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Arbeitsrecht
21.01.2016
Arbeitsrecht
LAG Berlin-Brandenburg: Massenentlassung – Beratungen mit dem Betriebsrat in der Einigungsstelle

LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9.12.2015 – 15 Sa 1512/15

Volltext:BB-ONLINE BBL2016-244-5

unterwww.betriebs-berater.de

Leitsätze

1. Unwirksamkeitsgründe einer Kündigung sind unabhängig von einer Rüge des Arbeitnehmers auch von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn sie sich aus einem Vortrag des Arbeitgebers oder eingereichten Unterlagen ergeben. Dies gilt auch dann, wenn das Arbeitsgericht zuvor einen Hinweis nach § 6 KSchG gegeben hat.

2. Verhandlungen in der Einigungsstelle gemäß § 111 S. 1 BetrVG sind keine Beratungen im Sinne von § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG.

§§ 17 II 2, 17 III KSchG; § 134 BGB; § 111 S. 1 BetrVG

Sachverhalt

Die Parteien streiten im Rahmen einer 1. Kündigungswelle in zahlreichen Parallelverfahren im Kern darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis aufgrund einer betriebsbedingten Kündigung wegen einer behaupteten Betriebsstilllegung sein Ende gefunden hat.

Die Klägerin ist seit dem 15.5.1991 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern als Mitarbeiterin Fluggastabfertigung gegen ein Bruttomonatsentgelt von zuletzt 2.986,48 € beschäftigt.

Die Beklagte war in der Passagierabfertigung mit zuletzt ca. 190 Arbeitnehmern tätig. Sie führte diese fast ausschließlich auf dem Flughafen Berlin-T. durch, wobei zuletzt noch 14 Arbeitnehmer in Schönefeld in den Bereichen Gepäckermittlung und Datenbasis beschäftigt waren. In Berlin-T. befand sich die Personalabteilung. Die Beklagte war nur als Subunternehmerin für die G. Berlin GmbH & Co. KG (GGB) tätig. Dieses Unternehmen ist die einzige Kommanditistin der Beklagten. Die GGB kündigte ab September 2014 sämtliche Aufträge gegenüber der Beklagten. Unter dem 22.09.2014 fassten die Gesellschafter der Beklagten den Beschluss, dass es beabsichtigt sei, den Betrieb der Beklagten zum 31.03.2015 stillzulegen (Anlage BK 4). Hierbei war die persönlich haftende Gesellschafterin nicht stimmberechtigt. Der Betriebsrat der Beklagten wurde hierüber mit Schreiben vom 22.09.2014 (Anlage BK 15) informiert und zu Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan unter Terminangabe aufgefordert. Dem war der Entwurf eines Interessenausgleichs beigefügt. Gemäß § 3 dieses Entwurfs sollten die weiteren Beteiligungsrechte des Betriebsrats im Zuge der Umsetzung der Maßnahmen unberührt bleiben.

Durch gerichtlichen Vergleich vom 28.10.2014 wurde eine Einigungsstelle zum Thema Interessenausgleich und Sozialplan eingesetzt. Nach diesem Vergleich sollte ein Vertreter der Bundesagentur für Arbeit in der 1. oder 2. Sitzung der Einigungsstelle teilnehmen, wozu es aber nicht kam. In der 4. Sitzung der Einigungsstelle am 18.12.2014 erklärten die Vertreter der Beklagten die Verhandlungen über einen Interessenausgleich für gescheitert.

Mit Schreiben vom 02.01.2015 (Anlage BK 15), das der Betriebsrat per Mail und Telefax erhielt, unterrichtete die Beklagte den Betriebsrat  „noch einmal formal gemäß § 17 Abs. 2 KSchG“. Dieses Schreiben lautet auszugsweise:

„5. Kriterien für Abfindungen

Die Kriterien zur Berechnung möglicher Abfindungszahlungen werden sich aus dem Sozialplan ergeben, der aktuell in der Einigungsstelle verhandelt wird. Aktuell steht der APSB jedoch kein Budget für Abfindungen zur Verfügung.

Im Rahmen der Verhandlungen und insbesondere im Rahmen der Einigungsstelle haben wir ja bereits über die Möglichkeiten zur Vermeidung von Entlassungen mit Ihnen beraten, insbesondere die Möglichkeit der Errichtung einer Transfergesellschaft. An dieser Stelle noch einmal vielen Dank, dass der Betriebsrat eine Information durch die Transfergesellschaft „Weitblick“ für die nächsten Einigungsstellensitzung (sic)  am 13.Januar 2015 möglich gemacht hat. Wir freuen uns, die Beratungen über die Vermeidung von Entlassungen an dieser Stelle fortsetzen zu können. Gerne stehe ich natürlich auch für Beratungen außerhalb der Einigungsstelle zur Verfügung.“

Hierauf reagierte der Betriebsrat mit Schreiben vom 14.01.2015 (Anlage BB 1a). Er bat insofern darum, von der Massenentlassungsanzeige zunächst abzusehen, da noch über die Folgen für die Belegschaft in der Einigungsstelle beraten werde.

Mit Beschluss vom 20.01.2015 erklärten die Gesellschafter der Beklagten, dass deren Betrieb in T. und Sch. zum 31.03.2015 stillgelegt werde (Anlage BK 5). Mit Schreiben vom 20.01.2015 wurde der Betriebsrat zu den einzelnen Kündigungen angehört (Anlage BK 12). In der siebenten Sitzung der Einigungsstelle wurde mit den Stimmen der Arbeitgebervertreter und des Vorsitzenden am 21.01.2015 ein Sozialplan beschlossen (Anlage BK 12). Unter dem 27.01.2015 widersprach der Betriebsrat allen beabsichtigten Kündigungen (Anlage BK 14).

Mit Telefax vom 28.01.2015 (Anlage BK 18) zeigte die Beklagte bei der Arbeitsagentur in C. die Massenentlassung an. Sie hat dies mit dem Hinweis verbunden, dass sich der offizielle Betriebssitz in Sch. befände, der überwiegende Teil der Arbeitnehmer aber in T. beschäftigt werde. Mit Telefax vom gleichen Tag und im Übrigen identischem Schreiben erfolgte die Anzeige auch bei der Agentur für Arbeit B. N. (Anlage BB3). Diese sandte die Anzeige nach C. weiter. Unter dem 10.2.2015 bestätigte die Bundesagentur für Arbeit C., dass die Beklagte ihre Anzeige am 28.01.2015 rechtswirksam erstattet habe (Anlage BK 19).

Unter dem 29.01.2015 kündigte die Beklagte den meisten Arbeitnehmern und auch der Klägerin. Hiergegen wendet sich die am 05.02.2015 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangenes Kündigungsschutzklage der Klägerin, die der Beklagten am 11.02.2015 zugestellt worden ist.

In der Ladung des Klägervertreters zum Gütetermin ist folgender Hinweis enthalten: „In diesem Verfahren kann sich d. Kläger/Klägerin bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung I. Instanz zur Begründung der Unwirksamkeit der Kündigung bzw. der Befristung auch auf innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist nicht geltend gemachte Gründe berufen.“

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, dass es an einem betriebsbedingten Grund im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes fehle. Die Beklagte sei im Rahmen des W.-Konzerns tätig geworden, was näher ausgeführt wird. Die Aufträge seien nur innerhalb des Konzerns verlagert worden. Die behauptete Betriebsstilllegung stelle nur einen von langer Hand geplanten Versuch dar, sich der Altbelegschaft zu entledigen. Die Kündigung sei rechtsmissbräuchlich. Nach dem Betriebsübergang von der GGB auf die Beklagte im Jahr 2012 habe die spätere Aufspaltung des Unternehmens nur dazu gedient, sich dem Kündigungsschutz zu entziehen. Daher müsse der Kündigungsschutz konzernweit gelten. Es liege auch ein Verstoß gegen § 17 KSchG vor. Dem Betriebsrat seien die tatsächlichen Gründe für die Stilllegung des Betriebes nicht mitgeteilt worden. Auch hätte der Bundesagentur für Arbeit das Schreiben des Betriebsrats vom 14.01.2015 mitgeteilt werden müssen. Die Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG sei ebenfalls unwirksam. Für den Betriebsrat sei unklar gewesen, zu wann das Arbeitsverhältnis beendet werden sollte. Die Mitteilung der Kündigungsfristen reiche hierfür nicht aus. Auch seien dem Betriebsrat keine Gründe für die konzerninterne Beendigung der Auftragsvergabe mitgeteilt worden. Der Geschäftsführerführer habe unzutreffend angegeben, die GGB habe ihm die Gründe für die Auftragskündigung nicht mitgeteilt. Die Beklagte habe mit dem Betriebsrat auch nicht ernsthaft über einen Interessenausgleich und Sozialplan verhandelt. Der entsprechende Spruch der Einigungsstelle sei wegen der erfolgten Anfechtung noch nicht wirksam. Als die Beklagte am 18.12.2014 Interessenausgleichsverhandlungen für gescheitert erklärt habe, hätten die Verhandlungen noch gar nicht begonnen. So hätte die Beklagte offen legen müssen, bei welcher Personalkostenstruktur eine weitere Beauftragung mit Passagierdienstleistungen in Betracht gekommen wäre. Daher stünden ihr auch Nachteilsausgleichsansprüche zu. Dieser betrage mindestens 21.600,-- €.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass ihr Arbeitsverhältnis mit der Beklagten nicht aufgrund der Kündigung vom 29.01.2015 aufgelöst wird, sondern unverändert fortbesteht;

hilfsweise hierzu

die Beklagte zu verurteilen, an sie eine angemessene Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, zu bezahlen zuzüglich Zinsen i. H. v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.09.2015.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen

und hilfsweise für den Fall, dass sie zur Zahlung eines Nachteilsausgleichs gemäß §§ 113 Abs. 3 BetrVG, 9, 10 KSchG verurteilt wird, die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils auszuschließen.

Die Beklagte hat behauptet, die Kündigung sei wegen der beabsichtigten Betriebsschließung gerechtfertigt gewesen. Die genauen Gründe für die Kündigung der Aufträge und die Entscheidung zur Schließung des Geschäftsbetriebes hätte die GGB ihr nicht erläutert. Sie verweise jedoch auf hohe Personalkosten und auf angefallene Defizite. Der Betrieb sei tatsächlich stillgelegt worden, was sich auch aus der Freistellung der Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung und der Kündigung der Geschäftsräume ergebe. Ein Betriebsübergang habe nicht stattgefunden, wobei näher darlegt wird, durch welche 6 Gesellschaften künftig die Passagierabfertigung für welche Fluggesellschaften vorgenommen werde. Sie habe den Betriebsrat ordnungsgemäß am 02.01.2015 über die geplanten Massenentlassungen unterrichtet und zu Konsultationen hierüber im Rahmen der weiteren Einigungsstellensitzungen aufgefordert. Das Schreiben des Betriebsrats vom 14.01.2015 habe der Bundesagentur entsprechend der Rechtsprechung des BAG nicht mitgeteilt werden müssen, da es sich nicht um eine abschließende Stellungnahme des Betriebsrats gehandelt habe. Soweit der Betriebsrat auf das Schreiben des Rechtsanwalts K. vom 15.12.2014 Bezug genommen habe, sei diese Sichtweise überholt, da der Versuch des Interessenausgleichs zwischenzeitlich für gescheitert erklärt worden sei. Die Voraussetzungen des §§ 17 Abs. 3 S. 3 KSchG habe sie eingehalten.

Mit Urteil vom 08.07.2015 hat das Arbeitsgericht Berlin der Klage stattgegeben. Die Kündigung sei gemäß § 17 Abs. 1 KSchG nichtig. Die Beklagte habe ihrer § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG folgenden Auskunfts-und Beratungspflicht nicht genügt. Aufgrund der besonderen Konzernstruktur hätte die Beklagte die Hintergründe ihrer Entscheidung gegenüber dem Betriebsrat gegebenenfalls mithilfe der GGB und unter Umständen bis hinauf zur Konzernspitze näher darlegen müssen. Darüber hinaus genüge die von der Beklagten unter dem 28.01.2015 erstattete Massenentlassungsanzeige nicht den Anforderungen aus § 17 Abs. 3 KSchG. Die Beklagte hätte dieser Anzeige das Schreiben des Betriebsrats vom 14.01.2015 beifügen müssen. Bei diesem Schreiben handele es sich nicht um eine abschließende Stellungnahme. Das Schreiben sei aber wesentlicher Bestandteil des Einigungsstellen- und Konsultationsverfahrens zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat gewesen. Es habe deutlich gemacht, warum ein Interessenausgleich über die geplante Betriebsänderung nicht zustande gekommen sei und woran die Verhandlungen insoweit gescheitert seien. Daher habe die Beklagte ihre Verpflichtung, gegenüber der Bundesagentur für Arbeit den Stand der Beratungen nach § 17 Abs. 2 KSchG darzulegen, nicht erfüllt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie ist der Ansicht, dass sie den Betriebsrat ausreichend informiert habe. Sie habe ihm die Gründe für die Betriebsstilllegung hinreichend erläutert. Weitergehende Informationsansprüche hätten nicht bestanden. Hinsichtlich der Massenentlassungsanzeige sei sie wirksam nach § 17 Abs. 3 S. 3 KSchG vorgegangen. Das Schreiben des Betriebsrats vom 14.01.2015 könne entsprechend der Kriterien für die Auslegung von Willenserklärungen unter Einbeziehung des Empfängerhorizonts nicht als abschließende Stellungnahme gewertet werden. Nur eine abschließende Stellungnahme hätte nach der Rechtsprechung des BAG der Massenentlassungsanzeige beigefügt werden müssen. Es sei auch die örtlich zutreffende Bundesagentur eingeschaltet worden. Den Betriebssitz bestimme die Bundesagentur für Arbeit anhand der sozialversicherungsrechtlichen Betriebsnummer. Danach liege der Betrieb in Sch.. Dies gelte trotz der Tatsache, dass dort zuletzt nur noch 14 Arbeitnehmer tätig gewesen seien. Im Übrigen sei ein möglicher Mangel mit Erlass eines Bescheides durch die Bundesagentur für Arbeit geheilt. Auf telefonische Nachfrage sei dem Geschäftsführer verschiedentlich durch die Bundesagentur für Arbeit B. N. mitgeteilt worden, dass in örtlicher Hinsicht C. zuständig sei, was sich aus der Betriebsnummer ergebe. Das Konsultationsverfahren sei ordnungsgemäß durchgeführt worden. Der Betriebsrat sei aufgefordert worden, die Konsultationen in der nächsten Einigungsstellensitzung fortzusetzen. Es sei nicht zwingend, aber zulässig, Verhandlungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber in der Einigungsstelle durchzuführen. Entsprechend des letzten Satzes im Schreiben vom 02.01.2015 seien auch Beratungen außerhalb der Einigungsstelle angeboten worden. Im Übrigen hätte es dem gesamten Betriebsratsgremium freigestanden, an den Einigungsstellensitzungen teilzunehmen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 08.07.2015, Az. 54 Ca 1733/15, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen

und hilfsweise für den Fall der Abänderung des erstinstanzlichen Urteiles und Abweisung der Kündigungsschutzklage

die Beklagte zu verurteilen, an sie eine angemessene Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch mindestens 21.600 € brutto betragen sollte, zu zahlen, zuzüglich Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.09.2015.

Die Beklagte beantragt,

den Hilfsantrag abzuweisen.

Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte habe fälschlicherweise bei der Bundesagentur für Arbeit in C. die Massenentlassungsanzeige eingereicht. Einen „offiziellen“ Betriebssitz gebe es nicht. Nach der Geschäftsanweisung der Bundesagentur sei der Betriebssitz dort, wo sich die Personalleitung befinde. Die Beklagte habe fälschlich einen Betriebssitz in Schönefeld behauptet. Der Leitungsapparat in sozialen und personellen Angelegenheiten habe sich unstreitig in Berlin-Tegel befunden. Soweit die Beklagte nunmehr erstmals behauptet, dass Sie die Anzeige auch bei der Bundesagentur für Arbeit in B. N. abgegeben habe, werde bestritten, dass das Original dieser Anzeige vor dem 09.02.2015 dort eingegangen sei. Angesichts des Vorbringens der Beklagten sei nicht verwunderlich, dass die Bundesagentur für Arbeit in B. N. sich für unzuständig erklärt hat. Soweit die Beratungen mit dem Betriebsrat in der Massenentlassungsanzeige durch den Geschäftsführer der Beklagten glaubhaft gemacht worden seien, entspreche dies nicht der vorgeschriebenen Form gemäß § 27 VwVfG. Die Beratungen in der Einigungsstelle hätten auch nicht als solche mit dem Betriebsrat gewertet werden können, da die Einigungsstelle ein unparteiischer Dritter sei. Das Schreiben des Betriebsrats vom 14.01.2015 hätte der Anzeige beigefügt werden müssen, da dies die einzige Stellungnahme des Betriebsrats gewesen sei. Selbst wenn der Weg nach § 17 Abs. 3 S. 3 KSchG eröffnet gewesen sein sollte, dann hätte es zur Darstellung des vollständigen Standes der Beratungen mit dem Betriebsrat gehört, dieses Schreiben zu erwähnen. Die Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG sei nicht ausreichend erfolgt. Die Beklagte hätte die Hintergründe der Betriebsschließung verschleiert. Wenn - wie hier geschehen - die Aufträge innerhalb des Konzerns nach Belieben verteilt werden, die Konditionen dabei gleich bleiben, handelt es sich nicht um einen marktwirtschaftlichen Prozess, der zum Verlust eines Auftrags führt, der wiederum eine Betriebsschließungsentscheidung bedingen könnte, sondern um eine willkürliche Handlung. Daher liege ein Umgehungsfall vor. Es liege keine Betriebsschließung im engeren Sinne zur Rechtfertigung der Kündigungen vor. Vielmehr habe es eine Arbeitsplatzverlagerung auf Schwestergesellschaften gegeben, die mit einer Auftragsverschiebung einhergegangen sei. Die Kündigung sei hinsichtlich des Termins unbestimmt und daher unwirksam. Sie könne hilfsweise einen Abfindungsanspruch geltend machen, denn die Beklagte habe nicht ernsthaft über einen Interessenausgleich und Sozialplan verhandelt. Es hätten keine ergebnisoffenen Verhandlungen stattgefunden. Auch sei zu berücksichtigen, dass es nicht zu einem Vermittlungsversuch der Bundesagentur für Arbeit gekommen sei. Insgesamt müsse berücksichtigt werden, dass die Beklagte sich in einem Konzernverhältnis befunden habe.

Hinsichtlich des übrigen Vorbringens der Parteien in der 1. und 2. Instanz wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Aus den Gründen

Die form-und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Im Ergebnis zu Recht hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass die Kündigung vom 29.01.2015 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst hat.

1.         Die Kündigung vom 29.01.2015 ist schon deswegen unwirksam, weil das Beratungsverfahren nach § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG mangelhaft durchgeführt worden ist. Die Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 KSchG sind erfüllt.

1.1       Nach § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG haben Arbeitgeber und Betriebsrat insbesondere die Möglichkeit zu beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern. Wird kein Konsultationsverfahren im Sinne dieser Norm durchgeführt, ist eine im Rahmen einer Massenentlassung ausgesprochene Kündigung wegen des Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot im Sinne von § 134 BGB rechtsunwirksam (BAG 21.03.2013 - 2 AZR 60/12 -NZA 2013, 966 Rn. 19). Unwirksamkeitsgründe sind unabhängig von einer Rüge des Arbeitnehmers auch von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn sie sich aus einem Vortrag des Arbeitgebers oder eingereichten Unterlagen ergeben (BAG 13.12.2012 - 6 AZR 5/12 - Rn. 43). Dies gilt auch dann, wenn das Arbeitsgericht zuvor einen Hinweis nach § 6 KSchG gegeben hat (BAG 18.01.2012 - 6 AZR 407/10 - Rn. 26). Der Arbeitgeber ist verpflichtet, mit dem Betriebsrat über die Entlassungen bzw. die Möglichkeiten ihrer Vermeidung oder Einschränkung  und über die Folgen der Entlassungen ernstlich zu verhandeln, ihm dies zumindest anzubieten (BAG 26.02.2015 - 2 AZR 955/13 - NZA 2015,881 Rn. 15).

Verhandlungen sind mit dem Betriebsrat als Gremium durchzuführen, denn dieser handelt als Kollegialorgan (BAG 26.02.2015 - 2 AZR 955/13 - NZA 2015,881 Rn. 21). Soweit die gegenüber dem Betriebsrat bestehenden Pflichten aus § 111 BetrVG mit denen aus § 17 KSchG oder § 102 BetrVG übereinstimmen, kann der Arbeitgeber sie gleichzeitig erfüllen. Dass und welche Verfahren gleichzeitig durchgeführt werden sollen, muss hierbei jedoch hinreichend klargestellt werden (BAG 20.09.2012 - 6 AZR 155/11 - NZA 2013, 32 Rn. 47; BAG 26.02.2015 - 2 AZR 955/13 - NZA 2015,881 Rn. 17). Streitig ist, ob der Arbeitgeber Konsultationen auch im Rahmen der Einigungsstelle durchführen muss (bejahend ArbG Berlin Beschluss 21.02.2006 - 79 Ca 22.399/05 - NZA 2006, 739; Wolter AuR 2005, 135, 139; offen gelassen KDZ-Deinert, 9. Aufl., § 17 KSchG Rn. 48). Das BAG lehnt dies ab und sieht in der Einigungsstelle einen „unparteiischen Dritten“ (BAG 16.05.2007 - 8 AZR 693/06 - NZA 2007, 1296 Rn. 44). Die Literatur ist dem überwiegend gefolgt unter anderem mit dem Hinweis, das Einigungsstellenverfahren ersetzte die gescheiterten Verhandlungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat (KR-Weigand, 10. Aufl., § 17 KSchG Rn. 62).

1.2       Bei Anwendung dieser Kriterien fand eine Beratung mit dem Betriebsrat nicht statt. Der Verlauf der Verhandlungen ergibt sich schon aus dem erstinstanzlichen Vorbringen der Beklagten und den dort eingereichten Unterlagen.

a)         Vor dem Informationsschreiben vom 02.01.2015 fanden keinerlei Verhandlungen nach § 17 KSchG statt. Hiervon gehen die Parteien zu Recht aus. Ausweislich des Schreibens der Beklagten vom 22.09.2014 sollte über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan verhandelt werden. Gemäß dem beigefügten Entwurf über einen Interessenausgleich (§ 3 Abs. 2) sollten die weiteren Beteiligungsrechte des Betriebsrats vielmehr ausdrücklich unberührt bleiben. Eine Verbindung der Verhandlungen nach § 111 BetrVG mit denen nach § 17 KSchG ist durch die Beklagte nicht erfolgt.

b) Verhandlungen in der Einigungsstelle gemäß § 111 S. 1 BetrVG sind keine Beratungen im Sinne von § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG.

Soweit die Beklagte meint, dass zwar mit der Rechtsprechung des BAG nicht zu verlangen sei, dass Beratungen mit dem Betriebsrat auch in der Einigungsstelle geführt werden müssten, aber unabhängig hiervon sei dies jedenfalls zulässig, kann dem nicht gefolgt werden. Beide Fragen sind untrennbar miteinander verbunden. Wenn Verhandlungen in der Einigungsstelle zu einem Interessenausgleich und Sozialplan als Beratungen mit dem Betriebsrat zur Vermeidung von Massenentlassungen eingestuft werden können, dann können die notwendigen Beratungen nach § 17 KSchG auch nur beendet sein, wenn diese - nach deutschem Recht vorgeschriebenen - Wege auch eingehalten werden. Die Einigungsstellensitzungen bis zum Zeitpunkt der Abstimmungen über verschiedene Entwürfe wären dann Teil der Beratungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber. Dem ist das BAG aber zu Recht nicht gefolgt. Zutreffend geht das BAG davon aus, dass die Einigungsstelle ein „unparteiischer Dritter“ ist. Die von den Betriebsparteien benannten Beisitzer sind nicht identisch mit den Betriebsparteien. Im Extremfall sind Betriebsratsmitglieder nicht einmal in der Einigungsstelle vertreten. Die Beisitzer sind auch an Weisungen nicht gebunden. Das Einigungsstellenverfahren setzt vielmehr gescheiterte Verhandlungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber voraus.

Daher stellen die 3 Einigungsstellensitzung im Januar 2015 keine Beratungen mit dem Betriebsrat im Sinne von § 17 KSchG dar. Andere Beratungen haben jedoch unstreitig nicht stattgefunden.

Unerheblich ist, ob weitere Betriebsratsmitglieder oder der gesamte Betriebsrat zu den Einigungsstellensitzungen hätte hinzukommen können. Dazu wurde der Betriebsrat durch die Beklagte nicht aufgefordert. Die Herstellung von Öffentlichkeit verändert den Charakter einer Einigungsstellenverhandlung auch nicht.

c)         Selbst wenn man dies anders beurteilen wollte, könnten die 3 Einigungsstellensitzungen im Januar 2015 nicht als ausreichende Beratung gewertet werden.

Nachdem die Arbeitgeberinnen in der 4. Sitzung der Einigungsstelle am 18.12.2014 die Verhandlungen über einen Interessenausgleich für gescheitert erklärt hatte, konnte Gegenstand der Einigungsstellensitzung nur noch die Abmilderung der Folgen sein, nicht aber die Vermeidung von Entlassungen. Damit konnten vollumfängliche Beratungen dort nicht mehr stattfinden.

d)         Die Beklagte hat die Verpflichtung zu ernstlichen Verhandlung auch nicht dadurch erfüllt, dass sie dem Betriebsrat vollumfängliche Verhandlungen außerhalb der Einigungsstelle zumindest angeboten hätte. Das einzige hierfür in Betracht kommende Schreiben vom 02.01.2015 konnte der Betriebsrat nicht als umfassendes Verhandlungsangebot auch zur Vermeidung von Entlassungen auffassen.

Schon ausweislich des Betreffs und des Einleitungssatzes ging es der Beklagten nur um die Informierung und nochmalige „formale“ Unterrichtung nach § 17 Abs. 2 KSchG. Der Betriebsrat wird nicht einmal aufgefordert, eine abschließende Stellungnahme zu den beabsichtigten Massenentlassungen abzugeben (vergleiche BAG 26.02.2015 - 2 AZR 955/13 - NZA 2015, 881 Rn. 29). Die Einleitung spricht an keiner Stelle an, dass nunmehr über die Unterrichtung hinaus weitere Verhandlungen eingeleitet werden sollten. Die nachfolgende Nummerierung lehnt sich dann an die Aufzählung in § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG an, wobei die dortigen Ziffern 2 und 3 hier unter der Nummer 2 zusammengefasst werden.

Entsprechend der Überschrift zu Ziffer 5 geht es nachfolgend um „Kriterien für Abfindungen“, also um die Folgenmilderung.  Im 2. Absatz unter Z. 5 wird dann auf die schon erfolgten Verhandlungen in der Einigungsstelle Bezug genommen. Künftige Verhandlungen werden nur insoweit angesprochen, wie es um die Ermöglichung von Informationen durch eine Transfergesellschaft geht, wobei dem Betriebsrat Dank ausgesprochen wird. Dies lässt sich jedoch wiederum nur den Maßnahmen zur Folgenmilderung zurechnen. Der nachfolgende Satz, man freue sich, die Beratung über die Vermeidung von Entlassungen „an dieser Stelle“ fortsetzen zu können, betrifft die Einigungsstelle. Inhaltlich ist er jedoch in doppeltem Sinne fehlerhaft. Unter „Vermeidung von Entlassungen“ versteht die Beklagte entsprechend der Sätze davor „insbesondere die Errichtung einer Transfergesellschaft“. Derartige Regelungen eines Sozialplans gehören jedoch zur Folgenmilderung. Die Vermeidung von Entlassungen konnte zu diesem Zeitpunkt in der Einigungsstelle aber auch gar nicht mehr beraten werden. Sie wäre nur möglich, wenn der Betrieb nicht hätte geschlossen werden sollen. Die Verhandlungen des Interessenausgleichs über die Betriebsschließung waren durch die Arbeitgebervertreter zuvor jedoch schon am 18.12.2014 für gescheitert erklärt worden. Damit verblieb für solche Verhandlungen in der Einigungsstelle kein Raum mehr. Auch der letzte Satz, wonach der Geschäftsführer „gerne“ und „natürlich auch für Beratungen außerhalb der Einigungsstelle zur Verfügung“ stehe, kann nur im Kontext der vorangegangenen Sätze und des gesamten Schreibens gedeutet werden. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass die Verhandlungen zwar im Wesentlichen in der Einigungsstelle stattfinden, man jedoch bei einem entsprechenden Wunsch des Betriebsrats auch außerhalb verhandeln könne. Eine thematische Ausweitung findet durch diesen Satz nicht statt. Angesichts des erklärten Scheiterns über die Interessenausgleichsverhandlungen hätte es hierfür besonderer Hinweise bedurft, wonach die Beklagte nunmehr bereit sein sollte, auch die Betriebsschließung selbst zur Disposition zu stellen. Solche Hinweise fehlen. 

Dieses Auslegungsergebnis entspricht auch der ursprünglichen Sichtweise der Beklagten im erstinstanzlichen Verfahren. In der Klageerwiderung unter B III hat die Beklagte im Hinblick auf das Massenentlassungsverfahren und das Schreiben vom 02.01.2015 ausgeführt, dass sie den Betriebsrat ordnungsgemäß unterrichtet und „zu Konsultationen hierüber im Rahmen der weiteren Einigungsstellensitzungen aufgefordert“  habe. Die Beklagte deutet nicht ansatzweise eine weitergehende Aufforderung an den Betriebsrat zu Beratungen außerhalb der Einigungsstelle an. Schon gar nicht wird darauf eingegangen, dass sich seit dem 18.12.2014 das Thema der Einigungsstelle auf den Sozialplan verengt hatte, nunmehr aber ergebnisoffen über die Vermeidung von Entlassungen dort (nochmals) hätte verhandelt werden sollen.

e)         Der Betriebsrat hat auf die Durchführung des Konsultationsverfahrens auch nicht verzichtet. Ein solcher Verzicht ergibt sich nicht aus der einzigen Stellungnahme vom 14.01.2015. Dem ersten Satz lässt sich allenfalls eine Beschreibung des momentanen Zustands entnehmen, wonach die Einigungsstelle noch berät und deswegen (z.B. weil die Kriterien für Abfindungen noch nicht feststehen) eine Massenentlassungsanzeige durch die Beklagte noch nicht erstattet werden sollte. Der Hinweis auf das Schreiben von Rechtsanwalt K. ist so zu verstehen, dass nach Ansicht des Betriebsrats als relevant eingestufte Informationen immer noch nicht geliefert worden sind. An keiner Stelle dieses kurzen Schreibens wird erkennbar, dass der Betriebsrat meint, ihm selbst stünden Rechte zu, auf deren Ausübung er aber nicht bestehen wolle.

2.         Da die Kündigung schon wegen des nicht ordnungsgemäß durchgeführten Beratungsverfahrens im Sinne des §§ 17 Abs. 2 S. 2 KSchG unwirksam ist, kann offen bleiben, ob auch weitere Unwirksamkeitsgründe im Sinne des § 17 KSchG vorliegen. Dies betrifft insbesondere die Frage, ob die Beklagte der Anzeige vom 28.01.2015 auch das Schreiben des Betriebsrates vom 14.01.2015 hätte beifügen oder dessen Inhalt wenigstens darstellen müssen.

3.         Weiterhin muss nicht entschieden werden, ob die Beklagte sich erfolgreich auf einen Grund nach § 1 KSchG berufen kann, ob der Betriebsrat ordnungsgemäß nach § 102 BetrVG beteiligt wurde und ob weitere von der klagenden Partei vorgebrachte Unwirksamkeitsgründe eingreifen.

4.         Über den hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf Nachteilsausgleich war nicht zu entscheiden, da schon der Hauptantrag Erfolg hatte.

5.         Die Beklagte hat die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels zu tragen (§ 97 ZPO).

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 72 Abs. 2 Z. 1 ArbGG) zuzulassen.

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