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Arbeitsrecht
06.01.2022
Arbeitsrecht
LAG Hessen: Massenentlassungsanzeige – „Soll-Angaben“

LAG Hessen, Urteil vom 25.6.2021 – 14 Sa 1225/20

ECLI:DE:LAGHE:2021:0625.14SA1225.20.00

Volltext: BB-Online BBL2021-60-1

 

Leitsatz

Enthält bei einer nach § 17 Abs. 1 KSchG anzeigepflichtigen Entlassung die Anzeige gegenüber der Agentur für Arbeit nicht die in § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG genannten Angaben (sog. „Soll-Angaben“) und werden diese nicht vor Zugang der Kündigung gegenüber der Agentur für Arbeit nachgeholt, führt dies zur Unwirksamkeit der Kündigung gemäß § 17 Abs. 1 KSchG i.V.m. § 134 BGB.

Dies ergibt die richtlinienkonforme Auslegung der Vorschrift. Art. 3 Abs. 1 Unterabsatz 3 MERL verlangt die Mitteilung aller zweckdienlichen Angaben. Hierzu gehören auch die in § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG genannten Angaben über Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer (BAG 14. Mai 2020 -6 AZR 235/19- NZA 2020, 1092). Die MERL unterscheidet dabei nicht zwischen solchen Angaben, die auf jeden Fall erfolgen müssen und solchen, die zwar zweckdienlich, aber gleichwohl verzichtbar sind (BAG 13. Februar 2020 – 6 AZR 146/19 – BAGE 169, 362).

§ 17 Abs. 3 S. 5 KSchG ist einer richtlinienkonformen Auslegung zugänglich; eine solche ist mit dem Wortlaut, der Gesetzessystematik sowie mit dem aus der Entstehungsgeschichte ersichtlichen Willen des Gesetzgebers vereinbar.

§ 17 Abs 1 KSchG, § 17 Abs 3 KSchG

 

Sachverhalt

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz zuletzt noch um die Wirksamkeit einer ordentlichen, aus betriebsbedingten Gründen ausgesprochenen Kündigung der Beklagten zu 1) (künftig: Beklagte). Erstinstanzlich hat die Klägerin noch zwei weitere Unternehmen unter dem Gesichtspunkt des § 613a BGB verklagt und ist insoweit unterlegen.

Die gegen die Beklagte zu 2) und zu 3) zunächst eingelegte Berufung hat die Klägerin zurückgenommen.

Die Klägerin war bei der Beklagten aufgrund schriftlichen mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten geschlossenen Arbeitsvertrags (von der Klägerin nur in englischer Sprache zur Akte gereicht, Bl. 42 der Akte) seit dem 1. April 1998 zuletzt als Mitarbeiterin im Processing mit einem durchschnittlichen Bruttomonatslohn von € 4582,50 tätig.

Die Beklagte beschäftigte regelmäßig 21 Mitarbeiter am Standort Kronberg sowie weitere Mitarbeiter an anderen Standorten sowie im Home Office. Ein Betriebsrat besteht nicht.

In der Zeit vom 18. Juni 2019 bis zum 18. Juli 2019 kündigte die Beklagte insgesamt 17 Arbeitsverhältnisse. Die verbleibenden Arbeitsverhältnisse wurden durch sie jeweils unter Beachtung der individuell maßgeblichen Kündigungsfrist gekündigt.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zum 31. Januar 2020 (Bl. 9 ff. der Akte). Die deutsche Version des Schreibens trägt das Datum 18. Juni 2019, in der englischen Version des gleichen Schriftstücks ist handschriftlich der 19. Juni 2020 als Ausstellungsdatum aufgeführt. Die Kündigung ist der Klägerin am 19. Juni 2019 zugegangen.

Die Beklagte hat der Klägerin gegenüber am 25. September 2020 eine weitere ordentliche Kündigung zum 30. April 2021 ausgesprochen, das Verfahren betreffend die von der Klägerin hiergegen vor dem Arbeitsgericht Frankfurt erhobene Kündigungsschutzklage ist ausgesetzt.

Mit Schreiben vom 19. Juli 2019 (Bl. 194 ff. der Akte) hat die Beklagte der Agentur für Arbeit Bad Homburg die Anlage zu Feld 34 der Entlassungsanzeige übersendet, die bei dieser – wie zuletzt unstreitig – am 23. Juli 2019 eingegangen ist.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die ausgesprochene Kündigung sei unwirksam und insoweit unter anderem die Verletzung von § 17 KSchG gerügt.

Die Beklagte hat eine Massenentlassungsanzeige vom 17. Juni 2019 zur Akte gereicht (Bl. 87 ff. der Akte) und insoweit behauptet, diese sei der Agentur für Arbeit Bad Homburg am 18. Juni 2019 um 9:17 Uhr zugegangen. Wegen des Inhalts des Schreibens wird auf Bl. 87 ff. der Akte Bezug genommen. Weiterhin hat sie ein Schreiben der Agentur für Arbeit Bad Homburg vom 18. Juni 2019 zur Akte gereicht (Bl. 93 der Akte), indem diese bestätigt, dass die Entlassungsanzeige am 18.6.2019 um 9:17 Uhr vollständig eingegangen sei und mitteilt, die gemäß § 18 Abs. 1 KSchG festzusetzende Entlassungssperre ende am 18.7.2019.

Am 5. Februar 2020 ist gegen die Klägerin ein klageabweisendes Versäumnis-urteil ergangen (Bl. 249 der Akte), das ihr am 14. Februar 2020 zugestellt worden ist (Bl. 252 der Akte). Hiergegen hat die Klägerin am 20. Februar 2020 Einspruch eingelegt (Bl. 251 ff. der Akte).

Wegen des erstinstanzlichen Parteivorbringens im Übrigen, ihrer Anträge, des vom Arbeitsgericht festgestellten Sachverhalts und des arbeitsgerichtlichen Verfahrens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat mit Urteil vom 16. September 2020 das Versäumnisurteil vom 5. Februar 2020 teilweise aufgehoben und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 19. Juni 2019 aufgelöst worden ist. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das Arbeitsgericht ist davon ausgegangen, dass nur eine Kündigungserklärung vom 19. Juni 2019 und keine weitere Kündigungserklärung vom 18. Juni 2019 vorliege. Es hat die Kündigung als unwirksam angesehen, weil die Massenentlassungsanzeige der Beklagten den Voraussetzungen des § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG nicht genüge. § 17 Abs. 3 S. 4, 5 KSchG entspreche den unionsrechtlichen Vorgaben, obgleich die RL 98/59/EG des Rates vom 10. Juni 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (künftig: MERL) die Unterscheidung zwischen Soll- und Muss-Angaben nicht kenne. Sowohl die in § 17 Abs. 3 S. 4 KSchG als auch die in § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG genannten Gesichtspunkte seien zweckdienlich im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Unterabsatz 3 der MERL. Angaben seien entweder zweckdienlich für die Vermittlung der zu entlassenden Arbeitnehmer und deshalb für die Wirksamkeit der Anzeige erforderlich oder sie seien überflüssig und deshalb entbehrlich. Auch Verstöße gegen die „Soll-Angaben“ führten deshalb zur Unwirksamkeit der Kündigung. Selbst wenn die Beklagte die nicht getätigten Angaben zu Feld 34 der Entlassungsanzeige, also die Angaben zu Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer, nachgereicht habe, habe jedenfalls zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung keine wirksame Massenentlassungsanzeige vorgelegen. Dieser Fehler sei auch nicht dadurch geheilt worden oder der gerichtlichen Kontrolle entzogen, dass die Agentur für Arbeit dies nicht beanstandet habe. Den Weiterbeschäftigungsantrag gegen die Beklagte hat das Arbeitsgericht abgewiesen, weil die Beschäftigung der Klägerin aufgrund der Betriebsstilllegung nicht mehr möglich sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die arbeitsgerichtlichen Entscheidungsgründe (Bl. 404 - 411 der Akte) Bezug genommen.

Gegen das ihr am 6. Oktober 2020 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 21. Oktober 2020 Berufung eingelegt und diese mit am 2. Dezember 2020 bei Gericht eingegangener Berufungsbegründungsschrift begründet.

Die Beklagte rügt, das Arbeitsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass die Massenentlassungsanzeige vom 17. Juni 2019 unwirksam sei. Es habe verkannt, dass es sich bei den nach § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG zu machenden Angaben um reine “Soll-Angaben“ handele, die auf die Wirksamkeit der Kündigung keine Auswirkung hätten. Mit seiner anderslautenden Rechtsauffassung verstoße das Arbeitsgericht gegen den Willen des deutschen Gesetzgebers, der in der Regelung des § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG klar zum Ausdruck komme, gegen die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und gegen europarechtliche Grundsätze. Gegen die Ansicht des Arbeitsgerichts spreche bereits der klare Wortlaut des § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG. Auch aus der Gesetzesbegründung zu § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG ergebe sich, dass es sich insoweit um eine reine Soll-Bestimmung handele, da der Arbeitgeber die fraglichen Angaben häufig noch nicht machen könne. Der ursprüngliche Beruf des Mitarbeiters sei dem Arbeitgeber oft gar nicht bekannt. Der Gesetzgeber habe erkennbar zur Erreichung des Zwecks, der Agentur für Arbeit ihre Vermittlungstätigkeit zu erleichtern, die Angaben in § 17 Abs. 3 S. 4 KSchG als ausreichend erachtet und gerade nicht die Auffassung vertreten, dass auch die weiteren Angaben nach § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG zur Erreichung dieses Zwecks notwendig seien. Dass die Angaben nach § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG zweckdienlich seien, bedeute zudem nicht zugleich, dass sie bereits zum Zeitpunkt der Einreichung der Massenentlassungsanzeige zu erfolgen hätten. Der deutsche Gesetzgeber habe auch die unionsrechtlichen Vorgaben in § 17 Abs. 3 S. 4 und 5 KSchG korrekt umgesetzt und sei sogar über diese hinausgegangen. Die MERL mache keinerlei Vorgaben zu Angaben im Hinblick auf Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit. Selbst wenn man aber von einer Unionsrechtswidrigkeit ausgehe, führe dies nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung, weil man andernfalls der MERL unmittelbare Wirkung gegenüber privaten Arbeitgebern zuspreche, was mit dem Unionsrecht nicht in Einklang zu bringen sei. § 17 Abs. 3 S. 4 und 5 KSchG seien keiner unionsrechtlichen Auslegung zugänglich.

Im Berufungstermin hat die Beklagte klargestellt, beabsichtigt gewesen sei bei Übergabe des Kündigungsschreibens am 19. Juni 2019 lediglich eine einzige Kündigungserklärung. Gegen die entsprechende Bewertung des Arbeitsgerichts wende sich die Berufung nicht.

Die Beklagte beantragt,

    das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 16. September 2020 – 11 Ca 4532/19 – teilweise abzuändern und das Versäumnisurteil vom 5. Februar 2020 aufrecht zu erhalten, soweit die Kündigungsschutzklage gegen sie durch es abgewiesen worden ist.

Die Klägerin beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Das Arbeitsgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass auch Verstöße gegen die „Soll-Angaben“ des § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG zur Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung führten und dass der damit vorliegende Fehler im Anzeigeverfahren auch nicht dadurch geheilt worden sei, dass die Agentur für Arbeit die Anzeige nicht beanstandet habe. Sie meint, § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG sei richtlinienkonform so auszulegen, dass auch Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit der zur Entlassung vorgesehenen Arbeitnehmer als zweckdienliche Angaben zugleich mit den „Muss-Angaben“ im Rahmen der Massenentlassungsanzeige mitgeteilt werden müssten. Im Hinblick auf die von der Beklagten angeführte Gesetzgebungshistorie sei auch zu berücksichtigen, dass es bei der Beklagten unstreitig gar keinen Betriebsrat gebe.

Im Berufungstermin vom 12. März 2021 baten die Parteien um einen Vergleichsvorschlag der Vorsitzenden und die Anberaumung eines Verkündungstermins. Nachdem eine Einigung nicht erzielt wurde, erfolgte erneuter Vortrag der Beklagten mit Schriftsatz vom 23. April 2021, weshalb der Verkündungstermin verlegt wurde. Wegen des Inhalts des Schriftsatzes wird auf Bl. 536 ff. der Akte Bezug genommen

Am 22. Juni 2021 fand im Hinblick auf den nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsatz der Beklagten eine Nachberatung der Kammer statt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der Berufungsschriftsätze und den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 12. März 2021 verwiesen.

Aus den Gründen

    I.

Die Berufung ist statthaft, §§ 8 Abs. 2 ArbGG, 64 Abs. 2 c) ArbGG, § 511 ZPO. Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO.

II.

Das Verfahren ist entscheidungsreif. Die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung war durch keinen der in § 156 Abs. 2 ZPO genannten Gründe veranlasst. Insbesondere liegen die Voraussetzungen des § 156 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht vor; der Schriftsatz der Beklagten vom 23. April 2021 enthielt ausschließlich Rechtsvortrag.

III.

Die Berufung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat das Versäumnisurteil vom 5. Februar 2020 zu Recht aufgehoben und der Kündigungsschutzklage gegen die Beklagte stattgegeben. Die Kündigungsschutzklage ist begründet. Die Kündigung der Beklagten vom 19. Juni 2019 ist unwirksam.

1. Wie vom Arbeitsgericht zutreffend festgestellt gilt die Kündigung nicht gemäß § 7 KSchG als wirksam, da die Klägerin die Kündigung innerhalb der Frist des § 4 S. 1 KSchG mit einer Kündigungsschutzklage angegriffen hat.

2. Die Kündigung vom 19. Juni 2019 ist gemäß § 17 Abs. 1 KSchG i.V.m. § 134 BGB unwirksam, weil vor ihrem Zugang keine wirksame Massenentlassungsanzeige erfolgt ist, eine solche aber erforderlich gewesen wäre. Auch dies hat das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt. Die Angriffe der Berufung rechtfertigen keine abweichende Beurteilung.

a) Eine Massenentlassungsanzeige war erforderlich, nachdem die Beklagte entschieden hat, von höchstens 37 Arbeitnehmern in ihrem Betrieb – so die Angabe in der Massenentlassungsanzeige - innerhalb von 30 Kalendertagen 17 Arbeitnehmer – darunter die Klägerin – zu entlassen, § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 KSchG. Hiergegen wendet sich die Berufung nicht.

b) Die Massenentlassungsanzeige der Beklagten vom 17. Juni 2019 ist nicht ordnungsgemäß erfolgt, weil sie die Angaben nach § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG – Angaben über Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer – nicht enthielt, obwohl diese der Beklagten möglich gewesen wären. Ob die Massenentlassungsanzeige, wie von der Beklagten behauptet, bei der Agentur für Arbeit Bad Homburg am 18. Juni 2019 eingegangen ist und ob dies zuletzt überhaupt noch von der Klägerseite bestritten wurde, kann vor diesem Hintergrund dahinstehen.

aa) Die richtlinienkonforme Auslegung des § 17 Abs. 3 KSchG ergibt, dass eine Massenentlassungsanzeige nur ordnungsgemäß ist, wenn sie auch die in § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG genannten Angaben enthält.

aaa) § 17 KSchG ist richtlinienkonform auszulegen. Dies folgt daraus, dass die Vorschrift die MERL umsetzt (vgl. nur BAG 27. Februar 2010 – 8 AZR 215/19 – Juris).

bbb) Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 3 MERL verlangt die Mitteilung aller zweckdienlichen Angaben. Entgegen der Auffassung der Beklagten unterscheidet die MERL dabei nicht zwischen solchen Angaben, die auf jeden Fall erfolgen müssen und solchen, die zwar zweckdienlich, aber gleichwohl verzichtbar sind (BAG 13. Februar 2020 – 6 AZR 146/19 – Juris; Spelge, EuZA 2018, 67; Spelge, RdA 2018, 297; EuArbRK/Spelge RL 98/59/EG Art. 3 Rn. 4; EuArbRK/Spelge RL 98/59/EG Art. 6 Rn. 18). Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass einzelne Angaben nach dem Wortlaut der Regelung als „insbesondere“ zu tätigend aufgeführt werden. Eine entsprechende Auslegung scheitert am Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 3 MERL, der klar formuliert, dass die Anzeige alle Angaben enthalten muss, die zweckdienlich sind.

ccc) Die in § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG genannten Angaben über Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer sind im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 3 MERL zweckdienlich (ebenso BAG 14. Mai 2020 – 6 AZR 235/19 – NZA 2020, 1092; BAG 13. Februar 2020 – 6 AZR 146/19- BAGE 169, 362; Spelge, EuZA 2018, 67; Spelge, RdA 2018, 297; EuArbRK/Spelge RL 98/59/EG Art. 3 Rn. 4; EuArbRK/Spelge RL 98/59/EG Art. 6 Rn. 18). Durch die Anzeige soll die zuständige Behörde rechtzeitig über eine bevorstehende Massenentlassung unterrichtet werden, um sich auf die Entlassung einer größeren Anzahl von Arbeitnehmern vorbereiten und ihre Vermittlungsbemühungen darauf einstellen zu können (vgl. EuGH 27. Januar 2005 – C- 188/03 [Junk] - NZA 2005, 213). Das setzt voraus, dass sie in einem strukturierten Verfahren vom Arbeitgeber die in § 17 Abs. 3 S. 4 und 5 aufgeführten objektiv richtigen Angaben erhält (BAG 14. Mai 2020 – 6 AZR 235/19 – NZA 2020, 1092). Die MERL betrifft die sozioökonomischen Auswirkungen, die Massenentlassungen in einem bestimmten örtlichen Kontext und einer bestimmten sozialen Umgebung hervorrufen können (BAG 13. Februar 2020 – 6 AZR 146/19 – BAGE 169, 362). Sowohl hinsichtlich der zu entfaltenden Vermittlungsbemühungen als auch hinsichtlich der sozioökonomischen Auswirkungen spielen die Merkmale Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer eine wesentliche Rolle.

Dem steht auch nicht entgegen, dass es sich insoweit teilweise um nach § 1 AGG verpönte Merkmale handelt. §§ 8, 10 AGG lassen eine unterschiedliche Behandlung auch aufgrund in § 1 AGG genannter Merkmale gerade wegen beruflicher Anforderungen und beispielsweise - bezogen auf das Alter des Beschäftigten - der Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor Eintritt in den Ruhestand zu und erkennen deren mögliche Bedeutung im Hinblick auf die auszuübende Tätigkeit damit als legitim zu berücksichtigend an.

Die in § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG aufgeführten Angaben sind auch nicht deshalb nicht als zweckdienlich im Sinne von Art 3 Abs. 1 Unterabs. 3 MERL anzusehen, weil sie dem Arbeitgeber unter Umständen mangels Kenntnis nicht möglich sind. Ohne dass es vorliegend hierauf ankäme - dass der Beklagten die wenig später gegenüber der Agentur für Arbeit Bad Homburg nachgeholten Angaben möglich waren, bestreitet diese jedenfalls nicht substantiiert - dürfte Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 3 MERL nach allgemeinen Grundsätzen dahingehend auszulegen sein, dass vom Arbeitgeber nur solche Angaben gefordert werden können, die diesem - gegebenenfalls nach entsprechenden Nachforschungen - möglich sind.

ddd) Die richtlinienkonforme Auslegung des § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG dahingehend, dass der Arbeitgeber die dort genannten Angaben im Rahmen seiner Anzeige bei der Agentur für Arbeit zumindest dann vorzunehmen hat, wenn er über die entsprechenden Informationen verfügt oder sie sich beschaffen kann, ist auch entgegen der Auffassung der Beklagten möglich. Weder der Wortlaut der Vorschrift noch deren Systematik noch der Wille des nationalen Gesetzgebers stehen einer entsprechenden Auslegung entgegen.

(1) Der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung verlangt, dass die nationalen Gerichte unter Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der dort anerkannten Auslegungsmethoden alles tun, was in ihrer Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit der fraglichen Richtlinie zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von der Richtlinie verfolgten Ziel im Einklang steht (EuGH 8. Mai 2019 -C-486/18 - [Praxair MRC]- NZA 2019, 1131; BAG 19. November 2019 – 7 ABR 3/18 – BAGE 168, 360-373; BAG 23. Mai 2018 -5 AZR 263/17- NJW 2018, 3532; BAG 21. Februar 2017-1 ABR 62 / 12-Juris). Dies kann es auch erfordern, das nationale Recht fortzubilden. Allerdings unterliegt der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung und Rechtsfortbildung des nationalen Rechts Schranken. Die Pflicht zur Verwirklichung eines Richtlinienziels im Auslegungsweg findet ihre Grenzen an dem nach innerstaatlicher Rechtstradition methodisch Erlaubten. Sie darf nicht als Grundlage für eine Auslegung des nationalen Rechts contra legem dienen (EuGH 8. Mai 2019 -C-486/18 - [Praxair MRC]- NZA 2019, 1131; BAG 23. Mai 2018 -5 AZR 263/17- NJW 2018, 3532; BAG 21. Februar 2017-1 ABR 62 / 12-Juris). Der Gehalt einer nach Wortlaut, Systematik und Sinn eindeutigen Regelung kann nicht im Wege der richtlinienkonformen Auslegung in sein Gegenteil verkehrt werden (BAG 23. Mai 2018 -5 AZR 263/17- NJW 2018, 3532; BAG 18. Februar 2003 -1 ABR 2/02- BAGE 105,32). Richterliche Rechtsfortbildung darf nicht dazu führen, dass die Gerichte ihre eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzen. Die Gerichte dürfen sich nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen, sondern müssen die gesetzgeberische Grundentscheidung respektieren. Eine Interpretation, die sich über den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers hinwegsetzt, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein (vgl. BVerfG 6. Juni 2018 -1BvL 7/14- BVerfGE 149, 126). Die Beurteilung, ob die nationale Bestimmung unionsrechtskonform ausgelegt werden kann, obliegt den nationalen Gerichten (BAG 19. November 2019 – 7 ABR 3/18 – BAGE 168, 360-373).

(2) Der Wortlaut des § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG steht entgegen der Auffassung der Beklagten einer unionsrechtskonformen Auslegung der Regelung nicht entgegen. Aus der Formulierung als Sollvorschrift folgt nicht zwingend, dass das Unterbleiben der Angaben auf die Wirksamkeit der Anzeige keine Auswirkungen haben darf. Zwar trifft es zu, dass eine Sollvorschrift, die der Gesetzgeber unschwer auch als Mussvorschrift hätte ausgestalten können, in der Regel schwächere Rechtsfolgen als eine Mussvorschrift nach sich zieht (BAG 19. September 2005 -8 AZR 571/04- NZA 2005 1406). Zwingend ist dies jedoch nicht. Es hängt vielmehr von der jeweiligen Sollvorschrift und ihrer Auslegung ab, ob und welche Rechtsfolgen sie auslöst (BAG 19. September 2005 -8 AZR 571/04-NZA 2005 1406). Die Formulierung „soll“ kann auch dahingehend verstanden werden, dass durch sie nur dort eine Pflicht begründet wird, wo das jeweils geforderte Verhalten dem Adressaten möglich ist, die Pflicht in diesem Fall aber uneingeschränkt besteht.

(3) Einer derartigen Auslegung steht auch die Gesetzessystematik nicht entgegen, insbesondere nicht die Tatsache, dass § 17 Abs. 3 S. 4 KSchG als Muss-Vorschrift formuliert ist. Die im Rahmen des § 17 Abs. 3 S. 4 KSchG aufgeführten Angaben - Name des Arbeitgebers, Sitz und Art des Betriebes, Gründe für die geplanten Entlassungen, Zahl und Berufsgruppen der zu entlassenden und in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer, der Zeitraum, in dem die für die Entlassung vorgenommen werden sollen, und die vorgesehenen Kriterien für die Sozialauswahl - betreffen die Sphäre des Arbeitgebers selbst und seine Entscheidungen und können ihm nicht mangels Kenntnis unmöglich sein.

(4) Das hier dargelegte unionsrechtskonforme Verständnis des § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG erlauben auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift und der darin zum Ausdruck kommende Wille des deutschen Gesetzgebers, damals geltende europarechtliche Vorgaben in nationales Recht umzusetzen. Insbesondere trifft es entgegen der Auffassung der Beklagten nicht zu, dass der Gesetzgeber der Auffassung gewesen sei, dass die Angaben in § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG zur Erreichung des Zwecks, der Agentur für Arbeit ihre Vermittlungstätigkeit zu erleichtern, nicht notwendig seien.

(a) In der Begründung des Gesetzesentwurfes der Bundesregierung vom 19.10.1977 wird ausdrücklich ausgeführt, der Arbeitgeber habe in seiner Anzeige Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer anzugeben, weil die Vermittlungsfähigkeit der betroffenen Arbeitnehmer und die zu ihrer Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt vorzusehenden Maßnahmen im Wesentlichen von diesen Faktoren abhingen. Ihre Angabe bereits in der Entlassungsanzeige erweitere die Möglichkeiten der zuständigen Behörde. Die Begründung des Regierungsentwurfs geht damit erkennbar davon aus, dass die in § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG genannten Angaben für eine erfolgreiche Vermittlung zielführend sind. Die Ausgestaltung des § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG gleichwohl als Sollvorschrift wird damit begründet, dass der Arbeitgeber häufig, etwa um die Verhandlungen mit dem Betriebsrat nicht durch vorzeitige Festlegungen zu belasten, diese Angaben noch nicht machen könne. Dass das Unterlassen der genannten Angaben auch dann, wenn sie dem Arbeitgeber ohne weiteres möglich sind, sanktionslos bleiben soll, ist dieser Begründung nicht zu entnehmen.

(b) Nichts anderes ergibt sich aus der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 22. Februar 1978 (BTDrs. 8/1546), die in § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG umgesetzt worden ist. Die Angaben des § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG sollten hiernach ebenfalls nur dann verzichtbar sein, wenn andernfalls die Verhandlungen mit dem Betriebsrat belastet würden. Der Bericht über die Beratungen des Regierungsentwurfs im Ausschuss für Wirtschaft legt dar, dass dieser die Streichung des im Regierungsentwurf vorgesehenen S. 5. des § 17 Abs. 3 KSchG empfohlen habe, weil hierdurch die Verhandlungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat belastet würden. Es sei außerdem nicht einsichtig, warum der Arbeitgeber die Angaben machen müsse. Insbesondere in mittleren und kleinen Betrieben stehe bei Angabe von Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit die Person der zu entlassenden Arbeitnehmer im Ergebnis bereits fest. Dem Begehr des Ausschusses für Wirtschaft, § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG zu streichen, kommt die Beschlussempfehlung aber gerade nicht nach. Es bleibt vielmehr dem Grunde nach bei der Konzeption des Regierungsentwurfs. Die Bestimmung wird auch gegenüber dem Regierungsentwurf nicht abgeschwächt. In der Begründung der Beschlussempfehlung wird wie im Regierungsentwurf ausgeführt, dass die Angaben über Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer der Agentur „mitzuteilen sind“ und dass dies der Erleichterung der Arbeitsvermittlung der Betroffenen dienen soll. Dieser Grund solle lediglich zur Verdeutlichung in den Gesetzestext aufgenommen werden. Den Einwänden des Ausschusses für Wirtschaft im Hinblick auf die Verhandlungen mit dem Betriebsrat werde, so die Begründung des Entwurfs des Ausschusses für Arbeit und Soziales, dadurch Rechnung getragen, dass die jeweiligen Angaben im Einvernehmen mit dem Betriebsrat zu erfolgen hätten. Auch hier wurde jedoch im Ergebnis nur ein bereits in der Begründung des Regierungsentwurfs aufgeführtes Motiv in den Gesetzestext aufgenommen.

(c) Der insoweit zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers – keine Belastung der Verhandlungen mit dem Betriebsrat durch eine uneingeschränkte Pflicht, die genannten Angaben in die Anzeige aufzunehmen –wird durch die richtlinienkonforme Auslegung von § 17 KSchG dahingehend, dass das Unterbleiben der Angaben nach § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG zur Unwirksamkeit der Anzeige führt, sofern sie dem Arbeitgeber nicht unmöglich sind, nicht verletzt. Das gesetzgeberische Ziel, mehr Raum für Verhandlungen mit dem Betriebsrat zu ermöglichen, ist durch den geänderten Entlassungsbegriff obsolet (EuArbRK/Spelge RL 98/59/EG Art. 3 Rn. 4). Das Konsultationsverfahren muss abgeschlossen sein, bevor die Anzeige erstattet werden kann (EuArbRK/Spelge RL 98/59/EG Art. 3 Rn. 4), so dass die Verhandlungen mit dem Betriebsrat durch Erfordernisse betreffend die Anzeigepflicht nach § 17 Abs. 3 KSchG nicht berührt werden können. Die Anzeige bei der Agentur für Arbeit gemäß § 17 Abs. 3 KSchG setzt unabhängig von der Auslegung des § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG voraus, dass bereits feststeht, wie viele und welche Arbeitnehmer konkret entlassen werden sollen. Auf den Willensentschluss des Arbeitgebers zur Kündigung kann, soll und will die Agentur für Arbeit - anders als der Betriebsrat im Rahmen des Konsultationsverfahrens - keinen Einfluss mehr nehmen (BAG 13. Februar 2020 – 6 AZR 146/19 – Juris; BAG 13. Juni 2019 – 6 AZR 459/18 – BAGE 167, 102-121).

(d) Den Gesetzgebungsmaterialien ist auch nicht zu entnehmen, dass es einen Kompromiss im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens darstellte, § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG als Sollvorschrift zu konzipieren, die im Falle eines Verstoßes sanktionslos bleiben sollte. Eine Konzeption als Soll-Bestimmung war sowohl im Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 19. Oktober 1977 (BTDrs. 8/1041) als auch in der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 22. Februar 1978 (BTDrs. 8/1546), die in § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG umgesetzt worden ist, vorgesehen und zwar mit identischer Begründung.

bb) Die Annahme, § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG müsse richtlinienkonform ausgelegt werden, widerspricht nicht, wie die Beklagte meint, den Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts in seiner Entscheidung vom 13. Februar 2020 (6 AZR 146/19 – BAGE 169, 362). Soweit dort unter Rz. 93 festgestellt wird, § 17 Abs. 3 S. 4 und 5 KSchG entsprächen den europarechtlichen Vorgaben, trifft diese Aussage auch dann zu, wenn man davon ausgeht, dass § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG richtlinienkonform dahingehend ausgelegt werden kann und muss, dass die dort geforderten Angaben zwingend zu erfolgen haben, sofern sie dem Arbeitgeber möglich sind.

c) Das Fehlen einer ordnungsgemäßen, die Angaben des § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG enthaltenden Massenentlassungsanzeige vor Zugang der Kündigung am 19. Juni 2019 hat die Unwirksamkeit der Kündigung nach § 134 BGB zur Folge.

aa) Es führt unter Beachtung des unionsrechtlichen Grundsatzes des „effet utile“ zur Unwirksamkeit der Kündigung als Rechtsgeschäft, wenn bei ihrer Erklärung eine wirksame Anzeige nach § 17 Abs. 1 KSchG nicht vorlag. § 17 Abs. 1 KSchG verpflichtet den Arbeitgeber bei richtlinienkonformem Verständnis dazu, die Anzeige vor der „beabsichtigten“ Entlassung, d.h. vor der Kündigungserklärung, zu erstatten. Die Kündigung kann erst wirksam erklärt werden, wenn die Massenentlassungsanzeige ordnungsgemäß erfolgt ist (BAG 27. Februar 2020 – 8 AZR 244/19 – Juris; BAG 13. Februar 2020 – 6 AZR 146/19 –, BAGE 169, 362; BAG 9. Juni 2016-6 AZR 405 / 15-BAGE 155,245), was, wie dargelegt, die Angaben nach § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG einschließt. Für eine zeitliche Differenzierung zwischen § 17 Abs. 3 S. 4 und § 17 Abs. 3 S. 5 besteht keine Rechtfertigung. Maßgebend ist der Zugang der Kündigungserklärung beim Arbeitnehmer (BAG 13. Februar 2020 – 6 AZR 146/19 – BAGE 169, 362).

bb) Der Fehler in der Massenentlassungsanzeige vom 17. Juni 2019 ist nicht deswegen geheilt, weil die Arbeitsagentur mit Schreiben vom 18. Juni 2019 die Vollständigkeit der Massenentlassungsanzeige bestätigt und das Fehlen der Angaben nach § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG nicht beanstandet hat. Dadurch, dass die Agentur Fehler in der Massenentlassungsanzeige nicht bemerkt und/oder nicht beanstandet, werden diese nicht geheilt (BAG 13. Februar 2020 – 6 AZR 146/19 – EzA-SD 2020, Nr. 14, 3; BAG 22. September 2016-2 AZR 276/16- BAGE 157,1). Selbst ein bestandskräftiger Bescheid der Arbeitsverwaltung nach § 18 Abs. 1, § 20 KSchG hindert die Arbeitsgerichtsbarkeit nicht daran, die Unwirksamkeit einer Massenentlassungsanzeige festzustellen (ebenso BAG 14. Mai 2020 – 6 AZR 235/19 – NZA 2020, 1092; BAG 13. Februar 2020 – 6 AZR 146/19 – EzA-SD 2020, Nr. 14, 3; BAG 22. September 2016 – 2 AZR 276/16- BAGE 157,1). Darüber hinaus steht auch Art. 6 der MERL der Annahme einer Heilungswirkung von Verwaltungsakten der Arbeitsverwaltung entgegen. Eine solche Auslegung der §§ 17 ff. KSchG führte zur Unterschreitung des von Art. 6 der MERL geforderten Schutzniveaus und nähme den Anforderungen des § 17 KSchG ihre praktische Wirksamkeit (BAG 13. Februar 2020 – 6 AZR 146/19 – EzA-SD 2020, Nr. 14, 3: BAG 13. Dezember 2012 – 6 AZR 752/11- Juris).

cc) Der Rechtsfolge der Nichtigkeit der Kündigung steht auch nicht der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes entgegen. Zwar entspricht es der herrschenden Meinung, dass ein Verstoß gegen die Sollvorschrift in § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG nicht zur Nichtigkeit der anzeigepflichtigen Kündigung führt (vgl. etwa LAG Düsseldorf 5. Dezember 2019 – 13 Sa 622/18 –Juris: LAG Düsseldorf 13. März 2019 – 12 Sa 707/18 –Juris; ErfK/Kiel KSchG § 17 Rn. 29b; KR/Weigand § 17 KSchG Rn. 134 ff; A/P/S-Moll KSchG § 17 Rn. 102; Gallner/Mestwerdt/ Nägele KSchG § 17 Rn. 70) und die Formulare der Agentur für Arbeit sehen in Feld 34 ausdrücklich die Möglichkeit der Nachreichung der Angaben nach § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG vor. Abgesehen davon, dass höchstrichterliche Rechtsprechung zu der Frage der Rechtsfolgen unterbliebener Angaben nach § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG vor dem Hintergrund der MERL nicht existiert, sind die erforderlichen Angaben im Bereich der Massenentlassungsanzeige wie dargelegt unionsrechtlich zu bestimmen. Im Anwendungsbereich des Unionsrechts obliegt die Gewährung von Vertrauensschutz nicht den nationalen Gerichten, sondern allein dem Gerichtshof (BVerfG 10. Dezember 2014 – 2 BvR 1549/07 - EzA § 17 KSchG Nr. 32; ebenso BAG 14. Mai 2020 – 6 AZR 235/19 – NZA 2020, 1092).

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. §§ 97, 516 Abs. 3, 100 Abs. 2 ZPO. Die Beklagte ist mit ihrer Berufung vollständig unterlegen. Die Klägerin hat ihre Berufung gegen die Beklagten zu 2) und zu 3) vollständig zurückgenommen, so dass sie insoweit die Kosten der Berufung zu tragen hat, § 516 Abs. 3 ZPO. Gleiches gilt, soweit die Klägerin die Berufung gegen die Beklagte zurückgenommen hat.

Zwar haben auch die Beklagten zu 2) und zu 3) formal ihre Berufungen zurückgenommen, da die Beklagte zu 2) und die Beklagte zu 3) erstinstanzlich voll obsiegt haben, war jedoch die von dem gemeinsamen Prozessbevollmächtigten der Beklagten eingereichte Berufungsschrift vom 21. Oktober 2020 dahingehend auszulegen, dass sie sich ausschließlich gegen das Unterliegen der Beklagten richtete.

V.

Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. Ob das Fehlen der „Soll-Angaben“ nach § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG in der Massenentlassungsanzeige zur Nichtigkeit einer nach § 17 Abs. 1 KSchG anzeigepflichtigen Kündigung führt, stellt eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dar.

 

 

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