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Arbeitsrecht
29.10.2020
Arbeitsrecht
EuGH: Mindestschutzgrenze für wiederholte Leiharbeitsverhältnisse

EuGH, Urteil vom 14.10.2020 – C-681/18, JH gegen KG

ECLI:EU:C:2020:823

Volltext: BB-Online BBL2020-2547-1

 

Tenor

Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit ist dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegensteht, die die Zahl aufeinanderfolgender Überlassungen desselben Leiharbeitnehmers bei demselben entleihenden Unternehmen nicht beschränkt und die Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Arbeitnehmerüberlassung nicht von der Angabe der technischen oder mit der Produktion, der Organisation oder der Ersetzung eines Arbeitnehmers zusammenhängenden Gründe für den Einsatz der Arbeitnehmerüberlassung abhängig macht. Dagegen ist diese Bestimmung dahin auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat verwehrt, keine Maßnahmen zu ergreifen, um den vorübergehenden Charakter der Leiharbeit zu wahren, und einer nationalen Regelung entgegensteht, die keine Maßnahmen vorsieht, um aufeinanderfolgende Überlassungen desselben Leiharbeitnehmers an dasselbe entleihende Unternehmen mit dem Ziel, die Bestimmungen der Richtlinie 2008/104 insgesamt zu umgehen, zu verhindern.

Aus den Gründen

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit (ABl. 2008, L 327, S. 9).

2          Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen JH und KG wegen der Klage von JH, einem Leiharbeitnehmer, der KG überlassen wurde, auf Feststellung, dass er aufgrund insbesondere der Überschreitung der nach nationalem Recht zugelassenen Höchstzahl von Verlängerungen von Leiharbeitsverträgen bei KG unbefristet beschäftigt ist.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3          Die Erwägungsgründe 10 bis 12 und 15 der Richtlinie 2008/104 lauten:

„(10) In Bezug auf die Inanspruchnahme der Leiharbeit sowie die rechtliche Stellung, den Status und die Arbeitsbedingungen der Leiharbeitnehmer lassen sich innerhalb der Union große Unterschiede feststellen.

(11) Die Leiharbeit entspricht nicht nur dem Flexibilitätsbedarf der Unternehmen, sondern auch dem Bedürfnis der Arbeitnehmer, Beruf und Privatleben zu vereinbaren. Sie trägt somit zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Teilnahme am und zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt bei.

(12) Die vorliegende Richtlinie legt einen diskriminierungsfreien, transparenten und verhältnismäßigen Rahmen zum Schutz der Leiharbeitnehmer fest und wahrt gleichzeitig die Vielfalt der Arbeitsmärkte und der Arbeitsbeziehungen.

(15) Unbefristete Arbeitsverträge sind die übliche Form des Beschäftigungsverhältnisses. Im Falle von Arbeitnehmern, die einen unbefristeten Vertrag mit dem Leiharbeitsunternehmen geschlossen haben, sollte angesichts des hierdurch gegebenen besonderen Schutzes die Möglichkeit vorgesehen werden, von den im entleihenden Unternehmen geltenden Regeln abzuweichen.“

4          Art. 1 („Anwendungsbereich“) Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:

„Diese Richtlinie gilt für Arbeitnehmer, die mit einem Leiharbeitsunternehmen einen Arbeitsvertrag geschlossen haben oder ein Beschäftigungsverhältnis eingegangen sind und die entleihenden Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, um vorübergehend unter deren Aufsicht und Leitung zu arbeiten.“

5          Art. 2 („Ziel“) dieser Richtlinie sieht vor:

„Ziel dieser Richtlinie ist es, für den Schutz der Leiharbeitnehmer zu sorgen und die Qualität der Leiharbeit zu verbessern, indem die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern gemäß Artikel 5 gesichert wird und die Leiharbeitsunternehmen als Arbeitgeber anerkannt werden, wobei zu berücksichtigen ist, dass ein angemessener Rahmen für den Einsatz von Leiharbeit festgelegt werden muss, um wirksam zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Entwicklung flexibler Arbeitsformen beizutragen.“

6          In Art. 3 („Begriffsbestimmungen“) Abs. 1 dieser Richtlinie heißt es:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

b) ,Leiharbeitsunternehmen‘ eine natürliche oder juristische Person, die nach einzelstaatlichem Recht mit Leiharbeitnehmern Arbeitsverträge schließt oder Beschäftigungsverhältnisse eingeht, um sie entleihenden Unternehmen zu überlassen, damit sie dort unter deren Aufsicht und Leitung vorübergehend arbeiten;

c) ,Leiharbeitnehmer‘ einen Arbeitnehmer, der mit einem Leiharbeitsunternehmen einen Arbeitsvertrag geschlossen hat oder ein Beschäftigungsverhältnis eingegangen ist, um einem entleihenden Unternehmen überlassen zu werden und dort unter dessen Aufsicht und Leitung vorübergehend zu arbeiten;

d) ,entleihendes Unternehmen‘ eine natürliche oder juristische Person, in deren Auftrag und unter deren Aufsicht und Leitung ein Leiharbeitnehmer vorübergehend arbeitet;

e) ,Überlassung‘ den Zeitraum, während dessen der Leiharbeitnehmer dem entleihenden Unternehmen zur Verfügung gestellt wird, um dort unter dessen Aufsicht und Leitung vorübergehend zu arbeiten;

f) ,wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen‘ die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die durch Gesetz, Verordnung, Verwaltungsvorschrift, Tarifvertrag und/oder sonstige verbindliche Bestimmungen allgemeiner Art, die im entleihenden Unternehmen gelten, festgelegt sind und sich auf folgende Punkte beziehen:

i) Dauer der Arbeitszeit, Überstunden, Pausen, Ruhezeiten, Nachtarbeit, Urlaub, arbeitsfreie Tage;

ii) Arbeitsentgelt.“

7          Art. 4 („Überprüfung der Einschränkungen und Verbote“) Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 sieht vor:

„Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit sind nur aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt; hierzu zählen vor allem der Schutz der Leiharbeitnehmer, die Erfordernisse von Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz oder die Notwendigkeit, das reibungslose Funktionieren des Arbeitsmarktes zu gewährleisten und eventuellen Missbrauch zu verhüten.“

8          Art. 5 („Grundsatz der Gleichbehandlung“) befindet sich in Kapitel II dieser Richtlinie, das den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gewidmet ist. Diese Bestimmung lautet wie folgt:

„(1) Die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Leiharbeitnehmer entsprechen während der Dauer ihrer Überlassung an ein entleihendes Unternehmen mindestens denjenigen, die für sie gelten würden, wenn sie von jenem genannten Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wären.

Bei der Anwendung von Unterabsatz 1 müssen die im entleihenden Unternehmen geltenden Regeln in Bezug auf

a) den Schutz schwangerer und stillender Frauen und den Kinder- und Jugendschutz sowie

b) die Gleichbehandlung von Männern und Frauen und sämtliche Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts, der Rasse oder der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Orientierung

so eingehalten werden, wie sie durch Gesetze, Verordnungen, Verwaltungsvorschriften, Tarifverträge und/oder sonstige Bestimmungen allgemeiner Art festgelegt sind.

(2) In Bezug auf das Arbeitsentgelt können die Mitgliedstaaten nach Anhörung der Sozialpartner die Möglichkeit vorsehen, dass vom Grundsatz des Absatzes 1 abgewichen wird, wenn Leiharbeitnehmer, die einen unbefristeten Vertrag mit dem Leiharbeitsunternehmen abgeschlossen haben, auch in der Zeit zwischen den Überlassungen bezahlt werden.

(3) Die Mitgliedstaaten können nach Anhörung der Sozialpartner diesen die Möglichkeit einräumen, auf der geeigneten Ebene und nach Maßgabe der von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen Tarifverträge aufrechtzuerhalten oder zu schließen, die unter Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern Regelungen in Bezug auf die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Leiharbeitnehmern, welche von den in Absatz 1 aufgeführten Regelungen abweichen können, enthalten können.

(4) Sofern Leiharbeitnehmern ein angemessenes Schutzniveau gewährt wird, können Mitgliedstaaten, in denen es entweder kein gesetzliches System, durch das Tarifverträge allgemeine Gültigkeit erlangen, oder kein gesetzliches System bzw. keine Gepflogenheiten zur Ausweitung von deren Bestimmungen auf alle vergleichbaren Unternehmen in einem bestimmten Sektor oder bestimmten geografischen Gebiet gibt, – nach Anhörung der Sozialpartner auf nationaler Ebene und auf der Grundlage einer von ihnen geschlossenen Vereinbarung – Regelungen in Bezug auf die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Leiharbeitnehmern festlegen, die vom Grundsatz des Absatzes 1 abweichen. Zu diesen Regelungen kann auch eine Wartezeit für Gleichbehandlung zählen.

Die in diesem Absatz genannten Regelungen müssen mit den [unionsrechtlichen] Bestimmungen in Einklang stehen und hinreichend präzise und leicht zugänglich sein, damit die betreffenden Sektoren und Firmen ihre Verpflichtungen bestimmen und einhalten können. Insbesondere müssen die Mitgliedstaaten in Anwendung des Artikels 3 Absatz 2 angeben, ob betriebliche Systeme der sozialen Sicherheit, einschließlich Rentensysteme, Systeme zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder Systeme der finanziellen Beteiligung, zu den in Absatz 1 genannten wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zählen. Solche Vereinbarungen lassen Vereinbarungen auf nationaler, regionaler, lokaler oder sektoraler Ebene, die für Arbeitnehmer nicht weniger günstig sind, unberührt.

(5) Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen gemäß ihren nationalen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten, um eine missbräuchliche Anwendung dieses Artikels zu verhindern und um insbesondere aufeinander folgende Überlassungen, mit denen die Bestimmungen der Richtlinie umgangen werden sollen, zu verhindern. Sie unterrichten die Kommission über solche Maßnahmen.“

9          Art. 6 („Zugang zu Beschäftigung, Gemeinschaftseinrichtungen und beruflicher Bildung“) Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie sieht vor:

„(1) Die Leiharbeitnehmer werden über die im entleihenden Unternehmen offenen Stellen unterrichtet, damit sie die gleichen Chancen auf einen unbefristeten Arbeitsplatz haben wie die übrigen Arbeitnehmer dieses Unternehmens. Diese Unterrichtung kann durch allgemeine Bekanntmachung an einer geeigneten Stelle in dem Unternehmen erfolgen, in dessen Auftrag und unter dessen Aufsicht die Leiharbeitnehmer arbeiten.

(2) Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, damit Klauseln, die den Abschluss eines Arbeitsvertrags oder die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen dem entleihenden Unternehmen und dem Leiharbeitnehmer nach Beendigung seines Einsatzes verbieten oder darauf hinauslaufen, diese zu verhindern, nichtig sind oder für nichtig erklärt werden können.“

10        Art. 9 („Mindestvorschriften“) dieser Richtlinie lautet:

„(1) Diese Richtlinie lässt das Recht der Mitgliedstaaten unberührt, für Arbeitnehmer günstigere Rechts- und Verwaltungsvorschriften anzuwenden oder zu erlassen oder den Abschluss von Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern zu fördern oder zuzulassen, die für die Arbeitnehmer günstiger sind.

(2) Die Durchführung dieser Richtlinie ist unter keinen Umständen ein hinreichender Grund zur Rechtfertigung einer Senkung des allgemeinen Schutzniveaus für Arbeitnehmer in den von dieser Richtlinie abgedeckten Bereichen. Dies gilt unbeschadet der Rechte der Mitgliedstaaten und/oder der Sozialpartner, angesichts sich wandelnder Bedingungen andere Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder vertragliche Regelungen festzulegen als diejenigen, die zum Zeitpunkt des Erlasses dieser Richtlinie gelten, sofern die Mindestvorschriften dieser Richtlinie eingehalten werden.“

Italienisches Recht

Decreto legislativo (Gesetzesvertretendes Dekret) Nr. 276/2003

11        Art. 20 („Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit“) des Decreto legislativo Nr. 276 – Attuazione delle deleghe in materia di occupazione e mercato del lavoro, di cui alla legge 14 febbraio 2003, n. 30 (Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 276 zur Durchführung der Ermächtigungen im Bereich Beschäftigung und Arbeitsmarkt gemäß dem Gesetz Nr. 30 vom 14. Februar 2003) vom 10. September 2003 (Supplemento ordinario Nr. 159 zur GURI Nr. 235 vom 9. Oktober 2003) in der durch das Decreto-legge n. 34 – Disposizioni urgenti per favorire il rilancio dell’occupazione e per la semplificazione degli adempimenti a carico delle imprese (Gesetzesdekret Nr. 34 über Eilbestimmungen zur Förderung der Wiederbelebung der Beschäftigung und zur Vereinfachung der von Unternehmen zu beachtenden Formalitäten), vom 20. März 2014 (GURI Nr. 66 vom 20. März 2014), mit Änderungen in ein Gesetz umgewandelt durch das Gesetz 78/2014 (GURI Nr. 114 vom 19. Mai 2014), geänderten Fassung (im Folgenden: Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 276/2003) sieht in seinem Abs. 3 im Wesentlichen vor, dass der Vertrag über die Überlassung von Arbeitskräften auf bestimmte oder unbestimmte Zeit abgeschlossen werden kann, wobei die Arbeitnehmerüberlassung auf unbestimmte Zeit nur für bestimmte Arten von Berufen und Tätigkeiten, die in dieser Bestimmung aufgeführt sind, zugelassen ist.

12        Art. 20 Abs. 4 des Gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 276/2003 bestimmt:

„Die Festsetzung von quantitativen Begrenzungen für die Nutzung befristeter Arbeitnehmerüberlassung wird, und sei es auch in uneinheitlicher Weise, den nationalen Tarifverträgen überlassen, die gemäß Art. 10 des [Decreto legislativo n. 368 – Attuazione della direttiva 1999/70/CE relativa all’accordo quadro sul lavoro a tempo determinato concluso dall’UNICE, dal CEEP e dal CES (Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 368 zur Umsetzung der Richtlinie 1999/70/EG zu der EGB-UNICE‑CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge) vom 6. September 2001 (GURI Nr. 235 vom 9. Oktober 2001)] von den vergleichsweise repräsentativsten Gewerkschaften geschlossen wurden.“

13        21 („Form des Arbeitnehmerüberlassungsvertrags“) Abs. 1 des Gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 276/2003 sieht vor:

„Der Arbeitnehmerüberlassungsvertrag wird in schriftlicher Form geschlossen und enthält folgende Angaben:

c) die technischen Fälle und die in Artikel 20 Absatz 3 genannten technischen oder mit der Produktion, der Organisation oder der Ersetzung eines Arbeitnehmers zusammenhängenden Gründe;

…“

14        Art. 22 („Für Arbeitsverhältnisse geltende Regelung“) dieses Gesetzesvertretenden Dekrets bestimmt:

„(1) Bei einer Arbeitnehmerüberlassung auf unbestimmte Zeit gelten für das Arbeitsverhältnis zwischen dem Verleiher und dem Arbeitnehmer die allgemeinen Vorschriften über Arbeitsverhältnisse nach dem Zivilgesetzbuch und Sondergesetzen.

(2) Bei einer Arbeitnehmerüberlassung auf bestimmte Zeit gelten für das Arbeitsverhältnis zwischen dem Verleiher und dem Arbeitnehmer die Bestimmungen des Gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 368 vom 6. September 2001, soweit sie vereinbar sind und jedenfalls mit Ausnahme von dessen Art. 5 Abs. 3 ff. Die ursprüngliche Befristung des Arbeitsvertrags kann auf jeden Fall in den Situationen und für die Dauer, wie sie in dem für den Verleiher geltenden Tarifvertrag vorgesehen sind, im Einvernehmen mit dem Arbeitnehmer und unter Einhaltung der Schriftform verlängert werden.

…“

15        Art. 27 („Unrechtmäßige Arbeitnehmerüberlassung“) Abs. 1 und 3 dieses Gesetzesvertretenden Dekrets bestimmt:

„(1) Erfolgt die Arbeitnehmerüberlassung außerhalb der Grenzen und Bedingungen der Art. 20 und 21 Abs. 1 Buchst. a, b, c, d und e, kann der Arbeitnehmer mittels einer Klage nach Art. 414 der Zivilprozessordnung, selbst wenn sie nur dem Entleiher zugestellt wird, das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses als Arbeitnehmer von Letzterem mit Wirkung ab dem Beginn der Überlassung feststellen lassen.

(3) Für die Zwecke der Beurteilung der in Art. 20 Abs. 3 und 4 genannten Gründe für die Überlassung von Arbeitskräften ist die gerichtliche Kontrolle nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen ausschließlich auf die Feststellung beschränkt, dass die Gründe vorliegen, die die Überlassung rechtfertigen, und kann nicht so weit ausgedehnt werden, dass die vom Nutzer zu treffenden Bewertungen und technischen, organisatorischen oder produktionstechnischen Entscheidungen inhaltlich beurteilt werden.“

16        Art. 28 („Missbräuchliche Arbeitnehmerüberlassung“) Abs. 1 dieses Dekrets sieht vor:

„Unbeschadet der in Art. 18 vorgesehenen Sanktionen werden der Verleiher und der Entleiher mit einer Geldstrafe von 20 Euro für jeden involvierten Arbeitnehmer und für jeden Tag der Überlassung bestraft, wenn die Arbeitnehmerüberlassung mit dem spezifischen Ziel erfolgt, zwingende Bestimmungen des Gesetzes oder eines für den Arbeitnehmer geltenden Tarifvertrags zu umgehen.“

Decreto legislativo (Gesetzesvertretendes Dekret) Nr. 368/2001

17        Art. 1 des Gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 368 vom 6. September 2001 in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 368/2001) bestimmt:

„(01) Der unbefristete Arbeitsvertrag stellt die übliche Form des Arbeitsverhältnisses dar.

(1) Die Befristung eines Arbeitsvertrags ist höchstens auf die Dauer von 36 Monaten, einschließlich etwaiger Verlängerungen, zwischen einem Arbeitgeber und einem Arbeitnehmer zur Ausübung jeder Art von Aufgabe zulässig, entweder in der Form des befristeten Arbeitsvertrags oder im Rahmen eines befristeten Arbeitnehmerüberlassungsvertrags im Sinne von Art. 20 Abs. 4 des Gesetzesvertretendes Dekrets Nr. [276/2003]. …“

18        Art. 4 Abs. 1 des Gesetzesvertretenden Dekrets sieht vor:

„Die einvernehmliche Verlängerung eines befristeten Arbeitsvertrags ist nur möglich, wenn die ursprüngliche Vertragslaufzeit weniger als drei Jahre beträgt. In diesen Fällen sind die Verlängerungen unabhängig von der Zahl der Erneuerungen nur bis zu insgesamt fünfmal innerhalb der 36 Monate zulässig, sofern sie sich auf dieselbe berufliche Tätigkeit beziehen, für die der Vertrag auf bestimmte Dauer geschlossen wurde. Allein in diesem Fall darf die Gesamtdauer des befristeten Verhältnisses drei Jahre nicht übersteigen.“

19        Art. 5 („Fristablauf und Sanktionen – Aufeinanderfolgende Verträge“) Abs. 3 bis 4a dieses Gesetzesvertretenden Dekrets lautet:

„(3) Wird der Arbeitnehmer binnen zehn Tagen nach Ablauf eines Vertrages mit einer Laufzeit von höchstens sechs Monaten oder binnen zwanzig Tagen nach Ablauf eines Vertrages mit einer Laufzeit von mehr als sechs Monaten wieder gemäß Art. 1 befristet eingestellt, so gilt der zweite Vertrag als unbefristet. …

(4) Bei zwei aufeinanderfolgenden befristeten Einstellungen, worunter solche zu verstehen sind, die ohne jede Unterbrechung zusammenhängen, gilt das Arbeitsverhältnis vom Zeitpunkt des Abschlusses des ersten Vertrages an als unbefristet.

(4a) Unbeschadet der Regeln über aufeinanderfolgende Verträge in den vorstehenden Absätzen und vorbehaltlich der verschiedenen Bestimmungen in Tarifverträgen gilt das Beschäftigungsverhältnis als unbefristet, wenn aufgrund aufeinanderfolgender befristeter Verträge zur Ausübung vergleichbarer Aufgaben das Beschäftigungsverhältnis zwischen demselben Arbeitgeber und demselben Arbeitnehmer insgesamt die Dauer von 36 Monaten einschließlich Verlängerungen und Erneuerungen unter Außerachtlassung der Unterbrechungszeiträume zwischen den Verträgen überschreitet …“

Tarifvertrag

20        Art. 47 des Contratto collettivo nazionale di lavoro per la categoria delle Agenzie di somministrazione di lavoro (nationaler Tarifvertrag für die Gruppe der Leiharbeitsunternehmen) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Tarifvertrag) bestimmt, dass die Vertragsverlängerungen ausschließlich durch diesen Tarifvertrag geregelt werden. Danach können bei befristeten Verträgen Verlängerungen im Sinne von Art. 22 Abs. 2 des Gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 276/2003 bis zu sechsmal erfolgen. Kein Vertrag kann einschließlich der Verlängerungen 36 Monate überschreiten.

Zivilgesetzbuch

21        Die Art. 1344 und 1421 des italienischen Zivilgesetzbuchs sehen die Nichtigkeit von Verträgen vor, die abgeschlossen wurden, um die Anwendung zwingender Vorschriften zu umgehen.

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

22        JH, ein von einem Leiharbeitsunternehmen beschäftigter Arbeitnehmer, wurde dem entleihenden Unternehmen KG vom 3. März 2014 bis zum 30. November 2016 im Rahmen aufeinanderfolgender Arbeitnehmerüberlassungsverträge (insgesamt acht) und verschiedener Verlängerungen (insgesamt 17) als Leiharbeitnehmer überlassen.

23        Im Februar 2017 erhob JH beim vorlegenden Gericht, dem Tribunale ordinario di Brescia (Gericht von Brescia, Italien), Klage auf Feststellung, dass von März 2014 bis November 2016 wegen der Rechtswidrigkeit der Inanspruchnahme aufeinanderfolgender ununterbrochener Überlassungen ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis zwischen ihm und KG bestanden habe. Er beantragt weiter, die Rechtswidrigkeit und/oder Nichtigkeit der Arbeitnehmerüberlassungsverträge festzustellen, auf deren Grundlage er KG zur Verfügung gestellt wurde.

24        JH macht in diesem Zusammenhang geltend, die auf den Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens anwendbaren nationalen Bestimmungen über Leiharbeit sähen keine Beschränkung für aufeinanderfolgende Überlassungen der Leiharbeitnehmer bei demselben Entleiher vor, was gegen die Richtlinie 2008/104 verstoße. Insbesondere gehe zum einen aus dem 15. Erwägungsgrund dieser Richtlinie hervor, dass Beschäftigungsverhältnisse üblicherweise die Form unbefristeter Verträge annehmen sollten, und zum anderen verpflichte Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie die Mitgliedstaaten, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um aufeinanderfolgende Überlassungen, mit denen die Bestimmungen der Richtlinie umgangen werden sollten, zu verhindern.

25        Darüber hinaus trägt JH vor, dass die aufeinanderfolgenden Leiharbeitsverträge, mit denen er KG überlassen worden sei, auch nach Art. 1344 des Zivilgesetzbuchs, da sie sowohl gegen innerstaatliche als auch gegen unionsrechtliche Vorschriften verstießen, sowie nach Art. 1421 des Zivilgesetzbuchs rechtswidrig seien, da diese Verträge wegen Verstoßes gegen das Verbot der missbräuchlichen Überlassung von Arbeitnehmern im Sinne von Art. 28 des Gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 276/2003 nichtig seien.

26        Das vorlegende Gericht weist zunächst darauf hin, dass die Anwendung des Gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 276/2003 auf den bei ihm anhängigen Rechtsstreit grundsätzlich zur Abweisung der Klage von JH führen müsste. Durch die mit dem Gesetzesdekret Nr. 34/2014 erfolgte Änderung sehe Art. 20 Abs. 4 des Gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 276/2003 nämlich weder wie zuvor vor, dass die Arbeitnehmerüberlassung auf bestimmte Zeit nur aus technischen Gründen sowie aus Gründen der Produktion, der Organisation oder der Ersetzung von Arbeitnehmern zulässig sei, selbst wenn die Gründe auf die gewöhnliche Tätigkeit des Entleihers zurückgingen, noch das Erfordernis, diese Gründe schriftlich im Vertrag anzugeben.

27        So beschränke das Gesetzesvertretende Dekret Nr. 276/2003 die zulässige Zahl aufeinanderfolgender Überlassungen des Arbeitnehmers bei demselben entleihenden Unternehmen nicht, da sein Art. 22 die Anwendbarkeit von Art. 5 Abs. 3 ff. des Gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 368/2001 ausschließe, der im Bereich der befristeten Verträge die Möglichkeit beschränke, mehrere aufeinanderfolgende befristete Verträge abzuschließen, und jedenfalls eine Obergrenze von 36 Monaten festsetze.

28        Das vorlegende Gericht führt weiter aus, dass die tarifvertragliche Regelung auf das Arbeitsverhältnis zwischen JH und KG nicht anwendbar sei, da es sich um eine Regelung handle, die nur auf die Beziehungen zwischen den Arbeitnehmern und den Leiharbeitsunternehmen anwendbar sei. Außerdem sehe dieser Tarifvertrag auch nicht vor, dass im Vertrag die Gründe für den Einsatz der Arbeitnehmerüberlassung anzugeben seien, und verbiete auch nicht den Abschluss, ohne Unterbrechung, eines neuen Vertrags unmittelbar nach dem Ablauf der sechsten Verlängerung des vorherigen Vertrags.

29        Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass diese nationalen Rechtsvorschriften mit der Richtlinie 2008/104, insbesondere ihrem Art. 5 Abs. 5 im Licht ihres 15. Erwägungsgrundes, unvereinbar seien, da sie keine gerichtliche Überprüfung der Gründe für den Einsatz von Leiharbeit und keine Beschränkungen für aufeinanderfolgende Überlassungen desselben Leiharbeitnehmers an dasselbe entleihende Unternehmen vorsähen.

30        Vor diesem Hintergrund hat das Tribunale ordinario di Brescia (Gericht von Brescia) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2008/104 dahin auszulegen, dass er der Anwendung des Gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 276/2003 entgegensteht, das

a) keine Beschränkungen für die aufeinanderfolgenden Überlassungen desselben Arbeitnehmers bei demselben entleihenden Unternehmen vorsieht;

b) die Rechtmäßigkeit des Einsatzes von befristeter Arbeitnehmerüberlassung nicht von der Angabe der technischen oder mit der Produktion, der Organisation oder der Ersetzung eines Arbeitnehmers zusammenhängenden Gründe für den Einsatz der Arbeitnehmerüberlassung abhängig macht;

c) nicht die Voraussetzung vorübergehender Produktionserfordernisse des entleihenden Unternehmens als Bedingung für die Rechtmäßigkeit des Einsatzes dieser Art von Arbeitsvertrag vorsieht?

Zur Vorlagefrage

Zur Zulässigkeit

31        Die italienische Regierung bestreitet die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens und trägt dazu erstens vor, das vorlegende Gericht mache keine Angaben zu der Art des Arbeitsvertrags zwischen JH und dem Leiharbeitsunternehmen, konkret, ob es sich um einen befristeten oder unbefristeten Vertrag handle, obgleich die vom vorlegenden Gericht angeführten Rechtsvorschriften lediglich für befristete Arbeitsverträge gälten.

32        Zweitens handle es sich bei dem Ausgangsrechtsstreit um einen Rechtsstreit zwischen Privatpersonen und die Richtlinie 2008/104 entfalte keine unmittelbare horizontale Wirkung. Somit habe die Antwort auf die Vorlagefrage keinen Einfluss auf den Ausgang dieses Rechtsstreits. Für JH bestehe das einzig mögliche positive Ergebnis in der Erlangung von Schadensersatz vom italienischen Staat, falls festgestellt werde, dass letzterer die Richtlinie 2008/104 unvollständig oder fehlerhaft umgesetzt habe.

33        Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass es allein Sache des nationalen Gerichts ist, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, anhand der Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der Fragen zu beurteilen, die es dem Gerichtshof vorlegt. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts betreffen (Urteil vom 8. Mai 2019, Praxair MRC, C‑486/18, EU:C:2019:379, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34        Folglich gilt für Fragen, die das Unionsrecht betreffen, eine Vermutung der Entscheidungserheblichkeit. Der Gerichtshof kann die Beantwortung einer Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 8. Mai 2019, Praxair MRC, C‑486/18, EU:C:2019:379, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35        Die vorliegende Rechtssache entspricht keinem der Fälle, in denen der Gerichtshof die Beantwortung von Vorlagefragen ablehnen kann. Das vorlegende Gericht ersucht den Gerichtshof um Auslegung von Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2008/104, der, wie sich aus dem von ihm dargestellten tatsächlichen und rechtlichen Rahmen ergibt, für den Ausgangsrechtsstreit relevant ist. Außerdem erläutert es, wie aus den Rn. 26 bis 29 des vorliegenden Urteils hervorgeht, die Gründe, aus denen es diese Auslegung für erforderlich hält. Daher ist festzustellen, dass die Darstellung sowohl der tatsächlichen Umstände des Ausgangsrechtsstreits als auch der sich aus diesem ergebenden Rechtsfragen durch das vorlegende Gericht ausreicht, um dem Gerichtshof eine zweckdienliche Antwort auf die Vorlagefrage zu ermöglichen.

36        Zudem ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass er dafür zuständig ist, im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung der Bestimmungen des Unionsrechts zu entscheiden, unabhängig davon, ob sie zwischen den Parteien des fraglichen Rechtsstreits unmittelbare Wirkung haben oder nicht (Urteil vom 8. Mai 2019, Praxair MRC, C‑486/18, EU:C:2019:379, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung). Das Vorbringen der italienischen Regierung, es sei unmöglich, die Bestimmungen der Richtlinie 2008/104 unmittelbar auf einen Rechtsstreit zwischen Privaten anzuwenden, ist daher unerheblich.

37        Demnach ist das Vorabentscheidungsersuchen zulässig.

Beantwortung der Vorlagefrage

38        Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie 2008/104 dahin auszulegen ist, dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, die die Zahl aufeinanderfolgender Überlassungen desselben Leiharbeitnehmers bei demselben entleihenden Unternehmen nicht beschränken und die Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Arbeitnehmerüberlassung nicht von der Angabe der technischen oder mit der Produktion, der Organisation oder der Ersetzung eines Arbeitnehmers zusammenhängenden Gründe für den Einsatz der Arbeitnehmerüberlassung abhängig machen.

39        In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2008/104 zur Ergänzung des rechtlichen Rahmens erlassen wurde, der durch die Richtlinien 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (ABl. 1998, L 14, S. 9) und 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE‑CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (ABl. 1999, L 175, S. 43) auf der Grundlage von Art. 137 Abs. 1 und 2 EG geschaffen wurde, wonach die Organe durch Richtlinien Mindestvorschriften erlassen können, die u. a. in Bezug auf die Arbeitsbedingungen schrittweise anzuwenden sind.

40        Aus den Erwägungsgründen 10 und 12 der Richtlinie 2008/104 ergibt sich, dass sich in Bezug auf die rechtliche Stellung, den Status und die Arbeitsbedingungen von Leiharbeitnehmern innerhalb der Union große Unterschiede feststellen lassen und die Richtlinie deshalb einen diskriminierungsfreien, transparenten und verhältnismäßigen Rahmen zum Schutz dieser Arbeitnehmer festlegen und gleichzeitig die Vielfalt der Arbeitsmärkte und der Arbeitsbeziehungen wahren soll. Daher ist es nach Art. 2 dieser Richtlinie deren Ziel, für den Schutz der Leiharbeitnehmer zu sorgen und die Qualität der Leiharbeit zu verbessern, indem die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern gesichert wird und die Leiharbeitsunternehmen als Arbeitgeber anerkannt werden, wobei zu berücksichtigen ist, dass ein angemessener Rahmen für den Einsatz von Leiharbeit festgelegt werden muss, um wirksam zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Entwicklung flexibler Arbeitsformen beizutragen.

41        Zu diesem Zweck sieht die Richtlinie 2008/104, wie sich aus ihrer oben in Rn. 39 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsgrundlage und ihrem Art. 9 ergibt, nur die Einführung von Mindestvorschriften vor, mit denen zum einen die Beachtung des in Art. 5 dieser Richtlinie verankerten Grundsatzes der Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern sichergestellt werden soll und zum anderen die Verbote und Einschränkungen der Leiharbeit, die die Mitgliedstaaten vorsehen, überprüft werden sollen, um nur diejenigen zu behalten, die aus Gründen des Allgemeininteresses zum Schutz der Arbeitnehmer gerechtfertigt sind, wie es Art. 4 der Richtlinie vorsieht.

42        In Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie 2008/104, der zu diesen Mindestvorschriften zählt, heißt es aber, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen gemäß ihren nationalen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten ergreifen, um eine missbräuchliche Anwendung dieses Artikels zu verhindern und um insbesondere aufeinanderfolgende Überlassungen, mit denen die Bestimmungen dieser Richtlinie umgangen werden sollen, zu verhindern. Diese Bestimmung verpflichtet die Mitgliedstaaten somit nicht dazu, die Zahl der aufeinanderfolgenden Überlassungen desselben Arbeitnehmers bei demselben entleihenden Unternehmen zu begrenzen oder den Einsatz von befristeter Arbeitnehmerüberlassung von der Angabe der technischen oder mit der Produktion, der Organisation oder der Ersetzung eines Arbeitnehmers zusammenhängenden Gründe abhängig zu machen. Außerdem sieht diese Bestimmung ebenso wenig wie die anderen Bestimmungen dieser Richtlinie spezifische Maßnahmen vor, die die Mitgliedstaaten zu diesem Zweck treffen müssten.

43        Diese Feststellung wird durch Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 bestätigt, wonach, wenn die Mitgliedstaaten in ihren Rechtsvorschriften Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit vorsehen, diese aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein müssen, wozu insbesondere der Schutz der Leiharbeitnehmer, die Erfordernisse von Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz oder die Notwendigkeit, das reibungslose Funktionieren des Arbeitsmarktes zu gewährleisten und eventuellen Missbrauch zu verhüten, zählen.

44        Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich nämlich, dass diese Bestimmung dahin zu verstehen ist, dass sie den Rahmen festlegt, in dem sich die Regelungstätigkeit der Mitgliedstaaten in Bezug auf Verbote und Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit abspielen darf, und nicht den Erlass einer bestimmten Regelung in diesem Bereich, auch nicht zur Verhinderung von Missbräuchen, vorschreibt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. März 2015, AKT, C‑533/13, EU:C:2015:173, Rn. 31).

45        Schließlich lassen sich entgegen dem Vorbringen von JH in seinen schriftlichen Erklärungen die Erkenntnisse aus dem Urteil vom 25. Oktober 2018, Sciotto (C‑331/17, EU:C:2018:859), das die Auslegung von Paragraf 5 der am 18. März 1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70 betrifft, nicht auf die vorliegende Rechtssache übertragen. Während nämlich Paragraf 5 dieser Rahmenvereinbarung besondere Verpflichtungen vorsieht, um den Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge zu vermeiden, ist dies bei Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie 2008/104 nicht der Fall.

46        Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie 2008/104 nicht abgeleitet werden kann, dass diese Bestimmung die Mitgliedstaaten verpflichtet, in ihren jeweiligen nationalen Rechtsvorschriften alle oder einen Teil der in der Vorlagefrage genannten spezifischen Maßnahmen vorzusehen.

47        Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich das vorlegende Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen, wie aus Rn. 29 des vorliegenden Urteils hervorgeht, ganz allgemein fragt, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Rechtsvorschriften als gegen die Richtlinie 2008/104, insbesondere gegen ihren Art. 5 Abs. 5 Satz 1 im Licht ihres 15. Erwägungsgrundes, verstoßend angesehen werden könnten, da sie dadurch, dass sie solche Maßnahmen nicht vorsähen, aufeinanderfolgende Überlassungen desselben Arbeitnehmers an dasselbe entleihende Unternehmen mit dem Ziel, die Bestimmungen dieser Richtlinie und insbesondere den befristeten Charakter der Leiharbeit zu umgehen, ermöglichen könnten. Das vorlegende Gericht fragt sich, ob diese Unionsrechtswidrigkeit auch zum einen aus Art. 1 Abs. 1 dieser Richtlinie, der den vorübergehenden Charakter der Überlassung des Arbeitnehmers an das entleihende Unternehmen voraussetze, und zum anderen aus Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie abgeleitet werden könne, dessen Buchst. b bis e die Begriffe „Leiharbeitsunternehmen“, „Leiharbeitnehmer“, „entleihendes Unternehmen“ und „Überlassung“ auf eine Weise definiere, die erkennen lasse, dass diese Art des Beschäftigungsverhältnisses naturgemäß vorübergehend sei.

48        So wirft das vorlegende Gericht auch die Frage auf, ob durch den Erlass der Richtlinie 2008/104 das vom Unionsgesetzgeber verfolgte Ziel, wie es sich insbesondere aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 dieser Richtlinie ergebe, nicht darin liege, die Mitgliedstaaten zu verpflichten, den vorübergehenden Charakter der Leiharbeit zu wahren, indem sie unbeschränkte Erneuerungen von Überlassungen verbiete, die in Wirklichkeit den ständigen Personalbedarf des betreffenden entleihenden Unternehmens deckten und damit die Bestimmungen dieser Richtlinie umgingen.

49        Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist dieser aber durch nichts daran gehindert, dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, indem er ihm Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts liefert, anhand deren das Gericht selbst über die Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem Unionsrecht entscheiden kann (Urteil vom 16. Februar 2012, Varzim Sol, C‑25/11, EU:C:2012:94, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Beschluss vom 16. Januar 2014, Baradics u. a., C‑430/13, EU:C:2014:32, Rn. 31).

50        Hierzu ist erstens klarzustellen, dass die Richtlinie 2008/104 nach ihrem elften Erwägungsgrund nicht nur dem Flexibilitätsbedarf der Unternehmen, sondern auch dem Bedürfnis der Arbeitnehmer, Beruf und Privatleben zu vereinbaren, entspricht und somit zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Teilnahme am und zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt beiträgt. Diese Richtlinie bemüht sich daher um einen Ausgleich zwischen dem Ziel der von den Unternehmen angestrebten Flexibilität und dem Ziel der Sicherheit, das dem Schutz der Arbeitnehmer zuzuordnen ist.

51        Dieses zweifache Ziel entspricht somit dem Willen des Unionsgesetzgebers, die Leiharbeitsbedingungen den „normalen“ Arbeitsverhältnissen anzunähern, zumal der Unionsgesetzgeber im 15. Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/104 ausdrücklich klargestellt hat, dass die übliche Form des Beschäftigungsverhältnisses unbefristete Arbeitsverträge sind. Diese Richtlinie zielt daher auch darauf ab, den Zugang der Leiharbeitnehmer zu unbefristeter Beschäftigung bei dem entleihenden Unternehmen zu fördern, ein Ziel, das sich insbesondere in ihrem Art. 6 Abs. 1 und 2 widerspiegelt.

52        Der Grundsatz der Gleichbehandlung, wie er in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 vorgesehen ist, dient demselben Ziel. Nach dieser Bestimmung müssen nämlich die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Leiharbeitnehmer während der Dauer ihrer Überlassung an ein entleihendes Unternehmen mindestens denjenigen entsprechen, die für sie gelten würden, wenn sie von dem Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wären.

53        Zweitens wird der Begriff „wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“, der die Tragweite des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Leiharbeitnehmer bestimmt, in Art. 3 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2008/104 definiert und bezieht sich auf die Dauer der Arbeitszeit, Überstunden, Pausen, Ruhezeiten, Nachtarbeit, Urlaub, arbeitsfreie Tage und Arbeitsentgelt.

54        Wie die Generalanwältin in Nr. 44 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, geht jedoch aus dem ersten Erwägungsgrund dieser Richtlinie hervor, dass diese die uneingeschränkte Einhaltung von Art. 31 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union gewährleisten soll, der nach seinem Abs. 1 allgemein das Recht jedes Arbeitnehmers auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen verankert. In der Erläuterung zur Charta der Grundrechte (ABl. 2007, C 303, S. 17) heißt es dazu, dass der Ausdruck „Arbeitsbedingungen“ im Sinne des Art. 156 AEUV zu verstehen ist. Allerdings verweist die letztgenannte Bestimmung nur auf „Arbeitsbedingungen“, ohne sie weiter zu definieren, als einen der Bereiche der Sozialpolitik der Union, in dem die Europäische Kommission tätig werden kann, um die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern und die Abstimmung ihres Vorgehens zu erleichtern. Im Hinblick auf den mit der Richtlinie 2008/104 verfolgten Zweck, die Rechte der Leiharbeitnehmer zu schützen, spricht diese fehlende Genauigkeit für eine weite Auslegung des Begriffs „Arbeitsbedingungen“.

55        Drittens erlegt Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie 2008/104 den Mitgliedstaaten in diesem Sinne zwei verschiedene Verpflichtungen auf, nämlich die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um zum einen einen Missbrauch der durch diesen Art. 5 selbst zugelassenen Ausnahmen vom Grundsatz der Gleichbehandlung und zum anderen aufeinanderfolgende Überlassungen zu verhindern, mit denen die Bestimmungen der Richtlinie 2008/104 insgesamt umgangen werden sollen.

56        Hierzu ist festzustellen, dass, wie die Generalanwältin in Nr. 46 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, die Worte „und um insbesondere“ in Art. 5 Abs. 5 Satz 1 dieser Richtlinie, mit denen diese beiden Verpflichtungen verbunden werden, entgegen dem Vorbringen der Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen nicht dahin ausgelegt werden können, dass die zweite Verpflichtung automatisch und vollständig von der erstgenannten Voraussetzung abhängig wäre, so dass diese Bestimmung ausschließlich auf den Missbrauch der zulässigen Ausnahmen vom Grundsatz der Gleichbehandlung Anwendung finden würde, dessen konkrete Tragweite für die Zwecke dieser Richtlinie in ihrem Art. 5 Abs. 1 bis 4 präzisiert wird.

57        Die beiden Verpflichtungen der Mitgliedstaaten unterscheiden sich deutlich voneinander. Die erste verpflichtet sie, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um allein eine missbräuchliche Anwendung der nach Art. 5 Abs. 2 bis 4 der Richtlinie 2008/104 zugelassenen Ausnahmen zu verhindern. Die zweite Verpflichtung ist hingegen weiter gefasst und zielt darauf ab, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um insbesondere aufeinanderfolgende Überlassungen zu verhindern, mit denen die Bestimmungen dieser Richtlinie insgesamt umgangen werden sollen.

58        Die von der Kommission vertretene enge Auslegung von Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie 2008/104 widerspricht nicht nur dem Wortlaut dieser Bestimmung, die ausdrücklich zwei Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, von denen die zweite die Richtlinie 2008/104 allgemein betrifft, vorsieht, sondern auch dem ausdrücklichen Zweck dieser Richtlinie, der darin besteht, die Leiharbeitnehmer zu schützen und die Bedingungen der Leiharbeit zu verbessern.

59        Daraus folgt, dass die den Mitgliedstaaten durch Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie 2008/104 auferlegte Verpflichtung, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um aufeinanderfolgende Überlassungen, mit denen die Bestimmungen dieser Richtlinie umgangen werden sollen, zu verhindern, in Anbetracht ihres Zusammenhangs und ihrer Zielsetzung dahin zu verstehen ist, dass sie sich auf alle Bestimmungen dieser Richtlinie bezieht.

60        Viertens ist festzustellen, dass die Richtlinie 2008/104 auch sicherstellen soll, dass die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass Leiharbeit bei demselben entleihenden Unternehmen nicht zu einer Dauersituation für einen Leiharbeitnehmer wird.

61        In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Art. 3 Abs. 1 Buchst. b bis e dieser Richtlinie die Begriffe „Leiharbeitsunternehmen“, „Leiharbeitnehmer“, „entleihendes Unternehmen“ und „Überlassung“ definiert und dass aus diesen Definitionen hervorgeht, dass das Arbeitsverhältnis mit einem entleihenden Unternehmen seiner Natur nach vorübergehend ist.

62        Außerdem bezieht sich diese Richtlinie zwar auf vorübergehende Arbeitsverhältnisse, Übergangsarbeitsverhältnisse oder zeitlich begrenzte Arbeitsverhältnisse und nicht auf Dauerarbeitsverhältnisse, doch stellt sie in ihrem 15. Erwägungsgrund sowie in ihrem Art. 6 Abs. 1 und 2 klar, dass „unbefristete Arbeitsverträge“, d. h. Dauerarbeitsverhältnisse, die übliche Form des Beschäftigungsverhältnisses sind und dass die Leiharbeitnehmer über die im entleihenden Unternehmen offenen Stellen unterrichtet werden müssen, damit sie die gleichen Chancen auf einen unbefristeten Arbeitsplatz haben wie die übrigen Arbeitnehmer dieses Unternehmens.

63        Schließlich ist festzustellen, dass Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie 2008/104 den Mitgliedstaaten in klaren, genauen und nicht an Bedingungen geknüpften Worten aufgibt, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um Missbräuche zu verhindern, die darin bestehen, Überlassungen von Leiharbeitnehmern mit dem Ziel aufeinander folgen zu lassen, die Bestimmungen dieser Richtlinie zu umgehen. Folglich ist diese Bestimmung dahin auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat verwehrt, keine Maßnahmen zu ergreifen, um den vorübergehenden Charakter der Leiharbeit zu wahren.

64        Dazu geht aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass die sich aus einer Richtlinie ergebende Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das darin vorgesehene Ziel zu erreichen, und ihre Pflicht gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV und Art. 288 AEUV, alle zur Erfüllung dieser Verpflichtung geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu treffen, allen Trägern öffentlicher Gewalt der Mitgliedstaaten einschließlich, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten, der Gerichte obliegen (vgl. u. a. Urteil vom 19. September 2019, Rayonna prokuratura Lom, C‑467/18, EU:C:2019:765, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).

65        Zur Erfüllung dieser Verpflichtung verlangt der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung von den nationalen Behörden, unter Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der dort anerkannten Auslegungsmethoden alles zu tun, was in ihrer Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem vom Unionsrecht verfolgten Ziel im Einklang steht (Urteil vom 19. September 2019, Rayonna prokuratura Lom, C‑467/18, EU:C:2019:765, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).

66        Dieser Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts unterliegt jedoch bestimmten Schranken. So findet die Verpflichtung des nationalen Richters, bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts den Inhalt des Unionsrechts heranzuziehen, ihre Schranken in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen und darf nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen (Urteil vom 19. September 2019, Rayonna prokuratura Lom, C‑467/18, EU:C:2019:765, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

67        Im vorliegenden Fall ist es Sache des vorlegenden Gerichts, die rechtliche Einordnung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Beschäftigungsverhältnisses sowohl im Hinblick auf die Richtlinie 2008/104 selbst als auch auf das nationale Recht zur Umsetzung dieser Richtlinie in die italienische Rechtsordnung im Hinblick auf die vorstehenden Erwägungen zu kontrollieren, um zu überprüfen, ob es sich, wie JH vorträgt, um ein unbefristetes Arbeitsverhältnis handelt, auf das die Form aufeinanderfolgender Leiharbeitsverträge künstlich angewandt wurde, um die Ziele der Richtlinie 2008/104, insbesondere die vorübergehende Natur der Leiharbeit, zu umgehen.

68        Bei dieser Beurteilung kann das vorlegende Gericht folgende Erwägungen berücksichtigen.

69        Führen aufeinanderfolgende Überlassungen desselben Leiharbeitnehmers bei demselben entleihenden Unternehmen zu einer Beschäftigungsdauer bei diesem Unternehmen, die länger ist als was vernünftigerweise als „vorübergehend“ betrachtet werden kann, könnte dies ein Hinweis auf einen missbräuchlichen Einsatz aufeinanderfolgender Überlassungen im Sinne von Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie 2008/104 sein.

70        Ebenso umgehen aufeinanderfolgende Überlassungen desselben Leiharbeitnehmers an dasselbe entleihende Unternehmen, wie die Generalanwältin in Nr. 57 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, den Wesensgehalt der Bestimmungen der Richtlinie 2008/104 und kommen einem Missbrauch dieser Form des Beschäftigungsverhältnisses gleich, da sie den Ausgleich, den diese Richtlinie zwischen der Flexibilität für die Arbeitgeber und der Sicherheit für die Arbeitnehmer herstellt, beeinträchtigen, indem sie letztere unterminieren.

71        Schließlich hat das nationale Gericht, wenn in einem konkreten Fall keine objektive Erklärung dafür gegeben wird, dass das betreffende entleihende Unternehmen auf eine Reihe aufeinanderfolgender Leiharbeitsverträge zurückgreift, vor dem Hintergrund des nationalen Rechtsrahmens und unter Berücksichtigung der Umstände jedes Einzelfalls zu prüfen, ob eine der Bestimmungen der Richtlinie 2008/104 umgangen wird, und dies erst recht, wenn es derselbe Leiharbeitnehmer ist, der dem entleihenden Unternehmen durch die fragliche Reihe von Verträgen überlassen wird.

72        Nach alledem ist Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie 2008/104 dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegensteht, die die Zahl aufeinanderfolgender Überlassungen desselben Leiharbeitnehmers bei demselben entleihenden Unternehmen nicht beschränken und die Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Arbeitnehmerüberlassung nicht von der Angabe der technischen oder mit der Produktion, der Organisation oder der Ersetzung eines Arbeitnehmers zusammenhängenden Gründe für den Einsatz der Arbeitnehmerüberlassung abhängig machen. Dagegen ist diese Bestimmung dahin auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat verwehrt, keine Maßnahmen zu ergreifen, um den vorübergehenden Charakter der Leiharbeit zu wahren, und einer nationalen Regelung entgegensteht, die keine Maßnahmen vorsieht, um aufeinanderfolgende Überlassungen desselben Leiharbeitnehmers an dasselbe entleihende Unternehmen mit dem Ziel, die Bestimmungen der Richtlinie 2008/104 insgesamt zu umgehen, zu verhindern.

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