LAG Berlin-Brandenburg: Kündigung – Zustellung des Zustimmungsbescheids des Integrationsamts
LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.12.2014 – 2 Sa 1846/14
Leitsatz
Nach § 4 Abs. 2 S. 1 VwZG genügt zum Nachweis der Zustellung der Rückschein.
Eine Kündigung, die nach Zustellung des Zustimmungsbescheides des Integrationsamtes gem. § 88 SGB IX per Einschreiben/Empfangsbekenntnis mit Rückschein aber vor dem dritten Tag nach Aufgabe zur Post ausgesprochen wird, ist nach der vorherigen Zustimmung gem. § 85 Abs. 1 SGB IX und damit wirksam ausgesprochen.
Sachverhalt
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen fristgemäßen Kündigung einer schwerbehinderten Arbeitnehmerin in einem Kleinbetrieb.
Auf den Antrag der beklagten Arbeitgeberin vom 10.10.2013, eingegangen beim Landesamt für S. und V. – Integrationsamt – am 17.10.2013, erteilte das Integrationsamt mit Bescheid vom 25.11.2013 die Zustimmung zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung (vgl. den Bescheid vom 25.11.2013, Anlage B 2 zum Schriftsatz der Beklagten vom 21.03.2014, Bl. 37 d. A.). Dieser Bescheid wurde nach Auskunft des Integrationsamtes vom 10.06.2014 (vgl. das Auskunftsschreiben in Kopie Bl. 85 ff. d. A.) beiden Parteien am 26.11.2013 per Übergabeeinschreiben zugestellt. Neben den beiden Parteivertretern erhielt auch die Beklagte selbst den Bescheid vom 25.11.2013 am 26.11.2013 zugestellt (vgl. dazu die drei Rückscheine des beauftragten privaten Zustellers Bl. 87 f. d. A.). Auf den Rückscheinen ist jeweils das Kästchen „ES mit Empfangsbestätigung (Übergabe)“ angekreuzt, außerdem ist unten auf den Rückscheinen die „Empfangsbestätigung“ jeweils unterschrieben. Am 27.11.2013 wurde das Kündigungsschreiben erstellt und bei der Klägerin am 28.11.2013 um 15.15 Uhr von der als Zeugin benannten Frau C. N. bei der Klägerin zu Hause eingeworfen (vgl. das Kündigungsschreiben vom 27.11.2013 mit der Überschrift „persönlicher Einwurf durch Boten“ in Kopie Bl. 6 d. A.). Gegen diese Kündigung richtet sich die beim Arbeitsgericht Cottbus am 16.12.2013 eingegangen Kündigungsklage der Klägerin.
Mit Urteil vom 30.07.2014 hat das Arbeitsgericht Cottbus die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die Kündigung nicht sozial ungerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sei, weil der betriebliche Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes gemäß § 23 KSchG nicht erfüllt sei. Die Beklagte beschäftige nämlich nicht mehr als 10 Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. Insbesondere bestehe auch kein gemeinsamer Betrieb mit den jeweils eine eigene Betriebsstätte führenden Unternehmen S. GbR und S. GmbH.
Die Kündigung sei aber auch deshalb nicht unwirksam, weil die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien vor einer Zustimmung des Integrationsamtes gekündigt hätte gemäß §§ 85; 88 SGB X. Denn zum einen habe das Landesamt für S. und V. – Integrationsamt – mit Bescheid vom 25.11.2013 der Beklagten seine Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses zur Klägerin erteilt, auch habe die Beklagte die Kündigung erst nach Zugang des Zustimmungsbescheides des Integrationsamtes erklärt. Denn der Beklagten sei der Zustimmungsbescheid des Integrationsamtes vom 25.11.2013 am 26.11.2013 zugestellt worden, worauf die Beklagte die Kündigung unter dem Datum des 27.11.2013 fertigte und diese wiederum der Klägerin am 28.11.2013 zustellen ließ.
Insoweit folge die etwaige Rechtsunwirksamkeit der Kündigung auch nicht aus der Tatsache, dass die Beklagte die Kündigungserklärung nicht erst nach Ablauf der Fiktionsfrist des § 4 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) Brandenburg der Klägerin zuleitete (so jedoch LAG Baden-Württemberg vom 22.09.2006 – 18 Sa 28/06 – zitiert nach juris). Denn maßgeblich für den Zeitpunkt des „Erklärendürfens“ der Kündigung des Arbeitsverhältnisses sei nicht der Zeitpunkt, an welchen die Zustimmungsentscheidung des Integrationsamtes als zugestellt gelte, sondern derjenige, an welchen die Zustimmung tatsächlich erfolgt sei. Die insoweit vom Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg in seiner Entscheidung vom 22. September 2006 gegenteilig vertretene Rechtsauffassung überzeuge nicht, weil sie die unterschiedlichen Zweckrichtungen in der gesetzlichen Regelung, nämlich das Verwaltungsverfahren auf der einen Seite und die zivilrechtliche Gestaltungsmöglichkeit auf der anderen Seite nicht hinreichend berücksichtige. Denn § 4 Abs. 2 VwZG Brandenburg regele nicht etwaige zivilrechtliche Folgewirkungen der Zustellung, sondern den Nachweis der erfolgten Zustellung, indem in seinem Satz 1 des Absatzes 2 zunächst klargestellt werde, dass zum Nachweis der Zustellung der Rückschein genüge und „im Übrigen das Dokument am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als zugestellt gilt“, es sei denn, dass es nicht zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen sei, § 4 Abs. 2 S. 2 VwZG Brandenburg. Mit dieser gesetzlichen Regelung beinhalte § 4 Abs. 2 S. 2 VwZG Brandenburg erkennbar einen öffentlich-rechtlichen Auffangtatbestand für diejenigen Fälle, in denen ein anderer Nachweis für die Zustellung nicht geführt werden könne, was insbesondere aber auch eine frühere Zustellung keinesfalls ausschließe.
Wegen der weiteren konkreten Begründung des Arbeitsgerichts und des Vortrags der Parteien erster Instanz wird auf das Urteil vom 30.07.2014 (Bl. 100 ff. d. A.) verwiesen.
Gegen dieses ihr am 08.09.2014 zugestellte Urteil richtet sich die beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg am 07.10.2014 per Fax eingegangene und am 07.11.2014 per Fax begründete Berufung der Klägerin. Sie greift das Urteil nur hinsichtlich der Wirksamkeit nach den §§ 85; 88 SGB IX an und meint, dass die Kündigung unwirksam sei, weil sie noch während des Laufs der 3-Tage-Frist des § 4 Abs. 2 VwZG ausgesprochen und zugegangen sei. Die Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts, dass die Zustellfiktion nicht gelten solle, wenn der Zugang tatsächlich vor dem dritten Tag nach Aufgabe zur Post erfolge, stehe im Widerspruch zu der bereits erstinstanzlich zitierten Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 22.09.2006 – 18 Sa 28/06 -. Das erstinstanzliche Gericht setzte sich in seiner Entscheidung „sehenden Auges“ über diese Entscheidung hinweg. § 4 VwZG Baden-Württemberg sei jedoch im Wesentlichen inhaltsgleich formuliert mit § 4 BVwZG, lediglich mit dem Hinweis, dass das zuzustellende Dokument der Post in einem verschlossenen Umschlag zu übergeben sei. Hinsichtlich der Zustellfiktion enthalte es keinerlei Abweichungen.
Eingehend setze sich das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg in der zitierten Entscheidung damit auseinander, dass die Zustellungsfiktion jedenfalls bei ordentlicher Kündigung Anwendung finde. Insbesondere führe es auch aus, dass, sofern die erforderliche ordnungsgemäße Zustellung des Verwaltungsakts unterbleibe, es sich um keinen heilbaren Form- und Verfahrensfehler handele. Denn auch aus § 88 Abs. 2 SGB IX werde ersichtlich, dass nicht vom Zugang einer Entscheidung des Integrationsamtes, sondern von der Zustellung der Entscheidung des Integrationsamtes gesprochen werde. Hätte der Gesetzgeber dies anders regeln wollen, und zwar in dem Sinne, dass die Monatsfrist ab Entscheidung des Integrationsamtes unabhängig von deren Zustellung längstens aber nur bis zu einem Monat nach erwirkter Zustellung erfolgen könne, hätte er sich sicherlich sprachdeutlicher gefasst.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Cottbus, Senftenberg, Geschäftszeichen 13 Ca 10925/13 vom 30.07.2014 aufzuheben und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht infolge der Kündigung der Beklagten vom 27.11.2013 aufgelöst worden sei.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
Der Widerspruchsausschuss beim Integrationsamt hat mit Bescheid vom 09.07.2014 den Widerspruch der Klägerin gegen den Zustimmungsbescheid zurückgewiesen.
Die Beklagte hat vorsorglich mit Zustimmung des Integrationsamtes eine erneute Kündigung mit Schreiben vom 27.11.2014 ausgesprochen.
Wegen des weiteren konkreten Vortrags der Parteien in der zweiten Instanz wird auf die Schriftsätze der Klägerin vom 07.11.2014 (Bl. 123 ff. d. A.) und der Beklagten vom 19.11.2014 (Bl. 133 f. d. A.) verwiesen.
Aus den Gründen
I.
17 Die gemäß §§ 8 Abs. 2; 64 Abs. 1, Abs. 2 c, Abs. 6; 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG; §§ 519; 520 Abs. 1 und Abs. 3 ZPO zulässige Berufung ist insbesondere formgerecht und fristgemäß eingelegt und begründet worden.
II.
18 In der Sache hat die Berufung der Beklagten jedoch keinen Erfolg. Sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung überwiegend zu Recht hat das Arbeitsgericht Cottbus die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg folgt dem Arbeitsgericht Cottbus, sieht von einer nur wiederholenden Begründung gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG ab und weist im Hinblick auf den Vortrag in der Berufungsinstanz und die vorliegend einschlägigen Rechtsnormen nur auf folgendes hin:
19 1. Die Kündigung vom 27.11.2013, der Klägerin am 28.11.2013 zugegangen, ist nicht vor der Zustellung des Zustimmungsbescheides des Integrationsamtes vom 25.11.2013 ausgesprochen worden. Denn der Zustimmungsbescheid vom 25.11.2013 ist der Beklagten am 26.11.2013 ordnungsgemäß zugestellt worden.
20 a. Gemäß §§ 1 Abs. 1 S. 1 und S. 2; 65 Abs. 2 SGB X gelten für Landesbehörden, wie vorliegend das Landesamt für S. und V. – Integrationsamt –, die jeweiligen landesrechtlichen Vorschriften über das Zustellungsverfahren. Gemäß § 1 Abs. 1 des VwZG für das Land Brandenburg vom 18.10.1991, zuletzt geändert durch Art. 16 des Gesetzes vom 28.06.2006 (GVBl. I/06, ‹Nr. 07›, S. 74, 82) gelten als Zustellungsverfahren der Landesbehörden mit Ausnahme der Landesfinanzbehörden die Vorschriften der §§ 2 bis 10 des VwZG (des Bundes, VwZG) vom 12.08.2005 (BGBl. I, S. 2, 3, 4, 5) in der jeweils geltenden Fassung. In § 4 „Zustellung durch die Post mittels Einschreiben“ heißt es:
21 „(1) Ein Dokument kann durch die Post mittels Einschreiben durch Übergabe oder mittels Einschreiben mit Rückschein zugestellt werden.
22 (2) ¹Zum Nachweis der Zustellung genügt der Rückschein. ²Im Übrigen gilt das Dokument am dritten Tag nach Aufgabe zur Post als zugestellt, es sei denn, dass es nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. ³Im Zweifel hat die Behörde den Zugang und dessen Zeitpunkt nachzuweisen. Der Tag der Aufgabe zur Post ist in den Akten zu vermerken.“
23 b. Danach ist vorliegend der Zustimmungsbescheid vom 25.11.2005 des Integrationsamtes am 26.11.2013 zugestellt worden. Dies ergibt sich aus den zwei Rückscheinen, wonach der Beklagten und ihrem Prozessbevollmächtigten jeweils am 26.11.2013 der Bescheid zugestellt worden ist. Gemäß § 4 Abs. 2 S. 1 VwZG genügt zum Nachweis der Zustellung der Rückschein.
24 c. Unabhängig davon, dass damit der Zustimmungsbescheid jedenfalls auch der Beklagten eindeutig am 26.11.2013 nach dem Rückschein zugestellt worden ist, ist er auch dem Prozessvertreter am 26.11.2013 ordnungsgemäß zugestellt worden. Dabei kommt es nicht darauf an, ob zu diesem Zeitpunkt die ihn legitimierende Vollmacht vom 15.11.2013 (vgl. das Schreiben des Integrationsamtes vom 06.05.2014, Anlage B 5 zum Schriftsatz der Beklagten vom 07.05.2014, Bl. 78 d. A.) erst mit Schreiben vom 11.04.2014 vorgelegt wurde. Gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 VwZG können Zustellungen an den allgemein oder für bestimmte Angelegenheiten bestellten Bevollmächtigten gerichtet werden, gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 VwZG müssen sie an ihn gerichtet werden, wenn er zuvor eine Vollmacht vorgelegt hat. Auch insofern war die Zustellung ordnungsgemäß und erfolgte am 26.11.2013.
25 2. Diese Auslegung des Gesetzes widerspricht nicht der Auslegung durch das von der Klägerin zitierte LAG Baden-Württemberg in der Entscheidung vom 22.09.2006 – 18 Sa 28/06 zitiert nach juris. Denn das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hatte über eine andere alte Fassung des VwZG zu entscheiden, denn die dortige Kündigung datierte vom 28.10.2005, sodass das VwZG in der Fassung vom 19.05.1972, welches bis zum 31.01.2006 gültig war, anzuwenden war. Dort hieß es in § 4:
26 „(1) Bei der Zustellung durch die Post mittels eingeschriebenen Briefes gilt dieser mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als zugestellt, es sei denn, dass das zuzustellende Schriftstück nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Schriftstücks und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.
27 (2) Der Tag der Aufgabe zur Post ist in den Akten zu vermerken; des Namenszeichens des damit beauftragten Bediensteten bedarf es nicht.“
28 Danach war ein Nachweis durch Rückschein, wie vorliegend nach der Neufassung des § 4 VwZG ab 01.02.2006, nicht vorgesehen.
29 3. Das Verfahren war auch nicht gem. § 148 ZPO bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den durch die Klägerin angegriffenen Bescheid des Integrationsamtes auszusetzen. Die Klägerin hat keinen Kündigungsschutz. Das Verwaltungsverfahren vor Ausspruch der Kündigung war ordnungsgemäß.
III.
30 Die Klägerin trägt daher die Kosten ihrer erfolglos eingelegten Berufung gemäß § 97 Abs. 1 ZPO bei unverändertem Streitwert von 750,00 Euro.
IV.
31 Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel der Parteien nicht gegeben, da eine Divergenz zu der zitierten Entscheidung des LAG Baden-Württemberg nicht zu ersehen ist.