Thüringer LAG: Nichtigkeit einer Betriebsratswahl wegen willkürlicher Wählerliste
Thüringer LAG, Beschluss vom 24.6.2020 – 4 TaBV 12/19
Volltext des Beschlusses://BB-ONLINE BBL2020-1726-1
Leitsatz
Ein besonders grober und offensichtlicher zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl führender Verstoß kann vorliegen, wenn ein Wahlvorstand offensichtlich ungeeignete, unvollständige Informationen unklarer Herkunft (hier: im Betrieb kursierende Telefonliste unklarer Herkunft und Datierung) in eine Wähler*innenliste übernimmt, ohne den Versuch zu unternehmen, zu prüfen, ob die Personen überhaupt im Betrieb beschäftigt sind und wer nach §§ 7 und 8 BetrVG wahlberechtigt und wählbar ist, sowie ohne die Aktualität und Plausibilität der Informationen zu hinterfragen.
BetrVG §§ 7, 8, 19
Sachverhalt
I.
Die Beteiligten streiten im zweiten Rechtszug noch über die Nichtigkeit bzw. Unwirksamkeit einer am 5. und 6.4.2018 durchgeführten Betriebsratswahl.
Die Beteiligte zu 1 betreibt ein Unternehmen der Nahrungsmittelbranche. Im streitgegenständlichen Zeitraum war sie an drei Standorten tätig. Die Produktion befand sich in ……………………. Der Geschäftssitz und ein Verkaufsraum befanden sich in …………….. Die Bereiche Logistik und Verwaltung waren südlich von ………….. im …………………., von den Beteiligten intern auch oft "…………Kreuz" genannt. Die Einordnung der Standorte als Betriebe oder Betriebsteile und damit die Frage, welche Mitarbeiter*innen an der Betriebsratswahl teilzunehmen hatten, war zwischen den Beteiligten zum damaligen Zeitpunkt umstritten.
Mit Beschluss vom 23.1.2017 (Blatt 23 und 24 der Akte) bestellte der damalige Betriebsrat einen Wahlvorstand. Dieser hatte drei Mitglieder.
Ein mit dem damaligen Wahlvorstand und der Beteiligten zu 1 als Beteiligte geführtes Beschlussverfahren endete mit einem Vergleich gemäß § 278 Abs. 6 ZPO. Danach verpflichtete sich die Beteiligte zu 1, an den damaligen Wahlvorstand eine Liste mit allen im Betriebsteil ………….. beschäftigten Arbeitnehmer*innen mit näheren Angaben zu übergeben (Blatt 25 der Akte).
Der damalige Wahlvorstand forderte die Beteiligte zu 1 auf, ihm Informationen über die am Standort in …………… beschäftigten Mitarbeiter*innen zu geben, damit er eine Wählerliste erstellen kann. Dieser Aufforderung kam die Beteiligte zu 1 nicht nach.
Der Wahlvorstand nahm daraufhin eine Telefonliste und erstellte anhand derer eine Wählerliste für die Betriebsratswahl. Ob und gegebenenfalls welche weiteren Informationen er sich seinerzeit besorgte sowie ob überhaupt und gegebenenfalls wie die Angaben auf der Telefonliste auf Plausibilität und Aktualität überprüft wurden, ließ sich nicht weiter aufklären.
Am 26.2.2018 erstellte der damalige Wahlvorstand ein Wahlausschreiben und leitete die Betriebsratswahl durch Aushang dieses Wahlausschreibens am 28.2.2018 ein. In dem Wahlausschreiben ist unter anderem festgehalten, dass 31 wahlberechtigte Frauen und 33 wahlberechtigte Männer beschäftigt seien, der Betriebsrat aus fünf Mitgliedern zu bestehen habe und auf das Minderheitengeschlecht der Frauen zwei Mindestsitze entfielen. Bestandteil des Wahlausschreibens war die wie oben geschildert zustande gekommene Wählerliste. Wegen weiterer Einzelheiten des Inhaltes des Wahlausschreiben sowie der Wählerliste wird auf die zu den Akten gereichten Kopien hiervon (Blatt 26-31 der Akte) Bezug genommen.
Auf der Wählerliste waren Mitarbeiter*innen als wahlberechtigt aufgeführt, deren Arbeitsverhältnis am Wahltag nicht mehr bestand. Dabei handelte es sich um Frau …………., die Herren ……………., ……………., deren Arbeitsverhältnis am 31.3.2018 endete und Herr ………………., dessen Arbeitsverhältnis am 28.2.2018 endete. Ferner befand sich mit Herrn ……………. eine Person auf der Wählerliste, die nicht in einem Arbeitsverhältnis mit der Beteiligten zu 1 stand, sondern für „…………..“ einem Dienstleister für die Beteiligte zu 1, tätig war. Bei zahlreichen auf der Wählerliste aufgeführten Personen fehlen Angaben zur Betriebszugehörigkeit.
Am 5. und 6.4.2018 fand die Betriebsratswahl statt. Hinsichtlich des Ergebnisses wird auf die Wahlniederschrift (Blatt 32 und 33 der Akte) Bezug genommen. Ausweislich der Wahlniederschrift wurden 30 Wahlumschläge abgegeben. Am 6.4.2018 gab der damalige Wahlvorstand das Wahlergebnis der Beteiligten zu 1 bekannt. Die konstituierende Sitzung des Beteiligten zu 2 fand am 20.4.2018 statt.
Mit am 10.4.2018 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat der Beteiligte zu 1 die zunächst die Unwirksamkeit der Betriebsratswahl geltend gemacht und ausgeführt, die gravierenden Fehler könnten sogar zur Nichtigkeit der Wahl führen. Die Wahl beruhe auf unzutreffenden Wählerlisten und der Betriebsbegriff sei verkannt worden. Bei zwei weiteren Mitarbeitern Herrn ……… und Herrn ……… sei nicht geprüft worden, ob diese leitende Angestellte seien. Ferner hätten auf der Wählerliste die Mitarbeiter …………….., ………….., ………………. und …………… sowie die Mitarbeiterinnen ……………………. und …………… gefehlt.
Die Beteiligte zu 1 hat beantragt,
die am 5. April und 6.4.2018 durchgeführte Betriebsratswahl für unwirksam zu erklären.
Der Beteiligte zu 2 hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er ist der Ansicht gewesen, die Beteiligte zu 1 könne sich nicht auf die möglicherweise fehlerhafte Wählerliste berufen, weil sie ihrer Pflicht zur Informationserteilung an den Wahlvorstand gem. § 2 Abs. 2 WO nicht nachgekommen sei. Ferner verhalte sich die Beteiligte zu 1 widersprüchlich, weil sie einerseits behaupte, die am Standort in ………………………. beschäftigten Mitarbeiter*innen hätten nicht mitwählen dürfen und andererseits moniere, dass sechs Mitarbeiter*innen von dort nicht auf der Wählerliste stünden. Ferner falle das mögliche Fehlen von sechs Mitarbeiter*innen auf der Wählerliste bei mehr als 60 Wahlberechtigten nicht ins Gewicht. Das Arbeitsgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 13.3.2019 zurückgewiesen.
Die Beteiligte zu 1 könne sich wegen der von ihr selbst verursachten Wahllistenproblematik zur Begründung der Nichtigkeit der Wahl nicht darauf berufen. Außerdem stehe fest, dass sich etwaige Fehler nicht auf das Ergebnis ausgewirkt hätten. Wegen der weiteren Begründung im Einzelnen wird auf die Ausführungen auf den Seiten 7-8 des angefochtenen Beschlusses (Blatt 159 und 160 der Akte) Bezug genommen.
Gegen diesen ihr am 1.4.2019 zugestellten Beschluss hat die Beteiligte zu 1 mit am 25.4.2019 beim Thüringer Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt und mit am 22.5.2019 eingegangenen Schriftsatz begründet.
Das Arbeitsgericht setze sich nicht hinreichend mit dem Sachvortrag auseinander. Der Wahlvorstand habe nicht lediglich eine inhaltlich falsche Wählerliste, sondern eine Fantasieliste erstellt. Er habe sich anhand einer Telefonliste, auf der auch nicht Unternehmensangehörige aufgeführt gewesen seien und andererseits im Unternehmen arbeitende Mitarbeiter*innen gefehlt hätten, ungeprüft eine Wählerliste erstellt. Eine darauf basierende Wahl genüge nicht den Mindestanforderungen an eine durchzuführende demokratische Wahl. Es sei nicht klar, ob der Wahlvorstand seinerzeit eine ordnungsgemäße Wahl überhaupt habe durchführen wollen oder es sich um eine Art Trotzreaktion wegen der Weigerung, die Informationen zum Erstellen einer Wählerliste für die am Standort in ……………… Beschäftigten herauszugeben. Ließe man die Wahl aufgrund einer willkürlich erstellten Fantasiewählerliste zu, wären Missbrauchsgelegenheiten geschaffen. Hinzu komme, dass die Wählerliste auch tatsächlich inhaltlich falsch sei. Diese betreffe mindestens eine zweistellige Anzahl von Personen zähle man die auf der Wählerliste fehlenden und die fälschlicherweise auf der Wählerliste stehenden Personen zusammen. Wegen des weiteren Vortrages hierzu wird auf die Ausführungen im Schriftsatz der Beteiligten zu 1 vom 29.8.2019 (Blatt 213-220) sowie auf die handschriftlichen Bemerkungen auf der in Kopie beigefügt gewesenen Wählerliste (Blatt 221 bis 224 der Akte) Bezug genommen.
Die Beteiligte zu 1 beantragt,
der Beschluss des Arbeitsgerichts Erfurt vom 13. März 2019, 3 BV 51/18, wird abgeändert und die am 5. und 6.4.2018 durchgeführte Betriebsratswahl für unwirksam erklärt.
Der Beteiligte zu 2 beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Betriebsratswahl sei allenfalls anfechtbar bzw. unwirksam keinesfalls aber nichtig. Der Wahlvorstand sei nicht darauf beschränkt gewesen, eine Wählerliste anhand von Informationen, welche er von der Beteiligten zu 1 zu bekommen gehabt hätte, zu erstellen, sondern habe auch die Befugnis gehabt, sich die erforderlichen Informationen anderweitig zu besorgen. Es sei möglich, dass sechs Arbeitnehmer*innen auf der Wählerliste gefehlt hätten, jedoch könne dies die Wahl allenfalls unwirksam erscheinen lassen.
Das Gericht hat die Wahlunterlagen betreffend die angefochtene Wahl beigezogen (Verfügung 29.7.2019 IV 1. - Blatt 197 der Akte - Protokoll Anhörung vom 5.2.2020 Seite 2 - Blatt 259 d.A.).
Aus den Gründen
I. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist gem. § 89 Abs. 2 ArbGG hinreichend begründet. Die Beteiligte zu 1 rügt hinreichend deutlich, die Bewertung des Zustandekommens und der Fehlerhaftigkeit der Wählerliste als nicht genügend groben Verstoß gegen Wahlvorschriften für die Annahme der Nichtigkeit der angefochtenen Wahl. Die Ausführungen der Beschwerde hierzu sind gemessen an der Begründungstiefe der angefochtenen Entscheidung hinreichend. Den Ausführungen lässt sich auch entnehmen, dass die Beteiligte zu 1 die Annahme, das Wahlergebnis sei bei einer korrekten Wählerliste zwingend das gleiche gewesen, für nicht haltbar hält.
Die Beschwerde ist begründet.
Der Antrag ist zulässig und begründet. Es war deklaratorisch festzustellen, dass die Betriebsratswahl vom 5./6.4.2018 nichtig ist. Das wollte die Kammer mit dem sprachlich so nicht gelungenen Tenor zum Ausdruck bringen.
Die gebotene Auslegung des Antrages ergibt, dass die Beteiligte zu 1 nicht lediglich die Unwirksamkeit der Betriebsratswahl vom 5./6.4.2018 festgestellt wissen will, sondern die Feststellung der Nichtigkeit der Wahl begehrt. Zwar spricht der Wortlaut des Antrages dafür, dass lediglich die Feststellung der Unwirksamkeit der Wahl gewollt ist. Aber schon in der Antragsschrift weist die Beteiligte zu 1 darauf hin, dass die Fehler bei der Wahl derart gravierend sind, dass diese zur Nichtigkeit der Wahl führen müssten. Im zweiten Rechtszug konzentriert sich die Beteiligte zu 1 zur Begründung auf die Problematik um Erstellen und Inhalt der Wählerliste und betont durchweg auch durch textliche Hervorhebung, ihre Auffassung, dass die Wahl nichtig sei und sie dies festgestellt wissen wolle. Jedenfalls wenn sich aus der Begründung einer Wahlanfechtung die Auffassung der*s Anfechtenden ergibt, dass er*sie die Wahl für nichtig hält und dies in den Vordergrund stellt, ist der Anfechtungsantrag so auszulegen, dass auch die Nichtigkeit der Wahl festgestellt werden soll (arg. aus BAG 24. 1. 1964, 1 ABR 14/63).
Der so auszulegende Antrag ist zulässig.
Zweifel daran, dass die Beteiligte zu 1 antragsberechtigt ist bestehen nicht ernsthaft und auch die Form der Geltendmachung der Nichtigkeit begegnet keinen Bedenken.
In Ansehung des Streites über seinen Bestand ist der Beteiligte zu 2 als beteiligungsfähig anzusehen.
Wie bereits mit Verfügung vom 29.7.2019 unter I. (Bl. 196 der Akte) festgestellt, ist der Wahlvorstand als ehemaliger Beteiligter zu 3 nicht mehr beteiligt.
Der Antrag ist begründet.
Die Betriebsratswahl vom 5./6.4.2018 ist nichtig.
Die Einhaltung der - hier im Übrigen in Bezug auf die Anfechtung gewahrten - Frist des § 19 BetrVG ist für die Geltendmachung der Nichtigkeit nicht erforderlich.
Die Nichtigkeit einer Betriebsratswahl ist nur in ganz besonderen Ausnahmefällen anzunehmen, in denen gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl in so hohem Maße verstoßen worden ist, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr vorliegt. Es muss ein sowohl offensichtlicher als auch besonders grober Verstoß gegen Wahlvorschriften vorliegen (BAG, 19.11.2003, 7 ABR 24/03 [BB 2004, 1396 Ls], Rn. 27).
Die Erstellung einer Wählerliste unter einziger Zuhilfenahme einer Telefonliste ohzne jegliche Überprüfung deren Richtigkeit stellt einen offensichtlichen und groben Verstoß gegen die geltenden Wahltvorschriften dar
Ein solcher offensichtlicher und grober Verstoß gegen Wahlvorschriften liegt hier vor. Es liegt nicht der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl vor und der damalige Wahlvorstand hat auch nicht den Willen erkennen lassen, überhaupt eine ordnungsgemäße Wahl durchführen zu wollen.
Der Wahlvorstand hat aufgrund offensichtlich erkennbar ungeeigneter Informationen, einer Telefonliste, die Wählerliste erstellt. Er hat sich bei der Auswahl der Personen, die in die Wählerliste aufzunehmen sind, nicht ansatzweise erkennbar bemüht, diese aufgrund der Voraussetzungen der §§ 7 und 8 BetrVG über das aktive und passive Wahlrecht vorzunehmen. Im Ergebnis hat er so eine nicht ansatzweise den Anforderungen entsprechende und offensichtlich ungeeignete, grob fehlerhafte Wählerliste erstellt.
Im Einzelnen:
Die Vorschriften über Erstellen und Inhalt der Wählerliste sind wesentliche Wahlvorschriften. Nach § 2 Abs. 1 der 1. Verordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes (Wahlordnung-WO, fortan kurz: WO) ist zwingend für die Durchführung einer Betriebsratswahl eine Wählerliste zu erstellen. Das aktive und passive Wahlrecht steht nur Personen zu, die auf der Wählerliste eingetragen sind (§ 2 Abs. 3 WO). Mittelbar gibt die Wählerliste darüber Auskunft, wer einen Wahlvorschlag stützen kann. Bei Betrieben mit bis zu 50 Wahlberechtigten lässt sie darüber hinaus Folgerungen über die Betriebsratsgröße und das Geschlechterverhältnis zu. Die Wählerliste hat deshalb große Bedeutung für die Durchführung der Wahl.
Enthält die Wählerliste einfache Fehler oder wird sie – wie hier – nicht bei Änderungen wie dem Ausscheiden von Mitarbeiter*innen angepasst, führt das allein noch nicht zur Nichtigkeit einer Betriebsratswahl. Deshalb ist es für die Kammer nicht allein entscheidend, dass die Wählerliste hier konkret nicht den Vorgaben des § 2 Abs. 1 WO entspricht.
Die eigenmächtige Erstellung einer Wählerleiste führt grundsätzlich nicht per se zur Nichtigkeit sonder zur Anfechtbarkeit der Wahl, …
Es ist für die Kammer auch nicht entscheidend, dass die Wählerliste nicht anhand vom Arbeitgeber gem. § 2 Abs. 2 WO zur Verfügung gestellten Informationen erstellt worden ist. Bemüht sich ein Wahlvorstand angesichts der Weigerung eines*r Arbeitgebers*in, seiner*ihrer Pflicht nach § 2 Abs. 2 WO nachzukommen, anderweit um die entsprechenden Informationen und bemüht sich anhand dieser Informationen gewissenhaft darum, eine inhaltlich zutreffende, vollständige und plausible Wählerliste zu erstellen, führt dies ggf. zur Anfechtbarkeit aber nach Auffassung der Kammer noch nicht zur Nichtigkeit, wenn sich im Nachhinein deren Fehlerhaftigkeit herausstellt. In einem solchen Fall läge jedenfalls der Anschein einer ordnungsgemäßen Wahl vor.
… doch der beteiligte Whlvorstand stellte die Wählerliste willkürlich auf
So ist es hier nach den Feststellungen der Kammer aber nicht. Der damalige Wahlvorstand hat für die Wählerliste keine überprüfbaren und vollständigen Informationen zu Grunde gelegt und auch keine Überprüfung auf Aktualität und Plausibilität der Daten vorgenommen. Er hat schlicht eine Telefonliste, deren Urheberschaft unklar und deren Inhalt ungeprüft war, zur Grundlage für die Wählerliste gemacht. Damit hat er diese willkürlich erstellt und sich bei der Aufnahme in die Wählerliste nicht anhand des §§ 7 und 8 BetrVG daran orientiert, wer aktiv und passiv wahlberechtigt sein könnte. Er hat davon abgesehen, sein Recht aus § 2 Abs. 2 WO zum Beispiel im Wege der einstweiligen Verfügung durchzusetzen, obschon er sich der Möglichkeiten der Erlangung von Rechtsschutz, wie das andere mit Vergleich beendete Verfahren zeigte, bewusst war. Er hat damit nicht einmal den Anschein erweckt, eine den Vorschriften entsprechende Betriebsratswahl durchzuführen. Vielmehr hat er den Anschein erweckt, eine Wahl um der Wahl selbst durchführen zu wollen und dabei seine Vorstellung davon, welche Standorte eine betriebsratsfähige Einheit darstellen auf diesem Wege durchzusetzen.
Die zur Erstellung der Wählerliste im Hinblick auf die Arbeitnehmer*innen am Standort in …………………. verwendete Telefonliste enthielt auf den ersten Blick erkennbar keine geeigneten Informationen. Nach § 7 BetrVG ist für die Wahlberechtigung unter anderem das Lebensalter maßgeblich und nach § 8 BetrVG für das passive Wahlrecht unter anderem die Dauer der Betriebszugehörigkeit. Die Telefonliste (Seiten 1 und 2 der beigezogenen Wahlunterlagen) enthielt keine Informationen hierüber. Entsprechend fehlen diese Angaben in der Wählerliste. Diese genügt nicht ansatzweise den Anforderungen.
Es sind keinerlei Bemühungen erkennbar gewesen, die Angaben der Telefonliste vor Übernahme in die Wählerliste irgendwie auf Aktualität, inhaltliche Richtigkeit oder auch nur auf Plausibilität zu überprüfen. Welche Überlegungen bei der Zusammenstellung der Wählerliste eine Rolle gespielt haben und wie der Wahlvorstand im Einzelnen vorgegangen ist bei der Ermittlung der am Standort in ……………………….. Beschäftigten anhand der Telefonliste, ist nicht nachvollziehbar. Die so zustande gekommene Wählerliste ist willkürlich sowie offensichtlich unvollständig und grob fehlerhaft.
Auf die ausdrückliche Frage der Kammer in der Anhörung vom 5.2.2020, ob es noch möglich wäre vorzutragen, welche Bemühungen der damalige Wahlvorstand zur Überprüfung der zur Verfügung stehenden Daten unternommen hat oder auf welche Weise er entscheiden hat, wer von der Telefonliste auf die Wählerliste übernommen werden soll, wurde dies verneint. Auch die von der Kammer beigezogenen Wahlunterlagen geben keinerlei Aufschluss hierüber. Im Gegenteil, es ist offenbar ungeprüft der Inhalt der Telefonliste übernommen worden, ohne auch nur ansatzweise in Frage zu stellen, ob die aktuell ist, ob alle Mitarbeiter*innen aufgeführt sind usw. Das Vorgehen des Wahlvorstandes erweist sich damit als willkürlich.
Die so willkürlich zustande gekommene Wählerliste ist offensichtlich fehlerhaft und unvollständig. Unstreitig befand sich mindestens ein Mann, der nicht betriebsangehörig ist und von dem auch niemand behauptet hat, er könne als überlassener Arbeitnehmer aktiv wahlberechtig sein, auf der Wählerliste. Bei dem vom Wahlvorstand festgestellten und bekannt gemachten und damit offensichtlichen Verhältnis der Geschlechter von 31 zu 33 ist dies kein zu vernachlässigender Fehler. Außerdem fehlten 6 Mitarbeiter*innen auf der Wählerliste. Die Beteiligte zu 2 bestreitet dies nicht, hält es für möglich und trägt auch sonst nur spärlich vor. Aufgrund des gesamten Inhalts der Anhörung reicht für die Kammer die namentliche Benennung der Mitarbeiter*innen im Zusammenhang mit den anderen konkreten erwiesenen Behauptungen der Beteiligten zu 1 aus, um gem. § 286 ZPO zu der Überzeugung zu kommen, dass die 6 benannten Personen fehlerhaft nicht auf der Wählerliste waren. Wäre dies nicht der Fall, wäre zu erwarten gewesen, dass der Beteiligte zu 2 dies bestreitet und nicht nur versucht, den Fehler als für das Ergebnis nicht entscheidend darzustellen. Unbestritten und damit ebenso für die Entscheidung zu Grunde zu legen ist ferner die Tatsache, dass 4 Mitarbeiter*innen, die am Wahltag nicht wahlberechtigt waren, auf der Liste verblieben. Das dokumentiert, dass der Wahlvorstand nicht an der Durchführung einer dem Gesetz entsprechenden Wahl interessiert war.
Die Fehler sind damit auch grobe Fehler. Nicht nachvollziehbar ist die Wertung, die willkürlich zusammengestellte, offensichtlich grob fehlerhafte Wählerliste könne nicht zur Nichtigkeit der Wahl führen, weil es sich um einfache Fehler handele oder gar die Annahme, das Ergebnis der Wahl sei zwingend dasselbe gewesen, wären die Fehler vermieden worden, und deshalb sei nicht einmal eine Anfechtung begründet und damit erst recht die Wahl nicht nichtig.
Soweit insoweit eingewandt wird, 6 fehlende Wahlberechtigte fielen bei insgesamt 64 Wahlberechtigten nicht ins Gewicht, ist festzustellen, dass es sich dabei um fast 10 % der Wahlberechtigten handelt. Bei der sich aus der Wahlniederschrift abzuleitenden Wahlbeteiligung von unter 50 % (64 Wähler*innen bedeuten potenziell 64 Wahlumschläge; abgegeben wurden 30 Wahlumschläge) bedeuten 6 Wähler*innen potenziell bis zu 20 % der abgegebenen Stimmen, je nach Wahlbeteiligung dieser Wähler*innen.
Berücksichtigt man alle weiteren konkret behaupteten Fehler einschließlich der als wahlberechtigt aufgeführten möglichen leitenden Angestellten, erscheint es möglich, dass das Geschlechterverhältnis sich umkehrt, denn dann könnten 32 Frauen und 31 Männer beschäftigt sein. Dass nur offensichtliche Fehler zur Nichtigkeit führen können, steht der Berücksichtigung dieser Erwägungen nicht im Wege. Die offensichtlichen Fehler sind oben aufgezählt. Geht es um die Frage, ob diese gravierend sind, dürfen die Folgen in jede Richtung durchdacht werden. Fest steht, dass die Anzahl der weiblichen und männlichen Beschäftigten derart nahe beieinander liegt, dass sich kleine Fehler gravierend auswirken, selbst wenn die Frage der Einordnung als leitende*r Angestellte*r außer Betracht bliebe.
Die Kammer sah Anlass für die Zulassung der Rechtsbeschwerde.