber auch der Anweisung ihres Vorgesetzten bezüglich der Gutschriftenregelung. Sie habe darauf vertraut, dass Herr Sch. sowie Herr L. die Korrektheit des Vorgehens abgeklärt hatten und es in Ordnung sei, diese Anweisung auch durchzuführen. Aus heutiger Sicht sei dies naiv gewesen und ihrer Angst geschuldet, sich offen gegen ihren Vorgesetzten zu wenden. Dabei geht die Klägerin davon aus, dass Herr Sch. selbst vorgeschlagen habe, dem Kunden einen Rabatt in Höhe von 2.500 € jährlich auf sein privates Verbrauchskonto zu gewähren. Sie habe die E-Mail vom 27.03.2015 „Sieht gut aus …“ als Zusage und Anweisung ihres Vorgesetzten verstanden, dass sie dem Kunden die jährliche Gutschrift zusagen solle. Ebenso sei sie von einer Zustimmung des Vorgesetzten zum endgültigen Vertragsentwurf (E-Mail vom 10.06.2015) ausgegangen, da Herr Sch. die E-Mail am 11.06.2016 gelesen habe und hiergegen keine Bedenken geäußert habe. Motivation der Klägerin sei lediglich gewesen, für die Beklagte und in deren Interesse den langjährigen Kunden (H. Möbel Gruppe) zu halten und den von Herrn Sch. gewünschten Vertragsabschluss herbeizuführen. Eventuelle finanzielle Vorteile oder Vorteile beim beruflichen Fortkommen der Klägerin seien nicht erheblich gewesen.
Die Klägerin hat beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 03.02.2016, zugegangen am 04.02.2016, nicht geendet hat,
2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 03.02.2016, zugegangen am 09.02.2016, nicht zum 30.09.2016 geendet hat,
3. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin bis zur rechtskräftigen Beendigung des Kündigungsrechtsstreits als Energiemanager Außendienst weiter zu beschäftigen,
4. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt,
hilfsweise für den Fall, dass die Feststellungsanträge zu Ziffer 1 und 2 abgewiesen werden,
5. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ein endgültiges Zeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat darauf verwiesen, dass die avisierte Gutschriftengewährung möglicherweise eine Bestechung im Sinne von § 299 StGB darstelle. Im Weiteren habe die Klägerin vorsätzlich sowohl gegen den R.-Verhaltenskodex, als auch gegen die Leitlinien Marketinghilfen und Geschäftsordnung Compliance und die diesbezügliche Anlage der Organisationsregelung verstoßen. Eine Abmahnung sei entbehrlich. Die Kündigungen seien auch verhältnismäßig. Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung sei zu berücksichtigen, welche gravierenden wirtschaftlichen Folgen die von der Klägerin begangenen Pflichtverstöße für die Beklagte haben können. Bereits die Verurteilung nur eines Arbeitnehmers wegen Bestechung könne zum Ausschluss von einem Vergabeverfahren und zu einer langwierigen Vergabesperre führen. Bereits die abstrakte Gefahr, von Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen zu werden, sei in die Interessenabwägung einzubeziehen. Auch die Beklagte bewerbe sich regelmäßig um öffentliche Aufträge. Des Weiteren habe die Klägerin die Beklagte dem Risiko ausgesetzt, mit Sanktionen (beispielsweise Geldbußen) belegt zu werden. Mit einer Kündigung des an einer Bestechung beteiligten Arbeitnehmers könne die vergaberechtliche Zuverlässigkeit wiedererlangt werden (Selbstreinigung). Die Beklagte verweist des Weiteren auf die zur Einlassung der Klägerin in Widerspruch stehende Stellungnahme des Herrn Sch.. Dieser sei laut eigener Aussage nicht in die Absprache mit dem Kunden eingebunden gewesen und habe keine Genehmigung für die Auszahlung einer Gutschrift gegeben. Den E-Mail-Verkehr zwischen der Klägerin und dem Kunden kenne er nicht. Jedenfalls hätten jedoch die Klägerin und Herr Sch. gemeinschaftlich gehandelt. Der Klägerin müsse des Weiteren zur Last gelegt werden, dass es ihr am nötigen Unrechtsbewusstsein fehle und sie stattdessen die Schuld nur bei ihrem Vorgesetzten Herrn Sch. suche. Dies lasse Wiederholungstaten befürchten. Sie habe ohne weiteres die Möglichkeit gehabt, die Bonusgewährung zu verhindern. Dies habe sie jedoch bewusst nicht getan, um den Vertragsabschluss mit den Möbelhäusern nicht zu gefährden. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass der erfolgreiche Vertragsabschluss mit der H. Möbel Gruppe ebenso das berufliche Fortkommen der Klägerin, wie auch deren erfolgsabhängige Vergütung positiv beeinflusse. Eine Weiterbeschäftigung sei der Beklagten unzumutbar. Dies gelte sowohl in ihrer bisherigen vertraglich vereinbarten Position als Energiemanager als auch bezüglich einer Weiterbeschäftigung auf einer anderen Stelle. Es könne jedenfalls bei einer weiteren Tätigkeit der Klägerin zu weiteren Compliance-Verstößen kommen. Beachtet werden müsse schließlich auch, dass die „Null-Toleranz-Strategie“ der Beklagten bei derartigen Verstößen als abschreckende Sanktionsmaßnahme gegenüber allen anderen Vertriebsmitarbeitern gelten müsse. Dies müsse die Beklagte konsequent umsetzen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 09.11.2016 stattgegeben. Zur Begründung hat es – kurz gefasst – ausgeführt, die Kündigung sei bereits nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial ungerechtfertigt. Zwar habe die Klägerin eine erhebliche Vertragspflichtverletzung begangen, die eine Kündigung grundsätzlich rechtfertigen könne. Eine vorzunehmende Interessenabwägung führe jedoch im konkreten Fall dazu, dass die Belange der Klägerin am weiteren Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gegenüber den Interessen der Beklagten, das Arbeitsverhältnis zu beenden, überwögen. Da bereits die Kündigung als ordentliche Kündigung nicht gerechtfertigt gewesen sei, sei auch die außerordentliche Kündigung unwirksam. Hinsichtlich der Einzelheiten der Urteilsgründe wird auf Bl. 370 – 380 d. A. verwiesen.
Gegen das ihr am 13.12.2016 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Beklagte mit am 10.01.2017 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 13.03.32017 mit beim Landesarbeitsgericht am 13.03.2017 eingegangenen Schriftsatz begründet.
Die Beklagte ist der Auffassung, das Arbeitsgericht habe bei der Interessenabwägung wesentliche Punkte übersehen. Von einer Druckausübung oder vehementen Forderungen durch Herrn P. könne entgegen der Formulierung des Arbeitsgerichts keine Rede sein. Herr P. habe lediglich Wünsche geäußert. Die Initiative zur Umsetzung der Vorstellungen von Herrn P. sei auch von der Klägerin ausgegangen. Ein Handeln nach Weisung habe nicht vorgelegen. Herr Sch. hätte auf die Anfrage der Klägerin auf Freigabe auch mit einer expliziten Freigabe antworten müssen, was der Klägerin aufgrund einer konkreten Anweisung durch Herrn Sch. in einer Dienstberatung vom 07.06.2011 auch klar gewesen sein müsse. Die Klägerin habe trotz der unstreitig fehlenden Freigabe die entsprechende Gutschrift veranlasst. Es sei auch davon auszugehen, dass die entsprechende E-Mail seitens der Klägerin bewusst erst am 10.06.2015 um 17.39 Uhr an Herrn Sch. gesandt wurde. Die Klägerin habe gewusst, dass Herr Sch. zur Klärung der Angelegenheit nur der 10.06.2015 verblieb, weil die Klägerin am 11. und 12.06.2015 und Herr Sch. geplant ab dem 15.06.2015 urlaubsbedingt abwesend waren. Die Klägerin habe deswegen auch nicht darauf vertrauen können, dass Herr Sch. und Herr L. die Korrektheit des Vorgehens abgeklärt hätten. Angesichts der abschlägigen Reaktion auf die vorherigen Anfragen der Klägerin an das Back Office und die Compliance Abteilung sei eine besondere Sensibilität der Klägerin zu erwarten gewesen. Stattdessen habe es die Klägerin absichtlich unterlassen, eine entsprechende Anfrage an das Back Office und die Compliance-Abteilung zur richten. Die Klägerin habe auch den zugesagten Bonus aus Anlass des Abschlusses des RLM-Bündelungsvertrages für die Lieferstellen der Möbelhäuser von Herrn P. nicht vermerkt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Cottbus vom 09.11.2016 – 4 Ca 117/16 – aufzuheben und die Klage vollumfänglich abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin verweist darauf, dass Herr P. die Vorteile für sich gefordert und ihr zu erkennen gegeben habe, dass ohne eine solche Gegenleistung der Abschluss der Verträge mit dem Unternehmen H. Möbel gefährdet sei. Entgegen der Darstellung der Beklagten habe die Klägerin auch nicht die alleinige Verantwortung für die Veranlassung der Gutschriftgewährung. Vielmehr habe Herr Sch. selbst mehrfach die entsprechenden Anfragen bei Herrn L. gestellt, von ihm seien auch die Idee und die Initiative für eine Gutschriftengewährung ausgegangen. Die Klägerin habe entgegen der Darstellung der Beklagten auch nicht im Eigeninteresse gehandelt, sondern in dem von ihr vermuteten Interesse der Beklagten, zumindest ihrer Vorgesetzten. Auswirkungen auf ihren eigenen Bonus hätte es allenfalls in Höhe von wenigen Euro gegeben.
Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Aus den Gründen
A. Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG, 511 ZPO statthafte Berufung der Beklagten ist formgerecht und fristgemäß im Sinne von § 64 Abs. 6, § 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO eingelegt und begründet worden. Die Berufung ist daher zulässig.
B. Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat der Klage zutreffend stattgegeben.
I. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die ordentliche Kündigung vom 03.02.2016 nicht aufgelöst worden. Die Kündigung ist nicht nach § 1 Abs. 2 KSchG als verhaltensbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt und damit nach § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam.
1. Allerdings liegt ein Grund für eine verhaltensbedingte Kündigung als Tatkündigung „an sich“ vor. Die Klägerin hat mit dem Verstoß gegen die Compliance-Regeln einen schwerwiegenden Verstoß gegen ihre arbeitsvertraglichen Verpflichtungen begangen. Dies hat bereits das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt und wird auch von der Klägerin nicht in Abrede gestellt. Das Berufungsgericht schließt sich insoweit den zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts (S. 12 – 14 des Urteils = Bl. 371- 373 d. A.) an und sieht von einer rein wiederholenden Stellungnahme nach § 69 Abs. 2 ArbGG ab.
2. Zutreffend hat das Arbeitsgericht die Kündigung im Einzelfall unter Berücksichtigung der Gesamtumstände als unverhältnismäßig und deswegen als sozial ungerechtfertigt angesehen.
a. Das Berufungsgericht schließt sich den ausführlichen und überzeugenden Ausführungen des Arbeitsgerichts (S. 14 – 19 des Urteils = Bl. 373 – 378 d. A.) an und sieht von einer rein wiederholenden Stellungnahme nach § 69 Abs. 2 ArbGG ab.
b. Das Berufungsvorbringen rechtfertigt keine andere Bewertung.
aa. Soweit die Beklagte vorträgt, das Arbeitsgericht sei zu Unrecht von einer Druckausübung oder vehementen Forderungen durch Herrn P. ausgegangen, trifft dies nicht zu. Das Arbeitsgericht hat entscheidend darauf abgestellt, dass für die Klägerin angesichts der Anfragen von Herrn P. eine entsprechende Drucksituation bestand. Dies ist angesichts des Verhaltens von Herr P. absolut nachvollziehbar. Das Bemühen von Herrn P., sich auf unredliche Weise einen Vermögensvorteil zu sichern, war geradezu impertinent. Nachdem sein Versuch, sich einen Beratervertrag für die Verhandlungen seines eigenen Unternehmens zu sichern, gescheitert war, hat er ersichtlich nicht aufgegeben, sondern hat weiterhin deutlich gemacht, dass er zu einem Vertragsschluss nur bei Gewährung von anderweitigen Vorteilen bereit ist. Dass insoweit die Klägerin davon ausgehen musste, dass es – sollte sie diesem gleichermaßen rechtswidrigen und unredlichen Begehren von Herrn P. nicht nachkommen – nicht zu einem Vertragsschluss kommen werde, ist nachvollziehbar. Selbst wenn Herr P. sein Begehren nur als „Wunsch“ formuliert haben sollte, kann angesichts des Verhaltens von Herrn P. nicht daran gezweifelt werden, dass die Erfüllung seines „Wunsches“ Bedingung für einen späteren Vertragsschluss sein sollte.
bb. Ein überwiegendes Interesse an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wird auch nicht dadurch begründet, dass die Klägerin vor Veranlassung der Gutschrift eine ausdrückliche Freigabe nicht eingeholt und letztlich die Gutschrift selbst beantragt hat. Die Einschätzung des Arbeitsgerichts, die Klägerin habe darauf vertrauen können, dass Herr Sch. sowie Herr L. die Korrektheit des Vorgehens abgeklärt hätten, ist insoweit entgegen der Ansicht der Beklagten nachvollziehbar. Aus dem unstreitigen E-Mail-Verkehr ergibt sich, dass (allein) die technischen Möglichkeiten einer entsprechenden Gutschrift durch Herrn Sch. und Herrn L. im Einzelnen erörtert worden sind. Insoweit musste die Klägerin den Eindruck gewinnen, dass ihre Vorgesetzten rechtliche Bedenken an dem entsprechenden Vorgehen nicht hatten. Die Kommunikation über die technische Realisierbarkeit eines compliancewidrigen Verhaltens wurde in erstaunlicher Offenheit geführt. Dass die Klägerin insoweit davon ausging, dass Bedenken gegen das Vorgehen seitens der Vorgesetzten nicht bestanden, ist deswegen nachvollziehbar. Des Weiteren gibt es auch nicht ausreichend Anhaltspunkte, dass der Zeitpunkt der E-Mail, mit der die Klägerin um Genehmigung bat, allein deswegen gewählt wurde, um im Ergebnis eine ausreichend schnelle Reaktion von Herrn Sch. zu verhindern. Der Auftrag zur Auszahlung der Gutschrift durch die Klägerin erfolgte erst unter dem 11.12.2015. Insoweit bestand über ein halbes Jahr Gelegenheit, eine compliancewidrige Gewährung der Gutschrift zu verhindern. Dass dies weder durch Herrn Sch. noch Herrn L. jemals auch nur im Ansatz versucht wurde, zeigt deutlich, dass beide mit dem Vorgehen der Klägerin einverstanden waren. Bezogen auf Herr L. wird dies auch durch seine E-Mail vom 30.03.2015 an Frau N., die den Compliance-Verstoß meldete, deutlich. Herr L. wirft dort seiner Mitarbeiterin vor, es sei „nicht Ihr Job, alle „Beamten und Bedenkenträger“ zu aktivieren“.
cc. Die Klägerin hat sich entgegen der Darstellung der Beklagten auch nicht darauf berufen, dass ein Compliance-Verstoß auf Weisung zulässig sei; sie hat vielmehr einen Compliance-Verstoß ohne weiteres eingeräumt und auch eingesehen, dass sie eine schwere Verfehlung begangen hat. Auch das Arbeitsgericht hat das Verhalten der Vorgesetzten nicht als rechtfertigenden Tatbestand angesehen, sondern lediglich in der Gesamtabwägung mitberücksichtigt. Das Arbeitsgericht hatte in seine Abwägung auch bereits einbezogen, dass sich der Abschluss des neuen Stromlieferungsvertrags auch positiv auf die erfolgsabhängige Vergütung der Klägerin hätte auswirken können.
dd. Das Arbeitsgericht hat auch bereits die für die Beklagte sprechenden Gründe umfassend gewürdigt. Die Beklagte ist aufgrund der eigenen „Null-Toleranz-Strategie“ zur Abschreckung von Mitarbeitern auch gehalten, entsprechende Verstöße arbeitsrechtlich bis hin zur Kündigung zu sanktionieren. Insoweit war die Kündigung aller drei Mitarbeiter ein nachvollziehbarer Schritt der Beklagten. Das Arbeitsgericht hat entsprechend ein Kündigungsgrund an sich auch bejaht und die Kündigung der Klägerin nur unter Berücksichtigung einer Einzelabwägung unter Heranziehung der konkreten Umstände als unverhältnismäßig angesehen. Zutreffend hat das Arbeitsgericht dabei auch in die Würdigung mit einbezogen, dass die Klägerin bereits in der Stellungnahme vom 04.01.2016 ihre umfassende Bereitschaft zur Aufklärung des Sachverhalts erklärt und auf die zu sichtenden E-Mails hingewiesen hat. Im Rahmen vorzunehmenden Interessenabwägung kann auch auf das Verhalten des Arbeitnehmers nach der Tatbegehung abgestellt werden, ob er beispielsweise die Tat einräumt, oder aber bei den Aufklärungsmaßnahmen des Arbeitgebers weitere Täuschungshandlungen begeht (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 24.02.2009 - 7 Sa 2017/08 - LAGE § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr 5, für einen Fall, in dem die Klägerin im Rahmen der arbeitgeberseitigen Aufklärung den Sachverhalt beharrlich geleugnet, den Verdacht haltlos auf andere Mitarbeiter abzuwälzen versucht hat und sich im Prozess zu maßgeblichem Sachvortrag entgegen ihrer prozessualen Wahrheitspflicht nach § 138 Abs. 1 ZPO wahrheitswidrig eingelassen hat). Eine weitere Vertuschung, die das Vertrauen der Beklagten in die Redlichkeit der Klägerin hätte weiter einschränken können, gab es indes vorliegend nicht.
II. Zutreffend hat das Arbeitsgericht auch erkannt, dass aus denselben Erwägungen weiterhin (erst recht) die außerordentliche Kündigung unwirksam ist.
III. Auch der Weiterbeschäftigungsantrag ist begründet. Dies hat bereits das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt (S. 20 – 21 des Urteils = Bl. 379 – 380 d. A.). Die Beklagte wendet im Rahmen der Berufung auch lediglich ein, dem Weiterbeschäftigungsantrag stehe die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch die fristlose Kündigung entgegen. Überwiegende Interessen der Beklagten an der Nichtbeschäftigung trotz Unwirksamkeit der Kündigung liegen, wie das Arbeitsgericht bereits ausgeführt hat, nicht vor.
IV. Das Arbeitsgericht hat auch der Klage auf Erteilung des Zwischenzeugnisses zutreffend stattgegeben. Die Beklagte beruft sich in der Berufung lediglich darauf, dass im Hinblick auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses kein Anspruch auf ein Zwischenzeugnis mehr bestehe.
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Danach hat die Beklagte die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.
D. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor. Die Kammer hat bei der Entscheidung die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt. Dabei waren allein Umstände des Einzelfalls entscheidend.