R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
 
Arbeitsrecht
04.09.2024
Arbeitsrecht
LAG Nürnberg: Prozesskostenhilfe – Kostenfestsetzung – hypothetische Reisekosten – Kostenerstattung

LAG Nürnberg, Beschluss vom 14.2.2024 – 7 Ta 12/24

Volltext: BB-Online BBL2024-2099-3

Sachverhalt

Die Parteien führten einen Kündigungsrechtsstreit. Das Erstgericht bewilligte mit Beschluss vom 04.05.2023 – 2 Ca 85/23 – Prozesskostenhilfe ohne Festsetzung von Raten. Das Erstgericht entschied mit Urteil vom 19.07.2023. Die Kosten des Rechtsstreits hatte der Beklagte zu tragen. Auf den Kostenfestsetzungsantrag des Klägervertreters wurde die ihm zu gewährende Vergütung aus der Staatskasse auf 850,85 € festgesetzt.

Mit Kostenrechnung vom 09.08.2023 wurden dem Beklagten die Kosten in Rechnung gestellt:

Urteilsverfahren im ersten Rechtszug, Nr. 8210 KVGKG                        280,00 €

Hypothetische Reisekosten                                                                      106,70 €

Summe:                                                                                                    386,70 €

Nach der Kostenberechnung der Urkundsbeamtin wurden die hypothetischen Reisekosten rechnerisch richtig ermittelt.

Mit Erinnerung vom 18.09.2023 wandte sich der Beklagte gegen den Kostenansatz und machte geltend, es könnten nur die Urteilsgebühren mit 280,00 € in Ansatz gebracht werden, nicht die hypothetischen Reisekosten in Höhe von 106,70 €. Die Staatskasse generiere einen nicht zu rechtfertigenden Vorteil durch Erzeugung eines Kostenerstattungsanspruches im Hinblick auf fiktive Reisekosten.

Die Urkundsbeamtin beim Erstgericht half der Erinnerung mit Beschluss vom 31.10.2023 nicht ab und legte diese zur Entscheidung vor. Das Erstgericht half der Erinnerung mit Beschluss vom 24.11.2023 ab.

Nach Erhalt dieses Beschlusses am 30.11.2023 legte die Staatskasse dagegen am 01.12.2023 Beschwerde ein und machte geltend:

1. Der Beklagte hat verloren – hier ist die entsprechende Kostengrundentscheidung für einen Erstattungsanspruch des Klägers.

2. Der Kläger hat nach § 91 ZPO einen Erstattungsanspruch seiner notwendigen Kosten gegen den Beklagten.

3. Wegen § 12a ArbGG ist die Erstattung von Anwaltskosten jedoch ausgeschlossen.

4. Erstattungsfähig bleiben die Kosten, die bei eigener Prozessführung entstanden wären, insbesondere hypothetische Fahrtkosten zur Antragstelle und zu den Gerichtsterminen.

5. Finanziert die Staatskasse den Prozess, findet ein Anspruchsübergang nach § 59 RVG statt, d.h. die Staatskasse kann, wie vorliegend geschehen, die Erstattungsansprüche beim unterlegenen Gegner einziehen.

Das Erstgericht half der Beschwerde nicht ab mit Beschluss vom 29.01.2024 und legte sie dem LAG Nürnberg zur Entscheidung vor. Binnen gewährter Frist schloss sich der Beklagte der Rechtsauffassung des Erstgerichtes an und die Staatskasse verwies auf einschlägige Rechtsprechung.

Aus den Gründen

II.

1. Die Beschwerde ist statthaft, § 66 Abs. 2 Satz 1 GKG. Sie konnte wegen der ausdrücklichen Zulassung durch das Erstgericht auch ohne Erreichung des Beschwerdewertes von 200,00 € eingelegt werden, § 66 Abs. 2 Satz 2 GKG.

2. Die Beschwerde ist auch begründet. Der Beschwerde war deshalb abzuhelfen und der Kostenansatz mit Kostenrechnung vom 09.08.2023 wiederherzustellen.

a. Nach § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG besteht im Urteilsverfahren des ersten Rechtszuges kein Anspruch der obsiegenden Partei auf Erstattung der Kosten für die Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten.

Davon ausgenommen sind die aufgewandten Anwaltskosten (Gebühren und Auslagen) im Umfang der durch die Anwaltsbeauftragung ersparten unmittelbaren Parteikosten nach dem Grundsatz der hypothetischen Parteikostenerstattung, GK-ArbGG, § 12a, Rn. 46, Ostrowicz/Künzl/Scholz, 6. Auflage, 2020, Rn. 156, Germelmann, ArbGG, Kommentar, 10. Auflage, 2022, § 12a, Rn. 22, Schwab/Weth, ArbGG, 6. Auflage, 2022, § 12a, Rn. 25 und die jeweils dort zitierte Rechtsprechung. In der Höhe der ersparten hypothetischen Reisekosten der Partei sind die Kosten des Prozessbevollmächtigten deshalb erstattungsfähig. Dies ergibt sich aus der zutreffenden Überlegung, dass § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG das Kostenrisiko für die unterlegene Partei reduzieren soll, ihr aber nicht einen Kostenvorteil dergestalt verschaffen soll, dass sie im Falle der Wahrnehmung des Verfahrens durch die Gegenpartei persönlich dieser Reisekosten erstatten muss, im Falle der Übertragung der Angelegenheit an einen Rechtsanwalt keine Kosten erstatten müsste.

In dieser beschränkten Höhe geht daher der Vergütungsanspruch des Rechtsanwaltes, den er bei Prozesskostenhilfebewilligung gegen die Staatskasse hat, auf die Staatskasse über nach § 59 Abs. 1 Satz 1 RVG. In dieser Höhe kann die Staatskasse diesen Anspruch daher auch gegen die zur Kostentragung verpflichtete Partei geltend machen.

b. Unter Anwendung dieser Grundsätze konnte daher die Urkundsbeamtin bei der Kostenfestsetzung gegen den Beklagten den Vergütungsanspruch des Rechtsanwaltes gegen den Kläger insoweit berücksichtigen, als dieser im Rahmen der hypothetischen Reisekosten der Partei blieb. Dies hat die Urkundsbeamtin nach Aktenlage in zutreffender und vom Beklagten nicht beanstandeter Weise getan. Der vom Beklagten geltend gemachte nicht gerechtfertigte Vorteil der Staatskasse über einen künstlich erzeugten Anspruch auf Erstattung fiktiver Reisekosten ist nicht ersichtlich.

Der Beschwerde der Staatskasse war daher abzuhelfen.

III.

1. Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden alleine ergehen, § 78 Satz 3 ArbGG.

2. Eine Kostenentscheidung war nicht erforderlich, da das Verfahren über die Erinnerung und über die Beschwerde gebührenfrei ist nach § 66 Abs. 8 Satz 1 GKG.

 

 

 

stats