LAG Nürnberg: Prozesskostenhilfe – Einigungsgebühr - Mehrvergleich
LAG Nürnberg, Urteil vom 26.7.2021 – 3 Ta 68/21
Volltext: BB-Online BBL2021-2355-4
Leitsatz
Wird Prozesskostenhilfe auch für einen Vergleich gewährt und der Anwalt beigeordnet, so fällt jedenfalls seit der Neufassung der Anm. 1 zu Nr. 1003 VV-RVG mit Geltung vom 01.01.2021 eine 1,5-Einigungsgebühr für den Vergleichsmehrwert an.
Sachverhalt
I.
Der Klägerin hat am 24.11.2020 Kündigungsschutzklage erhoben und zugleich Prozesskostenhilfe beantragt. Im Gütetermin vom 22.01.2021 (vgl. Sitzungsprotokoll; Bl. 21 ff der Akte) schlossen die Parteien nach Erörterung der Sach- und Rechtslage einen widerruflichen Vergleich unter anderem mit dem Inhalt der Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses und einer Arbeitsbescheinigung nach § 312 SGB III, welche in der Klageschrift nicht mitbeantragt gewesen waren. Vor Abschluss des widerruflichen Vergleichs beantragte die Klägerinvertreterin die Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf den beabsichtigten Vergleichsabschluss. Nach Abschluss des widerruflichen Vergleichs wurde der Klägerin Prozesskostenhilfe für die 1. Instanz bewilligt ab 24.11.2020 und Rechtsanwältin V… beigeordnet. Die Prozesskostenhilfe wurde auf den Vergleich erstreckt (vgl. Bl. 23 d. A.).
Mit Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 08.02.2021 (Bl. 26 d. A.) wurde der Wert des Streitgegenstandes für das Verfahren auf 6.228,00 Euro sowie für den Vergleich überschießend auf weitere 3.321,60 Euro festgesetzt.
Mit Kostenfestsetzungsantrag vom 15.02.20218 begehrte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin Vergütung aus der Staatskasse in Höhe von 1.696,94 Euro, hierin enthalten eine 1,5 Einigungsgebühr aus dem Vergleichsmehrwert.
Mit Beschluss vom 25.02.2021 (Bl. I des Kostenhefts) setzte das Arbeitsgericht einen Erstattungsbetrag von 1.514,28 Euro fest. Berücksichtigt dabei wurde eine 1,0 Einigungsgebühr aus dem Vergleichsmehrwert von 3.321,60 Euro mit der Begründung, dass aufgrund der Rechtsprechung des LAG Nürnberg bei Erstreckung der PKH auf den Vergleich und nach einer Erörterung der Sach- und Rechtslage im Termin eine Einigungsgebühr von 1,0 aus dem Gesamtvergleichswert festzusetzen ist. Die 1,5 Einigungsgebühr entfalle gänzlich.
Hiergegen richtet sich die Erinnerung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 21.04.2021. Nach ihrer Auffassung umfasst der gemäß §§ 45, 48 RVG gegen die Staatskasse gerichtete Vergütungsanspruch des beigeordneten Rechtsanwalts alle anfallenden Anwaltsgebühren, mithin auch eine 1,5 Einigungsgebühr. Zur Begründung wird auf den Schriftsatz vom 21.04.2021 vollständig Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat der Erinnerung mit Beschluss vom 27.04.2021 nicht abgeholfen und diesen der Kammervorsitzenden zur Entscheidung vorgelegt. Diese hat die Erinnerung mit Beschluss vom 20.05.2021 zurückgewiesen und die sofortige Beschwerde zugelassen.
Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat mit Schriftsatz vom 03.06.2021 sofortige Beschwerde eingelegt.
Mit Beschluss vom 10.06.2021 hat das Arbeitsgericht dieser sofortigen Beschwerde abgeholfen und eine 1,5-Gebühr in unstreitiger Höhe festgesetzt. Es hat die sofortige Beschwerde für die Staatskasse zugelassen, der Beschluss ist dem Bezirksrevisor am 14.06.2021 zugegangen.
Mit Schriftsatz vom 22.06.2021 hat der Bezirksrevisor sofortige Beschwerde gegen den Beschluss vom 10.06.2021 eingelegt, die beim Arbeitsgericht Nürnberg am 22.06.2021 eingegangen ist.
Er macht geltend, dass das Kostenrechtsänderungsgesetz nur die Entscheidung des BGH vom 17.01.2018, Az.: XII ZB 248/16, umgesetzt habe. In dieser gehe es jedoch nur um den Umfang der Beiordnung, nicht um die Höhe der Gebühren. Der Gesetzgeber habe weder VV 3104 Abs. 3 RVG noch VV 1003 Abs. 1 RVG angetastet. Die Rechtslage und die Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Nürnberg habe sich nicht geändert, dem Anwalt stünde nur eine 1,0 Einigungsgebühr für den Mehrvergleich zu.
Mit Beschluss vom 24.06.2021 hat das Arbeitsgericht Nürnberg der Beschwerde der Staatskasse nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht Nürnberg zur Entscheidung vorgelegt.
Das Landesarbeitsgericht Nürnberg hat mit Schreiben vom 28.06.2021 dem Bezirksrevisor und der Klägerinvertreterin Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Auf die Stellungnahme des Bezirksrevisors vom 14.07.2021 und die Stellungnahme der Klägerinvertreterin vom 14.07.2021 wird verwiesen.
Hinsichtlich des weiteren Sachverhaltes wird auf den Akteninhalt, namentlich das Beiheft über die Prozesskostenhilfe und das Kostenheft, verwiesen.
Aus den Gründen
II.
1. Die (befristete) Beschwerde der Staatskasse ist zulässig. Sie ist nach §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 2 RVG statthaft. Das Erstgericht hat die Beschwerde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zugelassen. Die Staatskasse hat die Beschwerde fristgerecht gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 3 RVG eingelegt.
2. Die Beschwerde ist aber nicht begründet. Das Beschwerdegericht folgt dem ausführlich und zutreffend begründeten Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg nach eigener Prüfung vollständig und macht ihn sich zu eigen wie folgt:
„Die Abhilfeentscheidung erweist sich als begründet, weshalb ihr abzuhelfen war, §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 4 Satz 1 RVG. Wird bei einem Mehrwertvergleich die Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe auf den Mehrwert des Vergleichs erstreckt und der Anwalt beigeordnet, so ist umstritten, ob aus dem Mehrwert die volle 1,5-Einigungsgebühr anfällt oder ob nur die ermäßigte 1,0-Verfahrensgebühr (Nr. 1003 VV-RVG) entsteht (umfassend zum Streitstand Mayer/Kroiß, 8. Aufl. 2021, RVG VV 1000 Rn. 21). Mit der Neufassung der Anm. I zu Nr. 1003 VV-RVG mit Geltung ab 01.01.2021 hat der Gesetzgeber diese Streitfrage dahingehend geklärt, dass die Erstreckung der Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe auf den Mehrwert eines Vergleichs nicht zu einer Ermäßigung führt.“
a) Maßgeblich für die Beurteilung dieser Frage sind die Anlage 1 des RVG sowie
§ 48 RVG in der durch das Kostenrechtsänderungsgesetz 2021 geänderten, ab 01.01.2021 geltenden Fassung. Zwar wird aus der Klageerhebung mit Schriftsatz vom 24.11.2020 ersichtlich, dass die Mandatierung von Rechtsanwältin V… vor Inkrafttreten des Kostenrechtsänderungsgesetzes 2021 erfolgt ist, § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG. Allerdings bezogen sich die Vergleichsverhandlungen auch - und soweit vorliegend entscheidungserheblich nur - auf nicht rechtshängige Gegenstände, nämlich den Mehrvergleich. Damit entstehen getrennte Einigungsgebühren aus dem Verfahrenswert sowie aus dem Vergleichsmehrwert, also keine nach dem zusammengerechneten Wert mehrerer Gegenstände bemessene Gebühren gem. § 60 Abs. 2 RVG (OLG Hamburg 23.09.2014 - 8 W 76/14 - juris). Deshalb bestimmt sich die Einigungsgebühr hinsichtlich der rechtshängigen Vergleichsgegenstände nach altem Recht, hinsichtlich des Vergleichsmehrwerts nach neuem Recht.
b) Nach Anm. I zu Nr. 1003 VV-RVG in der seit 01.01.2021 geltenden Fassung bleibt es zwar dabei, dass ein Verfahren über die Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe grundsätzlich auf eine Ermäßigung einer 1,0-Gebühr führt.
Allerdings erfasst nunmehr die Rückausnahme in Anm. I, Satz 1, Hs. 2 zu Nr. 1003 VV-RVG auch den Fall, dass „sich die Beiordnung auf den Abschluss eines Vertrags im Sinne der Nummer 1000 erstreckt (§ 48 I und III RVG).“ Damit ist nicht mehr nur die Beiordnung in einer Ehesache oder Lebenspartnerschaftssache (§ 48 Abs. 3 RVG) erfasst, sondern auch der Vergütungsanspruch gem. § 48 Abs. 1 RVG, welcher im neu eingefügten Satz 2 ausdrücklich bestimmt, dass der Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse im Falle der Erstreckung der Beiordnung auf den Abschluss eines Vergleichs alle gesetzlichen Gebühren und Auslagen umfasst, die durch die Tätigkeiten entstehen, die zur Herbeiführung der Einigung erforderlich sind. Die Beiordnung von Rechtsanwältin V… wurde mit Beschluss vom 22.01.2021 auf den Vergleich erstreckt. Damit greift die Rückausnahme in Anm. I, Satz 1, Hs. 2 zu Nr. 1003 VV-RVG und verbleibt die Einigungsgebühr bei 1,5.
Insofern führt der Regierungsentwurf des Kostenrechtsänderungsgesetzes 2021 ausdrücklich aus (BT-Drs. 19/23484, S. 79):
„Da die gesetzliche Vergütung von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten für die Mitwirkung an einem (Mehr-)Vergleich sich nicht in der Einigungsgebühr aus dem erhöhten Vergleichswert erschöpft, sondern sich auch auf die Differenzverfahrens- und die Differenzterminsgebühr erstreckt, widerspricht eine Beschränkung der Erstattungspflicht der Staatskasse auf die Einigungsgebühr nicht nur dem Grundsatz des § 45 Absatz 1 RVG, wonach beigeordnete Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte die gesetzliche Vergütung aus der Staatskasse erhalten. Es bleibt auch unberücksichtigt, dass die zuletzt genannten Differenzgebühren in einem engen Zusammenhang mit dem Abschluss des Mehrvergleichs stehen. Unbemittelte Verfahrensbeteiligte dürfen darauf vertrauen, aufgrund der für den Abschluss des Mehrvergleichs bewilligten Prozesskostenhilfe von sämtlichen Gebührenansprüchen freigestellt zu werden, die ihren beigeordneten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten zustehen.“
c) Angesichts dieser Klarstellung des Gesetzgebers kann auch offenbleiben, ob die andere Rückausnahme in Anm. I, Satz 1, Hs. 2 zu Nr. 1003 VV-RVG - „soweit nicht lediglich Prozesskostenhilfe für (…) die gerichtliche Protokollierung des Vergleichs beantragt wird“ - einschlägig ist, insbesondere ob sich das Wort „lediglich“ auf die Tätigkeit des Gerichts (Protokollierung) oder auf den Antrag bezieht (vgl. hierzu LAG Nürnberg 25.09.2019 - 5 Ta 96/19 einerseits, LAG Rheinland-Pfalz 08.01.2020 - 7 Ta 182/19 andererseits).
d) Damit beläuft sich die für den Vergleich zu gewährende Vergütung auf eine 1,0-Gebühr aus 6.228,- Euro sowie eine 1,5-Gebühr aus 3.321,60 Euro, versehen mit der Wertgrenze gem. § 15 Abs. 3 RVG, also eine 1,5-Gebühr aus 9.549,60 Euro, das heißt 1,5 mal 307,- Euro (§ 49 RVG a.F. - ne ultra petita). Zuzüglich 19% Umsatzsteuer beläuft sich die erhöhte Vergütung damit auf 182,66 Euro. Diese Berechnung ist auch nach Ansicht des Beschwerdegerichts richtig und wird von keiner Seite in Frage gestellt.
Damit war die unbegründete Beschwerde zurückzuweisen.
III.
1. Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden alleine ergehen, § 78 Satz 3 ArbGG.
2. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, da das Beschwerdeverfahren gebührenfrei ist und Kosten nicht erstattet werden, § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.