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Arbeitsrecht
04.09.2024
Arbeitsrecht
LAG München: Mitarbeiterbeteiligungsprogramm: Verfall von ausübbaren virtuellen Optionen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses

LAG München, Urteil vom 7.2.2024 – 5 Sa 98/23

Volltext: BB-Online BBL2024-2041-1 

Leitsätze

Die Regelung eines sukzessiven Verfalls bereits ausübbar gewordener ("gevesteter") virtueller Optionen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist zulässig und benachteiligt den Kläger nicht unangemessen. Der Arbeitgeber ist berechtigt, die dem Arbeitnehmer mit den virtuellen Optionen zugewendete Gewinnchance nur befristet (hier auf einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses) einzuräumen. Der Grundsatz, dass bereits verdienter Lohn nicht mehr entzogen werden darf, wird dadurch nicht durchbrochen. Entzogen wird lediglich eine Verdienstchance: (virtuelle) Optionen bezwecken gerade nicht, dass die während des Arbeitsverhältnisses nicht eingetretene Realisierung eines Gewinns nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nachgeholt wird (im Anschluss an BAG 28.5.2008, 10 AZR 351/07). (Rn. 42 und 30)

1. Im Hinblick auf den spekulativen Charakter ist grundsätzlich auch eine Regelung zulässig, die den ersatzlosen Verfall aller Bezugsrechte bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Ablauf der Wartezeit vorsieht. Eine unangemessene Benachteiligung liegt bei einer solchen Regelung nicht vor, wenn ein ausgeschiedener Arbeitnehmer von einem erst nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses steigenden Aktienkurses nicht profitiert, da dem Arbeitnehmer kein Verdienst, sondern nur eine Verdienstchance entzogen wird. Dies gilt unabhängig von dem Beendigungsgrund.  (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)

2. Ein Fortbestehen des Bezugsrechts trotz Beendigung des Arbeitsverhältnisses kommt in Ausnahmefällen in Betracht, wenn der Eintritt der Bedingung gem. § 162 Abs. 2 BGB vom Arbeitgeber wider Treu und Glauben herbeigeführt wird.  (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)

BGB § 305, § 306, § 307 

 

Sachverhalt

Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf virtuelle Optionen.

Der Kläger war vom 01.04.2018 bis 31.08.2020 bei der Beklagten auf der Basis des Arbeitsvertrags vom 14.02.2018 (Bl. 7 ff. d.A.) angestellt, zuletzt als Senior Customer Success Manager – Strategic Accounts. Das Arbeitsverhältnis endete durch Eigenkündigung des Klägers vom 29.05.2020 zum 31.08.2020.

Am 24.08.2019 erhielt der Kläger ein Zuteilungsschreiben der Beklagten über 23 virtuelle Optionsrechte (sogenannter „Allowance Letter, in beglaubigter deutscher Übersetzung vorliegend als „Zuteilungsschreiben“ Bl. 242 ff. d.A.). Nach Abs. 2 des Zuteilungsschreibens muss der Kläger für die virtuellen Optionen keine Gegenleistung erbringen; vielmehr werden diese ausschließlich als Anreiz für die Zukunft und nicht für in der Vergangenheit erbrachte Leistungen gewährt. Abs. 6 des Zuteilungsschreibens verweist auf die dem Schreiben beigefügten ESOPs (Employee Stock Option Provisions), die in beglaubigter deutscher Übersetzung als „Mitarbeiterbeteiligungsprogramm (Oktober 2026)“ vorliegen (Bl. 214 ff d.A.) und den rechtlichen Rahmen für die Optionsrechte bilden, sofern im Zuteilungsschreiben nicht etwas Abweichendes vereinbart wurde. Als Anreiz für die Zukunft waren die Optionen nicht sofort mit Zuteilung ausübbar, sondern sollten über einen gewissen Zeitraum nach und nach ausübbar werden (sog. „vesten“). (Im Tatbestand des Ersturteils wurde „Vesting“ fälschlicherweise nicht mit „Ausübbarkeit“, sondern mit „Unverfallbarkeit“ übersetzt, nachdem die Parteien in der ersten Instanz noch keine beglaubigte Übersetzung des Mitarbeiterbeteiligungsprogramms in die deutsche Sprache vorgelegt hatten.)

Die im „Mitarbeiterbeteiligungsprogramm“ niedergelegten Bedingungen lauten auszugsweise wie folgt:

„2 ZUTEILUNG

Das Unternehmen kann einer berechtigten Partei eine bestimmte Anzahl virtueller Optionen in Form eines Zuteilungsschreibens („Zuteilungsschreiben“) anbieten. Die virtuellen Optionen sind an den Berechtigten auszugeben, wenn der Berechtigte das Angebot des Unternehmens, wie in dem Zuteilungsschreiben dargelegt, bedingungslos und innerhalb der darin festgelegten Frist annimmt. Maßgeblich Ist der Tag des Eingangs der Annahme bei dem Unternehmen. In dem Zuteilungsschreiben werden der Tag, an dem die virtuellen Optionen gewährt werden sollen („Zuteilungstag“), und der Basispreis gemäß Abschnitt 7 Abs. 1 festgelegt. Der Zuteilungstag kann vor dem Tag des tatsächlichen Eingangs des Zuteilungsschreibens festgelegt werden

3 AUSÜBBARKEIT (VESTING)

Die an den Berechtigten ausgegebene virtuelle Option wird wie folgt ausübbar:

3.1 Die Vesting-Periode beträgt vier Jahre und beginnt mit dem Zuteilungstag

3.2 25% der virtuellen Optionen werden nach Ablauf von zwölf (12) Monaten nach dem Zuteilungstag ausübbar („Vesting-Periode 1“)

3.3 1/36 des verbleibenden Teils der ausgegebenen virtuellen Optionen wird mit dem Ablauf jedes Monats, der auf die Vesting-Periode 1 folgt, ausübbar, d. h. nach 12 Monaten (24 Monate insgesamt, wenn Vesting-Periode 1 mitgerechnet wird) werden 50% (25% @ 25%) der virtuellen Optionen ausübbar („Vesting-Periode 2“)

3.4 Die Vesting-Periode wird ausgesetzt, wenn und solange der Berechtigte von seinen Pflichten gegenüber dem betreffenden Unternehmen der C. G. ohne Gehalt freigestellt ist (z. B. bei Berufsunfähigkeit, Elternzeit, unbezahltem Sabbatical oder anderen unbezahlten Unterbrechungen des Arbeitsverhältnisses/Dienstes)

3.5 Nach Ablauf von Vesting-Periode 1 und Vesting-Periode 2 werden die virtuellen Optionen vollständig ausübbar

3.6 Das Unternehmen kann die Bestimmungen dieses Abschnitts 3 im Zuteilungsschreiben für jeden Berechtigten ändern oder aussetzen

4. VERFALL DER VIRTUELLEN OPTIONEN

Die virtuellen Optionen verfallen gemäß diesem Abschnitt 4.

4.1 Virtuelle Optionen, die nicht gemäß dem vorstehenden Abschnitt 3 ausgeübt werden, verfallen, wenn das Arbeits- oder Dienstverhältnis des Berechtigten mit einem Unternehmen der C. G. vor einem Ausübungsereignis (wie nachstehend definiert) endet, ungeachtet des Grundes für dieses Ende (einschließlich dauerhafter Arbeitsunfähigkeit und Tod). Wenn der Berechtigte eine organschaftliche Stellung bei einem Unternehmen der C. G. innehat, verfallen diese nicht ausgeübten virtuellen Optionen ebenfalls, sofern nichts anderes vereinbart wurde, wenn eine solche organschaftliche Stellung vor einem Ausübungsereignis (wie unten definiert) endet, ungeachtet des Grundes für dieses Ende (einschließlich dauerhafter Arbeitsunfähigkeit und Tod)

4.2 Virtuelle Optionen, die gemäß dem vorstehenden Abschnitt 3 ausübbar sind, verfallen, wenn das Anstellungs- oder Dienstverhältnis des Berechtigten mit einem Unternehmen der C. G. vor einem Ausübungsereignis durch Kündigung des Berechtigten oder durch verhaltensbedingte Kündigung oder Kündigung aus wichtigem Grund gemäß § 626 BGB durch ein Unternehmen der C. G. endet.

4.3 Wenn der Berechtigte eine organschaftliche Stellung bei einem Unternehmen der C. G. innehat, verfallen diese ausübbaren virtuellen Optionen, wenn der Berechtigte von einer solchen organschaftlichen Stellung zurücktritt (sofern nichts anderes vereinbart wurde) oder wenn das Unternehmen den Berechtigten aus Verhaltensgründen von einer solchen organschaftlichen Stellung abberuft.

4.4 Darüber hinaus verfallen alle ausübbaren und nicht ausübbaren virtuellen Optionen,

4.4.1 wenn der Berechtigte die virtuellen Optionen verkauft, verpfändet. abtritt oder überträgt oder eine andere Vereinbarung eingeht, die zu einem ähnlichen wirtschaftlichen Ergebnis führt

4.4.2 wenn der Berechtigte gegen wesentliche Bestimmungen des ESOP verstößt und der Verstoß nicht sofort nach Mitteilung abgestellt wird;

4.4.3 nach Ablauf des Ausübungszeitraums gemäß Abschnitt 6, soweit die virtuellen Optionen nicht innerhalb des Ausübungszeitraums gemäß Abschnitt 6 durch Ausübungserklärung ausgeübt worden sind;

4.4.4 wenn der Berechtigte seine Verpflichtungen zur Geheimhaltung des Inhalts des ESOP gemäß Abschnitt 14 unten verletzt;

4.4,5 wenn der Berechtigte ein Insolvenz-, Zwangsverwaltungs-, Konkurs- oder ähnliches Verfahren beantragt oder wenn ein solches Verfahren über das Vermögen des Berechtigten eröffnet wird;

4.4.6 15 Jahre nach dem Zuteilungstag, oder

4.4.7 wenn der Berechtigte verstirbt

4.5 Virtuelle Optionen. die bereits ausübbar sind und nicht gemäß den vorstehenden Abschnitten 4.1-4.3 verfallen, verfallen gemäß der folgenden Tabelle, wenn das Anstellungs- oder Dienstverhältnis des Berechtigten mit einem Unternehmen der C. G. vor einem Ausübungsereignis endet, Dies gilt entsprechend für virtuelle Optionen von Berechtigten, die eine organschaftliche Stellung bei einem Unternehmen der C. G. innehaben, wenn die organschaftliche Stellung vor einem Ausübungsereignis endet,

 

  

Zeitraum nach Ende der Anstellung/ organ-

schaftlichen Stellung

Verfallende ausübbare

virtuelle Optionen

Ausübbare virtuelle

Optionen, die dem

Berechtigten verbleiben

länger als 3 Monate

12,50 %

87,50 %

 

länger als 6 Monate

25,00 %

75,00 %

 

länger als 9 Monate

37,50 %

62,50 %

 

länger als 12 Monate

50,00 %

 

50,00 %

länger als 15 Monate

62,50 %

 

37,50 %

länger als 18 Monate

75,00 %

 

25,00 %

länger als 21 Monate

87,50 %

 

12,50 %

länger als 24 Monate

100,00 %

 

0,00 %

 

5. ANPASSUNG VON VIRTUELLEN OPTIONEN

5.1 Sofern nicht ausdrücklich in diesem Abschnitt 5 aufgeführt, sind die virtuellen Optionen nicht vor einer Verwässerung infolge von Änderungen des Aktienkapitals des Unternehmens geschützt,

5.2 Wird im Zusammenhang mit einem Ausübungsereignis das Verhältnis der von einem Berechtigten gehaltenen virtuellen Optionen zum gesamten Aktienkapital des Unternehmens durch

5.2.1 eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln oder

5.2.2 eine andere wirtschaftlich und rechtlich vergleichbare Maßnahme verringert, so wird dem jeweiligen Berechtigten eine zusätzliche Anzahl virtueller Optionen gewährt, bis das ursprüngliche Verhältnis der von dem Berechtigten gehaltenen virtuellen Optionen zum gesamten Aktienkapital des Unternehmens wiederhergestellt ist.

5.3 Wird im Zusammenhang mit einem Ausübungsereignis das Verhältnis der von einem Berechtigten gehaltenen virtuellen Optionen im Vergleich zum gesamten Aktienkapital des Unternehmens durch

5.3.1 eine vereinfachte Kapitalherabsetzung oder

5.3.2 eine andere wirtschaftlich oder rechtlich vergleichbare Maßnahme erhöht, so wird die Anzahl der von dem Berechtigten gehaltenen virtuellen Optionen so weit herabgesetzt, bis das ursprüngliche Verhältnis der von dem Berechtigten gehaltenen virtuellen Optionen zum gesamten Aktienkapital des Unternehmens wiederhergestellt ist

5.4 Eine Erhöhung oder Herabsetzung der virtuellen Optionen erfolgt nach billigem Ermessen der Geschäftsführung des Unternehmens (S. 315 BGB) mit Zustimmung der Gesellschafterversammlung. Der erhöhte oder reduzierte Betrag wird dem Berechtigten schriftlich mitgeteilt

5.5 Für die Zwecke der Ausübbarkeit der virtuellen Optionen gemäß dem vorstehenden gelten alle virtuellen Optionen, die den Berechtigten gemäß diesem Abschnitt 5 zugeteilt werden, als am Zuteilungstag gewährt.

5.6 Für Streitigkeiten zu diesem Abschnitt 5 gilt Abschnitt 8.4 entsprechend

6. AUSÜBUNG DER VIRTUELLEN OPTIONEN

6.1 Der Berechtigte ist zur Ausübung von virtuellen Optionen berechtigt, wenn

6.1.1 die virtuellen Optionen gemäß Abschnitt 3 ausübbar sind;

6.1.2 die virtuellen Optionen nicht gemäß Abschnitt 4 verfallen sind und

6.1.3 ein Ausübungsereignis gemäß Abschnitt 6.2 unten eingetreten ist.

(…)“

Zum Zeitpunkt des Ausscheidens des Klägers am 31.08.2020 waren 31,25% der Optionsrechte des Klägers am 31.08.2020 ausübbar, was 7,1875 Stück virtuellen Optionen entspricht. Nach dem Ausscheiden des Klägers gab es bei der Beklagten einen sogenannten Stock Split im Verhältnis von 1:20. Jede Aktie vor dem Split entsprach demnach 20 Aktien nach dem Split.

Im Jahr 2022 änderte die Beklagte für alle Bestandsmitarbeiter die ESOPs und verzichtete auf die Klausel zum automatischen Verfall der Optionsrechte für alle zukünftigen Austritte ab dem 01.03.2022.

Mit Schreiben vom 02.06.2022 (Bl. 23 f. d.A.) machte der Kläger seine Ansprüche auf die virtuellen Optionen geltend. Die Beklagte lehnte den Anspruch des Klägers ab.

Mit seiner am 20.08.2022 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Feststellung begehrt, dass die ihm zugeteilten und gevesteten virtuellen Optionen im Umfang von 143,75 Stück nicht aufgrund seiner Eigenkündigung verfallen sind und seinen Anspruch auf § 611a Abs. 2 BGB i.V.m. dem Zuteilungsschreiben vom 24.08.2019 gestützt. Die virtuellen Optionen seien ein essenzieller Bestandteil des Vergütungspakets der Arbeitnehmer und könnten nicht einfach wieder „entfernt“ werden. Ein solch nachträglicher Verfall sei zudem eine unsachgemäße Kündigungserschwerung und benachteilige den Kläger unangemessen. Bei den gewährten Optionen handele sich um einen Gehaltsbestandteil, da bereits in der Ausschreibung für die Stelle des Klägers die Beklagte mit einem attraktiven Vergütungsmodell mit „Anteils-Paketen“ geworben habe. Auch sei die Anreizfunktion des Zuteilungsschreibens erfüllt, da der Kläger die im Zuteilungsschreiben erwähnte „Zukunft“ bei der Beklagten tatsächlich verbracht habe, nämlich weitere 15 Monate. Damit habe der Kläger seine Gegenleistung erbracht.

Der Entzug von bereits erarbeitetem Entgelt durch eine Verfallklausel widerspreche dem Grundgedanken des § 611a BGB. Auch habe die Beklagte keinen Grund vorgetragen, warum die Verfallklausel in dem konkreten Fall wirksam sein solle. Zudem unterscheide die Verfallklausel nicht danach, aus welchem Grund das Arbeitsverhältnis beendet wurde. Damit seien auch solche Konstellation eingeschlossen, in denen das vertragswidrige Verhalten der Beklagten eine Kündigung des Arbeitnehmers veranlasst. Zudem habe die Beklagte eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung geschaffen, indem von diesem nachträglichen Verfall diejenigen Mitarbeiter ausgenommen seien, die am oder nach dem 01.03.2022 ihr Arbeitsverhältnis gekündigt hätten.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

Es wird festgestellt, dass die dem Kläger mit dem Allowance Letter vom 24.08.2019 zugeteilten und bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses gevesteten 143,75 Stück Virtuelle Optionen an der C. nicht aufgrund der Eigenkündigung des Klägers vom 29.05.2020 verfallen sind.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die virtuellen Optionsrechte seien aufgrund der Eigenkündigung des Klägers zum 31.08.2020 zwischenzeitlich verfallen und sich auf die Verfallregelungen in Ziffer 4.5 der damals geltenden ESOPs berufen. Die Gewährung der Optionsrechte erfolge allein zur Belohnung der Betriebstreue und habe deshalb keinen Entgeltcharakter. Der Kläger habe für die Optionsrechte auch keine Gegenleistung erbringen müssen bzw. habe eine solche auch nicht erbracht. Es handele sich lediglich um eine Erwerbschance, so dass bei einem Verfall dieser Chance keine Abweichung von § 611a BGB vorliege, da gerade nicht erdienter Lohn entzogen werde. Auch aus dem Arbeitsvertrag ergebe sich kein Anspruch auf die Gewährung von ausübbaren Optionsrechten. Der Arbeitsvertrag regele abschließend die von der Beklagten geschuldete Arbeitsvergütung. Die Zuteilung von virtuellen Optionsrechten sei dort nicht erwähnt. Bei den virtuellen Optionen handele es sich um eine freiwillige Leistung der Beklagten, auf die der Kläger keinen vertraglichen Anspruch habe.

Die Verfallklausel verfolge den Zweck, eine Bindungswirkung zu erzielen und für die Arbeitnehmer über den reinen Vesting-Zeitraum hinaus bis zum Eintritt eines Ausübungsereignisses einen Anreiz zu schaffen, dem Unternehmen treu zu bleiben. Es sei auch zu beachten, dass die virtuellen Optionsrechte vorliegend nicht sofort bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses verfallen, sondern erst linear über einen Zeitraum von zwei Jahren. Auch sei aufgrund des hochspekulativen Charakters von Optionsrechten die Verfallklausel nicht zu beanstanden. Eine Ungleichbehandlung liege nicht vor; die Änderung der ESOPs. im Jahr 2022 habe keine Auswirkungen auf die Rechtsposition des Klägers. Es handele sich vielmehr um eine Stichtagsentscheidung, die sich für alle am 01.03.2022 beschäftigten Mitarbeiter gleichermaßen positiv auswirke. Der Kläger habe sich nicht in einer vergleichbaren Position befunden, da er zum Stichtag 01.03.2022 kein Bestandsmitarbeiter mehr war.

Das Arbeitsgericht München hat mit seinem Urteil vom 18.01.2023, Az. 20 Ca 7325/22, auf das wegen des unstreitigen und streitigen Vorbringens der Parteien im Ersten Rechtszug im Übrigen, sowie hinsichtlich der Entscheidungsgründe im Einzelnen Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass entsprechend dem Urteil des BAG vom 28.05.2008, 10 AZR 351/07 [BB 2009, 168 Ls.] bei der Gewährung von virtuellen Optionsrechten als freiwillige Leistung des Arbeitgebers aufgrund der Tatsache, dass es sich nicht um einen bereits verdienten finanziellen Vorteil handele, sondern lediglich um eine Gewinnchance, eine Verfallsregelung aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses die lediglich eine längere „Spekulationsfrist“ abschneide, zulässig ist.

Dem Anspruch des Klägers stehe daher die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die Eigenkündigung des Klägers vom 29.05.2020 zum 31.08.2020 entgegen. Ziffer 4.5 der ESOPs Oktober 2016 beinhalte einen linearen Verfall bereits ausübbar gewordener virtueller Optionen über 24 Monate, wenn das Arbeitsverhältnis – wie vorliegend – vor einem Ausübungsereignis ende. Nachdem bereits mehr als 24 Monate nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.08.2020 vergangen seien, seien die Voraussetzungen dieser Verfallklausel gegeben.

Eine unangemessene Benachteiligung des Klägers durch die in AGB getroffenen Regelungen im Sinne des § 307 Abs. 1 BGB liege nicht vor. Der Wortlaut der Ziffer 4.5 der ESOPs Oktober 2016 sei eindeutig und die Regelung bei der gebotenen typisierenden Abwägung interessengerecht. Die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für bestimmte Sonderleistungen könnten hinsichtlich der Zulässigkeit von Verfallklauseln nicht uneingeschränkt auf Aktienoptionen bzw. virtuelle Optionen übertragen werden, da diese einen deutlich höheren spekulativen Charakter aufwiesen. Auch bei guten eigenen Leistungen und einem guten unternehmerischen Ergebnis könne der bezugsberechtigte Arbeitnehmer nicht verlässlich mit der Werthaltigkeit der Optionen rechnen. Vor diesem Hintergrund könne ein schutzwürdiges Interesse des Arbeitnehmers auf den Fortbestand und die Werthaltigkeit seiner Optionsrechte nur sehr eingeschränkt entstehen. Daher sei dem Arbeitnehmer eine Koppelung des weiteren Bestands der Optionen an das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses eher zuzumuten als bei anderen Sonderleistungen, denn eine Erwerbschance müsse nicht im gleichen Maße arbeitsrechtlich geschützt werden, wie gesicherte Vergütungsbestandteile.

Anders als bei der Höhe nach feststehenden Sonderzahlungen sei aufgrund der Ungewissheit der Realisierung und des dann bestehenden Wertes eine von einem Wert abhängige Bindungsdauer bei Optionen kein zulässiges Kriterium für eine solche Bindungsdauer. Aufgrund des spekulativen Charakters der Optionen ergibt sich eine unangemessene Benachteiligung der Regelung in Ziffer 4.5 der ESOPs Oktober 2016 auch nicht daraus, dass die Regelung nicht danach unterscheide, wer den Beendigungstatbestand gesetzt bzw. verursacht hat. Im Fall des Ausscheidens vor einem Ausübungsereignis hat sich die in der Option liegende Gewinnchance nicht realisiert. Dem Arbeitnehmer werde dadurch keine bereits erdiente Vergütung, sondern lediglich eine Gewinnchance entzogen.

Auch sei in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass nach Ausscheiden des Arbeitnehmers die Anreizwirkung, insbesondere für eine langfristige Bindung an und einen Einsatz für das Unternehmen, nicht mehr gegeben ist. Die während des Arbeitsverhältnisses nicht erfolgte Realisierung eines Gewinns müsse nicht nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nachgeholt werden. Mit dem Ausscheiden des Arbeitnehmers entfalle auch das Interesse des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer weiterhin an der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens partizipieren zu lassen. Dem Zweck der Optionsgewährung sei vorliegend ein hohes Gewicht beizumessen, da die Optionsgewährung selbst nicht auf einer vertraglichen Verpflichtung beruht, sondern auf einer freiwilligen unternehmerischen Entscheidung. In diesem Fall sei es auch angemessen, die in der Option verkörperte Chance an Bedingungen zu knüpfen, die sich mit der Zielrichtung des Optionsprogramms begründen lassen.

Zudem könne aus der Regelung des § 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG abgeleitet werden, dass auch der Gesetzgeber gewährleisten wolle, dass Aktienoptionsprogramme auf eine langfristige Anreizwirkung ausgelegt werden. Zwar gehe es in § 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG um die Wartezeit für die Ausübung der gewährten Optionsrechte. Allerdings sei dennoch auf Verfallklauseln wie der vorliegenden der Gedanke der Regelung übertragbar: Die Anreize für langfristiges Handeln sollten gesteigert werden. Demzufolge sei die Mindestwartezeit durch das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) in 2009 auch von zwei auf vier Jahre erhöht worden. Daraus könne auch für Verfallklauseln der gesetzliche Gedanke fruchtbar gemacht werden, dass eine zeitliche Bindung zulässig ist und gerade kein Abweichen von einer gesetzlichen Regelung darstellt.

Schließlich sei zu beachten, dass die Regelung in Ziffer 4.5 der ESOPs Oktober 2016 keinen sofortigen Verfall der virtuellen Optionen vorsehe wie in dem Fall, der der Entscheidung des BAG vom 28.05.2008 zugrunde gelegen habe, sondern einen linearen Verfall über 24 Monate.

Ein Anspruch des Klägers folge auch nicht aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz im Arbeitsrecht. Dieser gebiete dem Arbeitgeber, seine Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung einer selbst gesetzten Regel gleich zu behandeln. Mit der generellen Aufhebung seiner bisherigen Regelung liege ein sachliches Differenzierungsmerkmal für den Arbeitgeber vor: Stichtagsregelungen als sog. „Typisierung in der Zeit” seien ungeachtet der damit verbundenen Härten zur Abgrenzung des begünstigten Personenkreises zulässig, sofern sich die Wahl des Zeitpunkts am zu regelnden Sachverhalt orientiere und die Interessenlage der Betroffenen angemessen erfasse (BAG 28.07.2004, 10 AZR 19/0[4], NJW 2004, 3652, beck-online). Auch diese Voraussetzungen seien gegeben. Die Zielsetzung, auf Wunsch der dann noch beschäftigten Bestandsmitarbeiter diese dafür zu belohnen, dass sie über die gesamte Wachstumsphase des Unternehmens diesem treu geblieben sind, sei gerade mit dem durch Optionen verbundenen Zweck – Bindung der Mitarbeiter – vereinbar und daher interessengerecht.

Gegen dieses Urteil vom 18.01.2023, dem Kläger zugestellt am 08.02.2023, legte dieser am 15.02.2023 Berufung ein, welche er mit einem am 30.03.2023 eingegangenen Schriftsatz begründete.

Der Kläger macht mit seiner Berufung im Wesentlichen geltend, dass die rechtliche Würdigung des Arbeitsgerichts unzutreffend ist. Nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses dürften virtuelle Optionsrechte, soweit diese unverfallbar waren, nicht mehr verfallen, da der Kläger seine Leistung bereits erbracht habe. Der im Wege von AGB geregelte lineare Verfall der Optionsrechte innerhalb von zwei Jahren (je 12,5 Prozent pro Quartal) sei wegen des Entgeltscharakters unwirksam. Die vom Arbeitsgericht zitierte Entscheidung des BAG vom 28.05.2008, 10 AZR 351/07 [BB 2009, 168 Ls.], sowie auch die Entscheidung des Arbeitsgerichts, negierten das bestehende Synalagma. Der Kläger habe die Ausübbarkeit der Optionen durch die Erbringung der Arbeitsleistung in der Wartezeit erarbeitet. Dies sei auch die herrschende Meinung in der Literatur und es sei mit einer Änderung der Rechtsprechung des BAG zu rechnen. Der Wert der Optionen sei bereits daraus ersichtlich, dass diese handelbar und für einen erheblichen Wert verkäuflich gewesen seien. Für den ausführlichen Sach- und Rechtsvortrag des Klägers wird auf seine Schriftsätze vom 30.03.2023 und 10.07.2023 sowie seinen Schriftsatz vom 31.08.2023 samt Anlagen Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 18.01.2023, Az. 20 Ca 7325/22 abgeändert und es wird festgestellt, dass die dem Kläger mit dem Allowance Letter vom 24.08.2019 zugeteilten und bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses gevesteten 143, 75 Stück Virtuelle Optionen an der C. nicht aufgrund der Eigenkündigung des Klägers vom 29.05.2020 verfallen sind.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Beklagte beantragt;

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt unter Bezugnahme auf ihren erstinstanzlichen Vortrag die Entscheidung des Arbeitsgerichts als zutreffend. Entgegen den Behauptungen des Klägers seien die Optionen nicht aktiv handelbar. Einmalig sei nach dem Ausscheiden des Klägers den bei der Beklagten noch beschäftigten Mitarbeitern ein Angebot unterbreitet worden, die diesen zugeteilten virtuellen Optionen bis zur einem Prozentsatz von erinnerlich 15 Prozent zurück zu kaufen. Die virtuellen Optionen seien zudem gemäß Ziffer 4.4.6 der ESOPs auf maximal 15 Jahre befristet. Dies habe seinen Grund in der steuerlichen Behandlung. Ohne diese Befristung müsse sonst bei jedem Vesting eine Versteuerung des Wertes stattfinden, ohne dass der Mitarbeiter jedoch in diesem Moment bereits einen Gegenwert erhalte. Für den weiteren Sach- und Rechtsvortrag der Beklagten im Berufungsverfahren wird auf deren Schriftsätze vom 02.05.2023 und 22.08.2023 samt Anlagen Bezug genommen.

Ergänzend wird für den Sach- und Rechtsvortrag der Parteien auch auf das Sitzungsprotokoll vom 07.02.2024 Bezug genommen.

Aus den Gründen

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.

I. Die gemäß § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und daher zulässig (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

 

II. Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass die von der Beklagten in allgemeinen Geschäftsbedingungen getroffene Regelung eines sukzessiven Verfalls bereits ausübbar gewordener Optionen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der Kündigung des Klägers zulässig ist und damit die Klage abzuweisen war. Die Berufungskammer folgt der zutreffenden und sorgfältigen Begründung des Arbeitsgerichts mit Ausnahme der Verwendung unzutreffender terminologischer Begriffe, die daraus resultieren, dass das Arbeitsgericht in der Terminologie der in englischer Sprache vorgelegten ESOPs (Mitarbeiterbeteiligungsprogramm) der Übersetzung des Klägers gefolgt ist und nach erfolgtem „Vesting“ die virtuellen Optionen als „unverfallbar“ bezeichnet hat.

In der nun vorliegenden beglaubigten Übersetzung des umfangreichen englischen Textes der ESOPs (Mitarbeiterbeteiligungsprogramm) taucht das Wort „unverfallbar“ nicht auf. Vielmehr geht es in den Regelungen des Mitarbeiterbeteiligungsprogramms darum, dass für die auch dem Kläger zugeteilten virtuellen Optionen zum einen eine Wartefrist für die Möglichkeit der Ausübung im Falle des Eintritts eines Ausübungsereignisses gem. Abschnitt 6.2 besteht und zum anderen die Chance einer Ausübung der virtuellen Optionen von vornherein längstens auf 15 Jahre befristet ist, bzw. abschmelzend nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf zwei Jahre.

 

Nach den Regelungen in „Abschnitt 6.1 ist „der Berechtigte ist zur Ausübung von virtuellen Optionen berechtigt, wenn 6.1.1 die virtuellen Optionen gemäß Abschnitt 3 ausübbar sind, 6.1.2 die virtuellen Optionen nicht gemäß Abschnitt 4 verfallen sind und 6.1.3 ein Ausübungsereignis gemäß Abschnitt 6.2 unten eingetreten ist.“ Dementsprechend sehen die weiteren Regelungen vor, dass die virtuellen Optionen nach Ablauf der Wartefrist „ausübbar“ werden (Vesting) und diese Ausübbarkeit nach Abschnitt 4 des Mitarbeiterbeteiligungsprogramm (ESOPs) nach längstens 15 Jahren beziehungsweise bei Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb von zwei Jahren jeweils um 12,5 Prozent des Anteils zum Quartal verfällt. Anders als vom Kläger behauptet und vom Ersturteil übernommen geht es im Mitarbeiterbeteiligungsprogramm also nicht um den Verfall eines unverfallbar gewordenen Vergütungsbestandteils. Erst eine Übersetzung mit „unverfallbar“ wäre in der Tat missverständlich und könnte als Widerspruch in den Regelungen verstanden werden.

 

Dies vorausgeschickt geben die Ausführungen des Klägers im Berufungsverfahren zu folgender lediglich ergänzende Begründung Anlass:

 

1. Aufgrund der Regelung in Abschnitt 4.5 des Mitarbeiterbeteiligungsprogramm sind die dem Kläger mit dem Zuteilungsschreiben vom 24.08.2019 (Allowance Letter) zugeteilten virtuellen Optionen, soweit diese ausübbar geworden sind, im Rahmen von zwei Jahren nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Eigenkündigung des Klägers verfallen. Die in Form von allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) getroffene Regelung ist wirksam und verstößt nicht gegen die Schutzvorschriften der §§ 305 ff BGB.

 

Das Arbeitsgericht hat zutreffend festgestellt, dass die Regelungen des Mitarbeiterbeteiligungsprogramms (ESOPs) AGB i.S.v. § 305 Abs. 1 BGB darstellen, die in vollem Umfang der AGB-Kontrolle unterliegen. § 310 Abs. 4 BGB findet keine Anwendung (BAG 28.5.08, 10 AZR 351/07, NZA 08, 1066 [BB 2009, 168 Ls.]). Entgegen der Ansicht des Klägers verstößt die Verfallklausel in Abschnitt 4.2 des Mitarbeiterbeteiligungsprogramms (ESOPs) weder gegen das Transparenzgebot gem. § 307 Abs. 1 Satz 2BGB, noch wird der Kläger hierdurch abweichend von wesentlichen Rechtsgrundsätzen unangemessen benachteiligt.

 

1.1 Die im Mitarbeiterbeteiligungsprogramm getroffenen Regeln sind klar und verständlich formuliert und der Kläger konnte ohne Weiteres erkennen, dass nach der Regelung in Abschnitt 4.2 die virtuellen Optionen, die gemäß dem vorstehenden Abschnitt 3 ausübbar sind, verfallen, wenn das Arbeitsverhältnis durch eine von seiner Seite ausgesprochene Kündigung endet. Der dann über zwei Jahre hinweg eintretende sukzessive Verfall ist übersichtlich in einer Tabelle geregelt. Der Verfall ist auch nicht widersprüchlich, weil es nach dem Text des Mitarbeiterbeteiligungsprogramms (ESOPs) um „ausübbare“ Optionen geht und der Arbeitgeber keine „Unverfallbarkeit“ versprochen hat, wie es nach der Übersetzung des Klägers der Fall wäre.

 

1.2 Wie bereits das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, liegt auch im Übrigen eine unangemessene Benachteiligung des Klägers im Sinne des § 307 Abs. 1 BGB nicht vor. Die Regelung führt entgegen der Ansicht des Klägers nicht dazu, dass eine im Synalagma gewährte Vergütung nach Erbringung der Leistung wieder entfällt und weicht auch nicht von wesentlichen Rechtsgrundsätzen ab.

 

1.2.1 Zwar ist dem Kläger zunächst zuzugestehen, dass es sich bei den gewährten virtuellen Optionen um einen Bestandteil der arbeitsvertraglichen Vergütung handelt und damit arbeitsrechtlich als Arbeitsentgelt zu qualifizieren sind. Aktienoptionen haben trotz ihrer im Vergleich zu anderen Sondervergütungen spekulativen Natur grundsätzlich Entgeltcharakter (BAG 28.5.2008, 10 AZR 351/07, NZA 2008, 1066 (1074) [BB 2009, 168 Ls.]; Grobys/Panzer-Heemeier-Simon, StichwortKommentar Arbeitsrecht, Edition 4 /2023, Aktienoptionen, Rn. 10, m.w.N.; ErfK-Preis § 611a BGB, Rn. 541; Küttner-Röller, Personalbuch 2023, Aktienoptionen, Rn 5).

 

Daran ändert auch die Regelung im Zuteilungsschreiben, dass für den Erhalt der Optionen keine Gegenleistung zu erbringen ist, nichts. Die Optionen wurden dem Kläger nur deshalb gewährt, weil zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestand und der Kläger eine zusätzliche Leistung als Anreiz für das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses und seinen Beitrag, also seine Leistung zu einer Wertsteigerung des Unternehmens erhalten sollte. Dies wird auch deutlich aus der Regelung in Abschnitt 3.4 des Mitarbeiterbeteiligungsprogrammes. Hiernach wird die Vesting-Periode ausgesetzt, wenn und solange der Berechtigte von seinen Pflichten gegenüber der Beklagten ohne Gehalt freigestellt ist (z. B. bei Berufsunfähigkeit, Elternzeit, unbezahltem Sabbatical oder anderen unbezahlten Unterbrechungen des Arbeitsverhältnisses/Dienstes). Hier ist also nicht der bloße Fortbestand des Arbeitsverhältnisses maßgebend, sondern lediglich die Zeiten, für die der Arbeitnehmer aufgrund der Erbringung seiner Arbeitsleistung auch einen Anspruch auf Vergütung hat. Damit werden sie Teil der während der Wartefrist verdienten Vergütung. Daher sind auch die dem Kläger gewährten virtuellen Optionen als Arbeitsentgelt zu qualifizieren.

 

1.2.2 Auch virtuelle Optionen können – wie tatsächliche Aktienoptionen – als eine Form der Mitarbeiterbeteiligung verstanden werden, die eine Chance auf Teilhabe an einer Wertsteigerung im Falle des Eintritts eines Ausübungsereignisses bieten. Im Gegensatz zu Sondervergütungen haben sowohl Aktienoptionen als auch virtuelle Optionen allerdings einen „ungleich größeren spekulativen Charakter“. Sie stellen daher weniger eine Gegenleistung (als echten Gegenwert) für erbrachte Leistungen dar, sondern vielmehr eine Gewinnchance und einen Anreiz für zukünftigen Einsatz (BAG 28.5.2008, 10 AZR 351/07, NZA 2008, 1066 (1071) [BB 2009, 168 Ls.]; Grobys/Panzer-Heemeier-Simon, a.a.O., Aktienoptionen, Rn. 1f). Bei einem Verfall der Optionen wird folglich lediglich eine Verdienstchance entzogen: Aktienoptionen bezwecken gerade nicht, dass die während des Arbeitsverhältnisses nicht eingetretene Realisierung eines Gewinns nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nachgeholt wird (BAG 28.5.2008, 10 AZR 351/07, NZA 2008, 1066 (1073) [BB 2009, 168 Ls.]).

 

Auch bei guten Leistungen und einem für das Unternehmen erfolgreichen Geschäftsjahr kann der berechtigte Arbeitnehmer nicht zuverlässig mit der Werthaltigkeit der Bezugsrechte rechnen. Dafür spricht im vorliegenden Fall auch die einseitige Möglichkeit der Anpassung der Optionen gem. Abschnitt 5 des Mitarbeiterbeteiligungsprogramms (ESOPs). Arbeitsrechtlich kann daher ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand eines Vermögenswertes nur sehr eingeschränkt entstehen (ErfK-Preis § 611a BGB Rn. 541; Küttner-Röller, Personalbuch 2023, Aktienoptionen, Rn. 5 ff.). Darauf, ob die Optionen entgegen den Regelungen in Abschnitt 4.4.1 des Mitarbeiterbeteiligungsprogramms (ESOPs) bereits einen „Marktwert“ hatten, wie vom Kläger behauptet, kommt es für die Entscheidung folglich nicht an.

 

1.2.3 Klauseln, die für die Ausübung der Aktienoptionen nach Ablauf der Wartefrist das Bestehen eines ungekündigten Arbeitsverhältnisses als auflösende Bedingung i.S. von § 158 Abs. 2 BGB verlangen, sind daher zulässig und nicht gem. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unangemessen (BAG 28.5.2008, 10 AZR 351/07, NZA 2008, 1066 (1071) [BB 2009, 168 Ls.]; LAG München 17.4.2018, 7 Sa 752/17; Küttner-Röller, Personalbuch 2023, Aktienoptionen, Rn 9 ff, m.w.N.). Der Sinn und Zweck der Aktienoptionen rechtfertigt strenge Verfall- und Bindungsklauseln. Der Verfall der Bezugsrechte nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers verstößt auch nicht gegen § 307 Abs. 1 S. 1 BGB, wenn die Optionsrechte während des Arbeitsverhältnisses trotz abgelaufener Wartefrist nicht werthaltig (z.B. mangels Erreichung der Erfolgsziele) sind oder wenn werthaltige Aktienoptionen während des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitnehmer in der Erwartung, der Wert seiner Bezugsrechte werde noch steigen, nicht ausgeübt wurden. Der Grundsatz, dass bereits verdienter Lohn nicht mehr entzogen werden darf, wird dadurch nicht durchbrochen. Entzogen wird lediglich eine Verdienstchance: Aktienoptionen bezwecken gerade nicht, dass die während des Arbeitsverhältnisses nicht eingetretene Realisierung eines Gewinns nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nachgeholt wird. Diese Grundsätze gelten aufgrund der identischen Motivation und Zielsetzung auch für virtuelle Aktienoptionen (BAG 28.5.2008, 10 AZR 351/07, NZA 2008, 1066 (1073) [BB 2009, 168 Ls.]; Grobys/Panzer-Heemeier-Simon, a.a.O., Aktienoptionen, Rn. 16).

 

Daher ist im Hinblick auf den spekulativen Charakter grundsätzlich auch eine Regelung zulässig, die den ersatzlosen Verfall aller Bezugsrechte bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Ablauf der Wartezeit vorsieht. Eine unangemessene Benachteiligung liegt daher bei einer solchen Regelung auch dann nicht vor, wenn ein ausgeschiedener Arbeitnehmer von einem erst nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses steigenden Aktienkurses nicht profitiert da dem Arbeitnehmer kein Verdienst, sondern nur eine Verdienstchance entzogen wird. Dies gilt unabhängig von dem Beendigungsgrund (auch für den Fall der betriebsbedingten Kündigung des Arbeitgebers: BAG 28.5.2008, 10 AZR 351/07, NZA 2008, 1066, Rn. 35 [BB 2009, 168 Ls.]; Küttner-Röller, Personalbuch 2023, Aktienoptionen, Rn. 5 ff.; a.A. Temming, FS für Preis, 2021, 1313, der sich dagegen verwehrt, Aktienoptionen als „Entgelt zweiter Klasse“ zu behandeln, statt wie andere Formen erfolgs- oder leistungsbezogener Vergütung; a.A. Staake NJOZ 2010, 294 (299) bei arbeitsvertraglich geschuldeten Aktienoptionen, was hier nicht gegeben ist, da es sich um eine freiwillige und unentgeltliche Leistung des Arbeitgebers handelt; a.A. Preis für Stichtagsklauseln bei Aktienoptionen, die weder an ein ungekündigtes noch an ein bestehendes Arbeitsverhältnis geknüpft werden dürfen: ErfK-Preis, § 611a BGB, Rn. 542; s. zum Ganzen auch Grobys/Panzer-Heemeier-Simon, a.a.O., Aktienoptionen, Rn. 16, m.w.N.).

 

Ein Fortbestehen des Bezugsrechts trotz Beendigung des Arbeitsverhältnisses kommt daher nur in Ausnahmefällen in Betracht, wenn der Eintritt der Bedingung gem. § 162 Abs. 2 BGB vom Arbeitgeber wider Treu und Glauben herbeigeführt wird (BAG 28.5.2008, 10 AZR 351/07, NZA 2008, 1066 (1073) [BB 2009, 168 Ls.]; LAG München 17.4.2018, 7 Sa 752/17).

 

1.2.4 Gegen die Ansicht von Temming, die sich der Kläger zu Eigen gemacht hat und mit der er die Rechtsprechung des BAG ablehnt, spricht – zumindest im vorliegenden Fall – dass es sich bei den dem Kläger zugeteilten virtuellen Aktienoptionen lediglich um die Zuteilung einer befristeten Gewinnchance handelt. Diese boten dem Kläger nach Eintritt ihrer Ausübbarkeit – vergleichbar einem Los, das nur für einen befristeten Zeitraum an Ziehungen teilnimmt – lediglich eine befristete Chance, von einem Ausübungsereignis wirtschaftlich zu profitieren, obwohl keine echte Beteiligung bestand. Ob überhaupt jemals ein Ausübungsereignis eintreten wird, ist dabei ungewiss. Im Synalagma mit der vom Kläger für die Beklagte erbrachte Arbeitsleistung stand daher lediglich diese von vornherein befristete Chance, die die Beklagte als Arbeitgeber noch dazu als freiwillige Leistung gewährt hat, für die der Kläger keine direkte Gegenleistung erbringen musste. Die Beklagte durfte daher den Umfang ihrer freiwilligen Leistung, zu der auch die Befristung der zugeteilten Optionen gehört, mit den getroffenen Regelungen zulässig definieren und beschränken.

 

Diese zusätzliche Vergütung, hat der Kläger nach den bestehenden Regelungen auch nicht nur in der „Wartefrist“ verdient, sondern „verdient“ diese weiter dadurch, dass er seine Leistungen in einem aktiven Arbeitsverhältnis für das Unternehmen des Arbeitgebers einsetzt. Auch besteht die zusätzliche Vergütung durch die Zuteilung von virtuellen Optionen von vornherein nur in einer befristeten Chance. Es ist deshalb auch nicht unangemessen, wenn die Chance der Ausübbarkeit der virtuellen Optionen durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses pro Quartal um 12,5% wieder verfällt. In der hier gewählten Befristung von maximal zwei Jahren bringt der Arbeitgeber vielmehr zum Ausdruck, dass die Chance einer Gewinnbeteiligung abnehmen soll, je länger das aktive Arbeitsverhältnis zeitlich zurückliegt und damit notwendig auch der Beitrag, den der Arbeitnehmer zum Wert des Unternehmens geleistet hat.

 

Die für andere Formen der Vergütung von der Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe für die Angemessenheit eines späteren Wegfalls von Vergütungsbestandteilen können daher nicht ohne Weiteres auf die Zuteilung von virtuellen Optionen übertragen werden. Eine unzulässige Bindung des Klägers, die seine Berufsfreiheit unangemessen einschränkt dadurch, dass durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses die zeitliche Dauer der eingeräumten Gewinnchance verkürzt wird, ist mit den vorliegenden Regelungen nicht verbunden. Auch bei einem Mitarbeiter, bei dem in einem laufenden Arbeitsverhältnis eine Gewinnbeteiligung gezahlt wird, kann die Entscheidung zu einer Eigenkündigung dadurch beeinflusst werden, dass er in naher Zukunft mit einem erheblichen Gewinn des Arbeitgebers rechnet, von der er eben nach der Beendigung nicht mehr profitieren kann. Dies liegt bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses allerdings in der Natur der Sache. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, eine freiwillige Vergütung in einer Form zu gewähren, die über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ihren „Wert“ beibehält.

 

1.2.5 Das Arbeitsgericht hat außerdem bereits darauf hingewiesen, dass die Wertung des § 193 II Nr. 4 AktG, wonach eine Wartezeit für die erstmalige Ausübung einer Aktienoption von mind. vier Jahren besteht, um eine langfristige Anreizwirkung zu erreichen, gegen die Übertragung der allgemeinen Grundsätze zu einer angemessenen Bindungswirkung einer Vergütung spricht. Eine zeitliche Obergrenze hat der Gesetzgeber nicht festgelegt. Schon vor der Verlängerung der Wartezeit auf vier Jahre wurden Wartefristen von bis zu fünf Jahren unter Hinweis auf § 624 BGB als zulässig angesehen. Wenn hiernach Wartezeiten von weit über zwei Jahren aus Gründen des Aktionärsschutzes wirksam sind, kann ein solcher Zeitraum nicht gleichzeitig aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes unzulässig sein. Insofern weicht eine mehrjährige Bindung des bezugsberechtigten Arbeitnehmers bei einer aktienkursorientierten Vergütung nicht von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung i.S. von § 307 II Nr. 1 BGB ab (Grobys/Panzer-Heemeier-Simon, a.a.O., Aktienoptionen, Rn 15).

 

Das Arbeitsgericht hat darüber hinaus auch zutreffend entschieden, dass der Kläger seinen Anspruch nicht auf den Gleichbehandlungsgrundsatz stützen kann. Der Kläger ist nicht mit Mitarbeitern vergleichbar, deren Arbeitsverhältnis zum Stichtag des 01.03.2022 fortbestand, zu dem der Arbeitgeber die Verfallklauseln zu deren Gunsten geändert hat. Den Ausführungen des Arbeitsgerichts ist insoweit nichts hinzuzufügen.

 

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG, 97 Abs. 1 ZPO.

 

IV. Dem Rechtsstreit kommt über die Klärung der konkreten Rechtsbeziehungen der Parteien grundsätzliche Bedeutung zu, weil die entschiedene Konstellation sich von der bereits entschiedenen Konstellation im Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 28.05.2008, 10 AZR 351/07 [BB 2009, 168 Ls.] unterscheidet und die Gewährung von virtuellen Optionen im Rahmen von AGB-Regelungen eine immer größere Bedeutung in arbeitsvertraglichen Beziehungen zukommt. Gegen dieses Urteil hat deswegen der Kläger der Rechtsmittel der Revision entsprechend den nachfolgenden Bestimmungen.

 

 

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