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Arbeitsrecht
01.06.2023
Arbeitsrecht
LAG Thüringen: Prozesskostenhilfe – Verweigerung der Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten – Mutwilligkeit

LAG Thüringen, Beschluss vom 3.4.2023 – 4 Ta 33/23

ECLI:DE:LAGTH:2023:0403.4TA33.23.00

Volltext: BB-Online BBL2023-1332-3 

Leitsätze

1. Wegen Mutwilligkeit i.S.v. § 114 Abs. 2 ZPO kann Prozesskostenhilfe insgesamt abgelehnt werden, nicht aber bei grundsätzlicher Bewilligung allein die Beiordnung eines*r Prozessbevollmächtigten. (Rn. 13)

2. In Nichtanwaltsprozessen richtet sich die Beiordnung eines*r Prozessbevollmächtigten bei grundsätzlich bewilligter Prozesskostenhilfe allein nach § 121 Abs. 2 ZPO und damit nach dem Kriterium der Erforderlichkeit der Beiordnung. (Rn. 9)

3. Die Frage der Erforderlichkeit darf nicht ausschließlich auf eine Beurteilung des Verhältnisses von Streitwert und Kostenrisiko reduziert werden (BVerfG 24.3.2011 – 1 BvR 1737/10, NJW 2011, 2039). (Rn. 11)

4. Im Rahmen der Erforderlichkeit spielt auch eine Rolle, ob ein*e Selbstzahler*in vernünftigerweise eine*n Prozessbevollmächtigte*n beauftragt hätte (BVerfG 18.12.2001 – 1 BvR 391/01, NZS 2002, 420). Dabei ist von einem*r Selbstzahler*in auszugehen, der*die (ggf. unvernünftigerweise) die Rechtsverfolgung trotz Missverhältnisses von Streitwert und Kostenrisiko aufgenommen hätte. (Rn. 12)

5. Eine Partei, welche (ggf. unvernünftigerweise) eine Rechtsverfolgung trotz Missverhältnis von Streitwert und Kostenrisiko aufnimmt, wird vernünftigerweise versuchen, diese erfolgreich zu gestalten und bei nicht trivialen Prozesssituationen (hier: Drittschuldnerklage) eine*n Prozessbevollmächtigte*n hinzuziehen. (Rn. 14)

6. In Fällen wie in den Leitsätzen 4 und 5 beschrieben kann ggf. Prozesskostenhilfe wegen Mutwilligkeit versagt werden, nicht aber bewilligt und die Beiordnung eines*r Prozessbevollmächtigten deshalb abgelehnt werden. (Rn. 15).

§ 114 Abs 2 ZPO, § 121 Abs 2 ZPO 

Sachverhalt

I.

Mit am 19.08.2022 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat die Klägerin Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten für eine Drittschuldnerklage über einen Betrag in Höhe von 100,88 € beantragt und gleichzeitig die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse überreicht. Hintergrund war eine Forderung familienrechtlichen Ursprungs (Trennungsunterhalt).

Mit Beschluss vom 17.11.2022 hat das Arbeitsgericht die Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und die Beiordnung der Anwältin abgelehnt mit der Begründung, diese Beauftragung eines Rechtsanwaltes zur Rechtsverfolgung sei mutwillig.

Gegen diesen ihr am 24.01.2023 zugestellten Beschluss hat die Klägerin mit am 24.02.2023 eingegangenem Schriftsatz sofortige Beschwerde erhoben.

Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Thüringer Landesarbeitsgericht als Beschwerdegericht vorgelegt.

Aus den Gründen

II.

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Die Beschwerde ist zulässigerweise auf Ziffer 2 des Tenors der angefochtenen Entscheidung beschränkt. Damit ist die in Ziffer 1 des Tenors der angefochtenen Entscheidung ausgesprochene Bewilligung von Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung rechtskräftig und vom Beschwerdegericht nicht mehr zu überprüfen, ohne dass es darauf ankommt, ob ein Verbot der reformatio in peius gegeben ist und ohne dass es darauf ankommt, dass die Klageerhebung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mutwillig ist.

2. Die Beschwerde ist begründet.

Der Klägerin ist, da die Prozesskostenhilfe grundsätzlich rechtskräftig bewilligt ist, ihre Prozessbevollmächtigte als Rechtsanwältin gem. § 121 Abs. 2 ZPO beizuordnen, weil die Beiordnung erforderlich erscheint; die Frage der Mutwilligkeit im Sinne von § 114 Abs. 2 ZPO ist dabei unbeachtlich.

Die Frage, ob eine Rechtsanwältin beizuordnen ist richtet sich nicht nach § 114 ZPO und kann deshalb nicht nach § 114 Abs. 2 ZPO wegen Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung abgelehnt werden. Die Frage der Beiordnung einer Rechtsanwältin in Rechtsstreitigkeiten, in denen die Vertretung durch Rechtsanwält*innen nicht vorgeschrieben ist, richtet sich nach § 121 Abs. 2 ZPO. Danach ist eine zur Vertretung bereite Rechtsanwältin beizuordnen, wenn die Vertretung durch eine Rechtsanwältin erforderlich erscheint.

Mit der Voraussetzung der Erforderlichkeit einer Beiordnung ist ein anderer Gesichtspunkt als der in § 114 Abs. 2 legal definierten Mutwilligkeit angesprochen.

Die Erforderlichkeit, einem*r Antragsteller*in eine*n Rechtsanwält*in beizuordnen, kann sich sowohl aus dem Gegenstand des Verfahrens als auch aus der Person des*r Antragstellers*in oder aus beiden zusammen ergeben. Maßgeblich sind der tatsächliche Umfang und die rechtliche Schwierigkeit der Sache, sowie deren Bedeutung für den*die Antragsteller*in als auch die Fähigkeit des*der Antragstellers*in, sich schriftlich und / oder mündlich verständlich zu machen. Das Gericht muss erwägen, ob ein*e Bemittelte*r in der Lage des*der Antragstellers*in vernünftigerweise eine*n Rechtsanwält*in mit der Wahrnehmung seiner*ihrer Interessen beauftragt hätte (BVerfG, 18.12.2001 – 1 BvR 391/01, NZS 2002, 420). Dabei darf die Frage der Erforderlichkeit i. S. v. § 121 Abs. 2 ZPO nicht ausschließlich auf eine Beurteilung des Verhältnisses von Streitwert und Kostenrisiko reduziert werden (24.03.2011 – 1 BvR 1737/10, NJW 2011, 2039).

Aus diesen Vorgaben ergibt sich die notwendige Abgrenzung von Mutwilligkeit im Sinne von § 114 Abs. 2 ZPO und Erforderlichkeit im Sinne von § 121 Abs. 2 ZPO. Mutwilligkeit liegt vor, wenn eine Person, welche den Rechtsstreit selber bezahlen müsste, diesen vernünftigerweise nicht führen würde, z.B. weil Kosten und Nutzen außer Verhältnis stehen. Die Frage, ob ein*e Selbstzahler*in eine*n Prozessbevollmächtige*n beauftragen würde, setzt auf den Entschluss der Person, den Rechtstreit trotz des außerverhältnismäßigen Kosten-Nutzen-Verhältnisses zu führten auf. M.a.W.: Mutwilligkeit setzt an bei der Frage, ob die Rechtsverfolgung überhaupt aufgenommen wird; Erforderlichkeit setzt an bei der Frage, wenn jemand schon die Rechtsverfolgung aufnimmt, ob er*sie dann auch noch eine*n Prozessbevollmächtigte*n beauftragt.

Damit sind die Umstände der Mutwilligkeit und der Erforderlichkeit hinreichend inhaltlich voneinander abgegrenzt. Mit anderen Worten: Wegen Mutwilligkeit kann die Prozesskostenhilfe von vornherein versagt werden, was hier möglicherweise angezeigt gewesen wäre. Wird aber die Prozesskostenhilfe an sich bewilligt, kann nicht wegen Mutwilligkeit die Anwaltsbeiordnung versagt werden. In diesem Falle kann die Anwaltsbeiordnung nur wegen fehlender Erforderlichkeit versagt werden.

Deshalb ist hier auf eine Partei abzustellen, die sich grundsätzlich entschieden hat, für den geringen Teilbetrag ihrer Gesamtforderung zunächst eine Drittschuldnerklage zu erheben, ob diese dann, wenn sie sich grundsätzlich zu diesem Rechtsstreit entschieden hat, auch eine*n Prozessbevollmächtigte*n beauftragt hätte, obwohl die zu tragenden Kosten möglicherweise den zu erwartenden Prozesserfolg übersteigt.

Danach durfte hier die Anwaltsbeiordnung nicht versagt werden. Bei der Drittschuldnerklage handelt es sich um einen für juristische Laien komplizierten Vorgang, weil nicht der*die Schuldner*in der ursprünglichen Forderungen belangt wird, sondern ein*e Dritte*r, welche*r sozusagen Schuldner*in des*der Schuldners*in ist. In diesem Falle ist auch noch zusätzlich eine Streitverkündung geboten, die ein Laie kaum kennen dürfte. Aus diesem Grunde handelt es sich um eine komplexe Klagesituation, die grundsätzlich eine Anwaltsbeiordnung erforderlich erscheinen müsste. Dass hier die im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren erster Instanz grundsätzlich selbst zu tragenden Anwaltskosten den möglichen Ertrag der Rechtsverfolgung übersteigen, steht hier der Erforderlichkeit nicht entgegen; auch eine vermögende Partei, die sich grundsätzlich trotz ggf. wirtschaftlicher Unvernunft dafür entscheidet, diesen geringen Klein- und Teilbetrag der Gesamtforderung einzuklagen, mag hierfür besondere Gründe haben; sie würde gleichwohl vernünftigerweise die Rechtsverfolgung so gestalten, dass sie jedenfalls Aussicht auf Erfolg haben kann und in der Gestaltung einer Drittschuldnerklage eine*n Prozessbevollmächtige*n beiziehen.

Anlass für die Zulassung der Rechtsbeschwerde bestand nicht.

Die Entscheidung ist unanfechtbar.

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