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Arbeitsrecht
11.10.2019
Arbeitsrecht
LAG Berlin-Brand.:: Nachteilsausgleich nach Betriebsstillegung

LAG Berlin-Brand., Urteil vom 22.5.201915 SA 2497/18

ECLI: ECLI:DE:LAGBEBB:2019:0522.15SA2497.18.00

Volltext: BB-Online BBL2019-2484-4

Leitsatz

Auch wenn vorliegend mit der Stilllegung des Flugbetriebes durch die Freistellung und Kündigung von über 1.300 Pilotinnen und Piloten schon im November 2017 begonnen wurde, werden ausnahmsweise Nachteilsansprüche deswegen nicht begründet, da es zu dem „Ob“ der Betriebsstilllegung zu diesem Zeitpunkt keinerlei realistische Alternative gab.

Norm: § 210 InsO

Sachverhalt

Die Parteien streiten nur noch über Ansprüche auf Nachteilsausgleich. Das Arbeitsverhältnis ist wirksam durch Kündigung vom 27.01.2018 zum 30.04.2018 beendet worden.

Der Beklagte ist durch Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg, der am 17.01.2018 veröffentlicht wurde, zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der A. Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG (im Folgenden: Schuldnerin) mit Sitz in Berlin bestellt worden.

Die Klägerin (künftig: die klagende Partei) war bei der Schuldnerin in der Funktion als Flugbegleiterin beschäftigt. Die Betriebszugehörigkeit rechnete ab dem 15.09.1992. Das durchschnittliche Bruttomonatsentgelt betrug 3.592,42 €.

Bei der Schuldnerin handelte es sich im Jahre 2017 um die zweitgrößte Fluggesellschaft Deutschlands, die von ihren Drehkreuzen in Düsseldorf und Berlin-Tegel hauptsächlich Ziele überwiegend in ganz Europa anflog. Sie beschäftigte nach Angaben des Beklagten mit Stand August 2017 6.121 Beschäftigte, davon 1.318 Piloten, 3.362 Beschäftigte in der Kabine und 1.441 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Boden. Das fliegende Personal der Schuldnerin war in Deutschland an den Flughäfen Berlin-Tegel, Düsseldorf, München, Frankfurt, Nürnberg, Stuttgart, Leipzig, Köln, Hamburg und Paderborn stationiert.

Für das Kabinenpersonal wurde gemäß § 117 Absatz 2 BetrVG auf Basis des „Tarifvertrags Personalvertretung für das Kabinenpersonal der A. Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG“ (im Folgenden: TV PV) vom 07.06.2016 – abgeschlossen mit ver.di - eine Personalvertretung (im Folgenden: PV Kabine) gebildet. Für das Cockpitpersonal bestand eine gesonderte Personalvertretung (PV Cockpit) aufgrund eines Tarifvertrages, der mit der Vereinigung Cockpit (VC) abgeschlossen worden war. Für das Bodenpersonal waren drei Standortbetriebsräte nach dem BetrVG und ein Gesamtbetriebsrat gebildet worden. Der TV PV Kabine regelt unter anderem:

§ 2 Persönlicher Geltungsbereich

(1) Dieser Tarifvertrag gilt für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Kabinenpersonals der a., nachfolgend auch „Kabinenpersonal“ oder (zusammenfassend) Arbeitnehmer genannt.

…      

§ 80 Betriebsänderungen

Die a. hat die Personalvertretung über geplante Änderungen des Flugbetriebs, die wesentliche Nachteile für das Kabinenpersonal insgesamt oder erhebliche Teile des Kabinenpersonals zur Folge haben können, rechtzeitig und umfassend zu unterrichten und die geplante Änderungen mit der Personalvertretung zu beraten. …

Als Betriebsänderungen im Sinne des Satzes 1 gelten:

1. Einschränkung und Stilllegung des ganzen Flugbetriebes oder von wesentlichen Teilen …

…      

§ 83 Nachteilsausgleich

(1) Weicht die a. von einem Interessenausgleich über die geplante Betriebsänderung ohne zwingenden Grund ab, so können Arbeitnehmer, die infolge dieser Abweichung entlassen werden, beim Arbeitsgericht Klage erheben mit dem Antrag, die a. zur Zahlung von Abfindungen zu verurteilen; § 10 des Kündigungsschutzgesetzes gilt entsprechend.

(2) Erleiden Arbeitnehmer infolge einer Abweichung nach Absatz 1 andere wirtschaftliche Nachteile, so hat die a. diese Nachteile bis zu einem Zeitraum von zwölf Monaten auszugleichen.

(3) Die Abs. 1 und 2 gelten entsprechend, wenn die a. eine geplante Betriebsänderung nach § 80 durchführt, ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben, und infolge der Maßnahme Arbeitnehmer entlassen werden oder andere wirtschaftliche Nachteile erleiden.

Am 08.12.2016 einigte sich die Schuldnerin mit der Gewerkschaft ver.di auf einen „TV A. Berlin: Pakt für Wachstum und Beschäftigung“ (TV Pakt). Dieser sah unter anderem folgende Regelungen vor:

§ 1 Grundlagen des Pakts für Wachstum und Beschäftigung

(1) Das Management Board der A. Berlin hat am 27.09.2016 das neue Geschäftsmodell der A. Berlin auf Grundlage eines umfassenden Transformationsprozesses vorgestellt, welches den Bestand der Gesellschaft für die nächsten Jahre nachhaltig sichern soll.

(2) Aus Anlass bevorstehender Umstrukturierungsmaßnahmen – wie zum Beispiel Wetleases, Einbringung des touristischen Geschäfts mit der N.in ein von A. Berlin unabhängiges, europäisches Airline Joint Venture und Herausbildung der New A. Berlin – vereinbaren die Parteien zusammenzuwirken, um Wachstum für die A. Berlin in ihren neuen Märkten und Beschäftigung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Kabine zu sichern.

(3) Dabei ist sich A. Berlin der Verantwortung den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Kabine der A. Berlin gegenüber bewusst und nimmt die Sorgen und Ängste der Mitarbeiter ernst. Daher sagt A. Berlin hiermit zu, dass

• die heutigen Arbeitsverträge der A. Berlin Beschäftigten in der Kabine bestehen bleiben,

• Perspektiven für Wachstum, Karriereentwicklung und Beschäftigungssicherung in der Kabine geboten werden,

• die Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen Gültigkeit behalten,

• die Personalvertretung der A. Berlin Kabine im Amt bleibt und

• die ver.di weiterhin Tarifpartner bleibt.

§ 2 Perspektiven für Wachstum, Karriereentwicklung und Beschäftigungssicherung in der Kabine

(1) …

(2) A. Berlin geht bei erfolgreicher Umsetzung der Transformation nicht davon aus, betriebsbedingte Kündigungen durchführen zu müssen. Sollten diese, egal aus welchen Gründen, dennoch unvermeidbar werden, ist deren Ausspruch erst nach Abschluss eines Sozialtarifvertrages mit ver.di über einen Interessenausgleich und Sozialplan zulässig, der sich auf das gesamte Kabinenpersonal auf der Grundlage der Betriebszugehörigkeit ausrichtet.

(3) Interessenausgleichs-​/Sozialplanverhandlungen, deren Inhalt zur Umsetzung personeller Maßnahmen beschränkt ist auf Änderungskündigungen, sind weiterhin auf betrieblicher Ebene möglich. Sollten die Betriebsparteien nicht zu einer Einigung kommen, wird in Abweichung von § 81 TV PV nicht die Einigungsstelle angerufen, sondern ist ein Sozialtarifvertrag über einen Interessenausgleich und Sozialplan mit ver.di abzuschließen.

…   

Durch die Schuldnerin wurde am 15.08.2017 beim Amtsgericht Berlin-Charlottenburg ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt. Das Gericht hat mit Beschluss vom gleichen Tag die Eigenverwaltung angeordnet und den Beklagten zum vorläufigen Sachwalter bestellt.

Unter dem 02.10.2017 informierte die Schuldnerin die PV Kabine über das Ergebnis des Investorenprozesses und forderte sie zu Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan auf. Die gleiche Aufforderung erging an ver.di am 09.10.2017. Mit zwei Schreiben vom 12.10.2017 leitete die Schuldnerin das Konsultationsverfahren nach § 17 KSchG gegenüber der PV Kabine (Anl. B 14) und der PV Cockpit ein.

Am 23. Oktober 2017 einigte sich die Schuldnerin mit dem Gesamtbetriebsrat Boden auf eine Betriebsvereinbarung über die Errichtung einer Transfergesellschaft. Durch den Abschluss von dreiseitigen Verträgen beendeten danach ca. 250 Mitarbeiter zum 31. Oktober 2017 ihr Arbeitsverhältnis zur Schuldnerin und begründeten ab 01. November 2017 ein Arbeitsverhältnis zur Transfergesellschaft. Am 30. Oktober 2017 schloss die Schuldnerin mit dem Gesamtbetriebsrat Boden einen Interessenausgleich. Ende November 2017 wurde gegenüber allen verbleibenden Bodenmitarbeitern ohne Sonderkündigungsschutz die Kündigung ausgesprochen.

Am 27.10.2017 wurde der letzte eigenwirtschaftlich Flug der Schuldnerin durchgeführt.

Das Amtsgerichts Berlin-Charlottenburg eröffnete mit Beschluss vom 01.11.2017 auf der Grundlage des Gutachtens des vorläufigen Sachwalters, des späteren Beklagten, vom 27.10.2017 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und ordnete Eigenverwaltung an. Der Beklagte wurde zum Sachwalter bestellt. Dieser zeigte noch am gleichen Tage gegenüber dem Amtsgericht drohende Masseunzulänglichkeit gemäß § 208 Abs. 1 Satz 2 InsO an.

Am 17.11.2017 schloss die Schuldnerin mit der PV Cockpit einen Interessenausgleich und einen Insolvenzsozialplan. Darin wurde u.a. geregelt, dass die Arbeitnehmer des Cockpit-Personals an den Stationen Hamburg, Köln und Stuttgart zur Durchführung des Wet-Lease bis zum 31.01.2018 weiterbeschäftigt werden. Alle anderen Cockpitmitarbeiter sollten unverzüglich unwiderruflich freigestellt werden, was auch geschah. Unter dem 28.11.2017 sprach die Schuldnerin gegenüber allen Cockpit-Mitarbeitern Kündigungen zum 28.02.2018 aus, sofern kein Sonderkündigungsschutz bestand.

Am 21.11.2017 nahm die PV Kabine in einem Datenraum Einblick in die dort hinterlegten Dokumente. Sie verlangte die Einsicht in ungeschwärzte Dokumente, wozu die Schuldnerin unter Hinweis auf nicht vorliegende Zustimmungen der Erwerber nicht bereit war. Nachdem die Personalvertretung Verhandlungstermine ablehnte, erklärte die Schuldnerin am 30.11.2017 die Verhandlungen für gescheitert und betrieb das Verfahren zur Einsetzung einer Einigungsstelle. Im Anhörungstermin am 22.12.2017 einigten sich beide Seiten auf die Einrichtung einer Einigungsstelle für einen Interessenausgleich und Sozialplan.

Am 11.01.2018 erklärte sich die eingesetzte Einigungsstelle durch Spruch und unter Verweis auf § 2 Abs. 2 TV Pakt für unzuständig.

Am 30.04.2019 zeigte der Beklagte erneut die Neumasseunzulänglichkeit an. Das Insolvenzgericht ordnete mit Beschluss vom gleichen Tag an, dass die Zwangsvollstreckung von Massegläubigern wegen Neumasseverbindlichkeiten, die bis zum 30.04.2019 begründet wurden, unzulässig ist.

Die klagende Partei hat die Ansicht vertreten, ihr stünde ein Anspruch auf Nachteilsausgleich zu, da die Schuldnerin mit der Entlassung der Piloten im November 2017 die Betriebsstilllegung unumkehrbar in Gang gesetzt habe.

Die klagende Partei hat beantragt,

1. …  

2. …  

3. hilfsweise, für den Fall des Unterliegens mit dem Klageantrag zu 1., wird der Beklagte verurteilt, der Klägerin einen Nachteilsausgleich nach § 113 BetrVG und/oder § 83 des Tarifvertrags Personalvertretung (TV PV) für das Kabinenpersonal der A. Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.

äußerst hilfsweise

4. wird festgestellt, dass der Klägerin gemäß § 83 des Tarifvertrags Personalvertretung (TV PV) für das Kabinenpersonal der A. Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG ein Nachteilsausgleich, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird als Massenverbindlichkeit

gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO zusteht.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht Berlin hat die Klage insgesamt abgewiesen. Ein Anspruch auf Nachteilsausgleich bestehe nicht, da § 2 Abs. 2 TV Pakt zur Anwendung komme, der die Regelungen §§ 80ff TV PV verdränge.

Hiergegen richtet sich die Berufung der klagenden Partei. Im Gegensatz zur Auffassung des Arbeitsgerichts bestehe ein Anspruch auf Nachteilsausgleich. § 2 Abs. 2 TV Pakt verdränge nicht die Regelungen in §§ 80ff TV PV Kabine, denn der Tarifvertrag sei zur Beschäftigungssicherung gedacht gewesen. Mit der Kündigung der Piloten Ende 2017 seien unumkehrbare Maßnahmen durchgeführt worden.

Die klagende Partei beantragt sinngemäß

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 12.11.2018, Aktenzeichen 23 Ca 4737/18, teilweise abzuändern und

1. den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin einen Nachteilsausgleich nach § 113 BetrVG und/oder § 83 des Tarifvertrags Personalvertretung (TV PV) für das Kabinenpersonal der A. Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.

hilfsweise

2. festzustellen, dass der Klägerin gemäß § 83 des Tarifvertrags Personalvertretung (TV PV) für das Kabinenpersonal der A. Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG ein Nachteilsausgleich, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird als Massenverbindlichkeit

gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO zusteht.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hält die angegriffene erstinstanzliche Entscheidung für rechtlich zutreffend. Ein Anspruch auf Nachteilsausgleich bestehe nicht, da der TV Pakt die spätere und speziellere Regelung darstelle. § 4 Rahmentarifsozialplan Transfer habe die Kompetenzen nicht wieder auf die PV Kabine zurückverlagert. Der TV Pakt habe auch für den Fall einer Insolvenz Gültigkeit, wofür ein Infoblatt der Tarifkommission Kabine aus Dezember 2016 spreche.

Hinsichtlich des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Aus den Gründen

Die Berufung der klagenden Partei ist zulässig, aber unbegründet. Daher ist sie in vollem Umfang zurückzuweisen.

A.

Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der klagenden Partei ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und ordnungsgemäß begründet worden.

B.

Die Berufung ist aber nicht begründet. Ansprüche auf Nachteilsausgleich bestehen nicht. Daher war die Berufung zurückzuweisen.

I.

Im Ergebnis zu Recht hat das Arbeitsgericht den gestellten Zahlungsantrag zu 1) abgewiesen, denn die Klage ist insofern unzulässig.

Für Leistungsklagen fehlt das Rechtsschutzbedürfnis dann, wenn Masseverbindlichkeiten gemäß §§ 55 Abs. 1, 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO verfolgt werden und der Insolvenzverwalter Masseunzulänglichkeit angezeigt hat. Dies ergibt sich daraus, dass dann eine entsprechende Zwangsvollstreckung gemäß § 210 InsO unzulässig ist (BAG 11.12.2001 – 9 AZR 459/00 – juris Rn 17).

Bei geltend gemachten Nachteilsausgleichsansprüchen handelt es sich nicht um Neumasse-, sondern Altmasseverbindlichkeiten, wenn sie nach Insolvenzeröffnung und vor Anzeige der Neumasseunzulänglichkeit entstanden sind (BAG 22.11.2005 – 1 AZR 407/04 – juris Rn 17f). Der Anspruch auf Nachteilsausgleich entsteht, wenn ein Arbeitgeber mit der Durchführung der Betriebsänderung begonnen hat, ohne bis dahin einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben (BAG aaO Rn 31), wozu nach ständiger Rechtsprechung auch die Einschaltung der Einigungsstelle gehört.

Bei Anwendung dieser Grundsätze handelt es sich bei dem Anspruch auf Nachteilsausgleich anfangs um eine Neumasseverbindlichkeit, die im Wege der Leistungsklage verfolgt werden konnte. Die klagende Partei begründet den Anspruch mit Handlungen aus November 2017 (Freistellung und Kündigung der Crewmitglieder). Zu diesem Zeitpunkt war das Insolvenzverfahren schon eröffnet und eine erstmalige Anzeige der Neumasseunzulänglichkeit ebenfalls erfolgt.

Der Einwand des Insolvenzverwalters, es liege erneut Masseunzulänglichkeit vor, hat zur Folge, dass nur noch eine Feststellungsklage zulässig ist, solange eine auf die Neugläubiger entfallende Quote noch nicht feststeht (BGH 3.4.2003 – IX ZR 101/02 – juris Rn 39). Dem hat sich das BAG angeschlossen (BAG 22.7.2010 – 6 AZR 249/09 – juris Rn 27).

Vorliegend hat der Beklagte nicht nur diesen Einwand erhoben, sondern auch eine entsprechende Anzeige beim Insolvenzgericht angebracht. Dieses hat mit veröffentlichten Beschluss vom 30.4.2019 die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung angeordnet. Allein deswegen kann die hier verfolgte Forderung nur noch im Wege der Feststellungsklage geltend gemacht werden.

II.

Der hilfsweise gestellte Feststellungsantrag zu 2) ist zwar nach den vorangegangenen Erwägungen zulässig, aber nicht begründet. Ein Anspruch auf Nachteilsausgleich besteht nicht.

1. Geht man davon aus, dass auch im Falle einer Betriebsschließung gemäß § 2 Abs. 2 TV Pakt bei betriebsbedingten Kündigungen ein Sozialtarifvertrag über einen Interessenausgleich und Sozialplan mit der Gewerkschaft ver.di zu schließen ist, dann fehlt es an einer Anspruchsgrundlage für Nachteilausgleichsansprüche. Der Tarifvertrag regelt solche Ansprüche nicht. Dies ist auch konsequent, denn die Durchführung des Interessenausgleichs und der Ausgleich eventueller Nachteile sollen vor Ausspruch von Kündigungen in dem abzuschließenden Tarifvertrag geregelt werden. Insofern ist der Tarifvertrag nicht lückenhaft.

2. Doch auch wenn man davon ausgeht, dass der TV Pakt nicht zur Anwendung kommt, bestehen Nachteilsausgleichsansprüche nicht.

2.1 Nach Ansicht der hiesigen Kammer kommt der TV Pakt vorliegend für den Fall der Stilllegung des Flugbetriebes nicht zur Anwendung. Dies ergibt sich aus der Auslegung des Tarifvertrages.

Gemäß § 1 Abs. 1 des TV Pakt ist Grundlage für den Tarifvertrag das neue Geschäftsmodell, das die Unternehmensleitung am 27.09.2016 vorgestellt hatte. Basis ist insofern ein umfassender Transformationsprozess. In § 1 Abs. 2 des TV werden die bevorstehenden Umstrukturierungsmaßnahmen an drei Beispielen näher erläutert: das Touristikgeschäft soll ausgegliedert werden. Ein Bereich Wet-Lease soll neu gebildet werden, während das bisherige Eigengeschäft als „New A. Berlin“ bezeichnet wird. § 2 Abs. 2 TV Pakt geht „bei erfolgreichen Umsetzung der Transformation“ davon aus, dass betriebsbedingte Kündigungen nicht notwendig sind. Sollten diese aber, „egal aus welchen Gründen“, unvermeidbar werden, muss vor Ausspruch von Kündigungen ein Sozialtarifvertrag mit ver.di geschlossen werden.

All dies setzt denklogisch aber die Umsetzung des Transformationsprozesses voraus. Zu dessen Begleitung war der Tarifvertrag geschlossen worden. Zu der angedachten Transformation ist es jedoch gar nicht mehr gekommen. Selbst der Bereich Wet-Lease ist nicht unter einem eigenen AOC geführt worden. Das angedachte europäische Airline Joint Venture für das Touristikgeschäft war ebenfalls nicht gegründet worden. Die nun hier im Streit stehenden Kündigungen sind Folge einer Betriebsstilllegung, was das krasse Gegenteil einer Umstrukturierungsmaßnahme ist, die nach ihrer Intention auf Wachstum und Beschäftigungssicherung ausgerichtet war.

Ob nach erfolgter Transformation und dann anschließender Insolvenz der TV Pakt weiterhin hätte zur Anwendung kommen sollen, kann offen bleiben. Insofern kommt es auf den Inhalt des Flugblatts der Tarifkommission Kabine aus Dezember 2016 nicht an.

2.2 Doch auch wenn man mit der hier vertretenden Auffassung der Meinung ist, dass der TV Pakt nicht zur Anwendung kommt oder dieser die Regelungen im TV PV Kabine jedenfalls nicht verdrängt, dann ergibt sich der Anspruch nicht aus § 83 Abs. 3 TV PV Kabine.

2.2.1 Nach dieser Norm, die dem § 113 BetrVG nachgebildet ist, der jedoch wegen § 117 Abs. 2 BetrVG nicht zur Anwendung kommt, werden Nachteilsausgleichsansprüche dann begründet, wenn die Schuldnerin eine Betriebsänderung nach § 80 durchführt, ohne mit dem Betriebsrat (sic) einen Interessenausgleich versucht zu haben, und infolge der Maßnahme Arbeitnehmer entlassen werden.

2.2.2 Die Stilllegung des Flugbetriebes stellt nach § 80 TV PV ausdrücklich eine Betriebsänderung dar. Die Schuldnerin hat auch versucht, einen Interessenausgleich mit der PV Kabine zu erzielen. Sie hat diese u.a. mit Schreiben vom 02.10.2017, 12.10.2017 und 06.11.2017 bei vollständiger Informierung über den Sachverhalt zur entsprechenden Aufnahme von Verhandlungen aufgefordert. Am 30.11.2017 hat sie diese Verhandlungen für gescheitert erklärt und das Verfahren zur Einsetzung einer Einigungsstelle betrieben. Diese hat sich dann am 11.01.2018 für unzuständig erklärt. Als Versuch für einen Interessenausgleich ist dies nach ständiger Rechtsprechung ausreichend.

2.2.3 Dem steht nicht entgegen, dass die Schuldnerin den eigenwirtschaftlichen Flugbetrieb zum 27.10.2017 eingestellt oder schon im November 2017 gegenüber dem Cockpit- und Bodenpersonal Freistellungen erklärt und Kündigungen ausgesprochen hatte, nachdem zuvor mit den jeweiligen Interessenvertretungen Interessenausgleiche abgeschlossen worden waren.

Da die Einstellung der Produktion noch keinen Beginn der Betriebsstilllegung bedeutet (BAG 26.04.2007 – 8 AZR 695/05 – juris Rn 33), muss Gleiches für die reine Einstellung der Dienstleistung eines Flugbetriebes gelten. Mit einer Betriebsstilllegung wird allerdings begonnen, wenn der Arbeitgeber den betroffenen Arbeitnehmern Kündigungen ausspricht (BAG 16.05.2007 – 8 AZR 693/06 – juris Rn 29). Doch auch hieraus und den erfolgten Freistellungen anderer Beschäftigtengruppen, für die die PV Kabine nicht zuständig war, kann ein Nachteilsausgleichsanspruch nicht abgeleitet werden.

2.2.3.1 Schon nach dem Sinn und Zweck von Nachteilsansprüchen können hier Ansprüche nicht begründet werden. Bei solchen Normen handelt es sich um verschuldensunabhängige Sanktionen für betriebsverfassungswidriges Verhalten (DKKW-Däubler 16. Aufl. 2018 § 113 BetrVG Rn 10). Die Schuldnerin hat sich vorliegend nicht mitbestimmungswidrig verhalten, denn sie hat mit der PV Cockpit und dem GBR Boden jeweils einen entsprechenden Interessenausgleich abgeschlossen.

In der Rechtsprechung ist auch anerkannt, dass ein Interessenausgleich mit der zuständigen Interessenvertretung versucht werden muss. Werden mehrere Betriebe eines Unternehmens betroffen, ist zum Beispiel der Gesamtbetriebsrat zuständig (BAG 24.01.1996 – 1 AZR 542/95 – Rn 21; Richardi-Annuß 16. Aufl. 2018 § 113 BetrVG Rn 31). Vorliegend waren mehrere Betriebe betroffen. Da der Betriebsbegriff des BetrVG für im Flugbetrieb beschäftigte Arbeitnehmer nicht gilt, kann ein Betrieb im Sinne des § 4a Abs. 2 TVG nur ein Betrieb sein, der durch Tarifvertrag nach § 117 Abs. 2 BetrVG definiert wurde. Bei entsprechenden Tarifverträgen – wie hier – gelten dann das Cockpitpersonal und das Kabinenpersonal jeweils als eigener Betrieb (Richardi-Frost 16. Aufl. 2018 § 117 BetrVG Rn 24). Damit hat mitbestimmungsrechtlich die Schließung des Betriebes Cockpit keine Auswirkungen auf die Mitbestimmungsmöglichkeiten der PV Kabine. Die PV Kabine blieb ausschließlich für das Kabinenpersonal zuständig (vgl. auch § 2 TV PV Kabine). Ein übergeordnetes Gremium – analog dem Gesamtbetriebsrat – wurde von den Gewerkschaften Vereinigung Cockpit und ver.di nicht geschaffen. Deswegen kann es nur bei der jeweiligen Zuständigkeit der einzelnen Personalvertretungen verbleiben.

Auch wenn es an sich möglich gewesen wäre, im Luftfahrtbereich einen mehrgliedrigen Interessenausgleich (BAG 26.04.2007 – 8 AZR 695/05 – juris Rn 47) unter Einschluss der PV Kabine abzuschließen, bedeutet dies nicht umgekehrt, dass eine solche Pflicht zur Harmonisierung besteht. Eine solche Pflicht kann nicht hergeleitet werden, denn nach § 117 Abs. 2 BetrVG ist es ausschließlich Sache der Tarifvertragsparteien, in ihrem satzungsmäßigen Bereich entsprechende Mitbestimmungsrechte zu schaffen. Hierzu ist es aber gerade nicht gekommen. Eine Harmonisierung wäre auch für den Arbeitgeber nicht erzwingbar. Sie wäre auch nicht interessengerecht. So hatte zum Beispiel das Cockpitpersonal ein hohes Interesse daran, unwiderruflich freigestellt oder auch gekündigt zu werden, da ansonsten bei längeren Zeiten ohne Flugleistungen die Fluglizenzen erloschen wären. Diese Gefahr bestand jedenfalls für die überwiegende Anzahl der Cockpitmitarbeiter, die nicht noch im Wet-Lease eingesetzt waren.

2.2.3.2 Wenn man abweichend hiervon annimmt, dass ein einheitlicher Betrieb in mitbestimmungsrechtlicher Hinsicht vorliegt, dann ist auch dann ein Anspruch auf Nachteilsausgleich nicht gegeben.

Das BAG hat Nachteilsausgleichsansprüche dann angenommen, wenn im Falle der Insolvenz und im Hinblick auf eine geplante Betriebsschließung ein Arbeitgeber leitenden Angestellten kündigt. Darin liege die Auflösung einer Organisationsebene. Es werde die Betriebsorganisation aufgegeben und mit ihrer Zerstörung begonnen. Dies widerspreche dem Zweck der Pflicht zu Interessenausgleichsverhandlungen. Diese sollten nämlich ergebnisoffen sein. Der Entscheidungsspielraum der Verhandlungspartner sei erheblich eingeschränkt. Eine möglicherweise zu erzielende Betriebs- oder Teilbetriebsfortführung wäre ohne Leitungsebene nicht mehr oder nur erschwert möglich (BAG 04.06.2003 – 10 AZR 586/02 – juris Rn 38). Im Wesentlichen auf diese Gesichtspunkte stützt auch die Klägerseite ihre Ansprüche.

An anderer Stelle erkennt das BAG den Fall an, dass der Betrieb in der Insolvenz stillgelegt werden müsse (BAG 19.01.2000 – 4 AZR 911/98 – juris Rn 38). In einer weiteren Entscheidung wird betont, dass wegen einer „wirtschaftlichen Zwangslage“ die Betriebsstilllegung eine „unausweichliche Folge“ und „ohne sinnvolle Alternative“ sein kann. Doch auch dann verbliebe noch Raum für Interessenausgleichsverhandlungen. Dies wird damit begründet, dass es bei diesen Verhandlungen nicht nur um die Entscheidung gehe, ob überhaupt eine Betriebsänderung erfolgen solle, sondern regelmäßig auch Gegenstand sei, wie sie durchgeführt werden soll. Der Betriebsrat soll die Möglichkeit haben, auf Modalitäten wie den Zeitpunkt von Entlassungen und Freistellungen oder die Beschäftigung von Arbeitnehmern mit Abwicklungsarbeiten Einfluss zu nehmen (BAG 22.07.2003 – 1 AZR 541/02 – juris Rn 17). In der Literatur wird die Ansicht vertreten, dass in ganz besonderen Ausnahmefällen ein gänzlich unterbliebener Versuch eines Interessenausgleichs auf Basis einer teleologischen Reduktion des § 113 BetrVG dann unschädlich sei, wenn weder bezüglich des Ob noch des Wie der Durchführung der Betriebsänderung irgendwelche Änderungen möglich erscheinen (Fitting 29. Aufl. 2018 § 113 BetrVG Rn 15).

Das Gebot, Interessenausgleichsverhandlungen ergebnisoffen zu führen, setzt nach hiesiger Ansicht voraus, dass verschiedene Verhandlungsergebnisse möglich sind. Es geht immer um mögliche Alternativen. Diese müssen bei einer wirtschaftlichen Zwangslage auch nach der Rechtsprechung des BAG mindestens sinnvoll sein.

Auch wenn vorliegend mit der Stilllegung des Flugbetriebes durch die Freistellung und Kündigung von über 1.300 Pilotinnen und Piloten schon im November 2017 begonnen wurde, werden ausnahmsweise Nachteilsansprüche deswegen nicht begründet, da es zu dem „Ob“ der Betriebsstilllegung zu diesem Zeitpunkt keinerlei realistische Alternative gab. Der eigenwirtschaftliche Flugbetrieb konnte nach Stellung des Insolvenzantrages im August 2017 nur aufrechterhalten werden, weil die KfW ein Darlehen in Höhe von 150 Mio. € gewährt hatte. Der Bereich Wet-Lease lief vertraglich spätestens mit dem 31.01.2018 aus. Mit diesem Datum erlosch auch die Flugbetriebserlaubnis, die im November sogar nur bis zum 3.1.2018 bestand. Auch die PV Kabine hat zu keinem Zeitpunkt nur ansatzweise angedeutet, dass ihrer Ansicht nach die Fortsetzung des eigenen Betriebes möglich wäre. Sie hat zum einen ihre Unzuständigkeit im Hinblick auf § 2 Abs. 2 TV Pakt betont, andererseits aber auch zusätzliche Informationen in Hinblick auf einen ihrer Ansicht nach möglichen Betriebsübergang abgefordert. Eine übertragende Sanierung hatte aber auch die Schuldnerin in Betracht gezogen. Schon in der Verlautbarung vom 12.10.2017 war dann herausgestellt worden, dass entsprechende Angebote in annahmefähiger Form nicht vorlagen. Dies deckt sich mit der Beurteilung auch der hiesigen Kammer in Parallelfällen, wonach kein Betriebs(teil-) übergang vorlag. Damit war die Betriebsstilllegung alternativlos.

Auch wenn es insofern zu dem „Ob“ der Betriebsstilllegung für die PV Kabine keinen Verhandlungsspielraum gab, konnte mindestens noch sinnvoll darüber verhandelt werden, ob Kabinenbeschäftigte freigestellt oder ab wann sie gekündigt werden sollten. Dies ist aber auch erfolgt, wobei sich die Einigungsstelle letztlich am 11.01.2018 für unzuständig erklärt hat.

C.

Die klagende Partei hat die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 72 Abs. 2 ArbGG) sind nur erfüllt, soweit der Feststellungsantrag zu 2) (Nachteilsausgleich) abgewiesen wurde. Insofern weicht die hiesige Entscheidung von Urteilen der Kammer 11 des hiesigen LAG vom 09.04.2018 ab, mit denen Nachteilsausgleichsansprüche zugesprochen wurden. Im Übrigen liegen die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nicht vor. In diesem Umfang ist gegen dieses Urteil ein Rechtsmittel nicht gegeben.

 

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