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Arbeitsrecht
14.05.2020
Arbeitsrecht
LAG Nürnberg: Kündigung in der Probezeit

LAG Nürnberg, Urteil vom 3.3.2020 – 2 Ta 10/20

Volltext: BB-ONLINE BBL2020-1203-5

Leitsätze der Redaktion

1. Kombiniert der Arbeitnehmer die erhobene Kündigungsschutzklage, mit einer allgemeinen Feststellungsklage auf Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, gegen eine Probezeitkündigung mit dem Argument, der Arbeitgeber habe keinen Grund für die Kündigung, so ist nicht nur die Dauer der Kündigungsfrist im Streit.

2. Als Gegenstandswert ist daher grundsätzlich die Vergütung für ein Vierteljahr festzusetzen.

Sachverhalt

I.

Die Parteien stritten um die Beendigung des Arbeitsverhältnisses und um (Zwischen-) Zeugniserteilung.

Der Kläger war seit dem 01.09.2019 bei der Beklagten als Estrichleger beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis fiel in den Geltungsbereich des für allgemeinverbindlich erklärten Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe (BRTV) sowie der entsprechenden Lohntarifverträge.

Mit Kündigungsschreiben vom 04.10.2019 erklärte die Beklagte die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 21.10.2019. Mit Schreiben vom 11.10.2019 wies der Klägervertreter die Kündigung mangels Vorlage einer Vollmachtsurkunde gemäß § 174 BGB zurück und bestritt, dass der die Kündigung Unterzeichnende hierzu entsprechend bevollmächtigt gewesen sei.

Mit weiterem Schreiben vom 14.10.2019 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.10.2019. Hinsichtlich dieser Kündigung rügte der Kläger, dass ein Grund zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht bestehe und auch keine Probezeit von zwei Wochen vereinbart gewesen sei.

Die Parteien haben den Rechtsstreit durch widerruflichen Vergleich vom 06.11.2019, der mit Ablauf des 20.11.2019 rechtswirksam wurde, beendet. In diesem Vergleich einigten sich die Parteien auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.10.2019, auf die Übersendung eines einfachen Arbeitszeugnisses sowie auf die Zahlung von Restlohn/Entgeltfortzahlung in Höhe von insgesamt 1.416,00 € brutto abzüglich bereits bezahlter 700,00 € netto. Hinsichtlich des genauen Inhalts des Vergleichs wird auf Bl. 20 d.A. verwiesen.

Mit Beschluss vom 21.11.2019 setzte das Arbeitsgericht den Wert des Streitgegenstandes auf 7.598,50 € fest (Bl. 28 d.A.). 

Gegen diesen den Parteivertretern formlos am 22.11.2019 übermittelten Beschluss legte der Klägervertreter mit Schriftsatz vom 09.12.2019, eingegangen beim Arbeitsgericht am selben Tage, Beschwerde ein mit dem Antrag den Streitwert auf 12.607,08 € heraufzusetzen und den Vergleichsmehrwert auf 716,00 € festzusetzen. 

Das Arbeitsgericht sei fehlerhaft von einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden und einem Stundenlohn von 16,70 € ausgegangen. Nach dem BRTV i.V.m. § 2 Abs. 6 TV Lohn/West habe der Stundenlohn des Klägers 18,88 € betragen bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 41 Stunden. Im Hinblick auf die Kündigungsschutzklage sowie die Klage auf Erteilung eines Zeugnisses sei ein Streitwert von vier Monatsgehältern á 3.151,77 € festzusetzen. Hinzu käme ein Vergleichsmehrwert für den im Vergleich titulierten Zahlungsanspruch in Höhe von 716,00 €. Die Beklagte hätte dem Kläger noch überhaupt keinen Arbeitslohn bezahlt, so dass der Zahlungsanspruch unabhängig von den streitgegenständlichen Beendigungstatbeständen gewesen sei.

Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 17.01.2020 teilweise abgeholfen und den Wert des Streitgegenstandes auf 12.607,08 € festgesetzt. Die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts hat es abgelehnt, da es sich bei dem titulierten Betrag um die Entgeltfortzahlung für den Zeitraum vom 23. bis 31.10.2019 gehandelt habe. Das Arbeitsgericht hat die Beschwerde deshalb dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Mit Schriftsatz vom 06.02.2020 hielt der Klägervertreter an der Beschwerde fest, soweit ihr nicht abgeholfen wurde. Es sei unzutreffend, dass Ziffer 3. des abgeschlossenen Vergleichs lediglich Restlohn und Entgeltfortzahlung des Klägers nach Ablauf der Kündigungsfrist der ersten Kündigung betreffe. Vielmehr hätten die Beklagten das Arbeitsverhältnis noch überhaupt nicht abgerechnet und lediglich einmalig ohne Zahlungsbestimmung an den Kläger 700,00 € netto bezahlt. Bereits dem Wortlaut Restlohn/Entgeltfortzahlung sei zu entnehmen, dass damit gerade nicht nur Ansprüche nach Ablauf der Kündigungsfrist der ersten Kündigung abgegolten werden sollten.

Die übrigen Beteiligten haben sich innerhalb der vom Landesarbeitsgericht zum 26.02.2020 eingeräumten Stellungnahmefrist nicht inhaltlich geäußert.  

Aus den Gründen

II.

Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist statthaft, § 68 Abs. 1 GKG, denn sie richtet sich gegen einen Beschluss, durch den der Wert für die Gerichts- und Rechtsanwaltsgebühren (§ 32 Abs. 1 RVG) festgesetzt worden ist. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,00 €. Die Beschwerde ist innerhalb der in § 63 Abs. 3 S. 2 GKG bestimmten Frist eingelegt worden, § 68 Abs. 1 S. 3 GKG. Den Prozessbevollmächtigten des Klägers steht ein eigenes Beschwerderecht zu, § 32 Abs. 2 RVG.

Die Beschwerde ist – soweit ihr nicht ohnehin bereits abgeholfen wurde – hinsichtlich des festzusetzenden Vergleichsmehrwerts zum Teil begründet. Der Gegenstandswert für das Verfahren war von Amts wegen zu erhöhen.

1. Der Gegenstandswert für des Verfahren war von Amts wegen um 1.050,59 € auf 13.657,67 € zu erhöhen. 

Nach I Nr. 20 iVm 21.3 Streitwertkatalog wird – wenn mehrere Kündigungen streitgegenständlich sind - die erste Kündigung mit der Vergütung für ein Vierteljahr bewertet, es sei denn, unter Auslegung des Klageantrags und der Klagebegründung ist nur der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses von unter drei Monaten im Streit (vgl. § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG). Die erste Kündigung ist stets die Kündigung mit dem frühesten Beendigungszeitpunkt, auch wenn sie später ausgesprochen und später angegriffen wird. Für die Folgekündigungen ist jeweils die Entgeltdifferenz zwischen den verschiedenen Beendigungszeitpunkten, maximal die Vergütung für ein Vierteljahr anzusetzen.

Zu Recht legt das Arbeitsgericht die vom Klägervertreter in der Beschwerde geltend gemachte Monatsvergütung des Klägers (3.151,77 €) zugrunde. Keiner der Beteiligten ist der Berechnung des Klägers entgegengetreten.

Das Arbeitsgericht hat für die erste Kündigung vom 04.10.2019 zu Recht die Vergütung für ein Vierteljahr (hier drei Monatsgehälter) angesetzt. Mit dem Bestreiten der Vollmacht und der Zurückweisung wegen Nichtvorlage der Vollmachtsurkunde macht der Kläger im Fortbestand des Arbeitsverhältnisses insgesamt nicht nur von unter drei Monaten geltend. Hinsichtlich der zweiten Kündigung ist ebenfalls grundsätzlich von einem Gegenstandswert von drei Monatsgehältern auszugehen. Der Kläger hat nicht nur gerügt, dass eine Probezeit nicht vereinbart war, sondern auch, dass kein Grund bestehe, der die Beklagte zur Kündigung berechtigte. Damit beanstandet der Kläger nicht nur die Länge der Kündigungsfrist, sondern macht die Unwirksamkeit der Kündigung insgesamt geltend. Dies wird auch aus der Antragstellung deutlich. Sie enthält keine zeitliche Einschränkung. Im Gegenteil ist ein allgemeiner Feststellungsantrag auf Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses gestellt. Die Entgeltdifferenz zwischen den beiden Beendigungszeitpunkten 21.10. und 31.10.2019 beträgt 1.050,59 € (3.151,77 € ÷ 30 × 10). Um diesen Betrag war der Gegenstandswert für das Verfahren zu erhöhen. Hinzu kommt entsprechend Ziffer I. Nr. 29.3 als Streitwert eine weitere Monatsvergütung für die Erteilung des qualifizierten (Zwischen-)zeugnisses.

Das Beschwerdegericht war zur Abänderung des Gegenstandswerts vom Amts wegen gemäß § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG befugt.

2. Darüber hinaus war ein Vergleichsmehrwert nicht in Höhe von 716,00 €, sondern lediglich in Höhe vom 184,77 € festzusetzen. Ein Vergleichsmehrwert fällt nur an, wenn durch den Vergleichsabschluss ein weiterer Rechtsstreit und/oder außergerichtlicher Streit erledigt und/oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt werden. Dabei muss gerade über die Frage eines Anspruchs oder Rechts in Bezug auf die jeweilige Regelung zwischen den Parteien Streit und/oder Ungewissheit bestanden haben; keine Werterhöhung tritt ein, wenn es sich lediglich um eine Gegenleistung zur Beilegung des Rechtsstreits handelt. Abzustellen ist auf die Umstände zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses (I Nr. 25.1 Streitwertkatalog). 

Nach dem Vortrag des Klägervertreters bereits in der Klage aber auch im Beschwerdeschriftsatz hatte die Beklagte das Arbeitsverhältnis überhaupt noch nicht abgerechnet und Zahlungen geleistet. Es ist daher nicht ersichtlich, dass der titulierte Betrag sich ausschließlich auf den Zeitraum ab dem 22.10.2019 bezogen hat. Hierfür wäre der titulierte Bruttobetrag auch zu hoch. Andererseits einigten sich die Parteien auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses erst zum 31.10.2019, also 10 Tage nach dem Beendigungsdatum der ersten Kündigung. Es ist daher mit dem Arbeitsgericht davon auszugehen, dass das auf diesen Zeitraum entfallende Entgelt wertmäßig bereits vom Bestandsstreit erfasst ist. Dies ist allerdings nur ein Betrag von 1.050,59 € brutto abzüglich (anteilig geschätzter) 519,36 netto, nicht jedoch der Differenzbetrag von 365,41 € brutto abzüglich (anteilige geschätzter) 180,64 € netto. Nur dieser Differenzbetrag von 184,77 € ist somit dem Zeitraum bis zum 21.10.2019 zuzuordnen und als Vergleichsmehrwert festzusetzen. Dass zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses (nicht bei Klageerhebung) noch weitere Beträge über den in Ziffer 2 des Vergleichs titulierten Betrag streitig waren, ist weder behauptet noch sonst ersichtlich. 

3. Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden alleine ergehen, § 78 S. 3 ArbGG.

Für eine Kostenentscheidung besteht kein Anlass, da das Beschwerdeverfahren Gebührenfrei ist und keine Kostenerstattung stattfindet, § 68 Abs. 3 GKG.

Inwieweit dem Kläger Prozesskostenhilfe zu gewähren bzw. wegen nicht hinreichender Erfolgsaussicht zu versagen ist, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens.

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